KLASSENKAMPF 32

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Für Rätemacht und Revolution!

KLASSENKAMPF Nummer 32 | September 2018 | 2,--

| Zeitung der Gruppe Klassenkampf, öst. Sektion des Kollektivs permanente Revolution

BASTI MARSCHIERT IN DEN KLASSENKRIEG L RIE T US IND

G UN G I EIN R E NV E L

ANGRIFF AUF DIE AUVA 12 STUNDENTAG ATTACKE AUF MINDEST­ SICHERUNG

FREIE HAND FÜR „STARKEN STAAT“ GRENZEN DICHT FÜR GEFLÜCHTETE

UMWELTSCHUTZ AUSHEBELN Unter anderem in dieser Ausgabe: ÖSTERREICH: SPÖ als zahme Opposition / Zynische Reaktionäre in der Nationalbank / AUVA, Sozialversicherung - der ÖGB schaut zu INTERNATIONAL: Dossier Italien / Deutschlands Parteien in der Krise COREP: Zum Handelskrieg und den Attacken gegen den Iran | und vieles mehr

ISSN: 2220­0657


Editorial

Klassenkampf 32/2018

Christian gibt Pfötchen und Beppo ist sauer, weil keiner mit ihm redet Ein Sittenbild aus der österreichischen Sozialdemokratie

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ie türkis-blaue Regierung setzt mittels Initiativantrag die zulässige Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden hinauf; die türkisblaue Regierung kürzt bei Arbeitslosengeld und Mindestsicherung; die türkis-blaue Regierung setzt zur Zerschlagung der AUVA und der Krankenkassen an; Asozialministerin Beate Hartinger-Klein verhöhnt Arbeitslose, indem sie im Fellner-TV erklärt, man könne doch eh von 150 Euro im Monat leben, wenn die Wohnung bezahlt werde. Und der freiheitliche Verteidigungsminister denkt über eine Verlängerung des Wehrdienstes auf 8 Monate nach. Selbst für eine zahnlose Opposition wäre eine solche Regie­ rung das gefundene Fressen. Selbst eine simpel gestrickte re­ formistische Gewerkschaftsführung würde in einem solchen Umfeld aufblühen. Nicht so die SPÖ und die Spitze des ÖGB. Am 27. Juli erklärte SPÖ­Vorsitzender Christian Kern in sei­ ner sommerlichen Pressekonferenz: „Es gibt keine einzige politische Partei, die nicht gesagt hätte: Wir müssen uns mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit be­ schäftigten. Die Türen wären offen gestanden.“ (Der Standard, online https://www.google.at/amp/s/mobil.derstandard.at/ 2000084255579/Kern­bietet­Koalition­die­Hand­fuer­gemeinsa­ me­Reformen%3famplified=true). Ebenfalls dort findet sich das Zitat: „Der Regierung schreibt Kern ins Stammbuch: ‚Gute Politik würde bedeuten, dass man sagt: Das haben wir vor, re­ den wir darüber.‘“ Und News berichtet: „Man sei aber durchaus bereit, mitzuarbeiten, appellierte Kern an ÖVP und FPÖ, ‚wir sind da nicht beleidigt‘. Angewie­ sen ist die Regierung auf die SPÖ beispielsweise im Bundesrat zur Reform der Bund­Länder­Kompetenzen, also des Artikel 12 der Bundesverfassung. ‚Ich bin absolut bereit, dass wir uns wirklich konstruktiv damit auseinandersetzen‘, erklärte Kern, es liege nur derzeit nichts Brauchbares dazu am Tisch, son­ dern es seien nur ‚Wolken‘ zu sehen“. (). Derweil profiliert sich der burgenländische SPÖ­Landes­ hauptmann Hans Niessl – nun schon seit Jahren in einer Koali­ tion mit der FPÖ – als Scharfmacher in Sachen geschlossener Grenzen: „Ein weiteres Problem, über das gar nicht erst geredet werde, seien die vielen illegal aufhältigen Migranten in Österreich. ‚Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass das rund 250.000 Menschen sind. Das ist eine Stadt wie Graz. Kein gu­ ter Zustand.‘ Für Niessl gibt es deshalb vorerst keine Alternati­ ve zu Kontrollen an Österreichs Grenzen. ‚Derzeit kommen täglich circa 50 Flüchtlinge nach Österreich, das sind 300 bis 400 pro Woche. Ganz wenige kommen über das Burgenland, weil dort die Grenzkontrollen von Polizei und Bundesheer so gemacht werden, dass die Schlepper erwischt werden. Würde man Polizei und Bundesheer von der burgenländischen Gren­ ze abziehen, werden sich die Schlepperrouten sofort ändern.

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Solange die Außengrenzen nicht geschützt werden, müssen wir es selbst tun.‘“ () Wie Niessl auf die Viertelmillion „Illegale“ kommt und wer damit überhaupt gemeint ist, hat der Spezialdemokrat bisher nicht offengelegt. Wozu auch – rechts überholen ist seit langem ein Merkmal des Burgenländers, und da sind offenbar alle Mit­ tel recht. Aber, so werden einige sagen, zum Glück gibt‘s ja noch an­ dere in der SPÖ – vor allem unter den Gewerkschaftern. Mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Bau/Holz und Sozi­ alsprecher der SPÖ Hans Muchitsch haben wir uns ja schon einmal etwas intensiver auseinandergesetzt (). Auch in der Sauren­Gurken­Zeit bleibt dieser seiner Linie treu: „Josef Muchitsch, Oppositionspolitiker (SP­Sozialsprecher) und ÖGB­Spitzenfunktionär (Chef der Gewerkschaft Bau/ Holz) in Personalunion, prophezeit ‘der Regierung einen hei­ ßen Herbst’. Grund sei ein Abbau des Sozialstaates, ohne da­ vor mit Sozialpartnern, Interessenvertretern oder Opposition gesprochen zu haben”, wissen die Oberösterreichischen Nachrichten zu melden. (). Wir lernen hier also: Muchitsch kann (noch) poltern. Warum er poltert, ist allerdings beachtenswert: Es ist offenbar nicht der „Abbau des Sozialstaates“, der ihn ärgert, sondern viel­ mehr, dass die Regierung vor diesem Abbau „nicht mit Sozial­ partnern, Interessenvertretern oder Opposition“ gesprochen habe. Wer uns jetzt billige Polemik vorwirft, täuscht sich. Diese Haltung ist völlig deckungsgleich mit der Anekdote, die wir im oben erwähnten Artikel aus dem Falter zitiert haben. Zitieren wir nochmals vom 10.7.2018: „Der Gewerkschafter und SPÖ­Nationalratsabgeordnete Josef ‘Beppo’ Muchitsch hatte nach einer heftigen Parlamentsdebat­ te alle Abgeordneten von ÖVP und FPÖ per Mail ersucht, doch noch über den Zwölf­Stunden­Arbeitstag zu verhandeln und ei­ ne Begutachtung des Gesetzesentwurfes zuzulassen. Als Vor­ sitzender des Arbeits­ und Sozialausschusses versprach er, das Gesetz werde trotzdem mit 1. Jänner in Kraft treten. 62 Abge­ ordnete der ÖVP und 51 Abgeordnete der FPÖ bekamen den verzweifelten Brief des roten Parlamentariers. ‘Geantwortet hat nur einer, der ÖVP­Abgeordnete Wolfgang Gerstl’ sagt Mu­ chitsch“. Zugleich wird en passant erwähnt, dass Wolfgang Katzian, ÖGB­Präsident und SP­Nationalratsabgeordneter, in den ersten Augusttagen sein Mandat im Parlament zurücklegen wird – er wolle ein „überparteilicher” Präsident sein. So so. Die Idee des einheitlichen Gewerkschaftsbundes mit Fraktionsrecht hat Katzian damit offenbar gründlich missver­ standen. Ohne den real existierenden ÖGB in irgendeiner Wei­ se überzubewerten muss doch klar gesagt werden, dass diese Konstruktion, gemessen an getrennt agierenden Richtungsge­ werkschaften, eine bedeutende Errungenschaft der österrei­


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Editorial

chischen Arbeiter_innen gegenüber anderen europäischen Sozialabbaupläne von türkis­blau nicht aufgehalten werden. Wir können uns als internationalistische Marxisten nicht da­ Kolleg_innen darstellt. Das heißt aber natürlich nicht, dass Ge­ werkschafter, auch nicht der ÖGB­Präsident, politisch absti­ mit begnügen, die Pläne der Regierung zu analysieren und zu nent sein sollen und müssen. Was allerdings notwendig wäre: entlarven und den Arbeiter_innen, Arbeitslosen, Studierenden, Nationalratsabgeordnete dürften nicht gegen die Beschlüsse allen Lohnabhängigen, Vorschläge zu machen, wie der Kampf der Gewerkschaft stimmen oder gewerkschaftsfeindlich agie­ dagegen zu organisieren ist. Wir führen einen Zweifrontenkrieg, weil wir parallel dazu die historisch verräterischen alten Füh­ ren. Und da beginnen dann die Probleme … Woran liegt es, dass SPÖ und ÖGB­Führung so unbeholfen rungen der Lohnabhängigen kritisieren und bloßstellen müs­ bis gar nicht als Opposition agieren? Es handelt sich weder um sen, um die Massen von ihrem Einfluss zu befreien. Unsere praktischen Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Das ein individuelles Versagen, noch um willentliche Bosheit, noch um Dummheit. Es ist – um Karl Marx zu zitieren – auch im Falle hindert uns nicht daran, mit unseren bescheidenen Kräften an dieser Spitzenbürokrat_innen das gesellschaftliche Sein, wel­ Mobilisierungen gegen die Bürgerblockregierung teilzunehmen ches das Bewusstsein bestimmt. Vertreter_innen einer Partei, und ein revolutionäres Programm zu propagieren. Jetzt ist aber die sich schon vor über einem Jahrhundert von der Idee des auch die Zeit gekommen, um durch Schulung und theoretische Sozialismus verabschiedet hat, haben keine wirkliche Alterna­ Arbeit neue Kader für die bevorstehenden Konfrontationen tive zur Politik der offen reaktionären bürgerlichen Parteien heranzubilden. Der Aufbau einer neuen revolutionären Arbei­ anzubieten. Gewiss – nicht nur Sozialdemokraten, sogar be­ ter_innenpartei als Teil einer revolutionären Arbeiter_innenin­ stimmte kleinbürgerliche oder bürgerliche Parteien in aller ternationale ist dringlicher denn je – er setzt bewusste, Welt würden das bestehende kapitalistische System lieber da­ geschulte revolutionäre Kämpfer_innen voraus. Wir laden alle interessierten Kolleg_innen und Genoss_in­ durch aufrechterhalten, dass sie sozialen Frieden erkaufen, und nicht, indem sie die Profitinteressen mit Zwang durchset­ nen ein, an den Treffen der Gruppe KLASSENKAMPF teilzuneh­ zen. Es ist wie alles in dieser Gesellschaft eine Kosten­Nutzen­ men und von unserem Schulungsangebot Gebrauch zu machen und sich an unserer propagandistischen Arbeit zu beteiligen. Rechnung: Was ist einfacher, was ist effizienter? „Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals getrennt Sozialdemokrat_innen haben sich seit den Tagen des 1. vom und außerhalb vom selbständigen politischen und beson­ Weltkrieges als loyale „Krankenpfleger am Bett des Kapitalis­ ders revolutionären Kampfe der Masse selbst geschehen. Erst mus“ gesehen und genauso agiert. Ihr Ziel ist es nicht, diesen der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf Kapitalismus zu überwinden – sie wollen ihn gut geschmiert gibt ihr das Maß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert und reibungslos am Laufen halten. Wie Christian Kern am 1. ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, stählt ihren Willen”, Mai 2018 in Wien so schön sagte: „Wir werden diesen Kapitalis erläuterte der russische Revolutionär W.I. Lenin im Jänner mus nicht überwinden“. Der Regierung Pfötchen geben (Kern), um Verhandlungen 1917 bei einem Rückblick auf die gescheiterte Revolution von betteln (Muchitsch), „konstruktive Vorschläge“ mit extrem re­ 1905. 10 Monate späte siegte in Russland die proletarische Re­ aktionären Inhalten machen (Niessl) – so werden die brutalen volution.

Umweltverträglich? Unerträglich! So macht man abgelehnte Maßnahmen rechtsgültig

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ie Aktivitäten der reaktionären Bürgerblockregierung haben schon so manchen umwelt- und gesundheitspolitischen Scherbenhaufen hinterlassen: Aufhebung des Gesetzes zum Rauchverbot in der Gastronomie, beabsichtigte Zerschlagung der AUVA, Tempo 140 auf Autobahnen, 12-Stunden-Tag. Diese Themen standen wochenlang im Fokus der politischen Diskussion.

Weniger bekannt ist ein Gesetzesentwurf, den die Re­ gierung noch vor der Som­ merpause 2018 zur Begutachtung vorgelegt hat. Dieser sieht massive Ände­ rungen der Umweltverträg­ lichkeitsprüfung (UVP) vor. Die Auswahl, welches Projekt überhaupt einer UVP würdig ist fällt in einem Ministerrats­ beschluss. Dieser beruft sich

auf die Expertenmeinungen der Mitglieder des so genann­ ten Standortentwicklungsbei­ rats. Dieser wird wiederum von der Regierung bestimmt. Der Standortentwicklungsbei­ rat ist nicht auskunftspflich­ tig und muss auch keine Akteneinsicht gewähren. Ge­ gen seine Entscheidungen (al­ so welches Projekt sich überhaupt einer UVP stellen

muss) sind Rechtsmittel nicht zulässig. Und dann kommt der Clou des türkisblauen Demokratie­ verständnisses in Sachen UVP: Die Verfahrensdauer be­ trägt maximal 1 Jahr. Gibt es während dieser Zeit keine Entscheidung, so ist das standortrelevante Vorhaben gemäß Umweltverträglich­ keitsprüfungsgesetz 2000 ge­ nehmigt. Also selbst ein Projekt mit lauter negativen Gutachten wird automatisch genehmigt, so bald die 1­Jah­ res­Frist abgelaufen ist. Be­ schwerden gegen einen Bescheid werden künftig un­

ter Ausschluss der Öffentlich­ keit behandelt werden. Klagen gegen die Anwen­ dung des neuen Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof sind laut Verfassungsexper­ ten zu erwarten. Womit wohl nicht wie von der Regierung beabsichtigt Projekte durch­ gepeitscht sondern im Gegen­ teil nicht genehmigungsfähig werden würden. Diese Regie­ rung beweist einmal mehr wofür sie steht: für eine Poli­ tik für das Großkapital ohne jegliches Bestreben den nach­ folgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hin­ terlassen.

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Innenpolitik

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Die Österreichische Nationalbank - nun fest in asozialer Hand Ein Sittenbild aus der österreichischen Bourgeoisie

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a, es war ein wirklich teilweise unerträglich heißer Sommer. „Eine der schlimmsten Hit­ zewellen in der Geschichte hat Europa seit Wochen im Griff. Die Temperaturen sind hoch und die Konsequenzen groß: Waldbrände von Schweden bis nach Griechenland, extreme Dürren mit nachfolgenden Ern­ teausfälle en masse– natürlich fordern Bauern schon Beihilfe, in Deutschland bis zu eine Mil­ liarde Euro (wie kann es an­ ders sein) – und Schäden, die alleine in Österreich laut Ver­ sicherungsunternehmen schon 210 Millionen Euro betragen könnten. Klimatologen folgen derweil wieder dem Mantra, man solle keine Krise unge­ nutzt lassen und beurteilen das Wetter als Zeichen, dass die Apokalypse nahe ist, sollte nicht schnellstmöglich einge­ griffen werden. Und dann auch noch das Gejammer – man kann praktisch nicht mehr da­ mit aufhören, so anstrengend ist die Wärme derzeit. (...)“ Aber, Gottlob, kein Ver­ gleich zum Jahr 1540, in dem es, so die Überlieferung, ein ganzes Jahr lang brennheiß war. Jedoch ist es heuer nicht mehr so arg. Und warum? „Der Grund dafür ist, ganz einfach, eben jener freie Markt und jenes kapitalistische Den­ ken, das Handel vereinfacht und neue Technologien her­ vorbringt. Statt den rigiden Sy­ stemen des staatlichen Interventionismus, wo ein Aus­ scheren kaum möglich ist, kann auf dem freien Markt je­ der Mann und jede Frau Inno­ vationen hervorbringen, wenn er oder sie will und eine gute

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Idee hat. Der Unternehmer sieht eine Nachfrage für etwas und nutzt sodann seine Res­ sourcen, um die Lücke, die sonst niemand sieht, zu schlie­ ßen und damit Profit zu ma­ chen. Dieser Prozess hat nicht nur immensen und niemals vorstellbaren Wohlstand her­ vorgebracht, sondern auch

gung“. Wer keinen eigenen Swim­ mingpool hat – der hat halt Pech. Und wer sich von Uber kein Essen bringen lässt, ist vermutlich so ein 150­Euro­ im­Monat­Sandler, der ruhig schwitzen soll. Ja, so fröhliche Seiten kann Herr Kai Weiß, Vor­

Arbeiter_innenfeinde im „Haus des Geldes". Sie drucken sich zwar ihren Zaster nicht selbst ­ mit leeren Taschen gehen sie aber sicher nicht hinaus ...

neue Technologien und die Möglichkeiten, sich ändernden Bedingungen anzupassen. Eine Hitzewelle lässt sich eben doch deutlich leichter le­ ben, wenn man in einem kli­ matisierten Haus sitzt, Wasser im Supermarkt einkaufen (oder den Wasserhahn aufdre­ hen), sich per Uber Essen ho­ len und für Strom (damals, anno 1540, noch nicht mal in Träumen vorstellbar) einfach die Steckdose verwenden kann. Mit seinem iPhone kann man derweil seine Bekannten anrufen und sich zusammen im Schwimmbad oder dem ei­ genen Swimming­Pool erfri­ schen. Und wenn man schon keine Klimaanlage hat, ist man zumindest für den Venti­ lator dankbar. Keine dieser Möglichkeiten stand den Men­ schen von 1540 zur Verfü­

standsmitglied des Friedrich August von Hayek­Instituts der Hitzewelle abgewinnen – Kapitalismus sei dank! Das Hayek­Institut ist ein extrem reaktionärer „Think­ tank“ (Ideenlieferant) für Ver­ fechter einer enthemmten ka­ pitalistischen Wirtschaft. Da wird nicht lange humanitäts­ duslerisch gesäuselt und von „sozialer Marktwirtschaft“ ge­ quasselt – bei den Hayeks wird die nackte Profitgier an­ gebetet. Das könnte einen oder ei­ ne ja kalt lassen – wäre die Präsidentin dieses Instituts nicht zufällig Frau Barbara Kolm, die jetzt von Türkis­ Blau als Vizegouverneurin der Österreichischen Natio­ nalbank eingesetzt wurde. Ehe wir uns den Umtrieben der Frau Kolm zuwenden ein

kleines Wörtchen zum neuen Präsidenten der ÖNB, Harald Mahrer. Der 45­Jährige mit ei­ nem halben Dutzend Funktio­ nen (u.a. Präsident der WKÖ, Obmann der SVA, Präsident des ÖVP Wirtschaftsbundes etc.) ist offenbar nicht nur ein kleines Multitalent, sondern vor allem ein besonderer Liebling des Schweigekanz­ lers Sebastian Kurz, der ihm zuliebe sogar seine Vorgänger Reinhold Mitterlehner ver­ grätzte, der selbst gerne an die Spitze der Notenbank auf­ gestiegen wäre. Könnte natür­ lich daran liegen, dass die ÖNB unter anderem die Kon­ trolle über den österreichi­ schen Bankensektor ausübt – und da ist wiederum Herr Mahrer in seiner Rolle als oberster Wirtschaftskämme­ rer deren Vertreter. Multita­ lent oder multiple Persönlichkeit – das ist hier die Frage. Die ÖNB ist auch für Preis­ stabilität und die Beratung der Bundesregierung in Bud­ getfragen zuständig – da kommt dann wohl die patente Frau Kolm ins Spiel. Selbige war von 2003 bis 2006 für die FPÖ im Innsbrucker Gemein­ derat, 2011 wurde sie von der FPÖ in den Budgetausschuss des Nationalrats eingeladen, scheiterte als Kandidatin die­ ser Partei für die Funktion der Rechnungshofpräsidentin und wurde, nachdem sie bei den Koalitionsverhandlungen zwischen der Kurz­VP und der FPÖ an der Seite Strache und Hofers mitverhandelte, zum Dank in den ÖBB­Auf­ sichtsrat und den Universi­ tätsrat der WU Wien gehievt.


