KLASSENKAMPF 25

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Nummer 25 / Mai 2016 Zeitung der Gruppe Klassenkampf - f端r R辰temacht und Revolution

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2.-- Euro

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F端r den SOZIALISMUS! www.klassenkampf.net

ISSN: 2220足0657


Kollektiv Permanente Revolution / CoReP

Erklärung des Kollektivs Permanente Revolution CoReP zum 1. Mai 2016

Gegen die Barbarei: Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse, Klassenkampf, Revolution, Weltsozialismus! Der Kapitalismus führt zu Konzentration von Reichtum sowie Verschwendung an einem Pol der Gesellschaft und prekären Arbeitsverhältnissen sowie Armut auf der anderen Seite, zur Zerstörung der Umwelt, zu wachsender Bedeutung von Religion und Obskurantismus, wiederkehrenden Wirtschaftskrisen und imperialistischen Kriegen. Das Geldkapital kann sich frei bewegen, nicht aber die Men­ schen. Weltweit errichten Regierungen Mauern gegen die Ar­ beiterInnen, die versuchen, der Armut zu entkommen. Israel tut das gegenüber den PalästinenserInnen, während die Kolo­ nisierung Ost­Jerusalems und der Westbank fortgesetzt wird. Die bürgerlich­demokrati­ schen kapitalistischen In­ dustriestaaten schließen ihre Grenzen für Flüchtlin­ ge, die vor den täglichen Bombardements in Syri­ en, Libyen, dem Irak, dem Jemen, Afghanistan und anderen Staaten, den Misshandlungen durch die Polizeiregime und Fol­ terer (Syrien, Eritrea ...), Völkermorden (durchge­ führt vom "Kalifat" der sunnitischen Daesch, den buddhistischen Rakhine und der burmesischen Ar­ mee ...) fliehen. In den USA wirbt der führende Kandidat der Republikanischen Partei für die Nominierung zum Präsidenten dafür, Ausländer zu ver­ treiben. Ausländerfeindliche und faschistische Organisationen gewinnen bei Wahlen in Europa an Boden und einige beginnen, Angriffe gegen MigrantInnen (Griechenland, Deutschland, Bul­ garien ...) zu organisieren. Die kapitalistische Weltkrise von 2008­2009 wurde in den im­

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perialistischen Ländern durch staatliche Eingriffe überwunden (Rettungsschirme für die jeweiligen Banken, Versicherungen, Automobilindustrie, hohe Kredite und niedrige Zinsen der Zentralbanken für die Banken in ihren jeweiligen Staaten ...) und weltweit durch verstärkte Ausbeutung (Erhöhung der In­ tensität der Arbeit und der Arbeitszeit, Stopp bei Lohnerhö­ hungen, Senkung der Pensionen und des Arbeitslosengelds, Einschränkungen des Streikrechts und Schwächung der Ge­ werkschaften, etc.). Alle bürgerlichen Regierungen bedienen sich der gleichen Politik gegen die Produzenten, also die arbei­ tenden Menschen, und für die Ausbeuter, einschließlich derje­ nigen, die von “Arbeiterparteien” geführt oder mitgetragen werden wie von der “Arbeiterpartei" PT (Brasilien ...), "Kom­ munisten" (China, Viet­ nam, Südafrika ... ), "So­ zialisten" (Frankreich, Deutschland, Österreich ...) oder der "radikalen Linken", die das Ergebnis des Umwandlungsprozes­ ses der Stalinisten sind (Griechenland ...). Die Profitrate ist gestie­ gen und die globale Kapi­ talakkumulation im Jahr 2009 wieder angesprun­ gen. Allerdings haben ei­ nige Länder stagniert (Ja­ pan, Frankreich ...). Ande­ re haben nicht einmal ihr Produktionsniveau von vor der Krise (Griechenland, Spanien, Italien ...) erreicht. Unter den als “aufstrebend” eingestuften Ländern sind die größten in eine wirtschaftlichen Depression (Brasilien, Russland, ...) gestürzt und das Wachstum der chine­ sische Wirtschaft hat sich verlangsamt. Angetrieben durch ei­ ne keynesianische Geldpolitik lässt sich die Finanzspekulation wieder bestens aufnehmen.


Kollektiv Permanente Revolution / CoReP Die globale kapitalistische Krise hat die Rivalität zwischen den großen imperialistischen Mächten verstärkt, mit der do­ minanten Bourgeoisie (USA) und ihren mehr oder weniger disziplinierten Verbündeten (Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien ...) auf der einen und einem Zweckbündnis zwischen den neuen Bourgeoisien (China, Russland), die die alte Aufteilung der wirtschaftlichen Einflusszonen und politi­ schen Herrschaftsansprüche in Frage stellen auf der anderen Seite. Die Europäische Union, die den bürgerliche Versuch ver­ körperte, enge nationale Grenzen zu überwinden ist schwer erschüttert. Nach der Weltwirtschaftskrise haben die deut­ schen und französischen Regierungen das griechische Volk ge­ demütigt und ausgeblutet. Die Ukraine wurde von rivalisieren­ den Imperialismen zerteilt. Als Reaktion auf die Flüchtlings­ ströme haben alle Staaten untereinander ihre Grenzen neu auf­ gezogen, die Länge der Stacheldrahtzäune vervielfacht und einen schäbigen Vertrag mit der autoritären und islamisti­ schen Regierung in der Türkei ausgehandelt. Die großen Weltmächte und in ihrem Gefolge einige Regio­ nalmächte rüsten mehr und mehr auf, beäugen sich misstrau­ isch im Südchinesischen Meer, prallen indirekt in der Ukraine und in Syrien aufeinander. Im Namen des "Liberalismus" haben die Bourgeoisien die Sozi­ alausgaben gekürzt. Zur gleichen Zeit wurde der Repressionsapparat des bürgerlichen Staates ge­ stärkt: immer mehr Ge­ setze gegen die Bürger, mehr und mehr Militär­ ausgaben, mehr und mehr Geheimdienste, Po­ lizei, Gefängnisse ... Die wirtschaftliche Bedeu­ tung der bürgerlichen Staaten hat nicht abge­ nommen. Alle streben da­ nach, ihre Kapitalisten ge­ gen ihr Proletariat und gegen andere Bourgeoisi­ en zu unterstützen: Integra­ tion der Gewerkschaftsapparate, Unterdrückung von Gewerk­ schaftsaktivistInnen und RevolutionärInnen, Geschenke an die UnternehmerInnen,, Währungskrieg, "Industriespionage”, di­ plomatischer Druck, militärische Drohungen, Staatsstreiche, militärische Interventionen "niedriger Intensität" (Waffen, Be­ rater, Drohnen, Spezialeinheiten ...), offene Interventionen (Militärbasen, Bombardierungen, Militär”expeditionen”, Beset­ zungen). Die westlichen imperialistischen Staaten haben (gemeinsam mit der stalinistischen Bürokratie der UdSSR) die Gründung des Staates Israel, einem Kolonialstaat, unterstützt. Sie haben auf die Monarchien am arabischen und persischen Golf ge­ setzt, die weltweit den salafistischen Obskurantismus unter­ stützen und den Islamofaschismus finanzieren, sie haben 1953 auf die islamistischen Fanatiker im Iran, 1965 in Indonesien, Afghanistan 1979 gesetzt. Sie haben 1980 den Irak zum Krieg gegen den Iran gedrängt. Sie haben zweimal 1991 und 2003 ­ Mai 2016 | Nummer 25

den Irak überfallen und dort die ethnischen und religiösen Konflikte geschürt, sie haben 2011 Libyen zerstört. Heute be­ nützen sie die islamistischen Anschläge als Vorwand für die Einschränkung der demokratische Freiheiten zu Hause und die Fortsetzung ihrer Einmischung in Afrika südlich der Sahara und in Westasien. Klerikalen Fraktionen der Bourgeoisie ist es gelungen, bei den muslimischen Massen Gehör zu finden und Konterrevolu­ tionen im Iran, Irak, Syrien durchzuführen. Die Islamisten sind nicht in der Lage, den Imperialismus zu besiegen, weil sie Pri­ vateigentum und Kapitalismus verteidigen. Daher sind sie darauf beschränkt, Druck auf den Imperialismus durch reak­ tionäre Angriffe auszuüben, die sich in erster Linie gegen die ArbeiterInnen richten. Aber wenn sich sie in ihren Einflussge­ bieten halten können und die ArbeiterInnenbewegung zerstört haben wie im Iran, kapitulieren sie schließlich vor den großen imperialistischen Mächten, so wie die “sozialistisch” getünch­ ten bürgerlich­nationalistischen Führer vor ihnen. Die gesellschaftliche Kraft, welche die Katastrophe verhin­ dern und eine soziale Re­ volution vollenden kann, existiert: die Weltarbeite­ rInnenklasse. Die Lohnab­ hängigen, die in Ausbil­ dung stehenden Jugendli­ chen und die Arbeitslo­ sen, kämpfen überall, manchmal sogar helden­ haft. ArbeiterInnen und StudentInnen in Europa haben massenhaft demon­ striert, um ihre Ar­ beitsplätze oder ihre so­ zialen Errungenschaften zu verteidigen. Arbeiter in Afrika und Ostasien kämp­ fen unter schwierigen Be­ dingungen für höhere Löhne, verbesserte Ar­ beitsbedingungen und das Recht auf Gewerkschaf­ ten. Die Völker Nordafri­ kas und Westasiens haben sich gegen die verschiedenen von den Imperialisten unter­ stützten Tyrannen erhoben, die KurdInnen leisten gegen die islamistische Reaktion in der Türkei, Syrien, dem Iran und Irak Widerstand. In Nordamerika haben Schwarze gegen die wie­ derholten Morde durch PolizistInnen revoltiert. Aber ohne eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei, die es der ArbeiterInnenklasse ermöglicht, die Führung der Ausgebeute­ ten (arme Bäuerinnen, Beschäftigte im informellen Sektor, etc.) und die Unterdrückten (Frauen, Jugendliche, Minderhei­ ten ...) zu übernehmen, wurden die Aufstände in Tunesien, Ägypten und Syrien durch eine doppelte Konterrevolution auf­ gehalten: einerseits durch Bombenangriffe und massenhafte Folter durch die Schergen der Regimes und der Generalstäbe; andererseits durch den sunnitischen Faschismus. Die kurdi­ schen ArbeiterInnen bleiben durch nationalistische Parteien von anderen Proletariern und untereinander getrennt, von de­ nen einige mit den Staaten, die ihre kurdische Bevölkerung un­ terdrücken (PDK) paktieren oder sich auf die russischen oder

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Kollektiv Permanente Revolution / CoReP und den bürgerlichen Staat respektiert haben, sind heute mit Versuchen des Imperialismus und Fraktionen der lokalen Kom­ pradorenbourgeoisie konfrontiert, sie zu stürzen. Der Wider­ stand gegen Massenentlassungen und staatliche Sparmaßnah­ men in den Industrieländern wird durch die Gewerkschaftsbü­ rokratie mit Hilfe ihrer zentristischen Handlanger (Belgien, Ka­ nada, Spanien, Frankreich, Griechenland, Norwegen, Schwe­ den...) in zahnlosen "Aktionstagen" kanalisiert. Die “reformisti­ schen” Parteien und ihre zentristischen Stellvertreter säen Illu­ sionen in den bürgerlichen Parlamentarismus. Aber wenn sie an die Macht kommen, machen diese Parteien die gleiche Poli­ tik wie die Parteien der Bourgeoisie (Griechenland, Frankreich ...). Die Vorhut muss wieder an den Marxismus anknüpfen, sich die Strategie der permanenten Revolution aneignen, eine revo­ lutionäre ArbeiterInneninternationale aufbauen. Um ihre Rechte zu bewahren oder wieder zu erlangen, die Umwelt zu retten, ihre Kinder vor Arbeitslosigkeit und Krieg zu schützen, die Ausbeutung zu beenden, müssen die arbeitenden Men­ schen den Bruch jener Organisationen, die sie einst gegründet haben (Massenparteien und Gewerkschaften) mit der Bour­ geoisie fordern und demokratische Organe des Kampfes grün­ den und diese zentralisieren, die großen kapitalistischen Un­ ternehmen enteignen, die faschistischen und islamistischen Banden zerschlagen, die staatlichen Repressionsorgane und Geheimdienste auflösen, demokratisch Produktion und Vertei­ lung kontrollieren, die Grenzen beseitigen. Nieder mit Kapitalismus und Imperialismus! Es lebe der Weltsozialismus! 1. Mai 2016 amerikanischen Imperialismen stützen (PKK­PYD). Die in Nordkorea und Kuba an der Macht befindlichen Bürokraten bereiten die Restauration des Kapitalismus vor. Die Regierun­ gen von Brasilien und Venezuela, die dem Kapitalismus gedient

