KLASSENKAMPF 24

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Nummer 23 / März 2016

Zeitung der Gruppe Klassenkampf - für Rätemacht und Revolution

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Schluss mit dem Relikt des Austrofaschismus:

Bundespräsident abschaffen Es ist wieder einmal so weit: Der bürgerlich-demokratische kapitalistische österreichische Staat lässt die mächtigste Funktion seines Gebildes neu besetzen. Das Amt des Bundespräsi­ denten in seinem derzeitigen Aussehen wurde mit der Ver­ fassungsreform 1929 im Gei­ ste des damals aufstrebenden Austrofaschis­ mus unter dem Druck der Heimwehren erschaffen. Zu den repräsentativen Aufga­ ben kam eine große Macht­ fülle hinzu, welche bis heute Gültigkeit hat. Sie umfasst un­ ter anderem die Ernennung

und Entlassung der Regie­ rung, des Bundeskanzlers, der Minister und Staatssekre­ täre, die Gegenzeichnung von Gesetzen, die Einberufung des Parlaments und der Landtage, die Verfügung von Begnadigungen, die Nieder­ schlagung von Strafverfahren, der Oberbefehl über das Bun­ desheer sowie den Erlass von Notverordnungen. 1933 nutz­ te Bundespräsident Wilhelm Miklas nach der Auflösung des Parlaments seine Befug­ nisse derart aus, dass er das Machtvakuum so lange auf­ recht hielt, bis seine Christ­ lichsoziale Partei (Vorgängerpartei der ÖVP) den faschistischen Stände­

1932: Bundespräsident Miklas (1. Reihe ganz rechts) begrüßt die Regierung Buresch. In der 2. Reihe die künftigen Arbeitermörder Schuschnigg und Dollfuss

staat errichten konnte. Zu den geistigen Erben des Austrofaschismus gehört

Weg mit der Mindestsicherung - her mit Existenz sichernder Arbeit! Die sich zunehmend verschärfende Krise des österreichischen Kapitalismus ist offensichtlich – die Rekordzahl an Arbeitslosen und MindestsicherungsbezieherInnen spricht eine deutliche Sprache. Arbeit zu haben bedeutet jedoch keineswegs, nicht auf Mindestsicherung angewie­ sen zu sein. In Österreich ha­ ben nur 13 % aller Mindestsicherungsbeziehe­ rInnen keine Arbeit und müs­ sen daher ausschließlich von der Mindestsicherung leben. Ausgerechnet dieser etwa 256.000 Menschen umfassen­ de Personenkreis ist im Zuge der Flüchtlingsdebatte ins Fa­ denkreuz der österreichi­

schen Ausbeuterklasse geraten. Die alte Sozialschma­ rotzerdebatte aus der Mot­ tenkiste des längst verblichenen FPÖ Gurus Jörg Haider muss also wieder her­ halten, wenn es für die Kapi­ talisten gilt, Sündenböcke für ihre Systemkrise zu finden. Die Forderung nach Kür­ zung der sowie Zugangsbe­ schränkung zur Mindestsicherung fügen sich nahtlos in andere Begehrlich­ keiten von ÖVP und Wirt­ schaftskammer wie Senkung der Mindestpensionen von 870 auf 560 EUR, erster Kran­ kenstandstag unbezahlt und Ausgleichszulage erst ab 70. Dabei ist die jüngste Diskussi­ on um die Mindestsicherung

eine Story aus Absurdistan! Während 500 Konzerne mehr als die Hälfte des Um­ satzes der Weltwirtschaft ma­ chen und die 62 reichsten Menschen der Erde so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzen, in Österreich 1 % der Bevölke­ rung 37 % des Vermögens be­ sitzt, die ärmere Hälfte dagegen nur 2 %, das heimi­ sche Steueraufkommen nur zu knapp 5 % aus Unterneh­ mensgewinnen und zu 1,3 % aus vermögensbezogenen Steuern stammt, suggerieren die Klassenkämpfer der Kapi­ talisten, dass das große Geld bei den Mindestsicherungs­ bezieherInnen, insbesondere Weiter auf Seite 2

www.klassenkampf.net

zweifelsohne ÖVP Kandidat Andreas Khol. Am Anfang des Jahrhunderts trat er für ra­ schen und radikalen Sozialab­ bau („Speed kills“) ein und hat unter anderem Pensions­ kürzungen, Eurofighterkauf, Unfallrentenbesteuerung und Ambulanzgebühr mit zu ver­ antworten. Khol wünscht sich Gott in der österreichi­ schen Bundesverfassung und verteidigt das Dollfußbild im ÖVP Parlamentsklub. Von ihm ist eine Amtsausübung im Sinne der faschistischen Ständestaatpolitik und somit gegen die ArbeiterInnen zu befürchten. Khol wird sich aller Voraus­ sicht nach einen harten Kampf mit FPÖ Kandidat Nor­ Weiter auf Seite 2

ISSN: 2220­0657


Innenpolitik

Bundespräsident abschaffen

selbst die ökosoziale Maske vom Gesicht.

Fortsetzung von der Titelseite

SP-Bonze Hundstorfer: Entsetzt über seine "Sozial"politik? Wohl kaum ...

bert Hofer um den besten Hetzer gegen AsylwerberIn­ nen liefern. Dabei ist Hofer durchaus staatsmännisches Auftreten abseits der FPÖ Hardliner wie Gudenus oder Rosenkranz zuzutrauen. Ein Blick auf seinen Lebenslauf offenbart jedoch rasch, dass Hofer bestenfalls der blaue Wolf im Schafspelz ist. Als Nationalratsabgeordneter hat

er für all die oben erwähnten arbeiterInnenfeindlichen und vom damaligen Klubobmann Andreas Khol vehement ver­ tretenen Gesetze und Be­ schlüsse gestimmt. Selbstverständlich gehört auch Hofer wie Strache oder Gudenus zur Riege der schla­ genden Burschenschafter in der FPÖ. Teile des Verbotsge­ setzes sieht er als im Wider­ spruch zur Meinungsfreiheit stehend. Ein Sprachrohr der Kapita­ listenklasse ist auch der ehe­ malige Grünen­Parteichef Alexander Van der Bellen. Zwar liebäugelt er nicht, wie Khol und Hofer, mit dem Fa­ schismus, reißt sich jedoch mit dem Bekenntnis zur EU und dem Eintreten für das ar­ beiterInnenfeindliche Wirt­ schaftsabkommen TTIP

Irmgard Griss versucht, mit einer „Alles ist möglich, aber nix is fix“ Kampagne zu ever­ ybody´s darling zu mutieren. Für uns ist eines klar: als ehe­ malige Richterin stand sie mit beiden Beinen fest am Boden des kapitalistischen österrei­ chischen Staats und war des­ sen willfähriges Werkzeug. Der Kandidat der SPÖ ist der Gewerkschaftsbürokrat Rudolf Hundstorfer, der gern seine Wurzeln in der Arbeite­ rInnenklasse betont. Als Chef der Gewerkschaft der Ge­ meindebediensteten war er für Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen dieser Beschäftigtengruppe mit ver­ antwortlich. Als ÖGB Präsi­ dent will er nicht gewusst haben, dass er die Übernah­ me der BAWAG Schulden

Weg mit der Mindestsicherung - her mit Existenz sichernder Arbeit! Fortsetzung von der Titelseite

den Flüchtlingen sein soll. In Österreich wurden 2014 EUR 673 Mio. für Mindestsi­ cherung aufgewendet. Die Bankenrettung war der Repu­ blik bisher EUR 7,3 Mrd. wert und das Kärntner Finanzde­ bakel schlägt bisher mit EUR 19 Mrd. zu Buche. Während Mindestsicherungsbeziehe­ rInnen Monat für Monat je­ den Cent mehrmals umdrehen müssen, nutzen große Kapitalistenverbände die von ihren politischen Handlangern in den diversen kapitalistischen Staaten ge­ schaffenen Gesetze mit dem Kommentar, es sei rechtlich alles in Ordnung. So wurde erst im Februar 2016 be­ kannt, dass ein großes schwedisches Möbelhaus zwischen 2009 und 2014 durch diverse „legale“, wenn auch nur für SteuerjuristIn­

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nen verständliche Machen­ schaften 1 Mrd. EUR an Steuern gespart haben soll. Besonders widerwärtig ist, dass die Kapitalistenforde­ rung nach Kürzung der Staatsausgaben für Mindest­ sicherung einmal mehr zur Hetze gegen AsylwerberInnen missbraucht wird. Fakt ist, dass von den 2015 nach Österreich gekomme­ nen ca. 90.000 Flücht­ lingen nur etwa 30.000 (dieje­ nigen mit abge­ schlosse­ nem A s

ylverfahren) Mindestsiche­ rung beziehen. Es ist eine Lü­ ge, dass in Österreich besonders oft Mindestsiche­ rung in betrügerischer Wei­ se bezogen wird. Die Betrugsrate beträgt im internationalen Vergleich zwi­ schen 2 und 4 % und ist damit so hoch wie in Österreich. Die Notwendig­ keit einer Min­ destsicherung ist ein Beleg für das Scheitern des ka­ pitalistischen Ge­ sellschaftssyste

durch den ÖGB unterschrie­ ben hat. Auch eine der Ursa­ chen – den Karibikgeschäften der BAWAG – soll für Hund­ storfer überraschend ans Ta­ geslicht gekommen sein. Seine Laufbahn als Sozialmi­ nister beendet er mit der höchsten Arbeitslosigkeit der 2. Republik und würde auch Strache als Bundeskanzler angeloben. Sowohl die Machtfülle des Bundespräsidentenamts als auch die Kandidatenauswahl zeigt: Wir haben keine Wahl! Da Wahlkämpfe jedoch immer Zeiten erhöhter politischer Aufmerksamkeit sind, werden wir die Bundespräsidenten­ wahl 2016 zu Propaganda­ zwecken nutzen.

ms, welches das Menschen­ recht auf existenzsichernde Arbeit verletzt. Die Mindest­ sicherung ist das Pflaster auf die Wunden, die der Kapita­ lismus den Lohnabhängigen immer wieder aufs Neue schlägt. Vorbeugen statt hei­ le n – Sturz des Kapitalis­ mus statt Linderung seiner Folgeschäden, Revolution statt Be­ schränkung auf den Reformis­ mus ist die Auf­ gabe, vor der die Arbeite­ rInnenklasse in Österreich und weltweit un­ ter der Führung einer zu schaffen­ den revolutionären ArbeiterInnenpartei steht.

