KLASSENKAMPF 40

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KLASSENKAMPF

Die Antwort auf die Barbarei des Kapitalismus:

sozialismus!

Ein Virus befeuert die Krise

Editorial: Keine „nationale Einheit“

- Klassenkampf!

Im Namen des „Kampfes gegen die Coronakrise“ beschwören die Kapitalisten die "nationale Einheit" - wir sagen: Jetzt erst recht Klassenkampf!

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Türkei, Spanischer Staat: Corona und die Arbeiter*innen

Wie sich die Corona-Krise in den einzelnen Länder konkret auf die Arbeiter*innen auswirkt berichten unsere Genoss*innen

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Ryan-AirManagement will soziale Bruchlandung

Hackeln für Löhne unter der Armutsgrenze - der Traum jedes Kapitalisten. Wenn das im Guten nicht geht, soll halt der Staat eingreifen

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ISSN: 2220­0657

Für Rätemacht und Revolution! Nummer 40 | Juni 2020 | 2,-- Zeitung der Gruppe Klassenkampf, öst. Sektion des Kollektivs permanente Revolution

Keine „nationale Einheit“ im Namen der

Corona­Krise! Jetzt erst

Klassenkampf!

recht:

In Österreich finden zum ersten Mal seit dem Ende des 2. imperialistischen Weltkrieges vor 75 Jahren keine massiven Maidemonstrationen der Massenorganisationen der österreichischen Arbeiterklasse statt. Zum ersten und letzten Mal seit der Errichtung der Republik 1918 hat die autoritäre Regierung Dollfuß 1933 vor Errichtung der austrofaschistischen Diktatur die Demonstration der Sozialdemokratie verboten. Nicht einmal ein Jahr später, im Februar 1934, haben die Faschisten nach einem heldenhaften bewaffneten Widerstandskampf die Arbeiterorganisationen zerschlagen, und damit auch die legalen Maikundgebungen.

Heute ist es die Corona­Krise die Massenkundgebungen unmöglich macht –und die autoritären Verordnungen der bürgerlichen Koalitionsregierung aus Volkspartei und Grünen

Mitte April waren in Österreich 588 000 Menschen arbeitslos und über 1,1 Millionen auf Kurzarbeit gesetzt. Um die Dimensionen zu erkennen: 2019 waren 4,4 Millionen erwerbstätig

Die gleiche Regierung, die ab Februar

der Folgen einer letzten Endes durch die kapitalistische Naturzerstörung ausgelösten weltweiten Pandemie geht Für die österreichische Bundesregierung und ihr Aushängeschild, Bundeskanzler Sebastian Kurz, war die Corona­Krise der willkommene Vorwand, den antiparlamentarischen, tendenziell autoritären Kurs zu intensivieren und massiv in durch die Verfassung geregelte Gesetze einzugreifen Faktisch wurde ein Ver­

Wiezeigt sich der Dank der Kapitalisten für diese Proletarier*innen? In Massenarbeitslosigkeit, Lohnverlust, einem faktischen Einfrieren der medizinischen Versorgung abseits der Pandemie.

der Ausbreitung des Corona­Virus im Tourismusgebiet Tirol tatenlos zusah und die Verharmlosungspolitik der dortigen Landesregierung – auch Volkspartei und Grüne! – deckte, weil die Profitinteressen der Tourismuswirtschaft vor dem Schutz der menschlichen Gesundheit stand, begann ab Anfang März mit drakonischen Zwangsmaßnahmen, um die Ausbreitung der Pandemie zu bekämpfen

Diese Maßnahmen – staatlicher Zwang statt Mobilisierung der Solidarität, Panikmache statt korrekter Information der Bevölkerung, Eingriffe in das Sozial­ und Arbeitsrecht, um Entlassungen und Kurzarbeit zu fördern, nationalistische Propaganda – waren nicht nur Ausdruck der generellen Hilflosigkeit einer auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Regierung, wenn es um die Abwehr

sammlungs­ und Demonstrationsverbot erlassen, die Präsenz der Polizei in den Straßen erhöht und deren Willkür Tür und Tor geöffnet

Zugleich gelang es es Regierung durch den Druck der Massenentlassungen und Kurzarbeit, den starken österreichischen Gewerkschaftsbund im Namen einer “nationalen Kraftanstrengung” zum Komplizen ihrer Maßnahmen zu machen Das „Team Austria“ ist die österreichische, rot­weiß­rote Ausprägung der „nationalen Einheit“

Unmittelbar vor Ausbruch der Corona­Krise hatten 135 000 Beschäftigte im Bereich der Sozialwirtschaft einen erbitterten Kampf für die 35­Stunden­Woche geführt, weil die Arbeitssituation in diesem Bereich mit vielen weiblichen Beschäftigten erbärmlich ist. Zum erstenmal seit Jahren gab es in ganz Ös­

terreich Massendemonstrationen, und auch andere Arbeiterinnen und Arbeiter solidarisierten sich mit diesem Kampf. Es gab Streiks und Betriebsversammlungen, in denen die Arbeiter*innen sagten; „Die 35­Stunden­Woche ist unsere Minimalforderung“.

Kaum hatte die Regierung den „Lockdown“ proklamiert, gingen die involvierten Gewerkschaften in die Knie und stimmten einer geringfügigen Lohnerhöhung und dem Versprechen einer Arbeitszeitverkürzung in der Sozialwirtschaft ab 2022 zu. Das „Team Austria“ hätte seinen Klassencharakter nicht besser zeigen können

Die Sozialpartnerschaft, welche Kurz und seine bürgerlichen Verbündeten –die faschistoide FPÖ und jetzt die pseudobasisdemokratischen Grünen – erbittert bekämpft und faktisch bereits zerschlagen hatten, wurde nun plötzlich wieder aus dem Hut gezaubert, weil die Bewältigung der Corona­Krise und ihrer Folgen letztlich nicht ohne Unterstützung durch die Arbeiter*innenbürokratie möglich sein wird

Mit sentimentalen Worten lobt Kanzler Kurz die „Held*innen“ der Arbeit, die das Land – sprich: den Kapitalismus – am Laufen halten: Supermarktverkäufer*innen, Krankenpfleger, Müllabfuhr Wie zeigt sich der Dank der Kapitalisten für diese Proletarier*innen? In Massenarbeitslosigkeit, Lohnverlust, einem faktischen Einfrieren der medizinischen Versorgung abseits der Pandemie Unverhohlen werden Pensionist*innen, die „unproduktiv“ sind, durch soziale Isolation an den Rand der Gesellschaft gedrängt Und auch die bekannten ausländerfeindlichen Phrasen tauchen wieder auf, während gleichzeitig tausende osteuropäische Erntehelfer*innen und rumänische Pflegekräfte in Massentransporten herangekarrt werden

Kurz und seine grünen Koalitionspartner tun alles, um den Nationalismus und den Autoritarismus zu fördern Offen­

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sichtlich verfassungswidrige Verordnungen und Gesetze werden mit einer lässigen Handbewegung abgetan: Es sei nicht die Zeit für juristische Spitzfindigkeiten; die vielbeschworene europäische Einheit à la EU endet heute an den plötzlich wieder geschlossen Grenzbalken Aus „gesundheitlichen“ Gründen lässt man Geflüchtete an den EU­Außengrenzen verrecken. Kanzler Kurz unterstützte zwar mitten während der Corona­Krise der US­imperialistische Kampagne gegen den venezolanischen Präsidenten Maduro – zu seinem EVP­Kumpel Viktor Orban,

der in Ungarn die demokratischen Freiheiten kassiert hat, fällt ihm hingegen nichts ein

Es gilt jetzt, im internationalen Maßstab den Widerstand gegen die Maßnahmen der Kapitalist*innen und ihrer Regierungen vorzubereiten Die 1 Mai­Erklärung des CoReP hat hier den Rahmen abgesteckt.

In Österreich wird das bedeuten, den Kampf gegen die nationale Einheit und die domestizierte Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren; die Selbstorganisation der lohnabhängigen Massen zu

Wird die „neue Normalität“ sozialpartnerschaftlich?

VP­Multifunktionär Harald Mahrer, ein treuer Gefolgsmann von Sebastian Kurz, offenbarte in seiner Antrittsrede als Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs am 18. Mai 2018 ein bis dahin in dieser Form neues Verständnis von der Bedeutung der einstmals geschätzten „Sozialpartner“ Arbeiterkammer und ÖGB. Weil diese Widerstand gegen die von der damals noch türkis­blauen Regierung angekündigte Verlängerung der Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden ankündigten, kritisierte Mahrer deren „Gräuelpropaganda“ und schloss angriffig: „Aber es gibt halt viele, die sind immer gegen etwas, und das sind in Wirklichkeit auch die Gegner unserer Republik“.

Von der „Nebenregierung“ zum „Gegner der Republik“ war zwar ein weiter Weg, folgerichtig war er allemal Zwar gibt es in zahlreichen europäischen Ländern „Sozialpartnerverhandlungen“, wenn es um Löhne oder Sozialrechtsänderungen geht (siehe die Pensionszerschlagungs“reform“ von Macron in Frankreich). Um die Klassengegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft zu übertünchen, bedient sich die herrschende Klasse gerne einer beschönigenden Sprache Und, Hand auf‘s Herz – kann man denn von einem „Partner“ ernsthaft Böses erwarten?

Österreich hat insoweit eine Ausnahmerolle eingenommen, als hier in einem unerhörten Maß die Klassenzusammenarbeit zwischen Kapitalistenverbänden (WKÖ und Industriellenvereinigung) und Gewerkschaften sowie AK in eine institutionelle Form gegossen und tatsächlich „parallelstaatliche“ Formen angenommen hatte.

Bereits in der unmittelbaren Nach­

kriegszeit, ab 1947, wurden bis 1951 fünf sogenannte „Lohn­Preis­Abkommen“ abgeschlossen, in denen unter Aufsicht der Regierung Vertreter des stark geschwächten österreichischen Kapitals und der „von oben nach unten“ aufgebauten Gewerkschaften gemeinsame Regulierungsmaßnahmen vereinbarten Bedeutend war dabei das Gewicht der Sozialdemokratie, die sich einerseits schnell der deutlich antikapitalistisch gesinnten Funktionäre aus der Zeit der Illegalität („Revolutionäre Sozialisten“) entledigte und andererseits teilweise ihre Vorstellungen von „Planung und Wirtschaftskontrolle“ umsetzen konnte Was von einigen zentristischen Organisationen mit Wurzeln in der SPÖ (SLP, Funke) noch heute als „fortschrittliche“ Maßnahme („Verstaatlichung“) gefeiert wird, entsprach in Wirklichkeit der selbst zugeschriebenen Rolle der Sozialdemokratie als „Pfleger am Krankenbett des Kapitalismus“. Verstaatlichungen sind im Rahmen des Kapitalismus nicht systemsprengend, sie können vielmehr not­

propagieren Und vor allem den Schuldigen an dieser Krise zu benennen: Die kapitalistische Produktionsweise, das internationale imperialistische Profitsystem

• Es lebe der 1. Mai, der internationale Kampftag der Arbeiterklasse!

• Hoch die internationale Solidarität!

• Für den Aufbau Revolutionärer Arbeiterparteien in jedem Land, für die Revolutionäre Arbeiter*innen­Internationale!

wendige Maßnahmen sein, um eine ökonomisch schwächelnde herrschende Klasse bei der Kapitalakkumulation (Anhäufung von Kapital) zu unterstützen.

1950 führte das 4 Lohn­Preis­Abkommen zu den „Oktoberstreiks“, einer Welle spontaner Empörung und Arbeitsniederlegungen gegen Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln und Heizmaterial Von den US­Geheimdiensten vermittels der dortigen Gewerkschaft AFL­CIO unterstützte sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionäre wie Bau­Holz­Gewerkschafts vorsitzender Franz Olah brachen den Streik teilweise mit Brachialgewalt. Die einzigen potenziellen Störenfriede im ÖGB, Vertreter der kommunistischen Fraktion, wurden aus den Gewerkschaften ausgeschlossen.

In allen offiziellen Festschriften zu den unterschiedlichen Republiksjubiläen werden die Lohn­Preis­Abkommen völlig zu Recht als „Geburtsstunde“ der Sozialpartnerschaft gepriesen Tatsächlich markiert das Jahr 1950 eine Wende, weil sich die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften ohne Wenn und Aber hinter die Kapitalinteressen stellten und nicht einmal den Anschein von Verhandlungsbereitschaft gegenüber den Arbeiter*innen aufblitzen ließen

1957 wurde die Paritätische Kommission für Preis­ und Lohnfragen (PKPL) als informelles Organ der Klassenzusammenarbeit zwischen Wirtschaftskammer,

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Landwirtschaftskammer und AK/ÖGB gegründet. Ohne in irgendeiner Weise durch Gesetze oder die Verfassung legitimiert zu sein, bestand die PKPL als „Beratungsgremium“ neben der Bundesregierung, die mehr oder minder freiwillig der Kommission Bericht erstattete und sozialpolitische Entscheidungen aufgrund von Empfehlungen dieser „Schattenregierung“ traf. 1963 wurde ergänzend der Beirat für Wirtschafts­ und Sozialfragen eingerichtet

nellen Parteien der beiden Hauptklassen den Ton angeben. So registriert EnnserJedenastik etwa in der SPÖ­FPÖ­Koaliton 1986­1990 einen merklichen Rückgang der Minister*innen mit sozialpartnerschaftlichem Background. Tatsächlich ist die Rolle der FPÖ, die sich gerne als „neue Arbeiterpartei“ titulieren lässt und gar das Erbe von Viktor Adler für sich beansprucht in den Basisorganisationen der Arbeiter*innenklasse nach wie vor eine vernachlässigbare Größe

Am7 Oktober 1950 organisierte die SPÖ gemeinsam mit „ihren“ Gewerkschaftern eine große „Siegesfeier der Demokratie“ am Wiener Rathausplatz. BauHolz-Gewerkschafter und Vertrauensmann der USBesatzer Franz Olah verteidigte dort den Einsatz seiner Schlägertrupps gegen die Streikenden und kündigte eine Säuberung der Gewerkschaften an Nebenstehend der Bericht der Arbeiterzeitung (SPÖZentralorgan) vom 8 10 1950

Solange der österreichische Kapitalismus in seiner Wiederaufbau­ und Modernisierungsphase war, also bis in die 70er Jahre hinein, war die Sozialpartnerschaft ein unantastbarer Bestandteil der österreichischen „Realverfassung“.