Kollektiv Permanente Revolution CoReP (Frankreich, Peru, Österreich) Marxistisch­Leninistische Tendenz (Brasilien)

GRUPPE KLASSENKAMPF Die Gruppe Klassenkampf (GKK) ist die österreichische Sektion des Kollektivs Permanente Revolution, das aus Sektionen in Frankreich, Peru und Österreich besteht und eng mit der Bewegung zum Sozialismus in Russland zusammenarbeitet. Die GKK gibt die Zeitung KLASSENKAMPF heraus, organisiert den Marxistischen Studienzirkel (MSZ) und

beteiligt sich an politischen Aktionen im Interesse der österreichischen und internationalen Werktätigen. Unter anderem haben wir in Japan mit der radikalen Eisenbahnergewerkschaft Doro Chiba bei der Solidaritätsarbeit für die Opfer der Katastrophe von Fukushima zusammen gearbeitet.

www.klassenkampf.net | gruppe.klassenkampf@gmail.com Öst. Sektion des Kollektivs permanente Revolution (CoReP)

IMPRESSUM: Die Zeitung KLASSENKAMPF wird von der politischen Partei GRUPPE KLASSENKAMPF (früher: Trotzkistische Gruppe Österreichs) herausgegeben. Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: Die politische Partei GKK ist finanziell an keinen anderen Druckwerken oder Unternehmen beteiligt. Druckort: Wien Verleger: GKK

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Editorial

Bundespräsidentenwahl 2016:

Die Reaktion durch Klassenkampf stoppen! Das Ergebnis des 1. Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl in Österreich ist eine ernste Warnung für alle Aktivi­ stinnen und Aktivisten der Arbeiterbe­ wegung, der Gewerkschaften, für die Ju­ gend und für alle Menschen, die sich im sozialen Bereich engagieren und/oder Solidarität mit Flüchtlingen üben. Der Kandidat der Richtung Faschis­ mus ausfasernden FPÖ, Norbert Hofer , konnte 35,1 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen, Alexander Van der Bellen, der als “Unabhängiger” antrat, erreichte 21,3 Prozent die von den NEOS gepushte Ex­Richterin Irmgard Griss kam auf 18,9 Prozent ­ und erst dann folgten die Kandidaten der beiden Regie­ rungsparteien: Rudolf Hundstorfer (SPÖ) mit 11,3 Prozent, der nur knapp den ÖVP Kandidaten Andreas Khol (11,1 Prozent) überholen konnte, der vor dem reaktionären Politclown Ri­ chard Lugner: (2,3 Prozent) auf dem be­ schämenden vorletzten Platz landete. Die Wahlbeteiligung lag bei 68,5 Pro­ zent. Ein Blick auf die Detailergebnisse zeigt: sogar in den (ehemaligen) Hoch­ burgen der SPÖ (Arbeiterbezirke in Wien wie Simmering, Floridsdorf, Brigittenau, die oberölsterreichischen Industriestäd­ te, die Mur­Mürz­Furche in der Steier­ mark…) konnte SP­Kandidat Hundstor­ fer auf maximal 16 % Stimmenanteil kommen ­ neben FP­Hofer wechselten viele SPÖ­Wähler zu van der Bellen oder blieben zu Hause. Das Wahlergebnis ist bedauer­licher­ weise nicht wirklich überraschend. Die Ursachen für den Durchmarsch der na­ tionalistisch­reaktionären FPÖ liegen in der jahrzehntelangen Anpassung der so­ zialdemokratischen Parteiführerinnen und der von ihnen gegängelten Gewerk­ schaftsbürokratinnen an die Bedürfnisse des bestehenden ausbeuterischen, kapi­ talistischen, Systems. Die sozialdemo­ kratische Bürokratie, die sich seit den 20er Jahren als “Krankenpflegerin des Kapitalismus” verstanden hat, zahlte schon in den 30er Jahren einen hohen Mai 2016 | Nummer 25

Schon einmal - 1980 - trat ein Burschenschafter namens Norbert zur Bundespräsidentenwahl an: Der Neonazi Burger, der 3,2 % der Stimmen einfahren konnte

Preis für ihren Versuch, das auf der pri­ vaten Aneignung des Arbeitsertrags auf­ bauende Regime gegen die Forderungen ihrer eigenen Basis abzusichern: Der Fa­ schismus machte keinen Unterschied zwischen einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern und den “Bonzen”. Die Perspektive einer anderen, einer sozialistischen, Gesellschaft, musste ei­ ner Bürokratie zwangsläufig abhanden

nug zu sein, um auf sozialdemokratische Helfer verzichten zu können, gibts sie ih­ nen einen Tritt und jagt sie aus den Mini­ sterien, den Einrichtungen der Sozial­ partnerschaft, den Aufsichtsräten. Eine Sozialdemokratie, die Generationen von Arbeiterinnen und Arbeitern zur Ableh­ nung des Klassenkampfs erzogen und mit Verweis auf die stalinistisch entarte­ ten Arbeiterstaaten in Osteuropa gegen

SPÖ, Gewerkschaften brecht mit den Unternehmern!

kommen, die auch ganz persönlich da­ von profitierte, dass sie sich in den Äm­ tern, Ministerien und Konferenzsälen der bürgerlichen Gesellschaft festsetzen konnte. Seit den 50er Jahren wurde “so­ zialistisch” immer mehr zum verpönten Begriff, und selbst “sozial” wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer selte­ ner verwendet. Ein erster Schuss vor den Bug der SPÖ­Führung war die blau­schwarze “Wenderegierung” 2000, die signalisierte: Glaubt die herrschende Klasse stark ge­

jede Form soziailstischer Theorie “im­ prägnieren” wollte, macht sich irgend­ wann selbst überflüssig. Wenn die Mas­ sen nicht mehr kämpfen können oder wollen, kann man auch auf ihre “Domp­ teure” leicht verzichten. Das “Streikjahr 2003” hat aber gezeigt, dass die arbeitenden Menschen in Österreich keineswegs wehrlos und pas­ siv sind. Die Massendemonstration in Wien im Oktober 2003 und die “ange­ täuschten” Streiks des ÖGB konnten die schwarz­blauen Angriffe auf die Pensio­

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Editorial

Hundstorfer als langjähriger Vorsitzender der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten und Nachfolger von Fritz Verzetnitsch an der Spitze des ÖGB war tief in die BAWAG-Krise verstrickt, die 2007 zum Verkauf der "Gewerkschaftsbank" führte. Er hatte den Charme des gestandenen abgehobenen Bonzen, der Wahlslogan "Mit Sicherheit immer für uns" wurde daher von vielen Opfern seiner Politik als reiner Hohn verstanden. Unter anderem war er als Sozialminister für die Verschärfungen beim Arbeitslosengeldbezug verantwortlich.

nen zwar nicht verhindern ­ ein kräftiges Lebenszeichen der Entschlossenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, nicht alles hinzunehmen, waren sie aber allemal. Ab 2007 koalierten dann SPÖ und ÖVÖ wie­ der auf Bundesebene ­ die FPÖ hatte sich in internen Querelen, der Verstrickung in Korruptionsskandale (BUWOG, Tetron, Eurofighter, etc.) und Linienstreitigkei­ ten aufgerieben, das einstige Zugpferd Jörg Haider gründete das BZÖ und zog sich nach Kärnten zurück, wo er mit dem Hypo­Alpe­Adria­Skandal dem “klei­ nen Mann”, der angeblich immer der Adressat seiner Politik war, einen Schul­ denberg von 19 Milliarden hinterließ. Die Regierung Gusenbauer/Molterer wurde im gleichen Jahr angelobt, in dem das internationale kapitalistische Sy­ stem, ausgehend von der “Subprime”­ Krise in den USA, in eine Weltwirt­ schaftskrise gerissen wurde. “Umfaller” Gusenbauer, der nicht nur sein Wahlver­ sprechen der Abschaffung der Studien­ gebühren brach (und den Studierenden vorschlug, doch Nachhilfe zu geben), sondern der seit der Wendezeit bei den Arbeitern verhassten ÖVP Schlüsselres­ sorts am Silbertablett darbot (Innen­, Außen­, Finanzministerium), agierte so abgehoben und nutzte die “Kronen Zei­ tung” als persönliches Sprachrohr. Heute ist Gusenbauer, der sich “Entre­ preneur” (Unternehmer) nennt, nicht nur Vorsitzender des SP­eigenen Dr. Karl­

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Renner­Instituts, sondern Chef einer mil­ lionenschwweren “Projektentwicklungs­ gesellschaft” und, unter anderem, Bera­

Seitens der arbeitenden Bevölkerung werden die letzten 11 Jahre als Jahre der Stagnation, als 'bleierne Zeit', wahrgenommen.

ter des für seinen entspannten Umgang mit Menschenrechten bekannten kasa­ chischen Diktators Nasarbeijaew. Schau­ en so Sozialisten aus? Nachfolger Faymann lernte insofern vom Sympathieverlust seines Vorgän­ gers, als er sich zu Beginn seiner Kanz­ lerschaft 2007 für eine Erbschafts­ und Schenkungssteuer aussprach. Die ÖVP erschrak und sprach von einem “Links­ ruck” der SPÖ ­ sein “Bankenrettungspa­ ket” und die (Teil) Verstaatlichung von

Kommunalkredit, Hypo Alpe Adria und ÖVAG, um die Verluste der dem Bankrott entgegen taumelnden Institute auf die steuerzahelnden Werktätigen abzuwäl­ zen, konnten dieses falsche Bild aber locker korrigieren. Seitens der arbeitenden Bevölkerung werden die letzten 11 Jahre als Jahre der Stagnation, als “bleierne Zeit”, wahrge­ nommen. Themen, die für die Lohnab­ hängigen wichtig sind, werden gar nicht oder schleppend angegriffen: Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, gerade auch bei Jugendlichen, werden sinnlose “Maß­ nahmen” zur Schönung der Statistiken erfunden, die aber nichts bringen. Klammheimlich wird (u. a. durch nach unten verfälschte Teuerungsstatistiken) sowhl an den Löhnen als auch den Pen­ sionen nach unten gedreht; während im­ mer mehr Menschen Arbeit suchen, sol­ len das Pensionsantrittsalter und die Wochenarbeitszeit hinaufgesetzt werden. Während es bei Bildung und Gesundheit im Argen liegt (zu wenig Lehrerinnen und Lehrer, Reduzierung von Spitalsbet­ ten, zuwenig PflegerInnen…), dürfen alle Arbeitenden “Banken retten” gehen… Psychologisch haben sich die Freiheit­ lichen, genauso wie faschistische Bewe­ gungen, auf das Flüchtlingsthema ge­ stürzt, um sich aufzubauen. 2006 hatte der damalige BZÖ und vorherige FPÖ­ Staatssekretär Eduard Mainoni in einem Interview die Haltung seiner Partei in der “Ausländerfrage” klar gemacht: “Was ist der Hintergrund? Es ist die Angst der Menschen […] Alle politischen Parteien, sogar ein Teil der Wirtschaft, funktionie­ ren über die Angst, über das Geschäft mit der Angst […] Wenn wir das in Österreich zum Thema erheben, haben Mai 2016 | Nummer 25