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Editorial

Flüchtlingsfrage, Brexit und Kriegsgefahr - die imperialistische “Union” zerbröckelt Der EU-Gipfel vom 18./19. Februar wurde von zwei Fragen dominiert, die den Keim der Zerstörung der angeblichen “Europäischen Union” in sich trugen: Die “Flüchtlingsfrage” und die drohende Gefahr eines möglichen britischen EU-Ausstiegs (“Brexit”). Mit faulen Kompromissen, papierenen Erklärungen und ge­ genseitigen Sticheleien und unterschwelligen Drohungen wur­ de auch diese neue “Krise” der EU beigelegt, zumindest bis zum 6. März ­ dann wird es bei den Verhandlungen mit der tür­

lektiv Permanente Revolution in seinem Manifest über die “Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa” festgestellt: Die EU bildet eine Basis für die Ausweitung der großen kapitalistischen Gruppen dieser Region, um ihren Anteil an der Weltwirtschaft zu bewah­ ren oder neue Anteile an den ehemals kollekti­ vierten Ökonomien Zentraleuropas, Chinas, Vietnams und Kubas, den traditionellen halbko­ lonialen Ländern oder sogar in den imperialisti­ schen Ländern selbst zu erobern. Die

23. Oktober 2015: Syrische Flüchtlinge durchqueren zu Fuß Slowenien © By Robert Cotič - http://www.slovenskavojska.si/odnosi-z-javnostmi/sporocila-za-javnost/novica/nov/slovenska-vojska-tudi-med-vikendom-v-velikem-stevilu-pri-podpori-policije/, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44438374

kischen islamistischen Regierung eine neue Bewährungsprobe dessen geben, was heute nur noch Illusionisten “europäische Solidarität” nennen. 2005, auf dem Höhepunkt der Debatte um den mittlerweile schon längst vergessenen EU­Verfassungsentwurf, hat das Kol­ März 2016 | Nummer 24

bürgerlichen Regierungen maskieren diese Tat­ sache durch das Gerede von der „Einheit des Kontinents“ und vom „Frieden“. (...) Die Europäische Union ist selbst das Werk von Staaten, vor allem der alten imperialisti­

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Editorial schen Mächte des Kontinents. Was die Politike­ rInnen, die WissenschafterInnen und die bürgerli­ chen JournalistInnen den „europäischen Aufbau“ nennen, beruhte von Anfang an auf hinter den Kulissen getroffenen Vereinbarungen zwischen den Exekutivmächten Frankreich und Deutsch­ land, auch wenn diese von Großbritannien, Itali­ en, dem Spanischen Staat und den Niederlanden flankiert wurden. Spätestens seit Beginn der sogenannten “Flüchtlingskrise” ist klar, dass die EU zu keinem “Zusammenwachsen” Europas geführt hat, sondern vielmehr eine Arena ist, in der die mäch­ tigsten traditionellen Imperialismen des Kontinents auf Kosten ihrer kleinen Konkurrenten um die Vorherrschaft kämpfen. Der Nationalismus ist nicht überwunden, ganz im Gegenteil: Bei je­ der größeren Krise zeigt sich, dass sich die Ausbeuterklassen hinter die Grenzen “ihres” Nationalstaates zurückziehen, die Zwangsinstrumente Armee, Polizei und ihre “sachlichen An­ hänge” stärken und aufrüsten, um sich gegen die Arbeiterklas­ se im eigenen Land, migrantische Arbeiterinnen und Arbeiter und die ausländischen Konkurrenten zu schützen. Beseitigung der Grenzkontrollen? Freizügigkeit (natürlich nur für “Bürgerinnen und Bürger” der EU? Rechtliche Gleich­ stellung der “Europäer” in den EU­Mitgliedsstaaten? Die heh­

England: Proteste gegen Bildungskürzungen 2015. Was plant Cameron jetzt?

ren Versprechungen haben sich schon vor Jahren entlarvt, als die französische imperialistische Bourgeoisie Roma ­ Bürger des EU­Mitgliedslandes Rumänien! ­ gewaltsam in ihr Her­ kunftsland zurückschickte. Bei nahezu allen wichtigen Gipfel­ treffen wurden die vielgepriesenen “freien Grenzen” innerhalb der EU angeschafft und Kontrollen eingeführt, um Störungen der hochkarätigen Tagungen der Kapitalisten, ihrer Berater und Militärs vor Protesten zu schützen. Und jetzt ­ die “Flüchtlingskrise”: Die europäischen imperia­ listischen Mächte sind einerseits auf eigene Rechnung militä­ risch in Nordafrika engagiert, andererseits über Verträge und Doppelmitgliedschaften in der NATO an US­imperialistischen Miltäraktionen beteiligt. Die Bombardements in Syrien, ebenso wie die Angriffe durch die Armee des imperialistischen Rus­ slands, sind eine der Hauptursachen für die Massenfluchten aus der Region, ebenso wie die Interventionen in Libyen, im Irak und in Afghanistan. Die gleichen Regierungen, die jetzt jammern, dass “die Flüchtlinge” nicht zu finanzieren seien, haben keine Probleme damit, riesige Geldmittel in Militarisierung, Rüstung und Krieg zu stecken. Statt die Ursachen für die Massenflucht zu benennen, wer­ den von den bürgerlichen Parteien und ihren reformistischen

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Gehilfen die Flüchtlinge zum Feindbild hochstilisiert. Bedro­ hungsszenarien werden entwickelt, die Flüchtlinge bereits prä­ ventiv zu Lohndrückern erklärt, ein neuer “Kampf der Kulturen” wird proklamiert. Die Ängste, die geschürt werden, dienen nicht nur dazu, die Arbeiterklasse zu spalten, sie sind auch der Vorwand, um neuerlich massiv gegen soziale Errungenschaften der Arbeiter­ klasse insgesamt vorzugehen. Sozialhilfe für Migrantinnen und Migranten soll gekürzt werden. Das fordert nicht nur die FPÖ. Auch sozialdemokratische Landespolitiker schließen sich die­ sem reaktionären Chor an. Zugleich werden jene angeblichen Errungenschaften ange­ griffen, die wesentlich das Bild der EU als “Friedensprojekt” geprägt haben. Während die bürgerlichen Zeitungen und reak­ tionäre Politiker sowie ihre sozialdemokratischen Helfer in den 60er und 70er Jahren den “Kommunismus” wegen der Ber­ liner Mauer verteufelt haben, sind sie jetzt diejenigen, die neue Mauern und neue Zäune in Europa fordern. Dazu wird die Flüchtlingsproblematik sofort mit dem “Kampf gegen den Ter­ rorismus” verlinkt. Die Angst vor dem blindwütige Terroris­ mus reaktionärer fundamentalistischer Gruppen, die vom Imperialismus selbst aufgebaut wurden, muss dazu herhalten, die demokratischen Freiheiten in den meisten europäischen Ländern einzuschränken, auszuhebeln, oder, wie in Frank­ reich, durch den Ausnahmezustand zu ersetzen. Schon vor dem 1. Weltkrieg haben die damals dominiseren­ den imperialistischen Kolonialmächte Frankreich und Groß­ britannien begonnen, den Nahen Osten untereinander neu aufzuteilen, und während des Völkergemetzels die Chance er­ griffen, durch künstliche Grenzziehungen ihre Einflussbereiche zu parzellieren (Sykes­Picot­Abkommen). Schon damals gab es keine Berührungsängste mit sektierischen und totalitären religiösen Strömungen wie dem wahabitischen Clan, aus dem sich die Führungselite des heutigen “treuen” westlichen Ver­ bündeten Saudi­Arabien herausbildete. Gegen die drohende Gefahr eines Vordringens des Kommunismus als Ergebnis der großen Sympathie für den russischen Arbeiterstaat setzten die Imperialisten seit den 20er Jahren auf religiöse Bewegungen als Teil ihres Feldzuges gegen die Arbeiterbewegung und die mit ihr potenziell verbündeten ausgebeuteten Klassen. Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich dieser Kurs ungebrochen fort. Das indonesische Massaker 1965, das mit politischer Unterstüt­ zung der amerikanischen und britischen Regierungen durch­ geführt wurde, und bei dem zwischen einer halben Million und eine Million Menschen als angebliche oder echte “Kommuni­ sten” abgeschlachtet wurden, stützte sich auf die Armee unter General Suharto und einheimische islamische Organisationen, welche aus ihrem Hass gegen die “atheistischen Roten” nie ein Hehl gemacht hatten. Im Kampf gegen die nationalistische und von der Sowjetunion unterstützten afghanischen Regierung bewaffneten und finanzierten die USA gewalttätige islamisti­ sche Banditen ­ einer ihrer Anführer war der spätere “Erz­ feind” des US­Imperialismus, Osama bin Laden. Auch im Irak verfolgt der amerikanische Imperialismus eine “Teile­und­herr­ sche­Politik”, wie auch in Libyen nach Ghadaffi: Sektiererische religiöse Gewalt wird angestachelt, um die regionalen Mächte schwach und abhängig zu halten. Kampf gegen den islamisti­ schen Faschismus bedeutet also in erster Linie: Kampf gegen den Imperialismus, der sich jederzeit gewalttätigster Mittel be­ dient, um die Herrschaft der bürgerlichen Klasse im Weltmaß­ stab zu sichern. Die Solidarität mit den Menschen, die vor imperialistischen Bombardements, dem Terror einheimischer diktatorischer Re­ März 2016 | Nummer 24


Editorial gimes, den islamofaschistischen Gewaltorgien, der daraus re­ sultierenden Zerstörung ihrer materiellen Lebensbedingungen flüchten müssen, darf den Blick nicht darauf verstellen, dass sich in jede großen Zahl von Menschen in Fluchtbewegungen auch reaktionäre, faschistische oder gewöhnliche kriminelle Elemente mischen. Diese zu isolieren muss Teil der Solidari­ tätsarbeit sein. Dazu gehört eine entsprechende Propaganda­ und Aufklärungsarbeit, die sich nicht scheut, die verheeren­ den Auswirkungen des Islamismus offen zu kritisieren und re­ aktionäre Ideologien (z. B. über die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Homophobie, etc.) zu bekämpfen. Der “Kampf um die Köpfe” ist aber keine Aufgabe, die sich durch Kurse oder bürgerliche “Integrationspolitik” lösen lässt. Hier gilt es, durch Klassensolidarität zu zeigen, dass es sehr weltliche Wer­ te wie gemeinsames politisches Handeln und gemeinsamer Kampf gegen den Faschismus sind, welche ein Zusammen­ wachsen der Arbeiterklasse ermöglichen. Besonders sei darauf verwiesen, dass die “eingeborenen” europäischen Faschisten und Reaktionäre auch die religiöse Karte spielen, um Emotionen gegen Flüchtlinge zu schüren. Die christlichen Fundamentalisten, nennen sie sich nun PEGI­ DA, Kreationisten, oder sonst wie, sind in ihrer Ideologie (und Praxis) dem Islamofaschismus näher als dem “Volk”, in dessen Namen sie angeblich sprechen. Die “europäischen Traditio­ nen”, die sie verteidigen ­ die “christlichen” sind die Traditio­ nen der Intoleranz gegen Andersgläubige oder Ketzer, der Zurückweisung eines rationalen Weltbildes und der Verteidi­ gung von Aberglauben und Mystizismus, die gleichen Werte, die sie mit integristischen Muslims teilen, um die Frauen zu­ rück ins Haus und weg aus dem öffentlichen Leben zu sperren. Der Kampf gegen die “Islamophobie” muss also gleichzeitig der entschiedene Kampf gegen alle Formen religiösen Aber­ glaubens sein, Wie zerbrechlich die Europäische Union tatsächlich ist, hat sich auf dem letzten Gipfel in Brüssel gezeigt. Das kleine im­ perialistische Österreich scheint im Stande gewesen zu sein, mit seiner reaktionären Politik das gesamte Gefüge der mäch­ tigen Union zu erschüttern. In Wirklichkeit leisten sich Fay­ mann und Mikl­Leitner keinen Alleingang: Im Bündnis mit den so genannten “Vysegrad­Staaten” (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) wird vehement auf Nationalismus, Grenzziehung und “Verteidigung nach Außen” gesetzt. Griechenland, dessen arbeitende und arbeitslose Bevölkerung von den imperialisti­ schen Mächten im Würgegriff gehalten wird, soll nun sowas wie ein “Libanon” an der EU­Außengrenz werden ­ ein Land, in dem ein nach Millionen Köpfen zählendes permanentes Flüchtlingszwischenlager entstehen soll. Auch große “Global Player” wie der französische Staatsprä­ sident Hollande sind für Abschottung, für Quoten, für “mehr national”. Diese reaktionäre Politik, die überall von Sozialdemokraten und gewendeten Stalinisten mitgetragen wird, bereitet für die offen reaktionären, ausländerfeindlichen und halb­ sowie fa­ schistischen Parteien den Boden. Der “Brexit” soll abgewendet werden, indem die britische Regierung freie Hand dabei bekommt, die ohnehin seit der Thatcher­Ära ausgedünnten Sozialleistungen für Ausländer (auch für solche aus der EU) massiv zu beschneiden. Das Si­ gnal aus Brüssel ist klar ­ um die scheinheilige Einheit der EU zu bewahren, sind faktische nationale Ausritte absolut zuläs­ sig. Angesichts der enormen Bedrohungen für die europäische und internationale Arbeiterklasse kann die Antwort nicht im März 2016 | Nummer 24

Zurückweichen, nicht im Schweigen bestehen. Mehr denn je bestätigen sich die Worte von Karl Liebknecht: “Der Haupt­ feind steht im eigenen Land”. Die EU als Rahmen für den Inter­ essensausgleich zwischen den großen imperialistischen Regionalmächten Deutschland und Frankreich und der Unter­ werfung der schwächeren Imperialismen unter deren Domi­ nanz ist am Auseinanderbrechen. Es sind die nationalen Bourgeoisien und ihre Regierungen, die den Sozialabbau vor­

