KLASSENKAMPF 31

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Für Rätemacht und Revolution!

KLASSENKAMPF Nummer 31 | Juli 2018 | 2,-- | Zeitung der Gruppe Klassenkampf, öst. Sektion des Kollektivs permanente Revolution

Unter anderem in dieser Ausgabe: ÖSTERREICH: Kein zurück in's 19. Jahrhundert / Kampf um Arbeitszeit / FPÖ - asoziale Partei der Reichen INTERNATIONAL: Frankreich / Spanischer Staat - wie schaut es an der Klassenfront aus? COREP: Erklärung zur Migrationspolitik in Europa | und vieles mehr

ISSN: 2220­0657


Editorial

Klassenkampf 31/2018

Von Achsenmächten, Willigen, von Rom und Budapest, Warschau und Berlin, Trump, Putin und über allem Wien oder der Basti Oktober 1936: Adolf Hitler und Benito Mussolini begründen das Zusammenspiel des nationalsozialistischen Deutschland mit dem faschistischen Italien. Wenig später komplettiert das japanische Kaiserreich das, was man als die „Achsenmächte“ des 2. Weltkrieges bezeichnet. März 2003: Es wird unter der Führung der USA unter George W. Bush eine sogenannte „Koalition der Willigen“ gebildet, die trotz Ablehnung durch den UN-Sicherheitsrat einen Angriff auf den Irak startet. Juni 2018: Bei einem Treffen in Berlin sprechen der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Sebastian Kurz (Bundeskanzler/Österreich)

von

einer

Achse

Rom-Wien-Berlin.

Der

rechtsextreme neue Innenminister Italiens Matteo Salvini habe sich über eine intensive Zusammenarbeit mit den beiden deutschsprachigen Herren sehr erfreut gezeigt. Der Österreicher schob dann noch nach, dass er sich sehr freue über eine „Achse der Willigen“, die Flüchtlinge von Europa abhalten würde.

Wir schreiben das Jahr 2018 und begehen in Österreich ein Gedenkjahr, 100 Jahre 1. Republik, 80 Jahre Anschluss an Nazi­ Deutschland, man lädt zu Gedenkveranstaltungen, man nimmt daran teil. Man könnte davon ausgehen, dass der Bundeskanz­ ler dieser Republik, der Reden hält und pflichtschuldig Antise­ mitismus verurteilt ­ vor allem wenn er von zugewanderten Moslems kommt, während der tradierte antisemitische Boden­ satz mit ihm in der Regierung sitzt ­ dass dieser Bundeskanzler Sebastian Kurz ein über das durchschnittliche Maß hinausge­ hendes Geschichtswissen aufweisen wird, ob es um die Ge­ schichte des 20. Jahrhundert geht oder um Ereignisse, wo er schon halbwüchsig war. Daher ist die oben erwähnte sprachliche Entgleisung des Leider­Nicht­Akademikers Kurz keine zufällige, es ist ein be­ wusst gesetzter Tabubruch, ein Blinken nach noch weiter rechts als er ohnehin schon steht. Wir kennen das Muster übri­ gens schon seit dem verblichenen Jörg Haider, der vor allem in seinen frühen Jahren immer verbal ins ganz rechte Abseits trat, um dann ein wenig zu relativieren, doch die Duftmarke war gesetzt. Auch Kurz hat in einem Interview patzig gemeint, er werde sich von Nazis nicht Begriffe, wie „Achse“ oder „Hei­ mat“ nehmen lassen. Das sind Aussagen, wo ihm das Bierzelt­ Gejohle ebenso sicher ist wie der Applaus aus bestimmten aka­ demischen Millieus. So wenig die mainstream­Journalisten es wahr haben wollten oder immer noch wollen, mit Kurz ist ein brandgefährlicher Mann an die Macht gelangt, der abge­ sehen von seiner Machtfülle, keine ideologischen Ziele zu kennen scheint. Was nützlich dafür ist, wendet er an und im Moment sind es die Rechten und ihre Signale an eine auch von der SPÖ verunsicherte Wählerschaft, einer SPÖ, die über die letzten Jahre viel zu willfährig jeden Ruck nach rechts mit­ machte, weil es vom Boulevard verlangt wurde.

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Zunächst also der Ausdruck „Achse Berlin­Wien­Rom“, auf deutschem Boden in Berlin verwendet, ein Ausdruck, den so­ gar die CDU als Nazi­Rhetorik kritisiert, dann noch die „Willi­ gen“ nachgeschoben: hier kommt die Zeit der kurzschen Teenager­Jahre ins Spiel, es war dies 2003 die Bezeichnung des George W. Bush und seiner Kriegstreiber für jene Verbündeten, die in den Krieg gegen den Irak gezwungen werden sollten und wurden. Sebastian Kurz verwendet diesen Ausdruck wohl auch nicht unbedacht, sondern sehr gezielt im Zusammenhang mit jenen Verbündeten (Matteo Salvini, Faschist aus Italien, Seeho­ fer und Söder, bayerische Kameraden, Orban, Illiberalist aus Ungarn et al), die Flüchtlinge, wie es heißt, von Europa abhal­ ten sollen. Das Wort der „Willigen“ beschwört allerdings das Bild der gewaltsamen Allianz aus dem Irak­Krieg herauf und das ist kein Zufall in diesem Zusammenhang. In den sozialen Netzwerken liest man bereits immer häufiger von Schießbefeh­ len an der Grenze und rechtfertigt das mit abstrusen Argumen­ ten – Sebastian Kurz bereitet den Boden! All das findet vor dem Hintergrund statt, dass Kurz trotz al­ ler Ideologieferne, zur Finanzierung seiner Machtbasis und sei­ nes politischen Aufstiegs das Kapital benötigt und daher auch Kapital­ und Konzernpolitik macht, es ist dies in Österreich die klassische „neoliberale“ Politik des Sozialabbaus auf allen Poli­ tikfeldern. Auf EU­Ebene findet aber Ähnliches statt: Kurz setzt hier – geschmeidiger Taktiker, der er ist ­ nicht auf den plum­ pen Zerstörungsdiskurs der traditionellen Rechtsextremen (FN, FPÖ, AFD, Lega Nord), sondern strebt, sehr populär for­ muliert, den klassischen Nachtwächter­Staat auch auf euro­ päischer Ebene an, Schutz und Sicherheit für die brave Bevölkerung (in Wahrheit natürlich Freiheit für die Kapitali­ sten), strikt an den Außengrenzen und harte Ordnung im Inne­ ren, vor allem gegen Fremde. Alles andere, was in Richtung einer Sozial und Transferunion ginge, stört seine Geldgeber und wird deshalb hintertrieben, daher soll so viel wie möglich in den nationalen Rahmen zurückgeben werden, wo dann ent­ lang den Klassenlinien Politik für die Kapitalisten gemacht wird. (Subsidiarität!) Für diese Ziele setzt er aktuell auch auf eine Destabilisierung der EU und unterstützt alle Kräfte (natür­ lich in Österreich gemeinsam mit der Strache­FPÖ) in Deutsch­ land und Europa, die die starke Frau Europas, Angela Merkel, stürzen wollen. Dafür steht Sebastian Kurz an der Seite von Seehofer/Söder, dafür umarmen sich HC Strache und Matteo Salvini und sie sind sich in ihren Maßnahmen gegen die Flücht­ linge einig: • Mehr Frontex • Mehr Abschottung • Auffanglager außerhalb der Europäischen Union • Mehr Abkommen wie der schändliche Türkei­EU­Deal • Keine relocation • Keine Entlastung der griechischen Inseln


Klassenkampf 31/2018

Editorial

• Keine Einrichtung sicherer Fluchtwege • Keine Investitionsmaßnahmen in Drittstaaten • Keine personelle Aufstockung von Asylbehörden in Italien und Griechenland Im innerdeutschen Konflikt hat sich also ein österreichi­ scher Führer eingemengt, auch das nicht ganz ohne histori­ sche Pikanterie, und prompt hat die rechtsextreme AfD Sebastian Kurz als eine ihrer Ikonen entdeckt, indem sie Kurz, Strache, Orban und Salvini auf einem Wahlplakat als ihre Freunde bezeichnet. Wem an dieser Stelle noch nicht klar ist, wohin es in Österreich mit dieser Regierung geht, dem sei noch mitgeteilt, dass es zu einer von der Dichand­Fellner Pres­ se hochumjubelten „Grenzübung“ in steirischen Spielfeld unter dem Oberkommando der beiden FPÖ­Minister für Inneres und Verteidigung(!!), Kickl und Kunasek gekommen ist, in dem der „Ernstfall“ geprobt wurde. Hier wird erstmals in der 2. Repu­ blik martialisch Polizei und Bundesheer gemeinsam in Stellung gebracht, wer wird die Menschen in diesem Land schützen, wenn sich die Waffen wenden und auch den Feind im Inneren be­ kämpfen „müssen“?

schatten Klassenkampf­Politik von oben zu betreiben. Es wird ein Feind aufgebaut (Moslems, Arbeitslose, FeministInnen, lin­ ke Gutmenschen) und mit diesem kulturkämpferischen Phan­ tomen die wirklichen Klassentrennlinien versucht zu verwischen. Und hier muss eine marxistische ArbeiterInnen­ partei ansetzen und diese Mechanismen entlarven und offen legen, nicht wie es die SPÖ tut immer wieder darum zu betteln in den kapitalistischen Verwertungsprozess mindestens einge­ bunden zu werden! Nachdem die Welt aber nicht in Europa endet können wir auch noch einen globaleren Blick auf die Freunde und Verbün­ deten von Basti & Bumsti werfen: der absurd clowneske, aber sehr klar die Interessen des Kapitals verfolgende Donald Trump auf der einen Seite und Wladimir Putin, der imperialisti­ sche Zar im Osten. Zu beiden Protagonisten hat die Strache­ FPÖ starke Bezugspunkte, sei es die menschenverachtende Flüchtlingspolitik (Mauer, Familientrennungen…) oder das Leugnen der dem Kapitalismus geschuldeten Klimakatastrophe des Donald Trump oder die autokratisch­bona­ partistische Regierungs­ form des Wladimir Putin, wo jede Art von Doch die österrei­ Opposition oder media­ chische Bundesregie­ ler Unabhängigkeit un­ rung setzt nicht nur terdrückt wird und ein auf diese gerade er­ Netzwerk von kriminel­ wähnte historisch len Milliardären staat­ schwer belastete Ach­ lich geschützten se, sondern hat sich Kapitalismus betreibt. Andrej Babis (Tschechien), Sebstian Kurz, Viktor Orbán (Ungarn), Peter Pellegrini (Slowakei), Mateusz Morawiecki (Polen, v.l.n.r.) von Beginn ihrer Exi­ Das sind neuerdings stenz an der Gruppe aber nicht mehr bloß der sogenannten Visegrad­Länder (Ungarn, Polen, Tschechien, Vorbilder der rechtsextremen Parteien, wie FPÖ und Front Na­ Slowakei) verbunden gefühlt. Diese V4 Gruppe zeichnet in den tional, sondern auch die role­models für den Anführer der frü­ Jahren seit der Flüchtlingsbewegung 2015 aus, jede Art von her „staatstragenden“ ÖVP, Sebastian Kurz. Nicht zufällig ist Verteilung von in Europa befindlichen Flüchtlingen abzuleh­ das Österreich des Sebastian Kurz offensichtlich im Gespräch nen, schlicht unter dem Hinweis, dass diese kulturell und reli­ von den beiden Machthabern Trump und Putin für ein Treffen giös nicht in diese Gesellschaften passen. ausgewählt zu werden, wie die Boulevardpresse mit ver­ Viktor Orban kontrolliert die Medien in Ungarn, er verwen­ schwitztem Patriotismus verkündet. Sebastian Kurz hat kein det widerliche antisemitische Hetze, um der Bevölkerung einen Problem mit dem demokratischen (Un)verständnis eines Feind zu servieren (Stichwort Soros), er ist für das Errichten Wladimir Putin und er hat in einem Interview mit der „Zeit“ einer „illiberalen“ Demokratie und er ist guter Freund von HC die von Trump angeordneten unmenschlichen Familientren­ Strache, mittlerweile aber auch von Sebastian Kurz, der meint, nungen an der Grenze als Bilder mit durchaus möglichem dass man auf Orban nicht herabblicken dürfe. fake­news­Gehalt bezeichnet – Kurz ist auf Linie mit den Po­ In Polen ist die Kaczynski­Clique an der Macht, was bedeu­ tentaten dieser Welt! tet, dass der klerikale Abschaum wieder das Sagen hat, ge­ Wir kämpfen als internationalistische Marxisten bestimmt mischt mit national­antisemitischen Tönen, sowie politische nicht für den Erhalt dieser von Kapitalisteninteressen domi­ Besetzung und Vereinnahmung der unabhängigen Justiz. nierten EU, sondern für deren Zerschlagung, und wir treten für Tschechien und die Slowakei passen mit einer Mischung die Errichtung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Eu­ aus diesen populistisch gefärbten Inhalten und Unterdrückung ropa ein, allerdings erleben wir mit Sebastian Kurz gerade je­ der freien Presse bis hin zu Morden gut ins reaktionär­nationa­ manden, der in Einklang mit Trump, Putin und rechten und le Bild. rechtsextremen Kräften in Europa die Demontage der Nach­ Somit ergibt sich ein klassisches autoritäres Muster, das kriegsordnung in Europa betreibt und eine politische Ordnung sehr stark an die Zwischenkriegszeit (Ständestaat) erinnert zwischen Autoritarismus, Kapitalismus und Faschismus eta­ und das symbolhaft mit seiner Nord­Südachse und der Achse blieren möchte. in den Osten (Visegrad) ein etwas schiefes christliches Kreuz Unsere Parole muss lauten: wachsam sein, solidarisch ergibt, einer der Bezugspunkte des rechten Kulturkampfes. sein, keinen Zentimeter zurückweichen und uns wehrhaft zu Kurz und Strache verwenden diese Symbolik mindestens un­ organisieren! terschwellig, aber durchaus auch explizit, um in diesem Wind­

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Innenpolitik

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Angriff auf die Arbeitszeit - kein Zurück in's 19. Jahrhundert! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich!