Editorial

Norbert Hofer, der schon am Wahlabend kräftig Kreide geschluckt hatte, rechnete nicht damit, wer aus dem Ausland mit Gratulationswünschen rüberkam: Marine Le Pen von der faschistelnden Front Nationale, Frauke Petry von der ausländerfeindlichen nationalistischen AfD, die faschistisch versiffte ungarische Jobbik-Partei ... An seinen Freunden sollt ihr ihn erkennen, heißt es in der Bibel (um einmal auch Herrn Khol die Reverenz zu erweisen).

wir Sympathien, haben wir ein Wählerk­ lientel, das zutiefst verunsichert ist. Nicht umsonst haben wir ja auch die Volksbegehren gemacht.”“ Dass die Angstmache der Freihetili­ chen und der Faschisten greifen kann, liegt daran, dass die Führungen der ge­ schichtlich aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Massenparteien (SPÖ und Gewerkschaften) durch ihre Unter­ ordnung unter die Kapitalinteressen ge­ nau jene soziale Unsicherheit geschaffen haben, in der arbeitende Menschen und Jugendliche zwangsläufig Zukunftsäng­ ste entwickeln. Durch Entpolitisierung und sozialpartnerschaftliches Gesäusel werden aber nicht die Reichen und Superreichen als Feindbild erkannt, son­ dern “die Ausländer”, “die Flüchtlinge” zu Sündenböcken gemacht. Wie war das doch gleich bei der Zielpunkt­Pleite? Wer hat da 3.000 Arbeitsplätze vernichtet? Die “Asylanten”? oder die Kapitalistenfa­ milie Pfeiffer, die den Hals nicht voll be­ kommen konnte? Wie ist das mit dem sinkenden Niveau in den Schulen? Wer ist schuld ­ die “Ausländer”? Oder die Verantwotlichen für eine bürgerliche Bildungspolitik, die gar kein Interesse daran haben, wirkli­ che Bildung zu vermitteln, sondern die jungen Menschen nur kurzsichtig für “demnächst” gefragte Jobs abzurichten? Statt eine qualitativ hochwertige Ausbil­ dung für Lehrerinnen und Lehrer zu ga­ rantieren, Schulen zu bauen und auf alte (in der Zwischenkriegszeit von der Wie­ ner Sozialdemokratie mitentwickelte) Konzepte wie die “Arbeitsschule” zu­ rückzugreifen, werden die vom freiheitli­ chen Heiligen Sankt Jörg gerissenen Mil­ liardenlöcher gestopft. Während die Angst vor dem Islam als Religion ge­ Mai 2016 | Nummer 25

schürt wird, hängen nach wie vor Kreuze in den österreichischen Klassenzimmern und stehen Kruzifixe auf den Richterti­ schen. Die strikte Trennung von allen Re­ ligionen und dem Staat ist eine Voraus­ setzung, um dem Obskurantismus entge­ genzutreten, sei er islamisch, christlich, jüdisch oder sonst was. Während die imperialistischen Mächte (zu denen auch das “kleine” Österreich gehört) in Nordafrika und Westasien, am

Der Kampf gegen die reaktionären Rattenfänger wird nicht mit dem Stimmzettel gewonnen. Er wird in den Betrieben, den Stadtvierteln, den Dörfern und auf den Straßen gewonnen.“

arabischen Golf und in Afrika aktiv sind ­ “bloß” wirtschaftlich oder militärisch, we Frankreich, England, die USA, Rus­ sland, Deutschland … ­ und ungestört Profite um den Preis von Kriegen, Bür­ gerkriegen und Massenelend lukrieren, werden die Menschen, die vor dem durch die ausländische Einmischung und Ausbeutung geschaffenen Horror fliehen,

zu Feinden hochstilisiert. Kriegsflücht­ linge werden von “Wirtschaftsflüchtlin­ gen” unterschieden, als sei der Wunsch nach einem sicheren und besseren Le­ ben schon an sich ein Verbrechen und ein Grund, Menschen zurückzuweisen. Tatsächlich ist das Boot nur solange voll, als die falschen Leute am Steuer stehen. Eine radikale Arbeitszeitverkür­ zung bei vollem Lohnausgleich könnte genügend Arbeitsplätze schaffen, um in­ und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeitern Lohn und Brot zu verschaffen. Die Koalitionspolitiker, heißen sie nun Doskozil oder Kurz (“Wir werden uns an hässliche Bilder gewöhnen müssen”), jaulen sofort auf, wenn es um Flüchtlinge geht ­ wir wollen uns aber nicht an die “hässlichen Bilder” gewöhnen ­ weder an die von ertrinkenden Flüchtlingen noch an die von fressenden, saufenden, feiern­ den, mit Klunkern behängten Reichen, die sich auf Bällen, Empfängen und “Lu­ xusmessen” vergnügen. Die Massenmedien schüren, im Bünd­ nis mit den reaktionären Parteien, die Ängste der Menschen. Damit wird der Ruf nach mehr Polizei, nach mehr Über­ wachung, nach dem Abbau demokrati­ scher Rechte verbunden. Der islamofa­ schistische Terror spielt hier direkt dem “einheimischen” Faschismus in die Hän­ de. In Wirklichkeit sind sie zwei Seiten der gleichen Medaille: Des erbitterten Kampfs der alten Gesellschaft gegen die­ jenigen, die eine neue aufbauen könnten ­ die Arbeiter, Arbeiterinnen und die Ju­ gend! Der Kampf gegen die reaktionären Rat­ tenfänger wird nicht mit dem Stimmzet­ tel gewonnen. Er wird in den Betrieben, den Stadtvierteln, den Dörfern und auf den Straßen gewonnen.

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Editorial Genossinnen und Genossen der SPÖ! Kämpft für einen Kurswechsel eurer Par­ tei! Die SPÖ muss mit den Unternehmern (der Bourgeoisie) brechen! • Die Gewerkschaften müssen wie­ der ihrer ureigensten Aufgabe nachkommen ­ der Vertretung der grundlegenden Interessen der Werktätigen, unabhängig von Ge­ schlecht, Religion oder Nationali­ tät. •Um Arbeitsplätze für alle zu schaf­ fen und den geflüchteten Arbeite­ rinnen und Arbeiter die Möglich­ keit zu einem menschenwürdigen Leben zu geben und zu verhin­ dern, dass sie von profitgierigen Unternehmern als Lohndrücker eingesetzt werden können: Dra­ stische Verkürzung der Tages­ und Lebensarbeitszeit, bezahlt aus Progressivsteuern auf das Vermö­ gen der Reichen und Superrei­ chen! •Um Arbeitsplätze für alle zu schaf­ fen ­ öffentliche Bauarbeiten zur Schaffung von leistbarem Wohn­ raum und Infrastruktur, die den

arbeitenden Menschen und der Jugend zu Gute kommt! Um Arbeitsplätze zu schaffen ­ Geld für mehr Personal in Kin­ dergärten, Schulen, Universitä­ ten, Spitälern, Gemeinschaftspra­ xen. Eine Gesellschaft kann nie genug Lehrerinnen, Pflegerinnen oder Ärztinnen haben! Für kostenlose, qualitativ hoch­ wertige Bildungs­ und Gesund­ heitseinrichtungen! Errichtung von selbstverwalteten Jugendzen­ tren und entsprechend ausgebil­ detem Personal, das die Jugendli­ chen beim Aufbau dieser Zentren unterstützt, ohne sie zu gängeln! Für echte Reichensteuern, weg mit den Massensteuern (Mehr­ wertsteuer, Mineralölsteuer etc.)! Steuerliche Entlastung der Klein­ und Kleinstbetriebe, die oft nur versteckte Formen “outgesourc­ ter” Lohnarbeit sind! Gegen den Abbau demokratischer Freiheiten! Gegen Vorratsdaten­ speicherung und den Einsatz “verdeckter Ermittler”! Weg mit

dem § 278! •Für die völlige Trennung von Reli­ gionen und Staat! Keinen Cent für klerikale Erziehung! Pfaffen, Imams, Kleriker aller Religionen raus aus den Schulen! Freiheit der Religionsausübung, finanziert aus den Mitteln der Gläubigen der jeweiligen Religionsgemein­ schaften! Wenn wir jetzt gemeinsam die sozialen und politischen Probleme anpacken, können wir die reaktionäre Offensive stoppen. Wir Revolutionäre sagen: Ihr werdet dazu eure jetzigen Führer abset­ zen müssen. Sie sind so mit dem kapitali­ stischen System verwachsen, dass sie diesen Weg nicht mit euch gehen wer­ den. Unabhängig davon ­ kämpfen wir gemeinsam, unabhängig von unserer Partei­ oder Organisationszugehörigkeit, für die Interessen der Werktätigen. Das bedeutet für uns in letzter Instanz den Kampf für den Sturz dieses Systems, in dem sich eine kleine soziale Klasse auf Kosten der Mehrheit gnadenlos berei­ chert, den Kampf für den Sozialismus!

Das Kollektiv Permanente Revolution(CoReP) www.revolucionpermanente.com Frankreich: GROUPE MARXISTE INTERNATIONALISTE http://groupemarxiste.info

Peru: REVOLUCION PERMANENTE (PERU) http://luchamarxista.blogspot.fr/

Österreich: GRUPPE KLASSENKAMPF http://klassenkampf.net

gruppe.klassenkampf@gmail.com 8

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Innenpolitik

DER FALL BABLER:

FROM HERO TO ZERO

Andreas Babler (rechts) war eine Zeit lang sowas wie die "große linke Hoffnung" der SPinternen KritikerInnen des Parteivorstandes. Sein Fall zeigt die Tücken der Integration von Arbeiterfunktionären in den bürgerlichen Staat ...

PolitikerInnen in Österreich haben ein weit höheres Einkommen als der Durch­ schnitt der Bevölkerung (ca. EUR 2.300): vom Bundesrat (EUR 4.343) über den Landtagsabgeordneten (EUR 6.949), Na­ tionalrats­ und EU­Abgeordneten (EUR 8.686), Landeshauptmann und Minister (EUR 17.373), Nationalratspräsi­ dent (EUR 18.241), Vizekanzler (EUR 19.110), Bundeskanzler (EUR 21.716) bis zum Bundespräsident (EUR 24.322). Sie sind „Part of the Game“ im Kapitalismus, der sich die Absicherung seiner Macht somit von der großen Mehrheit der Lohnabhängigen teuer bezahlen lässt. Und da war Andreas Babler – einer, der ausgezogen war, um sozialdemokrati­ sche Werte wieder hoch zu halten und das schlingernde Schiff SPÖ im Rahmen der Initiative Kompass wieder auf den Pfad der Tugend zu führen. Als Vorsit­ zender der Sozialistischen Jugend Nie­ derösterreich mit Sympathien für die stalinistische Stamokap Theorie, Anbie­ derungsversuchen an die KPÖ bis zu Wahlempfehlungen für diese sowie sei­ nem Engagement als Traiskirchner Bür­ germeister für die bessere Unterbrin­ gung und Versorgung von Flüchtlingen galt er in der SPÖ als besonders „links“. Deshalb fielen einige seiner Bewunderer aus allen Wolken als bekannt wurde, Mai 2016 | Nummer 25

dass Babler mehr als ein Jahr lang Dop­ pelbezüge als Bürgermeister und sein ei­ gener Sekretär kassiert haben soll. Die genaue Höhe der Gesamtbezüge ist nicht entscheidend für die politische Be­ urteilung. Es ist eine gute Tradition der ArbeiterInnenbewegung, dass Funktio­ näre nicht mehr als einen durchschnittli­ chen Facharbeiterlohn verdienen sollen. Davon ist Andreas Babler mit und ohne Doppelbezügen weit entfernt. Es ist ent­ larvend, dass Babler die Selbsterkennt­ nis fehlt, dass ein Bürgermeister einer 20.000 EinwohnerInnen Gemeinde in Österreich kein „normales“ Gehalt be­ zieht, sondern dass so wie in diversen anderen PolitikerInnenbezügen von der herrschenden Klasse bezahlt wird, um sich Loyalität zu erkaufen. Andreas Ba­ bler hat – einfach oder doppelt – dan­ kend angenommen und sich damit als Teil des Problems Kapitalismus und nicht als dessen Lösung präsentiert. Die sich so wie Babler ebenfalls auf dem politischen Holzweg von Reformis­ mus und Stalinismus befindlichen steiri­ schen KPÖ Landtagsabgeordneten­ und Gemeinderäte spenden einen Teil ihres Einkommens für in Not geratene Men­ schen. Das bringt zwar Sympathien, löst aber einen Grundwiderspruch nicht auf,

der sich für VertreterInnen von Arbeiter­ organisationen stellt, wenn sie Mandate in bürgerlichen Körperschaften anneh­ men. Auch wenn es sinnvoll ist, die par­ lamentarische Tribüne zur Propagierung des Klassenkampfs zu nutzen (was die Politik von RevolutionärInnen ist) – die Privilegien, die mit Mandaten verbunden sind, dürfen nicht individuell genutzt werden. Das Verteilen von Almosen ist keine Lösung. Auch wenn Revolutionä­ rInnen selbstverständlich immer solida­ risch auf Hilfsersuchen der Ausgebeute­ ten und Ausgestoßenen reagieren, kön­ nen sie den Ozean des kapitalistischen Unrechts nicht mit einem Teelöffel trockenlegen. Revolutionäre Funktions­ trägerInnen in bürgerlichen Parlamenten oder sonstigen Einrichtungen würden die Differenz zum erwähnten Facharbei­ terlohn für den Aufbau der revolutio­ nären Organisation, der revolutionären Propaganda, der revolutionären Presse abführen – unter Kontrolle der Organisa­ tions­ oder Parteiinstanzen. Das ist letz­ ten Endes der einzige sinnvolle materiel­ le Effekt eines politischen Mandats in ei­ ner bürgerlichen Institution: Den bürger­ lichen Staat zumindest teilweise für den Aufbau der revolutionären Partei zahlen zu lassen.