Sogar unter der ersten bürgerlichen Alleinregierung 1966 kam in der Regel mehr als ein Drittel der Minister und Staatssekretäre aus Sozialpartnerorganisationen (in diesem Fall aus der Fraktion Christlicher Gewerkschafter, der Wirtschaftsund Landwirtschaftskammer) In der „Modernisierungsphase“ unter Kreisky ab den 70er Jahren nahm der Anteil von Regierungsmitgliedern aus den Sozialpartnergremien wieder zu, diesmal natürlich mit sozialdemokratischer Färbung

Der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser­Jedenastik konstatiert richtig, dass „Große Koalitionen“ auch immer eine größere Beteiligung von „Sozialpartner­Minister*innen“ bedeuten Das hängt sicher damit zusammen, dass – Aufstieg extrem reaktionärer oder gar faschistoider Parteien wie der FPÖ hin oder scheinbar „basisdemokratischer“ kleinbürgerlicher Parteien wie Grüne her – in den Hauptinstitutionen der Sozialpartnerschaft nach wie vor die traditio­

Starke Arbeiter*innenorganisationen, selbst wenn ihre Führungen durch und durch dem herrschenden System die Treue geschworen haben, und Gewerkschaften, die, egal wie ihre Politik konkret aussieht, zumindest unterschwellig ein Gefühl der Gemeinschaft zwischen den Lohnabhängigen ausdrücken, sind für das Kapital immer ein Dorn im Auge

In den 80er Jahren begann sich der österreichische Kapitalismus zu wandeln Die von den vorhergegangenen SPÖ­Regierungen vorangetriebene Modernisierung und Internationalisierung begann sich auf unterschiedlichen Ebenen auszuwirken Die Vollbeschäftigung als sozialpolitische Leitlinie brach weg, arbeitsrechtliche Deregulierungen fanden statt – noch hieß das, was durch Flexibilisierungen und erstes „Outsourcing“ entstand, „atypische“ Beschäftigungsverhältnisse Der EU­Beitritt Österreichs 1995 veränderte das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen weiter: Zum 20. Jahrestag des EU­Beitritts bilanzierte das liberale Wochenmagazin „profil“ 2015 in einem Dossier: „Die großen Sorgen galten den Landwirten, als eigentliche Verlierer erwiesen sich Arbeiter: Sie mussten seit Mitte der 1990er­Jah­

re Reallohnverluste von 14 Prozent hinnehmen. Zum Vergleich: Beamte kamen im selben Zeitraum auf ein Einkommensplus von 23 Prozent Wie sehr vor allem gering qualifizierte, unselbstständige Beschäftigte unter Druck kamen, lässt sich etwa an der sogenannten Lohnquote ablesen: Diese lag im Jahr 1995 bei 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; heute hält sie bei 69 Prozent. Für Arbeitnehmer bleibt also ein kleineres Stück vom Wirtschaftskuchen Anders gerechnet: Im Jahr 1995 konnte sich ein Arbeiter von einem durchschnittlichen Netto­Monatslohn 945 Kilo Schwarzbrot kaufen, heute 802 Kilo“

Die Versuche der Gewerkschaften, durch immer größere Zugeständnisse ihre Loyalität zum bestehenden Wirtschaftssystem zu beweisen, begünstigten die seit Februar 2000 vehement vorgetragenen sozialpolitischen Angriffe der ersten blau­schwarzen Regierung Schüssel I Das Menetekel an der Wand war deutlich: Während die Lohnabhängigen von der Gewerkschaft ernsthafte Maßnahmen gegen den Sozialabbau und insbesondere die „Pensionsreform“ 2003 forderten, setzte sich die Gewerkschaftsführung an die Spitze der Proteste, die teilweise Massencharakter annahmen, um diesen jede radikale Spitze zu nehmen und letzten Ende wieder vor der Regierung zu kapitulieren Die Proteste versandeten und führten zur Demoralisierung an der Gewerkschaftsbasis und einem deutlichen Mitgliederverlust (von 2003 bis 2010 verlor der ÖGB rund 170 000 Mitglieder) Die Kapitalistenvertreter, die einen harten Kurs gegen die Lohnabhängigen forderten, konnten mit Recht jubeln: in einer kritischen Situation hatte der ÖGB bewiesen, dass von ihm kein ernsthafter Widerstand zu erwarten war Die Sozialpartnerschaft als Zähmungs­ und Disziplinierungsstrategie war offensichtlich durch Selbstschwächung hinfällig geworden

Das Ende der Wenderegierung brachte eine scheinbare „Renaissance“ der Sozialpartnerschaft – angesichts der 2008 beginnenden Weltwirtschaftskrise durchaus noch einmal im Interesse des österreichischen Kapitals, das sich über einen ruhigen Sanierungskurs freuen durfte, der nicht wie in anderen Ländern von Protesten und sozialen Unruhen begleitet wurde. Zugleich verstärkte sich der Zangenangriff auf Gewerkschaften und Ar­

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beiterkammern durch die ÖVP (auch wenn diese in Koalitionen mit der SPÖ saß) von der Regierungsbank aus und durch die FPÖ durch außerparlamentarische Propaganda Im Namen des Kampfes gegen die „Bonzen“ versuchten die Kapitalsvertreter nicht nur die Macht der „Roten“ zurückzudrängen, die neue und deutlich aggressivere Mannschaft an der Spitze der Industriellenvereinigung rund um Georg Kapsch (IV­Präsident seit 2012) drängte zunehmend die als zu behäbig und kompromissbereit charakterisierte WKÖ in der ÖVP an den Rand der Partei

Türkis­blau 2017 markierte dann einen Einschnitt Der Kurz­Putsch in der ÖVP bedeutete unter anderem eine klare Absage an die Sozialpartnerschaft In der ÖVP­Regierungsmannschaft (sowohl in der Koalition mit der FPÖ wie mit jener der Grünen) findet sich kein einziger Funktionär, der aus einer der Sozialpartnerinstitutionen stammt Hatte vor Kurz die WKÖ ihre Vertrauensleute in die Regierungen gesetzt, setzte nun Kanzler Kurz den Wirtschaftstreibenden seinen Statthalter Mahrer vor die Nase

Im Wahlkampf 2017 kündigt sich schon vor dem Wahltag die künftige Gangart an: „42 Unternehmer aus Tirol, darunter Seilbahner Franz Hörl, Bauunternehmer Thomas Bodner oder Speckproduzent Karl Handl, schickten im Vorfeld der Nationalratswahl am 15. Oktober ihren Wunschzettel Richtung Wien Von der nächsten Regierung erhoffen sich die fünf Unternehmerinnen und 37 Unternehmer ‚umfassende Reformen, um den Wirtschaftsstandort zu sichern‘ So soll es möglich werden, Mitarbeiter ‚zwölf Stunden pro Tag‘ und ‚60 Stunden pro Woche‘ zu beschäftigen, um Auftragsspitzen abzufedern Das ‚Wohl der Wirtschaft‘ müsse die kommenden Jahre im Mittelpunkt stehen. Der ‚Klassenkampf‘ stehe dem entgegen“ (ORF Online, 4 10 2017)

Wie wir alle wissen, wurden die Wünsche der „Adlerrunde“, die im Zusammenhang mit dem „Skandal in Ischgl“ in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, postwendend nach der Wahl verwirklicht Bezeichnenderweise fand seit dem Wahltag auch kein Treffen des „Bad Ischler Dialogs“ – einer durch Expertenreferate geprägte Sitzung der Spitzen der Sozialpartnerschaft – mehr statt.

Die eingangs zitierten Attacken Mah­

rers waren nur die pointiertesten Äußerungen der neuen türkisen Führungsriege, deren Kurs Anklänge an die Ständestaatsideologie der Christlichsozialen und Austrofaschisten der 1 Republik zeigt. Genau deswegen fließen hunderttausende Euro an Spenden der Industrie und parasitärer Reicher in die Kassen der „neuen Volkspartei“: Sebastian Kurz hat aus seinem beinahe pathologischen Hass auf alles, was auch nur am Wort Sozialismus anstreift, nie ein Hehl gemacht. Die Attacken der Tiroler Kapitalist*innen auf den „Klassenkampf“ und die Beschwörung des „Wohls der Wirtschaft“ tragen deutlich die Muttermale der korporationistischen Ständekonzeption

parteiintern die bittere Erfahrung machen, dass die Interessen von (christlichen) Lohnabhängigen ebenfalls ignoriert werden

Umso schlimmer für Kurz, dass die Corona­Krise rasch zur weltweiten Pandemie anschwoll und damit innerhalb der kapitalistischen Logik radikale Maßnahmen („lockdown“) ergriffen werden mussten. Ohne über die Zweckmäßigkeit des lockdown und des „social distancing“ zu diskutieren ist eines klar: Nicht nur in Österreich, sondern in vielen anderen Ländern (am deutlichsten wohl in Ungarn, Brasilien oder den USA) nützten reaktionäre Regierungen die durch die Pandemie ausgelöste gesellschaftliche Krise, um ihre ureigenste autoritäre

„Der Gegensatz Arbeitgeber-Arbeitnehmer hat für mich ausgedient. In Wahrheit vertritt der Wirtschaftskammer- Präsident ja nicht nur die rund 520.000 österreichischen Unternehmen, sondern 8,6 Millionen Menschen, nämlich die Unternehmen, ihre Mitarbeiter und auch deren Familien, das ganze Land. Sie alle müssen sich gemeinsam den Zukunftsfragen stellen. Das neue Motto in der Wirtschaftskammer wird daher heißen „Wir schauen auf Österreich“.

Harald Mahrers ständestaatliche Fantasien

Dass das Ziel staatliche Eingriffe in die Kollektivvertragsfähigkeit (in Deutschland: Tarifautonomie) der Gewerkschaften sind, zeigte sich im Herbst 2018, als Kurz, noch Seite an Seite mit dem Haudrauf H. C. Strache, vor Beginn der Kollektivvertragsrunde erklärte: „Die Sozialpartner sollen ‚sicherstellen, dass die Arbeitnehmer von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land profitieren‘, wünschen sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz Christian Strache (FPÖ) in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Auftakt der Kollektivvertragsverhandlungen “ (New Business, 22 September 2018)

Da ging sogar kompromissbereiten FSG­Gewerkschafter*innen der Hut hoch – „Bei der Arbeitszeit über uns drüberfahren und dann Wohltäter spielen“, tönte es sinngemäß aus ÖGB und Kammern

Der ÖAAB, der durch die „neue Volkspartei“ so wie die anderen Bünde in der „alten“ ÖVP bei der Besetzung von Schlüsselstellen leer ausging, musste

Agenda durchzusetzen: Militarisierung der Gesellschaft (Ausgangssperren, Ausweitung der Polizeibefugnisse, Einsatz von Soldaten in „Schlüsselsektoren“ der Wirtschaft, faktisches Demonstrationsund Versammlungsverbot, Regime von Verordnungen und Erlässen an den Parlamenten vorbei, etc ) Zugleich war der „ungreifbare Feind“ als Schnellzement zur Herstellung einer klassenübergreifenden „nationalen Einheit“ ebenso geeignet wie ein äußerer Feind (z B zu Beginn eines Krieges).

Einen Tag, bevor die Regierung ab dem 11 März ein allgemeines Versammlungsverbot verhängte, hätten in ganz Österreich Großdemonstrationen zur Unterstützung der Forderungen der Belegschaften in der Sozialwirtschaft stattfinden sollen Monatelang hatte es in diesem Sektor mit rund 130.000 Beschäftigten Betriebsversammlungen, Kundgebungen und dann österreichweit Streiks gegeben – und es ging nicht, wie sonst bei Kollektivvertragsverhandlugen, ausschließlich um Lohnforderungen, es ging

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vielmehr zentral um die sofortige Verwirklichung einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich Die Bewegung hatte Sprengkraft – die Radikalisierung unter den Beschäftigten zwang die in der Branche tätigen Gewerkschaften vida und GPA/djp dazu, die Proteste verbal zu unterstützen.

Wie jedes Mal in der Geschichte der österreichischen Klassengesellschaft schrillten bei den Kapitalist*innen und

tigen Schädigung des kapitalistischen Systems.

Ein deutliches und unmissverständliches Zeichen für ihre Unterwerfung unter das Burgfriedensdiktat der türkis­grünen Regierung setzten die Gewerkschaften am 31 März: das von vida und GPA/djp dominierte „Große Verhandlungskomitee“ stimmte einem Kollektivvertrag für die Sozialwirtschaft zu, der weit hinter die Forderungen der kämpfenden Kolleg*innen zurück fiel: eine Lohnerhöhung

Einezweite, weniger systematische, nur mehr praktische Form dieses [bürgerlichen] Sozialismus suchte der Arbeiterklasse jede revolutionäre Bewegung zu verleiden, durch den Nachweis, wie nicht diese oder jene politische Veränderung, sondern nur eine Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse, der ökonomischen Verhältnisse ihr von Nutzen sein könne. Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen.

Karl Marx und Friedrich Engels. Manifest der kommunistischen Partei (1847/48)

deren politischen Vertreter*innen bei Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung sofort die Alarmglocken: „Wir werden in Österreich mit einer generellen Arbeitszeitverkürzung das Licht abdrehen Dann können wir uns alle weiße Leintücher umhängen und geordnet zum wirtschaftspolitischen Friedhof marschieren“, hyperventilierte Harald Mahrer am 22 Februar im ORF

Dass der lockdown massive Auswirkungen auf die Beschäftigtenzahlen haben würde, war klar Vermutlich knirschte Sebastian Kurz lautstark mit den Zähnen, bevor er die Unterstützung der Sozialpartner einfordern musste. Dabei war der nationale Schulterschluss gar nicht so schwer herzustellen: weder die Vertreter*innen des großen und kleinen Kapitals noch die Gewerkschaftsbürokratie haben ein Interesse an einer nachhal­

von 2,7 % ist das Trostpflaster dafür, dass die dringend notwendige Arbeitszeitverkürzung (angeblich) auf 2022 verschoben wird

In der Folge kam es zu mehreren „Sozialpartnervereinbarungen“ bezüglich Kurzarbeit und Massenkündigungen infolge des lockdowns. Ihr Ziel war die „Rettung der Wirtschaft“ Die durch eine Pandemie ausgelöste Vernichtung von nicht nur überflüssigem Kapital wird weltweit zu Krisen führen, und natürlich auch in Österreich Zurzeit sind die Erwerbslosenzahlen in Österreich die höchsten seit 1946 Durch die Lohnkürzungen bricht die Massenkaufkraft ein. „EPU“, also prekarisierte Arbeiter­ und Angestelltenschichten stehen ebenso vor dem Ruin wie kleine und mittlere Betriebe. Kein Wunder, dass die Regierung „großzügige“ Hilfspakete schnürt – von

40 Milliarden Euro ist die Rede (2008 gab die damalige Regierung für ihre „Rettungsmaßnahmen” 5,6 Mrd aus)

Dass es in erster Linie das Großkapital sein wird, das vom Fördertopf profitiert, ist offensichtlich. Schon jetzt melden Betriebe wie die AUA, die seit Jahren auf Löhne und Arbeitsbedingungen drücken, Forderungen im dreistelligen Millionenbereich an. Die Förderungen für Lohnfortzahlungen bei Kurzarbeit, die von den Regierungssprachrohren – beamtet oder in den Redaktionsstuben – als große soziale Errungenschaft verkauft werden, sind notwendige Stabilisierungsmaßnahmen, um eine Massenverelendung und die Gefahr spontaner Revolten zu verhindern

In seinem „Glückwunsch“ zum 75 Gründungsjubiläum des ÖGB schrieb Sebastian Kurz: „Österreich befindet sich im Jahr 2020 wieder in einer schwierigen Phase Ein Virus stellt uns vor Herausforderungen, die vor einigen Monaten noch undenkbar waren Klar ist, dass es bei einer globalen Pandemie, die weltweit nahezu jede Volkswirtschaft enorm belastet, Zusammenhalt von allen braucht: einerseits, um jetzt Leben zu retten und andererseits, um auch wirtschaftlich das Comeback zu schaffen und möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern. Ich danke dem ÖGB, allen voran dem Präsidenten Wolfgang Katzian, dass er in dieser schwierigen Zeit ein verlässlicher Partner ist“

Ohne nahezu biblische Textinterpretationen zu betreiben – es ist schon bemerkenswert, dass der Dollfuß­Enkel Kurz betont auf die aktuelle Rolle des ÖGB und dessen Präsidenten hinweist, aber keinerlei Andeutungen über die zukünftige Entwicklung des Verhältnisses zwischen seiner Regierung und den Gewerkschaften macht

Die Illusionen von Arbeiterkämmerern und Gewerkschaftsbürokrat*innen bezüglich einer „Rückkehr“ zur „alten sozialpartnerschaftlichen Normalität“ sind unserer Einschätzung nach unrealistisch. Jetzt, am ersten Höhepunkt der „CoronaKrise“, war der „nationale Schulterschluss“ notwendig, um die potentiell autoritäre und antidemokratische Politik der Regierung abzusichern

Der zweite Höhepunkt der Krise steht bevor, und wir meinen damit keine „zweite Welle“ der Pandemie; wir meinen damit die Phase, die langsam anläuft – die

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Rückkehr zu geregelten kapitalistischen Produktions­ und Arbeitsbedingungen, also Ausbeutungsverhältnissen Schon jetzt hat sich in vielen Bedingungen gezeigt, dass die Unternehmer*innen bedenkenlos die realen Machtverhältnisse gegen ihre Lohnarbeiter*innen einsetzen „Du bist mit den Kurzarbeitsbedingungen nicht einverstanden? Dann kündigen wir dich eben“. Ein Heer von Arbeitslosen und Kurzarbeiter*innen macht den Lohndruck und das Aushebeln sozialer Rechte für die Kapitalist*innen leicht.