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m 14.. Juni 2018 sind die Pläne für die Änderungen zum Arbeitszeitgesetz von der blau-schwarzen Mehrheit. durchaus überraschend vom Zeitpunkt her im Parlament vorgestellt worden. Das Thema stand nicht auf der Tagesordnung und provokanterweise sollte der Initiativantrag zur Diskussion dem Wirtschaftsausschuss, nicht dem logisch zuständigen Arbeits- und Sozialausschuss, zugewiesen werden. Das Gesetz soll jetzt noch vor der Sommerpause ohne hinreichende Diskussion und Begutachtungsphase im Juli durchgepeitscht werden . Dagegen gab es Protest der Opposition, über den drübergefahren wurde.Soweit zum Formalen – „speed kills“ darf wieder einmal gesagt werden, und die parlamentarischen Möglichkeiten werden mit Geschäftsordnungstricks ausge- Am 18. Juni 2018 gab's Überraschungsbesuch beim Sommerfest der Industrieellenvereinigung im Wiener Stadtpark: Empörte Gewerkschafter_innen und Arbeiteraktivst_innen drückten lautstark ihren Unmut über den dünnt. frechen Angriff auf die Arbeitszeit aus Auffallend: Der 14. Juni fiel „zufällig“ mit dem letzten Tag des ÖGB­Bundeskongresses zusammen. Sebastian Kurz und Heinz­Christian Strache scheinen mit ihrem Timing ei­ ne klare Botschaft an den neuen Gewerkschaftsbund­ Präsidenten Wolfgang Katzian gesendet zu haben: Tschüs, Sozialpartnerschaft und Kon­ sens, jetzt wird knallhart durchgegriffen. In der Sache haben wir es bei der sogenannten „Flexibi­ lisierung“ der Arbeitszeit mit einem direkten Angriff auf ein Herzstück der Errungenschaf­ ten der ArbeiterInnenbewe­

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gung zu tun, nämlich der Aushebelung eines Schutzge­ setzes für ArbeiterInnen: es wird, kurz gesagt, den Kapita­ listen erlaubt Arbeit 12 Stun­ den am Tag und 60 Stunden in der Woche anzuordnen! Wenn man sich den Geset­ zesentwurf näher anschaut, kommt man zum Ergebnis, dass die Bestimmungen sehr arbeitgeberfreundlich sind und den Wünschen der Wirt­ schaft entsprechen, wie die folgenden Punkte belegen: Die Anhebung der Höchst­ arbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche bedeutet, dass ein Großteil der

bisherigen Arbeitszeitverstöße nunmehr straffrei wird. Durch diese und die anderen neuen Änderungen werden Risiken für Arbeitgeber aus Kontrollen der Arbeitszeit durch das Ar­ beitsinspektorat massiv redu­ ziert. Arbeitnehmer könnten in Zukunft verpflichtet sein, bis zu 10 Stunden pro Tag und 50 Stunden pro Woche zu arbei­ ten, ohne dies aus überwie­ genden persönlichen Interessen ablehnen zu kön­ nen, weil das Gesetz dieses Recht erst ab der 11. Stunde pro Tag bzw 51. Stunde pro Woche greift. Allerdings bleibt

die allgemeine Regel, wonach berücksichtigungswürdige In­ teressen des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit an sich nicht entgegen stehen dürfen, unverändert. Die Auswirkun­ gen der Änderungen sind in diesem Punkt noch nicht ab­ sehbar. Bei Gleitzeit wird darüber hinaus auch die Normalar­ beitszeit auf 12 Stunden, fünf­ mal wöchentlich, erstreckt, d.h. Arbeit bis zu 12 Stunden pro Tag und 60 Sttunden pro Wo­ che ist bei Gleitzeit keine Überstundenarbeit mehr. Die einzige wirklich rele­ vante Grenze für die Arbeits­


Klassenkampf 31/2018 zeit wäre damit 48 Stunden im Durchschnitt von 17 Wochen, die aus dem EU­Recht kommt. Arbeitnehmer können sich in Betrieben ohne Betriebsrat zur Arbeit an bis zu vier Wo­ chenenden pro Kalenderjahr verpflichten. Diese Verpflich­ tung kann auch durch im Vor­ aus für längere Zeit geregelt werden, wenn der Anlass um­ schrieben wird. In Betrieben mit Betriebsrat ist eine Be­ triebsvereinbarung erforder­ lich. Für Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit noch weitergehend frei gestalten können, wird das Arbeitszeitgesetz gar nicht mehr gelten. Diese kursiv angeführten Feststellungen stammen im Übrigen nicht von linken Ar­ beiterInnen­Vertretern (Be­ triebsräte oder Gewerkschafter_innen) oder Revolutionär_innen, diese Aussagen kommen von einem Partneranwalt der bekannten Wirtschafts­Anwaltskanzlei Wolf Theiss & Partner in ei­ nem Interview mit dem Maga­ zin trend. Das muss man sich erst mal auf der Zunge zerge­ hen lassen: die Kapitalist_in­ nen sagen ganz offen, welchen Erfolg sie hier erzielt haben: • Arbeitszeitverstöße straf­ frei • Arbeitsinspektorate wer­ den bei Kontrollen beschnitten • Freizeit wird einge­ schränkt • Bei Gleitzeit fällt die Überstundenentlohnung weg • Freiwilligkeit ist ein Hohn bei Betrachten der Machtver­ hältnisse • Betriebsratsvereinbarun­ gen sind nicht mehr notwendig • Längere Arbeitszeit geht zu Lasten der Gesundheit • Pendler verlieren zusätz­ lich Zeit für Familienleben • Unternehmer können ela­ stischer auf Auftragsschwan­ kungen reagieren • Aufteilung der Arbeit auf

Innenpolitik viele Hände nicht nötig, Ar­ beitslose bleiben Druckmittel Wir müssen sehen, dass die Bürokratie im ÖGB und die SPÖ­Führung in den letz­ ten Jahren den Boden für die jetzige reaktionäre Offensive durchaus selbst vorbereitet hat. Die entsprechenden Pas­ sagen im Plan A von Christian Kern und sozialpartnerschaft­ liche Gespräche in diese Richtung, bei denen die Ge­ werschaftsbürokraten ihre prinzipielle Bereitschaft zur Kapitulation schon angedeu­ tet haben, waren deutliche Warnsignale­. Jetzt allerdings wird von Kurz/Strache umgesetzt, was sich die Industriellenvereini­ gung und die Wirtschaftskam­ mer erwarten. Die großen und mittleren Kapitalisten und Investoren, wie KTM­ Boss Stefan Pierer, holen sich jetzt die Rendite für die Spen­ den im Wahlkampf ab. Die FPÖ, die sich seit Jahren fre­ cherweise als „neue Arbeiter­ partei“ feiern lässt und angeblich eine soziale Hei­ matpartei sein will, hat sich wieder einmal gründlich ent­ larvt. Peinlich, wie Asozialmi­ nisterin Beate Hartinger­Klein am ÖGB­Kongress versucht hat, sich als Freundin der „Ar­ beitnehmer“zu präsentieren und dafür berechtigte Pfiffe und Biúhrufe erntete. Zur Ab­ lenkung zünden die Herren Kurz und Strache wieder ein­ mal ihre typischen Nebelgra­ naten: Da wird von neuen, ausländerfeindlichen Achsen schwadroniert, eine Albani­ enroute erfunden, ein Konflikt mit muslimischen Religions­ gemeinschaften vom Zaun ge­ brochen, um den unsozialen Umbau der Republik zu ver­ nebeln­. Wenn ÖGB­Präsident Katzi­ an in Interviews und vor den Fernsehkameras seiner Em­ pörung über das Vorgehen der Regierung freien Lauf

FPÖ - Partei der Reichen Heute: Die Strache-Lügen zur Arbeitszeit Die Haltung der FPÖ zum 12-Stunden-Tag darf vorsichtig ausgedrückt als variabel bezeichnet werden. Noch 2013 nannte FPÖ-Chef Strache den 12-Stunden-Tag eine „asoziale, leistungsfeindliche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettolohnverluste bedeuten würde.“ Weiters führte der Führer der (a)sozialen Heimatpartei im „Kurier“ vom 17. September 2013 aus:“Jeder arbeitende Mensch hat es sich verdient, wenn er mehr als acht Stunden am Tag arbeitet, diese Mehrstunden als Überstunden ausbezahlt zu erhalten. Ich möchte darüber hinaus die Überstundenbesteuerung abschaffen, damit Leistung sich wieder lohnt.“ Von Bemühungen der FPÖ, die Überstundenbesteuerung abzuschaffen haben wir seitdem nichts gehört oder gelesen. Viel mehr wissen wir, dass sich die FPÖ als treuer Bündnispartner der Kapitalistenorganisationen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung erwiesen hat. Wieder einmal hat die „Partei des kleinen Mannes“ ihr wahres Gesicht gezeigt und ihre Wählerschaft dreist betrogen. Da waren die Blauen in den 1970er Jahren noch konsequenter, als man verbissen bis zuletzt an der 42-Stunden-Woche festhalten wollte und sich gegen die Einführung der 40-Stunden-Woche stemmte. lässt, können wir das teilwei­ se unterstützen: Ja, es ist eine Sauerei, mit welcher Unver­ frorenheit das Kapital seine Angriffe gegen die arbeitende Bevölkerung durchzieht. Nein, es gibt für uns aber kei­ nen Grund darüber zu lamen­ tieren, dass die Regierung nicht vorher mit dem ÖGB ge­ sprochen hat. „Die Regierung habe mit dem Gewerkschafts­ bund nicht einmal gespro­ chen, kritisierte Katzian weiter. ‚Es ist ihnen wuscht, was wir denken‘“. Genau das ist der sprin­ gende Punkt: Für einen ÖGB, der den Namen Gewerkschaft verdient, gibt es in der Frage der sogenannten Flexibilisie­ rung nichts zu verhandeln, außer einer radikalen Sen­ kung der Arbeitszeit und der Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnaus­ gleich!

Daher nehmen wir auch die Fraktion Sozialdemokrati­ scher Gewerkschafter beim Wort, die bei ihrer Fraktions­ konferenz zu Beginn des ÖGB­ Bundeskongresses erklärte: „Statt einer Ausweitung der Arbeitszeit will die FSG eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, denn kürzere Arbeitszeiten sind ge­ sünder und führen zu mehr Produktivität sowie einer bes­ seren Verteilung der vorhan­ denen Arbeit. Darüber hinaus fordert die FSG die 6. Ur­ laubswoche für alle.“ Die sozi­ aldemokratischen Gewerkschafter_innen sind damit aufgefordert, den Wor­ ten Taten folgen zu lassen. Denn eines ist mittlerweile sonnenklar: Mit weinerlichen Appellen und Diskussionsan­ geboten ist dieser Regierung nicht beizukommen. Die Ge­ schäftsführer der heimischen

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Innenpolitik

Bourgeoisie, genannt Bundes­ regierung, haben längst die Samthandschuhe ausgezogen und ballen nun die eiserne Faust. Denn Plänen von Schwarz­Türkis­Blau muss jetzt schnell, entschlossen und vereint Einhalt geboten werden. Gewerkschafter_innen und Gewerkschafter, Genoss_in­ nen der SPÖ und ihrer Teilor­ ganisationen – kämpft gemeinsam mit allen anderen Lohnabhängigen, welche die Angriffe von Kurz und Strache abwehren wollen, in einer ge­ meinsamen Front! Statt bet­ teln um Verhandlungen –

sofortige Vorbereitung von unbefristeten Streikaktionen! Bildung von Aktionskomitees in Betrieben, Schulen, Univer­ sitäten, Stadtteilen und Dör­ fern! Die arbeitende Bevölke­ rung steht vor schwierigen Aufgaben. Diese werden nur zu lösen sein, wenn es politi­ sche Klarheit über den Weg und das Ziel des Widerstan­ des gegen Türkis­Blau gibt. Die Klarheit wird nicht im Kampf spontan entstehen, sie muss vorher und während der Kämpfe geschaffen wer­ den. Damit wir siegen können, muss dieses Programm inter­

Klassenkampf 31/2018 nationalistisch sein – gegen engstirnigen Nationalismus, gegen die Spaltung unserer Reihen in „Inländer“ und „Ausländer“. Und es muss marxistisch sein – ein Pro­ gramm, das einen klaren Klassenstandpunkt einnimmt, nicht das Wischiwaschigere­ de von „Volksinteressen“ wie­ derkäut oder sich an die rückschrittlichsten Fraktio­ nen unserer Klasse anbiedert; revolutionär, weil die herr­ schende Klasse jeden Tag deutlicher zeigt, dass der Parlamentarismus mit seiner angeblichen „Demokratie“ für sie selbst aus und erledigt ist;

revolutionär heißt: Der verlo­ genen bürgerlichen Demokra­ tie die echte Arbeiterdemokratie entgegen­ zustellen, die Macht der in Räten organisierten Lohnab­ hängigen, direkt gewählt, re­ chenschaftspflichtig und abwählbar, um die frechen Anmaßungen der Reichen zu beenden und ihre Herrschaft zu brechen. Das erforderliche Instrument, eine revolutio­ näre Arbeiter_innenaprtei im Rahmen einer revolutionären Arbeiter_inneninternationale wollen wir aufbauen!

„AULA“ geht ein - der Ersatz wird auch nicht besser

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eit Jahrzehnten für dumpfen Rassismus und Deutschtümelei berüchtigt ist die Monatszeitschrift des Freiheitlichen Akademikerverbands „Aula“. Zuletzt wurde das Blatt mit der Berichterstattung über den österreichischen Beitrag zum Eurovision Song Contest 2018 auffällig. Der Artikel konzentrierte sich auf die Kritik an Abstammung und Herkunft von Sänger Cesar Sampson, der als „ORF-Quotenmohr“ verunglimpft wurde. Weiters schrieb die Aula von einer „Benachteiligung der autochthonen Österreicher“. Es folgten wie bei jedem „bedauerlichen Einzelfall“ die entsetzten Distanzierungen der FPÖ-Parteiführung.

Man versuchte die Verbin­ dungen der FPÖ zur Aula zu relativieren und Parteichef H. C. Strache und sein Stellver­ treter Norbert Hofer waren sich uneins, in welchem Aus­ maß eine Mitarbeit bei der Aula einer Karriere in der FPÖ abträglich sein soll. Obwohl der Song Contest­Skandal bei weitem nicht der einzige war, den die Aula in ihrer 67­jähri­ gen Geschichte verursachte, zog FPÖ­Generalsekretär Ha­ rald Vilimsky Ende Mai 2018 die Reißleine: „Ich gehe da­ von aus, dass der Name Aula vom Markt verschwindet. Die Marke ist so beschädigt, dass sie keine Zukunft hat“.

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Doch damit nicht genug der Beweise von Verbindun­ gen der FPÖ zur Aula. Der Schriftleiter – wie der Chefre­ dakteur bei der Aula heißt – Martin Pfeiffer ist stellvertre­ tender FPÖ­Obmann in einem Grazer Bezirk und hat 2017 bei der Grazer Bezirksrats­ wahl erfolglos für die FPÖ kandidiert. Pfeiffer ruft in der letzten Ausgabe der Aula zur Solidarität mit den 17 Identi­ tären auf, die sich ab 4.7.2018 unter anderem wegen Verhet­ zung vor Gericht verantwor­ ten müssen. Verbindungen zu den Identitären hat auch Au­ la­Herausgeber und FPÖ­Ge­ meinderat Heinrich Sickl.

Ein infamer Artikel über befreite KZ­Artikel löste heftige Reaktionen aus – die FPÖ blieb vergleichsweise „cool“. Warum wohl?

Immerhin vermietet er den Identitären deren Hauptquar­ tier in Graz. Sickl wird auch dem Wunsch der FPÖ­Partei­ führung nach der Einstellung der Aula entsprechen. Für den Herbst 2018 kündigte er allerdings das Erscheinen ei­ nes neuen Magazins an. Die jüngsten Entwicklun­ gen rund um die Aula haben das offene Geheimnis gelüf­ tet, dass zwischen Aula, FPÖ und Identitären enge Verbin­

dungen bestehen. Ob das neue rassistisch­deutschtü­ melnde Blatt „Die Neue Aula“, „Der Nationalfreiheitliche Be­ obachter“ oder ganz anders heißen wird, ist für dessen Beurteilung irrelevant. Wir dürfen uns jedoch auf eine nach wie vor menschenver­ achtende und reaktionäre Ausrichtung gefasst machen.