Klassenkampf 32/2018 In der Rolle einer Vizegou­ verneurin der ÖNB hat das Wort der Hayek­Fetischistin einiges Gewicht. Was bedeu­ tet ihr liberales Glaubensbe­ kenntnis nun für die Lohnabhängigen in Öster­ reich – oder diejenigen, die arbeitslos oder auf Sozialhilfe angewiesen sind? Lassen wir Frau Kolm selber zu Wort kommen: „Nach und nach wurde aus der Hilfe in der Not ein Rechts­ anspruch im Alltag aller Staatsbürger – und unter be­ stimmten Voraussetzungen auch für Nicht­Staatsbürger. Fern von (eigen­)verantwortli­ chem Handeln haben sich Ar­ beitnehmer und Arbeitgeber daran gewöhnt, dass Staats­ bürger von der öffentlichen Hand verwaltet werden und in allen Lebenslagen Ansprüche an die Gemeinschaft stellen. Betrachten wir aber diese Lei­ stungen kritisch, reduzieren wir die Umverteilung auf das Nötigste, dann kommt es zu enormer Entlastung von Ar­ beitnehmern und Arbeitge­ bern. Das wäre der zukunftsfitte, reformierte Sozi­ alstaat 3.0. Aber ohne kriti­ sches Hinterfragen der Sinnhaftigkeit mancher (selbst­

Innenpolitik ernannter) Staatsaufgaben, ei­ ner Bereinigung und Reduk­ tion wird es nicht gehen.“ Also – klar und offen aus­ gesprochen: Sozialabbau ist das Programm der „Wirt­ schaftsberaterin“ der FPÖ, die sich auch kaltschnäuzig in Interviews dafür ausgespro­ chen hatte, Griechenland „in die Pleite“ zu schicken. Das Hayek­Institut ist inter­ national gut vernetzt. Der Schweizer „Tagesanzeiger“ berichtet über Geldflüsse ei­ ner dubiosen Stiftung namens „Rising Tide“ via Caymanin­ seln an das Hayek­Institut. „Von den Caymaninseln floss ein Teil des Vermögens ver­ mutlich abermals in Lobbying­ organisationen des Neoliberal­ ismus. Wie etwa dem ‚Hayek­ Institut‘ und dem ‚Austrian Economics Center‘ in Wien. Beide Vereine wollen die Leh­ ren des neoliberalen Ökono­ men Friedrich Hayek verbreiten, unter anderem mit einer alljährlichen ‚Free Mar­ ket Road Show‘. Präsidentin Barbara Kolm berät die rechts­ populistische FPÖ in Wirt­ schaftsfragen und forderte die Gründung ‚einer Tea Party in Europa‘. Finanziell unterstützt wird die Road Show unter an­

derem vom «Global Philantro­ pic Trust» auf den Caymaninseln. Informationen über diesen Sponsor gibt es von Kolm nicht. (...) Auffal­ lend sind auch personellen Verzahnungen. In den Vorstän­ den der neoliberalen Think­ tanks in Wien sitzt das amerikanische Ehepaar Matt und Terry Kibbe. Sie waren lange Zeit publizistische Speerspitze der Tea Party. Matt Kibbe leitete die von Ri­ sing Tide mitfinanzierte Lob­ byingruppe FreedomWorks, Terry Kibbe sass im Beirat der Schweizer Stiftung und des Global Philantropic Trust.”. () Wir gehören nicht zu de­ nen, die wegen der „Umfärbe­ rei“ der extrem arbeiter­ feindlichen Regierung in Hy­ sterie verfallen. Die rasche Besetzung von Schlüsselposi­ tionen mit Parteigängern der politische dominierenden Parteien ist in der bürgerli­ chen „Demokratie“ business as usual. Ebenso business as usual ist es, dass bürgerliche Parteien nicht automatisch die intelligentesten, geeignet­ sten, fähigsten Personen in Entscheidungsfunktionen ent­ senden. Das ist nicht nötig, solange eine gut geölte

CoReP / Kollektiv Permanente Revolution

IKC / Internaciema Kolektivista Cirklo (Spanischer Staat)

GMI / Groupe Marxiste Internationaliste (Frankreich)

PD / Patronsuz Dünya (Türkei)

GKK / Gruppe Klassenkampf (Österreich)

TML / Tendencia Marxista Leninista (Brasilien)

Staatsmaschine mit halbwegs fähigen und staatstreuen Be­ amten reibungslos schnurrt. Was uns viel mehr interes­ siert, ist die politische Phy­ siognomie dieser Erfüllungs­ gehilfen und für welches Pro­ gramm sie stehen. Bei Mahrer und Kolm ist das ganz offen­ sichtlich: Hier sind Sachwal­ ter der brutalsten Profit­ macherei am Werk, wobei es prinzipiell keinen Unterschied macht, ob der oder die eine türkis und der oder die ande­ re blau lackiert ist. Wunderwuzzi Kurz ist mit dem Versprechen angetreten, „alles anders“ zu machen; Drei­ Bier­Strache hat im Wahlkampf einen auf sozial gemacht. Und jetzt? Ämterkumulierung wie in der Hochblüte des vielge­ schmähten Proporz der 60er Jahre, und offene Arbeiterfeinde wie in den 30er Jahren am Ru­ der. Die leeren Versprechungen der heimischen Bourgeoisie aus dem Wahlkampf lassen sich tat­ sächlich am asozialen Personal, dass sie einsetzt, exemplifizie­ ren. Und wieder einmal stellen wir fest: Das Gesicht der herr­ schenden Klasse, oder besser: seine Charaktermasken – ist wirklich widerlich.

Kontakt: gruppe.klassenkampf@gmail.com Die Gruppe Klassenkampf im Internet: www.klassenkampf.net 5


Innenpolitik

Klassenkampf 32/2018

Frontalangriff auf die AUVA

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er Sommer 2018 hatte es in sich. Die Bürgerblockregierung schuf den parlamentarischen Rahmen für Angriffe auf wesentliche Arbeiter_innenrechte. Unter zahnlosen Protesten des ÖGB (Klassenkampf berichtete in seiner letzten Ausgabe) ist der 12-Stunden-Tag mit Beginn 1.9.2018 gesetzliche Realität.

Bei der Attacke auf die All­ gemeinen Unfallversiche­ rungsanstalt (AUVA) bediente sich die Regierung eines alten Tricks. Zuerst wurde mit dem Super­GAU der Auflösung der AUVA gedroht. Zudem sollten

reich attraktiver gestaltet werden muss. Mit anderen Worten: Das ist Klassenkampf von oben mit dem Ziel, Ge­ schenke an die Kapitalisten zu verteilen und damit ihre Profite zu erhöhen. Dazu wer­

sollen künftig eingespart wer­ den. Woher die Krankenkas­ sen dann das Geld für diese Behandlungen nehmen sollen ist offen. In die umgekehrte Richtung soll die AUVA 150 Mio Euro. an Einnahmen für die Freizeitunfälle, die sie be­ handelt ,erhalten. Auch bei diesem Punkt ist offen, wer das bezahlen soll. Gleichzeitig finden auch Angriffe auf die Belegschaft

Protestversammlung der AUVA­Beschäftigten in Wien­Meidling. Solange jede Gruppe von Beschäftigten für sich allein kämpft, kann die Regierung jeden Widerstand brechen. Nur der gemeinsame Kampf und der Generalstreik machen einen Sieg möglich!

Unfallkrankenhäuser (UKH) geschlossen sowie Ärzte und Pfleger entlassen werden. Nach Betriebsversammlun­ gen der AUVA­Belegschaft wird alles "halb so schlimm". Der AUVA­Vorstand hat am 21.8.2018 ein 430 Mio. EUR­ Sparpaket mehrheitlich abge­ segnet. Zustimmung dazu gab es auch von in der FCG (Frak­ tion Christlicher Gewerk­ schafter) organisierten Gewerkschaftern. Der Regie­ rungslogik entsprechend wur­ de dieses Sparpaket “notwendig”, weil das Pro­ duktionsmittel Arbeit entla­ stet und der Wirtschaftsstandort Öster­

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den die Unternehmerbeiträge zur Unfallversicherung be­ reits ab 2019 von 1,3 auf 1,2 % und danach bis 2022 auf 0,8 % der Bruttolohnsummen abge­ senkt. 2019 soll noch durch Kürzungen bei Werbemaß­ nahmen zur Unfallvorsorge (was wiederum die Unfallzah­ len steigern wird) sowie bei Instandhaltungen das Auslan­ gen gefunden werden. Da­ nach wird die Umsetzung des Sparpakets noch schwieriger. Arbeitsunfälle werden nicht nur in UKH behandelt. Dafür gibt die AUVA jährlich etwa EUR 150 Mio. an Aus­ gleichszahlungen an die Krankenkassen aus. Diese

der AUVA statt. Der Betrieb der UKH wird in eine 100 %­ Tochter (Ges.m.b.H) der AU­ VA ausgegliedert. Für Neuein­ tritte bedeutet das einen schlechteren Kollektivvertrag oder ­ wie es der Betriebsrat des Lorenz Böhler­UKH Man­ fred Rabensteiner auf den Punkt bringt ­ "gleiche Arbeit, gleicher Stress für weniger Lohn." Änderungskündigun­ gen bzw. Veränderungen des bestehenden Kollektivver­ trags für die AUVA sind nicht auszuschließen. Erst in die­ sem Fall sollen Kampfmaß­ nahmen (Streiks) ergriffen werden. Nach der Zustim­ mung des AUVA­Vorstands

zum Sparpaket ist im ÖGB von Kampfmaßnahmen jegli­ cher Art allerdings keine Re­ de mehr. GPA­Vorsitzende Barbara Teiber stellt sich in einer Stellungnahme als Ret­ terin der AUVA dar und freut sich, dass es zu keinen be­ triebsbedingten Kündigungen kommt. Schlussendlich muss Treiber aber doch einräumen, dass es bei der AUVA­"Re­ form" um Geschenke der Re­ gierung an die Unternehmer geht und die Lohnabhängigen diese werden zahlen müssen. Immerhin will die GPA die Öf­ fentlichkeit laufend über die­ se Umverteilung nach oben informieren. Das heißt nichts anderes als dass der ÖGB die tiefsten Einschnitte im öster­ reichischen öffentlichen Ge­ sundheitswesen seit 1945 kampflos hinnimmt. Die Konsequenzen sind weitreichend. Durch den schlechteren Kollektivvertrag für Neueintritte in die AUVA sind Entsolidarisierung und Privilegiendebatten vorpro­ grammiert. Schlechter be­ zahlte Ärzt_innen und Pfleger_innen bedeuten auch weniger motivierte Ärzt_in­ nen und Pfleger_innen und damit eine schlechtere Ver­ sorgung der Patient_innen. Die ungeklärte Finanzierung von AUVA und Gebietskran­ kenkassen (GKK) ­ also der Beantwortung der Frage, wo­ her die fehlenden EUR 430 Mio. an Unternehmerbeiträ­ gen kommen sollen ­ ist rich­ tungsweisend. Die Tendenz geht in Richtung Leistungs­ kürzung und damit 2­Klassen­ Medizin. Denkbar sind Selbst­ behalte mit der Begründung "die eigene Gesundheit müsse einem doch etwas Wert sein". Denkbar sind auch Unterneh­ merbeitragskürzungen zur ge­


Klassenkampf 32/2018 setzlichen Krankenversiche­ rung und damit eine weitere Umverteilung von den Lohn­ abhängigen zu den Kapitali­ sten. Das, was mit der "Reform" der AUVA und in Folge des ge­ samten Gesundheitswesens passiert, nennt man Klassen­ kampf. Seit dem Ende der So­ wjetunion und der anderen stalinistischen Staaten Osteu­ ropas erleben wir in Öster­ reich und weltweit eine fortgesetzte und immer hem­ mungslosere Offensive der Kapitalistenklasse mit der

Innenpolitik Konsequenz des Abbaus und der Eliminierung von hart er­ kämpften Rechten der Lohn­ abhängigen. Es ist nicht genug, verbrämt den Klassen­ charakter von so genannten "Reformen" zu entlarven, wie dies etwa SPÖ­Gesundheits­ sprecherin Pamela Rendi­ Wagner in einem Gastkom­ mentar in einer großen Tageszeitung zum Thema AU­ VA­Sparpaket getan hat; from­ me Worte allein sind zu wenig. Es ist notwendig aufzuste­ hen, sich zu organisieren und

zu kämpfen. Wir brauchen keine immer neuen Geschen­ ke an die Kapitalisten. Wir brauchen den gesamten Kapi­ talismus nicht, der seine Herrschaft auf Ausbeutung und Unterdrückung aufbaut. Was wir brauchen ist eine so­ lidarische, weltweit geplante und organisierte, an den Be­ dürfnissen der Menschen und dem Schutz der Umwelt ori­ entierte Wirtschaft und Ge­ sellschaft. Das Hindernis für den Aufbau einer solchen Ge­ sellschaft heißt Kapitalismus. Die Arbeiter_innenklasse ist

die einzige Kraft, die dieses Hindernis beseitigen kann. Doch das kann nur mit einer politischen Führung, einer re­ volutionären Arbeiter_innen­ partei gelingen. Auch wenn das heute angesichts der fort­ schreitenden Demoralisie­ rung und Entpolitisierung der Arbeiter_innenklasse uto­ pisch erscheint, so ist das dennoch der einzige Ausweg aus dem kapitalistischen Di­ lemma des sozialen Rück­ schritts und der Umweltzerstörung.

Sozialversicherung:

150-Euro-Beate plant Leistungskürzungen

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enn bürgerliche PolitikerInnen im Klassenkampf vehement zu beschwichtigen versuchen ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Sozialabbau bevor steht. So geschehen von „Sozial“ministerin Beate Hartinger-Klein im Zusammenhang mit der Debatte um die Reform der Sozialversicherungen.

Wenn bürgerliche PolitikerInnen im Klassen­ kampf vehement zu beschwichtigen versuchen ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Sozialabbau bevor steht. So geschehen von „Sozial“ministerin Beate Hartinger­Klein im Zusammenhang mit der Debatte um die Reform der Sozialversicherungen. Spätestens ab 2020 sollen aus 21 nur noch 5 Sozialversi­ cherungsträger geworden sein. Bereits jetzt wurde bis Ende 2019 ein strenger Spar­ kurs verordnet. Dabei wird die Selbstverwaltung des Hauptverbands der Sozialver­ sicherungsträger in Frage ge­ stellt und den Sozialversicherungen unter­ stellt, dass sie nicht wirt­ schaften können. Die finanziellen Einschnitte be­ deuten, dass keine neuen Bauten und Umbauten in Auf­

trag gegeben werden dürfen. Schwierig dürfte die Dienst­ postenbesetzung für Ärzte werden. Hauptverbandschef Alexander Biach fürchtet, dass sich kaum qualifizierte Ärzte finden werden die be­ reit sind, bis 31.12.2019 befri­ stete Verträge zu akzeptieren. FPÖVP scheinen zu schau­ en „was alles möglich ist“ (wie der einstige Bundes­ präsidentschaftskandidat und jetzige Verkehrsminister Nor­ bert Hofer 2016 ankündigte). Mutwillig wird also mit dem Investitionsstopp und den be­ fristeten Verträgen für neu anzustellende Ärzte versucht, das österreichische Gesund­ heitssystem, welches von der OECD als eines der besten der Welt gelobt wird, zu ver­ schlechtern. Private Kranken­ versicherungen, Sanatorien und andere reiben sich be­ reits die Hände. Verlierer sind der „kleine Mann“ und die

„kleine Frau“ ­ also Men­ schen, für die „Sozial“mini­ sterin Hartinger­Klein und ihre FPÖ angeblich da sein will. So wie von der FPÖ ­ nach Beamten, Bankangestellten, Eisenbahnern etc. ­ als Privi­ legienritter hingestellte Kolle­ gInnen der AUVA werden wir bald alle in den „Adelsstand“ der Privilegierten erhoben werden. Als Privilegierte, die eine kostenlose und hoch­ wertige Gesundheitsversor­ gung genießen dürfen.