Fundis gegen Fundis: Welche Werte die wohl verteidigen?

antreiben, die demokratischen Errungenschaften von jahr­ zehntelangen Kämpfen unterminieren, die Völkerhass schüren und neue Kriege vorbereiten. Die Parteien, die sich auf die Arbeiterbewegung berufen, so­ wie die Gewerkschaften müssen für die Einheit und für die Rechte aller Arbeiterinnen und Arbeiter eintreten: •Schluss mit dem nationalen Grenzregime! •Reise­ und Niederlassungsfreiheit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter und die Jugend in ganz Europa! •Für das Recht auf Arbeit für Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten! •Arbeitszeitverkürzung, Verteilung der Arbeit auf alle Hände zu kollektivvertraglich festgelegten Mindestlöhnen, die ein menschenwürdiges Leben garantieren! •Kürzung der Rüstungs­ und Militärausgaben zugunsten von Schulen und Lehrwerkstätten, in denen Arbeiterinnen und Ar­ beiter sowie Jugendliche aller Herkunftsländer eine qualitativ hervorragende laizistische Ausbildung erhalten! •Öffentliche Arbeiten, finanziert aus Steuern auf der Großka­ pital, um Arbeitsplätze Wohnraum und Freizeitmöglichkeiten für die arbeitende Bevölkerung aller Nationalitäten zu schaf­ fen! •Sofortige Beendigung aller militärischen Engagements der imperialistischen Mächte in Afrika, Asien und im Nahen Osten, Zerschlagung der NATO! Die Bourgeoisie hat sich als unfähig erwiesen, die Einheit Eu­ ropas herzustellen. Sie droht, nicht nur den Kontinent, son­ dern auch die angrenzenden Erdteile in neue, gewaltige Kriege zu stürzen. Die Antwort ist weder eine Rückkehr zum nationa­ len Protektionismus noch die Illusion in eine “reformierte” EU. Unsere Antwortet lautet: Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa. Um dieses Ziel zu ereichen, brauchen die Arbeiterin­ nen und Arbeiter aller Länder revolutionäre internationalisti­ sche Parteien, die auf dem Boden des Marxismus stehen, und die in derRevolutionören ArbeiterInneninternationale zusam­ mengeschlossen sind. Für diese Partei, für diese Internationale kämpfen wir!

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Innenpolitik

Steuerreform 2016:

Fata Morgana »Gegenfinanzierung« Endlich ist sie da, die von den gleich geschalteten Medien des herrschenden Kapitalismus in Österreich monatelang angekündigte Lohnsteuerreform. Angesichts der millionenschweren Selbstbeweihräucherung von Finanzministerium, Arbeiterkammer und ÖGB kann durchaus der Eindruck entstehen, dass die Entlastung bei Verzicht auf die diesbezügliche Werbekampagne weit höher hätte ausfallen können. Immerhin dürfte die Lohnsteuerreform 2016 die kalte Progression seit der letzten Lohnsteuerreform 2009 halbwegs ausgleichen. Das setzt jedoch voraus, dass die veranschlagte Ge­ genfinanzierung tatsächlich den Betrag der Lohnsteuer­ entlastung von 4,9 Mrd. EUR in die Staatskassa spült. Wie zu erwarten war, ha­

pert es bei der Steuerbe­ trugsbekämpfung gewaltig. Steuerhinterziehung kann eben nicht mit der Einfüh­ rung der Registrierkassen­ pflicht beseitigt werden. Dazu würde es schon einer perso­ nellen Aufstockung bedürfen, was allerdings wieder dem ebenfalls im utopischen Ge­ genfinanzierungsplan enthal­ tenen Einsparungen im Verwaltungsbereich zuwider läuft. Auch dürfte nicht wie erhofft jeder Euro aus der Steuerentlastung konsumiert werden – und wenn dann nicht unbedingt ausschließ­ lich in Österreich. So ziem­ lich die einzigen funktionierenden Gegenfinan­ zierungen sind die Erhöhung der Umsatzsteuer auf Tier­ nahrung und kulturelle Ver­ anstaltungen von 10 auf 13 % und die Streichung der Son­ derausgaben – also die Erhö­ hung von Massensteuern, die wiederum vorwiegend die Ar­ beiterInnenklasse zu bezah­ len hat.

Gleichzeitig findet eine Um­ verteilung von der Arbeite­ rInnen­ zur Kapitalistenklasse statt. Seit 1.1.2016 sind die Unternehmerbeiträge für den Insolvenzentgeltfonds um rund 80 Mio. EUR jährlich ge­ sunken, ab 2017 erfolgt eine Senkung der Beiträge für den Familienlastenausgleichs­ fonds, ab 2018 eine weitere Senkung, in Summe EUR 790 Mio., zusammen mit dem Insolvenzentgelt­ fonds EUR 870 Mio. jährlich.

Pensionen: Klassenfeind bringt Geschütze in Stellung Am 29.2.2016 will die Bun­ desregierung ihre Pläne zu ei­ ner neuen Pensionsreform präsentieren. Die Wirt­ schaftskammer versucht sich bereits mit dem Vorschlag, die Frühpensionen bis zum 65. Lebensjahr nicht zu valo­

Guido Zingerl: Die Umverteilung (Creative Commons Licence)

risieren, zu positionieren. Zu­ dem muss mit der rascheren Erhöhung des Frauenpensi­ onsantrittsalters sowie einer generellen Erhöhung des Pen­ sionsantrittsalters auf 67 ge­ rechnet werden. Denkbar sind auch geringere Kapitali­ stenpensionsbeiträge (Schlagwort: Lohnnebenko­ stensenkung) sowie eine neuerliche Senkung der Stei­ gerungsbeträge für bereits erworbene Pensionsansprü­ che. Auch an den Staatszu­

Das Kollektiv Permanente Revolution(CoReP) www.revolucionpermanente.com Frankreich: GROUPE MARXISTE INTERNATIONALISTE http://groupemarxiste.info Peru: REVOLUCION PERMANENTE (PERU) http://luchamarxista.blogspot.fr/

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Innenpolitik schüssen wird künftig gerüt­ telt werden. Fazit: Länger ar­ beiten bei niedrigeren Pensionen! Die Profiteure des Krankjammerns der gesetzli­ chen Pensionsversicherung sind private Versicherungs­ gesellschaften. So genannte unabhängige Pensions“exper­ ten“ arbeiten nicht selten für große private Versicherungen wie der Deutsche Bert Rürup. Dabei hat eine Untersuchung der EU Kommission ergeben, dass die staatlichen Pensi­ onszuschüsse bis 2060 bei et­ wa 6 % des Bruttoinlandsprodukts gleich bleiben. Die Pensionen der Lohnabhängigen sind zu mehr als 90 % durch Beiträge gedeckt, während der Staats­ zuschuss für die Pensionen der Selbstständigen und Bau­ ern mehr als 50 % beträgt. Um einen neuerlichen Pen­ sionsraub sowie die Erhö­ hung von Massensteuern (vor allem der Umsatzsteuer) als „Gegenfinanzierung“ zur Lohnsteuerreform zu verhin­ dern, wird der entschlossene Widerstand der ArbeiterIn­ nenklasse notwendig sein. Der kapitalistische Klassen­ feind darf die Kosten seiner systembedingten Finanz­ und Wirtschaftskrise nicht auf uns abwälzen! Es ist genug Geld da! Die reichsten 62

Menschen der Welt besitzen rund 1,6 Billionen EUR und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevöl­ kerung. In Österreich ist die Situation nicht viel besser. 1 % der Bevölkerung besitzen 37 % des Vermögens, die ärmsten 50 % besitzen nur 2 %.

Weg mit den Gewerkschafsbonzen! Die Bonzen im ÖGB sind zur Organisation des Kampfs ein wesentliches Hindernis. Sie demoralisieren die Arbei­ terInnen mit ihren Schein­ kämpfen, die unweigerlich in die nächste Niederlage füh­ ren. Die ArbeiterInnen müs­ sen sich daher selbst organisieren und die verrä­ terrische ÖGB Führung stür­ zen.

Lohnsteuer nur ein Teil des Problems weg mit allen Massensteuern! Eine neue, kämpferische ÖGB Führung wird sich nicht auf das Ziel einer Lohnsteu­ erreform beschränken. For­ derungen zur radikalen Umverteilung von der Kapita­

listen­ zur ArbeiterInnenklas­ se sehen so aus: Lohnsteuerreform: Erhöhung der Freigrenze für die untersten Einkommen! Mehr Progressionsstufen als bisher! Erhöhung des Spit­ zensteuersatzes! Umsatzsteuersenkung als erster Schritt zur Abschaf­ fung aller Massensteuern! Abschaffung aller Selbstbe­ halte im Gesundheitswesen (Rezeptgebühr, Kranken­ hausselbstbehalt, Selbstbe­ halte bei Seh­ und Hörbehel­ fen etc.)! •Freie Bildung ohne Stu­ diengebühren, Elternbeiträge in Schulen und Schulbuch­ selbstbehalte! Pensionen: •Rücknahme der Pensions­ reform von 2004, d. h. als Durchrechnungszeitraum die besten 15 Jahre und Steige­ rungsbetrag wieder 2 %! Sen­ kung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters für Frauen und Männer auf 60 Jahre! Unternehmens­ und mögensbesteuerung:

Ver­

•Körperschaftssteuer der rauf von 25 auf 34 %! •Offenlegung der schäftsbücher!

wie­

•Komitees der Beschäftig­ ten sollen ­ gegebenenfalls unter Beiziehung von ihnen verantwortlichen Buchprü­ fern ­ kontrollieren, ob Ver­ mögenssteuern und Sozialversicherungsabgaben korrekt abgeführt werden! •Enteignung angeblich un­ rentabler Betriebe unter Ar­ beiterkontrolle! •Abschaffung des Stiftungs­ rechts und der Gruppenbe­ steuerung! •Höhere Grundsteuer für Luxusimmobilien! •Einführung der Erb­ schaftssteuer für Vermögen über 1 Mio. EUR! Arbeit: •Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden mit dem Ziel der Vollbeschäftigung! •Verbot aller prekären Be­ schäftigungsverhältnisse wie "geringfügiger" Beschäfti­ gung, Werkverträgen oder Scheinselbstständigkeiten! Verkehr: •Nulltarif auf allen öffentli­ chen Verkehrsmitteln! •Steuerliche Begünstigun­ gen für den Kauf von Fahrrä­ dern! •Stärkere Besteuerung von hochpreisigen sowie emissi­ onsreichen motorisierten Fahrzeugen!