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Antifaschismus/Antirassismus

Hofer - Diskonter für Gese und Volksbefragungen Wer bei Hofer zuallererst an eine in Österreich (vor allem bei weniger kauf­ kräftigen Schichten) beliebte Diskonter­ kette denkt, muss vor dem Präsidenten­ wahltermin am 24.4.2016 ein bisschen umdenken. Mit Herrn Norbert Hofer steigt ein Diskonter ganz anderer Art in den Ring: Ein Billigbieter reaktionärer Sprüche, ein flaggezeigender Patriot, ein Mann, der schon heute darüber nach­ denkt, wie er wohl Regierungen auflösen und andere zusammentrommeln könnte ­ und nun denkt der Burschenschafter der “Marko­Germania” gar über eine Ausweitung des Verbotsgesetzes nach… Schau schau …

Menschlichkeit öffentlich leugnet, ver­ herrlicht oder rechtfertigt, muss (theo­ retisch, bei Verurteilung) mit Haftstrafen zwischen einem und zehn Jahren Haft rechnen. Historisch gesehen ist das Verbotsge­ setz ein Produkt der militärischen Nie­ derlage des Naziregimes, vor allem durch den heldenhaften Kampf der so­ wjetischen Armee und der sowjetischen Werktätigen, die 1943 bei Stalingrad den Untergang des Nazireichs einläuteten. Das Verbotsgesetz, das in seiner Urform zugleich das Entnazifizierungsgesetz war, zeigt die Problematik der Situation nach dem 2. Weltkrieg: Die Arbeiterklas­

Mit dem Verbotsgesetz kennt sich der “pennal­conservative” Bursche (Selbst­ charakterisierung der Marko­Germania) bestens aus. Für all jene, die das juristi­ sche Wissen nicht ganz so parat haben: Das Verbotsgesetz wurde 1945 im Verfas­ sungsrang in die Rechtsordnung über­ nommen. Es erklärte die NSDAP für auf­ gelöst und untersagte, sich "für die NSD­ AP oder ihre Ziele irgendwie zu betäti­ gen". 1947 wurde das Gesetz erweitert: Wer versucht, eine NS­Organisation wie­ derherzustellen oder mit einer solchen Organisation in Verbindung zu treten, kann mit zehn bis 20 Jahren Haft bestraft werden, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung sogar mit lebenslang. 1992 erfolgte eine weitere Novellierung: wer die nationalsozialisti­ schen Völkermorde oder andere natio­ nalsozialistische Verbrechen gegen die

se war nach 12 Jahren Faschismus in Österreich und den Weltkrieg, in dem viele junge Proletarier an der Front um­ kamen, schwer geschwächt; Ansätze von Betriebsbesetzungen, der Bildung antifa­ schistischer Komitees, etc., wurden von den rechten Sozialdemokraten, der stali­ nistischen KP und den Besatzungsmäch­ ten unterbunden. Das Verbotsgesetz sollte einerseits die antifaschistischen Gefühle der radikal­ sten Schichten der österreichischen Werktätigen in “juristische Bahnen” len­ ken, andererseits den reformistischen und bürgerlichen Parteien die Gewis­ sheit geben, dass ihr Versuch, den Kapi­ talismus unter bürgerlich­demokrati­ schem Deckmantel wieder aufzubauen, nicht von Nazis (derer es bekanntlich mehr als genug gab) gefährdet würde, und weiters sollte den Besatzungsmäch­ ten auf dem Papier bewiesen werden,

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dass die österreichische Bourgeoisie und ihr Staatsapparat ohnehin antifa­ schistisch wären (und damit die Legende von Österreich als dem “ersten Op­ fer”des Nationalsozialismus untermau­ ern).

Arbeiterklasse und “gesetzlicher Antifaschismus” Die Marxisten­Internationalisten haben keinerlei Vertrauen in den bürgerlichen Staat, seine Justiz und Polizei. Gegen fa­ schistische Banden, gegen Streikbrecher und gegen gewalttätige Polizeischläger propagieren sie die Selbstverteidigung der Arbeiter, den Schutz von Demonstra­ tionen und Kundgebungen durch Ordner oder, in zugespitzten Situationen, Arbei­ termilizen. In der heutigen Situation in Österreich haben die fortgeschrittenen Arbeiterin­ nen noch nicht die Möglichkeit, selb­ ständig mit den Faschisten aufzuräumen, wenn sie aus ihren Löchern kriechen. Wir haben eine klare Haltung: Da das Verbotsgesetz ein ausdrücklich gegen den Nationalsozialismus gerichtetes Ge­ setz ist, das in gebrochener Form Aus­ druck des Sieges über den Nazismus 1945 ist, muss es der bürgerliche Staat auch gegen Nazis anwenden. Gleichzeitig müssen alle Illusionen von Reformisten oder Zentristen bekämpft werden, die im Verbotsgesetz sowas wie das “Universalwerkzeug” gegen den Fa­ schismus erblicken. Dieses Gesetz rich­ tet sich gegen eine Spielart des Faschis­ mus, aber nicht gegen den Faschismus an sich. Daher ist es auch völlig zahnlos, die Anwendung des Verbotsgesetzes et­ wa gegen die Identitären zu fordern; Die­ se tun alles, um sich gegenüber den al­ ten Schaftstiefelnazis abzugrenzen. Mer­ ke: Nicht jeder Faschist ist ein Nazi, aber jeder Nazi ist ein Faschist… Womit wir zum Auftritt des Herrn Ho­ fer kommen. Hofer bastelt an einem “Extremismus­ Mai 2016 | Nummer 25


Antifaschismus/Antirassismus

tzesänderungen 2009, Graz, Wahlkampfkundgebung mit H.C. Strache. Mitglieder des RFJ grüßen - ja, wie denn? Wen denn? Ach so - die haben nur Freibier geordert ...

gesetz” Lassen wir einmal beiseite, dass der Bundespräsident keine Gesetze “ma­ chen” kann. Nun schlägt Herr Hofer also vor, das Verbotsgesetz auf “IS­Sympathi­ santen” auszuweiten. In einem Interwiev mit der “Kronen­Zeitung” (wo sonst), er­ klärt er laut Austria Presse Agentur APA: “Die Ausweitung des Verbotsgesetzes um einen "IS­Paragrafen" hätte ein höhe­ res Strafmaß zur Folge, erklärte Hofer nun. So soll die Betätigung für den IS wie eine Teilnahme an oder sonstige Unter­ stützung einer nationalsozialistischen Organisation mit einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren bedroht werden kön­ nen. Österreichern, die für den IS ge­ kämpft haben, soll auch die Staatsbür­ gerschaft aberkannt werden, fordert der FPÖ­Kandidat”. Im September 2008 hatte der jetzige Präsidentschaftskandidat noch ganz an­ ders geklungen: “Familiensprecher Nor­ bert Hofer sagte bei einer Diskussion mit Jugendlichen am Mittwoch (Sept. 2008!), dass die ‘Bevölkerung gefragt werden soll, ob das Verbotsgesetz abgeschafft werden soll’. Zwar gestand er ­ Bezug nehmend auf die NS­Zeit ­ ein, dass das nicht irgendwas war, was damals pas­ siert ist’, aber: ‘Ich bin für freie Mei­ nungsäußerung. Es darf nicht verboten sein, darüber zu diskutieren.’ Wenn je­ mand zu den Verbrechen aus der Nazi­ Zeit was zu sagen habe, ‘soll er es sagen dürfen’”. Am 4. 11. 2013 erklärte der damals zum 3. Nationalratspräsident gewählte Hofer dem “Kurier” zum Thema Verbots­ gesetz: „Es gibt einen zweiten Bereich, der sich ein bisschen mit der Meinungs­ freiheit spießt. Da muss man sich die Frage stellen: Wann ist unsere Demokra­ tie so weit entwickelt, dass sie es aus­ hält, wenn jemand etwas sehr Dummes sagt?“ Nun, wir alle wissen, dass immer wie­ der Funktionäre der FPÖ in Konflikt mit dem Verbotsgesetz kommen. Sei es, dass sie den Holocaust leugnen oder zum Ge­ burtstag “Mein Kampf” schenken (so ge­ Mai 2016 | Nummer 25

schehen in der Steier­ mark 2010), sich mit Hakenkreuz­Tattoos ablichten lassen (wie ein FPÖ­Bezirksmanda­ tar in Wien 2, 2009), dass bei FPÖ­Kundge­ bungen der Hitlergruß gezeigt wird … Da kön­ nen wir uns gut erklä­ ren, dass Herr Hofer hier ge­ wisse Probleme mit der “Redefreiheit” sieht. Und nun ­ eine plötzliche Wende um 180°. Keine Aufweichung, keine Abschaf­ fung durch “Volkes Stimme” ­ warum die­

Mit dem Verbotsgesetz kennt sich der “pennalconservative” Bursche (Selbstcharakterisierung der MarkoGermania) bestens aus.

ser Sinneswandel? Die FPÖ versucht mit besonderer Ener­ gie, Terrorängste zu schüren ­ das ist der breite Rammbock, mit dem die Reaktio­ näre Ausländerfeindlichkeit, Hass gegen Flüchtlinge und eine weitere Stärkung staatlicher und privater Repressions­ kräfte (Schlagwort: “Bürgerwehren”) vorantreiben wollen. Was an den Stamm­ tischen bejubelt wird dient dazu, das einzige deklarierte antinazistische Ge­ setz auszuhebeln. Was jetzt als “Kampf gegen den islamistischen Terror” ange­ priesen wird, geht in Richtung eines “An­ ti­Extremismusgesetzes”, wie es in Ost­ europa reaktionäre und faschisierende Parteien in Ungarn, Polen, der Ukraine, Lettland, Litauen, Moldawien … durch­ gesetzt hatten, um “kommunistische

Propaganda” und das Zeigen von histori­ schen Symbolen der Arbeiterklasse zu il­ legalisieren. Tatsächlich hat der bürgerliche Staat mehr als genug gesetzliche Instrumente, um echten oder angeblichen Terror zu bekämpfen. Alle verschärften Bestim­ mungen sind keine Mittel gegen den Ter­ ror, sondern Mittel zur weiteren Aushöh­ lung von demokratischen Freiheiten. Kein normaler Mensch in Frankreich glaubt ernsthaft, dass der von Hollande am 13. November 2015 verhängte und dann von der Nationalversammlung ver­ längerte Ausnahmezustand eine wirksa­ me Maßnahme gegen Terroranschläge ist; aber der Ausnahmezustand ist die Rechtfertigung für das Verbot von De­ monstrationen gegen den Sozialabbau (Gesetz El Komri) oder gegen die Um­ weltzerstörung (Umweltgipfel im Novem­ ber 2015); oder den Hausarrest, der wäh­ rend des Klimagipfels über Umweltakti­ visten verhängt wurde. Die Wortmeldungen des Herrn Hofer müssen auf jeden Fall ernst genommen werden. Seine reaktionären Aussagen sind Wegmarken, welche die Pläne der FPÖ Richtung starker Staat erahnen las­ sen. Diese Pläne können und müssen verhindert werden ­ das geht aber nicht an der Wahlurne, das geht nur auf der Straße, in den Betrieben, in der Stadttei­ len, wo man der reaktionären Propagan­ da entschieden entgegentreten muss.