Klassenkampf 31/2018 Innenpolitik +++nachrichtensplitter+++nachrichtensplitter++++++nachrichtensplitter+++na

Die Bettelei der Das Märchen von der Sozialdemokratie um die „Freiwilligkeit“ Machtbeteiligung

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ebetsmühlenartig hören wir es vom sozialdemokratisch dominierten ÖGB: Liebe Regierung, lasst uns doch bitte an den Verhandlungstisch zurück kehren und die Geschichte der Packelei von reformistischen Arbeiter_innenorganisationen mit offen bürgerlichen, prokapitalistischen Parteien fortschreiben. In einem Flugblatt der GPA zum 12­Stunden­Tag ist zu lesen:"Diesen Raubzug will die Regierung möglichst schnell durchziehen ­ ohne das übliche Begutachtungsverfahren im Parlament, in dem Kritik eingebracht und Änderungen erreicht werden können." Oder anders gesagt: Lasst uns doch ein wenig mitreden und minimale Verbesserungen für die Lohnabhängigen vorweisen, dann werden wir euch diese auch ruhig halten. Weiters ist auf diesem Flugzettel hervorgehoben zu lesen:"Wir kämpfen für ein gutes Leben für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer." Im Klartext: Wir werden an der Macht der Kapitalisten nicht rütteln, aber gesteht uns doch zumindest kleine Verhandlungserfolge zu, damit wir reformistischen Gewerkschafter_innen unsere Existenz rechtfertigen können. Bitte, bitte! Mit diesem ÖGB können Lohnabhängige im Kampf gegen den türkis­blauen Sozialabbau der Regierung Streich und Kürz bestenfalls kosmetische Verbesserungen erreichen. Für einen effektiven Widerstand sind Selbstorganisation und die Bildung von Streikkomitees erforderlich!

Wiener Umweltschmäh: Abgasfrei ab 2050

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s liest sich utopisch und es ist auch utopisch: 28 Mrd. EUR sollen bis 2050 in Wien investiert werden, um die Stadt abgasfrei zu machen. Immerhin knapp 1 % des Bruttoinlandsprodukts der Bundeshauptstadt soll in dieses Projekt gesteckt werden. Damit sollen Wirtschaft und Gesellschaft vollständig entkarbonisiert werden. Die Macher dieser Studie behaupten allerdings unisono mit Österreichs größtem regionalen Stromerzeuger Wien Energie, dass das für keine Stadt in Österreich finanzierbar ist und daher der Bund helfen müsste. Genau das ist der Pferdefuß dieser auf den Zielen des Pariser Klimaabkommen von 2015 basierenden Studie: Wie immer im herrschenden Kapitalismus stellt sich die Frage, wer das bezah­ len soll. Und es ist offensichtlich Fakt, dass unserer Gesellschaft nicht einmal 1 % ihrer Wertschöpfung an Investitionen in ihre Zukunft wert ist. Denn Investitionen in die Zukunft, in etwas wie eine saubere Umwelt ist nicht so profitabel wie die weit einfa­ chere Technologie der Fortbewegung und Stromgewinnung mit fossilen Brennstoffen. Die schlechte Nachricht: In einer Gesell­ schaft, in der Profitmaximierung das oberste Ziel darstellt, ist Ökologie eine Randnotiz zur Behübschung der eigenen unsau­ beren Politik. Die gute Nachricht: Diese Tatsache ist kein Naturereignis. Es liegt an der großen Mehrheit der lohnabhängigen, produktions­ mittellosen Menschen, eine Änderung herbei zu führen.

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benteuerlich wird es, wenn Regierungsvertreter behaupten, dass es freiwillig sei, 12 Stunden am Tag zu arbeiten. Dabei ist von "begründeten Einwänden" die Rede. Die Definition dafür fehlt völlig. Mit dieser Freiwilligkeit ist es wie mit der gesamten Teilnahme der Arbeiter_innen am Lohnsystem: Sie fehlt völlig, was schlicht und ergreifend an den Klassengegensätzen an sich liegt. Die Arbeiter_innen verkaufen ­ in welcher Vertragskonstruktion (Arbeiter_innen, Angestellte, "geringfügig" Beschäftigte, Werkvertragn­ ehmer_innen etc.) auch immer ihre Arbeitskraft den Kapitalisten, um überleben zu können. Wenn sogar die gesetzlichen Möglichkeiten dazu gegeben sind, dann werden die Kapitalisten die Arbeiter_innen umso mehr dazu drängen, ihnen ihre Arbeitskraft im Sinne der Profitmaximierung zur Verfügung zu stellen. Die Konsequenz es abzulehnen, 12 Stunden am Tag zu arbeiten wäre drohender Jobverlust unter dem Motto: Wenn du´s nicht machst, dann wird´s ein anderer machen! Das sind Tendenzen zur Rückkehr zum Frühkapitalismus bis hin zum Taglöhnertum, die mit entschiedenen Mitteln ­ bis hin zum Generalstreik ­ zu bekämpfen sind!

Der Aberglaube „Mich trifft's eh nicht“

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olidarität scheint heutzutage für viele Lohnabhängige ein Begriff aus der politischen Mottenkiste zu sein. So sind in Gesprächen und Diskussionen um den 12-Stunden-Tag immer wieder Aussagen wie "Ich arbeite eh nur Teilzeit!", "In meiner Firma gibt es die 12-Stunden-Woche eh schon!" oder "Ich bin schon in Pension!" zu hören. Das Thema 12-Stunden-Tag ist für die türkis-blaue Regierung des Rassismus und Sozialabbau nur ein Probegalopp. Kommt man damit ohne größere Widerstände und Abänderungen durch, so stehen uns weitere Angriffe bevor: • Im Arbeitsrecht: Generelle Verlängerung der Wochenarbeitszeit, Kürzung des Urlaubsanspruchs, stärkere Besteuerung von Urlaubs­ und Weihnachtsgeld sind dieser Regierung zuzutrauen! • ­ Bei den Pensionen: Erhöhung des Pensionsantrittsalters, Kürzung bestehender und künftiger Pensionen, Erhöhung der Pensionsgeiträge: Diese Regierung arbeitet nach dem Pensionsraub von Schwarzblau 1 längst an der nächsten Pensions"reform"! • ­ Im Gesundheitswesen: Kürzung von Leistungen, Erhöhung bzw. Neueinführung von Selbstbehalten bis hin zur Privatisierung des Gesundheitssystems. Die Ambulanzgebühren von Schwarzblau 1 waren nur ein Vorgeschmack darauf! Fazit: Irgendwann ist jeder vom Sozialabbau persönlich betroffen. Nur der gemeinsame Widerstand gegen alle unsozialen Maßnahmen kann den prokapitalistischen Amoklauf von FPÖVP stoppen!

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Innenpolitik

Klassenkampf 31/2018

Wir lassen uns nicht spalten!

Bildung für alle, kostenlos und mit höchster Qualität!

KiCKL

9. Juni, Wien: Demonstration gegen die geplante Einführung von Deutschklassen Auffallend: Die fehlende Beteiligung sozialdemokratischer Organisationen

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it ihrem Plan von „Deutschklassen“ versucht die reaktionäre FPÖVP-Regierung, die Spaltung der Lohnabhängigen schon bei den Kindern zu beginnen: In- und ausländische Kinder sollen getrennt werden, eine pädagogisch völlig verfehlte Drillschule für Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch wird ihre Zukunftsaussichten noch stärker minimieren, als das die von dieser Regierung geförderte ausländerfeindliche Politik Sollten Kurz, Strache und Fassmann mit ihren Plänen durchkommen, wäre das ein schwerer Schlag gegen das öffentliche Schulsystem, weil die gesamte Unterrichtsqualität sinken würde. Den größten Teil der Schulwoche wären die Klassen zerrissen, soziale Kontakte zwischen den Kindern würden zumindest erschwert, der Spracherwerb, unabhängig von der Muttersprache, würde für alle Kinder erschwert. In der Grundschule werden Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, 15 Stunden von ihren Altersgenoss_innen getrennt; in den Neuen Mittelschulen würden Schüler_innen, die in die Deutschförderklassen

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gezwungen werden, 20 Stunden des Regelunterrichts versäumen – die Chancen auf einen Pflichtschulabschluss werden damit dramatisch gesenkt. Gleichzeitig wird es gerade in Arbeiterbezirken zu Engpässen mit dem Schulraum kommen – woher sollen denn plötzlich die Klassenräume für den deutschen Zwangsunterricht kommen? Das Gegenmodell ist klar: Gemeinsamer Unterricht in Kleingruppen; das heißt: Mehr Lehrerinnen und Lehrer in allen Schultypen; statt Ausgrenzung und Segregation – gemeinsamer Unterricht und gemeinsamer Spracherwerb für alle Schüler_innen in allen

Fächern. Der Kampf gegen die staatlich verordnete Spaltungs­ und Verdummungspolitik an den Schulen ist Teil des Kampfes gegen diese reaktionäre Regierung, die im Dienst der Konzerne und Superreichen die Errungenschaften der Lohnabhängigen und der gesamten werktätigen Bevölkerung angreift. Widerstand in den Schulen, Widerstand an den Universitäten, Widerstand in den Betrieben – das ist die einzige Möglichkeit, um den asozialen Wahnsinn zu stoppen. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam erreichen. Der ÖGB als grundlegende Interessensvertretung der Lohnabhängigen muss aus seinem Dornröschenschlaf aufwachen und mit Aktionen bis hin zum Generalstreik diese Regierung und ihre arbeiterfeindlichen Pläne zu Fall bringen. Auch die SPÖ, die in ihrem neuen

Programmentwurf erklärt, auf Seiten der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend zu stehen, muss in ihrer Gesamtheit endlich Farbe bekennen und nicht nur einigen Jugendorganisationen Proteste gestatten. Bilden wir überall gemeinsame Aktionskomitees, um diese Kämpfe vorzubereiten und Druck auf die Gewerkschaftsführer zu machen, die immer noch auf eine „Sozialpartnerschaft“ hoffen, während sie von Kurz und Strache einen Tritt nach dem anderen bekommen! Diese Komitees müssen so breit wie möglich sein – in ihnen müssen alle Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellten, prekär Beschäftigten, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Nebenerwerbsbauern, Landarbeiterinnen und Landarbeiter, Lehrende… unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit ihren Platz haben, solange sie nur bereit sind, konsequent den Kampf gegen diese Regierung zu führen. Für klassenkämpferischen Widerstand gegen die Sparpolitik von Kurz und Strache, die Sparpolitik im Dienst der herrschenden Klasse! Wir sind eine Klasse, wie haben einen Feind! Solidarität statt Spaltung! Gemeinsam gegen diejenigen, die uns mit ausländerfeindlichen Parolen auseinander­ dividieren wollen.


Klassenkampf 31/2018

Innenpolitik

„Mysteriöses“ Bespitzeln Kranker: Türkis-Blaue Schnüffler im Anmarsch

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ie Türkis-Blaue Regierung verkauft ihre Politik für Kapitalisten bekanntlich ja unter anderem mit dem vordergründig populären Motto, dass sich „Leistung lohnen“ und dass es „fair“ zugehen müsse, niemand sich in der „sozialen Hängematte“ ausruhen solle und nicht ständig aus dem „Topf“ mehr herausgenommen werden dürfe als einbezahlt worden wäre. Dies alles natürlich nur in Richtung der Werktätigen for­ muliert und als Ablenkungs­ manöver von den tatsächlichen Profiteuren des wirtschaftlichen Wertschöp­ fungsprozesses, nämlich den Kapitalisten, Anpatzen geht nämlich in der Kurzschen Welt nur in Richtung von Asylwerbern oder sozial Aus­ gegrenzten, nicht aber von seinen Konzernfreunden. Jüngstes Beispiel für die­ sen Angriff auf die Werktäti­ gen und Lohnabhängigen ist die geplante Bespitzelung von Versicherten. Wie die bürgerliche Presse berichtet herrscht bei Öster­ reichs Krankenversicherungs­ trägern kaum verhohlener Ärger über den von der Bun­ desregierung geplanten Auf­ trag, . Man wolle dies nicht und sei weder gefragt noch eingebunden worden, hieß es nach einer Sitzung der Trä­ gerkonferenz. Niemand im Hauptverband der Sozialversicherungsträ­ ger habe eine solche Geset­ zesänderung bestellt, betonte Ingrid Reischl, Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und Vorsitzende der Trägerkonferenz vor Journali­ sten. "Ich sehe überhaupt kei­ nen Grund, warum wir jetzt kranke Menschen weiter ver­ folgen sollten", sagte sie. Be­ reits jetzt existiere in allen Kassen ein Arbeitsunfähig­ keitsmanagement, das pro­

blemlos und gut funktioniere. Hier zeigt sich die Strate­ gie der Regierung sehr deut­ lich, es sollen eigentlich funktionierende Strukturen der Selbstverwaltung unter­ miniert und letztlich über­ nommen oder abgeschafft werden. Wie sehr sich die Türkisen Machtjünger bereits von den Strukturen und Inhalten der bisherigen Sozialpartner­ÖVP entfernt haben zeigt auch die Reaktion des Hauptverbands­ Chefs Alexander Biach: Man habe Tools, die be­ reits jetzt gut funktionierten, unterstrich er, nicht nur was Krankenstände, sondern auch was etwa die Abrechnung der Ärzte betreffe: "Mir hätte es gefallen, wenn man einmal schaut, was da an Überprü­ fungsmöglichkeiten vorhan­ den ist." Wer dies ins Gesetz geschrieben habe, wisse er nicht, so Biach, der selbst fest in der Regierungspartei ÖVP verankert ist. Mit ihm sei jedenfalls nicht gesprochen worden. Und sogar in der Main­ stream Presse kommt man unschwer dahinter woher der Wind weht und formuliert: Industrie als Verantwortli­ cher? Einen möglichen Verant­ wortlichen sieht man in Kran­ kenversicherungskreisen aber doch. Das gesamte Re­ gierungsprogramm trage die Handschrift der Industrie,

heißt es hinter vorgehaltener Hand. Das ist die Tatsache, die uns durch verschiedene Sün­ denböcke und Routengräuel, vorenthalten werden soll, wir haben es mit einer Eliten­ u Konzernregierung zu tun, die für ihre Klientel holt, was ih­ nen vermeintlich zusteht und die Kranke und Werktätige unterdrückt. Der Obmann der Salzbur­ ger Gebietskrankenkasse macht aus seiner Ablehnung kein Hehl. "Ich will das auch nicht", betont er. Wie sich ein Versicherter illegal Zugang zu Heilmitteln verschaffen kön­ ne, sei ihm schleierhaft, denn es brauche ja einen Arzt, der ihm das Medikament ver­ schreibe und oft auch einen Chefarzt, der dies bewillige. Kritikwürdig sei für ihn auch, dass mit der geplanten ASVG­ Änderung die Datenschutz­ grundverordnung ausgehe­ belt werden solle. Trotzdem werden die Ver­ sicherten und Kranken her­

angezogen und bespitzelt, nicht die eigentlich verant­ wortlichen Ärzte und das hat den Zweck den Druck bei den Lohnabhängigen aufrecht zu halten, um für die Unterneh­ men eine leichter beherrsch­ bare Arbeitermasse zu erhalten. Dazu passt auch, dass für die Ärzte­Klientel von Türkis­ Blau gerade das Mystery Shopping bei Ärzten seitens der unsäglichen Gesundheits­ ministerin Hartinger­Klein ab­ geschafft wird, während mit dem geplanten Gesetz die Versicherten unter General­ verdacht des Heilmittel­ missbrauchs gestellt, Daten gesammelt, Verdachtsfälle per Algorithmen konstruiert und die Versicherten flächen­ deckend gescreent werden. Schöne neue Türkis­Blaue Welt – hoffentlich gibt es bald das psychodelische Video im Netz dazu!