Wir werden mit großer Wahrscheinlichkeit eine Welle von Verteilungskämp­

fen erleben – spontan und dezentral Die Gewerkschaftsbürokraten werden dann vor der Wahl stehen – offene Bremsklötze dieser Bewegung zu sein oder zu versuchen, sich formal an sie anzuhängen, um sie von Innen zu lähmen. Rücksichtsnahme seitens der Regierung werden sie in beiden Fällen nicht zu erwarten haben

Die objektive Schwächung der Arbeiter*innenklasse und besonders das Entstehen einer neuen „industriellen Reservearmee“, also eines Arbeitslosenheeres, war und ist für die Bourgeoisie immer eine gute Voraussetzung, um die Glacéhandschuhe abzustreifen und mit

harter Hand gegen die Interessen der Lohnarbeiter*innen, Arbeitslosen und der Jugend in Ausbildung vorzugehen

Die Aufgabe der internationalistischen Marxist*innen wird es sein, alle Arten des Protests gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die arbeitende Bevölkerung zu unterstützen und auf deren Zentralisierung zu drängen. Vor allem müssen sie ein Programm in diese Proteste tragen, das sich nicht mit der Verwaltung des krisenbedingten Elends begnügt, sondern den Kapitalismus als Hauptschuldigen dieser Krise zu demaskieren

DAS AIR­LINE­DREHBUCH oder: COSÌ FAN TUTTE ….die Heuschrecken ziehen weiter!

Die Personen der Handlung:

Michael O`Leary ist ein Mann mit einem Privatvermögen von etwa 1 Milliarde Euro, er lebt idyllisch auf einem feudalen Landsitz in Irland, besitzt teure Rennpferde, kauft sich Taxis, um in Dublin nicht im Stau zu stehen und die privilegierte Busspur nutzen zu können

O`Leary ist Eigentümer der Billigfluglinie Ryan­Air Er ist auch Inhaber der von Niki – ich hab ja nichts zu verschenken – Lauda übernommenen Laudamotion.

Michael O´Leary ist Kapitalist

Katharina ist eine junge Frau, die sich, um ihr Leben und ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, am Arbeitsmarkt verdingen muss. Sie lebt in einem Zimmer einer WG, dessen Kosten mehr als ein Drittel ihres Einkommens ausmachen

Sie arbeitet als Flugbegleiterin und ist Gewerkschaftsmitglied, weil sie sich von dieser Organisation eine bessere Vertretung ihrer Anliegen gegenüber einem übermächtigen Arbeitgeber erhofft.

Ihre Biographie ist nicht fiktional, nur ihr Vorname ist nicht echt

Katharina gehört, um es in O`Learys Muttersprache zu sagen, zur working class

Roman Hebenstreit ist ein österreichischer Gewerkschaftsfunktionär, Vorsitzender der Verkehrs­ und Dienstleistungsgewerkschaft vida, Konzernbetriebsratsvorsitzender der ÖBB, Mitglied des ÖGB­Bundesvorstandes

Hebenstreit ist Mitautor des Buches „Mit NLP zum politischen Erfolg – es liegt in ihrer Hand!“ Über die marxistische Literatur in seiner Bibliothek gibt es kein gesichertes Wissen

Roman Hebenstreit ist Multifunktionär und Vertreter der Arbeiteraristokratie

Thomas Gurgiser ist Flugkapitän bei der Laudamotion Er steht wirtschaftlich besonders unter Druck seinen Job zu behalten, weil er möglicherweise einen Ausbildungskredit in Höhe von € 100.000,­ zurückzahlen muss.

Gurgiser kann als „Streikbrecher“ bezeichnet werden.

Der Plot:

Die für ihre turbokapitalistischen Methoden berühmt­berüchtigten Billig­Fluglinie Ryan­Air unter der Führung von Michael O`Leary übernahm ab 2018 sukzessive die Anteile an der ihrerseits als Billiglinie konzipierten Laudamotion der österreichischen Society­Ikone Niki Lauda.

Bei Laudamotion gab es ganz im Sinne der Firmenpolitik O`Learys bereits seit Anfang 2020 Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital. Im Jänner wurde bekannt, dass die Geschäftsleitung versuchte, das Personal zu spalten, in dem es die Beschäftigten dazu bringen wollte, einen eigenen Betriebsrat für Piloten und einen solchen für das Kabinenpersonal zu wählen Ende Jänner wurde dann auch die Betriebsratsvorsitzende trotz Kündigungsschutzes gekündigt

Im Februar setzte Laudamotion alles daran, eine Betriebsversammlung zu verhindern. Den Beschäftigten wurde mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie an der Betriebsversammlung teilnehmen. Der Antrag auf Untersagung der Versammlung wurde aber vom Arbeits­ und Sozialgericht zu­

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rückgewiesen und die Betriebsversammlung fand statt.

Die Gewerkschaft vida berichtete schon damals darüber, dass Laudamotion den bestehenden Kollektivvertrag ignorieren würde und seit 1. Jänner Neueinstellungen über die Leiharbeiterfirma Crewlink Ireland vornähme

Im Windschatten der Corona­Krise folgte dann eine Forderung von Laudamotion an die Gewerkschaft vida mit einem Schreiben, indem sie einen neuen Kollektivvertrag verlangte, der Lohnkürzungen für Flugbegleiter von bis zu 10%, für Piloten von bis zu 14% vorsah Sollten diese Forderungen nicht erfüllt werden, würde man seine Flotte aus Österreich abziehen und rund 300 ­ 600 Personen kündigen

Zwischenzeitlich wurde von Laudamotion unter der Drohung der Kündigung sämtlicher Mitarbeiter*innen auch die Durchsetzung des Kurzarbeitsmodells von der Gewerkschaft erzwungen, wodurch sich die Kosten des Kapitalisten O`Leary während der Corona­Krise auf die Allgemeinheit übertragen ließen

In den letzten Mai­Tagen kam es dann zu Verhandlungen zwischen Gewerkschaft (vida), Laudamotion (O`Leary) und WKO (Wirtschaftskammer), die, ganz Vertreterin des Kapitals, den Kollektivvertrag ohnehin schon unterschrieben hatte

Laut Roman Hebenstreit war die Gewerkschaft bereit, substanziell entgegenzukommen, aber die Gehaltskürzungen, die letztlich Einkommen unter der in Österreich geltenden Armutsschwelle ergeben hätten, waren nicht akzeptabel Darüber hinaus gab es arbeitsrechtswidrige Passagen in den Vorschlägen der Fluglinie und die ultimative Forderung, dass der Betriebsrat zurücktreten müsse

Es folgte der Auftritt von Thomas Gurgiser in den Medien, der als Flugkapitän von Laudamotion die Schuld am Scheitern der Gewerkschaft vida gab, von „abgekartetem Spiel“ sprach, dass im Verhandlungsteam der Vida sowohl ein AUA­Betriebsrat als auch einer von LEVEL gesessen wäre, die nichts anderes vorhatten als einen positiven Vertragsabschluss zu verhindern. Die Mitarbeiter*innen würden den Vorschlag des Unternehmens akzeptieren, weil sie keine anderen Möglichkeiten am Markt hätten einen Job zu bekommen.

Diese Argumentation hinsichtlich der

Beteiligung von firmenfremden Betriebsräten an den Verhandlungen wurde von der Gewerkschaft unter Hinweis auf die Satzungen der Kollektivverträge als ganz übliche Vorgehensweise zurückgewiesen

Die Verhandlungen scheiterten und die betroffenen Mitarbeiter*innen wurden von Laudamotion bereits zur Kündigung beim AMS angemeldet, während Mister O`Leary mit seiner Ryan­Air schon begonnen hat, die Airbus­Flotte aus Wien abzuziehen und angekündigte, die Strecke von und nach Wien nun selbst zu übernehmen Das wird ihn auch im Sinne seiner Ausbeutungsstrategie freuen, wenn man weiß, dass beispielsweise Piloten seines Stammunternehmens gar nicht regulär angestellt werden, sondern in Irland, das bekanntlich ohnehin mit Niedrigsteuern bei der Kapitalistenklasse punktet, sich als neue Selbständige registrieren und dann angeheuert werden So spart sich O`Leary die lästigen Sozialabgaben und klopft beim Staat erst wieder an, wenn es um staatliche Stützung „zur Rettung“ von Arbeitsplätzen geht

Im Anschluss entspann sich eine politische Debatte: zunächst hat Laudamotion nach einem „Machtwort“ des Bundeskanzler Kurz gerufen, der sich bisher ziert und über seinen unseligen Finanzminister Blümel lediglich ausrichten lässt, dass diese Dinge in Österreich Sache der Sozialpartner seien. Noch will sich der Kanzler nicht zum bonapartistischen Schiedsrichter im kollektivvertraglichen Klassenkampf aufschwingen Die politische Speerspitze des österreichischen Kapitals in Person von NEOSChefin Beate Meinl­Reisinger fand da schon deutlichere Worte und sprach von „einem Wahnsinn“, dass die Gewerkschaft im Eigeninteresse verhandelt habe und nicht auf die Angebote von Laudamotion eingegangen sei. Sie möchte einen runden Tisch unter Leitung der Regierung, die wohl doch die Rolle des parteiischen Schiedsrichters übernehmen soll ­ unter Zurufen des Boulevard, Arbeitsplätze zu retten, was in der Realität immer die Gewinne der Kapitalisten sichern heißt, eingerichtet sehen

Aus der SPÖ ist halbherzige Unterstützung der Gewerkschaftspositionen zu vernehmen, die GRÜNEN trauen sich aus „Koalitionsräson“ gar nix zu sagen und die FPÖ ist zwischen ihrer eigentlich kapitalistenfreundlichen Politik und der po­

pulistischen Nationalvertretung der Arbeiter*innen noch unentschieden, wohin die Kugel fallen soll

Michael O`Leary befindet sich systemimmanent in einer win­win­Situation: entweder bekommt er Zugeständnisse von Gewerkschaft und Politik und realisiert seine Gewinne bis auf weiteres in Österreich oder er nimmt die Produktionsmittel mit und macht von Irland aus weiter.

Thomas Gurgiser darf sich Hoffnungen machen, bald als Einzelunternehmer in Dublin oder Umgebung Karriere zu machen und für seinen Herrn O`Leary zu fliegen Dass er dafür von Jack London bereits 1912 prophetisch als Zweibeiner mit räudiger Seele, Sumpfhirn und einem Rückgrat aus Kleister bezeichnet wurde, ist bemerkenswert, ein Verräter an seiner Klasse ist er allemal

Roman Hebenstreit ist Gewerkschaftsfunktionär und macht seinen Job, NLP geschult und auf Basis der österreichischen Sozialpartner­Praxis. Man muss ihm kein revolutionäres Denken unterstellen, sondern das Abarbeiten der gewerkschaftlichen Minimalforderungen gegen ein üppiges Entgelt ist sein Metier.

Katharina sitzt derweil in ihrem WGZimmer und sieht einer ungewissen Zukunft entgegen Ihre Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft bereut sie nicht, weil sie weiß, dass sie auch in Zukunft eine Vertretung ihrer Interessen brauchen wird. Sie denkt aber darüber nach, weshalb die Job­ und Einkommensverteilung zwischen Männern und Frauen so verläuft, dass es hauptsächlich männliche Piloten und weibliches Begleitpersonal gibt

Und die Heuschrecken ziehen weiter!

Conclusio:

Wir wollen uns jetzt in die Gedanken von Katharina hineinversetzen und ihre Erwartungen an eine gewerkschaftliche Vertretung weiterspinnen Dazu sollen uns einige maßgebliche Vertreter der marxistischen Theorie behilflich sein:

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen

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die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, dh zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems (Karl Marx, 1865, aus „Lohn, Preis, Profit“)

Marx und Engels sahen die Gewerkschaften als Chance und als Gefahr für die Arbeiter*innenschaft und die Möglichkeit ihrer Befreiung:

Einerseits drückt sich im gewerkschaftlichen Zusammenschluss das „anders sein als die Kapitalistenklasse“ aus, es ist eine Schule des gemeinsamen Kampfes und der Solidarität und des Sozialismus Es entsteht also ein Klassenbewusstsein, die Klasse an sich wird zur Klasse für sich

Andererseits versucht die Bourgeoisie sich mit den Gewerkschaften aus Angst vor ihrer Stärke und entstehender sozialer Bewegungen mit ihr zu arrangieren. Und die Gewerkschaftsbürokratie handelt dann mit den Kapitalisten faule Kompromisse aus, statt im Interesse ihrer Mitglieder auch ernsthafte Kampfmaßnahmen durchzuführen Sie wird zum das System stabilisierenden Bindeglied zwischen Arbeit und Kapital

Katharina kann sich durch die gemeinsamen Erfahrungen im Arbeitskampf tatsächlich als jemand erkennen, der dieselben Interessen hat wie viele andere, unabhängig von Geschlecht, nationaler Herkunft oder Ausbildungsstand Für sie ist ein Gefühl der Gemeinsamkeit entstanden und sie hat verstanden, dass auf der anderen Seite ein O`Leary steht, der ganz andere Interessen hat und der ihr etwas wegnehmen will Dass es auch Streikbrecher wie Thomas gibt, stachelt ihre Argumentationsfantasie nur an und löst ein Gefühl des zusätzlichen Ärgers und Widerstandes aus.

Sie findet außerdem, dass Roman Hebenstreit einen ordentlichen Job gemacht hat und sich bemüht hat, ihre Interessen zu vertreten, auch wenn er ihr fern scheint und nicht ganz zu der Klasse, der sie sich jetzt immer mehr zugehörig fühlt, dazu passt

Die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in jedem Land ist nicht nur die Geschichte von Streiks und im allgemeinen von Massenbewegungen; sie ist auch die Entstehung der Gewerkschaftsbürokratie (Leo Trotzki, 1935, „How

Did Stalin defeat the Opposition?“)

Marx verurteilte die Klassenzusammenarbeit der Gewerkschaftsführer und stellte fest, dass sich die industriellen Arbeiter „vor allem ihre jetzigen Führer vom Leib schaffen“ müssten, bevor irgendein Fortschritt gemacht werden kann

Katharina hat eine Freundin, die in einem Pflegeheim arbeitet, und ihr fällt jetzt ein, dass kurz vor der Corona­Krise so etwas wie ein Arbeitskampf der Beschäftigten in den Sozialberufen stattgefunden hat Es gab sogar eine Streikbewegung, die kämpferisch war und die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich forderte. Die Basis wollte diese Arbeitskämpfe ausweiten und durchziehen, bis es einen nachhaltigen Erfolg gegeben hätte, doch die Gewerkschaftsführung einigte sich letztlich im Zeichen der aufziehenden Corona­Krise plötzlich und unerwartet defensiv Katharinas Freundin war damals ziemlich enttäuscht von ihren Vertretern an der Gewerkschaftsspitze Irgendwie passt das mit der Marxschen Analyse der Klassenzusammenarbeit zusammen.