Ge­

GRUPPE KLASSENKAMPF Die Gruppe Klassenkampf (GKK) ist die österreichische Sektion des Kollektivs Permanente Revolution, das aus Sektionen in Frankreich, Peru und Österreich besteht und eng mit der Bewegung zum Sozialismus in Russland zusammenarbeitet. Die GKK gibt die Zeitung KLASSENKAMPF heraus, organisiert den Marxistischen Studienzirkel (MSZ) und

beteiligt sich an politischen Aktionen im Interesse der österreichischen und internationalen Werktätigen. Unter anderem haben wir in Japan mit der radikalen Eisenbahnergewerkschaft Doro Chiba bei der Solidaritätsarbeit für die Opfer der Katastrophe von Fukushima zusammen gearbeitet.

www.klassenkampf.net | gruppe.klassenkampf@gmail.com Öst. Sektion des Kollektivs permanente Revolution (CoReP)

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Antifaschismus/Antirassismus

Reaktionäre Mobilisierungen

Identitäre: Alter Faschismus in hippen Klamotten Wer geglaubt hat, ein neuer Faschismus würde wie ein Zombie des alten Nazismus daherkommen, in zerfetzter SA- oder SSUniform, mit Heil-HitlerRufen und Hakenkreuzen, hat sich (teilweise) getäuscht. Natürlich gibt es sie, die alten und jungen Kellernazis, mit ihrer einschlägigen Symbolik: 88 (achter Buchstabe des Alphabets daher HH, daher “Heil Hitler”), eintätowierten SS-Runen, Swastikas und Reichsadlern. Die meist kahlgeschorenen Rabauken sind, wie ihre Vorbilder aus den 30er Jahren, die Schlägertrupps, die Migrantinnen und Migranten oder Aktivistinnen und Aktivisten der Arbeiterbewegung attackieren, als “Ordner” bei FPÖ-Aufläufen eingesetzt werden und AustroPEGIDA-”Spaziergänge” flankieren. Mittlerweile aber hat sich der Faschismus in Österreich neu gestyled, hat neue Paro­ len und ein neues Outfit ge­ funden ­ und damit in kurzer Zeit an Boden gewinnen kön­ nen. Der alte Deutschnationa­ lismus, wesentliches ideologisches Merkmal der Nazi­Verehrer, hat in Öster­ reich ohnehin zusehends an Bedeutung verloren, weil sei­ ne “Wirtskörper” (die Reste der nazistisch versifften Kriegsteilnehmergeneration) weggestorben sind. Ein Öster­

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Poitiers (Frankreich), Ende 2012: Erste medienwirksame Aktion des Bloc Idéntitaire gegen die geplante Moschee in Potiers. Dort fand 732 eine Schlacht zwischen den "christlichen" Truppen Karl Martels gegen die "heidnischen" Muslime statt. Die Mixtur aus Fremdenfeindlichkeit und religiös verbrämter Reaktion zeigt sich an der Wahl der Ortes ...

reichnationalismus konnte nicht als Ersatz dienen ­ ein wirkliches österreichisches Nationalbewusstsein hat sich kaum entwickelt, paradoxer­ weise waren es die österrei­ chischen Stalinisten, die am inbrünstigsten die Farben rot­ weiß­rot vor sich hergetragen haben. Wieder einmal sind es die Burschenschaften, in denen sich der Keim für die neue fa­ schistische Bewegung gebil­ det hat ­ die Identitären, ein politisches Franchise­Unter­ nehmen, das seine Wurzeln in Frankreich hat. Ihre Führer ­ Sellner, Markovic, Rusnjak und wie sie alle heißen ­ hat­ ten ihre ersten politischen Schritte teilweise in mittler­ weile verbotenen neonazisti­ schen Banden wie der “Volkstreuen Außerparlamen­ tarischen Opposition” VAPO

des noch einige Jahre einsit­ zenden Nazis Gottfried Küssel gemacht. Dass im Umfeld der NSDAP­Wiederaufbaufraktion allerdings kaum ein “Staat” zu machen sein würde, war den Burschenschaftern bald klar. Betrunkene Hools und reni­ tente Skins waren zwar das ideale “Kanonenfutter” für Schlägereien, konnten aber kaum Sympathien in der Be­ völkerung wecken. Einer der ideologischen Inspiratoren der “neurechten Szene”, FPÖ­ Ideologe Andreas Mölzer, äu­ ßerte sich wiederholt in Inter­ views naserümpfend über die “prollige” rechte Szene. Das Heil der rechten Sieg­ Heils­Armisten kam diesmal nicht aus Deutschland, son­ dern aus dem eigentlich ver­ achteten welschen Frankreich: Dort bildete sich 2003 der “Bloc Identitaire”

(Identitärer Block) als Sam­ melbewegung diverser reak­ tionärer und faschistischer (Jugend)Banden, nachdem ein Mitglied der Vorläuferor­ ganisation Unité Radicale 2002 nach einem geplanten Attentat auf den französi­ schen Präsidenten verhaftet wurde. Das Programm der französi­ schen Identitären ist letzten Endes das Vorbild für deren österreichische und deutsche Franchisenehmer: “Nationa­ lismus” wird durch “Patriotis­ mus”, die Idee der “arischen Herrenrasse” durch die Ideo­ logie einer Überlegenheit der “weißen Rasse” ersetzt, als ideologischer Kleister der modernen Version der alten “Volksgemeinschaft (also der Zurückweisung jedes Klas­ senkampfs) muss die “Vertei­ digung der europäischen März 2016 | Nummer 24


Antifaschismus/Antirassismus Nach der Machtergreifung der italienischen Faschisten 1921 begann sich die junge Kommunistische Internationale ernsthaft mit der neuen reaktionären Massenbewegung auseinander zu setzen. Die deutsche Kommunistin Clara Zetkin (1857 - 1933) referierte im Juni 1923 auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Komintern über den Faschismus. Hier Auszüge aus ihrer Rede.

1923:

Clara Zetkin über Faschismus Werte” herhalten. Mit dem Schlagwort der “Rekonquista” (Rekonquista ist die Bezeich­ nung für die Rückeroberung des maurischen Spanien durch christliche Heere) wer­ den auch reaktionäre christli­ che Militante ins identitäre Boot geholt, die vom nazi­ stisch orientierten Faschis­ mus bekämpft wurden. Die Identitären mobilisieren in Österreich und Deutsch­ land zu allererst mit auslän­ derfeindlichen und antiislamischen Parolen. Die

der Subsaharazone gibt). Ausgenommen sind hier die USA ­ Antiamerikanismus ist bei den reaktionären Grup­ pierungen durchaus schick. Einerseits, weil das “Rassen­ gemisch” in den USA als ab­ schreckendes Beispiel herhalten muss; und zwei­ tens, weil es aus pragmati­ schen Gründen einfacher ist, von einem faschistischen “weißen” Großeuropa zu schwadronieren, als von ei­ nem von Latinos, Schwarzen und Juden “gesäuberten”

Im Jänner 2016 griffen Funktionäre der Identitären Bewegung Österreichs nach einer Kundgebung in Graz mit Totschlägern und Teleskopschlagstöcken junge Antifaschistinnen und Antifaschisten an. Nein - keine "Mitläufer" waren das, sondern bekannte Vertreter der ach so braven und biederen Kreuzzügler

alten Ausländer­Raus­Parolen werden mit schleimigem “Ethnopluralismus” getarnt: “Wir wollen ja den armen Flüchtlingen helfen, und zwar dort wo sie herkommen, und dort sollen sie auch wieder zurück gehen” (wobei es na­ türlich keine Kritik an den im­ perialistischen Interessen in Nordafrika, Westasien und März 2016 | Nummer 24

Amerika. Das überlässt man den dortigen Gesinnungs­ freunden… Die Propaganda wird mit Angstparolen geführt ­ “der große Austausch” müsse ver­ hindert werden, Warnung vor dem “Volkstod”. Perfide (na­ türlich überwiegend marxisti­ sche) Politiker und Machteliten wollten den “ge­

Die Reformisten sehen im Faschismus den Ausdruck der Unerschütterlichkeit, der alles übertreffenden Kraft und Stärke der bourgeoisen Klassenherrschaft, der das Proletariat nicht gewachsen ist, gegen die den Kampf aufzunehmen vermessen und vergeblich ist. Es bleibt ihm so nichts anderes übrig, als still und bescheiden zur Seite zu treten, den Tiger oder Löwen der bürgerlichen Klassenherrschaft ja nicht durch den Kampf für seine Befreiung, für seine Diktatur zu reizen, kurz, auf Gegenwart und Zukunft zu verzichten und geduldig abzuwarten, ob man auf dem Wege der Demokratie und Reform ein weniges vorwärtskommen könne. Ich bin entgegengesetzter Ansicht und alle Kommunisten wohl mit mir. Nämlich, daß der Faschismus, mag er sich noch so kraftmeierisch gebärden, ein Ausfluß der Zerrüttung und des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaft und ein Symptom der Auflösung des bürgerlichen Staates ist. Nur wenn wir verstehen, daß der Faschismus eine zündende, mitreißende Wirkung auf breite soziale Massen ausübt, die die frühere Existenzsicherheit und damit häufig den Glauben an die Ordnung von heute schon verloren haben, werden wir ihn bekämpfen können. Die eine Wurzel des Faschismus ist in der Tat die Auflösung der kapitalistischen Wirtschaft und des bürgerlichen Staates. Wir finden schon Symptome für die Proletarisierung bürgerlicher Schichten durch den Kapitalismus in der Vorkriegszeit. Der Krieg hat die kapitalistische Wirtschaft in ihren Tiefen zerrüttet. Das zeigt sich nicht nur in der ungeheuerlichen Verelendung des Proletariats, sondern ebensosehr in der Proletarisierung breitester klein- und mittelbürgerlicher Massen, in dem Notstand des Kleinbauerntums und in dem grauen Elend der Intelligenz. Die Notlage der Intellektuellen ist um so größer, als in der Vorkriegszeit der Kapitalismus sich angelegen sein ließ, davon eine Überproduktion herbeizuführen.

sunden europäischen Volks­ körper” durch “Vermischung” mit den “Braunen” (nein, nicht den Nazis, sondern Menschen mit dünklerer Hautfarbe) zersetzen ­ die Folge wäre die “Scharia in Eu­ ropa”, der “große Austausch” eben.

Diese paranoide Sicht auf die “marxistischen Zersetzer” ist einerseits ein direktes Bin­ deglied zum italienischen “Ur­ Faschismus” der 20er Jahre und dem deutschen National­ sozialismus, andererseits wurden diese Untergangssze­ narien durch die wirren Texte

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Antifaschismus/Antirassismus des skandinavischen Massen­ mörders Anders Breivik neu aufgekocht. Im Gegensatz zur dumpfen Kellernaziszene versuchen die Identitären, ihrer Bewe­ gung einen “geschichtsphilo­ sophischen” Anstrich zu geben. Dabei bedient man sich Versatzstücken aus dem Repertoire der italienischen Casa­Pound­Faschisten, die sowas wie einen “rechten Gramscianismus” predigen (Antonio Gramsci, 1891 ­ 1937, war ein von den Faschisten verfolgter kommunistischer Po­ litiker, der sich unter anderem mit Staatstheorie und der Fra­ ge der ideologischen Hegemo­ nie in bürgerlichen Gesell­ schaften auseinandersetzte), holt sich Elemente beim Alt­ nazi Heidegger und anderen Schreibtischtätern der Ver­ gangenheit. Diese giftige Mix­ tur wird mit einer Prise “christlicher Werte” ange­ rührt, und daraus ein Cocktail gerührt, der im universitären

hievt zu werden. Tatsächlich gibt es diese “Parallelgesellschaft” der fa­ schistischen Traditionsver­ bände, durch die FPÖ ist ihr Einfluss in den letzten Jahren

stande sind, größere Men­ schenmengen auf die Straße zu bringen, fällt die Maske rasch. Da sehen die “Intellek­ tuellen” nicht einfach zu, wenn ihre “prolligen” Unter­

Es liegt auf der Hand, daß der Faschismus in den einzelnen Ländern verschiedene Charakterzüge trägt, je nach den vorliegenden konkreten Verhältnissen. Jedoch zwei Wesenszüge sind ihm in allen Ländern eigen: ein scheinrevolutionäres Programm, das außerordentlich geschickt an die Stimmungen, Interessen und Forderungen breitester sozialer Massen anknüpft, dazu die Anwendung des brutalsten, gewalttätigsten Terrors. Clara Zetkin enorm gewachsen. Um Jugendliche aus der vom Kapitalismus geförder­ ten “Spaßgesellschaft” zu re­ krutieren, greifen die Identitären auf aktionistische

stützer Jagd auf jugendliche Antifaschistinnen und Antifa­ schisten machen, da werden auch von bekannten Füh­ rungskadern der “patrtioti­ schen Jugend” verbotene

Ein faschistisches Franchiseunternehmen: 2014 wurden in Wien-Floridsdorf Straßenschilder in der Nähe eines islamischen Zentrums mit der gefakeden Aufschrift "Shariagasse" überklebt. Eine "originelle" Aktion, hinter der die Polizei die Identitären "vermutete". Ein kleiner Tipp: In Poitiers verwendeten die französischen Identitären die gleiche Methode. Alles Zufall, oder was?