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Spanischer Staat

Klassenkampf 31/2018

Spanischer Staat: Trotz massiver Attacken auf die Lohnabhängigen stürzt das korrupte Regime in eine politische Krise

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ie Lebensbedingungen und die Rechte der Arbeiterklasse wurden in den vergangenen Jahren in den meisten Ländern brutal angegriffen und verschlechtert. Auch kann eine Zunahme der Repression und Beschneidung der politischen und demokratischen Rechte festgestellt werden. panien ist keine Ausnahme, sondern ein besonders krasser Fall (im Vergleich zu anderen europäischen Ländern), weil hier die Krise viel länger gedauert hat (sechs bis sieben Jahre) und die Arbeiterklasse vor Schreck gelähmt und ohne großen Widerstand alle Schläge hingenommen hat. Die Angriffe auf die Pensionen und Arbeits”reformen” von Zapatero, die Arbeits- und Renten”reform” von Rajoy, die Änderung des Strafgesetzbuchs und der Knebelungsparagraph, die Anti-Terror-Gesetze, das Zuwanderungsgesetz,... – während die Vertreter der großen Gewerkschaftsverbände den “sozialen Frieden” aufrecht erhielten und der generellen Erhöhung der Arbeitszeit, der Senkung der Nominallöhne und Entlassungen zustimmten.

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Die Bourgeoisie rettete währenddessen ihre Banken mit öffentlichen Geldern, ver­ weigerte den Migrant_innen die Leistung des öffentlichen Gesundheitswesens und senk­ te die Arbeitslosenunterstüt­ zung. Das ist der Spanische Staat heute: Millionen von Arbeits­ losen, weit verbreitete Armut auch unter denen, die Arbeit haben, Emigration von zwei Millionen Menschen, Zwangs­ räumungen von Häusern, Selbstmorde, Hunger, wäh­ rend sich keine Stimme dage­ gen erhob. PSOE und IU vegetierten sogar im Parla­ ment. Streiks sind praktisch verschwunden: die jährliche Zahl der Streikenden ging von 650.000 im Jahr 2009 auf 183.129 im Jahr 2016 zurück. Die Gewerkschaftsbürokratien erzogen die Arbeiterklasse zu “Aktionstagen”, wobei die For­

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derungen immer lächerlicher wurden (typisch war: „Lohn­ März 2018: Tausende Rentner demonstrieren für Pensionen, die das kürzungen für weniger Entlas­ Überleben sichern sungen "). geht ungebrochen weiter und Es waren bleierne Jahre, umfasst alle Parteien mit Re­ aus denen die Klasse ihrer Ge­ Seitdem ist menschenwür­ gierungspositionen auf allen werkschaften beraubt hervor­ dige Arbeit ein Privileg für ei­ Ebenen (lokal, regional oder gegangen ist (wie kann man nige wenige in einer staatlich), sogar die Monar­ diesen Organisationen ver­ bestimmten Altersbandbreite. chie auf höchster Ebene. Da trauen, die von diesen dem Prekarität in allen Schattie­ die Stücke des zu verteilenden Staat gegenüber völlig loyalen rungen bis an die Grenze des Kuchens kleiner wurden, kam Bürokraten geführt werden?). gesetzlich Zulässigen ist die es zu erbitterten Verteilungs­ Und auch die "linken" Partei­ Norm: die Armee der Schein­ kämpfen zwischen den mafi­ en, die aus der Arbeiterbewe­ selbständigen wächst, also je­ ösen Gruppierungen. Immer gung entstanden, bilden ner, die von Unternehmen, öfter brachen in aller Öffent­ heute mit dem Apparat und einschließlich dem öffentli­ lichkeit die Eiterbeulen der den Institutionen des bürgerli­ chen Dienst, “ausgelagert” Korruption auf ­ sie provozier­ chen Staates eine verschwore­ werden und die kein Streik­ ten die Abdankung von König ne Einheit (PSOE und die recht mehr haben, kein Recht Juan Carlos 2014, die Auflö­ Reste der PCE­IU). auf medizinische Versorgung, sung der CIU, eine schwere keine Pensionsansprüche die Krise in der PSOE und Die “Asambleas” (Ver­ über ein Hungerniveau hin­ schließlich den Zusammen­ sammlungen) vom Mai 2011 ausgehen, keine Abfertigung bruch der Rajoy­Regierung waren ein Zeichen der Verän­ bei Entlassung bekommen, da und wahrscheinlich der PP derung der Lage. Tausende es keinen Arbeitsvertrag gibt. (Volkspartei), die vor Gericht von jungen Menschen (viele als Inkasso­Organisation von von ihnen arbeitslos und viele Die politische Korruption riesigen Bestechungsgeldern aus kleinbürgerlichen Schich­ der Jahre der Verschwendung entlarvt wurde. ten, die plötzlich durch die


Klassenkampf 31/2018 Krise ins Elend gestürzt wor­ den waren) suchten nach et­ was Neuem, empört vor allem durch den Kontrast zwischen der Gesamtsituation der Mas­ sen und dem provokant zur Schau gestellten Luxus aus der Korruption (der wahre Luxus des Bürgertums ist normalerweise sehr diskret und wird vor den Medien ver­ borgen).

beiterklasse sind und sich auf die direkten Arbeitsbeziehun­ gen mit den Kapitalisten und die Verteidigung der grundle­ genden Errungenschaften wie Renten, Bildung und öffentli­ che Gesundheit beschränken.

Auf der politischen Ebene wurde die Suche nach "etwas Neuem" schnell auf einen neuen politischen Apparat (Podemos) gerichtet, der von Niemand hat in dieser Pha­ einigen Medien unterstützt se daran gearbeitet, in den wurde und dessen “offene” großen Gewerkschaftsorgani­ Organisationsform und radi­ sationen revolutionäre Strö­ kale Sprache der ersten Mo­ mungen zu organisieren. nate bald zu dem wurde, was Tatsächlich sind sie tote Or­ ganisationen, ohne General­ versammlungen, ohne Teilversammlungen, ohne Kongresse, die diesen Namen verdienen, ihr internes Leben reduziert sich auf unkontrol­ lierte Aktionen schwachbrü­ stiger Apparate, weil sie finanziell bankrott sind.

DER GEWERKSCHAFTLICHE ORGANISATIONSGRAD DER ARBEITERKLASSE NIMMT AUFGRUND VON AUSTRITTEN UND EXTREMER PREKARITÄT KONTINUIERLICH AB. Die Bemühungen der Akti­ visten, gegen Unternehmer aufzustehen und zu kämpfen, blieb sektoriell und führte Oft zur Stärkung der Reste der alten halbanarchistische CGT. Aber in der Regel entstanden kleine, territoriale Gewerk­ schaften, die sich teilweise nach allen Seiten ausgerichtet verbreitet und manchmal einen wichtigen Platz in den allgemeinen sozialen Kämp­ fen eingenommen haben (In­ tersindicales in Valencià und Katalonien, CIGA in Galizien, teilweise SAT in Andalusien, LAB im Baskenland). Aber all das geschieht auf der Ebene der Gewerkschaften, die also die elementarsten Organisa­ tionen des Kampfes der Ar­

MAN KÖNNTE GLAUBEN, DASS EINE POLITISCH MUND TOT GEMACHTE UND GE WERKSCHAFTLICH SCHLECHT ORGANISIERTE ARBEITER KLASSE, DIE EINER BEISPIEL LOSEN REPRESSION AUSGESETZT IST (ES GIBT HUNDERTE VON GEWERK SCHAFTERN, DIE WEGEN EIN FACHER PROTESTAKTIONEN GERICHTLICH VERFOLGT WERDEN), FÜR DIE HERR SCHENDE KLASSE ZU EINEM POLITISCHEN PARADIES FÜH -

Spanischer Staat bürgerlichen Partei zentrali­ siert zu sammeln die auch die baskischen und katalanischen Komponenten assimilierte. Und obwohl weder die eine noch die andere ein wirkli­ ches Interesse hat, ihre Pro­ vinzen für unabhängig zu erklären, wissen sie sehr gut, dass die alte ungelöste demo­ kratische Forderung nach dem Recht auf Selbstbestim­ mung eine echte Massenstim­ mung (vor allem im Kleinbürgertum) anspricht. Eine Stimmung, die sowohl die PNV (Baskische National­ partei) als auch der PDCAT­ ERC (Katalonische Unabhän­ gigkeitspartei und Katalonische Linke) kanali­ siert und verzerrt, um sie in Verhandlungen mit Madrid als Druckmittel zu verwenden.

Der Sieg der Regierung über die bürgerliche kataloni­ sche Führung war offensicht­ lich, sie konnte sich auf die Zustimmung der PSOE und der Armee stützen. Gestärkt wurde sie durch die fügsame und beschämende Unterwer­ Polizeigewalt gehört im ganzen Spanischen Staat zum Alltag fung der angeblichen “Ver­ die Massen schon kannten: kündiger der Republik” unter REN WÜRDE. Einer Partei, die vom Führer die Einberufung der monar­ (Iglesias) mit eiserner Faust Aber genau das Gegenteil chischen Wahlen und der An­ und sozialdemokratischen ist der Fall: das Fehlen einer wendung der Paragraphen politischen Positionen der unter anderen Bedingungen 155. Klassenzusammenarbeit ge­ notwendigen gemeinsamen führt wurde, um die schlimm­ Front gegen den Klassenfeind Aber die Monarchie zeigt sten Auswirkungen des und der immer kleiner wer­ starke Abnutzungserschei­ Kapitalismus auf die nicht­ dende Kuchen lässt alle inne­ nungen. Sie hat keine Wurzeln bürgerlichen Massen durch ren Widersprüche der in den Massen, Mitglieder der Reformen zu "mildern" (ein Bourgeoisie aufbrechen und Herrscherfamilie wurden we­ unmögliches Unterfangen üb­ verschärft den Krieg um die gen Korruption verurteilt, rigens, wie die werktätige Be­ Sektoren, in denen sie plün­ und sogar der Untersu­ völkerung Griechenlands dern können. Dies ist einer chungssrichter bestätigt, bestätigen könnte). Podemos der Gründe für die Auf­ dass auch Ex­König Juan Car­ wurde geschaffen, um die deckung von Korruptionsfäl­ los angeklagt werden sollte. Aufgabe der PSOE zu erfüllen, len. Dies ist auch teilweise Der derzeitige König Felipe wo diese Partei nicht länger eine Erklärung für die Krise sah sich gezwungen, öffent­ verwurzelt ist. Im Kleinbür­ um Katalonien und des end­ lich zugunsten der Regierung gertum erfüllt Podemos diese gültigen Sturzes der PP­Regie­ einzugreifen. Aber jetzt sind Rolle sehr gut ­ eine Verwur­ rung mit den Stimmen aller diese Regierung und diese zelung in der Arbeiter_innen­ großen "peripheren" bürgerli­ Partei durch eine Verurtei­ klasse hat Podemos aber chen Parteien. Die spanische lung wegen Korruption von nicht geschafft. Bourgeoisie hat es nie ge­ großem Ausmaß zusammen­ schafft, sich in einer einzigen gebrochen. Die Foprderung

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Spanischer Staat nach der Republik erstreckt sich natürlich auf den ganzen Staat. Die katalonische Frage ist nicht nur ungelöst, sie ist eines der Hauptprobleme der neuen PSOE­Regierung, die darauf ausgerichtet ist, die tiefste politische Krise zu überwinden, die das Land seit dem Tod Francos und dem Zusammenbruch der UCD er­ lebt hat Der Sturz von Rajoy und die Bildung der Regierung von Pedro Sánchez wurde von den Massen als eine Art Sieg gesehen, aber in Wirk­ lichkeit war diese Operation ein Befreiungsschlag. Die Re­ gierung der PSOE ist eine bür­ gerliche Regierung mit Mitgliedern, denen die Bour­ geoisie großes Vertrauen ent­ gegenbringt. Ciudadanos, die Partei, die gegründet wurde, um die PP in ihrer Agonie zu ersetzen, hätte es nicht bes­ ser machen können.

Wahlergebnis zu verbessern. Er hat keine parlamentari­ sche Mehrheit, um im Haus­ halts­ und Legislativbereich viel tun zu können. Aber es ist ihm egal, weil er ohnehin nichts Relevantes umsetzen will. Es wird eine Regierung sein, die den Status Quo (der für die Bourgeoisie und die Monarchie angesichts der all­ gemeinen Fäulnis des Staates schon eine ganze Menge ist!) mit PR­Aktionen gegenüber den Arbeiter_innen absichern will. Die Entwicklung rund um die “Aquarius” ist ein Beispiel dafür, was uns erwartet: Eine tränenreiche Werbung für die Humanität der neuen Regie­ rung (und der Stadtverwal­ tungen), aber bei der Ankunft der Migrant_innen werden sie wie zuvor behandelt, inter­ niert, unter unmenschlichen Haftbedingungen in den La­ gern festgehalten und dann aus dem Land gejagt.

Es ist wahr, dass Sanchez alle gewerkschaftlichen, so­ zialen und politischen Gefan­ genen, einschließlich den Mitglieder der katalanischen Regierung, begnadigen könn­ te. Er könnte auch die Staats­ anwälte anweisen, alle Anklagen wegen Verstößen gegen das Knebelungsgesetz, des Gesetzes gegen Aufhet­ Die wenigen Maßnahmen zung, Blasphemie und der Be­ von Pedro Sánchez werden leidigung der Krone nur darauf abzielen, sein einzustellen. Aber er wird das

Die Führer von UGT und CCOO stehen kurz davor, eine Vereinbarung mit den Unter­ nehmerverbänden zu unter­ zeichnen,denen sie den “sozialen Frieden” nach be­ sten Kräften garantieren wol­ len (so wie unter allen früheren Regierungen).

Klassenkampf 31/2018

nicht tun. Vielleicht lässt er katalonische Gefangene nach Katalonien verlegen ... eine leere Marketing­Geste, aber sympathifördernd. Im Übri­ gen werden die Verhaftungen wegen politischer “Verbre­ chen” Tag für Tag fortgesetzt, mit all den Erniedrigungen, welche die Aktivisten in den Gerichtsverfahren und im Ge­ fängnis erwartet. Mit der Mehrheit, die er jetzt im Parlament hat, könn­ te er in Katalonien ein demo­ kratisches Referendum ermöglichen ­ , aber das wird er nicht tun. Er könnte sogar ein Referendum über die Monarchie ansetzen. Warum nicht ­ seine parlamentari­ sche Basis behauptet ja, dass sie republikanisch ist.

DIE ARBEITER HABEN VON DIESER REGIERUNG NICHTS GUTES ZU ERWARTEN, WE DER VON DER PSOE, NOCH VON PODEMOS, DAS SICH AN DER REGIERUNG BETEILIGEN WILL, NOCH VON DEN GEWERKSCHAFTSBÜROKRA TIEN, DIE VON STAATLICHEN UNTERSTÜTZUNGEN LEBEN. Ebenso wie bezüglich der Gewerkschaften hat niemand die Notwendigkeit einer neu­ en politischen Organisation der Arbeiterklasse, ohne Bin­

dung an die verwesenden Lei­ che der Bourgeoisie propagiert. Inmitten dieser politischen Krise, in der die Streiks wieder zunehmen (ih­ re Zahl hat sich in einem Jahr verdreifacht!) und Demon­ strationen (Rentner, Arbeite­ rinnen) einen fruchtbaren Boden aufbereiten, um eine revolutionäre Partei aufzu­ bauen, wollen die Genoss_in­ nen der IKC mit einem Programm intervenieren, das von den Tagesinteressen der Lohnabhängigen, der Arbeits­ losen und der Jugend ausgeht und den Weg bis zur Machter­ greifung durch das Proletariat weist. Notwendig ist der Kampf für die Klassenunab­ hängigkeit. Niemand außer der IKC vertritt ein solches Programm. Andere Kräfte er­ heben zwar diesen Anspruch, in Wirklichkeit aber unter­ stützen sie durch Zusammen­ arbeit mit der CUP die katalanische Bourgeoisie, durch die Unterstützung von Bildu die Baskische Bourgeoi­ sie, oder durch IU und Pode­ mos die spanische Bourgeoisie. Die Genoss_in­ nen der IKC spüren zum er­ sten Mal seit Jahren Rückenwind beim Kampf für die revolutionäre Arbeiter_in­ nenpartei im Spanischen Staat.