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Ökologie

RAUBBAUKAPITALISMUS BESCHLEUNIGT KLIMAERWÄRMUNG Also irgendwie verstehe ich dieses Gerede vom Klimawandel nicht ganz!

Ein halbes Jahr nach den Lippenbekenntnissen der Weltklimakonferenz von Paris geht die globale Um­ weltzerstörung mit erhöh­ tem Tempo weiter. Dabei liefern die Messdaten deutliche Belege für das zerstörerische kapitalisti­ sche Wüten. Die weltwei­ ten Durchschnittstempera­ turen waren im März 2016 um 1,07 Grad höher als die März­Durchschnittstempe­ raturen des 20. Jahrhun­ derts und damit der größ­ te derartige Unterschied gefolgt vom Februar 2016 mit 1,04 Grad. Alles deutet darauf hin, dass 2016 nach 2015 und 2014 das wärm­ ste Jahr in der Geschichte der Temperaturaufzeich­ nungen werden wird. Die Mehrzahl der Klimafor­ scher macht dafür nicht das Klimaphänomen El Ni­ no sondern menschliche Einflüsse dafür verant­ wortlich. Die Ursache für das öko­ logische Desaster ist im

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herrschenden Gesell­ schaftssystem, dem Kapi­ talismus, und nicht in der „Natur des Menschen“ zu finden, wie uns das die ka­ pitalistische Propaganda vorgaukeln will. Gesunke­ ne Rohstoffpreise lässt die kapitalistische Wirtschaft wieder vermehrt auf fossi­ le Brennstoffe für Energie­ gewinnung, Produktion und Transport setzen. Um im erbarmungslosen kapi­ talistischen Wettbewerb bestehen zu können, nimmt die Weltbourgeoisie die Ausbreitung von Wü­ sten, Dürrekatastrophen, das Versinken von ganzen Landstrichen, das Ausster­ ben tausender Tierarten, die Verödung der Meere, Luftverschmutzung unge­ ahnten Ausmaßes und an­ dere Katastrophen in Kauf.

Die größte Insel der Welt, das zu Dänemark ge­ hörende Grönland, be­ grüßt die fortschreitende Klimaerwärmung sogar, da

sie den Abbau von Boden­ schätzen begünstigt, wel­ cher allerdings zu den be­ reits erfolgten Bohrungen weitere ökologische Ein­ schnitte bedeuten würden. Die jüngsten globalen Tem­ peraturmessungen zeigen deutlich, dass es nur noch um Schadensbegrenzung gehen kann. Blockiert wird diese Schadensbegrenzung durch die kapitalistische Konkurrenz, welche eine planlos­chaotische Pro­ duktionsweise sowie Raub­ bau an der Natur bedeutet und eine demokratisch ge­ plante und auf ökologische Verträglichkeit ausgerich­ tete Wirtschaft verhindert. Revolution, Sturz des Kapi­ talismus und Aufbau des Sozialismus ist daher der einzig Erfolg bringende Weg aus dem vom Kapita­ lismus verursachten Um­ weltdesaster.

K

urt Lhotzky, politischer Aktivist und Buchhändler in Wien, hat im Anaconda­Verlag eine einbändige Auswahl aus den Schriften von Marx und Engels veröffentlicht. Im KLASSENKAMPF­Interview erklärt er, welche Überlegungen ihn dabei geleitet haben. Als Ergänzung zum Buch ­ um 9,95 EUR im guten Buchhandel und bei der GKK erhältlich ­ gibt es auch einen Blog mit Hintergrundmaterial: http://marxkommentar.blogs pot.co.at/

KLASSENKAMPF: Kannst Du kurz erzählen, warum Du diese einbän­ dige Marx­Engels­Auswahl zusam­ mengestellt hast? Viele Texte gibts es ja sachon im Internet. K.L.: Stimmt. Aber lange und Kon­ zentration erfordernde Texte lesen die wenigsten Menschen gerne am Bildschirm. Das entspricht einfach nicht dem Leseverhalten der PC­ und Internetgeneration. Das Lesen von Bü­ chern ist eine Kulturtechnik, die wir "zurückerobern" müssen, wenn wir bei arbeitenden Menschen oder Ju­ gendlichen einen Bewusstwerungs­ prozess erreichen wollen. Mit der einbändigen Auswahl wollte ich eine Lücke schließen. Meiner Mei­ nung nach hat eine gute Zusammen­ stellung von Texten gefehlt, nach de­ ren Lektüre man mit Fug und Recht sagen kann: "Aha, das ist also dieser Marxismus; der ist ganz schön inter­ essant und ziemlich aktuell". KLASSENKAMPF: Na ja, der ganze Marxismus in einem Band? K.L.: Natürlich nicht. Aber zumin­ dest das, was ich als die "Kernaussa­ gen" ansehe. Dahinter stecken ja ei­ gentlich jahrelange Überlegungen, die sich aus verschiedenen Einführungs­ schulungen in den Marxismus erge­ ben haben, die ich in verschiedenen politischen Zusammenhängen organi­ siert habe. Vor der kapitalistischen Restauration in der Sowjetunion und in Osteuropa hat es ja eine Fülle an Marx­Engels­Ausgaben gegeben. Be­ kanntlich wurden die ja gerade in der Sowjetunion und in der DDR kaum ge­ Mai 2016 | Nummer 25


Schulung

Interview mit Kurt Lhotzky

"Aha, das ist also dieser Marxismus; der ist ganz schön interessant und ziemlich aktuell". lesen, aber Parteimitglieder mussten halt ein paar blaue Bände am Bücherre­ gal stehen haben. Der Hauptabsatzmarkt waren sicher die kapitalistischen Län­ der, mit ihren sich radikalisierenden Ju­ gendlichen Ende der 60er Jahre. KLASSENKAMPF: ... und dann kam 1989 K.L.: Genau ­ und das große Triumph­ geschrei der bürgerlichen Ideologen, seien es Akademiker oder Journalisten, Die haben vollmundig das "Ende der Ge­ schichte" proklamiert und wieder ein­ mal den Marxismus für tot erklärt. Und trotzdem sind immer noch am laufenden Meter Bücher über oder besser: Bücher gegen den Marxismus erschienen. Aber die Originaltexte wurden langsam rar. In der ehemaligen DDR haben die "Sieger" ja in guter konterrevolutionärer Traditi­ on die MEW­Bände, also die Marx­En­ gels­Werke, makuliert oder sonstwie ver­ nichtet, wie mir Kollegen aus Berlin be­ richtet haben. KLASSENKAMPF: Aber ganz ge­ schwunden ist das Interesse an Theo­ rie ja doch nicht. K.L.: Jein. Natürlich hat die jahrzehn­ telange antikommunistische Propaganda gegriffen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass der Stalinismus der beste Helfer der Bourgeoisie dabei war, den Marxismus zu diskreditieren. Erst als sich gezeigt hat, dass der "Sieg des stär­ keren Systems", wie man die Restaurati­ on euphemistisch verkauft hat, zu im­ mer größeren Krisen auf der einen und Massenelend in den ehemaligen degene­ rierten oder deformierten Arbeiterstaa­ ten geführt hat, Kriege in Europa auf der

Tagesordnung standen (ich denke an die Zerstörung Jugoslawiens), der Nationa­ lismus in gruseliger Weise Auferstehung feierte... da haben dann vor allem Ju­ gendliche wieder begonnen, Theorie zu tanken, weil sie verstehen wollten, was da um sie herum vorging. KLASSENKAMPF: Nach welchen Kri­ terien hast Du die Texte ausgewählt? K.L.: Ich habe mich bemüht, gleich ein paar "rote Fäden" zu einem kräftigen Seil zu flechten. Zuerst wollte ich schon durch die frühen Texte zeigen, dass Marx und Engels keine Stubenhocker waren, die irgendwo vor sich hin philo­ sophiert haben. Beide waren Zeit ihres Lebens politische Aktivisten, haben auch ganz schöne persönliche Risiken auf sich genommen . Daher sind ihre Texte heute unerhört "zeitnah", vieles liest sich, wie wenn es für uns hier und jetzt geschrieben worden wäre. Das ist eine Linie in der Auswahl ­ die Schriften für den Bund der Kommunisten, für die ersten Arbeiterorganisationen in und nach der 48er Revolution, der Aufbau der Ersten Internationale 1864, die stän­ dige Befassung mit Aufbau­ und Pro­ grammfragen... Der zweite Strang ist die Linie der per­ manenten Revolution. Das ist ja keine Erfindung von Leo Trotzki, und auch dort, wo Marx nach der Niederschla­ gung der bürgerlichen Revolutionen 1848 bis 1850 den Begriff verwendet (in der "Adresse der Zentralbehörde an den Bund"), kann er schon auf implizite frü­ here Aussagen dazu zurückgreifen. Die­ ses Prinzip der eigenständigen Arbeiter­ organisation, die sich von der Bourgeoi­

sie getrennt konstituieren muss, ist ja ein Element davon. Das war die Lehre der brügerlichen Revolutionen in der er­ sten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Sogar in ihren revolutionärsten Phasen wird die Bourgeoisie konterrevolutionär, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Proletarier, ihre eigenen Forderungen er­ heben. Und dann gibt's noch ein weiteres Kri­ terium: Ich habe Texte ausgewählt, die zeigen, dass die beiden nicht nur tolle Theoretiker und Praktiker des Sozialis­ mus, sondern auch hervorragende Schriftsteller waren. KLASSENKAMPF: Die Texte sind chronologisch angeordnet? K.L.: Ja. Da kann man sehen, wie sich bestimmte Gedanken weiterentwickeln. Und ich sage auch ganz unumwunden: Ich glaube, dass man mit diesem Buch eine intelligente und sinnvolle Einfüh­ rungsschulung in den Marxismus organi­ sieren kann. Dazu kommt natürlich auch der unerhört günstige Preis: für ein schön gestaltetes, in rotem Leinen ge­ bundenes Buch knapp unter 10 Euro hin­ legen kann bald jemand. Und das ist ja auch wichtig ­ dass vor allem junge Leu­ te lernen, schöne Bücher zu schätzen. Der Anaconda­Verlag hat da was wirklich großartiges zu Stande gebracht. KLASSENKAMPF: Danke für das Ge­ spräche ­ vielleicht sehen wir uns ja bald bei einer Schulung oder einem Marxistischen Schulungszirkel. K.L.: Von mir aus gerne!

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Kollektiv Permanente Revolution / CoReP

Erklärung des Kollektivs Permanente Revolution CoReP

Nieder mit der Festung Europa! Offene Grenzen für Flüchtlinge, Arbeiter und Studenten! Seit dem 1. Januar 2016 sind 132.000 Menschen nach Europa gekommen (mehr als 100.000 über Griechenland) , das sind dreißig Mal mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. So gut wie alle flüchteten vor Krieg, Armut oder Verfolgung – Zu­

stände, für die die imperialistischen Mächte, insbesondere je­ ne der Europäischen Union, die Hauptverantwortlichen sind. Seit 2015 wurden mehr als 1,2 Millionen Asylwerber in der Eu­ ropäischen Union registriert. Seit zwei Jahren haben 7.000 von ihnen an den Toren Europas den Tod gefunden, davon sind Hunderte ertrunken. Sie werden absolut unmenschlich behandelt, wie kürzlich bei der gewaltsamen Räumung eines Teils des „Dschungels“ von Calais durch die Spezialpolizei CRS. Die europäischen bürger­ lich­“demokratischen“ Regierungen der Merkel, Hollande, Ca­ meron, Renzi …. wenden das Programm der PEGIDA, der FN, der BNP, UKIP, der FPÖ, der PS (Wahre Finnen), Jobbik, der XA (Goldenes Morgengrauen), PVV, SD (Schwedendemokraten)

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an: Massenmord an Arabern, Schwarzen, Afghanen durch Er­ trinken, Apartheid für die Überlebenden. Die kapitalistischen Regierungen weisen syrische Flüchtlinge zurück und weisen sie aus.