Rosa Luxemburg nahm zur vorletzten Jahrhundertwende eine marxistische Analyse des um sich greifenden gewerkschaftlichen Opportunismus und des Revisionismus in der Sozialdemokratie vor Sie hob dabei die Bedeutung des Generalstreiks als eine zentrale Waffe im Arsenal revolutionärer Marxisten hervor und analysierte die soziologischen und ideologischen Wurzeln der Feindschaft der Gewerkschaftsbürokratie gegenüber dem Sozialismus Luxemburg leugnet keineswegs die Notwendigkeit der Gewerkschaftsarbeit und bestreitet auch nicht deren Erfolge, allerdings betont sie die Gefahr, dass unter Gewerkschaftsbeamten leicht Bürokratismus und Borniertheit der Auffassung entstehen kann.

Katharina erinnert sich an Erzählungen ihres Großonkels aus seiner Jugendzeit in Paris und an wochenlange Proteste und Generalstreiks, die politische Änderungen bewirkt haben Sie weiß aber auch, dass er immer wieder betont hat, dass die Führung der Gewerkschaften aus Eigeninteresse und um des Erhalts der bestehenden Strukturen willen – speziell in Österreich ­ einen konservativen Charakter haben und den faulen Kompromiss am grünen Tisch im Hinterzimmer der offenen klassenkämp­

ferischen Konfrontation vorzögen Selbst in den letzten Jahren, wo die Bourgeoisie ziemlich offenkundig die Zusammenarbeit auf Sozialpartnerebene aufgekündigt hatte und massive Angriffe auf die Arbeitsbedingungen (12­Stunden­Tag etc.) gestartet hatte, blieb die Gewerkschaft ziemlich defensiv und konnte sich nicht zur Parole des Generalstreiks durchringen.

Denn – wie merkwürdig diese Worte auch klingen mögen – in der kapitalistischen Gesellschaft kann auch die Arbeiterklasse bürgerliche Politik treiben, wenn sie ihre Befreiungsziele vergisst, sich mit der Lohnsklaverei aussöhnt und lediglich darauf bedacht ist, bald mit der einen, bald mit der anderen bürgerlichen Partei ein Bündnis um scheinbare „Verbesserungen“ ihres Sklavenlebens willen einzugehen (Lenin, Amerika, 1912)

In seiner Analyse der Arbeiteraristokratie kommt Lenin zum Schluss, dass es unbedingt zu einem Bruch mit Opportunismus kommen muss und zum Aufbau revolutionär­kommunistischer Parteien, die gegen den Einfluss des Reformismus in der Arbeiterbewegung kämpfen müssen

Katharina weiß, dass Roman Hebenstreit neben seiner Gewerkschaftstätigkeit auch in der SPÖ organisiert ist und instinktiv fühlt sie sich auch dieser Partei nahe stehend Trotzdem fällt ihr ein Typ ein, der früher in ihrer WG gewohnt hat und der ihr immer wieder davon erzählt hat, dass die Sozialdemokraten das eigentliche Ziel ihrer Bewegung aus den Augen verloren hätten, nämlich die Arbeiterklasse von ihren Ketten zu befreien und nicht nur für Verbesserungen im Kapitalismus zu kämpfen, sondern das Ausbeutersystem an sich hinwegzufegen Deshalb träfe er sich regelmäßig mit Leuten, die sich mit der ursprünglichen Lehre von Marx und Engels und ihrer Anwendung auf aktuelle Arbeitskämpfe und politische Agitation auseinandersetzen Solche Menschen würde sie jetzt gerne in der Gewerkschaft treffen und sich mit ihnen über Ziele und Perspektiven unterhalten und streiten.

Und Trotzki knüpft später an, indem er sagt, dass die arbeiteraristokratische Schicht mit den Lebensbedingungen eines komfortablen Kleinbürgertums ausgestattet ist, während die Masse der

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Arbeiter weder Arbeiteraristokraten noch bürokratische Funktionäre ist. Diese Masse muss aber von der revolutionären Partei gewonnen werden, bevor sie zwangsläufig der Führung der Arbeiteraristokratie anheimfällt.

Ziel für Kommunist*innen müsse es sein, die Kämpfe der Arbeiteraristokratie mit jenen der Masse des Proletariats zu verbinden und dann die Gewerkschaften den Händen der Bürokraten zu entreißen, sie umzuwandeln, sie zu revolutionieren, so Trotzki.

Das greift die Position Marx auf, der schon früher meinte, dass die Gewerkschaften entweder an Verhandlungen innerhalb des kapitalistischen Systems gebunden bleiben würden oder Agenturen für die Beseitigung des Kapitalismus selbst würden

Für Lenin war der große Wert von Gewerkschaften u a , dass sie bisher nicht klassenbewusste Arbeiter*innen organisierten, sie in den elementaren Stufen der Klassenkampfsolidarität, der Feindschaft zu Unternehmen usw erzogen und Marxist*innen die Chance gaben innerhalb dieser Organisationen zu arbeiten, um sie

mit sozialistischem Geist zu erfüllen und die Führung der Massen zu gewinnen.

Katharina sieht sich in ihrer zunehmenden Euphorie, für die gerechte Sache einer neuen Gesellschaft zu kämpfen, schon als kleines Teilchen einer größeren Bewegung, die sich mit theoretischen Wissen und praktischen Forderungen ausgestattet in Diskussionen mit den Arbeiter*innen wirft: wenn dieser O`Leary schon sein wehleidiges Klagelied, zu wenig Profit zu machen, singt, dann lasst uns die Forderung erheben, die Offenlegung der Geschäftsbücher zu verlangen, die Gewinn und Verlustrechnung zu studieren und den Betrieb zu übernehmen, also das Unternehmen unter Arbeiter*innenkontrolle zu stellen Wir können den Kapitalisten zeigen, dass wir selbst einen Betrieb führen und zum Vorbild von Kolleg*innen in anderen Betrieben werden können!

Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu „befreien“, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht

vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und der Arbeiterbürokratie (Trotzki, 1940, „Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“)

Nach Trotzki bedarf es der Unabhängigkeit vom bürgerlichen Staat (geht nur auf Basis des revolutionären Programms) und der Demokratisierung der Gewerkschaften (geht nur indem die Macht der Bürokratie gebrochen wird)

Es gibt nur die Alternative, dass sich die Gewerkschaften als Instrumente für die Unterordnung der Arbeiterklasse unter das Kapital erweisen oder in den Händen der Massen und unter Führung einer revolutionären kommunistischen Partei zu einer entscheidenden Waffe zum Sturz des Kapitalismus und zur Errichtung der Diktatur des Proletariats werden

Katharina hat auf einer Häuserwand ein Graffiti gelesen:

Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats!

Diese Krise will sie unbedingt helfen zu überwinden.

Nicht nur auf Ibiza: Korruption hat im bürgerlichen Staat System

Am 18. Mai 2019 schickten die Journalisten von Süddeutscher Zeitung und Nachrichtenmagazin Spiegel mit der Veröffentlichung eines 7­minütigen Videoausschnittes einer Zusammenkunft von FPÖ­Obmann Heinz Christian Strache und seines Kumpels Johann Gudenus aus dem Sommer 2017, während in Österreich Wahlkampf zur NR­Wahl herrschte, mit Lockvögeln zwielichtiger Herkunft auf der Ferieninsel Ibiza in den politischen Limbus. Strache war zu diesem Zeitpunkt Vizekanzler und Sportminister der Republik, Gudenus Klubobmann der FPÖ im Parlament. Sie befanden sich noch für wenige Stunden in einer „bürgerlichen“

Koalition mit der seit dem innerparteilichen Putsch von 2017 unter Sebastian Kurz weit ins national­populistische Feld gerückten neuen türkisen ÖVP.

Der machtbewusste Jung­Kanzler sollte schon bald die Gunst der Stunde zu seinem Vorteil nutzen wollen und in Neuwahlen ziehen

Was war passiert?

Abzüglich aller klischeehaften Bestätigung dessen, was man sich von (rechtsextremen) Politikern im privaten Umgang

mit Alkohol, Drogen und dummen Machogehabe erwartet, wurde vor der gesamten österreichischen Öffentlichkeit zu Protokoll genommen, dass die seit den Tagen des (un)seligen Jörg Haider mit dem Nimbus, korruptionsfreie Vertreter des kleinen Mannes (und seiner kleinen Frau) zu sein, in der österreichischen politischen Landschaft herummarodierenden Freiheitlichen im Wesentlichen zwei Säulen der politi­

schen Macht für wichtig erachten:

• Politische Willfährigkeit gegen Geld von Kapitalisten

• Gefügigmachen von Medien

Da beide Positionen im weiteren Sinne unter dem Begriff Korruption zu subsumieren sind und Millionen Österreicher*innen davon Kenntnis erlangten, war der Rücktritt von Strache und Gudenus unausweichlich und nur konsequent Soweit, so klar und in einer bürgerlichen Demokratie nur würdig und recht, könnte man meinen Doch war es wirklich Volk und geoffenbarte Korruption, die die beiden armselig entzauberten Figuren zu Fall brachten?

In Wirklichkeit war es eine andere Grenzüberschreitung, die die Götzendämmerung einleitete: Mediengefügigkeit durch finanzielle Zuwendungen oder korruptes Verhalten durch Parteispenden füh­

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ren in der österreichischen bürgerlichen Demokratie per se nicht zur politischen Ächtung oder Rücktritt Der politische Genickbruch für Strache und Gudenus war vielmehr, dass sich durch die Veröffentlichung der Fantasien von „Zack­Zack­Zack“ Entfernung missliebiger Journalisten die Familie Dichand, ihres Zeichens Hälfteeigentümerin der immer noch einflussreichsten Boulevardzeitung des Landes, der „Neuen Kronenzeitung“, so sehr verärgert zeigte, dass sie eine Kampagne gestartet hätte, die Strache politisch nicht überleben hätte können

Wie operettenhaft und vordergründig die österreichische bürgerliche Demokratie funktioniert zeigte exemplarisch die Diskussionssendung „Im Zentrum“ im ORF zum Jahrestag von „Ibiza“, bei der dem inkriminierten HC Strache ein Forum zur wehleidigen Selbstverteidigung geboten wurde

Operettenhaft:

nach Rücktritt der beiden Ibiza­Protagonisten, Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz im Parlament, Beamtenregierung und Neuwahlen, nach denen eine gestärkte türkise ÖVP eine bürgerliche Grün­Partei in einer Regierung am Nasenring durch die politische Arena zieht, fand HC Strache, als ihn die FPÖ aus Selbsterhaltungstrieb verstoßen hatte, Desparados aus seiner bisherigen Partei, die mit ihm ein neues Politabenteuer unter der Projektbezeichnung DAÖ bzw Team Strache in Szene setzen und das alte HaiderSpiel von „bin weg – bin wieder da“ aufnehmen

Vordergründig:

die Empörung der politischen und medialen Klasse des Landes konzentriert sich seit über einem Jahr auf die offenbarte Korruptionsabsicht und Medienkontrollambitionen der beiden blauen Frontmänner Strache und Gudenus und hat damit zwei Säcke gefunden auf die öffentlichkeitswirksam eingedroschen wird, während das bürgerlich­demokratische business as usual läuft, denn die im Dunkeln sieht man nicht.

Komplex politische Korruption:

Dass regelrecht Gesetze von Lobbyis­

ten des Kapitals zu dessen Nutzen direkt oder indirekt gekauft werden, ist auf Ebene der EU oder der amerikanischen Demokratie geradezu institutionalisiert In Österreich hat der Ibiza­Skandal mit der Verflechtung des Glückspielkonzerns Novomatic in die gesetzliche Einflussnahme auf Gesetze zur Lizenzvergabe bis hin zum Finanzminister für geheuchelte Überraschung und zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geführt

Dass die Kapitalisten hierzulande Politik aber mit den Mitteln ihrer Wahl, also des Geldes, beeinflussen, ist eine gar

500 000 alleine im Wahlkampf 2017, die im Zuge der Ischgl­Affäre bekannt gewordene Tiroler „Adlerrunde“ von Seilbahnbetreibern trifft Sebastian Kurz im Hotel Europa in Innsbruck, Novomatic „zahlt sie eh alle“, dazu der Immobilien­Tycoon Rene Benko, der offiziell nicht als Spender aufscheint, aber ganz zufällig über Nacht beim Kauf der Lainer­Filiale auf der Mariahilfer Straße mit Hilfe des ÖVP­Finanzministeriums ins Grundbuch eingetragen werden konnte Die Liste ist vollkommen unvollständig und ließe sich fortsetzen

nicht versteckte Tatsache, die aber geflissentlich niedergebügelt wird, von Medien, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen, von Gerichten und Staatsanwaltschaften, die genauso unabhängig agieren, wie es eine bürgerliche Demokratie zulässt

Daneben sitzt die in Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer als organisierte Macht des österreichischen Kapitalismus auch an den politischen Machthebeln, seit der Beendigung der Großen Koalition weitgehend ohne Korrektiv, der sonst eingebundenen Gewerkschaft und Arbeiterkammer im österreichischen Hinterzimmer­Kapitalismus

Betrachtet man nur die kurze Zeitspanne seit der türkisen Machtübernahme, sind finanzielle Zuwendungen von vermögenden Kapitalisten öffentlich geworden und haben als offene oder verdeckte Parteispenden die Wahlkampfkassen der ÖVP prall gefüllt und zu Wahlsiegen geführt, die ihrerseits wieder finanzielle Zuwendungen aus öffentlichen Geldern über Wahlkampfkostenrückerstattung bzw Förderungen von Parteiakademien etc auslösen – ein die Macht einzementierender Kreislauf.

Heidi Horten, „Kaufhauserbin“, spendete knapp 50 000,­­ monatlich an Türkis, die prominenten Industriellen Klaus Ortner und Peter Mitterbauer Hunderttausende Euro, KTM­Chef Pierer knapp

Aber die Korruptionsanfälligkeit in der bürgerlichen Demokratie ist kein Privileg der ÖVP, sondern auch fester Bestandteil der Funktionärsriege der bürgerlichen Arbeiterpartei SPÖ, wenn man nur die Stichworte AKH, Noricum, Consultatio, Bauring usw Revue passieren lässt Unterschied zwischen den beiden nominell antagonistischen Kräften der Republik ist allenfalls, dass die einen sich aus Überzeugung für kapitalistische Politik zahlen lassen, die anderen mit (eventuell) schlechtem Gewissen persönlich kassieren, weil es das kapitalistische System ermöglicht.

Komplex

Medienkontrolle:

Strache wollte mit Hilfe der mutmaßlichen russischen Oligarchin die mächtige Kronen Zeitung übernehmen und ZackZack­Zack Journalisten auf blaue Linie bringen, sodass bei Wahlen entsprechende Prozente plus herausschauen würden, dafür gäbe es im Gegenzug staatliche Bauaufträge für eine zu gründende Firma, die die STRABAG von Hans Peter Haselsteiner verdrängen würde Ein abenteuerlicher Plan und letztlich auch in seiner Plumpheit dem offenkundig einfachen Gemüt des HC Strache geschuldet Wie es tatsächlich funktioniert zeigt einmal mehr der an die bürgerliche Demokratie und ihre Möglichkeiten derzeit

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Dieser Parlamentarismus, der längst seine eigne Karikatur geworden ist, erstarrt immer mehr in törichter und leerer Geschäftsroutine.“

am besten angepasste Politiker Österreichs: Sebastian Kurz.