Dieses und andere Themen kannst Du bei unserem ROTEN TISCH mit uns diskutieren. Jeden 2. Dienstag in der ZYPRESSE, Westbahnstraße 35A, 1070 Wien Alle Termine auf www.klassenkampf.net IMPRESSUM: Eigentümer, Herausgeber, Verleger, Druck: Gruppe Klassenkampf. Druckort: Wien. Offenlegung nach §25 Mediengesetz: 100%Eigentümer der periodischen Druckschrift KLASSENKAMPF ist die im Parteienverzeichnis registrierte politische Partei GRUPPE KLASSENKAMPF (früher: Trotzkistische Gruppe Österreichs/TGÖ). Die Partei ist an keinen anderen Medienunternehmen finanziell beteiligt.

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Italien

Klassenkampf 32/2018

Italien: Die Parlamentswahlen vom 4. März und die Krise des politischen Systems

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ie großen Parteien der vorherigen Periode zerfallen (PD – Partito Democratico, Demokratische Partei; FI – Forza Italia, Vorwärts Italien), die Überbleibsel der Arbeiterbewegung (PRC – Partito della Rifundazione Comunista, Partei der kommunistischen Wiedergründung; LeU – Liberi e Uguali, Die Freien und Gleichen) konnten nicht davon profitieren, zwei vormals marginale Parteien (M5S – MoVimento 5 Stelle, die 5-Sterne Bewegung; LN – Lega Nord, Liga Nord) gewannen dazu. Für manche ist das ein „Rauswerfen der etablierten Parteien“, wie es zu Beginn der sozialen Revolution in Tunesien der Fall war. Allerdings (miss)versteht man darunter auch den Wahlsieg Trumps sowie das Ergebnis in Italien.

ie Regierung Macron­Philip­ pe­Colomb profitiert jedenfalls davon als Rechtfertigung zur Migrantenjagd nach Trump­ Manier und für ihr von Sarko­ zy und Le Pen inspiriertes Ge­ setzesprojekt. Präsident Macron spricht von der Verteidigung der „schönen Ideen“, die man an­ gesichts des Migrations­ druckes nicht mehr verteidigen könne (AFP – Agence France Press, französi­ sche Nachrichtenagentur, 5. März). Dabei verheimlichen alle politischen Parteien der deka­ denten Bourgeoisie, dass • die Armut und politische Instabilität der abhängigen Länder das Ergebnis dieser Be­ herrschung und Fremdausbeu­ tung sind (inklusiver großer Teile des italienischen und französischen Kapitalismus...) • die französische Armee, gemeinsam mit der britischen, eine entscheidende Rolle bei der Zerstörung Libyens 2011 (welche die italienische Regie­ rung damals verhindern wollte) spielte und zur derzeitigen Zer­ störung in Syrien und im Irak beiträgt,

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• die Ungleichheit und die Konflikte in Westasien sowie in Afrika unweigerlich Bevölke­ rungsbewegungen nach sich ziehen, welche in erster Linie die abhängigen Länder selbst treffen. So befinden sich die meisten syrischen Flüchtlinge in Syrien selbst, im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. • der französische Staat, ebenso wie die Schweiz (nicht EU­Mitglied, jedoch Schengen­ land), zum "starken Migrati­ onsdruck" in Italien selbst beigetragen hat, indem das Schengenabkommen aufgeho­ ben wurde und die Grenze nach Italien seit 2015 für Mi­ granten geschlossen wurde. Die meisten Migranten wollten nicht in Italien bleiben, sahen sich jedoch dort eingesperrt. Das führte dazu, dass "Italien sich von den EU­Partnern in Migrationsfragen im Stich ge­ lassen fühlte" (The Economist, 10. März).

Massenarbeitslosigkeit bleibt Der italienische Kapitalis­ mus konnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich dank der Verrätereien der PSI (Partito Socialista Italiano, So­

„Mitte rechts“ M5 ­ Fünf­Sterne­Bewegung „Mitte links“ Südtiroler Volkspartei

zialistische Partei Italiens) und der PCI (Partito Comuni­ sta Italiano, Kommunistische Partei Italiens) in großem Maßstab wieder erholen. Aber Italien war besonders betroffen von den kapitalisti­ schen Weltkrisen 1973­1975 und 2007­2009. Vier Jahre der Rezession (2008­2009, dann 2012­2013) führten zu einem Rückgang des BIP um 9% so­ wie zu einer Verdoppelung der Arbeitslosenrate von 6% 2007 auf 13% Ende 2014. Angesichts der Krise griff Italien wie alle anderen kapita­ listischen Länder, darunter auch China, auf ein erhöhtes Budgetdefizit zurück (5,2% des BIP 2009), was zu einer

Verschuldung von 132% des BIP führte und dem italieni­ schen Staat wenig Spielraum im Budget ließ. Die Regierungen Letta (2013­2014), Renzi (2014­2016) und Gentiloni (2016­2018) sa­ hen sich zur Defizit­ und Bud­ getreduktion gezwungen. Diese von der PD (Partito De­ mocratico, Demokratische Partei) geführten Regierungen fuhren fort, wie alle bürgerli­ chen Regierungen, die Ausga­ ben bei den Arbeitern zu kürzen und der EU den schwarzen Peter zuzuschie­ ben: „die Politiker haben die Verantwortung für den Wachstumsrückgang zurück­


Klassenkampf 32/2018 gewiesen und die Austeri­ tätsauflagen der EU vorge­ schoben“ (The Economist, 10. März). Während der kapitalisti­ schen Krise und der staatli­ chen Sparpolitik gerieten speziell im Süden hunderttau­ sende Menschen in Armut. Im Gegensatz dazu bekamen die Armee, die Polizei und die Banken mehr als je zuvor aus den Staatskassen, ganz zu schweigen von der organi­ sierten Kriminalität. Die italienische Regierung rettete zwei mittelgroße Ban­ ken, die Banco popolare di Vi­ cenza und die Veneto Banca, indem sie der größten Privat­ kundenbank Intesa Sanpaolo 4,785 Milliarden Euro für die Übernahme auf den Tisch leg­ te, wobei sich laut Wirt­ schaftsminister Pier Carlo Padoan der Betrag noch auf 17 Milliarden Euro erhöhen könnte (Le Monde, 25. Juni 2017). Alle bürgerlichen Regie­ rungen Italiens haben beim Versuch, die Flaute zu über­ winden, das Kapital unter­ stützt und die ArbeiterInnen geschröpft: bei den Sozialaus­ gaben (Bildung, Gesundheit, etc.), weniger Kapitalsteuern, Erhöhung des Rentenalters (65 Jahre für Männer, 60 Jahre für Frauen), Pensionskürzun­ gen (Erhöhung des Durch­ rechnungszeitraumes), Flexibilisierung der Arbeit, Er­ höhung der Einschreibgebüh­ ren an den Universitäten, Gehalt der Lehrer „nach Ver­ dienst“, etc. Dank der Erhöhung der Ausbeutungsrate und der Weltkonjunktur kehrte der italienische Kapitalismus En­ de 2014 auf die Wachstums­ strasse zurück: + 1% im Jahr 2015, 0.9% 2016, +1,6% 2017 (allerdings betrug die Wachs­ tumsrate in der Eurozone im gleichen Zeitraum 2,2% und weltweit 3,7%). Trotz dieser Windstille

Italien

bleibt Italien der Kranke der Euro­Zone: das BIP ist weiter mehr als 6% unter dem Vor­ krisenniveau und die Erho­ lung ist weniger nachhaltig als bei den Partnern. Die öf­ fentliche Verschuldung ist weiter über 130 % des BIP und der Bankensektor ist fra­ gil. (Céline Antonin, Dezem­ ber 2017) Die Erholung zeigt sich in der Schaffung neuer Ar­ beitsplätze (900.000 von 2015­ 2017), die Beschäftigungsrate hat das Niveau von vor 2008 erreicht (58,4%) und die Ar­ beitslosenrate hat sich stabi­ lisiert, bleibt aber hoch: 10,8 % der aktiven Bevölkerung und sogar 32,2 % in der Al­ tersgruppe 15­24 Jahre. Im Süden bleibt sie bei 18 %. Unter diesen Bedingungen braucht der italienische Kapi­ talismus im Gegensatz zu Deutschland keine massive Immigration, wenn man es ihm nicht nimmt, die fremden Arbeiter auszuquetschen. Die italienischen Parteien, welche die Fremden zu ihrem Haupt­ ziel machten, wie LN oder FI, kommen zusammen auf über ein Drittel bei den Umfragen. Wenn man diejenigen noch dazu zählt, welche die Migra­ tion zurückdrängen wollen, ohne es zu ihrer zentralen Po­ litik zu machen, wie M5S oder PD, kommt man auf über 84 %. Luigi Di Maio, Chef der M5S, nahm im Frühjahr 2017 in der Migrationskrise im Mit­ telmeer eine sehr harte Posi­ tion ein und machte den Ausdruck „Meerestaxi“ popu­ lär, um damit die von humani­ tären NGOs für Hilfseinsätze vor der libyschen Küste gecharterten Schiffe abzu­ werten. (Le Monde, 7. März)

Die fortlaufenden Verrätereien der Gewerkschaftsbürokratie

Neben der PRC sind nur mehr die traditionellen Ge­ werkschaften als einzige Ar­ beiterorganisationen übriggeblieben. Die größten Gewerkschaften sind der Rei­ he nach: die CGIL (Confe­ derazione Generale Italiana del Lavoro, Italienische Gene­ ralkonföderation der Arbeit, aus der Tradition der KP­Ge­

striellenvereinigung). Im Juli 1993 unterzeichneten sie eine Zustimmung zu Kollektivver­ handlungen auf zwei Ebenen: der Branche und des Betrie­ bes. Die Gewerkschafter sag­ ten auch zu, makro­ ökonomische Einschränkun­ gen wie die Wettbewerbsfä­ higkeit der Unternehmen zu berücksichtigen.

Viele Gewerkschaften, kaum gemeinsame Aktionen: Spaltung und Kompromissbereitschaft schwächt die Basis

werkschaft hervorgegangen), die CISL (Confederazione ita­ liana sindacata lavoratori – Konföderation der Arbeiter­ gewerkschaften, eher sozial­ demokratisch ausgerichtet) und die UIL (Unione Italiana del Lavoro, Italienische Union der Arbeit, reformistisch). Aber in allen imperialisti­ schen Ländern sind die Ge­ werkschaftsbürokraten vom bürgerlichen Staat und den Kapitalisten korrumpiert. Hin und wieder sind sie genötigt, zu Aktionstagen aufzurufen, die dann als Ventil für die Ba­ sis herhalten müssen, um die unterbrochenen Attacken auf die Arbeiterklasse auszuver­ handeln, verschärft durch die Wiederkehr der kapitalisti­ schen Krise und dem interna­ tionalen Wettbewerb. • Im Juli 1992 verzichteten die Bürokraten von CGIL, CISL und UIL auf die gleitende Lohnskala auf Druck der Con­ findustria (italienische Indu­

• Im November 2012 unter­ zeichneten die Bürokraten von CISL und UIL mit den Un­ ternehmern ein “Produktivi­ täts“­Abkommen, wobei die Löhne an das Betriebsergeb­ nis gekoppelt werden. Die Be­ triebsvereinbarungen ersetzen bei der Organisation der Arbeit die Kollektivver­ träge. • Im Juni 2013 unterzeich­ neten die Bürokraten der CGIL, der CISL und der UIL mit der Unternehmerschaft ein Abkommen über die Ge­ neralvertretung. Den Unter­ zeichnern wird das Vertretungsmonopol der Be­ legschaft in den Betrieben ga­ rantiert. Als Folge wird es für die anderen Gewerkschaften (COBAS – Basisgewerkschaf­ ten; CUB – Confederazione Unitaria di Base, Einheitskon­ föderation der Basis; USB, Unione Sindicale di Base, Ba­ sisgewerkschaftseinheit; CSB,...) fast unmöglich, bei

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Italien Betriebsratswahlen teilzuneh­ men. • Im Jänner 2014 unter­ zeichneten die Bürokraten der CGIL, der CISL und der UIL mit den Unternehmern ein Abkommen, welches Schlechterstellungen gegen­ über nationalen Kollektivver­ tragsbestimmungen bezüglich Arbeitszeit und Lohn erlaubt. • Am 28. Februar, am Vor­ abend der Wahl, unterzeich­ neten die Bürokraten der CGIL, der CISL und der UIL mit der Confindustria ein Ab­ kommen über Löhne, welches das Unternehmen bevorzugt und Erhöhungen an den Pro­ duktivitätszuwachs koppelt. So tragen die sozial­impe­ rialistischen Gewerkschafts­ apparate zur politischen und ideologischen Verwirrung der Arbeiterklasse bei, komplet­ tieren die historischen Verrä­ tereien der ex­PSI und der ex­PCI, ebenso wie die „refor­ mistische“ Orientierung der nachfolgenden Parteien der Sozialdemokratie und des Stalinismus (LeU, PRC,...).

Die Migrationspolitik des bürgerlichen Staates Die alte „mitte­links“ Partei L‘Ulivo­PD (der Olivenbaum, später PD), an der Regierung von 2006­2008 und 2013­2018, ebenso wie die mitte­rechts Regierung aus PDL­FI 2001­ 2005 und 2008­2011, versuch­ ten die Einwanderung zu be­ schränken. Einerseits sperrte der Staat die Arbeiter und Ju­ gendlichen ohne ein Verbre­ chen oder Delikt begangen zu haben ein (in CIEs, also Zen­ tren zur Identifikation und Ausweisung; in CARAs, also Identifizierungszentren für Einwanderer ohne Ausweis­ papiere, die Asyl beantragen, sowie CDAs, also Auffangla­ ger oder „Zentren zur Erstun­ terstützung“); andererseits versuchte er den Zugang zu unterbinden (Abkommen mit

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den Kriegsherren in Libyen, Patrouillen auf dem Meer), al­ les mit der Hilfe der EU. So begann die Regierung Letta (Koalition des PD mit, unter anderen, der PDL von Berlus­ coni) im Oktober 2013 nach dem Tod von 366 Flüchtlin­ gen bei einem einzigen Schiffs­ unglück vor Lampedusa die billigere Operation Mare no­ strum, die im November 2014

Klassenkampf 32/2018

stiz zu übergeben, sondern eher eine Front zu bilden, dank einer genauen militä­ rischen Kontrolle bis zur li­ byschen Küste, gegen den Zustrom von Migranten, der Ende Oktober mehr als 50.000 Ankömmlinge be­ trug. Mare nostrum, diese intensive Kontrolle des Mit­ telmeerbereiches wegen der Migrationsbewegung

Während das Mittelmeer zum Massengrab wird, brüsten sich bürgerliche Politiker damit, „Fluchtrouten“ geschlossen zu haben. Zynisch und armselig!

durch die Operation Triton ersetzt wurde, und unter der Führung der EU steht. Während der heuchleri­ schen Gedenkfeier an der Sargreihe kündigt der In­ nenminister Angelino Alfa­ no an, die Regierung habe entschieden, ihre „Mission“ zu ändern und mehr Mittel zur Patrouille als zur Ret­ tung Schiffbrüchiger aufzu­ wenden, und gibt bekannt, diese Änderung als Mare nostrum zu bezeichnen. Of­ fensichtlich ersetzt Mare nostrum nicht Frontex – den europäischen Mechanismus der EU zur Kontrolle der Außengrenzen – in Kraft seit 2005 durch die Verzer­ rung zweier Einrichtungen: Hermes (bestimmt zur Kon­ trolle der Straße von Sizili­ en und der Pelagischen Inseln, also Lampedusa) und Aeneas. Mare nostrum hatte nie wirklich das Ziel, Migrantenleben zu retten oder die Schlepper der Ju­

wurde also im November 2013 eingesetzt. (Rivolu­ zione Comunista, Proletari­ sche Front gegen den Antimigrationskrieg der Staates, 2017, S. 14) Im Juli 2017 nimmt sich die Regierung PD, ebenso wie je­ ne der LREM im Frankreich zur gleichen Zeit, die Organi­ sationen vor, welche Migran­ ten retten. Vor 61 Jahren als Sohn ei­ nes Generals in der Region Kalabrien geboren, ist Mar­ co Minniti ein reines Pro­ dukt der PCI (italienische KP)... In der früheren Kolo­ nie Libyen, wo die transal­ pinen wirtschaftlichen Interessen ebenso wichtig bleiben wie die sehr akti­ ven Gegenspionagedienste, intensiviert der Innenmini­ ster ohne Bedenken die Kontakte mit den lokalen Führern, damit das Auslau­ fen von Booten nach Euro­ pa aufhört, wobei die Küstenwache mit nagelneu­

en Schiffen ausgestattet wird. Im Kanal von Sizilien zwingt er die mit der Ret­ tung aus Seenot beschäftig­ ten NGOs sich einem „Verhaltenskodex“ unterzu­ ordnen. (Le Monde, 14. September 2017) Wegen der Anschuldigung, mehr die „illegale Einwan­ derung zu fördern“ als Le­ ben zu retten wurde der deutschen NGO “Jugend Rettet” ihr Rettungsschiff im Mittelmeer von den italieni­ schen Behörden am Mitt­ woch, den 2. August, beschlagnahmt. (Le Monde, 3. August 2017). Sonntag morgen haben Po­ lizisten die von der spani­ schen NGO Proactiva gecharterte Open­Arms be­ setzt... Der Grund? Am Vor­ tag erhielt das Boot das Recht, 218 Personen an Land gehen zu lassen, de­ ren Übergabe an die liby­ sche Küstenwache sie verweigerte. (Le Monde, 23. März 2018) In Libyen festgesetzt, wer­ den die afrikanischen Migran­ ten oft erpresst, der Sklaverei zugeführt, Opfer von Mis­ shandlungen, Vergewaltigun­ gen, Mord.