Man kann nicht alles wissen: Kleines Lexikon der erwähnten Organisationen und Parteien CiU: Convergència i Unió war ein bürgerliches Parteienbündnis in der Autonomen Region Katalonien. Zusammenschluss von Convergència Democràtica de Catalunya (CDC, Demokratischer Pakt Kataloniens) und Unió Democràtica de Catalunya (UDC, Demokratische Union Kataloniens) hervor. Aufgelöst im Juni 2015. CCOO: Comisiones Obreros (Arbeiterkommissionen), der PCE nahestehende Gewerkschaft CGT: Confederación General del Trabajo (Allgemeiner Arbeiterverband) , eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft. Entstand aus der traditionellen CNT. CUP: Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit) linksnationalistisches und zentristisches Wahlbündnis in Katalonien IKC: Internaciema Kolektivista Cirklo (Internationalistischer Kollektivistischer Zirkel) Revolutionäre Organisation in Valencia, mit dem CoReP freunschaftlich verbunden PCE-IU: Partido Comunista de España-Izquierda Unida (KP Spani-

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ens-Vereinigte Linke). Ex-Stalinistische reformistische Partei, die mit verschiedenen zentristischen und nationalistischen Parteien das Wahlbündnis IU organisiert hat. PNV: Eusko Alderdi Jeltzalea-Partido Nacionalista Vasco (Nationalistische baskische Partei). Konservative bürgerlich-katholische Partei, dominierende Kraft in Euzkadi (Baskenland) PP: Partido Popular (Volkspartei), 1989 aus der Alianza Popular des faschistischen Ministers Fraga Iribarne (Unter Franco) hervorgegangen. Wirtschaftsliberal und stockkonservativ-katholisch. Mitglied der EVP (wie Kurz und Orban) PSOE: Partido Socialista Obrero Español, älteste Partei des Landes, sozialdemokratisch. Während der Franco-Diktatur mit Hilfe der SPD "neu aufgebaut", seit 1979 nicht mehr mit "marxistischem" Anspruch UGT: Union General de los Trabajadores (Allgemeine Arbeiterunion), der PSOE nahestehende Gewerkschaft


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Frankreich

Frankreich: Ohne Generalstreik kann die Arbeiter_innenklasse nicht siegen

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ie wirtschaftliche Erholung des französischen Kapitalismus führte nicht zum Ende der Angriffe auf die Arbeiter_innen und zur Milderung der Ausbeutung. Die Macron-Philippe-Regierung hat die Vermögenssteuer auf Finanzvermögen beseitigt, die Kapitalsteuer vereinheitlicht und auf 30 % beschränkt, sie wird die Körperschaftsteuer bis 2022 um acht Prozent (auf 25%) senken, hat die Entschädigung für ungerechtfertigte Entlassung abgeschafft und die Sozialversicherungsbeiträge für Renten erhöht … Um eine Bastion der Arbeiterkämpfe zu liquidie­ ren, beschuldigt die Regie­ rung die Eisenbahner, durch ihre rechtliche Situation für die Schulden der SNCF und die wiederkehrenden Proble­ men im Bahnverkehr verant­ wortlich zu sein., In Wirklichkeit sind die fehlen­ den Investitionen schuld ­ das sind genau solche "fake news” wie zahlreiche der un­ wahrscheinlichen Behaup­ tungen des amerikanischen Präsidenten. Die Macron­Philippe­Re­ gierung bereitet bereits neue Angriffe auf den öffentlichen Dienst, die Renten, die Be­ rufsbildung, die Soziallei­ stungen ... vor. Der Wirtschaftsminister kündigt an: "Die öffentlichen Ausga­ ben zu reduzieren, ohne die Sozialhilfe zu kürzen, wäre nicht konsequent" (Bruno Le Maire(Wirtschaftsminister), Europe 1, 20. Mai). Schon jetzt vertreiben die Präfekten Familien aus Notunterkünf­ ten von Samu Social (einer Sozialhilfeeinrichtung). Mei­ stens handelt es sich dabei um weibliche Gewaltopfer und Asylsuchende. Warum kann diese Regie­ rung und das Parlament

mehr reaktionäre Gesetze durchziehen als andere? Wer gibt dem "Präsidenten der Reichen" freie Hand, seine Rolle als sozialer Totengrä­ ber zu spielen? Wie kann die­ se Welle gestoppt werden?

schaften, Mitarbeiter von konkurrierenden Unterneh­ men ...) und für eine Beschäf­ tigungsgarantie für alle Arbeiter (in allen Teilen des Landes) hätte die Regierung besiegen können. Aber diese konnte sich auf die Unterwürfigkeit der Ge­ werkschaftsführer verlassen. Nicht nur der CFDT, die „so

den Präsidentenpalast am 7. Mai als Sieg. Am selben Abend bestätigte der Pre­ mierminister jedoch: "Es wird sich nichts grundlegend an der Regierungsposition ändern" (Le Monde, 8. Mai). Doch die Bürokraten kehrten am 25. Mai zurück. Die Chefs der CGT kamen mit Zuge­ ständnissen wie der "Über­ nahme der Schulden" der

SNCF: Abänderungsvorschläge und Rotationsstreiks Indem Macron und seine Regierung den rechtlichen Status der Eisenbahner an­ greifen und die Bahn für den Wettbewerb öffnen, wollen sie zugunsten der französi­ schen Bourgeoisie eine Hochburg der Arbeiterklasse liquidieren. Die Beschäftig­ ten der SNCF ihrerseits wol­ len ihren Status verteidigen, und alle Lohnabhängigen und Studierenden haben ein Interesse daran, den qualita­ tiv hochwertigen, sicheren und kostengünstigen öffentli­ chen Verkehr zu erhalten. Der Aufruf zum General­ streik für die Beseitigung des „Eisenbahnpakts“ und für die Ausdehnung des Sta­ tus auf alle Eisenbahnbe­ diensteten (bei Subunternehmen, für Mitar­ beiter von Tochtergesell­

Die Gewerkschaftsbürokraten sprechen von "Generalstreik" und meinen isolierte Streiktage. So wird die Kampfbereitschaft der Arbeiter_innen für Verhandlungen und Manöver ausgenützt

schnell wie möglich aus der Konfliktsituation heraus will“ (Le Monde, 27. Mai) und die Regierung vor der Gefahr eines Übergreifens des Kampfes und vor der Selbst­ organisation der Massen warnt.

SNCF durch den Staat. Das heißt: Die arbeitende Bevöl­ kerung soll mit ihren Steuern die Schulden eines Konzerns zahlen, der nicht nur in Frankreich, sondern auch im Ausland die Arbeiter_innen ausbeutet!

Die Führer aller Gewerk­ schaften nahmen an „Ver­ handlungen“ über den Plan der Regierung teil: sie disku­ tierten am 19. Februar den Bericht Spinettas im Auftrag der Regierung, sie nahmen an dreißig Treffen der Trans­ portministerin Borne teil und priesen ihre Einladung in

Weil sie im Vorstand der SNCF sitzen, weil sie vom Staat subventioniert werden, wollten sie alle eine gute "Re­ form" mit Macron aushan­ deln. Alle machten ihm "Vorschläge", sie ersuchten um "Umformulierungen" des Gesetzesentwurfs. Auch die Gewerkschaftsapparate von

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Frankreich

von Streikenden nicht zu be­ zahlen, beginnend bei den Lokführern, Signalgebern und Kontrolleuren . Am 5. Juni stimmte der Senat mit LR­ Mehrheit seinerseits für den Entwurf von Macron.

Die Zeitung unserer Schwesterorganisation in Frankreich Groupe Marxiste Internationaliste

CGT, FO, UNSA, SUD, CFDT entschieden sich gemeinsam für "rotierende Streiks", die die Spaltung zwischen Eisen­ bahnern und anderen Lohn­ abhängigen, die Züge zum Arbeiten brauchen, erleich­ terten.

“Die Parlamentarier haben den Text nur geringfügig überarbeitet, der von der Na­ tionalversammlung geneh­ migt worden war. Er wurde mit 240 gegen 85 Stimmen an­ genommen”. (Le Figaro, 6. Ju­ ni) Die Gewerkschaftsführung bekämpfte mit Unterstützung der politischen Organisatio­ nen LFI (Bewegung von Mélenchon), PCF, LO (sich trotzkistisch nennende Orga­ nisation mit Einfluss in der CGT), NPA (Neue Antikapitali­ stische Partei), POID (aus dem Trotzkismus stammende reformistische Organisati­ on) ... den Generalstreik aller Arbeiter gegen die Regierung. Sie isolierten so die Eisenbah­ ner, schwächten die Bewe­ gung der Jugend, erleichterten die Repression

“77% der Fahrer waren am ersten Tag Anfang April im Streik. Der Anteil aller strei­ kenden Eisenbahner fiel von 34% auf 14% ... Vorsicht ist ge­ boten, wenn über den franzö­ sischen Weg gesprochen wird, aber es besteht eine gu­ Die Jugend in Auste Chance, dass die Regierung bildung geht den eine vom Senat genehmigte Weg des Kampfes Bahnreform erhält, ohne nachgeben zu müssen.”, Seit Jahresbeginn hatten schrieb das führeden bürger­ sich an den Schulen und Uni­ liche Wirtschaftsmagazin versitäten Proteste gegen ein “The Economist” am 2. Juni. neues, von Macron vorge­ schlagenes Zulassungssystem Aktionstage vervollstän­ zu den Hochschulen, "Par­ digten das Demoralisierungs­ coursup", entwickelt. In kurz­ system: laut Schätzungen der en Worten: Macron möchte Polizei (die zwar die absolu­ weg von offenen Universitä­ ten Zahlen nach unten “korri­ ten, hin zu reinen Eliteuniver­ giert”, sehr wohl aber den sitäten ­ und der Hebel dazu Trend anzeigt) nahmen ist eine strenge Auslese der 320.000 am 22. März, 120.000 Studierenden. Da müssen am 19. April, 84 000 am 1. Mai, Motivationsschreiben ver­ 124.000 am 22. Mai, 93.000 am fasst, Beurteilungen der Leh­ 26. Mai teil. rer aus den Schulen vorgelegt, biographische An­ Nach zweieinhalb Monaten gaben gemacht werden ­ und und 27 Streiktagen droht der dann teilt der Staat Studien­ Chef der SNCF, die Ruhetage plätze zu. Von den 810.000

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Hochschulkandidaten, die Studienwünsche eingereicht haben, haben Anfang Juni mehr als 200.000 keine Vor­ schläge erhalten Studenten mobilisierten von März bis Mai an Dutzen­ den Universitäten gegen das geplante System: 1.800 in Nanterre; mehr als 1.000 in Tolbiac, Montpellier und Tou­ louse; Mehr als 4.000 in Ren­ nes 2 ... Die Mobilisierung betraf auch die meist weniger mobilisierbaren Universitäten (Limoges, Strasbourg, Paris 3). Oft wurde Lehr­ und Ver­ waltungspersonal einbezo­ gen. Drei nationale Studentenkoordinationen wurden abgehalten, bei de­ nen Delegationen von etwa dreißig Universitäten zusam­ menkamen. Aber das Fehlen eines Generalstreiks gegen den "Eisenbahnpakt", die of­ fensichtliche Schwäche der Arbeiterklasse, die Entschei­ dungsschwäche ihrer Spre­ cher, der Mangel an Perspektive hat die Studen­ tenbewegung, die oft zu einer Minderheit unter den Inskri­ bierten geworden ist, ge­ schwächt. Die Faschisten nutzten die Gelegenheit, die Blockaden an den Universitä­ ten anzugreifen. Macron konnte die Strei­ kenden als "Profis der Unord­ nung" denunzieren und sie bedrohen: "Wir sind in einem Staat, der Ordnung hält" (TF1, 12. April). Die Ma­ cron­Philippe­Collomb­Regie­ rung hat gewalttätige Polizeieinsätze durchführen können, ohne dass es eine ge­ meinsame Antwort von Stu­ denten und Arbeitern gegeben hat: Bordeaux am 7. März, Dijon am 16. März, Straßburg am 22. März und 4. April, Grenoble am 22. März, 23. April und 7. Mai, Montpel­ lier am 23. März, Nantes am 4. und 11. Mai, Tolbiac am 7. April, Lille am 9. April, Nan­

terre am 10. April, Lyon 2 am 13. April, 7. und 16. Mai, Nan­ cy am 25. April und 3. Mai, Rennes 2 am 2. und 14 Mai, Toulouse 2 in Mirail 9. Mai, Arcueil 11. Mai, Marseille 14. Mai Am 22. Mai wurden hun­ dert Gymnasiasten, die zum Lycée Arago de Paris zurück­ gekehrt waren verhaftet, von der Polizei eingepfercht, Stunden in Dunkelheit, ohne Zugang zu Toiletten und ohne trinken festgehalten, um ein abschreckendes Beispiel zu statuieren. Unaufhörliche Angriffe auf MigrantInnen Innenminister Gérard Col­ lomb, übrigens ein Grün­ dungsmitglied der französischen Sozialistischen Partei, ist einer der übelsten fremdenfeindlichen Hetzer. Seine Positionen schlagen sich im Entwurf des Einwan­ derungsgesetzes nieder, das in der Nationalversammlung mit 228 zu 139 Stimmen und 24 Enthaltungen angenom­ men wurde. Nur ein “macroni­ stischer” Abgeordneter stimmte dagegen ­ er wurde aus der Fraktion ausgeschlos­ sen. Richard Ferrand, der Chef der LREM­Fraktion hatte gedroht, diejenigen auszu­ schließen, die dagegen stim­ men würden. Der Text, der darauf abzielt, Abschiebungs­ verfahren zu beschleunigen, die Dauer der Inhaftierung zu verlängern, und auch Kinder einzusperren, wurde von der Front Nationale als “Schritt nach vorn” gefeiert. Von 2015 bis 2017 regi­ strierte Frankreich jedoch nur 239 325 Asylanträge (0,36% der Bevölkerung, d.h sechsmal weniger als in Schweden, fünfmal weniger als in Österreich und Deutschland). Es nahm auch zwei Mal weniger Flüchtlinge auf als der europäische


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Frankreich Trikolore Ablen-

Durchschnitt. kungsmanöver Menschen, die Migranten helfen, werden von der Justiz bedrängt, wie Cedric Herrou Die gleichen Parteien, die in Roya, wie Martine Landry, zur Unterordnung der Arbei­ eine alte Dame, die für ter_innen unter die kompro­ Amnesty International tätig misslerischen

“nationalen” Einheit. Vor sei­ ner “Massenveranstaltung er­ klärte er einem Privatfernsehsender: “Ich kämpfe für eine Form der Volkseinheit, die das Tren­ nende zwischen Syndikalis­

Blöcke” bezeichnet werden. Vom parlamentarischen Quatschkopf Mélenchon als „rechtsextreme Banden“ (Le Parisien, 2. Mai) denunziert, zog der Demonstrationsblock der Anarchisten während der

Die kämpfende Jugend fordert den Generalstreik ­ und wird von den Bürokraten im Stich gelassen

ist, wie die drei Aktivisten, die wegen “gemeinschaftlicher organisierter Bandenbildung" verfolgt werden, weil sie ver­ suchten, Migrant_innen vor einem Angriff von Schlägern der Identitären in Briançon zu schützen. Im Gegenzug wer­ den die Faschisten, die an der italienisch­französischen Grenze illegal eine Blockade gegen Flüchtlinge errichtet haben, nicht verfolgt. Mamadou Gassam, dieser tapfere junge Mann aus Mali, der einen kleinen Jungen ret­ tete, indem er ein Gebäude erkletterte, wurde nur des­ wegen belohnt, weil die Medi­ en seine Heldentat zeigten. Aber wieviele Mamadous sind ertrunken, zurückgewiesen, terrorisiert, von der franzö­ sischen Regierung und der Europäischen Union verjagt worden?