Die Pressefreiheit steht in der Verfassung und die bürgerliche Demokratie betrachtet die Unabhängigkeit von Medien als eines ihrer konstituierenden Merkmale – nichts als hohle Phrasen!

Tatsächlich kann man paradigmatisch die im Zuge der Corona­Krise von der türkis­grünen Regierung beschlossene außerordentliche Medienförderung hernehmen Hier wurden Millionen an die Boulevardmedien des Landes ausgeschüttet, die schon bis dato eine messianische Verehrung des türkisen wonderboys zur Blattlinie oder zum Programminhalt der TV­ und Internetsender erhoben hatten Dichand­Kronenzeitung und ­Heute sowie Fellner­Österreich wurden proportional zu ihrer Auflagenstärke mit Millionenbeträgen gestützt, ideologisch klar zuordenbare Mini­Blätter der ÖVP bzw der katholischen Kirche erhielten in absoluten Zahlen mehr Geld als die „liberalen“ Magazine Profil oder Falter Der ORF als politisch abhängiges Leitmedium mutierte in den letzten Wochen in vorauseilendem Gehorsam zum staatsfunklichen Erfüllungsgehilfen einer sich immer autoritärer gebenden Regierung, während die Privatsender qua ihrer kapitalistischen Struktur einfach auf Linie zu bringen sind Unabhängige Journalisten werden sanft oder offen mundtot gemacht.

Das Zusammenspiel kapitalistischer Politik von Türkis und willfähriger journalistischer Berichterstattung wird durch nichts besser dokumentiert als den gezählten 59 Medienbeauftragten im Kanzleramt und der Tatsache, dass Sebastian Kurz höchstpersönlich mit immerhin drei Anrufen beim Chefredakteur der Kleinen Zeitung seinen Unmut über Berichterstattung aus dem Kleinwalsertal (Ikonographie in Türkis) deponiert hat oder mit im Februar öffentlich gewordenen „Hin­

tergrundgesprächen“ mit ausgewählten Chefredakteuren, wo danach „rote Justiznetzwerke“ in den Medien thematisiert werden sollten und auch wurden

Der Boulevard wird mit Regierungsinseraten generell auf Linie gehalten, was naturgemäß zu einer Hofberichterstattung führt, die die regierenden Türkisen bei Umfragen und Wahlen stärkt, Wahlkampfkostenrückerstattung plus Parteienförderungen sprudeln lässt, die wiederum in die willfährigen Medien investiert werden und der Kreislauf ist perfekt

Perfektionismus

Perfektionismus, den man den türkisen Jungmännern zugestehen muss, und der gar nicht so einfach ins Werk zu setzen ist. Weil auch in diesem von „Ibiza“ zu Tage geförderten Themenkomplex Medien ist die ÖVP nicht Erfinderin der Medienbeeinflussung, sondern schon der „Hochwasser­Kanzler“ Viktor Klima von der SPÖ biederte sich der Kronen Zeitung an oder später der nachmalige Bundeskanzler Werner Faymann als Wohnbaustadtrat der Stadt Wien, der den Boulevard mit ganzen öffentlich finanzierten Zeitungsbeilagen auf seine Seite ziehen wollte. Im Grunde war die SPÖ diesbezüglich aber auf Sicht erfolglos, weil dem Geschäftsmodell von Krawall und Boulevardmedien immer der rechte Rand und die kapitalistischen Möglichkeiten des Systems näher stehen und hier ist die SPÖ einfach Zweiter

Was bleibt ist aber, dass die bürgerliche Arbeiterpartei SPÖ sich unglaubwürdig gemacht hat, mit dem Boulevard gepackelt hat und abgeworfen wurde, anstatt Energie und Ressourcen in eine eigenständige, glaubwürdige und breitenwirksame Presse zu stecken

Die Verflechtungen von politischer Korruption und Medienkontrolle zeigen

sich ganz deutlich im Ungarn des politischen Freundes von Sebastian Kurz, nämlich bei Viktor Orban Oligarchen werden Industrien mit staatlicher Unterstützung überlassen und diese revanchieren sich mit der finanziellen Übernahme von bis dahin unabhängigen Medien, die dann den von Wahl zu Wahl „demokratisch“ gewählten Orban­Führer unterstützen.

In dieser Hinsicht ist es interessant zu beobachten, dass der Immobilien­ und Kaufhaus­Kapitalist und Kurz­Freund Rene Benko bereits ein Viertel der Kronen Zeitung übernommen hat und mit aller Gewalt die Mehrheit an dieser Zeitung haben möchte. Parallelen sind nicht zufällig und sollten gezogen werden!

Das doppelt ärgerliche am Umgang mit der Ibiza­Causa ist in Wirklichkeit nicht das Wiedererstehen eines politisch untoten Zombies in Gestalt einer StracheAllianz sondern folgendes:

Einerseits die willkommene Gelegenheit für die etablierten Kräfte, im bürgerlichen Staat auf einen medial aufgeblasenen Fall Strache­Gudenus zu zeigen, das Ganze lächerlich zu machen bzw auf der anderen Seite zu kriminalisieren, ohne die Systemimmanenz dieses Verhaltens zum Thema werden zu lassen Und andererseits Strache nicht aufgrund seiner protofaschistischen Politik zu stürzen, oder diese nur irgendwie in die Diskussion zu bringen, sondern lediglich von Golddukaten als Schutz vor der Geldentwertung oder Spesenabrechnungen für private Anschaffungen zu diskutieren, während Kurz die rechte Politik mit türkisen Mitteln fortsetzt und die FPÖ ideologisch unbeschadet den noch verbliebenen rechten Platz umso vehementer behaupten wird.

Deshalb gehen die Dinge weiter, weil die im Dunkeln sieht man nicht, selbst wenn dieses ausgeleuchtet genug erscheint

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Die Gruppe KLASSENKAMPF im Internet: www.klassenkampf.net Kontakt: gruppeklassenkampf@tutanota.com

Die Kapitalisten müssen die Kosten der Epidemie tragen, nicht die Arbeiter!

Der Erreger (Covid­19) und der Zeitpunkt (Dezember 2019) der aktuellen Epidemie waren nicht vorhersehbar, aber ein solches Phänomen war ebenso unvermeidlich wie die Krisen im Kapitalismus allgemein. Mehrere dokumentierte wissenschaftliche Arbeiten über neu auftretende Viren und Pandemierisiken waren bekannt ­ die Warnungen aber vergeblich Ob es Trump gefällt oder nicht, das neue Coronavirus ist nicht chinesisch Es wurde aus der Natur heraus geboren, was die materialistische Dialektik (Karl Marx, 1845) und die Gesetze der biologischen Evolution (Charles Darwin, 1859) veranschaulicht Es hat die menschliche Spezies aufgrund globaler Produktionsverhältnisse, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dem Streben nach Profit beruhen, kontaminiert Tatsächlich schädigt der niedergehende Kapitalismus die Umwelt und verändert die Beziehung zu Haus­ und Wildtieren in einem noch nie dagewesenen Ausmaß Dies erleichtert die Mutation von Bakterienstämmen, die gegen Antibiotika resistent sind, und das Entstehen neuer Viren, die den Menschen angreifen, wie Covid­19, Ebola, SARSCov, Hepatitis E, Nipah (siehe David Quammen, Spillover, Animal Infections and the Next Human Pandemic, 2012; Rob Wallace, Big Farms Make Big Flu, 2016...).

Die Coronavirus­Epidemie löste im März eine neue weltweite kapitalistische Krise aus, die eine Phase der Kapitalakkumulation beendet (2009­2020). Die Rezession wurde durch die Verlangsamung des weltweiten Wachstums und den Rückgang des internationalen Warenhandels Ende 2019 eingeläutet Sie begann als Finanzkrise, setzte sich mit einem Rückgang des Ölpreises und dann mit dem Einbrechen der Industrieproduktion und des Dienstleistungssektors fort Die Wirtschaftskrise wäre unweigerlich im Jahr 2020 ausgebrochen, aber sie wird durch die Pandemie noch verschärft Das BIP bricht weltweit ein

Die herrschende Klasse ist nicht in der Lage, die Gesellschaft auf Klima­ und Gesundheitskatastrophen vorzubereiten Wenn ihr Staat sich derartigen Katastrophen stellen muss, erweist er sich als wenig kompetent und handelt weiterhin zum Nachteil der Mehrheit der Bevölkerung

An einem Pol des imperialistischen Weltsystems haben die dominierten Länder kaum öffentliche Gesundheitssysteme Nur die Bourgeoisie und die oberen Schichten des Kleinbürgertums haben Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung Aber am anderen Pol hatten die imperialistischen Länder (China, Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, die USA ) keine Vorräte an Masken und Atemschutzgeräten angelegt, mit Ausnahme von Korea, das besonders unter der SARS­Epidemie 2003 und der MERS­Epidemie 2015 gelitten hatte In den vergangenen Jahrzehnten wurden entweder wegen der reaktionären Gegenoffensive der Bourgeoisie der entwickelten Länder gegen die sozialen Errungenschaften oder wegen der Restauration des

Kapitalismus (China, Russland...) die öffentlichen Gesundheitssysteme absichtlich erstickt und geschwächt Die Regierungen, und nicht nur Johnson, Trump oder Bolsonaro, nutzten nicht einmal die Zeitspanne zwischen dem Ausbruch der Pandemie in China und der Ansteckung der eigenen Bevölkerung, um sich auf die kommende gesundheitliche Schockwelle vorzubereiten, Ausrüstungsvorräte anzulegen und die Industrieproduktion zu diesem Zweck umzuorientieren.

Infolgedessen haben die Bevölkerungen mit Tausenden von Todesopfern für die Unvorsichtigkeit der bürgerlichen Staaten und die Improvisation der Regierungen bezahlt. In Ermangelung geeigneter Mittel zur Behandlung (Beatmungsmasken), zur Vorsorge (Tests) und zur Prävention (Desinfektionsmittel, Schutzanzüge, Masken) griffen die Staaten auf die restriktivsten und autoritärsten Maßnahmen zurück, die für das soziale Leben am schädlichsten und zwischen den sozialen Schichten am ungleichsten verteilt sind, die Ausgangssperre, das Einsperren der Menschen in ihren Wohnungen

Einerseits war ein Teil des Proletariats trotzdem gezwungen, entgegen der Logik einer Ausgangssperre zu arbeiten: Arbeiter*innen im Gesundheitsbereich, Transportarbeiter*innen, Müllabfuhr, Arbeiter*innen im Lebensmittelhandel manchmal, besonders zu Beginn der Epidemie, ohne jegliche Schutzausrüstung. Andererseits können die meisten Arbeiter*innen im informellen Sektor in den dominierten Ländern nicht aufhören zu arbeiten um nicht zu verhungern Unter den Eingeschlossenen gibt es keine Gleichheit Einige verfügen über gesunde, geräumige und gut versorgte Wohnungen; andere leiden unter allen Arten von Mängeln, Verlust der Intimsphäre und gesundheitsschädigenden Bedingungen In Flüchtlingslagern, Barackensiedlungen, Altenheimen, Gefängnissen ist das „social distancing“ kaum praktikabel.

Die Kombination der Krise des Kapitalismus und der Pandemie führt zum Bankrott von Millionen von Werktätigen und zur Arbeitslosigkeit von Hunderten von Millionen von Lohnabhängigen In der Zwischenzeit schüttet jeder Staat (Parlament, Regierung, Zentralbank) Geld für seine kapitalistischen Konzerne aus, damit sie die Krise überleben und mit den Konkurrenten in der Aufschwungphase mithalten können: 8 Billionen Dollar weltweit nach Angaben des IWF vom 9 April, davon 3 Billionen Dollar in den Vereinigten Staaten, 1 100 Milliarden Euro in Deutschland, 150 Milliarden Dollar in China, 475 Milliarden Euro in Großbritannien usw. Diese Maßnahmen gehen mit einer Stärkung des Protektionismus einher, bis hin zu reaktionären Autarkiephantasien (einem alten faschistischen Mythos, die mitunter als „ökologischer Übergang“ bemäntelt werden.

In den Ländern, die am stärksten von der Coronavirus­Epidemie betroffen sind, hat jeder erkannt, dass die Kapitalist*innen

Erklärung des CoReP zum 1. Mai 2020 13

überflüssig sind (Chef*innen der Klein­ und Mittelbetriebe, Manager*innen großer Konzerne, Aktionär*innen usw.) und dass verschiedene selbständig Erwerbstätige (Haushaltshilfen für ältere Menschen, privates Pflegepersonal usw ) und vor allem zahlreiche Angestellte (Pfleger*innen, Elektriker*innen, Postangestellte, Fahrer*innen öffentlicher Verkehrsmittel, Lastwagenfahrer*innen usw ) unentbehrlich sind, vor allem die am wenigsten angesehenen und am schlechtesten bezahlten (Beschäftigte bei der Müllabfuhr, Kassierer*innen, Krankenhausreinigungspersonal usw.). Wie bei jeder Katastrophe zeigt sich ein Teil der Bevölkerung solidarisch und selbstlos, entweder indem er sich der lebensnotwendigen Arbeit widmet oder indem er freiwillige Hilfe für Krankenhäuser, Nachbarn, ältere Menschen usw leistet und damit ein Verhalten zeigt, dass die Umrisse des Zusammenlebens in einer zukünftige kommunistischen Gesellschaft umreißt

Andererseits haben die Verteidigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln durch die einzelnen Staaten und die Rivalität zwischen ihnen die internationale Zusammenarbeit, die Koordinierung und rationelle Verteilung der Maßnahmen zur Pflege, der medizinischen Ausrüstung und Produkte, die Forschung im Bereich der Behandlungen und der Präventionsmittel (Tests, Impfstoffe usw.) behindert. Für jeden bürgerlichen Staat ist die Gesundheits­ und Wirtschaftskrise eine Gelegenheit, zu versuchen, den Nationalismus zu stärken, die Freiheiten einzuschränken, das Arbeitsrecht in Frage zu stellen, der Polizei und der Armee mehr Befugnisse zu geben Einige politische Führer haben es sogar gewagt, die WHO, Ausländer*innen und Migrant*innen für die Epidemie verantwortlich zu machen Einige nutzten die Gelegenheit, um ihr Parlament faktisch zu beurlauben (Ungarn). Mehr als eine Regierung hat es geschafft, ihre kriminelle Politik vergessen zu machen: die Gefährdung von Migrant*innen an den Grenzen der USA oder der Europäischen Union, die Kriegsverbrechen in Syrien, die antimuslimischen Pogrome in Indien und Burma, die Kolonisierung des Westjordanlandes usw

Dennoch akzeptieren die meisten Arbeiter*innenorganisationen, Gewerkschaften und Parteien die Spaltung der Arbeiterklasse international und die Unterwerfung unter ihre eigene Bourgeoisie, indem sie die „nationale Einheit“ rund um bürgerlichen Staat und Regierung im Sinne der Kapitalisten hinnehmen

Die Menschheit ist mit den Risiken der Aufrechterhaltung des Kapitalismus konfrontiert, einer Produktionsweise, die ihre fortschrittliche Rolle vollendet hat Wenn der Kapitalismus aufrechterhalten wird, wird der Staat die Werktätigen die Staatsschulden zurückzahlen lassen während die Kapitalisten niedrigere Löhne und/oder längere Arbeitszeiten durchsetzen werden Wir müssen verhindern, dass der Aufschwung, wie 2009­2010, auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen stattfindet.