Milieu gut ankommt: Die dor­ tigen Identitären fühlen sich als “was Besseres”, sie kön­ nen alle ihre Zukunftsängste bequem auf ein neues Feind­ bild schieben ­ den Islam (An­ tisemitismus kommt heute nicht mehr ganz so gut), und hoffen, durch ihr reaktionäres Agieren später über die Seil­ schaften der Burschenschaf­ ten in Entscheidungspositionen der bürgerlichen Gesellschaft ge­

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Propagandaformen wie Stra­ ßenperformances (z.B. ge­ spielte IS­Hinrichtungen), Flashmobs etc. zurück. Zu­ gleich geben sich ihre Spre­ cher betont “gewaltfrei”, obwohl immer wieder deut­ lich drohende Töne anklin­ gen. Aber wenn die Identitären ­ gestützt auf breite Bündnisse mit anderen reaktionären Gruppen, Bürgerinitiativen und Einzelindividuen ­ im­

Teleskopschlagstöcke und Schlagringe gezückt. Vor einigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass faschistische Gruppen in Österreich regelmäßig hun­ derte, mitunter sogar über tausend Personen auf die Straße bringen, und nicht nur in den Großstädten, sondern an der Grenze, um gegen die “Flüchtlingslawine” zu prote­ stieren. Die massive Ausstat­ tung dieser Banden mit

Fahnen, Transparenten, Laut­ sprecheranlagen…. zeigt, dass nicht zu knapp Geld in Richtung der neuen Faschi­ sten fließt … Ausländerfeindlichkeit, Angst vor “den Fremden”, Sündenbockphantasien und die Verwendung plumper Lü­ gen über angebliche Super­ marktplünderungen durch Flüchtlinge und ähnliches ­ das sind die Grundlagen, auf denen die österreichischen PEGIDA­Ableger, Identitäre, FPÖ­Poilitiker und FPÖ­Glie­ derungen wie der RFS zusam­ menarbeiten und in der “Mitte der Gesellschaft” fru­ strierte Kleinbürger, veräng­ stigte Lohnabhängige, repressionslüsterne Beamte und sonstige in der kapitali­ stischen Gesellschaft zu kurz gekommene zusammenfassen und indoktrinieren wollen. Zugleich manifestiert sich hier ein Versagen der traditio­ nellen Arbeiterorganisationen und der Gewerkschaften.

Statt mit eigenen Losungen und Lösungen auf die Frage der Massenmigration einzu­ gehen, haben sich die sozial­ demokratischen Parteiführer als brave Mitverwalter des kapitalistischen Staates zu Handlangern der imperialisti­ schen “Flüchtlingspolitik” ge­ macht. Die Gewerkschaftsbürokratie hat kein Programm entwickelt, wie man die Migrantinnen und Migranten organisieren und in das österreichische Proletariat integrieren kann, um zu verhindern, dass März 2016 | Nummer 24


Antifaschismus/Antirassismus Flüchtlinge mittelfristig vom Kapital als Lohndrücker aus­ genutzt werden, um die Ar­ beiterklasse zu spalten, oder, in Ghettos und Lagern einge­ pfercht, jede Kampfperspekti­ ve zu verlieren. Zugleich haben viele zentri­ stische Organisationen ­ ebenso wie “humanitäre” und religiöse NGOs ­ den Kampf gegen reaktionäre Tendenzen innerhalb der Flüchtlingsmas­ sen vernachlässigt. Ein falscher “antirassistischer” Reflex, der sich als “Kampf gegen die Islamophobie” ver­ steht, hat reaktionär­religi­ ösen und islamofaschistischen Strö­ mungen freie Hand gelassen. Die beiden Faschismen, die sich hier zeigen, ergänzen einander in ihrer Wirkungs­ weise. Der fremdenfeindliche Faschismus der Identitären und ihrer Kumpane ist Was­ ser auf die Mühlen islamofa­ schistischer Bewegungen, und deren Agieren wiederum schafft das ideale Feindbild, mit dem die heimischen Fa­ schisten neue Sympathisan­ ten gewinnen können. Aufklärung alleine aber wird den faschistischen Sumpf nicht trockenlegen können. Der Faschismus, egal

Frankreich, 1935: Aufmarsch der Arbeitermiliz "Tojours prêt pour servir" ("Stets zum Dienst bereit"), die von der SP-Linken, Syndikalisten und Trotzkisten geschaffen wurde. Die französischen Faschisten, die gewalttätig nach der Macht griffen und die Arbeiterorganisationen angriffen, waren stark von einem reaktionären Katholizismus geprägt.

in welcher Erscheinungsform, ist in erster Linie der Tod­ feind der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen. Egal ob Mussolinis italienischer Fa­ schismus ab 1919/1920 oder die Nazibewegung ab 1923 in Spanien oder die spanische Falange ab den frühen 30er

Jahren ­ der gemeinsame Nen­ ner der faschistischen Bewe­ gungen ist das strategische Ziel der Atomisierung der Ar­ beiterbewegung, die Zerstö­ rung ihrer Organisatioen und die Brechung des proletari­ schen Klassenbewusstseins mit brutaler Gewalt. Die Orga­

nisierung der Selbstverteidi­ gung ist ein wesentlicher erster Schritt, noch wichtiger aber ist es, ein Programm zu entwickeln, das die Arbeite­ rinnen und Arbeiter politisch gegen die reaktionären Rat­ tenfänger immunisiert und bewaffnet.

Altbekannte Methoden ... Im vergangenen Oktober tauchten in der Berufsschule Hütteldorferstraße in Wien Kleber der Identitären mit fremdenfeindlichen Parolen auf. Das Besondere daran: Unter den Ecken waren Rasierklingen versteckt, die beim Herunterreißen der Pickel leicht zu schweren Schnittverletzungen führen können. Auch das ist aber keine genuine Erfindung der Identitären: Mit den gleichen Mittlen versuchten in den 70er Jahren die Neonazis der "Aktion Neue Rechte" ihre "Propaganda" zu "schützen". Damals waren die ANRLeute leicht an ihrer der SA- oder SSKluft nachempfundenen Militärkluft zu erkennen. Die Idis mit Föhnlocke und Designerpulli wirken zwar schicker, sind aber im Inneren die gleiche Faschistenbrut. März 2016 | Nummer 24

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Internationaler Klassenkampf

Türkei:

Die islamistische Regierung greift die Kurden an und träumt von der Diktatur

Seit Jahrhunderten ist das kurdische Volk auf verschiedene Staatsgebilde verteilt. Die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts des kurdischen Volkes ist Teil des Kampfes der Marxisten-Internationalisten.

Bis Mitte vergangenen Jah­ ren konnte sich die AKP (Par­ tei für Justiz und Entwicklung) des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Er­ dogan auf eine breite soziale Basis stützen. Aber die deut­ liche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums um 3 % nach Jahren des zweistelli­ gen Wachstums, der Zusam­ menbruch der wichtigen Exporte in die kriegs­ und kri­ sengeschüttelten Nachbar­ staaten Syrien und Irak sowie die sinkende Nachfrage nach türkischen Produkten in den schwächelnden europäischen

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Ländern und das Wegbrechen des russischen Marktes stürzten auch die Partei Er­ dogans in die Krise. In der Li­ ste der OECD bezüglich der ungleichen Einkommensver­ teilung rangiert die Türkei weit hinten, vor den meisten afrikanischen Staaten. Die “goldenen Jahre”, in denen imperialistische Konzerne massiv investierten, sind vor­ bei. Politisch kam die islamisti­ sche AKP gleich an mehreren Fronten in’s Schleudern: ge­ richtliche Ermittlungen we­ gen Korruption und

Vetternwirtschaft zielten di­ rekt auf den Präsidenten und seine Familie. Teile der Be­ völkerung wurden vom im­ mer offeneren Islamismus der Erdogan­Partei abgesto­ ßen: darunter die Frauen, die zurück an den Herd geschickt werden sollen; die Wiederzu­ lassung des Schleiers an Schulen, Universitäten und staatlichen Einrichtungen (die Abschaffung dieser Vor­ schriften war Teil des Selbst­ verständnisses der laizistisch orientierten kemalistischen Bourgeoisie, welche die Grundlagen der modernen

Türkei schuf); die Aufwer­ tung der religiösen Imam­ha­ tip­Schulen, die nun als Mittelschulen anerkannt sind und selbst von bürgerlichen Kritikern der Regierung als islamistische Kaderschmie­ den kritisiert werden. Die Wahlen im Juni 2015 brachten ein für Erdogan un­ angenehmes Ergebnis: mit immerhin noch 40,9 % der Stimmen verlor seine AKP die absolute Mehrheit (Berichte über Wahlschwindel und Un­ regelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen wurden ignoriert); vor allem aber übersprang erstmals ei­ ne pro­kurdisch orientierte Formation, die Halklarin De­ mokratik Partisi HDP (Den­ mokratische Partei der Völker) die Zehn­Prozent­ Hürde (13,1 %) und konnte 80 Abgeordnete stellen (AKP: 258). Die HDP kam damit auf genausoviele Abgeordnete wie die islamo­faschistische MHP, die 16,3 % der Stimmen erzielte. Die kemalistische CHP erreichte ein Viertel der Stimmen und stellte 132 Ab­ geordnete. Der “samtpfötige” Islami­ sierungskurs der AKP hat sich in den letzten zwei, drei Jahren deutlich verschärft. Am ehesten lässt sich die Er­ dogan­Partei mit der ägypti­ schen Muslim­Bruderschaft vergleichen, die ihre starke Basis im Kleinbürgertum mit sozialen Maßnahmen absi­ cherte und parallel an der Zurückdrängung der weltli­ chen Strukturen arbeitete. In der Türkei, mit mehreren März 2016 | Nummer 24


Internationaler Klassenkampf Jahrzehnten weltlich orien­ tierter kemalistischer Traditi­ on, wäre die Forderung nach Einführung der Scharia auf taube Ohren gestoßen. So verkaufte die AKP ihren “Marsch durch die Institutio­ nen” als “gemäßigten Islam” ­ und hatte damit, auch im Ausland, Erfolg. Ab 2013, nach der Nieder­ schlagung der Proteste um die Bewegung am Gezi­Platz (sieben Tote, mehr als 7.000 Verletzte), zog Erdogan die Schrauben weiter an. Über den zentralen Platz Istanbuls, dem Taksim, dem traditionel­ len Sammelpunkt der macht­ vollen 1. Mai­Demonstratio­ nen der Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen, wur­ de ein Versammlungsverbot verhängt, und folgerichtig ging die Polizei im vergange­ nen Jahr dort mit Wasserwer­ fern und Tränengasgranaten gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter vor. Parallel dazu werden kriti­ sche Zeitungen geschlossen, Journalisten verhaftet, oder die AKP lässt bewaffnete An­ hänger aufmarschieren, die Redaktionen verwüsten und anzünden. Besonders im Vi­ sier ist Cumhuriyet, eine libe­ rale Zeitung, welche die logistische Unterstützung der syrischen Dschihadisten durch die türkische Regie­ rung aufdeckte. Im November 2015 ließ Er­ dogan neu wählen. Sein stra­ tegisches Kalkül war einfach: Das zwischen der türkischen Regierung und der (verbote­ nen) Kurdischen Arbeiterpar­ tei PKK ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen, ebenso wie die Erfolge des kurdischen Widerstandes ge­ gen Daesch in Syrien, erhöh­ ten dramatisch das Prestige der HDP und stärkten in den kurdischen Teilen der Türkei die Autonomiebestrebungen. Schon im Juli 2015 wurde der Waffenstillstand mit der PKK aufgekündigt. Mit unver­