Ein rassistisches Attentat und eine antifaschistische Mobilisierung Am 3. Februar 2018 schoss ein vormaliger Kandidat der Lega bei den Wahlen 2017, nach dem faschistischen Gruß und dem Ausruf „Viva Italia!“, auf eine Gruppe Schwarzer in Macerata, im Zentrum Italiens. Sechs Per­ sonen wurden verletzt. Der Faschist berief sich auf die Vergewaltigung und den Mord an Pamela Mastropietro durch nigerianische Dro­ gendealer, um auf Unschuldi­ ge zu schießen, deren einziges Verbrechen ihre dunkle Haut war. Berlusconi,


Klassenkampf 32/2018 dessen Partei FI die Auswei­ sung von 600.000 Ausländern für sich reklamiert und mit der LN im „Rechten Zen­ trum“ verbunden ist, be­ schwichtigt: „Mir scheint, es handelt sich um die Tat eines Ver­ wirrten, die auf das Schärf­ ste verurteilt werden muss, der man aber keinen kla­ ren politischen Charakter zuschreiben kann.“ Die PD benutzt den Innen­ minister und den Bürgermei­ ster von Macerata sowie seinen Einfluß in der CGIL (der zentralen Hauptgewerk­ schaft) und in der „Associa­ zione nazionale partigiani d‘Italia“ (der Vereinigung frü­ herer Partisanen) um Pro­ testaktionen zu verhindern. Trotz des offiziellen Verbots versammeln sich die Faschi­ sten der Fuerza Nueva (Neue Kraft) in Macerata am 8. Fe­ bruar mit der Billigung der Polizei und der Carabinieri. Die Centri Sociali (CS, so­ ziale Zentren, eine anarchi­ stische Strömung von der ein Flügel das Wahlbündnis PaP unterstützt) rufen zu einer Kundgebung am 10. Februar in Macerta auf. Sie werden unterstützt von der Koalition der Parteien Liberi e uguali (LeU) und Potere al popolo (PaP), der FIOM (der Metall­ arbeitersektion der CGIL), der COBAS (Basisgewerk­ schaften, die in erster Linie von Militanten zentristischer Organisationen getragen werden ), etc.: Mindestens 20.000 folgen dem Aufruf. Am 25. Februar demonstrieren vor allem Jugendliche in Mai­ land. In Livorno stimmt der Führer der PaP, Maurizio Acerbo, den Antifaschisten zu, als die CS auf die Provo­ kationen der FdI mit einer Gegendemonstration antwor­ ten, aber der Wortführer der LeU, Pietro Grassi, verurteilt sie.

Italien Matteo Salvini als Benito Mussolini. Dies ist die Karikatur von Mannelli mit dem Titel "Cambia mento" (Wortspiel: Wechsel” und “nur ein anderes Kinn” auf der Titelseite der Fatto Quotidiano. In der Zeitung von des Enthüllungsjournalisten Marco Travaglio wird der Führer der Liga als Duce mit dem Helm auf einem historischen Foto dargestellt.

Der Schiffbruch der früheren politischen Vertreter der Bourgeoisie Am 4. März ist die Teilnah­ me an den Wahlen zu den beiden Kammern (Abgeord­ netenkammer, Senat) hoch: 73 % der Wahlberechtigten, also ein geringer Rückgang seit den vorhergehenden all­ gemeinen Wahlen im Februar 2013 (75 %). Der Partito Democratico (PD, Demokratische Partei) ist die bürgerliche Partei im Zentrum der vorhergehen­ den Regierungen. Sie ent­ stand 1998 aus dem Zusammenschluss der Ab­ trünnigen des Stalinismus (PDS, der Mehrheit der vor­ maligen Kommunistischen Partei Italiens, KPI) und den Überlebenden des Klerikalis­ mus mit Verbindungen zur katholischen Kirche (PPI, Haupterbe der Christdemo­ kratischen Partei welche das Land 40 Jahre regierte). Sie fiel von 25,4 % 2013 auf 18,7 % 2018. Sein Generalsekretär Mateo Renzi musste notge­ drungen zurücktreten. Das erste Opfer des Wahl­ ganges ist die PD des vori­ gen Premiers Mateo Renzi, die eine erniedrigenden Niederlage einsteckt. Mit weniger als 19 % der Stim­ men, was gerade noch 112 Abgeordnete und 57 Sena­ toren bedeutet, fiel die Hauptpartei der Linken auf ein historisches Tief (Le Monde, 7. März)

Die andere bürgerliche Re­ gierungspartei, Forza Italia (FI, Vorwärts Italien), 1994 gegründet, stürzte ebenfalls ab (sie kam von 21,6 % auf 14%). Es ist nicht sicher, ob sie ihren 81­jährigen Chef überleben wird. Der zweite Verlierer des Wahlganges, Forza Italia, ist möglicherweise in ei­ nem noch jämmerlicheren Zustand. Mit gerade einmal 14 %, einer lächerlichen Zahl für eine Gruppierung der gesamten moderaten Rechten, entstanden 1994 aus dem alleinigen Willen von Silvio Berlusconi, ist sie auf einem Tiefpunkt an­ gelangt. (Le Monde, 7. März)

Der Erfolg zweier "populistischer" Parteien Der große Sieger der Wahlen vom 4. März ist die 5­ Sterne Bewegung (Movimen­ to 5 Stelle, M5S), einer klein­ bürgerlichen demagogischen und xenophoben Partei, ge­ gründet auf der Basis der Aufstände 2001 durch einen Komiker, der den Stab an Lui­ gi Di Maio weitergegeben hat. Indem sie die Vernachlässi­ gung des Südens anpranger­ ten und dank des Versprechens eines „Bürgerein­ kommens“ erreichte die M5S mehr als 32,7 % der Stimmen im ganzen Land (nach 25,5 % 2013) und hat eine klare Mehrheit im Süden. Sie er­ hielt die Glückwünsche von Farrange, dem vorigen Füh­

rer der UKIP (United King­ dom Independent Party, Unabhängigkeitspartei Groß­ britanniens), jener Partei, die den Brexit voran trieb. Die andere Partei, die sich geschickt aus der Affäre zog mit 17,4 % (nach 4,1 % 2013), war die Lega von Matteo Sal­ vini (vormals Lega Nord, Bund des Nordens). Sie hatte nie mehr als 10,2 % der Stim­ men. Sie hat sich ihren Ras­ sismus beibehalten, jedoch das vorige Programm gekippt (die Loslösung des reichsten Teiles Italiens) in Richtung eines aggressiven italieni­ schen Nationalismus. Der Chef der Liga hat seine Wette gewonnen: die Vollendung der Wandlung der föderalistischen und anti­italienischen Partei, deren Führung er dort vor weniger als fünf Jahren übernommen hat, in eine nationalistische und frem­ denfeindliche Bewegung, die auf das ganze Land ausstrahlt. (Le Monde, 7. März) Die LN beteiligt sich an der sogenannten „Mitte­ Rechts“ (sic!) Koalition, der neben der FI eine andere fa­ schisierende Partei angehört, die Fratelli d‘Italia (FdI, Brü­ der Italiens), die 4,35 % der Stimmen erreichten. FdI er­ hielt Glückwünsche der Chefin der französischen FN­ RN Marine Le Pen (Front Na­ tional­Rassemblement Natio­ nal, Nationale Front ­ Nationale Sammlungsbewe­ gung).

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Italien Außerdem haben zwei fa­ schistische Listen, CasaPond und die Koalition Italia agli Italiani (Italien den Italienern, gegründet von der FN und der MS­FT), jeweils 0,95 % und 0,38 % der Stimmen erhalten. Diese Gruppen greifen Arbei­ teraktivisten und Migranten körperlich an.

Die Marginalisierung des Reformismus bei den Wahlen Die beiden großen reformi­ stischen Parteien der Nach­ kriegszeit, die Partito socialista italiano (PSI, Sozia­ listische Partei Italiens) und die Partito comunista italiano (PCI, Kommunistische Partei Italiens) sind verschwunden, und zwar 1994 und von 1991­ 2007. Das Erbe der Sozialdemo­ kratie, das ist die widerlichste Klassenkollaboration: Sabota­ ge der Revolution von 1920 durch die PSI, Wiederherstel­ lung des bürgerlichen Staates nach dem 2. Weltkrieg, wie­ derholte Teilnahme an Regie­ rungen mit der DC (Democratia cristiana, Christ­ demokraten), Führung der Regierung, die die gleitende Lohnskala beendete, Beihilfe bei der Übernahme der Kon­ trolle des Privatfernsehens durch Berlusconi, Korrupti­ on… Die Operation Mani pulite (Saubere Hände) begann im Februar 1992, als zwei mailänder Beamte, bei der Untersuchung einer banalen Korruptionsaffäre in fla­ granti ein wichtiges Mitglied der PSI, Mario Chiesa, bei Schwarzgeldzahlungen er­ tappten... Es folgte eine wahre Flut von Festnah­ men, Durchsuchungen, An­ klagen, Geständnissen... Zwei ehemalige PSI­Bürger­ meister Mailands werden angeklagt. Selbst Craxi mußte, nachdem er ver­

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suchte, Stimmung gegen die „Regierung der Richter“ zu machen, Konsequenzen tra­ gen: der Unterschlagung be­ trächtlicher Summen zu seinen Gunsten überführt, ist er gezwungen, seinen Posten als Generalsekretär der PSI abzugeben. Bald hatte er keine andere Mög­ lichkeit mehr als nach Tu­ nesien ins Exil zu gehen. (Pierre Milza, Histoire d‘I­ talie – Die Geschichte Itali­ ens, 2005, Seite 927).

Klassenkampf 32/2018

Positionen... im wesentli­ chen auf Basis des gemein­ samen Willens, sich gegen die „Wende“ zu stellen, die für sie den Ausverkauf des politischen, ideologischen und symbolischen Erbes der kommunistischen Par­ tei darstellt. (Die kommuni­ stischen und post­kommunistischen Par­ teien Westeuropas, 1999, La Documentation francai­ se, Seite 72). 2013 holte seine Mini­

Die Volksfrontorientierung fand in Italien im „Historischen Kompromiss" ihren Ausdruck ­ die KP wollte unbedingt mit den Christdemokraten zusammengehen. (Foto: wikinade, cc)

Was heute den Platz der Sozialdemokratie in Italien einnimmt, die Linksabspal­ tung der PD und die Rechts­ abspaltung der PRC, versammelt sich in der Aller­ weltskoalition Liberi e uguali (LeU, Frei und Gleich) und er­ reicht ihre Höchstgrenze bei 3,4 %. Die reformistische Haupt­ partei, die das Verschwinden der PCI überlebte, ist die Par­ tito della rifondazione comu­ nista (PRC, Partei der kommunistischen Neugrün­ dung). Die PRC entstand 1991 als die PCI am Ende ihres 20. und letzten Kongresses auf­ gelöst wurde und die demo­ kratische Partei der Linken geschaffen wurde... Sie ver­ einigt von Anfang an eine Gruppe von Persönlichkei­ ten, kulturellen Strömungen und stark unterschiedliche

Volksfront mit dem Movimen­ to arancione (Orange Bewe­ gung) und der Federazione di verdi (Föderation der Grü­ nen) 4,4 % der Stimmen. 2018 bildete sie erneut eine Koali­ tion, Potere al popolo (PaP, Macht dem Volk). Sie umfasst die Partito comunista italiano (Italienische Kommunistische Partei; eine Spaltung der PRC, die die rote Fahne gegen die bürgerliche italienische Fah­ ne tauschte), die Piattaforma eurostop (eine EU­feindliche Gruppierung), die CRAC (Maoisten­Stalinisten), die Si­ nistra anticapitalista (SAC, die antikapitalistische Linke; verbunden mit der französi­ schen NPA)... Dieser Wahl­ block erhielt in Frankreich die Unterstützung der NPA, der PCF und der LFI. Sie er­ reichte nur 1,32 % der ausge­ zählten Stimmen und erreichte kein Mandat.

Die neo­stalinistische Ab­ spaltung der PRC, die Partito comunista (PC), die sich mit einer eigenen Liste präsen­ tierte, ist mit 0,32 % marginal. Die PRC, die PCI, die PC, die CRAC... haben nie Lehren aus dem Stalinismus gezogen. Die Geschichte des Stalinis­ mus­Togliattismus, das ist die ausgestreckte Hand der PCI für den Faschismus 1936 (“Appell an die Faschisten“), der Verrat an der Revolution 1943­44, die Beteiligung an der bürgerlichen Regierung von 1943 bis 1947, der Ver­ such der Restaurierung der Monarchie 1944 (“Wende von Salerno“), der Verrat an der revolutionären Situation 1969, der Vorschlag einer gemein­ samen Regierung mit der DC 1973 (“historischer Kompro­ miss“), die offene Ablehnung des Marxismus durch die Transformation der PCI in die PSD 1991, die Auflösung der PSD 2007 in eine gewöhnliche bürgerliche Partei (PD) ge­ meinsam mit dem was von der diskreditierten und von der Justiz verfolgten DC üb­ rigblieb.

Der pazifistische und reformistische Kretinismus der PRC Das hinderte die meisten zentristischen Strömungen in aller Welt am Ende des 20. Jahrhunderts nicht daran, die PRC zu unterstützen, inklusi­ ve „trotzkistischer“ Strömun­ gen, die sich rund um Protektionismus, Pazifismus und Reformismus scharten. Das geschah durch die Annä­ herung ihrer lokalen Ableger an die PRC (und ihre Integra­ tion in die alten und neuen Gewerkschaftsbürokratien) so wie sie sich im selben Mo­ ment an der Syriza in Grie­ chenland, an “Die Linke” in Deutschland, etc. beteiligten. Die PRC praktizierte Klas­ senkollaboration in interna­ tionalem Maßstab, indem sie


Klassenkampf 32/2018 das Täuschungsmanöver des World Social Forums 2001 mit der Hilfe der castristischen Bürokraten Kubas, der bür­ gerlichen Regierung Brasili­ ens und eines Flügels der katholischen Kirche in die Welt setzte. Im nationalen Maßstab unterstützte die PRC 1996 eine bürgerliche Regie­ rung und nahm später an ei­ ner Regierung unter der Führung der Ex­DC 2006 teil. Sie ist immer mit der PCF ver­ bunden, die mehr als einmal zugunsten der Bourgeoisie re­ gierte und mit der Syriza, die dasselbe noch immer in Grie­ chenland macht. Die kommunistische Stra­ tegie wurde in einem Antrag des Kongresses der Ersten In­ ternationale von Den Haag angenommen: Hegemonie der Arbeiterklasse, Notwendigkeit der Partei, Übernahme der Macht. In seinem Kampfe gegen die vereinigte Macht der be­ sitzenden Klassen kann das Proletariat nur dann als Klasse auftreten, wenn es sich selber zu einer beson­ deren politischen Partei konstituiert, die allen frühe­ ren, von den besitzenden Klassen gebildeten Parteien gegenübersteht. Dieser Ver­ einigung des Proletariats zur politischen Partei ist unentbehrlich, um den Tri­ umph der sozialen Revolu­ tion und ihres letzten Zwecks – die Abschaffung der Klassen – zu sichern. Der Zusammenschluss der Arbeiterkräfte, der durch den ökonomischen Kampf bereits erreicht ist, muss in den Händen dieser Klasse zugleich ein Hebel sein in ihrem Kampf gegen die po­ litische Macht ihrer Ausbeu­ ter. Dadurch, dass die Herren des Bodens und des Kapitals sich ihrer politi­ schen Privilegien stets be­ dienen, um ihre wirtschaftlichen Monopole

zu schützen und zu verewi­ gen sowie die Arbeit zu knechten, wird die Erobe­ rung der politischen Macht zur großen Pflicht des Pro­ letariats. (Internationale Arbeiterassoziation, Artikel 7a des Statuts, 1872). Anlässlich der Wahlkampa­ gne sprechen die PRC und ih­ re Verbündeten weder von Sozialismus oder Revolution, noch von Enteignung oder der Überwindung des bürger­ lichen Staates. Anstatt der „Macht des Volkes“ ist überall von der „Macht“ die Rede, die überall (und damit letztend­ lich nirgends) auszumachen ist, was das trefflichste Machtinstrument, den Staat, in den Händen der Ausbeuter lässt. Wir praktizieren täglich So­ lidarität, Mutualismus und Volkskontrolle über Institu­ tionen, die unseren Anfor­ derungen nicht entsprechen... (PaP, Mani­ fest, 2017). „Volk“ erlaubt es, den Kampf zwischen den Klassen durch die Zusammenfassung von Bewegungen nicht gegen den Kapitalismus, sondern gegen die EU und die „Ver­ marktung der Welt“ zu erset­ zen: Eine Bewegung der Arbeite­ rinnen und Arbeiter, der Jungen, der Arbeitslosen und der Pensionisten, aller Personen, die ihre Kompe­ tenz in den Dienst der All­ gemeinheit stellen, egal ob sie bei Vereinigungen, bei Gebietskommitees oder, noch genauer bei Bür­ germobilisierungen in ein­ zelnen Gebieten engagiert sind, oder ob sie in Ge­ werkschaften, Parteien oder anderen Organisationen mitarbeiten, die mit den Idealen der sozialen und politischen Linken verbun­ den sind: antikapitalistisch, kommunistisch, libertär, ökologisch, feministisch,