Die großen Probleme der Wirtschaft, der Umwelt und der Gesundheit sind nicht national und können nicht innerhalb der Grenzen eines Staates gelöst werden Um Kriege und Wirtschaftskrisen zu beenden, um Epidemien zu begrenzen, müssen wir dem Kapitalismus ein Ende setzen und die Wirtschaft vergesellschaften Dies erfordert den Aufbau einer revolutionären Arbeiter*inneninternationale und einer revolutionären Arbeiter*innenpartei in jedem Staat, die Selbstorganisation der Massen, den Kampf für den Bruch der Arbeiter*innenmassenorganisationen mit der

Bourgeoisie, welche die Menschheit in die Barbarei führt

• Kostenlose medizinische Behandlung! Masken, Tests für alle, Beatmingsmasken in ausreichender Menge! Entschädigungslose Enteignung von Privatkliniken, Pharmakonzernen und Firmen, die Masken, Kittel, Beatmungsgeräte, Tests, antivirale Medikamente herstellen können! Arbeiterkontrolle in diesen Unternehmen! Annullierung aller Patente auf medizinische Geräte und antivirale Behandlungen !

• Sofortige Erfüllung der Forderungen der Pflegekräfte: Lohnerhöhungen, Aufstockung des Personals, Wiedereröffnung von Krankenhausbetten und ­dienstleistungen!

• Finanzierung dringender Gesundheits­ und Sozialschutzmaßnahmen durch eine sehr progressive Einkommenssteuer, ein Ende der Kapitalsubventionen, der Militärausgaben, der Subventionen für die Religionsgemeinschaften!!

• Verbot sämtlicher Entlassungen, Erhaltung aller Arbeitsplätze! Staatlich geförderter Urlaub für diejenigen, die sich um ihre Kinder kümmern müssen!

• Keine Delogierungen, Beschlagnahmung von Hotels und unbewohnten Wohnungen für nicht­ansteckende Kranke und Obdachlose, misshandelte Frauen, Familien, die in überbelegten oder verfallenen Wohnungen hausen! Aussetzung der Mieten für Wohnraum sowie der Zahlungen an Banken für Immobilien oder Verbraucherkredite! Gewährleistung von ausreichender Versorgung mit Nahrung, Wasser, Energie und Kommunikationsmitteln für die gesamte Bevölkerung!

• Sofortige Legalisierung des Status aller Migrant*innen! Repressionskräfte und Streitkräfte – raus aus den Städten, Selbstorganisation der Arbeiter und Nachbarn, um die Einhaltung der Maßnahmen zu überwachen, die notwendig sind, um die Pandemie zu stoppen!

• Koordinierung der Produktion medizinischer Geräte und derer internationalen Verteilung im Rhythmus des Fortschreitens der Epidemie! Internationale Zusammenarbeit zur Verteilung von Mitteln zur und Forschung für Impfstoffe, antivirale Behandlungen und neue Antibiotika!

• Arbeiterkontrolle über die wesentlichen Dienstleistungen und Unternehmen sowie über die Schließung von nicht wesentlichen Bereichen! Enteignung der kapitalistischen Konzerne! Ein Ende der Militärinterventionen und die Schließung ausländischer Stützpunkte! Schluss mit den Abholzungen, der Zerstörung von Mangroven oder Korallenriffen, Förderung des Anbaus von Lebensmittelkulturen, Einschränkung der industriellen Fischerei und der intensiven Viehzucht !

• Arbeiterregierung auf der Grundlage von Arbeiterräten, Zerstörung des bürgerlichen Staates und Auflösung seiner Repressionsorgane! Produktionsplan zur Befriedigung der von den Menschen beschlossenen sozialen Bedürfnisse und zur Schonung der Umwelt und der Zukunft der Menschheit! Sozialistische Weltföderation!

1 Mai 2020

Kollektiv Permanente Revolution (Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanischer Staat, Türkei)

Fração Trotskista – Vanguarda Proletária (Brasilien)

Erklärung des CoReP zum 1. Mai 2020 14

Vorbemerkung:

Internationalistische Mai­Veranstaltung des CoReP

In diesem Jahre fand in den meisten Ländern der 1. Mai unter schwierigen Bedingungen statt. Neben jenen kapitalistischen Staaten, in denen die herrschende Klasse jedes Jahr gegen die Arbeiter*innen vorgeht, die für ihre Forderungen auf die Straße gehen und ihre internationale Solidarität mit den Arbeiter*innen in aller Welt zeigen wollen, machte die Corona­Pandemie in zahlreichen Ländern Kundegebungen und Demonstrationen nur schwer oder gar nicht möglich.

Die Sektionen des CoReP organisierten am 1 Mai eine internationalistische Veranstaltung im Internet, an der

sich Genoss*innen aus der Türkei, dem Spanischen Staat, Frankreich, Österreich, Deutschland, England und Brasilien beteiligten

Die Referate der spanischen Genossin und des türkischen Genossen drucken wir im Folgenden ab. Der Beitrag der GKK ist das Editorial dieser Ausgabe des KLASSENKAMPF. In der nächsten Nummer veröfentlichen wir dann das aktualisierte Referat zur Weltlage und einen Text der französischen Genoss*innen.

Die Redaktion

Spanischer Staat: Der Klassenkampf in Kerkerhaft

Regierung zusammenzuarbeiten und sie ihre Arbeit machen zu lassen", "die Mitarbeiter des Gesundheitswesens sind Helden, die sich für uns opfern"

Aber was geht hier wirklich vor?

Die PSOE­PODEMOS­Regierung, die sich selbst als "links" bezeichnet, hat auf die Gesundheitskrise mit der militärischen Zentralisierung der Macht ("Alarmzustand") und dem Einsatz der schlimmsten Repressionsmechanismen der früheren Regierungen reagiert Und sie hat sie mit dem “Digitalen Knebelgesetz” komplettiert, das es der Exekutive erlaubt, soziale Netzwerke und das Internet als Ganzes direkt zu zensurieren Mit dem "Kriegszustand" gegen das Coronavirus geht auch die entsprechende "Kriegspropaganda" Hand in Hand, die mit der in allen betroffenen Länder identisch ist: "Wir haben diese Krise gemeinsam überwunden", "niemand wird zurückgelassen", "jetzt ist es an der Zeit, blindlings mit der

Pedro Sánchez und die Parlamentsmehrheit rechtfertigten den Ausnahmezustand und die Militarisierung im Wesentlichen mit der Effizienz der Reaktion auf die Gesundheitskatastrophe Die Ausrede ist, dass es notwendig sei, die Beschaffung und Verteilung von Lieferungen entsprechend den Bedürfnissen jedes Gebietes zu jedem Zeitpunkt, durch Rationalisierungsmaßnahmen zu erreichen, um private Ressourcen in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen und eine Menge großartiger und wünschenswerter Dinge zu ermöglichen

Doch fünf Wochen später ist das Ergebnis der Intervention verheerend: Die

Mittel der privaten Gesundheitsversorgung wurden überhaupt nicht in den Dienst der öffentlichen Gesundheitsversorgung gestellt Noch schlimmer ist, dass die vorübergehende Schließung von Privatkliniken, die von der Sozialversicherung subventioniert wurden, genehmigt wurde, während in öffentlichen Krankenhäusern die Patienten mit der größten "Überlebenswahrscheinlichkeit" ausgewählt und die anderen zum Sterben zurückgelassen wurden Die Beschaffung von Gesundheitsgütern hat sich den chaotischen Bedingungen des nationalen und vor allem des internationalen Marktes angepasst: überhöhte Preise, Betrug, fehlerhafte Materialien, Verzögerungen mit katastrophalen Folgen für die Gesundheit und das Leben der Kranken und des Pflegepersonals Es gab keine Planung oder gar interne oder internationale Zusammenarbeit, um zu versuchen, die Notfallversorgung rationell zu organisieren Die unendliche kriminelle Geschichte des weltweiten Mangels an Gesichtsschutz und Test­ und Atemgeräten war die Spitze des Eisbergs des Chaos Alle Ebenen des

Klassenkampf 40/2020 Spanischer Staat 15
Der Ausnahmezustand diente nicht der besseren Bewältigung der Pandemie, sondern der Militarisierung der Macht

Staates waren nicht im Stande, die außerordentlichen Befugnisse, die ihnen durch den "Alarmzustand" verliehen wurden, zu nutzen, um sofort alle notwendigen Privatunternehmen entsprechend den dringendsten Bedürfnissen zur Produktion der erforderlichen Güter zu zwingen

Inzwischen ist Spanien Weltmeister bei der Ansteckung des Personals im Sozial­ und Gesundheitswesen Diese Arbeiterinnen und Arbeiter leiden unter einem gravierenden Mangel an Schutzmitteln, arbeiten bis zur Erschöpfung und tragen die größte Last der Situation Nach Jahrzehnten der Privatisierung der pharmazeutischen Industrie, der Krankenhäuser und der Sozial­ und Gesundheitsdienste aller Art, nach dem Abbau von Personal, nach prekären Arbeitsverträgen, nach der Schließung ganzer Betriebe und Krankenhäuser war das öffentliche Gesundheitssystem noch nie so unvorbereitet auf einen Notfall wie diesen. Der Gipfel des Zynismus besteht darin, dass die für die Privatisierungen und Kürzungen verantwortlichen Parteien (alle, die in Spanien und in allen Regionen des Landes regiert haben) jetzt dem Gesundheitspersonal applaudieren und es auffordern, die Situation "heldenhaft" zu akzeptieren, ohne die Ursachen des IstZustandes zu hinterfragen

Auch wurden die Befugnisse des "Ausnahmezustands" nicht dazu genützt, alle privaten Altenheime, die für die Hälfte der Todesfälle durch die Pandemie direkt verantwortlich sind, entschädigungslos zu enteignen Das Privateigentum wurde respektiert, trotz des erschreckenden Anblicks von Dutzenden von Häusern, in denen Lebende und Kranke mehrere Tage lang von allen im Stich gelassen neben den Toten zusammenlebten; in denen das Personal sehr knapp war und sich krank arbeitete, ohne Schutz und ohne materielle Mittel zur Betreuung der alten Menschen Das Privateigentum wurde respektiert, obwohl die Katastrophe von den Arbeiter*innenorganisationen seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder angekündigt wurde: der Pflegesektor für

Senior*innen (75% der Plätze) wurde an Geier­Fonds und multinationale Konzerne übergeben, die nur auf Profit aus sind; die Residenzen sind dank des chronischen und skandalösen Personalmangels, dank der miserablen Löhne und der unzureichenden materiellen Mittel aller Art zu bedeutenden gewinnbringenden Unternehmen geworden. Und all dies geschah und geschieht in einem Bereich, der vom Staat und den Regionalregierungen in Prozentsätzen zwischen 50 und 80% subventioniert wurde und wird.

Isolation ist nicht für alle gleich

Das “Isolieren und Einsperren” ist notwendig, hat aber viele mögliche Gesichter Es ist nicht dasselbe, wenn man in einer Luxusvilla wohnt, oder wenn zwei Familien mit Kindern eine kleine Wohnung ohne Balkon bewohnen Von allen Maßnahmen der sozialen Distanz ist das diejenige, welche die Arbeiterklasse am härtesten trifft, sowohl vom Standpunkt des Platzes als auch von der Schwierigkeit, so viele Wochen ohne Arbeit und Einkommen zu überleben

Dramatische Zustände der Überbevölkerung unter ungesunden physischen und psychischen Bedingungen und die Unsicherheit in der Ernährung sind in Spanien weit verbreitet, insbesondere in den Großstädten

Die Strenge, mit der gegen Verstöße gegen die Isolationsbedingungen vorgegangen wird, zeigt auch, in der Hand welcher Klasse die Macht liegt Die Großbourgeoisie von Madrid oder Barcelona wurde in prächtigen Residenzen in großer Entfernung voneinander “eingesperrt” Im Gegensatz dazu lassen Polizei und Armee ständig Hubschrauber über den ärmsten Vierteln der Großstädte kreisen Die Strafen für das Verlassen der Wohnstätten treffen hauptsächlich die arbeitende Bevölkerung. Darüber hinaus haben sich die Fälle grundloser Polizeigewalt gegen Obdachlose, ethnische Minderheiten oder Migranten verviel­

facht Und die Armee patrouilliert auf den Straßen und Wegen aller Regionen des Landes, als wäre es das Natürlichste, was es gibt

Unbegrenzte Rettung für Unternehmen, unzureichende Hilfe für die arbeitende Bevölkerung

Die Wirtschaftskrise hat einen katastrophalen Charakter angenommen In einem Monat sind vier Millionen Lohnabhängige auf Kurzarbeit gesetzt worden Und wir werden sehen, ob das wirklich nur “vorübergehend” ist! Im selben Monat wurden weitere 800 000 Beschäftigte entlassen (trotz des Versprechens der "linken" Regierung, Entlassungen während des Ausnahmezustands zu verbieten) Darüber hinaus hatten 1.000.000 Selbständige oder Arbeiter*innen ohne Arbeitsvertrag keine Möglichkeit, während des “social distancing” zu arbeiten.

Es gibt viel Geld für Unternehmen, vor allem für die großen Aber es fehlt Geld für die schwächsten Arbeiter*innen. Selbst Migrant*innen ohne Papiere sind nicht legalisiert worden, wie es Portugal getan hat, um ihnen den Zugang zur elementarsten Hilfe zu ermöglichen und eine Hungersnot zu verhindern Lange Schlangen vor den Lebensmittelläden sind in den Städten an der Tagesordnung. Unterdessen wird die "Leuchtturm­Maßnahme" von PODEMOS, das Existenzminimum, das für fast eine Million Menschen nur ein Einkommen von 500 Euro/Monat (die Hälfte des Mindestlohns) vorsieht und von dem Migrant*innen in nicht geregelter Lebenssituation ausgeschlossen sind, wochenlang hinausgezögert

Die Diagnose der schwersten sozioökonomischen Situation seit der Zeit nach dem Bürgerkrieg ist eindeutig:

Alle bisherigen Interventionen des kapitalistischen Staates (auf allen Ebenen) waren darauf ausgerichtet, den geschäftlichen und privaten Profit um jeden Preis

Spanischer Staat Klassenkampf 40 /20200 16 Das Kollektiv Permanente Revolution im Internet: www.revolucionpermanente.com

zu sichern, während die Reaktionsfähigkeit auf die Bekämpfung von Katastrophen, einschließlich der gegenwärtigen Pandemie, vor der Wissenschaftler wiederholt gewarnt hatten, marginal blieb

Das Vorgehen der spanischen Regierung angesichts der Gesundheits­ und Wirtschaftskrise unterscheidet sich in keiner Weise von dem der anderen bürgerlichen Regierungen in Europa, unabhängig von den Regierungsparteien Die Ineffizienz und das Chaos bei der Entwicklung der Maßnahmen sind im Vergleich zum Kern des Problems aber bloß anekdotisch: Das zentrale Anliegen bestand darin, die Gewinne der Mehrheit der privaten Unternehmen und Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, selbst im Bewusstsein, dass diese keinerlei Sicherheitsgarantien für die Arbeiter*innen übernahmen

Wie in Italien, Frankreich, den Vereinigten Staaten oder Mexiko waren es die Arbeiterinnen und Arbeiter der großen Unternehmen ­ fast immer mit wilden Streiks, welche die Produktion in den Fabriken zum Stillstand brachten um zu verhindern, dass diese zu massiven Krankheitsherden werden

Die arbeitenden Klassen leiden am meisten unter der Epidemie, den Gefahren durch die Arbeit während der Epidemie und dem Elend der Isolation Doch die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um ihre dramatische Situation zu mildern, sind kleinlich und werden nur langsam umgesetzt Ihnen wird, wie der IWF in allen Ländern rät, nur das überlebensnotwendige Minimum gewährt, um eine unmittelbare soziale Explosion zu vermeiden Über dieses Minimum hinaus überleben viele Familien angesichts des Zusammenbruchs der sozialen Dienste und der “privaten” Wohltätigkeitsorganisationen Hunger und Elend nur dank spontaner Netzwerke gegenseitiger sozialer Unterstützung.