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hohlenem Zynismus erklärte Erdogan nun, seine Regierung unterstütze den Kampf der USA­geführten Allianz gegen Daesch ­ und ließ die türki­ sche Luftwaffe PKK­Stütz­ punkte bombardieren. Die USA unterstützten prompt “das Recht der Türkei, sich gegen die PKK zu verteidi­ gen”. Und die Mitgliedsstaa­ ten der EU, welche die Türkei als “Türsteher” gegen die Flüchtlingsströme aus Syrien und dem Irak benutzen wol­ len, äußerten zumindest kei­ ne Kritik. Immerhin beherbergt die Türkei zwei Millionen Flücht­ linge aus den Nachbarstaaten ­ und hat damit ein wertvolles Faustpfand, vor allem der deutschen Regierung gegen­ über, in Händen. Am 10. Oktober kam es in Istanbul zu einem mörderi­ schen Bombenattentat auf ei­ ne Friedensdemonstration von Gewerkschaften und HDP. Zwei Bomben töteten mehr als 100 Menschen und Verletzten 500. Die AKP­Re­ gierung beschuldigte nach­ einander die PKK, die Guerillaorganisation der DHKP­C und Daesch als Ver­ antwortliche. Und bot auch gleich eine Lösung aller Pro­ bleme an: “Hätte eine Partei [die AKP] 400 Sitze erreicht, wäre all das nicht passiert!”. Die Rechnung der AKP ging bei den Wahlen auf: Von der faschistischen MHP wander­ ten 1,7 Millionen Stimmen ins Erdogan­Lager, und auch die HDP büßte mit 10,8% der Wählerstimmen ein, ist aber nach wie vor im Parlament vertreten. Erdogan macht aber klar, dass ihm die HDP ein Dorn im Auge ist. Ihren Führer Demirtas will er vor Gericht zerren ­ in seinem is­ lamisch­nationalistischen Denken ist schon die Be­ zeichnung “Demokratische Partei der Völker” eine Rie­ senprovokation. Die HDP ist sowas wie eine

“Mini­Volksfront” auf Wahle­ bene. In ihr finden sich kurdi­ sche Nationalisten, Aleviten, Grüne, Feministinnen, ver­ schiedene Gruppe und Perso­ nen, die sich als Sozialisten definieren. Jede dieser Strö­ mungen für sich ist eine Her­ ausforderung für die islamistischen Kräfte, und dementsprechend hat die AKP ihre Schlägerbanden los­ gelassen, die Jagd auf HDP­ Anhänger machen. Kompliziert wird die Situa­ tion nun auch noch durch das offenen militärische Eingrei­ fen des jungen russischen Im­ perialismus in den Konflikt in

Einheit der Arbeiterklasse. Das heißt: Anerkennung der nationalen Rechte der kurdi­ schen, armenischen … Völker in der Türkei ­ bis hin zum Recht der staatlichen Lost­ rennung! ­ und Klassensolida­ rität zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern aller Nationalitäten. Damit kann sowohl dem is­ lamistischen großtürkischen Nationalismus wie auch dem bürgerlichen kurdischen Na­ tionalismus eine Perspektive entgegengestellt werden: Die gleichberechtigte Vereinigung der Arbeiterinnen und Arbei­ ter, der Jugend, der Frauen …

Der Anschlag in Sukuc Ende 2015 galt Aktivistinnen und Aktivisten der sozialistisch orientierten kurdischen Bewegung. Ob faschistische islamistische Kräfte aus der Türkei oder dem Umfeld von Daesch dahinter steckten, ist bis jetzt nicht klar.

Syrien. Der Abschuss einer russischen Militärmaschine am 24. November durch die türkische Armee führte prompt zu Wirtschaftssank­ tionen Russlands gegen die Türkei, was die Wirtschafts­ entwicklung des Landes wei­ ter erschwert. Dazu kommen die diplomatischen Bemü­ hungen der bürgerlichen kur­ dischen Parteien, sich sowohl bei den USA und den europäi­ schen Imperialisten Unter­ stützung zu holen, gleichzeitig aber auch die russische Karte zu spielen, um mehr Spielraum zu erlan­ gen. Welche Aufgaben haben nun die Arbeiterinnen und Arbeiter in Europa und der Türkei? Der entscheidende Punkt ist die Herstellung der

auf einer neuen, sozialisti­ schen Grundlage: Die Losung derVereinigten Sozialistischen Staaten Europas oder einer Sozialistischen Föderation der Mittelmeerstaaten. “Die Volksmassen jedoch zum Siege über den Block der Imperialisten, Feudalen und nationalen Bourgeois zu führen, vermag nur die revolutionäre Hegemonie des Proletariats, die sich nach der Machteroberung in die Diktatur des Proleta­ riats verwandelt”. (Leo Trotzki, Die permanente Re­ volution, 1927).

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Internationaler Klassenkampf

Erklärung der Bewegung zum Sozialismus (Russland)

Die orthodoxe Ideologie des russischen Imperialismus Was sich als das “Moskauer Patriarchat der orthodoxen Kirche" (EPM) präsentiert, hat wieder einmal bewiesen, dass es nicht nur nicht eine religiöse Organisation, son­ dern der ideologische Flügel eines bürokratischen bürger­ lichen Regimes ist. Kurz nach Beginn der russi­ schen Militäroperation in Sy­ rien erklärte der Führer der EPM, Patriarch Kirill (Vladi­

gen zwischen Kirche und Staat zuständig ist, Erzprie­ ster Vsevolod Chaplin, die russische Militäroperation in Syrien gesegnet. “Russland hat immer ge­ fühlt, dass es die Pflicht (zum Eingreifen) hat und wollte schon immer (gemeinsam mit denen kämpfen, wie die Re­ gierung Assad) handeln, um in den verschiedensten Re­ gionen des Planeten eine ge­

Havanna, 2016: Zwei homophobe Herren küssen einander (links: Patriarch Kirill, rechts: Papst Franziskus)

mir Gundyaev), dass das Wohl des Heiligen Russland vom Ergebnis des Krieges in Syrien abhängen würde. In­ zwischen hat der Leiter der Synode, der für die Beziehun­

rechtere Welt zu installieren. Und für unser Land ist das natürlich eine moralische und göttliche Pflicht, die in der Mentalität unseres Volkes verwurzelt ist”.

Die ideologische Bemänte­ lung der Situation durch die Hierarchie der EPM hat nichts mit den wirklichen Zielen des russischen bürgerlichen bü­ rokratischen Regimes im Na­ hen Osten zu tun, die sich in den Klasseninteressen der russischen Oligarchie manife­ stieren. Die Hauptaufgabe des russi­ schen Imperialismus in Syrien ist die Kontrolle über den Transport von Erdöl und Kohle aus den Staaten am Persischen Golf ­ Iran, Turk­ menistan und Aserbaidschan ­ bis zur Mittelmeerküste. Der Kampf gegen "das Böse in der Welt" und Daesch ist nur ein Vorwand für die Entsendung des Militärs. Der religiöse Glaube ist kein direkter Gegner der Kommu­ nisten. Der direkte Feind der Arbeiterklasse und damit der Kommunisten ist die Bour­ geoisie, die kapitalistische Gesellschaft. Die Überwin­ dung der religiösen Überzeu­ gungen ist nicht durch einen einzigen und sofort wirksa­ men Akt, eine isolierte revo­ lutionäre Tat, möglich, es ist etwas, das Zeit braucht, ein langer historischer Prozess. Gleichzeitig aber sind die reli­ giösen Organisationen in die bürgerlichen Regierungen und Herrschaftsstrukturen in­

tegriert und im Bündnis mit dem Großkapital. Als solches werden sie während der pro­ letarischen Revolution zer­ stört und enteignet werden. Die russischen Kommuni­ sten­Internationalisten haben die EPM hier als eine bloße religiöse Organisation gese­ hen. "Die russisch­orthodoxe Kirche" ist eine politische und ideologische Struktur des russischen Imperialismus. Deshalb ist der Kampf gegen die EPM ein direkter Kampf gegen die niederträchtige und verachtenswerte bürokrati­ sche bürgerliche russische Regierung. "Die russisch­orthodoxe Kirche" als kapitalistische Oligarchie und als aktiver Rückhalt der internationalen Politik des russischen Impe­ rialismus wird ein nicht zu unterschätzender Gegner, und zwar nicht nur der russi­ schen Arbeiter, sondern der Arbeiter der ganzen Welt. Aus diesem Grund ist der Kampf der Arbeiterklasse ge­ gen die EPM ein integraler Teil der sozialistischen Welt­ revolution. Oktober 2015 nдвижение к социализму (Bewegung zum Sozialismus / Russland)

Der Webauftritt der MAS Russland: http://nuevomas.blogspot.co.at/

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März 2016 | Nummer 24


Internationaler Klassenkampf

Nordirland:

Schatten der blutigen Vergangenheit zeigen verbrecherische Rolle der britischen Besatzungsmacht Nordirland: Schatten der blutigen Vergangenheit zeigen Rolle der britischen Besat­ zungsmacht Der 23. Oktober 1993 nimmt in der Geschichte des nordiri­ schen Bürgerkriegs eine be­ sondere Rolle ein. An diesem Tag betraten Thomas Begley und Sean Kelly, Mitglieder ei­ ner Aktiven Diensteinheit (ASU) der Provisorischen IRA Frizzels Fischgeschäft in der protestantischen Shankill­ Road in Nordbelfast. Sie woll­ ten dort eine Bombe deponie­ ren, um die militärische Führung der pro­britischen und pro­faschistischen UDA zu töten, die angeblich in der Wohnung über dem Laden ei­ ne Sitzung abhielt. Die Bombe explodierte vor­ zeitig, der 21jährige Begley kam ebenso um's Leben wie neun Anwesende oder Pas­ santen, darunter ein sieben­ und ein 13jähriges Mädchen. Das "Shankill­Massaker" em­ pörte nicht nur die loyalisti­ sche, also pro­britische, Bevölkerung Nordirlands, auch nationalistische und re­ publikanische Irinnen und Iren wandten sich von der IRA ab. 2002 erbeutete ein Komman­ do der IRA bei einem Ein­ bruch in ein Büro der nordirischen RUC (Royal Irish Constabulary) unter anderem eine Reihe verschlüsselter Festplatten und Dokumente. Es dauerte Jahre, bis das Ma­ terial vollständig von Exper­ ten der Untergrundorganisation de­ März 2016 | Nummer 24

Nach der Bombenexplosion in der Shankill Road: Durch einen Maulwurf des britischen Geheimdienstes wurde die sektiererische Gewaltspirale wieder hochgeschraubt. Bis heute versuchen die britischen Regierungen, ihre imperialistischen Verbrechen in Nordirland zu verleugnen oder zu verschleiern.

chiffriert werden konnte. Und damit explodierte die zweite Bombe: Jener Offizier der IRA, der das Kommando für den Anschlag in Frizzels Fish Shop hatte, war ein Agent der RUC und/oder des Britischen Geheimdienstes (Codebezeichnung: "AA"), der seine Auftraggeber über die gesamte Planung des An­ schlags auf dem Laufenden hielt. Offenbar war er es auch, der als Provokateur die "Idee" für den Anschlag in der IRA­Führung verbreitete. Nachdem die Irish News in den vergangenen Tagen im­ mer mehr Dokumente aus (ehemaligen?) IRA­Kreisen zugespielt bekommen hatte, tauchen neue Fragen auf:

Warum hatte ein Agent der britischen Besatzungsmacht die Möglichkeit, einen An­ schlag, der in jedem Fall Men­ schenleben fordern würde, zu organisieren? Warum wurde offenbar die UDA­Führung vor dem An­ schlag informiert? Die geplan­ te Sitzung ihrer militärischen Führung war abgesagt wor­ den. Ist es möglich, dass die Bom­ be bewusst so konstruiert wurde, dass sie frühzeitig ex­ plodierte, um die PIRA zu dis­ kreditieren? Dass die Provokation durch "AA" aufging, bewies die dem Massaker in der Shankill­ Road folgende Welle der sek­

tiererischen Gewalt. Schon ei­ ne Woche schlugen royalistische Paramilitärs in Greysteel, County London­ derry zu: Am 30. Oktober 1993 stürmten Mitglieder der UDA während einer Hallo­ ween­Party ein von Nationali­ sten frequentiertes Pub und erschossen acht Menschen und verletzten 13 weitere.