Der Imperialismus bringt Krieg und Zerstörung Auf dem EU­Gipfel am 7. März präsentierte die deutsche Kanzlerin Merkel einen Anti­Migrationsplan, der die Abschie­ bung aller „illegal“ in Griechenland angekommenen Flüchtlinge in die Türkei vorschlägt. Dieser „deutsch­türkische“ Plan wur­ de direkt zwischen Berlin und Ankara ausgehandelt und dann von den 28 Regierungen der Europäischen Union angenom­ men. Er sieht vor, alle in Griechenland mit Hilfe von sogenann­ ten „Schleppernetzwerken“ angekommenen Syrerinnen und Sy­ rer zunächst in die Türkei abzuschieben und später einen „hu­


Kollektiv Permanente Revolution / CoReP manitären Korridor“ nach dem Prinzip „ein akzeptierter Syrer gegen einen abgeschobenen“ zu errichten. Die Deportierten werden dann in der Türkei eingepfercht, wo jetzt schon mehr als 2,7 Millionen Menschen in Lagern leben. Um diesen Plan durchzusetzen, beschloss der Gipfel vom 7. März finanzielle Zuwendungen in Höhe von 6 Mrd. € an die türkische islamisti­ sche Regierung und die Erleichterung der Gewährung von Visa für türkische Staatsangehörige. Dieser barbarischen Plan der Abschiebung und „Rückfüh­ rung“ ist die Fortsetzung der verschiedenen nationalistischen Maßnahmen, die alle europäischen Bourgeoisien unter Verlet­ zung der EU­Vorschriften (Schengen­Abkommen) gegen die Ar­ beiterinnen und Arbeiter aus Asien und Afrika umgesetzt ha­ ben,. Angeblich außer Stande, zwei bis drei Millionen Men­ schen (bei einer EU­Bevölkerung von 500 Millionen) aufzuneh­ men, haben die meisten europäischen bürgerlichen Staaten wieder Grenzkontrollen eingeführt und damit die Regierung Orbán in Ungarn nachgeahmt, die im Jahr 2015 die Grenzen dicht gemacht hat. Diejenigen, die immer geprahlt haben, die Berliner Mauer zu Fall gebracht haben, ziehen jetzt Stachel­ drahtzäune auf, und hetzen Polizeihunde auf Einwanderer – sowohl im Schengen­Raum als auch an seines Grenzen, und sperren Einwanderer ein. Die Schengen­Verträge explodieren. Sieben Länder in diesem Raum haben schon wieder Grenzkontrollen eingeführt (Frank­ reich, Deutschland, Belgien, Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweden). Der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk richtete eine deutliche Warnung an die Flüchtlinge, dass sie nicht willkommen seien und rief ihnen zu „Kommt nicht nach Europa!" (Le Monde, 3. März 2016). Da die Balkanländer der Entscheidung Österreichs, seine Grenzen zu schließen, ge­ folgt sind, haben die Staats­ und Regierungschefs die Blockie­ rung von Flüchtlingen auf griechischem Boden beschlossen „Die irregulären Migrationsströme entlang der westlichen Bal­ kanroute sind jetzt beendet" (Erklärung der Staats­ der Euro­ päischen Union, 7. März 2016). Um die betroffenen Arbeiterin­ nen und Arbeiter auszusortieren und abzuschieben, hat die griechische Regierung Verwahrungszentren (Hot Spots) einge­ richtet, die von der EU mit bis zu 300 Mio. € unter dem Vor­ wand einer „humanitären Hilfe“ finanziert werden. Im Jahr 2016 hat die EU auch ihre Grenzpolizei im Mittelmeer (Fron­ tex) verstärkt und auf Wunsch von Merkel patrouillieren seit Februar in der Ägäis englische und französische NATO­Marine­ einheiten, um Flüchtlingsboote zu „retten“ und die Geflüchte­ ten „in die Türkei zurück zu bringen.“ Die fremdenfeindlichen Maßnahmen drohen sich nun auch auf EU­Bürger auszuweiten. So verlangt die Cameron­Regie­ rung (damit Großbritannien in der EU bleibt), dass Arbeiterin­ nen und Arbeiter aus anderen EU­Mitgliedsländern zwar das Recht haben, sich von englischen Kapitalisten ausbeuten zu lassen, aber erst nach sieben Jahren Anwesenheit auf briti­ schem Territorium Anrecht auf soziale Sicherheit erhalten.

Die Arbeiterklasse muss sich zusammenschließen, um offene Grenzen durchzusetzen und die imperialistischen Bombardierungen zu stoppen! Das imperialistische Weltsystem, das heißt die weltweit agierenden kapitalistischen Konzerne und die Staaten, welche den Interessen der Kapitalisten ihrer Länder (USA, China, Deutschland, Japan, Frankreich, Großbritannien, Russland …) dienen, halten den größten Teil der Welt im Elend. Die impe­ Mai 2016 | Nummer 25

rialistischen Staaten intervenieren militärisch in den be­ herrschten Ländern (Irak, Libyen, Syrien, Ukraine, Mali …). Re­ gionalmächte (Saudi­Arabien, Iran, Israel …), die mit einigen dieser imperialistischen Mächte verbunden sind, nehmen an Kriegen in anderen Ländern (Syrien, Irak, Jemen …) teil oder kolonisieren selbst andere (Palästina). Der Imperialismus ist die Hauptursache für die Migration von Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern und Jugendli­ chen nach Europa (oder Nordamerika). Der verfaulenden Kapi­ talismus begünstigt die Ausbreitung des Faschismus. Einer­ seits treiben die ausländerfeindlichen und faschistischen Par­ teien die rassistische Logik der bürgerlichen „demokrati­ schen“ Parteien bis auf die Spitze und gehen gestärkt aus Wahlen hervor Anderererseits attackieren. Nazi­Banden in Griechenland, Deutschland, Schweden … Einwanderer phy­ sisch. Im Nahen Osten greifen die gestern (EI­Daech) oder heu­ te (Al­Nosra) von den Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Israel, der Türkei und den Golf­ monarchien ermutigten islamisch­faschistischen Banden die Arbeiterbewegung, Frauen, religiöse und nationale Minderhei­ ten an. Heute ist nur noch die Arbeiterklasse fortschrittlich. Nur sie kann mit dem niedergehenden Kapitalismus brechen, für den es mit Blick auf seine Profite zu viele Menschen gibt, nur sie kann die Entwicklung der beherrschten Länder gewährleisten, die Befriedigung aller Grundbedürfnisse durch die Kollektivie­ rung der Produktionsmittel und die Planung durch die Produ­ zenten, nur sie kann die Umwelt für die menschliche Spezies retten. Arbeitsmigrantinnen und ­migranten sind genauso Teil der Arbeiterklasse wie die „einheimischen“ Arbeiterinnen und Arbeiter, ihr Kampf ist der gleiche Kampf. Wir müssen an den Traditionen des proletarischen Interna­ tionalismus anknüpfen und eine revolutionäre Arbeiterinterna­ tionale aufbauen. In ganz Europa müssen alle Gewerkschaften, alle Arbeiterparteien fordern: Nieder mit dem EU­Plan zur Vertreibung der syrischen Flüchtlinge! Schließung der Anhaltelager! Freizügigkeit, Nieder­ lassungsrecht und Arbeit für alle Arbeitsmigrantinnen und ihre Familien! Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht für Studierende, die Europa besuchen oder hier studieren wollen!! Gleiche Rechte, einschließlich der politischen, für alle Arbei­ terinnen und Arbeiter! Schluss mit der Bombardierung und der Intervention von Spezialeinheiten der US­amerikanischen, russischen, belgi­ schen, britischen, dänischen, französischen, niederländischen Armeen in Syrien und im Irak! Schließung aller amerikani­ schen, russischen, französischen und britischen Militärbasen in der Region! Schluss mit der polizeilichen Verfolgung von Flüchtlingen und Roma! Beseitigung der ausländerfeindlichen Gesetze! Auf­ lösung von Frontex! Organisierung der gemeinsamen Verteidi­ gung von einheimischen Arbeitern, Arbeiterinnen und Migran­ tinnen und Migranten gegen Polizeirepression und faschisti­ sche und rassistische Angriffe! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, für die Sozialistische Föderation des Mittelmeerraums! Internationales Büro des Kollektivs Permanente Revolu­ tion (CoReP) Tendência Marxista­Leninista (Brasilien) 18. März 2016

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Internationaler Klassenkampf

Frankreich:

Flugblatt der Groupe Marxiste Internationaliste:

Mit der Regierung brechen!

[Der folgende Text wurde von unseren Genossinnen der Groupe Marxiste Internationaliste massiv im Rahmen der Proteste gegen die Angriffe der SP-Regierung Hollande auf die Rechte der Arbeiterinnen als Flugblatt verteilt] Am Mittwoch, dem, 23. März, wurde der Gesetzesentwurf Hollande Valls El Khomri dem Ministerrat vorgelegt. Hier ist der offzielle Bericht der Regierung: Diese Reform wurde seit Herbst 2015 in enger Abstimmung mit den Sozialpart­ nern vorbereitet, gemäß der Methode des sozialen Dialogs, welche die Regierung seit ihrem Amtsantritt angewandt hat. Sie war Gegenstand einer intensiven und leb­ haften, aber konstruktiven, Debatte, die zu einem ausgewogenen Text geführt hat, ohne dessen ehrgeiziges Ziel aufzugeben. Das Projekt beinhaltet die in der Konfe­ renz am 14. März mit den Gewerkschaf­ ten, Unternehmerverbänden und Jugend­ organisationen angekündigten Anpassun­ gen. Der „soziale Dialog“ ist die bevorzugte Waffe der Regierung um ihre Angriffe zu Gunsten der Kapitalistenklasse durchzu­ setzen, Konfrontationen mit der Arbei­ terklasse zu vermeiden, die Gewerk­ schaftsführer in die Diskussion über ihre Pläne einzubinden, Änderungswünsche

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anzuhören, um schlussendlich unter Beibehaltung der grundlegenden Posi­ tionen ihre Gesetze vom Parlament ab­ segnen zu lassen. Nach den machtvollen Demonstratio­ nen von Studenten, Schülern und Lohn­ abhängigen am 9. März für die endgülti­ ge Rücknahme des Gesetzes hat die Re­ gierung daher den „sozialen Dialog“ mit den Gewerkschaftsführern fortgesetzt. Nicht nur die CFDT, UNSA haben daran teilgenommen, sondern auch die Ge­ werkschaftsführungen von CGT, FO, FSU, Solidaires, UNEF … : was hat es denn noch mit der Regierung zu diskutieren gegeben? Die Forderung der endgültigen Rücknahme des Textes impliziert die so­ fortige Beendigung des „sozialen Dia­ logs“, der „Konzertierung“ mit der Re­ gierung!