Italien laizistisch, pazifistisch, „meridionalistisch“ “. (PaP, Manifest, 2017). Potere al popolo rühmt die Rettung des Kapitalismus und die Wiederherstellung des bürgerlichen Staates durch ihre Vorgänger der PCI und der PCI von 1943 bis 1947. Wir kämpften gegen die Un­ terminierung unserer Ver­ fassung, die aus dem Widerstand hervorging, und für ihre wahrhafte Anwen­ dung...(PaP, Manifesto, 2017) : Unsere Republik baut auf der Arbeit auf... Die Wiederaneignung der Volkssouveränität auf allen Ebenen und auf jeder Schicht der Gesellschaft.... Rückgabe einer Würde und zentralen Stellung der Lohnabhängigen. (PaP, Pro­ gramm, 2017) Die Koalition PaP will da­ mit den Kapitalismus und den bürgerlichen Staat verbes­ sern. Die Forderung nach einem Justizsystem, das schnell und wirksam den Respekt vor dem Gesetz garantiert. Die Justiz ist gleicherma­ ßen Teil des Gemein­ wohls... Für uns bedeutet die “Macht dem Volk” den Volksklassen die Kontrolle über die Produktion und die Verteilung des Reichtums zurückzugeben, die Demo­ kratie in ihrem wahren und ursprünglichen Sinn zu ver­ wirklichen. Um das zu er­ reichen müssen wir Etappen festlegen und be­ sonders eine Methode schaffen und erproben, die wir Volkskontrolle genannt haben. (PaP, Programm, 2017) Die Koalition PaP predigt den Ausgebeuteten und den Unterdrückten den Pazifis­ mus, den die faschistischen Banden, die imperialistische Armee, die Geheimdienste, die Einsatzkräfte, die Polizei und die Mafiosi sich hüten zu

respektieren. Da die Polizei vom Volke getrennt ist, eine besondere Berufskaste bildet, sich aus Leuten rekrutiert, die zur Gewaltanwendung gegen die ärmere Bevölkerung „abgerichtet“ werden, die (von den unlauteren Ein­ künften ganz zu schweigen) einen etwas höheren Lohn erhalten und die Vorrechte der „Macht“ genießen, so bleibt sie in allen demokra­ tischen Republiken unter der Herrschaft der Bour­ geoisie unvermeidlich ihr treuestes Werkzeug. Ernst­ hafte und radikale Refor­ men zugunsten der werktätigen Massen können nicht mit Hilfe der Polizei durchgeführt werden. Das ist objektiv unmöglich. Eine allgemeine Volksmiliz an Stelle der Polizei und des stehenden Heeres – das ist die Bedingung für erfolgrei­ che Kommunalreformen zu­ gunsten der Werktätigen. (Lenin, Die Hauptsache vergessen!, 18. Mai 1917)

Ein unvollständiger Bruch mit dem Reformismus

Per una sinistra rivoluzio­ naria (PuSR, Für eine revolu­ tionäre Linke), das Wahlbündnis zweier sich auf den Trotzkismus berufenden Organisationen, bekommt nur 0,08 %. Es handelt sich um die Partito comunista di lavorato­ ri (PCL, Kommunistische Par­ tei der Arbeiter) und die

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Italien Sinistra classe rivoluzione (SCR, Linke Klassenrevoluti­ on, Gruppe der Internationa­ len Marxistischen Tendenz in Italien, in Österreich und Deutschland: Der Funke). Generell haben die Strö­ mungen, die aus der PRC aus­ getreten sind, als diese einen Minister in der Regierung Prodi stellte, die größten Schwierigkeiten sich von ihr zu distanzieren: die SAC nährt weiter Illusionen in die PRC. Die Bildung einer echten Linken begann anlässlich der Wahlen mit der Bildung der Liste PaP. (SAC, Erklä­ rung, 5. März) Selbst die PCL, die in ihrer Kampagne eine Arbeiterregie­ rung forderte, hat Mühe, sich der Volksfront zu entziehen: sie rief im Mai 2011 anlässlich der Gemeindewahlen in Nea­ pel zur Wahl des „progressi­ ven“ Luigi de Magistris der bürgerlichen Partei Italia di valori (Italien der Werte) auf. Das Programm der Per una si­ nistra rivoluzionaria (PuSR) enthält kein Wort über die Selbstverteidigung und die Notwendigkeit, das Repressi­ onsregime zu zerschlagen, als ob man die Armee und die Polizei „kontrollieren“ könnte. Die alte Bürokratie gehört abgesetzt und die Arbeiter­ kontrolle auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgeweitet. Wahl und Ab­ wahlmöglichkeit aller öf­ fentlich Verantwortlichen. Gehaltsobergrenze für alle öffentlichen Ämter entspre­ chend dem Durchschnittsein­ kommens eines qualifizier­ ten Arbeiters. Arbeiterkon­ trolle auf allen Ebenen der öffentlichen Administration. (PuSR, Unser Programm, Februar 2018) Trotz seiner Berufung auf Lenin und Trotzki streicht der aus der Zerstörung der IV. In­ ternationale hervorgegangene italienische Zentrismus (wie in Frankreich die LO, die NPA,

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die POID, etc.) einen wesentli­ chen Teil des Programmes der Kommunistischen Inter­ nationale (KI): Kampf gegen die sozialpatriotischen (poli­ tisch und gewerkschaftlich)

Klassenkampf 32/2018

position, ihre Aufgaben und Methoden, Jänner 1933)

Eine institutionelle Unsicherheit

Traditionen, an die wir anknüpfen können: 1919 bildeten die Arbeiterinnen und Arbeiter in Turin einen Sowjet. Damals wie heute fehlte eine revolutionäre Partei, die den Sieg ermöglicht.

Bürokratien, Zentralisierung der Räte, Arbeiterbewaff­ nung, Zerstörung des bürger­ lichen Staates, Aufstand, Arbeitermacht,… Die Internationale Linke Opposition steht auf dem Boden der ersten vier Kon­ gresse der Komintern. Das bedeutet nicht, dass sie sich vor jedem Buchstaben ihrer Beschlüsse verneigt, von denen manche rein kon­ junkturellen Charakter hat­ ten und die sich in einzelnen praktischen Schlussfolgerungen durch die weitere Praxis widerlegt erwiesen. Doch alle we­ sentlichen Leitsätze (Ver­ hältnis zum Imperialismus und zum bürgerlichen Staat, zu Demokratie und Reformismus; Problem des Aufstands; Diktatur des Pro­ letariats; Verhältnis zur Bauernschaft und den un­ terdrückten Nationen; So­ wjets; Arbeit in den Gewerkschaften; Parlamen­ tarismus; Einheitsfrontpoli­ tik) bleiben auch heute noch der höchste Ausdruck der proletarischen Strategie in der Krisenepoche des Kapitalismus. (Leo Trotzki: Die Internationale Linksop­

Die EU wird erneut er­ schüttert, aber nicht von der Arbeiterklasse und noch we­ niger zu gunsten der Arbei­ terklasse. Der Schlag wird von der Reaktion ausgeführt und ist, mehr noch als im Fal­ le des Brexit, der reine Frem­ denhass. Der verwundbarste Sektor der Arbeiterklasse dient als Sündenbock für die Schwierigkeiten des italieni­ schen Kapitalismus und für die Leiden, die sein Fortbe­ stand jenen auferlegt, die ar­ beiten müssen, um leben zu können. Sicher, das italienische und weltweite Großkapital hat nie geschätzt, dass so un­ zuverlässige Parteien allge­ meine Wahlen gewinnen und noch weniger, dass keine von ihnen mangels einer parla­ mentarischen Mehrheit die Kraft hat, alleine eine Regie­ rung zu bilden. Der Wahlsieg der M5S und der Lega markiert den größten Umbruch in Europa seit der Abstimmung für den Brexit. Er kündigt eine lange Periode der politi­ schen Unsicherheit und der Nachverhandlungen an be­ vor Italien eine neue Regie­ rung bekommt. (Financial

Times, 7. März) Aber die Bourgeoisie weiss, wie man sich die dem­ agogischten Parteien zurecht biegt. Bei seiner Entstehung war die FI noch keine traditio­ nelle bürgerliche Partei (sie wurde mit Unterstützung der Fernsehanstalten rund um einen Mann aufgebaut). Die LN hat bereits bei Regierun­ gen Berlusconis mitgewirkt. Was die M5S betrifft, so berei­ tet sie sich darauf vor, eine bürgerliche Regierungspartei zu werden. Herr Di Maio trifft regelmä­ ßig die Führer der Ge­ schäftswelt und die Botschafter der EU und er hat sich sogar an London gewendet, um die Investo­ ren zu beruhigen. (Financi­ al Times, 11. März) Und die M5S hat bereits ei­ nes ihrer Prinzipien über Bord geworfen: die Ableh­ nung jeder Verhandlungen mit anderen Parteien. Da die Verweigerung von Allianzen immer ein Allein­ stellungsmerkmal der Be­ wegung war, ebenso wie die Sicherheit ihrer „Rein­ heit“, ist die M5S doch ohne Bedenken in eine Logik der Verhandlungen eingetreten, um eine Regierung zu bil­ den. (Le Monde, 7. März) Wie auch die nächste Re­ gierung ausschauen wird, sie wird durch und durch bürger­ lich sein. Die Macht des Finanzkapi­ tals besteht nicht darin, dass es zu gleich welchen Zeitpunkten nach Belieben jede gewünschte Regierung bilden kann – eine solche Macht besitzt er nicht – son­ dern darin, dass jede nicht­ proletarische Regierung dem Finanzkapital zu die­ nen gezwungen ist; oder anders: darin, dass es dem Finanzkapital möglich ist, ein Herrschaftssystem, wenn es in die Brüche geht, durch ein anderes, den ver­


Klassenkampf 32/2018 änderten Umständen mehr entsprechendes zu erset­ zen. (Trotzki, Bonapartis­ mus und Faschismus, Juli 1934)

Bruch mit der Bourgeoisie, Neuordnung der Arbeitervorhut Selbst wenn der Faschis­ mus keine unmittelbare Ge­ fahr darstellt, die Alternative wird mehr und mehr klar: So­ zialismus oder Barbarei. Sei es eine Serie von ökonomi­ schen, politischen, ideologi­ schen Rückschlägen; sei es die Einheit der Ausgebeute­ ten für den Umsturz des Kapi­ talismus, der den Weg der

D

europäischen und mediterra­ nen Revolution öffnet. Dafür braucht es eine revolutionäre Arbeiterpartei. Die Krise der Arbeiterbe­ wegung erreicht in Italien einen Höhepunkt. Es ist Zeit, dass sich, in Verbindung mit der Schaffung einer neuen In­ ternationale, die entschieden­ sten und bewusstesten Aktivisten, die aktuell in der PCL, der PRC, dem CS, etc. verstreut sind, auf einer revo­ lutionären und internationali­ stischen Basis neu formieren. Sie werden sich von den Be­ strebungen Antonio Labrio­ las, Amedeo Bordigas, Antonio Gramscis und Pietro

Zur CDU/CSU: Die Krise der Hauptparteien der deutschen Bourgeoisie vertieft sich Wir sehen: schon auf der Ebe­ ne empirischer Zahlen hat die CDU ein Glaubwürdigkeitspro­ blem. Seit dem Jahr 2015 hat in Folge der Flüchtlingspolitik von

Tressos inspirieren lassen. Sie werden sich ebenso von den Programmen des von Marx und Engels ins Leben gerufenen Bundes der Kom­ munisten, der Kommunisti­ schen Internationale zu Lebzeiten Lenins und der Vierten Internationale zu Leb­ zeiten Trotzki leiten lassen. Ohne im Aktivismus zu versinken, müssen die Aktivi­ sten der aufzubauenden revo­ lutionären kommunistischen Partei in der vordersten Rei­ he der Einheitsfront zur Ver­ teidigung der Flüchtlinge, des Rechts auf Bewegungs­ und Niederlassungsfreiheit in ganz Europa für alle Arbei­

ter und Studenten, im tägli­ chen Kampf für die Forderungen und die Unab­ hängigkeit der Gewerkschaf­ ten gegenüber dem Staat, der Selbstorganisation der Kämp­ fe und der Zentralisierung der Räte Organe, der Selbstver­ teidigung gegen die Repressi­ onskräfte und die faschistischen Schergen, ste­ hen. Sie müssen eine Per­ spektive für eine Arbeiter­ und Bauernregierung, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas, für die so­ zialistische Föderation des Mittelmeerraum eröffnen. 23.

März 2018 (GMI)

Deutschland im Herbst 2018: Parteien im Elend

ie Lage der Arbeiterklasse in Deutschland scheint so gut wie nie zuvor: über 44,45 Millionen haben einen Job. Über 32,5 Millionen zahlen in die sozialen Sicherungssysteme ein. In den letzten 10 Jahren sind über 5 Millionen Arbeitsplätze dazugekommen. Die Arbeitslosenzahl sank auf unter 2,4 Millionen. So die CDU auf ihrer Website (Stand 12.08.2018). Für 1,2 Millionen Stellen werden händeringend qualifizierte Arbeitskräfte gesucht. Das Handwerk kann über 100 000 Ausbildungsplätze nicht mit geeigneten Menschen besetzen. Der Export boomt ungebrochen. Also alles bestens in Deutschland? 12 Millionen haben nach Anga­ ben der CDU also maximal 450,­ Euro Monatsverdienst (Minijob­ Grenze). Denn wer über 450,­ Euro verdient, muss in die Sozialversi­ cherung einzahlen. Laut der staat­ lichen Arbeitsagentur für Arbeit gibt es aber nur 7,5 Millionen Mi­ nijobber. Was ist mit den übrigen 4,5 Millionen?

Italien

Angela Merkel die Erosion inner­ halb der CDU zugenommen. Der massive Zustrom konnte bisher die anfangs gehegten Hoffnungen des deutschen Kapitals auf quali­ fizierte, schnell integrierbare billi­ gere Arbeitskräfte nicht erfüllen. Die Türkei Erdogans steuerte die Flüchtlingsströme so geschickt, dass in Deutschland vor allem un­ gelernte oder nur schlecht ausge­ bildete Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan ankamen. Die Folge sind, im Verhältnis gesehen, zu hohe zusätzliche Milliarden­ ausgaben, um zu dringend benö­ tigten Arbeitskräften zu kommen. Die Enttäuschung darüber drückt sich nicht nur in einer Ab­ wanderung kleinbürgerlicher Kräfte aus der CDU hin zur AfD

aus, sondern sie hat auch in der CDU selbst zur Herausbildung der „WerteUnion“ geführt, einem schnell wachsenden Zusam­ menschluss rechtskonservativer Kräfte mit Verbänden in allen Bundesländern. Unter ihnen be­ finden sich viele Mandatsträger aus den Bundesländern und Kommunen. Wichtigste Bloggerin ist Vera Lengsfeld aus der ehema­ ligen DDR. Sie wollen Merkel stür­ zen und die CDU wieder zu einer rechtskonservativen Partei wie zu Zeiten Adenauers machen. Die politischen Positionen ähneln de­ nen der AfD sehr. Die CSU unter Seehofer und Söder versucht, diesen Entwick­ lungen eine gemeinsame Rich­ tung zu geben. Sie führten einen Scheinkampf zum Umgang mit den Flüchtlingen in Deutschland und Europa aus, der nach über­ einstimmenden Urteilen selbst aus Unterstützerkreisen nichts gebracht hat. Die Umfragewerte haben sich für die CDU bei 30% eingependelt. Die CSU hat jedoch weiter verloren. Dass nun „Anker­ zentren“ eingerichtet werden, die nichts anderes sind als Lager, in

denen die Menschen zwangswei­ se bis zur Entscheidung über ih­ ren Asylantrag festgehalten werden (Residenzpflicht im La­ ger!), wird gegen Kritiker zynisch mit dem Hinweis verteidigt, die Asylbewerber könnten ja jeder­ zeit (aus Deutschland) ausreisen. Zu allem Unglück für die Alt­ vorderen der CDU bringt sich die nächste Generation der CDU­Poli­ tiker*innen ins Gespräch mit dem Vorschlag, in Ostdeutschland auch auf Landesebene mit der Partei DIE LINKE zu koalieren. (Daniel Günther, CDU­Minister­ präsident in Schleswig­Holstein und Chef einer Koalition aus CDU, FDP und Grünen; sz.de, 12.08.2018, 18.17 Uhr) Auf kom­ munaler Ebene gibt es dort schon solche Koalitionen.

Zur SPD: Institutionalisierte Klassenzusammenarbeit bis zum eigenen Untergang Die menschenverachtende Po­ litik gegenüber den Flüchtlingen wird von der SPD im Koalitions­ vertrag explizit unterstützt. Die

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Deutschland für die Arbeiterklasse in Deutsch­ land drängenden Fragen werden von ihr schmählich vernachläs­ sigt: Armut im Alter (knapp 50% der 17,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner haben monatlich nicht einmal das Existenzmini­ mum zur Verfügung), Armut allein­ erziehender Mütter, die sich oft mit 2 Jobs durchschlagen müssen, nach wie vor über eine Million Langzeitarbeitslose (länger als 1 Jahr), über 4,4 Millionen HARTZ­ IV­Empfänger*innen, neue zu er­ wartende Massenarbeitslosigkeit in den nächsten Jahren durch die vollständige Digitalisierung der in­ dustriellen Produktion und des Dienstleistungssektors. Die Klein­ bourgeoisie und die Arbeiterari­ stokratie leiden verstärkt unter der Last der Steuerprogression. Über 50% eines verdienten Euros sind schon für Steuern und Abga­ ben auszugeben. Alle diese Themen können na­ türlich nicht in Zusammenarbeit mit den Parteien der deutschen Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie (CDU, CSU, FDP, Bündnis‘90/Die Grünen und AfD) gelöst werden, sondern nur gegen sie. Die aufkeimende Hoffnung bei vielen SPD­Mitgliedern (alten und neuen), hervorgerufen durch die zunächst konsequente Haltung der JUSOS und ihres Vorsitzenden, Kevin Kühnert, gegen eine neue große Koalition, ist schon im Kei­ me wieder erstickt. Kevin Kühnert hat sich auf dem Parteitag im Frühjahr 2018 zur Absegnung der neuerlichen Großen Koalition „le­ benslang“ (wörtlich auf dem Par­ teitag!) an die SPD gebunden. Kein Wunder, dass sich die SPD in Umfragen weiterhin auf Talfahrt befindet und nun hinter der AfD rangiert.