IMPRESSUM: Eigentümer, Herausgeber, Verleger Druck: Die politische Partei Gruppe Klassenkampf, früher TGÖ.Druckort: Wien

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Internationaler Klassenkampf

Offener Brief an den ÖGB zum Tod des iranischen Gewerkschafters Sharokh Zamani

Am 13. September 2015 starb im Gohardasht­Gefängnis, das sich rund 25 Kilometer westlich der iranischen Hauptstadt Alt­ Teheran befindet, der politische Gefangene Sharokh Zamani (51). Sein Tod wirft zahlreiche Fragen auf: während die Gefängnisbe­ hörden des Mullah­Regimes von “Tod durch Herzschwäche” sprechen, berichten Mitgefangene, der Kopf des Toten sei blutig geschlagen gewesen, und sein Mund voll Blut. Der Gewerkschafter und Aktivist für Arbeiterrechte wurde zum ersten Mal 1993 wegen seiner Tätigkeit für die verbotene Ge­ werkschaft der Maler und Anstreicher verhaftet und zu 18 Mona­ ten Gefängnis verurteilt; immer wieder folgten Festnahmen, Haft und Folter. Am 8. Juni 2011 wurde er in Täbriz verhaftet und von einem “Revolutionsgericht” wegen “Handlungen gegen die natio­ nale Sicherheit und den Aufbau von oder der Mitgliedschaft in Organisationen, die sich gegen den Staat richten”, zu 11 Jahren Haft verurteilt. Gemeint war: Sein Eintreten für freie Gewerk­ schaften, die Forderung nach grundlegender Sozialversicherung für die Maler und Anstreicher und allgemein sein Eintreten für die wirtschaftlichen und politischen Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter. Zamani war dem Regime der “Islamischen Republik” wegen sei­ nes konsequenten und beharrlichen Engagements ein besonde­ rer Dorn im Auge. Er wurde wiederholt gefoltert, in der Haft wurden ihm ärztliche Behandlung und Medikamente verweigert. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit beteiligte er sich an Häft­ lingsprotesten und Hungerstreiks gegen die unmenschlichen Haftbedingungen in den iranischen Gefängnissen. Der Österreichische Gewerkschaftsbund, alle Gewerkschaften, Betriebsräte und gewerkschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten sollten daher folgende Forderungen aktiv unterstützen: •Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission aus Vertreterinnen und Vertreterinnen der Arbeiterorganisatio­ nen, um die Umstände des Todes von Sharokh Zamani und seine Haftbedingungen lückenlos zu untersuchen! •Freiheit für alle politischen Gefangenen im Iran, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter einsetzen! •Uneingeschränktes Recht auf Gründung und Mitgliedschaft in Gewerkschaften und Arbeiterparteien! •Keine Einschränkung der politischen Betätigung im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter! Gruppe Klassenkampf und iranische kommunistische Arbeiter

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Internationale Demo #M19: Flüchtlinge willkommen! Nein zur Festung Europa! Samstag, 19. März, 13:00 Uhr Wien, Karlsplatz

In ganz Europa werden am 19. März 2016 zehntausende Menschen unter dem Motto „Flüchtlinge willkommen“ auf die Straße gehen. Wir laden alle solidarischen und antirassistischen Initiativen und Privatpersonen ein, gemeinsam mit Flüchtlingen gegen die „Festung Europa“ zu demonstrieren. Wir heißen alle Flüchtlinge willkommen, egal ob sie von Krieg, politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Zerstörung oder aus anderen Gründen zur Flucht gezwungen werden. Machen wir sichtbar, dass die überwältigende Mehrheit für Menschlichkeit und Toleranz statt rassistischer Sündenbockpolitik steht. Wir stehen für eine Friedenspolitik. Wir stehen für die Erhöhung des Budgets für humanitäre Hilfe statt Elend und „Richtwerten“ für Flüchtlinge. Wir stehen für ein Bündnis aller Benachteiligter statt für das Ausspielen von Menschengruppen gegeneinander. Es ist genug für alle da. Der Reichtum ist nur falsch verteilt. Armut ist kein Schicksal, sondern die Folge einer verfehlten Politik. Solidarische Helfer_innen auf den Bahnhöfen, in Flüchtlingsheimen und an Grenzen, zivilgesellschaftliche Initiativen und die Flüchtlinge selbst haben 2015 die Regierung gezwungen, die Grenzen zu öffnen. Am 3. Oktober gingen 70.000 Menschen für eine menschliche Asylpolitik auf die Straße, über 150.000 besuchten das Konzert „Voices for Refugees“. Entgegen der solidarischen Haltung der Bevölkerung verschärft die Regierung die Asylgesetze, baut an Zäunen in Österreich und um Europa und kriminalisiert Hilfsbereitschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regierungen mit ihrer menschenverachtenden Politik durchkommen. Um Europa keine Mauer: Grenzen öffnen, das Massensterben im Mittelmeer beenden, keine Zäune und keine „Hot Spots“. Bessere und mehr Unterstützung für Menschen, die unmittelbar vor Ort in Flüchtlingslagern und an den Grenzen der Kriegsgebiete leben •Willkommenskultur und Solidarität statt „Obergrenzen“: Bleiberecht, menschenwürdige Behandlung und Qualitätsstandards, rasche Öffnung des Arbeitsmarktes und keine Senkung der Mindestsicherung •Asyl ist Menschenrecht: Gegen die Zerschlagung des Rechts auf Familiennachzug („Asyl auf Zeit“), gegen die künstliche Trennung von Menschen, die vor Krieg und anderen Gründen fliehen müssen (Armut, usw.) •Fluchthilfe ist kein Verbrechen: Weg mit § 114 FPG („Schlepperei“) und § 120 FPG (rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt) März 2016 | Nummer 24


Ökologie

Weltklimagipfel 2016 in Paris:

Der Zynismus der Ausbeuterklasse Um ausreichende Beschwichtigungs­ arbeit zu leisten, musste wieder ein Er­ gebnis präsentiert werden. Am Ende wurde von den 195 teilnehmenden Staa­ ten ein Abkommen mit dem Bekenntnis zu einer Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius (damit ist der Zeit­ raum von 1850 bis 2050 gemeint) unter­ zeichnet. Allerdings: Es wurde nicht festgelegt, wie dieses Ziel konkret zu erreichen ist und es gibt auch keine Sanktionen für die Nichteinhaltung der Vereinbarung. Jedem Staat ist es selbst überlassen, welchen Beitrag er leisten will. Das Ab­ kommen wurde von den teilnehmenden Politikern in vor Zynismus triefender Manier als Durchbruch enthusiastisch gefeiert. Die Erdöllobby hat den zu erwarten­ den Sieg errungen. Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es auch keinen aktuellen Grund, sich von fossilen Brennstoffen für Stromgewinnung, Mobilität und In­ dustrieproduktion zu verabschieden. Die Ölpreise sind mittlerweile als Reak­ tion auf erhöhte Fördermengen der füh­ renden Erdölproduzenten, neue Förderverfahren (Fracking) und stagnie­ rende Weltwirtschaft auf ein 10­Jahres­ Tief gesunken. In Peking und anderen chinesischen Großstädten sind zeitgleich mit der Pa­ riser Klimakonferenz die Grenzwerte für Feinstaub einmal mehr um ein Vielfa­ ches überschritten worden. China feiert es schon als Erfolg, dass etwa zwei Drit­ tel des Anstiegs an Strombedarf nicht durch Kohlekraftwerke gedeckt werden. Das passt sehr gut ins Bild des schwam­ mig formulierten Pariser Klimaabkom­ mens. Beschwichtigungen, Verharmlosungen und utopische Zielset­ zungen ohne ernsthafte Versuche, diese zu erreichen – so sieht die globale Kli­ mapolitik aus. Mit der Verlagerung großer Teile der Industrieproduktion von Europa und Nordamerika nach Asi­ en geht neben der Senkung von Löhnen und sozialen Standards auch die Verla­ gerung massiver Luftverschmutzung einher. Mittlerweile sucht China die Lö­ sung des Dauersmogproblems im Bau von 80 Kernkraftwerken mit dem kaum einschätzbaren Risiko atomarer Kata­ März 2016| Nummer 24

Ausnahmezustand auch gegen Umweltproteste: Trotz Verbot und Hausarrest gegen Umweltschützer gingen tausende auf die Straßen.

strophen. Die einzige Lösung des Klimadilem­ mas besteht in einer demokratisch ge­ planten und den Bedürfnissen der Menschheit und ihres Lebensraums an­ gepassten Politik. Diesem Gebot der Vernunft steht allerdings das herrschen­ de Wirtschafts­ und Gesellschaftsssy­ stem – der Kapitalismus – entgegen. So lange diese profitorientierte und unsoli­ darische Politik vorherrscht, wird die Menschheit von einer Umweltkatastro­

phe (Smogalarm, Überschwemmungen, Stürme, Dürren, Aussterben von Tier­ und Pflanzenarten etc.) in die nächste taumeln. Anstatt der Quatschbuden der Kapitalistenvertreter brauchen wir eine Partei, die die ArbeiterInnenklasse als einzig revolutionäre Klasse zum Sieg führt und mit dem Aufbau einer soziali­ stischen Gesellschaft weltweit auch das Überleben der Menschheit sichert.

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Internationaler Klassenkampf Am 18. Januar fasste Präsi­ dent Hollande vor dem Wirt­ schafts­, Sozial­ und Umweltrat, dem Mekka der Klassenzusammenarbeit ­ in dem 18 Vertreter der CGT, 18 der CFDT, 14 der FO, 6 der CFTC, 6 der CFE, 4 der UNSA, 2 der USS (SUD) , 1 der FSU sitzen ­ alle Angriffe zusam­ men, die er in diesem Jahr umsetzen will. Die eindrucks­ volle Liste erfüllt Punkt für Punkt die Forderungen der Unternehmer:

Der Ausnahmezustand - ein "alter Bekannter" der französischen Arbeiterklasse. Hier die Schlagzeilen des "Journal du centre" über die Verhängung des Ausnahmezustandes durch General Charles de Gaulle im Mai 1958.

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ankündigte, erhoben sich die Deputierten und Senatoren, auch jene von SP, KP und PdG und stimmten die “Marseillai­ se” an. Die verlogene Rechtferti­ gung, man wolle “die Bevöl­ kerung” schützen, zerstob zu Nichts, als unter Berufung auf die “Aufrechterhaltung der staatlichen Sicherheit” die Proteste gegen den Klimagip­ fel in Paris verboten wurden und bekannte Umweltaktivi­ stinnen und Aktivisten unter Hausarrest (!!!) gestellt wur­ den; oder als die Demonstra­ tion zur Verteidigung der Migranten und Flüchtlinge am 22. November in Paris verboten wurde (unsere Ge­ nossen der GMI, Internationa­ listisch Marxistische Gruppe, beteiligten sich an der De­ monstration). Wir dokumentieren im fol­ genden Flugblatt, welche Zie­ le die französische imperialistische Bourgeoisie mit dem Ausnahmezustand wirklich verfolgt.

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Der Ausnahmezustand verleiht der Bourgeosie Flügel Der Ausnahmezustand wur­ de im November von den Ge­ werkschaftsführungen der CGT, FO, FSU ..., der Soziali­ stischen Partei PS (die "rebel­ lischen" Mitglieder rebellierten nicht mehr), der Linkspartei PdG und der Kommunistischen Partei PCF als “außerordentliche Maß­ nahme” als gerechtfertigt an­ erkannt. Wie erwartet, wird er von der Regierung erneu­ ert. Der Premierminister kün­ digte in Davos [beim Weltwirtschaftsgipfel] an, dass der Ausnahmezustand so lange nicht aufgehoben werde, "bis Daesch (IS) nicht zerstört ist" (Valls, BBC, 22. Januar). Da die französische Regierung Daesch zur Recht­ fertigung für die Bombardie­ rung Syriens und des Irak sowie die Diskriminierung der Araberinnen und Araber verwendet, kann der Ausnah­

mezustand jahrelang andau­ ern. Dem Ministerrat wurde am 23. Dezember 2015 die vorge­ schlagene Verfassungsände­ rung, die den Ausnahmezustand in die Ver­ fassung aufnehmen soll, zur Diskussion ab dem 3. Februar 2016 vorgelegt. Damit kann egal welche Regierung gleich­ zeitig mit der Verlängerung des Ausnahmezustandes der Polizei folgende Aufgaben übertragen: ohne Vorliegen besonderer Gründe Identi­ tätskontrollen durchführen, die Gefährdung der öffentli­ chen Ordnung proklamieren, die Kontrolle von Fahrzeugen ermöglichen, Tresore und Schließfächer öffnen, Perso­ nen auf dem Verwaltungsweg unter Hausarrest stellen, auf dem Verwaltungsweg Gegen­ stände oder Computer be­ schlagnahmen, die Vorführung vorgeladener Per­ sonen durch Polizeieskorten von ihrem Wohnsitz bis zum Vernehmungsort vornehmen.

•Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) wird in eine permanente Senkung der Unternehmerbeiträge umge­ wandelt, •der Kredit für Forschung und Entwicklung (CIR) wird weitergewährt; •die Prämie von 2.000 € für Anstellungen bis zum 1,3 fa­ chen des SMIC in kleinen und mittleren Unternehmen wird erneuert, •die Höhe und Dauer der Arbeitslosenunterstützung soll gesenkt werden, •500.000 Arbeitslose sollen in Ausbildungsmaßnahmen gesteckt werden, die eine Senkung der Qualifizierung zum Ziel haben, um die Zahl der Stellensuchenden in den bestbezahlten Kategorien zu reduzieren; •Die Zahl der Lehrlinge soll von 400.000 auf 500.000 ge­ steigert werden, wobei das Gehalt der ausgebeuteten Ju­ gendlichen in Betrieben mit weniger als 10 Mitarbeitern während des ersten Jahres vom Staat übernommen wird, wobei gleichzeitig die “Aus­ bildung im Betrieb” zertifi­ ziert werden und die technische Ausbildung, eine Errungenschaft aus dem Jahr 1945, abgebaut werden soll. Die "Vereinfachung" des Ar­ beitsgesetzes ist für März an­ gekündigt. Dadurch sollen Änderungen der Arbeitszeit erleichtert werden, inklusive der Nachtarbeit und der Ar­ beit an Feiertagen, die Redu­ zierung oder schlechtere März 2016 | Nummer 24


Internationaler Klassenkampf Bezahlung von Überstunden und die Regelung dieser Maß­ nahmen auf Betriebsebene, wo der Druck der Kapitali­ sten größer ist, als bei Bran­ chenverträgen. Auch eine Deckelung der Strafen wegen ungerechtfertigter Entlassun­ gen, die von den Unterneh­ mern seit langen gefordert wird, steht auf der Tagesord­ nung für die Reform des Ar­ beitsgesetzes. Die Gewerkschaftsführer wurden eingeladen, all diese Verschlechterungen zu ver­

handeln, und keine der Füh­ rung hat das verweigert. Sie haben bereits in der ersten Phase an der Anhörung über die Reform des Arbeitsgeset­ zes im Herbst teilgenommen, und sind bereit, auch die nächsten Einladungen der Re­ gierung anzunehmen, die si­ cher nicht lange auf sich warten lassen werden. Die Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis, davon 9 Monate ohne Bewährung, von acht ehemaligen Goodyear­ Mitarbeitern, die zwei Füh­

rungskräfte festgesetzt hat­ ten, während ihr Werk in Amiens geschlossen wurde und 1.143 Mitarbeiter auf die Straße gesetzt wurden, ist in mehr als einer Hinsicht ent­ larvend. Die Arbeiterorganisationen und an erster Stelle die Ge­ werkschaften, müssen sich vereinen und gemeinsam die Forderung erheben: •keine Anklage gegen unse­ re Genossinnen und Genos­ sen bei Goodyear und Air

France! Die Aufhebung der Sanktionen der Unternehmer gegen die Genossinnen und Genossen bei Air France! •Schluss mit dem Ausnah­ mezustand! •Abbruch der Verhandlun­ gen über den “Entwurf Ma­ cron II”! •Verbot der Entlassungen! Arbeitszeitverkürzung und Einstellung von Arbeitslosen! •Stopp aller imperialisti­ schen Interventionen! Freie Einreise für Flüchtlinge!

[Erklärung der Groupe Marxiste Internationaliste, franz. Sektion des Kollektivs Permanente Revolution]

Pogrome in Korsika: Der Faschismus an der Arbeit

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m Freitag, dem 25. und Samstag dem 26. Dezeber 2015, haben einige Hundert Personen mit korsischen Fahnen mit Parolen wie ‘Hier ist man bei uns!’ und “Arabi fora’” (korsisch für ‘Araber raus’) in den Straßen von Ajaccio de­ monstriert. Als Vorwand nahmen sie den Angriff gegen zwei Feuerwehrleute und einen Polizisten durch Kleinkriminelle und Gangster. Sie organisierten eine “Strafexpedition”, um sich die im wesentlichen aus dem Maghreb stammende Be­ völkerung im Viertel der “Jardins de l’Empereur”(Gärten des Kaisers) vorzuknöpfen und zerstörten einen islamischen Gebetssaal, ein Kebabrestaurant, Autos, Hauseingänge und Briefkästen, alles begleitet von rassistischer Beleidigungen gegenüber den Anwohnern. Die von den Faschisten vorgenommene Gleichsetzung der arabischen Bevölkerung mit Gaunern, Verbrechern und Dea­ lern, welche die Armenviertel verseuchen, die ihnen in Wahr­ heit als erste zum Opfer fallen, wird von einem Amalgam mit dem islamistischen Terrorismus begleitet. Tatsächlich haben diese Nazilehrlinge, die mit Eisenstangen bewaffnet waren, ge­ droht, “Wir werden euch euer Bataclan machen!” (das Bataclan war jene Konzerthalle in Paris, in der islamistische Terroristen ein Massaker angerichtethaben – Anmerkung des Überset­ zers), um die Bewohner dieses Viertel zu terrorisieren. Die Ge­ schichte zeigt, dass die faschistischen Schlägerbanden danach dann Streiks und die Arbeiterbewegung angreifen. Der Versuch, die Moslems und Araber als verantwortlich für alle Übel, unter denen die Bevölkerung leidet, abzustempeln, wird täglich stärker, wobei einander Front Nationale (FN) und die Republikaner zu überbieten suchen. Anstatt den Kapitalis­ mus zu benennen, sind “die Fremden” angeblich jene, die für die fehlenden Arbeitsplätze, die Wohnungsnot, die Niedriglöh­ ne, die Prekarisierung, die Kriminalität etc. verantwortlich sind. Das ist der selbe Winkelzug, den seinerzeit die NSDAP März 2016 | Nummer 24

Hitlers benutzte, um die Juden für die katastrophale Wirt­ schaftskrise, die der Kapitalismus über Deutschland brachte, verantwortlich zu machen. Dieser Rassismus und diese Frem­ denfeindlichkeit stützen sich auf die 6,8 Millionen Stimmen für die FN bei den vergangenen Regionalwahlen. Aber sie stützen sich vor allem auf die nationale Einheit für den Ausnahmezu­ stand, auf die Politik von Hollande und der Regierung Valls­Ca­ zeneuve, die nicht damit aufhören, die Flüchtlinge zu stigmatisieren und zurückzuweisen. Sie stützen sich auf die Verfolgung der Rom, auf die Weigerung, den in Frankreich le­ benden Ausländern das Wahlrecht zu gewähren. Sie stützen sich auf die niederträchtige Maßnahme, für Menschen mit zwei Nationalitäten eine unterschiedliche Rechtsprechung ein­ zuführen und ihnen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wie es von Le Pen gefordert wurde und von Hollande durch eine Verfassungsänderung geplant ist. Sie stützen sich auf einen übersteigerten Nationalismus, welcher als roter Faden von FN bis zur PCF (Kommunistischen Partei Frankreichs) dient. Mit diesem Angriff, am helllichten Tag und unter dem Beifall gewisser Zuschauer bei dieser “Araberjagd”, wurde ein neuer Schritt auf diesem Weg gesetzt. Weitere werden mit Sicherheit folgen, wenn die Kräfte der Arbeiterbewegung in ihrer Ge­ samtheit, die Parteien und Gewerkschaften, nicht vehement reagieren, um den Faschisten die Beherrschung der Straße un­ möglich zu machen. Einheitliche Verteidigungsdemonstrationen müssen die Ar­ beiter und die Jugend, Franzosen, Migranten oder aus dem Ausland Stammende, beginnend in Ajaccio, unter folgenden Losungen vereinigen: •Gleiche Rechte für alle! •Raus mit den Faschisten! •Nieder mit dem Ausnahmezustand und den diskriminieren­ den Maßnahmen! •Bewegungs­ und Niederlassungsfreiheit für alle Flüchtlinge!

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Internationaler Klassenkampf

»Kampf gegen den Terrorismus« als Vorwand zu Repression und Polizeistaat

Die Arbeiterklasse und die Jugend Frankreichs unter dem Joch des Ausnahmezustandes Das Attentat eines schwerbewaffneten islamo-faschistischen Kommandos am 13. November 2016 in Paris spielte den Plänen der französischen Bourgeoisie, neue, massive Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung zu starten und die demokratischen Errungenschaften noch weiter auszuhöhlen, punktgenau in die Hände.

des Lasters angegriffen”. In der Konzerthalle des Bata­ clan hätten sich „hunderte Götzendiener in einer perver­ sen Feier versammelt“. Noch am Abend des Atten­ tats, Minuten nach Beendi­ gung des Sturmangriffs der Polizei auf das Bataclan, ver­ kündete der (sozialdemokra­ tische) Staatspräsident Hollande im Fernsehen die Verhängung des Ausnahme­ zustandes. Die Regierung

21. November 2015: Die Regierung nützt den Ausnahmezustand, um eine Solidaritätsdemonstration mit den Flüchtlingen zu verhindern. Trotzdem sammeln sich hunderte Menschen auf der Place de la Bastille in Paris und protestieren für offene Grenzen und gegen den Ausnahmezustand.

In einer Erklärung von Daesch (IS) zu den Morden heißt es: “Mit dem Segen Al­ lahs hat eine gläubige Gruppe der Armee des Kalifats die Hauptstadt der Unzucht und

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nützte die Betroffenheit und den Abscheu der Bevölke­ rung angesichts des faschisti­ schen Massakers skrupellos aus. Die französische Bourgeoi­

sie hat dieses Instrument ­ die Vorstufe zum Belage­ rungszustand, der das Land unter Kriegsrecht stellen würde ­ wiederholt einge­ setzt: •1955 angesichts des Auf­ standes in Algerien gegen die Kolonialherrschaft; •1958, um Präsident de Gaulle mit umfassenden Voll­ machten auszustatten; •April 1961 und Mai 1963, um die brutale Niederschla­

gung von Protesten in Algeri­ en und Frankreich abzusichern; •1984, um die Unabhängig­ keitsbestrebungen in Neu­Ka­ ledonien im Blut zu ertränken; •2005, angesichts der Re­ volten in den Banlieues,

Unter dem Ausnahmezu­ stand können von der Polizei Demonstrationen und Ver­ sammlungen verboten wer­ den. Zuwiderhandelnden drohen Strafen bis zu zwei Monaten Gefängnis und Geld­ bußen von 3,750 Euro. Die Regierung der “reformi­ stischen” Parteien SP und PRG (Radikale Partei) hat bin­ nen weniger Stunden weite Teile des Programms der ex­ trem reaktionären, faschisie­ renden Front Nationale und der bürgerlichen “Republika­ ner” umgesetzt. Und die von Hollande geforderte “Nationa­ le Einheit” kam Zustande ­ durch eine neuerliche er­ bärmliche Kapitalation der sogenannten “Linksparteien”. Der nationale Sekretär der SP, Cambadélis, Ex­Führer der Studentenorganisation der sich auf den Trotzkismus be­ rufenden lambertistischen In­ ternationalistischen Kommu­ nistischen Organisation OCI, gratulierte Hollande zu seiner Entschlossenheit; der Führer der Linkspartei PdG, Mélen­ chon, ebenfalls ehemaliges Mitglied der OCI, rief dazu auf, die Politik des Präsiden­ ten ohne Zögern zu unterstüt­ zen; der Sprecher der KPF, Laurent, erklärte den “Aus­ nahmezustand für absolut ge­ rechtfertigt”. Als Hollande am 16. November vor den Abge­ ordneten seinen Plan, den Ausnahmezustand zu verlän­ gern, die Budgetmittel für Po­ lizei und Armee zu erhöhen und scharfe Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Weiter auf Seite 18

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