Selbstverteidigung Während die Regierung hofseitig den Dialog mit den Gewerkschaftsbürokra­ ten führt, läßt sie straßenseitig die Ju­ gend niederknüppeln. Die Regierung hat die Repression gegen die Demonstratio­ nen von Studentinnen und Schülerinnen am 17. März, die Schließungen von Uni­ versitäten auf dem Verwaltungsweg, um Versammlungen der Studentinnen zu verhindern, das Eindringen der [Spezial­

polizei] CRS in die Universitätsviertel, die Schläge und Knüppelorgien gegen die Demonstrantinnen sorgfältig vorbe­ reitet, vom plötzlichen Auftauchen von Schlägern in den Demonstrationen selbst, um Schrecken zu verbreiten und die Studentinnen und Schülerinnen zu diskreditieren, ganz zu schweigen. Der „Krieg gegen den Terror“ und der Aus­ nahmezustand werden verwendet, um noch mehr Polizisten zu rekrutieren, und die Unterdrückung der Jugend und der Arbeiter zu erleichtern (vor allem, wenn diese schwarz oder arabisch sind). Die Vollversammlungen [der studie­ renden und in Ausbildung befindlichen Jugend] müssen ihren Ordnerdienst or­ ganisieren, um die Provokateurinnen aus den Demonstrationen zu vertreiben und ihre Reihen zu schützen. Die Studentin­ nen und Schülerinnen benötigen die Un­ terstützung der Ordnerdienste der Ge­ werkschaften und der politischen Orga­ nisationen der Arbeiterbewegung. Um wirklich entscheiden zu können und selbst ihre Bewegung kontrollieren zu können, müssen die Vollversammlungen ein Streikkomitee aus gewählten und je­ derzeit abwählbaren Delegierten bilden, und ihren Kampf durch eine nationale Koordination der Streikkomitees zentra­ lisieren, um eine Aufsplitterung der Be­ wegung und isolierte Aktionen zu ver­ hindern, um die vereinigte Kraft aller Ar­ beiterinnen und der Jugend gegen die Regierung zu bündeln.

Den Generalstreik erzwingen! Die Regierung setzt zu Recht auf die Zersplitterung und Erschöpfung der Kämpfe durch die zahlreichen Aktionsta­ ge, die nicht darauf abzielen, die Regie­ rung zum Zurückweichen zu zwingen, sondern die Zusammenarbeit der Ge­ werkschaftsführungen an diesem Projekt zu bemänteln, die Unzufriedenheit zu kanalisieren und die Regierung zu schüt­ zen. Bereits in den Jahren 2003 und 2010 Mai 2016 | Nummer 25


Kollektiv Permanente Revolution / CoReP sind die mächtigen Mobilisierungen zur Verteidigung der Renten nach und nach in Folge von Aktionstagen zerbröckelt, die von den Gewerkschaftsführerinnen beschlossen wurden, damit der Gesetze­ sentwurf neu geschrieben werden solle, was letztlich zur Niederlage der Bewe­ gung führte. Genug der Niederlagen, die zum nächsten Angriff aufstacheln! Für die Rücknahme dieses Gesetzesentwurfs ohne Wenn und Aber müssen wir der Regierung mit der erklärten Absicht, sie zu besiegen, entgegentreten. In ihrer Erklärung vom 24. März, er­ klärten die Gewerkschaftsführer von CGT, FO, FSU, Solidaires, UNEF, UNL, LDIFs: Nach dem 31. März muss die Regierung reagieren. Ist das nicht der Fall, laden die unterzeichnenden Organisationen der Lohnabhängigen ein, die Fortsetzung der Aktionen innerhalb der kommenden Tage zu diskutieren und die Mobilisierungen zu verstärken, einschließlich Streiks und Demonstrationen. Die einzige akzeptable Antwort der Regierung kann nur die Rücknahme die­ ses Gesetzesentwurfs ohne Wenn und Aber sein! Wäre die Regierung mit dem General­ streik von Studentinnen, Schülerinnen und Lohnabhängigen konfrontiert, wür­ de sie nicht einen einzigen Tag standhal­ ten, und die Gesetzesvorlage Hollande­ Valls­El Khomri würde hinweggefegt. Das ist der Kurs, zu dem wir die Ge­ werkschaftsführerinnen zwingen müs­ sen! GMI, 30. März 2016

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3 . K o n f er en z d er G M I Am 26. und 27. März fand die 3. Konfe­ renz der Groupe Marxiste Internationali­ ste, französische Sektion des CoReP, statt. Die erste Konferenz im April 2013 beschloss die Fusion von zwei französi­ schen Gruppen, dem Internationalisti­ schen Kommunistischen Komitee (CCI) und der Bolschewistischen Gruppe (GB) zur GMI; die 2. Konferenz (Oktober 2014) bilanzierte die Arbeit der fusionierten Organisation. Nach der Konferenz wandte sich die Nationale Leitung der GMI an alle Orga­ nisationen, die nach den Attentaten ge­ gen Charlie Hebdo und den Hyper­Cacher die "Nationale Einheit" der bürgerlichen Regierung verweigert hatten. Bedauerli­ cherweise reagierten die eingeladenen Organisaitonen entweder ablehnend oder gar nicht. Die 3. Konferenz konnte eine Konsoli­ dierung der Organisation konstatieren. Die Zeitung Revolution Communiste er­ scheint regelmäßig und wird bei Demon­ strationen und Gewerkschaftsveranstal­ tungen verkauft. Eine Reihe von Bro­ schüren wurden publiziert, die Website wurde verbessert, und die GMI spielt politisch und materiell eine wichtige Rolle beim Aufbau des CoReP. Grußbotschaften kamen von Sektio­ nen des CoReP, der Marxistisch­Lenini­ stischen Tendenz (TML Brasilien) und der CSR­ETO (Venezuela). Einer der zentralen Diskussionspunkte der Konferenz betraf den Entwurf der neuen internationalen Plattform des Co­ ReP. Der Entwurf wurde an eine Reihe französischer und internationaler Orga­ nisationen geschickt, um die Basis für ein Zusammenrücken der internationali­ stischen Kräfte zu bilden. Positiv reagierten nur zwei Organisa­ tionen: Die "Groupe Révoltes", eine Or­ ganisation, die sich von der lambertisti­ schen PCI abgespalten hatte; und das

"Verbindungskomitee der Kommunisten" (Kommunistische Arbeiterorganisation der USA CWG, CWG Neuseelands, CWG Zimbabwe und GenossInnen in Brasili­ en). Am Tag vor der GMI­Konferenz fand ei­ ne internationale Diskussion zwischen der Delegation des Verbindungskomi­ tees und dem Internationalen Büro des CoReP statt, die in einer freundschaftli­ chen Atmosphäre stattfand. Umso er­ staunlicher war dann, dass der amerika­ nische Delegierte am folgenden Tag in seiner Grußbotschaft das CoReP als "Teil der imperialistischen Linken" cha­ rakterisierte, was er damit begründete, dass das CoReP im Gegensatz zum Ver­ bindungskomite keine "Revolution" in Syrien erkennen kann. Dieser schwer­ wiegende Vorwurf führte zwangsläufig zur Aussetzung der Diskussion zwischen den beiden Strömungen. Die Groupe Révoltes beteiligte sich be­ dauerlicherweise nicht an der Diskussi­ on zur internationalen Plattform. Sie verharrte auf ihrer nationalen Perspekti­ ve, einem schlechten Erbstück der lam­ bertistischen Tradition. Genauso vertei­ digt sie nach wie vor die Position, dass die Losung einer "Regierung aus SP und Linkspartei" der revolutionären Losung der Arbeiterregierung entspricht. Auch das ist ein Erbe des Lambertismus, das sich aus dessen Anpassung an die sozi­ aldemokratischen und reformistischen Gewerkschaftsapparate ergibt. Neben einem internationalen Bericht und der Diskussion über die internatio­ nale Plattform wurden der Organisati­ ons­ und Finanzbericht diskutiert und ei­ ne neue Leitung gewählt. In Kommissio­ nen wurden konkrete organisatorische Fragen vertieft diskutiert. Die Konferenz schloss mit dem ge­ meinsamen Singen der "Internationale".

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Internationaler Klassenkampf Korrespondentenartikel der Tendência Marxista-Leninista (Brasilien)

Die Arbeiter- und Volksbewegung verstärkt den Kampf gegen den Putsch

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er Text unserer GenossInnen der brasilianischen TML wurde vor der Abstimmung über die Amtsenthebung von Dilma Rousseff am 17. April geschrieben. Er befasst sich mit den aktuellen Mobilisierungen der Massen zur Verteidigung der Arbeiterpartei (PT) gegen die Kampagne der Reaktion und des Imperialismus. Unserer Meinung nach ist es notwendig, dass Internationalistische Kommunisten den Arbeitern erklären, dass es die Verrätereien der PT sind, ihre Politik im Dienst der Bourgeoisie, die alle Regierungen mit ihrer Beteiligung durchgeführt haben, sowie ihre langfristigen Allianzen mit bürgerlichen Parteien, welche die Arbeiterklasse desorientiert und den Kurs auf den Sturz Rousseffs (PT) erleichtert haben. Die Arbeiterklasse muss eine Einheitsfront, die sich auf Selbstverteidigungskomitees und Organe der Selbstorganisierung stützt, bilden und vor allem eine revolutionäre marxistische Arbeiterpartei aufbauen, die die Arbeiter zur Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats und zum Aufbau des Sozialismus führt. em diesjährigen 1. Mai wird eine besondere Bedeutung zukommen, da die Arbeiterinnenorganistionen massiv für den unbefristeten Generalstreik am 9. Mai mobilisieren wollen. Die Mai-Demonstrationen werden ein weiterer Gradmesser für die Kampfbereitschaft der Massen sein

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Redaktion KLASSENKAMPF

Die Arbeiter­ und Volksbewegung hielt am 1. April 2016 Kundgebungen im gan­ zen Land ab, in den Haupt­ und Groß­ städten Brasiliens unter Beteiligung von tausenden Personen gegen den Putsch der vom US Imperialismus gelenkten Kompradorenbourgeoisie zur Absetzung der Präsidentin Dilma Rousseff und der Arbeiterpartei PT. Die Kundgebungen wurden von der Brasilianischen Volksfront organisiert, unter Führung der Arbeiterpartei PT, der Brasilianischen Kommunistischen Partei PCdoB, der Partei der Arbeitersache PCO, der Einheitsgewerkschaft der Ar­ beiter CUT (mit Naheverhältnis zur PT), der Gewerkschaft der Brasilianerinnen und Brasilianer CTB (mit Naheverhältnis zur PCdoB), der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der obdachlo­ sen Arbeiter MTST, der Nationalen Stud­ entenvereinigung UNE und der Vereini­ gung der Brasilianischen Sekundarstu­ denten UBES sowie diverser sozialer­ und Volksbewegungen. Die Internationa­ listische Bolschewistische Liga gestand

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ebenfalls durch ihre Teilnahme an den Mobilisierungen des 18. März 2016 und 1. April 2016 ein, dass ein Putsch im Gange ist. Diese riesigen Demonstrationen schließen nahtlos an jene vom 18. März 2016 an und zeigen, dass es der Arbei­ ter­ und Volksbewegung gelingt, immer neue Volksmassen im Kampf gegen den Putsch zu mobilisieren. Die Mobilisierung konnte die wichtige Bewegung der obdachlosen Arbeiter MTST gewinnen, geführt von Guilherme Boulos, der zwischen Teilnahme und Boykott an der Bewegung gegen den Putsch schwankte ­ unter dem Einfluß der kleinbürgerlichen Linken unter Füh­ rung der Partei für Sozialismus und Frei­ heit PSOL, der sich die “Marxistische Linke” (frühere in der PT die der IMT von Alan Woods angehört) und der Ver­ einigten Sozialistischen Partei der Arbei­ ter PSTU (der Hauptpartei der moreni­ stischen Internationalistischen Arbeiter­ liga LIT) und ihrer Satelliten (Revolutio­ näre Bewegung der Arbeiter, vormals