Gewerkschaftsführungen auf­ rufen und die kämpfende Ju­ gend im Stich lassen, laden zu “freudigen” und “festli­ chen” Großkundgebungen ein. Für den 26. Mai hatte ein Bündnis aus Mélenchons “La France Insoumise”, den letz­ ten Resten der Grünen, die “linksgaullistische” MRC die “Linke” zu einer großen Kundgebung eingeladen. Alle wurden eingeladen ­ bis auf die Sozialistische Partei. Mélenchon konnte oder woll­ te nicht erklären, wodurch sich die PS von der KPF un­ terschied, die ebenso enthu­ siastisch Politik im Interesse der Bourgeoisie betrieben hatte. Alle kamen ­ die KPF, die NPA, LO …. Sie alle folgten der Parole Mélenchons: “Wir müssen uns bei Macron hör­ bar machen!”. Mélenchon beschwor wie­ der einmal die Werte einer

mus, Politik und Zivilgesellschaft überwindet”. Mélenchon knüpft offen an die Tradition der Volksfront der Zwischenkriegszeit an, welche den Weg zur Revoluti­ on blockierte und damit den Faschisten den Weg freimach­ te.

Schwarze Ablenkungsmanöver Die Verrätereien der Ge­ werkschaftsspitzen und das theatralische „rebellische“ und „antikapitalistische“ Ge­ habe der "Widerspenstigen" ("Insou­ mises”) bieten einer anarchi­ stischen Bewegung Spielräume, die in den ver­ gangenen Jahrzehnten als „Schläger“ oder „Autonome“ und jetzt als „Kopf der De­ monstration "oder" schwarze

Mai­Demonstration in Paris an die 1.000 Menschen an. Die schwarzen Blöcke ziehen nicht nur rebellierende Ju­ gendliche an, sondern auch Gewerkschafter, die von den erfolglosen “Aktionstagen” die Schnauze voll haben. “Der Anarchismus war oft genug eine Art Strafe für die opportunistischen Abwei­ chungen der Arbeiterbewe­ gung”, schrieb Lenin in “Die Kinderkrankheit des Kommu­ nismus” vom Mai 1920 Aber die Deklassieren an der Spitze dieser Blöcke wen­ den sich nicht an die Arbei­ terklasse, wollen den Massen nicht helfen, eine soziale Re­ volution zu machen. Sie ver­ achten sie, setzen sich an ihre Stelle, verlassen die Gewerk­ schaften, und suchen eine di­ rekte Konfrontation mit dem Repressionsapparat des Staa­

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Internationaler Klassenkampf tes, die sie nicht gewinnen können. Sie greifen Symbole des Kapitalismus an, statt die kapitalistischen Produktions­ beziehungen selbst anzugrei­ fen. All das macht sie zu einer leichten Beute für infiltrierte verdeckte Ermittler und ande­ re Polizeiprovokateure.

dierenden, zu erzwingen und die Regierung Macron/Philip­ pe zu besiegen wäre die einzi­ ge richtige Lienie gewesen, in den Gewerkschaften und Ver­ sammlungen die Forderungen zu erheben:

Klassenkampf 31/2018

Diese Orientierung war und bleibt die einzig wirksa­ me. Sie wird der Weg zum Sturz der Regierung, zur Auf­ hebung aller bisherigen reak­ tionären Gesetze, zur Erfüllung der Forderungen, zum Stopp der französischen Abbruch aller Verhandlun­ imperialistischen Interventio­ gen! Generalstreik bis zur nen sein. Sie ebnet den Weg Macron und das Ka- Rücknahme der Gesetze! Ko­ für eine Arbeiterregierung, mitees, gewählt von den Voll­ die aus den Komitees hervor­ pital schlagen versammlungen! Regionale geht, den bürgerlichen Staat und nationale Zentralisierung zerstört und das Großkapital Um die Rücknahme des der Komitees! Selbstverteidi­ enteignet, den Weg der Verei­ “Eisenbahnpakets”, die Auf­ gung gegen Polizei und Fa­ nigten Sozialistischen Staaten hebung des Gesetzes über schisten! von Europa. die soziale Auslese von Stu­

Dazu können sich die fort­ geschrittenen Arbeiter nicht auf die schwarzen Blöcke, die zentristische Organisationen (LO, NPA POID ...) und noch weniger die sozialimperialisti­ schen Parteien (LFI, PCF, PS ...) verlassen. Gruppieren wir uns auf der Grundlage der Unabhängigkeit der Arbeiter­ klasse, des Internationalis­ mus, der sozialistischen Revolution neu!

Die Grenzen öffnen! Bewegungs- Macron, Conte, Merkel und Sanch

T

rump, May, Xi, Putin und die Führer der europäischen Mächte, die angeblich in der EU “vereint” sind, ver­ schärfen durch den aufkeimenden globalen Handelskrieg die Gesetze und Maßnahmen, die Migrant_innen den Zutritt zu ihrem Territorium verbieten. Die neue ultranationalisti­ sche italienische Regierung (M5I­Liga) und ihr Innenmini­ ster Salvini haben am 11. Juni das Schiff 'Aquarius der NGO SOS Mediterranean, das 639 Menschen aus Libyen rettete, abgegewiesen. Das Schiff, das Macron in Frankreich nicht einlaufen ließ, fand schließlich am 17. Juni in Valencia (Spanischer Staat) Zuflucht. Während in dieser Situation der Empfang des Schiffes in Spanien als Befreiung erschien, be­ kräftigte der neue spanische Premierminister, Pédro Sanchez (PSOE), dass die Migrant_innen bloß einen Monat Zeit hätten, sich auf die Anwendung der Anti­Immigrations­ gesetze vorzubereiten. Diese ermöglichen der Polizei, die Boote von Migrant_innen (auch aus Marokko) abzuweisen und Migrant_innen in die spanischen Enklaven von Marok­ ko (Ceuta und Menilla) abzuschieben, um sie 60 tagelang oh­ ne Dokumente festhalten zu können, bevor sie ausgewiesen werden. Das Gesetz von Rajoy­Sanchez ist um nichts besser oder schlechter als das im Februar 2018 verabschiedete Ge­ setz Macrons "Asyl und Immigration", das die Haftdauer verlängert und alle Rechtsmittel und Rechte der von Ge­ fängnis bedrohten Migrant_innen reduziert, wenn diese falsche Papiere benutzt haben. Die Migrant_innen der Aquarius werden weder in Frankreich noch in Spanien noch im Rest Europas das Recht auf ein anständiges Leben ha­ ben, ebensowenig wie die 2,4 Millionen Asylbewerber seit 2015, die mal ausgewiesen, mal häufig ohne gültige Papiere ihr Leben fristen müssen und weniger als ein Prozent der europäischen Bevölkerung darstellen. Im Mittelmeer star­ ben 2017 mehr als 3.700 Migrant_innen.

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Das kapitalistische Deutschland, die dominierende Macht in Europa, plant, Migrant_innen in die Staaten, in denen sie ange­ kommen sind, zurück zu schicken, nachdem es seit 2015 mehr als eine Million Arbeiter_innen aufgenommen hat. Von der na­ tionalistischen Welle der Richtung Faschismus gehenden AfD getrieben, beabsichtigt die Regierung von CDU­SPD unter der Leitung von Merkel , strikt die Abschiebungen an die Grenzen der EU anzuwenden, während die seit 2015 Angekommenen in Richtung schwerer und prekärer Arbeiten gedrängt werden. Denn, wie die Regierungen von Österreich, Ungarn, Polen, Slo­ wenien, der Slowakei, Tschechien, Serbien zeigen, braucht, der europäische Arbeitsmarkt diese Arbeitskräfte nicht. Mauern werden errichtet, um Migrant_innen abzuwehren, Gesetze verurteilen diejenigen, die ihnen helfen. Der Kapitalis­ mus stößt nicht nur jedem Land einen Teil der Arbeiterklasse und Jugend in wachsendes Elend, er macht auch die Mi­ grant_innen zu Sündenböcken! Es gibt bereits Anti­Migrant_in­ nen­Abkommen mit dem Diktator Erdogan und Ministerpräsident Tsipras (Syriza), um Migrant_innen in der Türkei (3,9 Millionen) und auf den griechischen Inseln schmachten zu lassen. Seit 2017 unterstützt die italienische Regierung die libysche Küstenwache, und die EU hat Kriegs­ schiffe nach Libyen entsandt, um die Ankunft von Arbeitern und Jugendlichen zu verhindern, die unter Zwangsarbeit und Vergewaltigung leiden.

Migrationen werden durch kapitalistische Ausbeutung und Krieg verursacht Überall auf der Welt benutzen alle Staaten ihre Polizei und ihre Justiz gegen die Immigranten, die vor dem Elend und dem


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Internationaler Kassenkampf

Man kann nicht alles wissen: Kleines Lexikon der erwähnten Organisationen und Parteien CFDT: Confédération française démocratique du travail (Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund). Größter Gewerkschaftsverband Frankreichs. Früher SP-nahe, jetzt ungebunden uns extrem regierungsfreundlich CGT: Confédération générale du travail (Allgemeiner Gewerkschaftsbund), KP-nahe Gewerkschaft, LO ist in der CGT stark vertreten FO: Force ouvrière, reformistischer Gewerkschaftsverband, seit seiner Gründung stark antikommunistisch LFI : La France insoumise (Unbeugsames Frankreich); linkspopulistische sozialpatriotische Bewegung um Jean-Luc Mélenchon LO: Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf), eine sich auf den Trotzkismus berufende Organisation, die versucht, durch ein reformistisches Auftreten das Vakuum zu füllen, das die geschrumpfte KPF hinterlassen hat LR(EM): La République en Marche (Die Republik in

Bewegung) - die von Macron geschaffene Bewegung, an deren Spitze sich die politischen Abfallprodukte der französischen Parteienlandschaft wiederfinden NPA: Neue Antikapitalistische Partei, linksreformistische Partei, die von der LCR, einer der größten sich auf den Trotzkismus berufenden Gruppen initiiert wurde. PCF: Kommunistische Partei Frankreichs - reformistische Partei mit Wurzeln im Stalinismus POID: Parti Ouvrier Indépendant Démicratique, aus dem lambertistischen Trotzkismus stammende reformistische Organisation SNCF: staatliche französische Eisenbahngesellschaft SUD: Teil der zentristisch dominierten Gewerkschaftsfront "Solidaires" UNSA: Union nationale des syndicats autonomes,1993 von ehemaligen "Linken" aus der aufgelösten Lehrergewerkschaft FEN und kleinen, syndikalistischen Gruppen gegründet

und Niederlassungsfreiheit für alle! ez drängen Migrant_innen aus Europa Krieg fliehen, welche die großen imperialistischen Mächte(Chi­ na, USA, Russland, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, Großbritannien ...). ganzen Regionen der Welt aufgezwungen haben. Trump nahm die Verantwortung auf sich,, Kinder von Migrant_innen aus Mexiko von ihren Eltern zu trennen, um die Erwachsenen zurückzuschicken, obwohl er vor dem Aufschrei, den seine Politik entfesselt hat, zurückweichen musste. Aber Millionen von Lateinamerikaner_innen riskieren an der mexi­ kanischen Grenze ihr Leben, um nicht länger im Elend zu ster­ ben. Jede Bourgeoisie benutzt Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, um die Arbeiterklasse zu spalten und “die Fremden” als die Schuldigen des wirtschaftlichen Chaos zu brandmarken, das vom Kapital selbst produziert wird. Vor kurzem hat der ungarische Premierminister Orban ein Gesetz verabschiedet, mit dem Aktivist_inne die Migrant_innen unter­ stützen, zu Gefängnisstrafen verurteilt werden können. In Österreich kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz an, dass mit Deutschland und Italien eine "Achse der Willigen im Kampf gegen die illegale Einwanderung" entstehen könnte. In Italien ruft Salvini dazu auf, "im ganzen Land Straße für Straße von il­ legalen Einwanderern zu säubern".

Afghanistan, in der Zentralafrikanischen Republik oder in Côte d'Ivoire.

Diese Großmächte, welche die eingewanderten Arbeiter_in­ nen zurückweisen, stehen in der vordersten Front wenn es gilt, ihre Marktanteile und ihre Konzerne zu verteidigen. Im Interes­ se ihrer Aktionäre gehen Polizei und Armee gegen Streiks und antikapitalistische Kämpfe vor. Die großen kapitalistischen Konzerne und ihre jeweiligen Staaten praktizieren genau das­ selbe in den dominierten Ländern, um die Massen zu überaus­ zubeuten und gleichzeitig die “Sicherheit des Landes” an einhemische Handlanger zu delegieren. Wenn dieser oder jener Präsident oder Minister diese Aufgabe nicht mehr erfüllt, wird die militärische Intervention ins Auge gefasst, wie im Irak, in

In jedem Land wirft ein derartiger Kampf die Frage nach den gleichen Rechten für alle und die Frage nach einer Arbeiter­ macht auf, die als einzige fähig ist, die wirtschaftliche Entwick­ lung im Dienst der Bevölkerung, die Öffnung der Grenzen, das Recht auf Niederlassung und Bewegungsfreiheit für alle inner­ halb der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu ge­ währleisten.