Krise befindet, die er nur durch massive Angriffe auf die bisheri­ gen Errungenschaften der Arbei­ terklasse aller Länder versuchen kann zu lösen, einschließlich der physischen Vernichtung durch Kriege, bringt die Verschlechte­ rung der Lebensverhältnisse über Jahre hinweg rechtskonservative bis faschistische Strömungen her­ vor. Angeblich liegt das Heil in der nationalen Abschottung gegen­ über allem Fremdem, Unbekann­ tem, nicht Kalkulierbarem. Angst wird zur Triebfeder der Politik und öffnet der Manipulierbarkeit Tür und Tor. Die sicher geglaubten Lebensverhältnisse der Einzelnen werden durch die umfassende Kri­ se des Kapitalismus wieder einmal grundlegend in Frage gestellt. „Si­ cherheit“ und „Heimat“ werden wieder zu Worten, die die öffentli­ chen Debatten beherrschen. „Wir holen uns unser Land zurück!“ ist der Kampfruf von AfD­Führer Gau­ land beim Einzug in den Bundes­ tag gewesen. Darin steckt alles, bis hin zur Vertreibung und Vernich­ tung alles „Nichtdeutschen“.

Zur FDP: Die Partei der industriellen Kleinbourgeoisie – kein Auslaufmodell

Als nach der Bundestagswahl im September 2017 zunächst Ko­ alitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen began­ nen, sahen viele Kommentatoren die Grünen als Unsicherheitsfak­ tor. Doch es war schließlich die FDP, die die bürgerliche Koaliti­ onsoption platzen ließ. Während sich insbesondere die Verhand­ lungsdelegationen von CDU und Grünen immer näher kamen, fühl­ te sich die FDP­Delegation von der Verhandlungsführung Merkels stark an den Rand gedrängt. In­ Zur AfD: Die „Alter- haltlich jedoch hatte die FDP es nicht geschafft, ihr Wahlkampf­ native für Deutschhauptziel, eine große Steuerre­ land“ – eine form zugunsten der industriellen Alternative für das Kleinbourgeoisie, bei den anderen deklassierte KleinVerhandlungspartnern durchzu­ bürgertum setzen. Die weiter bestehende Wie immer, wenn sich der Ka­ Steuerlast wird daher weitere Tei­ pitalismus in einer existentiellen le des Kleinbürgertums, gerade

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auch aus der CDU­/CSU­Wähler­ schaft, zu AfD oder, erheblich we­ niger, zur FDP wandern lassen. DIE FDP gilt als mit den Machteliten unauflöslich verbunden. Nur die AfD erscheint derzeit als politisch unverbrauchte Kraft. Die FDP ver­ sucht, diesen Konkurrenzkampf mit schärferen Tiraden gegen die bestehende Flüchtlingspolitik zu bestehen. Für ihre Klientel stellt die AfD wegen der teilweise offen faschistischen Tendenzen noch keine Alternative dar. Derzeit ver­ harrt die Zustimmung zur FDP­ Führung in Umfragen noch sehr stabil bei 8 % der Befragten.

Die Partei DIE LINKE – ein zahnloser Möchtegern-Tiger Nach dem Ende der degene­ rierten Arbeiterstaaten des War­ schauer Paktes 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 gab es politisch wie sozial in Deutschland einen großen Um­ bruch. Die damalige Regierungs­ koalition aus CDU/CSU und FDP unter dem Kanzler Kohl managte diesen Umbruch mit haltlosen Versprechungen (Kohl: „blühende Landschaften“ in Ostdeutschland) und einer massiven Enteignungs­ politik (Treuhand als alleiniger Ei­ gentümer der gesamten ostdeutschen Wirtschaft mit dem Auftrag, alles zu privatisieren). Parallel dazu wurde in West­ deutschland die sich abzeichnen­ de vertiefende wirtschaftliche Krise ignoriert. Die Arbeitslosig­ keit nahm, bei hohem „ererbten“ Langzeitarbeitslosenbestand noch aus der Wirtschaftskrise der alten BRD in den 70er Jahren (ca. 1 Mil­ lion!), stärker zu. Zunehmend wur­ den gutgehende profitable Unternehmen von internationalen Kapitalfonds („Heuschrecken“) aufgekauft und mit Krediten von mit den Hedgefonds verbundene Banken zur Bezahlung eben dieses Kaufpreises belastet. Oft wurden Unternehmen aufgespalten, die „Perlen“ nach einer Schonfrist weiter verkauft und der Rest ein­ gestampft. Die SPD­interne Unzu­ friedenheit mit der

Burgfriedenspolitik der SPD­Füh­ rung gegenüber dieser Politik und der HARTZ­IV­Politik unter SPD (Kanzler: Schröder) und den Grü­ nen (Fischer, Außenminister) nahm erhebliche Ausmaße an. Nach dem Wahlsieg der SPD bei den Bundestagswahlen 1998 schied Oskar Lafontaine (Bundes­ finanzminister), schon im März 1999 aus der Regierung aus. Er konnte sich mit der neoliberalen Politik der SPD/Grünen­Regierung nicht anfreunden. Unter seiner Re­ gie kam es schließlich im Jahre 2005 zur Gründung der WASG (Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit). Hier versammelten sich vor allem die alten linken So­ zialdemokraten, die das Ziel „de­ mokratischer Sozialismus“ (1961 auf dem Godesberger Parteitag aus dem Parteiprogramm gestri­ chen) nicht aufgegeben hatten, so­ wie starke linksorientierte gewerkschaftliche Kräfte aus der IG Metall und der Dienstleistungs­ gewerkschaft „ver.di“ (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft). An­ fängliche Wahlerfolge im Westen zeigten ein Potenzial von knapp 5 %. Die WASG wirkte als „Staubsau­ ger“ in der westdeutschen Linken. Die niedergehende alte SED/ PDS verlor damals von den an­ fänglich über 80.000 Mitgliedern schnell sehr viele, auch aus Alters­ gründen. Viele fanden sich in der sozialdemokratischen Orientie­ rung der neuen PDS­Führung unter Bisky/Gysi nicht wieder. Umso mehr witterte aber Oskar Lafon­ taine als führende Persönlichkeit der WASG seine Chance, in einer vereinigten Partei eine neue we­ sentliche Rolle spielen zu können. Die Vereinigung von WASG und PDS zur Partei DIE LINKE führte dazu, dass es außerhalb dieser neuen Partei mit sozialistischem Anspruch („demokratischer Sozia­ lismus“ im Parteiprogramm) kaum noch signifikante politische Kräfte mit sozialistischer Ausrichtung oder gar Bezug zu den Traditionen der revolutionären Arbeiterbewe­ gung gab. Dieses Vakuum wurde am ehesten noch sichtbar nur von linksautonomen Kräften auf De­


Klassenkampf 32/2018 mos und in Straßenkämpfen ge­ füllt – natürlich nicht im Sinne ei­ ner Strategie des Aufbaus einer revolutionären Arbeiterinternatio­ nale.. Innerparteilich versucht die Parteiführung von DIE LINKE seit­ dem, einen Kurs zu fahren, der keiner organisierten Tendenz in der Partei weh tut. Die „sozialisti­ sche Linke“ (SL), entstanden vor allem aus der ehemaligen WASG, dominiert seit dem Erfurter Par­ teitag mehr denn je die Inhalte. Andere Strömungen wie die „Kom­ munistische Plattform“ (von Wa­ genknecht mit gegründet), die „Antikapitalistische Linke“ (AKL; vor allem getragen von Mitglie­ dern der ehemaligen, der SAV (So­ zialistische Alternative VORAN, deutsche Sektion des CWI (Com­ mittee for a Workers International) und der ISO (Internationale Sozia­ listische Organisation, deutsche Sektion des VS der IV. Internatio­ nale)) und Marx21 (gegründet u.a. von Mitgliedern der deutschen Sektion der IST (International So­ cialist Tendency; wesentlicher Theoretiker war Tony Cliff („Staatskapitalismus“)) können auf Parteitagen nicht zu einer gemein­ samen Strategie gegen die Vor­ herrschaft der SL finden. Am dynamischsten wächst wohl noch die AKL, die mittlerweile über 1.500 Mitglieder haben soll. Wie die Wagenknecht­Samm­ lungsbewegung zeigt, ist jedoch DIE­LINKE­Führung um Bernd Rie­ xinger (Sozialistische Linke) und Katja Kipping (Strömung „Emanzi­ patorische Linke“ (Ema.li) inner­ halb der Partei DIE LINKE; moderat reform“sozialistisch“ ori­ entiert) nicht in der Lage, ausein­ anderströmende Tendenzen innerhalb der Linkspartei zu ma­ nagen und für die Partei nutzbar zu machen. Vielmehr muss sie ständig auf einen Interessensaus­ gleich der verschiedenen Kräfte hinarbeiten. Mit Statements zu ak­ tuellen politischen Ereignissen ist es nicht getan. Die Partei ist der­ zeit kaum in der Lage, politische Kampagnen in die Öffentlichkeit zu tragen und dort sichtbar wer­

Deutschland

den zu lassen. Nur dort, wo es noch aktive Parteistrukturen gibt (oft getragen nur von Mitgliedern der verschiedenen parteiinternen Strömungen), erzielt DIE LINKE Außenwirkung. Dem Treiben von Wagenknecht und Co. wird tatenlos zugesehen. Wagenknecht, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE, darf ungestraft ihr Projekt durchziehen.

sierte online angemeldet haben. Viele kommen aus SPD, Grüne und DIE LINKE. Doch bleiben die Ziele dieser „Bewegung“ bisher unklar. Es gibt, von der Website abgese­ hen (nur die HOME­Seite exi­ stiert!), nur politische Aussagen von Wagenknecht und Lafontaine.

Die Art und Weise, wie diese „Bewegung“ betrieben wird, lässt Kommentatoren an die Entste­ hungsgeschichte der deutschen Nationalsozialisten und späteren Partei NSDAP denken. Um den überparteilichen Charakter von „#aufstehen“ zu betonen, sprach

Ein bonapartistisches Projekt: „#aufstehen – Die Sammlungsbewegung“ Auf der website sind 22 Videos veröffentlicht. Es handelt sich da­ bei um einen Bürgermeister, einen Studenten, eine Studentin, einen Privatier, eine Schülerin, ein Mit­ glied der „Elterninitiative krebs­ kranker Kinder“, eine Disponentin, eine Lehrerin, einen Lehrer, eine Redakteurin, eine Journalistin, ein Mitglied der britischen Bewegung „People’s Momentum“ (organisier­ te Unterstützerbewegung für Cor­ byn, mit Zwangsmitgliedschaft in der Labour Party), einen Garten­ und Landschaftsbauer, einen KFZ­ Mechatroniker, eine Rentnerin, einen Rentner, eine Tierschütze­ rin, einen DJ (Disc Jockey), einen Pastor, einen gelernten Drucker und ein Mitglied der IGBau (Indu­ striegewerkschaft Bau). Als Motto finden sich drei Aus­ sagen, um die sich die VIDEO­ Startbilder gruppieren: • Es darf nicht mehr an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit vorbei regiert werden. • Wir verwandeln eure Stimme wieder in echten politi­ schen Einfluss. • Die Wirtschaft muss auf den Menschen ausgerichtet sein! Nicht auf den maximalen Profit! Als Start der Bewegung wird der 4. 9. 2018 angegeben. Laut Oskar Lafontaine, Ehe­ mann von Sahra Wagenknecht, sollen sich bis zum 08. August 2018 schon über 50.000 Interes­

Kurz und Seehofer ­ Brüder im christlichen Geiste

Wir haben es hier also mit einer bonapartistischen „Bewegung“ zu tun, deren Ziele und Vorhaben im Dunkeln bleiben. Dies soll sich nach dem offiziellen Start am 04. September 2018 ändern. Bundes­ weit soll es eine Reihe von Kon­ gressen zu einzelnen Themen geben. Dort wird es auch darum gehen, wer „wir“ ist: „Wir“ ver­ wandeln „eure“ Stimme wieder in echten politischen Einfluss. Damit ist von vornherein ein Gegensatz formuliert. Dieser soll wohl auf den Kongressen inhaltlich ergrün­ det werden. Allgemeine Zielset­ zungen sind nach Lafontaine das Arbeiten „gegen die Agendapoli­ tik“, „für höhere Löhne, bessere Renten und soziale Leistungen, für eine andere Außenpolitik, gegen Kriegsbeteiligungen und Waffen­ lieferungen und gegen Umweltzer­ störung“. Alles Ziele der Partei DIE LINKE. Die Notwendigkeit einer „Sammlungsbewegung“ wird da­ mit begründet, dass es im Bundes­ tag „keine Mehrheit (gibt), die dem Willen der Bevölkerung Rechnung trägt“. (rt.com, 09.08.2018; RT wird aus dem Bud­ get der Russischen Föderation fi­ nanziert wird).

Wagenknecht von einer „Quer­ front“. Dieser Begriff hat in Deutschland eine gefährliche Di­ mension. „Im historischen Sinn werden als Querfront anti­demokra­ tische Strategien bezeichnet, welche die gegensätzlichen Ideologien des Nationalismus und des Sozialismus verbanden, um in der Weimarer Re­ publik die politische Macht über­ nehmen zu können.“ (Wikipedia, Letzte Bearbeitung 17.08.2018) Die Ablehnung der vom Partei­ tag der LINKEN in diesem Jahr er­ neut bestätigten Politik der offenen Grenzen für Flüchtlinge durch Wagenknecht scheint dies zu bestätigen. Sie lehnt die Flucht nach Deutschland aus wirtschaft­ lichen Gründen ab mit dem Ver­ weis, dass damit die deutschen Arbeitslosen noch stärker unter Druck gesetzt werden könnten. Formal ist das richtig. Politisch aber fatal. Ein Teil der Arbeiter­ klasse (Deutsche) werden gegen andere Teile der internationalen Arbeiterklasse aus den unter an­ derem vom deutschen Imperialis­ mus ausgebeuteten Staaten ausgespielt. Das ist aktive Spal­ tung und ebnet allein dem Fa­ schismus den Weg.

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CoReP / Kollektiv Permanente Revolution

Klassenkampf 32/2018

Trump bricht den Wirtschaftskrieg vom Zaun und droht dem Iran

Von 1944 bis 2016 hat der amerikanische Staat versucht, den Weltkapitalismus zu verwalten

logischen und militärischen Druck auf diese degenerierten Ar­ beiterstaaten aus. Der US­amerikanische Staat führte bewusst eine Offensive gegen alle revolutionären Risiken und für die Wiederherstellung des Kapitalismus, indem er auf die nationa­ len Spaltungen der stalinistischen Bürokratie setzte (Bruch zwischen der UdSSR und Jugoslawien, Spaltung zwischen Chi­ na und der UdSSR, Spannungen zwischen China und Viet­ nam ...) . Die US­Wirtschaft bleibt 2017 mit einem BIP von 19,3 Billio­ nen US­Dollar (vor China: 11,9 Billionen US­Dollar) der größte Produzent der Welt. Die Vereinigten Staaten sind die wichtigste Macht bei der Öl­ und Gasgewinnung in der Welt und der größ­ te landwirtschaftliche Exporteur. Im Industriebereich finden sich US­Konzerne in vielen internationalen Oligopolen: Raffine­ rien, Automobilindustrie, Luft­Raumfahrt, Verteidigung, Elek­ tronik, Lebensmittel­, Pharma­, Körperpflegeprodukte, Sportartikel ... Sie dominieren den Finanzsektor und ihre Bör­ sen für Finanzprodukte und Rohstoffe zusammengenommen (NYSE, NASDAQ, AMEX ...) übertreffen bei weitem den Londo­ ner Markt. Der Dollar ist dem Euro bei Devisen (und Wäh­ rungsderivaten) weit überlegen. Forschung und Hochschulbildung ziehen Forscher und Stu­ denten aus der ganzen Welt an. Infolgedessen führen die Verei­ nigten Staaten immer bei den Patentanmeldungen. Die US­Kultur beeinflusst die Welt. Englisch ist die Sprache des in­ ternationalen Handels, obwohl es von weniger Menschen ge­ sprochen wird als chinesisch, zumal es bereits im 19. Jahrhundert die Sprache einer Hegemonialmacht war. Wenn ein Land die Welt brutalisieren kann, sind es die Verei­ nigten Staaten. Seine militärische, diplomatische, wissen­ schaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Macht ist unübertroffen. (The Economist,9. Juni 2018) Die amerikanische Vorherrschaft wird zunehmend untergra­ ben, nicht nur durch den Aufstieg des chinesischen Imperialis­ mus, sondern durch die Bestrebungen aller anderen Imperialismen, die jede Lücke füllen wollen, die der US­Impe­ rialismus offen lässt. Dieser Zersetzungsprozess kann auf Dau­ er nicht ohne ernstere Konsequenzen für die amerikanische Bourgeoisie bleiben.