Die Finanzierung aller außerordentlichen wirtschaftlichen Maßnahmen wird hauptsächlich von den Sozialversicherungskassen übernommen, was sie unwiderruflich in den Bankrott führt Die enormen Geldsummen, die der katholischen Kirche, der Armee, den Repressionsorganen oder der Monarchie

zufließen, werden von der fortschrittlichen Regierung aus religiösen Gründen respektiert

Um die Kosten des Kampfes gegen die Pandemie und die historische Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, rüstet die Regierung den kapitalistischen Staat mit neuen Instrumenten der Kontrolle und sozialen Unterdrückung aus, die auf modernsten Technologien basieren und auf einer Linie mit den Maßnahmen des kapitalistischen und diktatorischen chinesischen Staates liegen

eine undurchsichtige Medienkampagne, die den Moment nutzen will, um die gegenwärtige Regierung zu stürzen Diese verbündeten Parteien der Rechten und der extremen Rechten befinden sich in einer parlamentarischen und sozialen Minderheit, daher kann ihr einziges Ziel nur darin bestehen, den Gegner so weit wie möglich zu schwächen: entweder zum Kern einer Regierung der "nationalen Einheit" zu werden oder die Grundlagen für einen Militärputsch zu legen, wie es VOX regelmäßig fordert.

Die Emanzipation der Arbeiter wird das Werk der Arbeiter selbst sein

Die “Krisenbewältigung” durch die PSOE­Podemos­Regierung findet die schamlose Unterstützung der wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen (CCOO­UGT) und der traditionellen Parteien der katalanischen und baskischen peripheren Bourgeoisie, wie in jeder “Stunde der Wahrheit” (d h wenn es darum geht, ihre Unternehmen zu retten und die Stabilität der bürgerlichen Herrschaft über die Gesellschaft zu garantieren)

Aber die Situation ist keineswegs stabil. Die lange und tiefe politische Krise der Monarchie ist nicht von heute auf morgen überwunden worden Das Coronavirus hat es nicht geschafft, die inneren Widersprüche der Bourgeoisie unter den Teppich zu kehren, die zu vier Wahlgängen in vier Jahren und der Ausweitung der Proteste in Katalonien geführt haben Die politische Atmosphäre während des Ausnahmezustands spiegelt diese Krise bis zur Hysterie wider

Alle Parteien, welche die Hauptbefürworter der Monarchie sind, sagen, dass sie die "nationale Einheit" erreichen wollen, um eine starke und stabile Regierung zu bilden Aber das Tandem PP­VOX scheint beschlossen zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen, und zwar einen sehr gefährlichen: Im besten Stil des faschistischen Populismus entwickeln sie

Unter diesen Bedingungen hat die Arbeiterklasse von niemandem etwas Gutes zu erwarten Weder von der Regierung PSOE­PODEMOS, die eingesetzt wurde, um die Monarchie zu retten und die Interessen des Kapitals loyal zu verwalten, noch von den Führern der Arbeiter*innenorganisationen, die mit ihr zusammenarbeiten (so wie mit den vorherigen) Noch weniger von den Sympathisanten des Faschismus, welche die gegenwärtige Regierung stürzen wollen, um möglichst viel vom Franco­Regime wieder auferstehen zu lassen

Die Arbeiterklasse darf nicht akzeptieren, dass der Klassenfeind die Krise gegen sie verwaltet. Wenn die Pandemie etwas bewiesen hat, dann, dass die Welt funktioniert, weil die Arbeiter*innen sie am Laufen halten und nicht die Kapitalist*innen. Wir stellen die Mehrheit der Gesellschaft Wir müssen die Losung der Ersten Internationale "Die Emanzipation der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein" wieder aufgreifen. Wir müssen eine revolutionäre Arbeiter*innenpartei und eine revolutionäre Arbeiter*innen­Internationale aufbauen, um der kapitalistischen Barbarei ein für allemal ein Ende zu setzen und eine neue sozialistische Weltgesellschaft aufzubauen Dies ist das zentrale Ziel des IKC.

1 Mai 2020

Klassenkampf 40/2020 Spanischer Staat 17
Die "nationale" Einheit oder ein Moncloa­2­Pakt, um uns für die Krise zahlen zu lassen

Türkei: Vom „Abschied vom Proletariat“ zum

„Abschied von der Bourgeoisie“

Mit der kapitalistischen Restauration in der UdSSR hatte die Bourgeoisie begonnen, im Weltmaßstab laut „Sieg“ zu schreien. Es wurde erklärt, dass wir das Ende der Geschichte erreicht hätten, dass der Kapitalismus der Gipfel der Zivilisation sei, dass es keine Alternative gäbe und dass der Sturz der bürokratischen Regimes der Sturz des Marxismus sei. Alle bürgerlichen Ideologen wiederholten die Leier, dass von nun an Imperialismus, Klassenkampf und Wirtschaftskrisen vorbei seien, dass die Menschheit in einer Welt des Friedens und des Wohlstands leben werde.

Doch weder die Krisen noch der Imperialismus sind vorbei, stattdessen hat der Kapitalismus alles, was er versprochen hat, umsetzen können Mit der Integration der UdSSR in den Kapitalismus eröffnete sich dem Kapitalismus ein immenser Spielraum, um die Politik der liberalen Transformation umzusetzen. Dieser Prozess gab den Monopolen die Möglichkeit, im großen Maßstab zu wachsen und den Wettbewerb unter ihnen zu verschärfen Alle Rechte, die die Arbeiterklasse im 20. Jahrhundert erobert hatte, wurden angegriffen Der Kapitalismus hat im globalen Maßstab alles zerstört, was von einem Sozialstaat übrig geblieben ist Gleichzeitig schwollen die Monopole weiter an, und alle öffentlichen Dienstleistungen wurden durchkommerzialisiert. Arbeitslosigkeit, Prekarität, Flexibilität verbreiteten sich über die ganze Welt

Die Überproduktionskrisen des Kapitalismus haben Kriege mit sich gebracht. Dem Kapitalismus gelang es nicht, sich aus der Depression von 2008 zu befreien, und letztere vertiefte sich. Der Kapitalismus ertrinkt in der Wirtschaftskrise, der Klimakrise, der Bedrohung durch einen neuen Weltkrieg und der vom Imperialismus verursachten Flüchtlingskrise. Mit dem Coronavirus ist eine globale Gesundheitskrise entstanden

Der Kapitalismus ist trotz aller Fortschritte in Wissenschaft und Technik nicht in der Lage, einen Ausweg aus einer Pandemie zu finden Auf globaler Ebene zerfällt er und bewegt sich in einem rasanten Tempo auf die Zerstörung der Menschheit zu Die einzige Alternative,

um dieser Zerstörung zu entkommen, ist die sozialistische Weltrevolution.

Eine Krise, die in einem Land beginnt, wird sehr schnell zu einer globalen Krise Auch Proteste und Aufstände, die auf nationaler Ebene beginnen, gewinnen sehr schnell eine globale Dimension Deshalb ist heute jedes grundlegende Problem auf unserem Planeten ein globales Problem. Deshalb muss jeder Kampf auf globaler Ebene geführt werden Das Ziel jeglicher Übergangsforderungen ist es, die Macht zu ergreifen. Und die endgültige Lösung jedes Problems ist die sozialistische Weltrevolution Für jeden Kampf gegen den Kapitalismus, für jede antikapitalistische Forderung ist es zwingend notwendig, eine internationale revolutionäre Perspektive zu haben

2019 wurden wir Zeugen einer globalen Arbeiterrevolte gegen das neoliberale System in Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten Das zerfallende neoliberale System wird nun von einem Virus befallen Dieses Virus breitet sich dermaßen aus, dass es zu schweren Erschütterungen im Produktionssystem verschiedener Länder der Welt führt

Die ersten Länder, in denen die Pandemie entdeckt wurde, waren China und Korea Dann machte es sich in einer Weise bemerkbar, die den Alltag in Italien und im Iran in den Grundfesten erschütterte Das Virus hat sich inzwischen weltweit verbreitet, vor allem in Europa Die Tatsache, dass das Virus in China aufgetreten ist und die chinesische Wirtschaft lahm gelegt hat, hat die Weltmärkte direkt beeinträchtigt In allen Ländern, in denen sich die Pandemie ausbreitet, tendiert die wirtschaftliche Zerrüttung aufgrund des derzeitigen Wirtschaftsabschwungs und der Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit dazu, dauerhaft zu werden Die Grenzen sind geschlossen und lähmen den internationalen Handel Die Existenz des globalen Kapitalismus hängt von internationalen Handelsaktivitäten ab Mit der Schließung der Grenzen stehen die Logistik, der Tourismus und die Hotelindustrie still.

Der globale Kapitalismus hat es nicht geschafft, sich aus der globalen Depression, die 2008 begann, zu befreien Die weltweite Schrumpfung der Märkte und sinkende Gewinnraten haben zu Maßnahmen geführt, die eine weitere Schrumpfung bewirken Die Regierungen setzen eine Politik um, die die Unternehmen rettet und das volle Gewicht der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse bürdet

Das Gesundheitssystem, das nach Profitinteressen ausgerichtet wurde und dessen alleiniger Zweck die Erzielung von Gewinnen ist, konnte keinen Weg finden, die Krise zu stoppen Dies führt zu einer Vertiefung der globalen Krise des Kapitalismus.

Das einzige Ziel der Regierungen der Welt besteht darin, den Untergang der Bourgeoisie zu verhindern und die Konzerne am Laufen zu halten. Unter diesem Blickwinkel sind die Gesundheit und die Grundbedürfnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter völlig unwichtig. In Großbritannien haben bürgerliche Politiker und Medien begonnen darüber zu

Türkei Klassenkampf 40 /2020 18
Die gegenwärtige Pandemie ist die kombinierte Krise der kapitalistischen Wirtschaftskrise und des kapitalistischen Gesundheitssystems.

schwadronieren, dass es "wegen der zu großen Weltbevölkerung gut für den Planeten wäre, wenn Millionen von Menschen, vor allem ältere, sterben würden" Zusammenfassend können wir Folgendes sagen: Ob in der Türkei oder in der Welt, der einzige Zweck der Regierungen besteht darin, die von ihnen vertretene Klasse der Bourgeoisie vor der Krise zu retten. Das Schlagwort "die Emanzipation der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein" bestätigt sich heute in unserem Alltagsleben.

Jeder versucht, seine Klasse zu retten

Mit der Pandemie verkündete die Bourgeoisie, dass das Virus keinen Unterschied zwischen Nationalitäten, Klassen, Geschlechtern mache und dass eine nationale Mobilisierung notwendig sei Diese Großmobilisierung zielt jedoch nur darauf ab, die Bourgeoisie am Leben zu erhalten Das Charakteristikum des Kapitalismus besteht darin, die Interessen der herrschenden Klasse als die Interessen der gesamten Gesellschaft darzustellen. Und das immer mit dem Slogan "wir sitzen alle im selben Boot" Aber diese überholte Methode ist mittlerweile so abgenutzt, dass sie nicht mehr ausreicht, die Widersprüche des Kapitalismus zu verdecken In Frankreich erklärte Macron, dass kein einziger Aktionär in Konkurs gehen werde In Deutschland handelte Merkel im Interesse der Monopole und verbreitete gleichzeitig Angst in der Bevölkerung.

Trump öffnete die Börsen, damit die amerikanischen Monopole einen Impfstoff entwickeln und die Kassen so weit wie möglich auffüllen konnten. Auf globaler Ebene haben sich alle Regierungen der Welt für die Rettung der Bourgeoisie eingesetzt. Alle Pläne zur Rettung der Bourgeoisie sind Pläne, die Arbeiter angesichts der Pandemie im Stich zu lassen, sie zu Armut und Arbeitslosigkeit zu verurteilen. Aber die bürgerlichen Regierungen werden die Unzufriedenheit und den Zorn der werktätigen Massen durch Rettungsaktionen für Unternehmen nur verstärken. Arbeiter*innen, die das Jahr 2019 unter Bedingungen weltweiter Aufstände erlebt haben, haben auch das Potenzial, aufgrund der Erfahrungen in ihrer Praxis radikaler zu werden. Die Frage der internationalen revolutionären Partei ist

eine brennende Frage Der Kampf gegen die Pandemie und jeder antikapitalistische Kampf der Arbeiter kann nicht unabhängig vom Kampf für den Aufbau der internationalen revolutionären Partei betrachtet werden. Deshalb ist es absolut notwendig, dass sich jeder Kampf so­

Infolgedessen sind gleich ganze Familien von der Krankheit bedroht.

Der wichtigste Weg, die Pandemie zu verhindern, ist die Reduzierung und der Stopp von Kontakten nach Außen Die von der Regierung angekündigten Maßnahmen sind unzureichend und gefähr­

„Wenn wir fünfmal am Tag unsere Hände, unser Gesicht, unsere Arme, unseren Kopf und unsere Füße waschen, dann haben wir nicht nur islamisch, sondern auch medizinisch die beste Reinigung vorgenommen.“

wohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene mit der Frage des Aufbaus der revolutionären Führung befassen muss Denn der gesamten Menschheit droht durch die Weltordnung einer auf planetarischer Ebene organisierten Klasse (der Bourgeoisie) der Untergang Tod, Armut und Arbeitslosigkeit sind das Los der großen Mehrheit der Menschheit. Nur das Proletariat, welche das Opfer dieser Ordnung ist, kann dieses System ändern, das die Menschheit in die Vernichtung führt. Und der einzige Weg, um dies zu erreichen, ist die Schaffung der internationalen revolutionären Partei

Das Virus in der Türkei und die Haltung der Regierung

Während sich das Virus auf der ganzen Welt verbreitete, beharrten die dem Präsidentenpalast ergebenen Medien darauf, dass das Virus nicht in die Türkei gelangt sei, dass „wir ihm entkommen“ seien und dass es, selbst wenn es „gesichtet“ werden sollte, das Land auf keinen Fall treffen würde Sehr bald nach diesen Reden wurden jedoch die ersten positiven Testergebnisse bekannt gegeben. Dann kam die Nachricht von Todesfällen und einem Anstieg der Zahl der Kranken Nach diesem Auftreten der Erkrankungen ergriff die Regierung Maßnahmen. Aber die Arbeiter*innen, die die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft ausmachen, wurden vergessen Da die Arbeitnehmer ständig unterwegs sein müssen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit dem Virus infizieren, größer

lich Die Kindertagesstätten sind geschlossen, aber die Frage, wer die Kinder betreut, wird nicht beantwortet Es entsteht also eine merkwürdige Situation Der Grund für die Existenz der Kinderkrippen sind berufstätige Eltern Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, schließt die Regierung Schulen und verbietet alle Aktivitäten, die Menschen zusammenbringen, wie Sportwettkämpfe, Konzerte, Theater usw Aber Fabriken, Werkstätten und Baustellen sind weiterhin in Betrieb. Aufgrund der Profitgier der Bosse wird die Gesundheit der Arbeiter*innen ihnen selbst überlassen Die Gewerkschaften, die Handlanger des Staates und des Kapitals sind, legen ihre erprobte langjährige pazifistische Haltung an den Tag und sagen nichts Die Aufrufe #bleibtzuhause nehmen zu, aber es gibt kein Programm, um das Überleben der Arbeiter zu sichern, die zu Hause bleiben würden! Viele Unternehmen nutzen die Pandemie, um Arbeiter*innen arbeitslos zu machen oder sie dazu zu bringen, ihren Jahresurlaub zu konsumieren. Was das von der Regierung angekündigte „Paket gegen das Virus“ betrifft, so werden die Arbeiter*innen darin nicht einmal erwähnt

Was enthält der wirtschaftliche „Schutzschild“ von Erdoğan?