Arbeitereinheitsfront für die Öffnung der Grenzen! Angesichts der repressiven Welle gegen Migrant_innen in Europa und anderswo liegt die Verantwortung der Arbeiterbe­ wegung (Parteien und Gewerkschaften) nicht darin, die reak­ tionäre Politik der Schließung der Grenzen und Vertreibungen zu befürworten, sondern den Kampf für die Einheit der Arbei­ terklasse, mit oder ohne Dokumente, Migrant_innen oder nicht, zu führen. Um das Recht von Migrant_innen auf Reise­ und Niederlassungsfreiheit, mit den gleichen Rechten wie ein­ heimische Arbeiter_innen, zu verteidigen, muss die Arbeiter­ bewegung dem Nationalismus, dem Faschismus und der Fremdenfeindlichkeit den Krieg erklären, wie es das “Kommu­ nistische Manifest” zu seiner Zeit tat: “Proletarier aller Länder, vereinigt euch!” Das ist das einzige Losung, die den Migrant_in­ nen und der Menschheit eine Perspektive bietet

20. Juni 2018 Internationales Büro des Kollektivs Permanente Revolution

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ABC des Marxismus

Klassenkampf 31/2018

Warum wir die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ nicht verwenden „Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das ‚Kapital‘ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von "Beschäftigung" gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte”. Friedrich Engels, 1883, Vorrede zur 3. Auflage des "Kapital", MEW, Band 23, S. 34

Dieser knappe, aber inhaltsreiche Satz, wurde 1883 von Friedrich Engels für die “Vorrede” zur 3. Auflage des 1. Bandes des “Kapital” von Karl Marx formuliert. Gültig ist er bis heute. Die Floskel von “Arbeitnehmer” und “Ar­ beitgeber” hat sich bis heute gehalten und verdunkelt auch weiterhin die rea­ len Verhältnisse in der kapitalistischen Wirtschaft. Schon 1847 haben Marx und Engels im “Manifest der Kommunistischen Partei” die beiden grundlegenden Klas­ sen, die einander in der modernen bürgerlichen Gesellschaft gegenüber­ stehen, beschrieben: Die Kapitalisten, also diejenigen, die über das Eigentum an den Produktionsmitteln (Maschinen, Fabriken, Serverfarmen, Ölbohrin­ seln…) verfügen, und die Proletarier, die keine Produktionsmittel besitzen und die einzige Ware, über die sie ver­ fügen, ihre Arbeitskraft, den Kapitali­ sten verkaufen müssen. Der Eigentümer der Produktionsmittel er­ wirbt die Arbeitskraft und lässt den Ar­ beiter (oder die Arbeiterin) mehr produzieren, als dieser erzeugen müs­ ste, um seinen Lebensunterhalt zu decken. Diese letzten Endes unbezahl­ te Arbeitsleistung schafft den Mehr­ wert, den der Kapitalist in Profit umzuwandeln versucht (indem er Ab­ nehmer für die von den Proletariern er­ zeugten Produkte sucht).

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Wenn wir die Begriffe “Kapitalist”, “Bourgeois” (also “Bürger” im Sinne ei­ nes Angehörigen der Klasse, die die Produktionsmittel besitzt), “Proletari­ er” (derjenige, der seine Arbeitskraft verkaufen muss) verwenden, stoßen wir oft auf Unverständnis. Diese Begrif­ fe finden viele “altmodisch” ­ Proletari­ er, gibt’s die überhaupt noch? Das waren doch die mit den Muskelpaketen und dem Riesenhammer, oder? Und Ka­ pitalisten ­ die mit dem Zylinder und der dicken Zigarre… sowas gibts ja auch nicht mehr, das sind doch heute lässige Burschen, die irgendwo Compu­ ter zusammengebaut haben! Wir verwenden diese Begriffe, weil sie sehr genau definiert sind. “Reiche”, “Superreiche”... verwenden wir manch­ mal journalistisch als gleichwertige Be­ griffe.

hat schon mancher Topmanager ge­ jammert, er sei ja auch nur ein armer Angestellter, wenn “sein” Betrieb den Bach hinunterging. Ein “Proletarier” ist so ein für das System unerlässlicher “Unteroffizier des Kapitals” aber sicher nicht. “Proletarier” heißt auch keines­ wegs ausschließlich Fabrikarbeiter (wie manche Menschen glauben, und zwar nicht aus Bosheit, sondern weil sie es in dieser Gesellschaft nur schwer anders zu hören bekommen). Marx hat im 3. Band des “Kapital” über die “kom­ merziellen Arbeiter” geschrieben, die zwar nichts produzieren, dem Kapitali­ sten aber helfen, seinen Mehrwert zu erzielen, indem sie wichtige Arbeiten erledigen und ebenfalls unbezahlte Mehrarbeit leisten ­ etwa Handelsange­ stellte oder der pakistanische “Spedi­ teur” mit Gewerbeschein, der aber nichts anderes ist als ein “outgesource­ ABER NICHT JEDER REICHE IST AUCH ter” Transportarbeiter und Chauffeur. EIN KAPITALIST - SOLANGE ER KEINE Faktum ist jedenfalls: Wir Lohnab­ ARBEITSKRAFT EINKAUFT, UM DURCH hängige, wir Proletarier, “geben” unse­ SIE NEUEN WERT SCHAFFEN ZU LAS re Arbeitskraft gegen einen bescheidenen Lohn dem Kapitalisten, SEN, IST ER EBEN “NUR” REICH UND der sie nimmt und uns Mehrwert pro­ SONST NICHTS. ER KANN LOTTOMIL duzieren lässt, der wiederum das Kapi­ LIONÄR SEIN ODER BANKRÄUBER. DAS tal mehrt und die Spirale der MACHT IHN NOCH NICHT ZUM KAPITA Ausbeutung weiter in die Höhe LISTEN. schraubt. “Proletarier” ersetzen wir oft durch Daher lehnen wir diese verschleiern­ “Lohnabhängige”. Das ist auch nicht den Begriffe “Arbeitgeber” und “Arbeit­ ganz exakt ­ wenn’s hart auf hart geht, nehmer” entschieden ab.


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Deutschland

Die deutsche Bourgeoisie im - bayerischen - Tollhaus

K

aum hat die neue Bundesregierung ihre ersten 100 Tage hinter sich gebracht, machen sich schon erste Zentrifugalkräfte bemerkbar. Streitpunkt: die „Flüchtlingsfrage“. Sie soll das Potenzial haben, die Parteieinheit der deutschen Bourgeoisie von CDU und CSU zu zerstören. Die (bayerische) CSU probt, wieder einmal, den Aufstand gegen die Vorherrschaft der (nicht in Bayern vertretenen) CDU. Ist alles schon einmal da gewesen?

1976, unter Franz­Josef Strauß, beschloss die damali­ ge CSU in Wildbad Kreuth die Aufkündigung der Fraktions­ gemeinschaft mit der CDU im Bundestag der alten Bundes­ republik Deutschland. Nach wenigen Wochen hob sie die­ sen Beschluss wieder auf. Was war passiert? Damals gab es einen Machtkampf zwischen den beiden Parteivorsitzenden Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU). Da­ bei ging es vor allem um das gemeinsame Verhältnis zur FDP und strategische Überle­ gungen zur Gründung einer so genannten Vierten Partei. Am 12. Dezember 1976 wurde der Trennungsbe­ schluss schließlich zurückge­ nommen, die besondere Eigenständigkeit der CSU aber bestätigt. Die Auseinandersetzungen ebneten letztlich für Franz Josef Strauß den Weg zu seiner Kanzlerkandidatur (seinem eigentlichen strategischen Ziel) bei der Bundestagswahl 1980, die er verlor. Später schaffte es einmal die FDP, die von der CSU anvi­ sierte Wählerschaft (deklas­ siertes Kleinbürgertum sowie die um ihre Pfründe bangen­ de Arbeiteraristokratie (Teile der SPD­Wählerschaft)) zu mobilisieren. Unter Mölle­ mann bekam sie in Nordrhein­

Westfalen 9,8%. Im Jahr 2001 beschloss die FDP die „Strate­ gie 18“, mit der sie auf 18% der abgegebenen Wähler­ stimmen bundesweit kommen wollte. Wir sehen: das Potenzial für eine Partei des deklassier­ ten Kleinbürgertums hat es schon immer in einem Aus­

Millionen Menschen in ler Kerne der alten DDR, Deutschland nach wie vor Überstülpen eines anderen existentiell spürbar. Staats­ und Rechtssystems). Die CSU wird, auch nach den neuesten Umfragen, die Was will die Fühabsolute Mehrheit in Bayern rung der CSU heute? verlieren. Das Original AfD ist eben glaubwürdiger in seiner Es stellt sich also die Fra­ menschenverachtenden Poli­ ge, was die Führung der CSU tik als die „Elite“­Partei CSU. mit ihrem derzeitigen Affront gegen die CDU und deren Nach „Merkur.de“ vom Kanzlerin bezweckt. Die Aus­ 25.06.2018 käme die CSU laut einandersetzung über den Stimmungsbild des RTL/NTV­ Umgang mit Flüchtlingen, die Trend­barometers des Insti­ der CSU­Bundesinnenmini­ tuts Forsa auf nur noch 40 ster Seehofer mit der Ankün­ Prozent. Gegenüber ihrem Er­ digung eines nie gebnis bei der Landtagswahl

AfD­Wahlplakat: Ausnahmsweise eine richtige Aussage?

maß bis zu 20­25 % (in der al­ ten Bundesrepublik!) gegeben, berücksichtigen wir die verschiedenen rechtskon­ servativen und faschistischen Parteien und Organisationen. Heute hat nun längst die AfD dieses Potenzial auf sich vereinen können, gestärkt durch die Opfer der Kohl’­ schen Politik der „blühenden Landschaften“ in Ostdeutsch­ land (Massenenteignung durch die Treuhand in den 1990er Jahren mit einherge­ hender Zerstörung industriel­

veröffentlichten 65­Punkte­ Programms entfachte, scheint vorgeschoben, wenn­ gleich sich darin auch ein po­ litischer Überlebenskampf der CSU in Bayern als unum­ schränkte Herrscherin aus­ drückt. Die Frage des Umgangs mit den Flüchtlin­ gen ist derzeit das einzige Thema in Deutschland, mit dem sich, ganz wie der Rat­ tenfänger von Hameln, mit Tönen scheinbar schöner Art Stimmen fangen lässt. Die Kri­ se des kapitalistischen Sy­ stems ist für über 20

von 2013 verliert sie damit 7,7% (was damals aber noch zu meehr als 50% der Manda­ te im Landtag reichte). Die Grünen bekämen 14%, SPD und AfD je 13%, Freie Wähler (lokale Wählervereinigungen der Kleinbourgeoisie; sehr stabil in Bayern!) 8% und die FDP 5% (muss also um den Einzug in den bayrischen Landtag bangen). Die Linke liegt in Bayern demnach bei 3%. Auch bewertet die Mehr­ heit der Bayern die Arbeit von Söder und Seehofer nega­

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Deutschland tiv. Nur 38% der Bayern sind mit Söder zufrieden. Selbst unter CSU­Anhängern hat Bundeskanzlerin Merkel mehr Befürworter. Während 61 Pro­ zent der CSU­Anhänger mit der Arbeit der Kanzlerin zu­ frieden sind, sagen 56 Prozent dies über Söder. Es geht also um den Erhalt der politischen Macht für die dem deutschen Großkapital verpflichtete, aber vom bayri­ schen Kleinbürgertum, insbe­ sondere auf dem Lande, gestützte CSU als eigenständi­ ger Pfahl im Fleische der füh­ renden Partei der deutschen Bourgeoisie, CDU.

Erpressung kontra Poker-Face Der CSU­Bundesinnenmini­ ster Seehofer hat mit Unter­ stützung der CSU­Führung die Erpressung der CDU­Bundes­ kanzlerin Merkel so weit ge­ trieben, wie es nicht einmal Franz­Josef­Strauß gewagt hat: die im Grundgesetz (deutsche Verfassung) veran­ kerte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, seiner Vorge­ setzten, in Frage zu stellen und zu ignorieren. Wenn der EU­Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag keine Einigung in der Flüchtlingspolitik bringt, wird ab Sonntag, 01. Juli 2018, um 00 Uhr zurück geschoben. Heute Abend (Dienstag, 26.06.2018) „kommen die Spitzen von SPD, CDU und CSU zusammen“ (www.sz.de, 26.06.2018), um eine Einigung zu erzielen. Also nicht einmal der Koalitionsausschuss. Nur 8 Personen nehmen teil: An­ gela Merkel (CDU), Andrea Nahles (SPD), Horst Seehofer (CSU), Olaf Scholz (SPD), Uni­ ons­Fraktionschef Volker Kau­ der (CDU), CSU­Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der Chef des Kanzleramts, Helge Braun (CDU). CSU­Dobrindt

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kocht im Vorfeld schon etwas runter („Es wird keine Spal­ tung der Fraktionsgemein­ schaft geben.“), A. Merkel macht klar: „Eine Lösung auf EU­Ebene bis zum 01. Juli 2018 ist unwahrscheinlich.“ Das ist das reale Ergebnis des EU­Sondergipfels vom vergan­ genen Wochenende. Es gilt

(c) Harm Bengen

jetzt schon als sicher, dass es am Donnerstag und Freitag in Brüssel zu keiner Einigung der (noch) 28 EU­Mitglieds­ staaten kommen wird. Die von der CSU­Führung zuge­ standene Zeitgrenze wird überschritten. Damit hätte Seehofer den schwarzen Peter. Er müsste seinem Wortgetöse Taten fol­ gen lassen. Szenarien bis hin zu Neuwahlen werden der­ weil diskutiert. Die Umfrage­ ergebnisse zeigen erste Wirkung. Seehofer beginnt zurück zu rudern: "Wir wollen nicht, dass die Deutschen die großen Zahlmeister in Europa werden. Wenn das ausge­ schlossen ist, sind wir zufrie­ den." (www.welt.de) AfD­WählerInnen können sich bestätigt fühlen. Die CSU­ Oberen sind nichts als „Weicheier“. Merkel reicht schon einmal die Hand zur Versöhnung: „dass wir eine grundsätzlich positive Ein­ stellung zu dem Masterplan und den allermeisten Punk­ ten haben, obwohl die mei­ sten Menschen den Masterplan ja noch nicht kennen“. (www.welt.de,

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26.06.2018) land, Österreich, Italien kam Derweil stützen die SPD­ schon einmal nichts Gutes. Vorderen die Linie der Kanz­ lerin im Ringen um eine ge­ Keinerlei Klassenzumeinsame EU­Politik. Dabei sammenarbeit! werden nun auch Vorschläge für Sammellager für ankom­ Klassenunabhängigmende Flüchtlinge innerhalb keit! Klasseneinheit! der EU oder auch außerhalb (z. B. in Afrika: „Wir bauen Wie immer, so gilt auch jetzt: Von Regierungen der Klassenzusammenarbeit hat noch nie die Arbeiterklasse profitieren können. Sie stär­ ken nationalistische Strömun­ gen in die Arbeiterklasse hinein, wie sich auch in Deutschland zeigt (Betriebs­ ratswahlen bei SIEMENS u.a.). Doch nicht die Flüchtlinge, nicht die Muslime, nicht die Juden, nicht die nach HARTZ­ IV abgeschobenen, oder Euch ein schönes Dorf!“) sonst irgendwelche „unbot­ nicht mehr abgelehnt. Doch mäßigen Minderheiten“ sind auch Nahles (SPD) rechnet verantwortlich für die Zerstö­ nicht mit Ergebnissen heute rung der Lebensgrundlagen Abend im Bundeskanzleramt. weiter Teile der deutschen Seehofer versteht die Welt und der Arbeiterklassen aller nicht mehr. „Er verstehe Länder. Es ist das System der nicht, dass Merkel seinen Ma­ Ausbeutung, dass zu Krieg sterplan Migration wegen ei­ und Vernichtung führt. Es ist nes „technischen Details“ die Klasse der Kapitalisten, scheitern lassen könnte, sag­ die Bourgeoisie, die weltweit te Seehofer "focus online". diesen Raubbau an Natur und „Wir sind ja im Ziel einig, es Mensch täglich neu orche­ geht lediglich um das Verfah­ striert. ren – mir erklärt sich der Wi­ Machen wir Schluss mit derstand nicht und macht diesem System! mich ratlos.“ (www.welt.de, Karl Marx ist auch heute 26.06.2018) noch, im 200. Jahr seiner Ge­ Eine weitere Abkehr brei­ burt, aktuell, ohne Abstriche! terer Wählerschaften ange­ In allen Staaten der Erde sichts solcher Regierungsun­ gilt: „Der Hauptfeind steht im fähigkeiten ist zu erwarten. eigenen Land!“ (Karl Lieb­ Die Partei DIE LINKE kann da­ knecht, 1914) bei nicht von diesem Unwil­ Egal, wie der persönliche len profitieren. Sie ist zwar Lebensstandard des Einzel­ die einzige im Bundestag ver­ nen auch sein mag ­ im Kapi­ tretene Partei, die sich erneut talismus heißt es immer auf ihrem diesjährigen Bun­ noch: „Es rettet uns kein desparteitag in Leipzig für of­ höh'res Wesen, kein‘ Gott, kein fene Grenzen von Kaiser, noch Tribun! Uns aus Deutschland und Europa aus­ dem Elend zu erlösen, das gesprochen hat. Doch geht können wir nur selber tun!“ der gesellschaftliche Trend Proletarier aller Länder, derzeit in die andere Rich­ vereinigt Euch! tung. Von der Achse Deutsch­


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Italien

Italien – zwischen Sternen und Hölle

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m 4. März fanden in Italien Parlamentswahlen statt, aus denen die 5-Sterne-Bewegung (M5) mit 32% Stimmanteil als Siegerin hervorging, ebenso wie die rassistische und nationalistische Lega, die mit 18% Stimmen vor der Forza Italia von Silvio Berlusconi landete (17%), während die Demokratische Partei von Matteo Renzi eine Niederlage erlitt und mit Verlusten von mehr als 6% unter die 20% Marke rutschte. ie darauffolgende Chaosphase der Regierungsbildung dauerte drei Monate und wurde schließlich durch die Vereidigung einer Regierung der beiden populistischen und europakritischen Parteien Fünf-Sterne-Bewegung und Lega beendet.