Die amerikanische Bourgeoisie übernahm mit dem 1. Welt­ krieg die internationale Vorherrschaft. Die vom Kapitalismus geschaffenen Produktivkräfte konnten nicht mehr in die sozialen Kräfte des Kapitalismus passen, auch nicht in den Rahmen des Nationalstaates. Von dort aus der Krieg. Was war das Ergebnis für Europa? Eine erhebliche Verschärfung der Situation ... Amerika ist jetzt die wesentliche Kraft der kapitalistischen Welt. (Trotzki, Europa und Amerika, 28. Juli 1924) Zwischen der Unterzeichnung des Vertrags von Versailles (1919) und dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor (1941), weigerte sich die politische Vertretung der amerikanischen Bourgeoisie die Weltordnung zu akzeptieren, während sie gleichzeitig ihre Einflusssphären ausweitete und verstärkte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs dagegen haben die Verei­ nigten Staaten multilaterale Wirtschaftsverträge (Bretton Woods AGETAC ...) durchgesetzt und weltweit ausgerichtete Institutionen (UNO, IWF, IBRD­WB, WTO ...) aufgebaut. Da sie wenig Konkurrenz zu fürchten hatte, senkte die US­Regierung Barrieren für grenzüberschreitenden Handel und Investitionen so weit wie möglich ab. Dies wurde in einem globalen Rahmen ausgehandelt (AGETAC­WTO). In diesem Zusammenhang plä­ dierte der US­Imperialismus für die Gleichbehandlung aller ka­ pitalistischen Länder ("die Meistbegünstigungsklausel"). Der amerikanische Staat verwaltete die Welt, ohne seine ei­ genen Interessen zu vernachlässigen. Er ging jedoch Risiken ein. Mit der Offensive gegen die UdSSR („Kalter Krieg“) und die chinesische Revolution (Koreakrieg) komplettierte er dieses Wirtschaftssystem mit militärischen regionalen Bündnisse (NATO 1949, SEATO 1954 ...). Die überwältigende militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten im Nuklearbereich, bei konventionellen Waffen und Geheimdiensten hat die Erobe­ rung Osteuropas durch die Armee der UdSSR, die Niederlagen in Kuba und Vietnam sowie die erniedrigenden Niederlagen in Afghanistan und im Irak nicht verhindern können. In den späten 1970er Jahren entglitt ein wichtiger Teil der Die Schwächung der US-Dominanz Welt dem Kapitalismus: UdSSR und Osteuropa, China, Vietnam, Aufgrund der Siege der Armee der Sowjetunion gegen den Laos, Kuba. Aber die kollektivierte Wirtschaft wurde durch die Machtübernahme durch eine parasitäre und privilegierte Kaste deutschen Imperialismus, der chinesischen Revolution und geschwächt. Der Weltkapitalismus übte wirtschaftlichen, ideo­ des Risikos ihrer Expansion in Asien, der Revolution in Jugo­

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Klassenkampf 32/2018 CoReP / Kollektiv Permanente Revolution slawien und Albanien, dem revolutionären Aufschwung in Eu­ mensbesteuerung, Manipulation der Wechselkurs, Patente und ropa ab dem Jahr 1943 (Italien, Frankreich ...), haben die US­ anderes „geistiges Eigentum“ ... Die Botschaft in Richtung Peking ist klar: Gleich zwei Mal in Regierungen ­ Demokraten und Republikaner gleichermaßen ­ dieser Woche hat die Bundesregierung verhindert, dass chine­ die imperialistischen Rivalen (Großbritannien, Frankreich, die sische Investoren bei deutschen Firmen einsteigen. Die Staats­ Niederlande ...) verschont oder wieder aufgebaut (Japan, bank KfW erwirbt einen Anteil von 20 Prozent am Deutschland, Italien). Der Vietnamkrieg erleichterte die Entste­ Sromnetzbetreiber 50Hertz und stoppt damit den Einstieg des hung neuer Kapitalismen (Brasilien, Südkorea ...). Wie alle auf­ chinesischen Staatskonzerns SGCC. Und auch die geplante strebenden Kapitalisten haben sich ihre Bourgeoisien zunächst Übernahme des westfälischen Werkzeugmaschinenherstellers durch protektionistische Maßnahmen geschützt. "Leifeld Metal Spinning" durch chinesische Investoren soll ver­ Während der hegemoniale Imperialismus die Hauptlast des boten werden. (Deutschlandfunk, 27 Juli 2018) Militarismus zu tragen hatte, kam die Restauration des Kapita­ Wegen des Vietnam­Krieges und der Schwächung des Dol­ lismus in Osteuropa und Russland im Jahr 1989 in erster Linie den konkurrierenden imperialistischen Mächten Westeuropas, lars begann Nixon 1971 unter Aufgabe der globalen Verantwor­ besonders Deutschland, zu gute. Die neuen russischen und tung der USA mit dem Rückzug vom 1947 in Bretton Woods chinesischenen Bourgeoisien konnten sich auf die Größe ihres gegründeten internationalen Währungssystem: der Beendigung Territoriums und auf das kulturelle und industrielle Erbe der der fixen Parität zwischen dem Dollar und anderen Währun­ früheren Planwirtschaften stützen, um den alten imperialisti­ gen, Annullierung der Konvertierbarkeit des Dollars in Gold. Trump geht noch viel weiter. schen Mächten zu widerstehen und sich selbst in imperialisti­ Wenn ein Land viele Milliar­ sche Mächte umzuwandeln. den Dollar im Handel mit qua­ Seit den 1970er Jahren ha­ si jedem Land verliert, mit ben die Vereinigten Staaten dem es Geschäfte macht, sind mehr Reichtum importiert als Handelskriege gut, und leicht exportiert. Im Jahr 2017 ist das zu gewinnen. Wenn die USA Defizit des Handels mit Waren zum Beispiel ein Handelsdefi­ und Dienstleistungen um mehr zit von 100 Milliarden Dollar als 12% auf 566 Mrd. US$ ange­ mit einem anderen Land ha­ stiegen, sogar 796 Milliarden, ben, und dieses unschuldig tut, wenn man sich auf Güter be­ dann höre auf mit dem Handel. schränkt (wobei sich die Diffe­ (Trump, 2. März 2018) renz aus dem Überschuss bei Der Verlust ihrer Position ­ Dienstleistungen ergibt). Selbst das ist das Schreckgespenst die globale Erholung akzentu­ der amerikanischen Bourgeoi­ ierte lediglich die sinkende sie, das sie dazu zwingt, Wettbewerbsfähigkeit der US­ Der "Rust Belt" ­ einst florierende Industriestädte wie Detroit werden Trump wohl oder übel als Wirtschaft. Chinas Handels­ entvölkert und verfallen. Trump holt sich dort Wählerstimmen überschuss mit den USA erhöhte sich 2017 nach Schätzungen Retter zu akzeptieren, obwohl dieser mit weniger Stimmen als des Weißen Hauses um 10% auf mehr als 375 Milliarden US­Dol­ seine Rivalin gewählt wurde, trotz des Abscheus, den seine lar (ein Betrag, den die chinesischen Behörden bestreiten und schlechten Manieren der Elite einflößen.. Das Bestehen einer herrschenden Klasse wird täglich mehr auf 100 Milliarden minimieren). Im ersten Quartal 2018 erhöht ein Hindernis für die Entwicklung der industriellen Produktiv­ sich dieser Überschuss um weitere knapp 20% gegenüber kraft und ebensosehr für die der Wissenschaft, der Kunst und dem ersten Quartal 2017! namentlich der gebildeten Umgangsformen. Größere Knoten Und es ist nicht Europa, wo sich die amerikanische Bour­ als unsere modernen Bourgeois hat es nie gegeben. (Engels, geoisie trösten könnte. Mit einem stets wiederkehrenden und Zur Wohnungsfrage, 1872) [Knote = ungehobelter Mensch, aus stetig wachsenden Handelsdefizit ­ vor allem mit Deutschland ­ dem Berliner Dialekt] vor Augen erklärte Trump in Davos anklagend, dass "die Euro­ Im Gegensatz zur offiziellen Doktrin seiner demokratischen päische Union gegenüber den Vereinigten Staaten unfair ist" (28. Januar 2018). Er wirft der EU vor, US­Exporte höher zu und republikanischen Vorgänger, lehnt der US­Präsident Ver­ besteuern als die USA europäische Produkte. Tatsächlich sind handlungen und multilaterale Abkommen ab, erhöht einseitig die Vereinigten Staaten fast mit der ganzen Welt wirtschaftlich Zölle, diskutiert von den USA eingegangene Verpflichtungen. im Minus, von Kanada bis Japan, von Deutschland bis Südko­ Wie Hegel erklärte, verwirklicht das Mögliche das Notwendige. Mit seinem Cowboystil und Lösungen auf die Schnelle drückt rea, und so weiter. Trump die dringende Notwendigkeit für die amerikanische Die Flucht nach vorn in den Protektionismus Bourgeoisie aus, einer Situation zu entkommen, die ihre Stel­ Bis vor kurzem pries die US­Regierung die Vorteile des Frei­ lung jeden Tag ein wenig mehr untergräbt und ihr eine indu­ handels, um ausländische Märkte zu öffnen. Schon damals strielle Basis erhalten soll. Und gleichzeitig offenbart er seine nahm der staatliche Schutz der lokalen Unternehmen andere Sackgasse ­ außer in den Krieg zu ziehen, der zweifellos wirt­ Formen als die Zölle an: Verwaltungsmaßnahmen und ­normen, schaftlich ist, aber mit militärischer Sprache geführt wird Am 31. Mai unterzeichnet Trump die Anwendung einer Be­ eingeschränkte öffentliche Aufträge, Subventionen, Beschrän­ kungen für ausländische Investitionen, Senkung der Unterneh­ steuerung von 25% auf Stahl und 10% auf europäisches Alumi­

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nium, was vor allem Deutschland und Italien betrifft, obwohl Andere Staaten bleiben gespalten, je nachdem, ob sie das Ge­ sie alte Verbündete der Vereinigten Staaten sind. Andere Ver­ fühl haben, durch die Auseinandersetzung mit den Vereinigten bündete, Kanada und Mexiko, sind ebenfalls betroffen, wäh­ Staaten mehr zu verlieren oder zu gewinnen. Die europäischen rend Argentinien, Brasilien und Australien, die zugestimmt Bourgeoisien beschließen nur leichte Vergeltungsmaßnahmen, haben, ihre Produktion zu drosseln, fehlen. Was chinesischen angeführt von Deutschland, das im Handel mit den Vereinigten Stahl anbelangt, so werden diese Steuern ab März angewendet. Staaten an vorderster Front steht. Diese gemäßigte Antwort China ist der größte Stahlproduzent der Welt und befindet sich kann jedoch die Aggressivität der Vereinigten Staaten nicht be­ in einer Überproduktionskrise. Teilweise vom US­Markt ver­ sänftigen, weil Trump droht, die Steuer auf alle Einfuhren von drängt, wird China notwendigerweise versuchen, seine Pro­ europäischen Autos von 2,5 auf 20% anzuheben ­ das bedeutet duktion anderswo zu verkaufen, daher die Ängste von in im Wesentlichen einen Angriff auf die deutsche Industrie. Es ist aber klar, daß (...) die politische Macht der ökonomi­ Europa ansässigen Stahlkonzernen. Aber nicht nur Stahl ist im schen Entwicklung großen Schaden tun und Kraft­ und Stoff­ amerikanischen Visier. vergeudung in Massen erzeugen kann. (Engels, Brief an Wir werden auf chinesische Produkte Zölle in Höhe von 50 Conrad Schmidt, 27. Oktober 1890) Milliarden Dollar einheben, dann 100 Milliarden. Sie wissen, Der Handelskrieg ist untrennbar mit dem Militarismus ver­ irgendwann wird ihnen die Munition ausgehen. (Trump,12. bunden und bildet ganz April 2018) einfach den Auftakt zum Die Vereinigten Staaten Krieg. kündigten am 15. Juni die Besteuerung einer Liste von Die USA verhandeln 1.102 Produkten chinesi­ einseitig mit Nordschen Ursprungs ab 6. Juli korea und brechen an. China reagiert mit ähnli­ das multilaterale Abchen Maßnahmen gegen 659 kommen mit dem amerikanische Produkte. Die Iran. Eskalation ist im Gange, Eine weitere, direkte denn Trump droht nun da­ militärische, Front ist mit, etwa 200 Milliarden zu­ durch die Rivalität der sätzlicher chinesische USA mit China geprägt: Importe mit 10 Prozent zu der Konflikt mit Nordko­ besteuern. Xi prangert die rea. Mit völlig wider­ amerikanische Erpressung sprüchlichen Positionen an und verspricht Vergel­ Der Protektionismus könnte weltweit verheerende Auswirkungen auf den bekommt Trump die sta­ tung. Welthandel haben. Gewinner wird es im Handelskrieg keine geben. Natürlich schreien andere Imperialismen, groß und klein, linistische Clique von Pjöngjang dazu, ihre Atomprojekte ein­ “Verrat” an den Handelsabkommen, kündigen Vergeltung auf zufrieren. Ein Gipfeltreffen zwischen dem nordkoreanischen dem gleichen Niveau bei amerikanischen Produkten an und Diktator und dem US­Präsidenten findet am 12. Juni in Singa­ wollen die Welthandelsorganisation (WTO) dazu bewegen, die­ pur statt. Diese Initiative zielt darauf ab, den Kapitalismus in se Praktiken zu verurteilen. Das einzige Problem: die Vereinig­ Nordkorea vollständig wiederherzustellen und somit Korea un­ ten Staaten strafen die WTO mit Verachtung, werfen ihr vor, ter seinem Einfluss zu vereinen. So hofft Trump, Druck auf Chi­ das Dumping ihrer Konkurrenten zu decken, und blockieren na auszuüben. Nebenbei trampelt er auf seinen traditionellen die Ernennung von WTO­Richtern und machen die Organisati­ Partnern herum, die nicht mit den Verhandlungen verbunden on damit handlungsunfähig ... Trudeau vertritt die Auffassung, sind. Ein solcher Kompromiss ist der Alptraum der engsten Verbün­ dass dies „ein Affront gegen die seit langem bestehende Si­ deten in der Region, Südkorea und Japan. (The Economist, 9. cherheitspartnerschaft zwischen Kanada und den Vereinigten Juni 2018) Der Staaten“ sei, Präsident Macron scheint Trump telefonisch mit­ Der US­Imperialismus versucht, eine führende Rolle im Na­ geteilt zu haben, dass seine Entscheidung „ein Fehler und ille­ gal” war, während Kanzlerin Merkel eine “Eskalation, die allen hen Osten zurückzugewinnen, wo er an Boden verloren hat. schaden wird” verurteilt. da die deutschen Automobilexporte Am 8. Mai kündigte Trump die Aufkündigung der Vereinbarung von Trump ebenfalls mit Steuern bedroht werden. Beim G7­ mit dem Iran und anderen imperialistischen Mächten (ein­ Gipfel vom 3. Juni 2018 verurteilten alle die Vereinigten Staa­ schließlich Russland und China) an, der den Stopp des irani­ schen Nuklearprogramms im Gegenzug für eine schrittweise ten. Wenn die Vereinigten Staaten Handelssanktionen einführen, Aufhebung der Wirtschaftssanktionen vorsieht. Deshalb versucht Trump, die Türkei hinter sich zu bringen einschließlich der Erhöhung ihrer Zölle, dann werden alle Früchte der Handels­ und Wirtschaftsverhandlungen wirkungs­ und mehr denn je auf Israel und Saudi­Arabien zu setzen. Am 6. Dezember 2017 kündigte er die Verlegung der amerikanischen los werden. (Neues China, 3. Juni 2018) Auf dem G7­Treffen am 8. und 9. Juni 2018 weigert sich Botschaft nach Jerusalem an und unterstützte damit die Fort­ Trump schließlich, das mühsam ausgehandelte gemeinsame setzung der zionistischen Kolonisierung. Seit dem 30. März hat Kommuniqué zu unterschreiben. Er präzisiert sogar seine Dro­ Netanyahu Hunderte von unbewaffneten Palästinensern an der hungen gegen kanadische und deutsche Handelsüberschüsse. Grenze zum Gazastreifen verstümmeln und massakrieren las­

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Klassenkampf 32/2018 CoReP / Kollektiv Permanente Revolution sen. In der Nacht vom 9. zum 10. Mai greifen 28 Flugzeuge der israelischen Armee iranische Positionen in Syrien an. Die Tür­ kei erhält die Genehmigung der USA, gegen Kurden in Syrien vorzugehen. Assad erhält die Ermächtigung, die letzten Bastio­ nen seiner Gegner zu verkleinern. Der Chef der US­Diplomatie Pompeo drohte dem Iran „die stärksten Sanktionen in der Geschichte“ an; der “Iran würde niemals freie Hand bekommen, den Nahen Osten zu beherr­ schen” “ und dass er sich darauf vorbereitet, "die iranischen Agenten und ihre Hisbollah­Hilfstruppen auf der ganzen Welt zu jagen, um sie zu vernichten". Solche Drohungen zielen dar­ auf ab, das iranische klerikale Regime, das nicht kapitulieren kann, ohne sich selbst aufzugeben, zur Flucht nach vorne zu bewegen um eine militärische Intervention besser rechtferti­ gen zu können. Der konservativste Flügel des Regimes stützt sich auf nationale Gefühle und Antiimperialismus. Der Staat schränkt die kleinen Inseln der Freiheit, die von der Arbeiter­ klasse und der Jugend erobert wurden, ein. Nicht genug damit, den Iran zu bedrohen, haben die Verei­ nigten Staaten die anderen Unterzeichnerstaaten des Abkom­ mens mit Iran, Russland, China, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland eindeutig gewarnt, dass ihre Un­ ternehmen Strafverfolgungen und hohen finanziellen Strafen ausgesetzt wären, wenn sie geschäftliche und finanzielle Bezie­ hungen mit dem Iran unterhalten würden.

Kampf für ihre Rechte gegen den Staat Israel einhergeht..