Revolutionäre Strategische Liga – Vierte Internationale MRT/LER­QI), die in der Praxis mit der Losung “Weg mit Allen”, was im Grunde “Weg mit Dilma” ist, auf einer Linie mit der pro­imperialistischen putschistischen Bourgeoisie sind. Diese kleinbürgerliche Linke ist heute völlig isoliert. Auch Luiz Almagro erkannte, daß ein Putsch gegen die Präsidentin Dilma Rouseff geplant wurde. Luiz Almagro ist der Sekretär der Organisation der Ameri­ kanischen Staaten (OAS). Diese ist ein typischer Handlanger imperialistischer Interessen und eine richtige Räuberhöh­ le, wie Lenin den Völkerbund, Vorgänger der Vereinten Nationen (UNO), nannte. Rousseff ging dazu über, den Putsch offen zu bekämpfen, unter anderem durch eine Pressekonferenz mit auslän­ dischen Journalisten. Lula hingegen hielt bei der Kundge­ bung am 18. März 2016 eine sehr ver­ söhnliche Rede und gab immer der Klas­ senkollaboration den Vorrang, was die Hoffnung auf einen Kompromiss mit den Putschisten oder die Kapitulation vor ih­ nen nahelegt, was wiederum im Gegen­ satz zur Kampfbereitschaft der Basisak­ tivisten der PT, der CUT und der Volks­ und Sozialbewegungen steht. Lula scheint durch seine Festnahme und die Zwangsvorführung zur Aussage bei der Bundespolizei eingeschüchtert zu sein (Lula hat sich nie geweigert auszusagen und hatte bereits vier Mal vorher Stel­ lung genommen). Ein sehr wichtiges Ereignis war Anfang April 2016 war die Bekanntgabe der Bra­ silianischen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB), aus der Regierung Rousseff auszutreten. Die PMDB ist die größte Partei des Landes und war die größte bürgerliche Partei der Volksfront der Regierung Rousseff, was die Krise vertiefte. Allerdings eröffnete die offene Abstim­ mung über den Koalitionsbruch durch Handheben in der Nationalen Leitung der PMDB eine Parteikrise, weil ihre Mi­ nister sich weigerten, ihre Posten zu räumen und in der Regierung bleiben wollen. Der Vizepräsident der PMDB Michel Mai 2016 | Nummer 25


Internationaler Klassenkampf Weiter von Seite 20

und machen wir vor allem und zuerst klar, dass dieses Geld, ein Bruchteil ihres Ver­ mögen, das sie nach Gutdün­ ken und Geberlaune, geneigt sind zu verteilen, dass diese Gelder, dass diese unvorstell­ baren Vermögen durch die von Karl Marx im „Kapital“ beschriebene Mehrwert­ Theorie zunächst von Arbei­ tern, von der Arbeiterklasse geschaffen wurden – kapitali­ stischer Reichtum ist Kom­ mandogewalt über Menschen, diese klare Botschaft muss man versenden. Der Klassenkampf findet schon vor der Verschiebung des Vermögens in Briefka­ stenfirmen statt und solange die Arbeiterklasse sich nicht organisiert, sich der Zustän­ de, die ihre Ausbeutung be­

wirken, bewusst wird, solange wird dieser Kampf so ausge­ hen, wie es der Milliardär Warren Buffet sehr offen be­ schreibt: „Es herrscht Klas­ senkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen!“ Lassen wir es nicht zu, dass dieser Kampf so einseitig ge­ führt wird, sammeln wir unse­ re Kräfte und kämpfen für die restlose Beseitigung des Grundübels kapitalistische Gesellschaft, indem wir diese in einer sozialistischen Revo­ lution stürzen! Panama ist ein Symptom, es ist sichtbares Zeichen, aber es ist nicht die Ursache des gesellschaftlich­wirtschaftli­ chen Ungleichgewichts unse­ rer Welt!

Temer hat bereits einen Plan für eine Wirtschaftsregierung genannt 'Brücke in die Zukunft' präsentiert, welche eine echte neoliberale Verirrung mit Totalan­ griff auf die Rechte der Arbeiter dar­ stellt. Er scheint aber unfähig, einen Konsens unter seinem Namen zu errei­ chen, was wiederum die Situation der Putschisten verkompliziert. Der zweite Name, der als möglicher Nachfolger im Falle der geglückten Absetzung Rousseffs genannt wird, ist der des Prä­ sidenten der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha, der den Putsch anführt. Er wird beschuldigt, mehr als 5 Millio­ nen Dollar von Petrobras eingestreift zu haben und neun ausländische Bankkon­ ten zu besitzen. Diese Konten wurden durch die sogenannte “Operation Säube­ rung” aufgedeckt, die der faschistische Richter Sergio Moro leitet, der mögli­ cherweise ein CIA Agent ist und das Spiel der brasilianischen Sozialdemokra­ tischen Partei (PSDB) spielt – der wich­ tigsten proimperialistischen Putschpar­ tei mit Verbindungen zu den USA und Chevron. Diese US­amerikanischen Erd­ ölfirma, die die brasilianischen Zuliefe­ rer von Petrobras unter Druck setzt, zeigt großes Interesse am kürzlich ent­ deckten Ölvorkommen Présal de Brasil. Die Anführer des Putsches und ihre In­ stitutionen oder Parteien, wie PSDB, DEM und PMDB, die Justiz, die Finanz, die Staatsanwaltschaft, die Medien (TV Globo, Rede Bandeirantes, Folha de Sao Paulo, O Estado de S. Paulo, Jornal do Mai 2016 | Nummer 25

Das besondre Interesse derer, die einen besondren Handels- oder Manufakturzweig treiben, ist in gewisser Hinsicht immer verschieden von dem des Publikums und oft ihm sogar feindlich entgegengesetzt. Das Interesse des Kaufmanns ist immer, den Markt zu vergrößern und die Konkurrenz der Verkäufer einzuschränken … Es ist dies eine Klasse von Leuten, deren Interesse niemals exakt dasselbe sein wird wie das der Gesellschaft, welche im allgemeinen ein Interesse haben, das Publikum zu betrügen und es zu überlisten. Adam Smith, bürgerlicher Ökonom, 1723 - 1790, zitiert von Karl Marx)

Dilma Rousseff 1970 vor Gericht: In einer Guerrillaorganisation kämpfte sie gegen die Militärdiktatur und wurde verhaftet und gefoltert.

Brasil, etc.), die Industriellenorganisatio­ nen ( von S. Paulo (FIESP) und von Rio de Janeiro (FIRJAN)), haben in den letz­ ten Wochen viel Zeit dafür verwendet, um in der bürgerlichen Presse zu erklä­ ren, dass das “politische Urteil” keinen Putsch bedeutet, da der Schlachtruf “Es wird keinen Putsch geben” an Populari­ tät gewann. Dabei ist der Slogan absurd, da der Putsch bereits im Gange ist. Ohne Zweifel ist es ein Kampf gegen die Zeit. Sie sind entschlossen, die Re­ gierung von Dilma Rousseff am 17. April 2016 mit der Abstimmung über das De­ likt der mangelnden Verantwortlichkeit in der Repräsentantenkammer zu ent­ fernen, da die Berufung auf “Steuer­ tricks”(eine Art Darlehen, wobei die Banken die öffentlichen Ausgaben zah­ len) historisch auf alle Regierungen Bra­

siliens zutraf oder zutrifft, sei es auf Lan­ des­ oder auf Bundesebene. In diesem Fall wird der Prozess des '”Impeach­ ments” an den Senat weitergegeben, um über Rousseff zu entscheiden, die bis zur Urteilsfindung vom Amt suspendiert bliebe. Praktisch bedeutet jede Amtsent­ hebung von Rousseff die Vollendung des Putsches. Am 31. März trat der Kommandant der Nationalen Sicherheitskräfte, Oberst Adilson Moreira, eines von der PT selbst gegründeten Repressionsinstruments, zurück und griff die Präsidentin Dilma Rousseff an. All diese Tatsachen ­ daß sich die Volks­ und Arbeiterbewegung einerseits, aber auch die bürgerliche und proimpe­ rialistische Putschbewegung anderer­ seits verstärkten ­ zeigen die Intensivie­ rung des Klassenkampfes. Das deutet auf eine große Konfrontation in naher Zu­ kunft und auf den enormen und massi­ ven Widerstand des Volkes hin. Die TML interveniert im Kampf gegen den Putsch der pro­imperialistischen Bourgeoisie, im Kampf gegen die Klas­ senkollaboration der mehrheitlichen Führung der PT; sie betont die unabhän­ gige Organisation des brasilianischen Proletariats ­ mit der strategischen Per­ spektive des Kampfes für eine Arbeiter­ und Bauernregierung. 1. April 2016 Tendencia Marxista­Leninista (TML – Marxistisch­Leninistische Tendenz)

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Internationaler Klassenkampf

Panama-Papers:

Der Skandal heißt Kapitalismus!

Das „größte Datenleck aller Zeiten“ beeindruckt schon durch die Zahl der aufgedeckten Fälle: mehr als elf Millionen geheime Dokumente haben die beteiligten JournalistInnen ausgewertet. Die in Panama ansässige Anwaltskanzlei Mossack Fonseca hat in knapp 40 Jahren über 214.000 Briefkastenfirmen mit Sitz in Panama, den Britischen Jungferninseln, den Seychellen und in anderen Steueroasen gegründet, verkauft und verwaltet. Zu den NutznießerInnen ih­ rer sauberen Dienstleistun­ gen gehören ehemalige und amtierende PolitikerInnen so­ wie Menschen aus deren Um­ feld, Regierungsbeamte,

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Sportler und Sportfunktio­ näre, Kulturschaffende, Ma­ nager und Milliardäre – das kapitalistische System unter­ scheidet in dieser Frage nicht, es korrumpiert alle. Die 14.000 KlientInnen kom­ men aus allen Teilen der Welt, mindestens 500 Banken (in­ klusive österreichischer) sind beteiligt. Zweck der versteckten Ge­ schäfte sind Steuerflucht, Geldwäsche, das Verstecken von Bestechungsgeldern, Waffenhandel, das Unterlau­ fen von Wirtschaftssanktio­ nen. Durchgängig Dinge, die im „besten aller möglichen Wirtschaftssysteme“, dem Kapitalismus, der „freien“ Marktwirtschaft, gar nicht vorkommen dürften…. Während Mossack Fonseca

sich wegen des „Datendieb­ stahls“ als Opfer inszeniert, sind selbst die an der Auf­ deckung der Machenschaften beteiligten, dem System letzt­ lich aber verpflichteten Medi­ en um Beschwichtigung be­ müht: Wenn die Süddeutsche Zei­ tung darüber schreibt, dass aus der „Halb und Schatten­ welt“ riesige Vermögen und Firmenanteile hin und herge­ schoben werden, dann aber davon schwadroniert, dass manches, was hier passiert, völlig legal ist und solange im Heimatland das Vermögen korrekt besteuert wurde, Ver­ schieben von Geld in Briefka­ stenfirmen durchaus Gründe haben könnte und in Ord­ nung wäre, dann heißt das am halben Wege mit seiner

Kritik stehen bleiben, dann heißt das die Kapitalisten­ klasse nur nicht zu sehr anzu­ greifen. Die Frage nach dem Entste­ hen der Kapitalisten­Reichtü­ mer, die ungerechte Vertei­ lung des Produktes der Ar­ beit, des Mehrwertes, der durch die ArbeiterInnen­Klas­ se geschaffen wird, und eine radikale Kritik daran, findet in diesen der herrschenden Klasse verpflichteten Medien nicht statt. Dabei belegen Studien (tlw vom Kapital selbst zur Verfü­ gung gestellt) regelmäßig die Konzentration des Kapitals auf wenige aus dem System profitierende Personen, bele­ gen die weltweite soziale Un­ gleichheit: die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen gemeinsam genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (Oxfam­ Studie); das oberste Prozent der Weltbevölkerung verfügt über mehr Vermögen als der Rest der Welt zusammen (We­ alth Report der Schweizer Großbank Credit Suisse). Zeigen wir auf, dass jene „guten“ KapitalistInnen, die Steuern zahlen, die Teile ihres Vermögens spenden ­ für wis­ senschaftliche Forschung, für soziale Zwecke ­ die sich zum moralischen Vorbild für die Gesellschaft machen, die das wirtschaftliche Modell des Li­ beralismus, den Kapitalismus, bemänteln, vielleicht Philan­ thropen, aber ganz sicher Philister und Profiteure sind, die gleichzeitig über Finanz­ konstruktionen, wie jetzt wie­ der offensichtlich wurde, ihr Vermögen vor dem Zugriff der Gesellschaft, die ihnen ihren Reichtum ermöglicht hat, si­ chern und schützen wollen Weiter auf Seite 19

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