D

Die beiden entscheidenden Figuren dabei sind Luigi Di Maio, 31­jähriger Spitzenkan­ didat der M5, der als Indu­ strie­ und Arbeitsminister in die Regierung eingezogen ist, und Matteo Salvini, 45­jähri­ ger Journalist von der Lega, Innenminister. Beide sind die eigentlichen starken Männer und Vizepremiers dieser Re­ gierung. Als Ministerpräsident am­ tiert der 53­jährige politisch völlig unerfahrene, parteilose Jurist Giuseppe Conte, dessen Regierungsmannschaft Staatspräsident Sergio Matta­ rella im zweiten Anlauf, nach Auswechslung des europakri­ tischen Wirtschaftsministers, akzeptierte. Der Staatspräsident ist mit dieser Vorgehensweise ein Vertreter der etablierten Poli­ tikkaste, die keinesfalls einen Bruch mit der EU riskieren will oder auch einen Austritt aus dem Euro. Dahinter steht vor allem die italienische In­ dustriellenvereinigung Conf­ industria, die bei einem Antasten der wirtschaftlichen Grundregeln (Austerität, Spa­ ren auf Kosten der Ärmsten) der EU, das „Ende der italieni­ schen Wirtschaft“ an die Wand malt und die den extre­ men Sparkurs der letzten zehn Jahre auf Kosten der Ärmsten aufrecht erhalten

will. Ins Bild passt dazu, dass der nunmehr amtierende Wirtschafts­ und Finanzmini­ ster, Giovanni Tria, römischer Wirtschaftsprofessor, neoli­ berale Ansätze vertritt. Er steht einheitlichen, niedrige­ ren Steuersätzen (flat tax) po­ sitiv gegenüber und findet sich hier auf einer Linie mit der Lega wieder. Diese Steu­ erentlastungen für die Vermö­ genden sollen mit einer Erhöhung der Mehrwehrts­ steuer finanziert werden, ei­ ner Massensteuer, die die Lohnabhängigen und Ärm­ sten am stärksten trifft. Demgegenüber stehen Wahlkampfversprechen der M5, wie ein Grundgehalt von € 780,­­, die der Wirt­ schaftsminister eher kritisch sieht, womit Belastungspro­ ben und Sollbruchstellen schon zwischen M5 und Lega bereits vorgezeichnet sind. Luigi Di Maio und die M5 wollen „das Volk“ an die Macht bringen, weil sie glau­ ben, dass es in der parlamen­ tarischen Demokratie machtlos sei, ein guter Be­ fund, aber ohne Klassenana­ lyse wertlos. Wir haben in Italien eine Situation, die durchaus inter­ essant ist: Millionen Men­ schen, im Norden, aber vor allem Süden Italiens haben

Parteien gewählt, die eine “Veränderung” versprachen. Seit Jahren erlebt das Land ein Spardiktat, das eine Akku­ mulation des Zorns erzeugte, einen wachsenden Wunsch nach Veränderung in den am meisten ausgebeuteten Schichten der Bevölkerung. Innerhalb dieses Systems gibt es aber keinen Ausweg für sie. Das wird die Regierung, bestehend aus M5 und Lega sehr bald unter Beweis stel­ len. Und dann wird sich diese Stimmung bald nicht mehr nur an der Wahlurne, sondern auch in Massenmobilisierun­ gen auf der Straße entladen. Klar ist, dass die 5­Sterne­ Bewegung nicht an der Spitze dieses Kampfes der Massen stehen wird, weil es etwas an­ deres ist mit populistischer Politik Stimmen zu maximie­ ren oder auf theoretisch fun­ dierter Basis den revolutionären Kampf anzu­ führen. Der andere, extrem rassistische, chauvinistische und Richtung klassischem Faschismus gehende Flügel der italienischen Regierung wird von Matteo Salvini gebil­ det, einem glühenden Bewun­ derer Wladimir Putins und Viktor Orbans, ein politischer Freund Marine Le Pens, der in der EU die „neue Sowjetuni­ on“ sieht. Natürlich ist dieser Mann auch umarmter Freund der österreichischen Rechten unter HC Strache. Für den österreichischen Kanzler Se­ bastian Kurz gehört Salvini selbstverständlich zum Per­ sonal der Achse Rom­Wien­ Berlin, und das auf Augenhö­ he. In welche Richtung dieses Italien marschiert scheint klar zu sein, wenn man die

Äußerungen des „piccolo du­ ce“ heranzieht: neben dem obligatorischen „Italia prima“, gehört da auch dazu Roma und Sinti zu beschimpfen und diese „zählen“ und registrie­ ren zu lassen. Einem promi­ nenten Mafiakritiker, der sich auch gegen ihn gestellt hat, will Salvini den Polizeischutz entziehen. Und über allem das Hauptthema der extremen Reaktionäre von Trump, über die Brexitiers bis Kurz und Orban: die Flücht­ linge und alles Fremde an sich, das Salvini abwehren und bekämpfen will. Und die reformistischen Parteien? Die Reformisten unter Mat­ teo Renzi und die Gewerk­ schaftsbürokratie ist gelähmt. Die Verbindung zur Arbeiter­ schaft und zur Gewerk­ schaftsbasis haben sie verloren.. Die Inaktivität der Demo­ kratischen Partei fasst der Schriftsteller Giuseppe Genn­ na zusammen: "Wie Millionen Landsleute habe ich auf einen Ruck in der Partei gewartet, dass sie zum demokratischen Widerstand aufrufen würde. (...) Doch nichts dergleichen ist geschehen. Und so stehen wir jetzt hier ohne jegliche po­ litische Vertretung." Man kann dem Autor nur zurufen, dass er die Hoffnung auf das wundersame Erstehen der „Sozialdemokratie“ fahren lassen kann, denn nur eine revolutionäre internationalistische Arbei­ terInnenpartei kann das kapi­ talistische System der Aus­ beuter beseitigen und den Weg zum Sozialismus bahnen.

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Türkei

Klassenkampf 31/2018

Kurdische Frage und Wahlen in der Türkei Die revolutionären Genossinnen und Genossen von Patronsuz Dünya (PD) leiden seit dem 1. Mai schwer unter der schweren Repression durch das islamistische Regime der AKP. Die vorgezogenen Wahlen haben eine Reihe von Problemen aufgewor­ fen ­ unter anderem das Herangehen an die hauptsächlich in den kurdi­ schen Gebieten verankerte HDP. In einer Erklärung hat PD den Charakter der HDP als bürgerliche Oartei unterstrichen, zugleich aber festgestellt:

„Wenn wir die Forderungen der un­ terdrückten Menschen betrachten, kön­ nen wir folgende Position zur HDP beziehen: Die revolutionären Kommu­ nisten müssen ihre Bereitschaft bekräf­ tigen, die HDP zu unterstützen. Diese Unterstützung bedeutet natürlich nicht die Unterstützung für ihr Programm oder einen politischen Block mit ihr, sondern die Unterstützung aufgrund der Legitimität und Richtigkeit der de­ mokratischen Forderungen des kurdi­ schen Volkes.“

Erdoğan am Weg zur Ein-Mann-Herrschaft - aber die Macht der AKP ist geschwächt

W

ährend die Auszählung der Stimmen noch andauert, hat sich Erdoğan bereits zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. „Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben“, sagte Erdoğan am Abend in Istanbul. Nach Auszählung von Stimmen überschritten habe. mehr als 90 Prozent der Stim­ men lag Erdoğan während der HDP erreicht fast 12 Ansprache bei 52,88 Prozent, berichtete die staatliche Prozent der StimNachrichtenagentur Anadolu. men Damit hätte er die Präsident­ schaftswahl bereits in der ersten Runde gewonnen. Die Trotz systematischen Re­ von der AKP geführte „Volks­ gelverstößen und Unregelmä­ allianz“ könnte nach den vor­ ßigkeiten während der liegenden Teilergebnissen mit Abstimmung ist der Demokra­ deutlich mehr als 340 der 600 tischen Partei der Völker Sitze im Parlament rechnen. (HDP) mit bisher fast 12 Pro­ Sowohl die HDP als auch die zent der Stimmen der Sprung CHP erhoben schwere Mani­ über die Zehnprozenthürde pulationsvor­würfe. Die HDP­ gelungen. Die HDP wird somit Zentrale meldete, die Zahlen mit 74 Sitzen im Parlament von Anadolu seien ein Ver­ weiterhin vertreten sein. such, die Öffentlichkeit zu de­ moralisieren. CHP­Sprecher Laut der Nachrichten­ Bülent Tezcan sagte vor Jour­ agentur IHA sind bisher etwa nalisten in Ankara, dass nach 93 Prozent der Stimmen für den seiner Partei vorliegen­ die Parlamentswahlen aus­ge­ den Teilergebnissen Erdoğan zählt. In mindestens elf Städ­ zu keiner Zeit 48 Prozent der ten in Nordkurdistan liegt die

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HDP dabei vorn. In der Pro­ vinz Amed (Diyarbakir), einer der Hochburgen der HDP, wird bereits ausgiebig gefei­ ert und getanzt.

Hohe Wahlbeteiligung Die Wahlbeteiligung lag mit 87,3 Prozent etwas über der Beteiligung bei den Parla­ mentswahlen vom November 2015, als 85,2 Prozent der Wahlberechtigten abstimm­ ten. Insgesamt waren 59,35 Millionen Wähler zur Stimm­ abgabe aufgerufen, davon rund drei Millionen Auslands­ wähler.

Wahlen unter dem Ausnahmezustand Die Parlaments­und Präsi­ dentschaftswahlen fanden unter dem Ausnahmezustand

statt, der nach dem soge­ nannten Putschversuch vom 15. Juli 2016 verhängt worden war, für den die türkische Re­ gierung den in den USA leben­ den Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Unter dem Ausnahmezustand waren Grundrechte bisher ohnehin schon weitestgehend einge­ schränkt. Erdoğan konnte per Dekret regieren, die nicht vor dem Verfassungsgericht an­ fechtbar sind. Mit seiner „Wiederwahl“ ist der Wandel der Türkei in ein Ein­Mann­ Regime besiegelt. Dabei wird Erdoğan von den erweiterten Befugnissen unter dem Präsi­ dialsystem profitieren, das bei dem umstrittenen Verfas­ sungsreferendum im April 2017 mit knapper Mehrheit gebilligt worden war und nach der Wahl voll in Kraft tritt. Somit wird Erdoğan das Land in eine noch dunklere Zeit führen. (Quelle: ANF­News)


Klassenkampf 30/2018

Organisatorisches

Das Kollektiv Permanente Revolution CoReP Frankreich: Groupe Marxiste Internationaliste www.groupemarxiste.info Österreich: Gruppe Klassenkampf www.klassenkampf.net

Mit dem QR­Code direkt zum Archiv unserer Zeitungen, Flugblätter, Schulungstexte und anderer Materialien!

Die Zeitung der GMI

www.revolucionpermanente.com CoReP / Kollektiv Permanente Revolution

IKC / Internaciema Kolektivista Cirklo (Spanischer Staat)

GMI / Groupe Marxiste Internationaliste (Frankreich)

PD / Patronsuz Dünya (Türkei)

GKK / Gruppe Klassenkampf (Österreich)

TML / Tendencia Marxista Leninista (Brasilien)

Kontakt: gruppe.klassenkampf@gmail.com Die Gruppe Klassenkampf im Internet: www.klassenkampf.net 23


Internationale Solidaritätskampagne

Klassenkampf 31/2018

Türkei: Sofortige Freilassung von Kadir Çınar! Die islamistische Regierung Erdoğan hat am Vorabend des 1. Mai 2018 in mehreren Städten der Türkei 84 Verhaftungen vornehmen lassen. Unsere Genossen von Patronsuz Dünya haben uns mitgeteilt, dass sich unter den Festgenommen Kadir Çınar befindet, der in seiner Wohnung in Bursa in der Nacht des 29. April verhaftet wurde. Kadir ist ein junger Koch, ein Gewerkschaftsaktivist (er war Gewerkschaftsvertreter von Dev Turizm İş), ein Revolutionär und Internationalist. Die Polizei beschuldigt ihn, sich auf Trotzki zu berufen und seine Ideen in sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Gericht hat ihn am 2. Mai für verhaftet erklärt. Er befindet sich in Isolationshaft und die Akten unterliegen der Geheimhaltung. Wir fordern die Freilassung von Kadir Çınar und allen anderen Gefangenen der Arbeiterbewegung und der kurdischen Bewegung, ohne jegliche Sanktionen oder Anklagen! 3. Mai 2018 Kollektiv Permanente Revolution www.revolucionpermanente.com

Protestiert bei den türkischen Botschaften in euren Ländern: Botschaft der türkischen Republik Prinz Eugen-Straße 40 1040 Wien botschaft.wien@mfa.gov.tr Botschaft der türkischen Republik Tiergartenstrasse 19-21 10785 BERLIN botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Solidaritätserklärungen kamen unter anderem bisher von: GKK (Österreich) GMI /Grankreich) RCIT (Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz) Lutte Ouvrière (Frankreich) SNUIPP-FSU 92 (Lehrergewerkschaft Frankreich/Department 92) FSU 03 ( (Lehrergewerkschaft Frankreich/Department 03) CGT-Sektion des Spitals Guillaume Régnier (Rennes, Frankreich) Labournet Deutschland OKDE (Griechenland) TML (Brasilien) PCL (Italien)

IMPRESSUM: Eigentümer, Herausgeber, Verleger, Druck: Gruppe Klassenkampf. Druckort: Wien. Offenlegung nach §25 Mediengesetz: 100%-Eigentümer der periodischen Druckschrift KLASSENKAMPF ist die im Parteienverzeichnis registrierte politische Partei GRUPPE KLASSENKAMPF (früher: Trotzkistische Gruppe Österreichs/TGÖ). Die Partei ist an keinen anderen Medienunternehmen finanziell beteiligt.

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Vanguardia Proletaria (Brasilien) Freedom Socialist Party (USA) Radical Women (USA/Australien)


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