Die unauflöslichen Widersprüche der imperialistischen Regierungen Nachdem Macron mit heißem Bemühen seine Freundschaft und Nähe zu Trump in Szene gesetzt hatte, musste er desillu­ sioniert zusammen mit Merkel kämpferische Akzente setzen: "Wir dürfen keine Angst haben. Und wir dürfen nicht weiter zuwarten. Wir müssen handeln ­ werden wir die Herrschaft der anderen oder ihre Tyrannei akzeptieren? Wer sollte unse­ re wirtschaftlichen Entscheidungen treffen? (10. Mai 2018). Aber hinter dem schneidigen Auftreten lauert die grausame Realität: die europäischen Bourgeoisien verfügen nicht (oder fast nicht) über die Mittel, um ihre Unternehmen vor den ame­ rikanischen Sanktionen zu bewahren. Von dem Moment an, in dem europäische multinationale Unternehmen Geschäfte mit den Vereinigten Staaten tätigen (ein größerer Markt als der Iran), können sie sich den Sanktionen nicht entziehen. Die Europäische Kommission hat eine Verordnung aus dem Jahr 1996 mit dem Titel "Blocking Law" aus der Mottenkiste ge­ holt, um US­Strafverfolgungen in Europa zu verhindern, aber dieser Schutzschirm ist lächerlich. So verzichtet Engie nach Total auf Geschäfte mit dem Iran. Deutschland wird mit Sie­ mens und Daimler am stärksten betroffen sein, aber auch Itali­

Grenzbefestigung zwischen Mexiko und den USA in der Yuha­Wüste (cc) Kevin https://www.flickr.com/photos/slworking/4549636377, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Hinter Saudi Arabien und Israel stehen die Vereinigten Staa­ ten; Inwieweit dem Iran, der Regionalmacht, die den USA im Weg steht, die Unterstützung Russlands und Chinas gewiss ist, scheint angesichts des enormen militärischen Vorteils der USA im Falle einer Konfrontation ungewiss. Der Druck des amerika­ nischen Imperialismus auf den Iran ist weit davon entfernt, den Kampf der iranischen Arbeiterinnen und Jugendlichen zu er­ leichtern. Er ist ein zusätzlicher Schlag, so wie die Ermutigung und Unterstützung der israelischen Siedlungspolitik ein zusätz­ licher Schlag gegen die Palästinenser ist, im Gegenzug für Is­ raels militärisches Engagement gegen den Iran. Für die bewussten Arbeiterinnen und Arbeiter geht die Lo­ sung “Nieder mit allen wirtschaftlichen Sanktionen und impe­ rialistischen Militärinterventionen gegen den Iran” Hand in Hand mit der Unterstützung aller Kämpfe der Arbeiterklasse und der iranischen Jugend zum Sturz der islamistischen Dikta­ tur, so wie sie mit der Unterstützung der Palästinenser im

en und Frankreich, neben Öl und Gas mit PSA und Renault, ganz zu schweigen von Airbus, was sowohl Deutschland und Frankreich trifft. Das vom europäischen Imperialismus verlore­ ne Terrain könnte vom russischen und chinesischen Imperia­ lismus eingenommen werden. Russland leidet bereits unter US­Sanktionen und China ist entschlossen, dem amerikani­ schem Druck nicht nachzugeben. Es gibt keinen europäischen Imperialismus “an sich”. Die Europäische Union ist ein wackeliger Kompromiss zwischen bürgerlichen Staaten mit zu engen Grenzen. Die EU ist durch den Ausstieg Großbritanniens ("Brexit"), aber auch durch die Widerspenstigkeit der baltischen und mitteleuropäischen Län­ der ("Visegrád­Gruppe") geschwächt. Die Meinungsverschie­ denheit ist in den Jahren 2015­2016 mit der Weigerung Polens, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarns ... aufge­ brochen, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie hat nicht nachgelassen, nachdem die CDU­SPD­Koalition unter Führung von Merkel die

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CoReP / Kollektiv Permanente Revolution Grenzen geschlossen hat. Tatsächlich wählen "populistische" Regierungen das Bündnis mit dem US­Imperialismus gegen den russischen ... und den deutschen Imperialismus. Aus diesem Grund sind sie, obwohl sie in ihren Ländern den Antisemitis­ mus schüren, andererseits eng mit Israel verbündet. Am 22. Juli scheint die Europäische Union bereit zu sein, einen Kompromiss mit der Regierung der USA auf dem Rücken Chinas zu suchen. US­Präsident Donald Trump und der Präsident der Europäi­ schen Kommission, Jean Claude Juncker, haben einen Pakt zur Entschärfung des Handelsstreits zwischen Washington und Brüssel angekündigt, der zu gegenseitigen Zöllen geführt hat ... Nach einer europäischen Quelle werden einige neue Zölle für Importe in die Vereinigten Staaten eingeführt, so für Automobile ... Die EU wird "sofort" ihre Einkäufe von US­Soja erhöhen, sagte Trump, der versprochen hat, die Zollsätze für aus Europa importierten Stahl und Aluminium zu revidie­ ren ... Trump gab auch bekannt, dass die Vereinigten Staaten und die EU gemeinsam weite arbeiteten, um eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) durchzusetzen. In besonde­ rer Weise rückt China ins Rampenlicht, dem die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorgeworfen wird und das zum Transfer von Technologien gezwungen werden soll. (El País, 25. Juli 2018) Für Trump ist der internationale Handel "ein Nullsummen­ spiel": Ihm zufolge ist das, was ein Land gewinnt, notwendiger­ weise gleich dem, was ein anderes verliert. Diese archaische Sicht steht in der Tradition des Merkantilismus, einer veralte­ ten Lehre im späten 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert, die schon in den Anfängen der wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus verworfen wurde. Smith und Ricardo haben ge­ zeigt, dass der internationale Handel die Entwicklung der Pro­ duktivkräfte anregt: Der gesamte Weltreichtum steigert sich durch Spezialisierung und wächst mehr, als wenn jedes Land isoliert bliebe. Natürlich haben die „klassischen Ökonomen“, die eng mit der britischen Industriebourgeoisie verbunden wa­ ren, vergessen, dass der Kapitalismus aus kolonialem Raub entstanden ist und ließen die Frage der Verteilung des durch die internationale Arbeitsteilung erzielten Gewinns unbeant­ wortet. Wenn die Freihändler nicht begreifen können, wie ein Land sich auf Kosten des anderen bereichern kann, so brauchen wir uns darüber nicht zu wundern, da dieselben Herren noch weniger begreifen wollen, wie innerhalb eines Landes eine Klasse sich auf Kosten einer anderen bereichern kann. (Marx, Rede über den Freihandel, 9. Januar 1848) Die Internationalisierung der Produktivkräfte ist unumkehr­ bar, auch die größte und stärkste Volkswirtschaft kann ihr nicht entgehen. Die metallverarbeitenden Unternehmen, an ihrer Spitze die Automobilhersteller, beschweren sich über Steuern auf Stahl, die zu drastischen Preiserhöhungen ihrer Rohmaterialien füh­ ren ... Die Ankündigungen einer möglichen Einschränkung der chinesischen Investitionen in den US­Technologiesektor haben diese Woche den NASDAQ nach unten gedrückt. (LeMonde, 29. Juni 2018) So findet sich die Welt innerhalb von ein paar Wochen plötz­ lich am Rande eines ausgedehnten Handelskriegs. Die WTO­Mitglieder haben zwischen Mitte Oktober 2017 und

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Klassenkampf 32/2018 Mitte Mai 2018 restriktivere Handelsmaßnahmen eingeführt als im vorangegangenen Berichtszeitraum (Mitte Oktober 2016 bis Mitte Oktober 2017). Dies geht aus dem Halbjahres­ bericht des Generaldirektors über die Entwicklung des Han­ dels hervor, der den Mitgliedern am 25. Juli auf einer Sitzung des Prüfungsausschusses für Handelspolitik vorgelegt wurde. (WTO, 25. Juli 2018) Die Rückkehr des Protektionismus der 30er Jahre ebenso wie die neuen militärischen Drohungen sind Ausdruck des Ver­ falls der kapitalistischen Produktionsweise, in erster Linie des mächtigsten Imperialismus, dem der Vereinigten Staaten.

Die Last des „Wirtschaftspatriotismus“ wird immer den Arbeiter_innen aufgebürdet Wenn eine nationale Bourgeoisie im dem Kapitalismus eige­ nen Wettbewerb verliert, jammert sie über die Illoyalität des Auslands und ruft die lokalen Arbeiter_innen zu ihrer Verteidi­ gung auf. Das gilt in den Vereinigten Staaten ebenso wie in Itali­ en, Großbritannien oder Frankreich. Unsere Industrie ist seit Jahren oder sogar Jahrzehnten Ziel unfairer Handelsangriffe. Und das führte dazu, dass wir Fabri­ ken und Hochöfen stilllegen mussten, Millionen von Arbeitern entlassen wurden, Gemeinden geschrumpft sind. Nun, das wird aufhören! (Trump,9. März 2018) Trump gewann die Präsidentschaft, indem er zur traditio­ nellen Wählerschaft der Republikanischen Partei eine Schicht der weißen Arbeiterklasse, die früher für die andere bürgerli­ che Partei, die Demokratische Partei, gestimmt hatte, zu sich herüber ziehen konnte. Jetzt wendet er sich erneut dem „Rost­ gürtel“ (“rust belt”) zu, diesem Katastrophengebiet, das nicht nur durch den internationalen Wettbewerb, sondern auch durch die Entscheidungen von Konzernen (einschließlich Pro­ duktionsverlagerungen nach Mexiko und den schwächer ge­ werkschaftlich organisierten Südstaaten der USA) devastiert wurde. Dort sucht er erneut Stimmen für die nächsten Wahlen (die “mid­term­elections" im November 2018, die Präsidenten­ wahlen im November 2020). Die Gewerkschaftsbürokratie des wichtigsten US­amerikanischen Gewerkschaftsbundes, der AFL­CIO, unterstützt dieses Täuschungsmanöver: Präsident Donald Trump, ist der erste, der nicht nur über das Problem spricht, sondern etwas tut, um es zu lösen. Dies ist ein erster Schritt und wir finden das positiv. (Richard Trumka, 6. März 2018) Die Bürokratie des rivalisierenden Gewerkschaftsverbandes CtW (die sich u.a. auf die Gewerkschaft der LKW­Wahrer IBT stützt) ist genauso sozialchauvinistisch. Wir sind bereit, mit dem Weißen Haus und anderen nordame­ rikanischen Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, um diese Zölle zu verteidigen und zu erklären, wie sie zum Schutz der amerikanischen Arbeiter und unseres nationalen Wohlerge­ hens umgesetzt werden können. (James P. Hoffa, 8. März 2018) Das ist Scharlatanerie. In den USA verursacht der Protektio­ nismus, der Fabriken zurückbringen soll, mehr Schaden, als dass er Arbeitsplätze schafft. Zum Beispiel hatte Ford darauf verzichtet, in Mexiko eines seiner Modelle produzieren zu las­ sen, was von Trump in den höchsten Tönen gelobt worden war, um schließlich in China zu produzieren, um den Stahl­ preiserhöhungen zu entkommen, die auf Trumps Zölle zurück­


Klassenkampf 32/2018 CoReP / Kollektiv Permanente Revolution zuführen sind! Die drei größten US­Autohersteller produzieren (PCF) und der Sozialdemokratie (PS, Générations, La France In­ ungefähr 15% der Autos, die sie am US­Markt verkaufen, haupt­ soumise) bei der Verteidigung der “Nation” wetteifern. Thälmann verteidigt in seiner Antwort weiterhin die Losung sächlich in Kanada und Mexiko. der »nationalen Befreiung« und stellt sie auf eine Ebene mit Was die ausländischen Hersteller betrifft, begnügen sie sich der Losung der sozialen Befreiung. (...) Diese Politik ist wie nicht damit, ihre Fahrzeuge in die Vereinigten Staaten zu ex­ eigens dazu ersonnen, die Aufmerksamkeit der Arbeiter von portieren. Um dem Protektionismus des Staates und dem Grundproblemen abzulenken, den Kampf gegen den Kapita­ Chauvinismus der Kunden ein Schnippchen zu schlagen, ha­ lismus zu schwächen und sie zu zwingen, den Hauptfeind und ben Konzerne wie Toyota, Honda, Hyundai, Nissan und Volks­ den Urheber des Elends jenseits der Grenzen zu suchen. wagen schon seit langem Tochterbetriebe aufgebaut, die (Trotzki, Der einzige Weg, 14. September 1932) sowohl für den Inlandsmarkt als auch für den Export produzie­ Der kleinbürgerliche oder bürgerliche Sozialismus (von La­ ren: 17 Fabriken und 65.000 Beschäftigte insgesamt. Darüber hinaus übernahm Fiat im Jahr 2010 die Kontrolle über einen bour bis zum Stalinismus) stellt staatliche Interventionen im Allgemeinen und den Protektionismus im Besonderen als et­ der drei historischen Autokonzerne, Chrysler. Letzten Endes, so Trade Partnership Worldwide, könnten was Fortschrittliches hin, obwohl diese Maßnahmen vom Fa­ schismus auf die Stahl­ und Aluminium­ Spitze getrieben wer­ steuern 92.000 Ar­ den. Im Gegenteil hat beitsplätze schaffen der internationalisti­ und gleichzeitig weite­ sche Flügel der Ar­ re 250.000 Arbeitsplät­ beiterbewegung ze vernichten. Die immer gegen den Arbeiter werden im Protektionismus ge­ kommenden Wirt­ kämpft, von der schaftskrieg nichts ge­ Gründung des Bun­ winnen, im Gegenteil. des der Kommuni­ Weder in den Vereinig­ sten (1847) bis zum ten Staaten noch an­ Verschwinden der IV. derswo. In Internationale 1951­ Ermangelung einer 1953. Verbesserung ihrer Si­ Glauben Sie aber tuation verkauft nicht, meine Herren, Trump ihnen einen il­ daß, wenn wir die lusorischen Nationa­ Handelsfreiheit kriti­ lismus. Populismus, Schlafcontainer für Arbeiter in Shenzhen (VR China) sieren, wir die Ab­ Fremdenfeindlichkeit (cc) Chris, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/ sicht haben, das und Rassismus wer­ Schutzzollsystem zu den von Regierungen verteidigen. Man kann den Konstitutionalismus bekämpfen, in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Italien, Österreich, ohne deshalb Freund des Absolutismus zu sein. (Marx, Rede Ungarn, Polen usw. praktiziert. über den Freihandel,9. Januar 1848) Sie würden nicht glauben, wie böse diese Leute sind. Es sind Bei den Wählern konnten dann hie und da schutzzöllnerische keine Leute. Es sind Tiere.(Trump, 16. Mai 2018) Strömungen auch nicht ausbleiben, diese wollte man doch Dies ist ein Zeichen der historischen Verwesung der kapita­ auch berücksichtigen. Der einzige Weg, aus dieser Verwirrung listischen Produktionsweise im imperialistischen Zeitalter. herauszukommen, indem man die Frage rein politisch auffaß­ Die Welt des niedergehenden Kapitalismus ist übervölkert. te (wie in der "Laterne" geschah), wurde nicht entschieden Die Frage, hundert zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen, wird eingeschlagen.(Marx, Engels, Zirkularbrief an Bebel, Lieb­ ein Hauptproblem für eine derartige Weltmacht wie die Verei­ knecht, Bracke u.a., September 1879) nigten Staaten. (Trotzki, Manifest der IV. Internationale,Mai Die Sozialdemokratie kämpft gegen Militarismus, Kolonialis­ 1940) mus, Protektionismus ebenso wie sie von Grund auf den Das ist auch der Preis für den Verrat an den revolutionären Staatsapparat der bestehenden Klasse, seine Verwaltung, sei­ Kämpfen des Proletariats durch seine alten und neuen “refor­ ne Gesetzgebung, sein Schulsystem, etc. bekämpft. (Luxem­ mistischen” Führungen. Die Führungskrise des Weltproletari­ burg, Nationalstaat und das Proletariat,1908) ats verschärft sich. Die Kommunistische Internationale, eine Diejenigen, die in der zeitgenössischen Arbeiter_innenbewe­ revolutionäre internationale Massenbewegung, wurde in den 1930er Jahren unter der Kontrolle der stalinistischen Bürokra­ gung die verheerenden Auswirkungen der „Globalisierung“ tie der UdSSR zu einem Instrument der Konterrevolution. Die verdammen und, statt zum Sturz des Kapitalismus aufzurufen, Vierte Internationale, 1938 gegründet, um sie zu ersetzen, zer­ einem “solidarischen Protektionismus” (sic) das Wort reden brach in den 1950er Jahren unter dem Einfluss des Stalinismus wie LFI­Vorsitzender Melenchon, oder die Anhänger des Bre­ und des bürgerlichen Nationalismus. Wir finden in Frankreich xit in England vom Typ der CPB, SPEW oder SWP, stellen sich sogar Organisationen, die aus dem „Trotzkismus“ hervorge­ in Wirklichkeit hinter die reaktionärsten Teile ihrer Bourgeoi­ gangen sind (POID, POI), die mit den Resten des Stalinismus sie .

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Klassenkampf 32/2018

Für die Klassenunabhängigkeit, für die Diktatur des Proletariats

keiten der Arbeiter ist es durchaus möglich, angemessene Be­ dingungen für die materielle und geistige Entwicklung der gesamten Menschheit zu schaffen, Es wäre nur nötig, das wirt­ Nicht nur Trump ist ein Problem. Alle bürgerlichen Regie­ schaftliche Leben in jedem Land und auf unserem ganzen Pla­ rungen kürzen Ausgaben, die das Leben der Arbeiter verbes­ neten korrekt, wissenschaftlich und rationell nach einem sern und stecken immer mehr in den Repressionsapparat des allgemeinen Plan zu organisieren, Solange jedoch die Haupt­ Staates (Geheimdienste, Armee, Polizei, Gefängnisse ...). produktivkräfte der Gesell­ Nach 13 aufeinanderfolgen­ schaft in den Händen der den Jahren der Zunahme Konzerne liegen, d.h. in den der Militärausgaben von Händen von getrennten Kapita­ 1999 bis 2013 und einem listencliquen, und solange der relativen Stillstand 2012­ Nationalstaat ein williges 2016, haben sich die welt­ Werkzeug in den Händen die­ weiten Militärausgaben im ser Cliquen bleibt, muss der Jahr 2017 wieder erhöht. Kampf um Märkte, um Roh­ Sie betragen 2,2% des welt­ stoffquellen, um die Weltherr­ weiten Bruttoinlandspro­ schaft unweigerlich einen mehr duktes, das sind 230 Dollar und mehr destruktiven Charak­ pro Person ... Die USA füh­ ter annehmen. Die Staats­ ren weiterhin bei der Höhe macht und die Beherrschung der Militärausgaben. Im der Wirtschaft kann den Hän­ Jahr 2017 gaben sie mehr den dieser räuberischen impe­ für ihre Streitkräfte aus als Ein Handelskrieg kann leicht der Auftakt zum "heißen" Krieg werden rialistischen Cliquen nur durch die nächsten sieben ausga­ die revolutionäre Arbeiterklasse entrissen werden. (Trotzki, befreudigsten Länder ... China verzeichnete 2017 den größten Manifest der IV. Internationale, Mai 1940) absoluten Anstieg der Ausgaben: 12 Milliarden Dollar. (SIPRI, Alles hängt vom Aufbau einer neuen revolutionären Arbei­ 2. Mai 2018) Die Arbeiterklasse kann die Menschheit vor der wirtschaftli­ terinternationale ab, die das Banner des Kommunismus er­ chen, sozialen, ökologischen und politischen Katastrophe be­ hebt. Internationales Büro des Kollektivs Permanente wahren, in die sie die Erhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie Revolution (CoReP) führt. 27. Juli 2018 Mit dem gegenwärtigen Stand der Technologie und den Fähig­

Das Kollektiv Permanente Revolution CoReP

Frankreich: Groupe Marxiste Internationaliste www.groupemarxiste.info Österreich: Gruppe Klassenkampf www.klassenkampf.net

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