Die Kette von „Schilden“ des Regimes, die mit dem „Euphratschild“ begann, wird um einen neuen Schild bereichert, den "Schild der wirtschaftlichen Stabilität"

Klassenkampf 40/2020 Türkei 19
Erdoğan kombiniert Islamismus mit Hygiene

Dieses Paket ist mehr eine Entschädigung für die Verluste der Kapitalklasse als ein Mittel gegen die Pandemie Wir können dieses Paket wie folgt zusammenfassen: "Unbegrenzte Hilfe von bis zu 100 Milliarden Dollar für die Kapitalistenklasse, leichte Unterstützung für Kleinhändler, Gebete für die Armen, Kölnisch Wasser für die Alten, Tod für die Arbeiter*innen". (Aufgrund des Mangels an Desinfektionsmitteln hat Gesundheitsminister Fahrettin Koca der Bevölkerung empfohlen, im Kampf gegen das Coronavirus Kölnisch Wasser als Alternative zu Hand­Desinfektionsmittel zu verwenden Allein in den vergangenen Wochen gingen

getroffen werden Viele Unternehmen kündigen Arbeiter*innen und verurteilen sie zu Hunger und Armut Die Regierung ist nicht einmal in der Lage, die Gesundheit der Beschäftigten im Gesundheitssektor zu schützen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es für die Arbeiter*innen und Angestellten weder von der Regierung noch von den Gewerkschaften, die zu Sekundanten des Staatsapparates geworden sind, etwas zu erhoffen gibt Heute sterben die Arbeiter*innen, die die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft ausmachen, in Armut, Arbeitslosigkeit und unter der Bedrohung durch die Pandemie Der Ge­

DerPräsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet Ali Erbas ist bekannt für seine konservative Auslegung des Islams und eine Wertauffassung, die für viele seiner Kritiker nicht in diese Zeit passt. Seinem Ruf wurde er bei seiner ersten Predigt anlässlich des Fastenmonats Ramadan wieder einmal gerecht: Er stellte bewusst Homosexuelle an den Pranger, indem er den Ausbruch des Coronavirus auf Homosexualität und Ehelosigkeit zurückführte. "Sie verfault die Generation und bringt Krankheiten". Der Islam verfluche Homosexualität, so der oberste islamische Gelehrte der Türkei.

Quelle: Deutsche Welle, 28.4.2020

beim Duftwasser­Hersteller Eyup Sabri Tuncer zehntausende Bestellungen ein –Anmerkung des Übersetzers)

In dem Paket, das 21 Kapitel enthält, werden Arbeiter*innen und Werktätige nicht einmal erwähnt Die Arbeiter*innen werden in Fabriken, Werkstätten und auf Baustellen der Bedrohung durch die Pandemie ausgesetzt, ohne dass irgendwelche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz

sundheitsminister ruft alle auf, „den eigenen Ausnahmezustand“ zu praktizieren Die Regierung mit ihrem eigenen Ausnahmezustand hat die Kapitalistenklasse und in gewissem Maße auch die Kleinhändler vor der Pandemie gerettet Jetzt ist es an der Zeit, dass die Arbeiterklasse selbst den Ausnahmezustand ausruft, um sich vor dieser Pandemie zu retten

Die Arbeiter*innenklasse, die der Armut, der Arbeitslosigkeit und der Pandemie überlassen wurde, kann diese Situation nur durch ihr eigenes Handeln überwinden. Sie kann die Todesspirale durch ihre berechtigten Streiks und Fabrikbesetzungen durchbrechen Sie kann das mit ihren eigenen Forderungen erreichen, indem sie den Kampf ausweitet Die Gewerkschaften sind ein Hindernis für diese Aktionen Die Arbeiter*innenklasse kann nur erfolgreich sein, wenn sie sich an der Basis organisiert, wenn sie ihre eigenen Komitees organisiert Die Werktätigen müssen ihren eigenen Ausnahmezustand anwenden, um das Recht auf Leben zu erringen Und dieser Ausnahmezustand der Arbeiter*innenklasse wird durch Fabriksbesetzungen, Streiks und Widerstand erreicht

• Bezahlter Urlaub für alle Werktätigen!

• Verbot von Entlassungen! Keine Entlassungen!

• Entschädigungslose Enteignung aller Gesundheitseinrichtungen unter Arbeiter*innenkontrolle!

• Kostenlose Virentests für alle!

• Freier Zugang zu allen Arten von Desinfektionsmitteln!

• Kostenlose Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Wasser, Strom, Erdgas!

• Desinfektion von Straßen­ und Heimtieren, kostenlose Untersuchungen!

• Freilassung aller Gefangenen.

Patronsuz Dunya

Wenn Du mehr über den Marxismus wissen willst:

Die Gruppe KLASSENKAMPF organisiert regelmäßig Einführungskurse in den wissenschaftlichen Sozialismus Zu den Kernthemen gibt es schriftliche Unterlagen, die man auch zu Hause in Ruhe durcharbeiten kann Wenn Du Fragen dazu hast, schreib uns einfach:

gruppeklassenkampf@tutanota com

Türkei Klassenkampf 40 /2020 20
Wie würde der Ausnahmezustand durch die Arbeiter*innenklasse aussehen?

DIE LINKE:

Das Ideal der Wirtschaftsdemokratie –Heilslehre soll strategisches Ziel werden

Am 15. Mai 2020 haben sich vier einzelne Mitglieder der Partei DIE LINKE aufgemacht, diese polit­strategisch neu auszurichten. Man könnte sie vielleicht einfach ignorieren und einfach zur Tagesordnung übergehen. Doch es handelt sich hier nicht um „einfache“ Mitglieder, sondern um das Epizentrum der Macht in der Partei. Das ist nicht die Bundestagsfraktion, das ist nicht der Parteivorstand in seiner Gesamtheit. Es sind die beiden Co­Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, der Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und der Partei“kassenwart“ Harald Wolf. Diese vier bilden den geschäftsführenden Bundesparteivorstand.

Richtig erkennen sie, DIE VIER, dass die Zeit „nach Corona“ eine andere sein wird als die „vor Corona“ Unter dem Titel „Für eine solidarische Zukunft nach Corona“ (https://www die­linke de/start/ nachrichten/detail/fuer­eine­solidarischezukunft­nach­corona/“) wird als strategisches Ziel der Partei die „Wirtschaftsdemokratie“ genannt Sie verstehen darunter einen „grundlegenden sozialökologischen Systemwechsel“, eine „sozial­ökologische Transformation“. Sie fordern „eine Demokratisierung der Wirtschaft selbst und damit auch Eigentumsstrukturen, die öffentliche, genossenschaftliche und belegschaftseigene Beteiligung garantieren“ , kurz „Nicht Privatkapitalismus, sondern Wirtschaftsdemokratie lautet die Perspektive“ .

Sie sehen ihren Beitrag als Teil der in DIE LINKE im Herbst 2019 begonnenen Strategiedebatte, die mit dem Kasseler Strategiekongress im Januar 2020 ihren öffentlichen Ausdruck fand Zu dieser wurden ca 600 schriftliche Beiträge eingereicht. In auf dieser Basis organisierten Arbeitsgruppen wurden die angesprochenen Themen versucht zu diskutieren Mehr als Meinungsbilder konnten so nicht herauskommen. So war auch das Abschlusspodium keine Zusammensetzung von in den Arbeitsgruppen gewählten Sprecher*innen zum Vortragen jeweils dort abgestimmter Positionen. Vielmehr gaben dort schon vor Beginn der Konferenz festgelegten Teilnehmer*innen ihre jeweilige Meinung kund. Das taten sie gut. Aber eine schriftliche Bereitstellung der Redebeiträge fehlt bis

heute. Die Website fasst nicht alle zur strategischen Ausrichtung der Partei je­

men Man muss den Titel eines Beitrags kennen, um ihn dort über die Suchfunktion finden zu können.

So kann innerparteiliche Demokratie nicht funktionieren Aber das ficht „DIE VIER“ auch nicht an Ihnen geht es darum, mit „aller Macht“ ihre politischen Vorstellungen zu propagieren Dabei erkennen sie sehr wohl, was auf die Arbeiterklasse „nach Corona“ zukommen wird: „Es stehen harte Verteilungskämpfe bevor “ Wie sollen diese zu erwartenden

Solldie Beteiligung der Arbeiter an der Produktionsleitung dauerhaft, widerstandsfähig, »normal« sein, so muss ihre Basis die Arbeitsgemeinschaft der Klassen, nicht der Klassenkampf sein. Aber eine solche Klassenzusammenarbeit ist nur zwischen den Gewerkschaftsführungen und den kapitalistischen Verbänden möglich. Das ist oft versucht worden, in Deutschland mit der »Wirtschaftsdemokratie«, in England mit dem sog. »Mondismus« usw. Aber in all diesen Fällen handelte es sich nicht um Arbeiterkontrolle über das Kapital, sondern um die Zähmung der Arbeiterbürokratie durch das Kapital. Diese Form der Herrschaft kann, wie die Erfahrung lehrt, lange dauern – je nach der Geduld des Proletariats. Je näher man aber an die Produktion, die Fabrik, die Werkstatt herankommt, desto unmöglicher wird dieses Regime, denn hier handelt es sich um die unmittelbaren Lebensinteressen der Arbeiter, und der ganze Prozess vollzieht sich hier unter den Augen der Arbeiter selbst. Arbeiterkontrolle durch Betriebsräte ist nur denkbar auf der Basis des harten Klassenkampfes, nicht auf der der Arbeitsgemeinschaft. Aber das heißt: Doppelherrschaft im Unternehmen, im Trust, in allen Industriezweigen, in der gesamten Wirtschaft.

Leo Trotzki: Über Arbeiterkontrolle der Produktion, August 1931

mals erschienen Beiträge zentral unter einem Punkt „Strategiedebatte“ zusam­

massiven Angriffe des Kapitals auf die Existenzgrundlagen der Arbeiterklasse

Klassenkampf 40/2020 Deutschland 21

insgesamt aber abgewehrt werden und in eine Offensive für die Übernahme der wirtschaftlichen und politischen Macht der Arbeiterklasse, für eine sozialistische Gesellschaft („demokratischer Sozialismus“ als Ziel festgelegt im Parteiprogramm), umgewandelt werden? Ein „sozialökologischer Spurwechsel, ein linker Green New Deal“ muss her. Dieser werde „nur gegen die geballte Macht der großen Konzerne und gegen die Kapitalverwertungsinteressen der ökonomisch Mächtigen durchzusetzen sein Keine Partei schafft das alleine “ Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen, Umweltverbände, „Zivilgesellschaft wie Klimaschutzbewegung und die sozialen Bewegungen“ sollen nicht nur national, sondern international „für ein gemeinsames weltweites linkes Projekt, das verschiedene Ansätze linker Politik (linkskeynesianische, ökologische, gewerkschaftliche und sozialistische) zusammenbringt und hegemonial macht“ gewonnen werden. Sie ziehen daraus den Schluss, dass in der Bundesrepublik Deutschland nur durch eine Beteiligung DER LINKEN an einer „rot­rotgrünen“ Bundesregierung des bürgerlichen Staates dieses Ziel erreicht werden kann

Da DIE LINKE als „Polit­Staubsauger“ durch die damalige Parteienlandschaft fuhr und als Phönix aus der Asche der vor sich hin existierenden verschiedenen sozialistisch orientierten Parteien und Initiativen am 16 Juni 2007 (WIKIPEDIA) als reformistische Partei auferstand, wird sie seitdem von dem Bemühen der verschiedenen in ihr existierenden politischen Strömungen bestimmt, die jeweils eigene Position zur Mehrheitsposition zu machen Erstmals wird durch das Papier DER VIER versucht, diesem Zustand ein Ende zu setzen Das schon lange von ihnen verfolgte Ziel der „Wirtschaftsdemokratie“ (siehe dazu u.a. auch das Buch von Bernd Riexinger: „Neue Klassenpolitik“, VSA­Verlag 2018) soll endlich zur allgemeinverbindlichen politischen Grundlage der Partei DIE LINKE werden –ohne von der Partei überhaupt diskutiert und beschlossen worden zu sein

Die Verkündigung DER VIER ist jedoch nichts Neues. Schon in der Weimarer Republik wurde dieses Ziel vom damaligen ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) 1928 propagiert.

„Im Jahr 1928 berief der ADGB eine hochrangig besetzte Kommission ein,

zu der neben Napthali unter anderem Fritz Baade, Rudolf Hilferding, Erik Nölting und Hugo Sinzheimer gehörten Aufgabe war die Erarbeitung eines wirtschaftspolitischen Grundsatzprogramms. Die Ergebnisse veröffentlichte Napthali in seinem Buch Wirtschaftsdemokratie Ihr Wesen, Weg und Ziel (1928) Er selbst stellte die erarbeiteten Ergebnisse auf dem ADGB Bundeskongress 1928 vor Er ging dabei von der Grundthese aus, dass die 1918 erreichten politischen demokratischen Rechte der Ergänzung und Absicherung durch die Demokratisierung der Wirtschaft bedürften In Übereinstimmung mit Hilferdings Konzept des „organisierten Kapitalismus“ sah Naphtali eine demokratische Wirtschaft und eine sozialistische Gesellschaft als Endziel Aber man müsse in der Gegenwart mit einer schrittweise erfolgenden Demokratisierung der Wirtschaft beginnen, dies gelte auch, weil der Kapitalismus „bevor er gebrochen wird, auch gebogen werden“ könne Das Konzept sah die Mitwirkung der Gewerkschaften, die Kontrolle von Kartellen und Monopolen sowie wirtschaftsfördernde Maßnahmen vor Wichtiger waren dabei Eingriffe in zentrale wirtschaftliche Abläufe, weniger in die betriebliche Ebene Der gewerkschaftliche Reformismus des von Naphtali formulierten „Hamburger Modells“ stieß im ADGB auf breite Zustimmung Dagegen begannen die Arbeitgeber sogleich eine großangelegte Kampagne gegen die angeblichen gewerkschaftlichen Allmachtsphantasien “ (WIKIPEDIA)

Mit unterschiedlicher Stoßrichtung lehnten sowohl die KPD als auch die linkszentristische SAP und die Linke Opposition damals dieses Konzept der Wirtschaftsdemokratie ab In „Das rote Gewerkschaftsbuch“, 1932 im Auftrag der SAP herausgegeben von August Enderle, Heinrich Schreiner, Jakob Walcher und Eduard Weckerle (http://www spdinfo de/ spd dsv gewerkschaften/gewerkschaftsbuch pdf) wird ausführlich darauf eingegangen Als ein Ergebnis der Novemberrevolution in Deutschland 1918 wurde ein Abkommen zwischen Unternehmerverbänden und dem ADGB geschlossen, „das die Zentralarbeitsgemeinschaft inaugurierte und für die Unternehmer den Burgfrieden der Kriegszeit in die Friedenszeit hinüber rettete “ (a a O , S 16)

„Der alte Traum der Gewerkschaften, nicht nur schrankenlos anerkannt, sondern auch mit dem Unternehmertum gleichgestellt zu sein, war erfüllt “ (ebda ) Der damalige Gewerkschaftsführer Carl Legien formulierte erstmals die Grundzüge der „Wirtschaftsdemokratie“:

„Die Arbeitsgemeinschaft ist nichts anderes als die konsequente Fortführung jener Tarifpolitik, die in den gewerkschaftlichen Organisationen seit Beginn dieses Jahrhunderts getrieben worden ist, nichts anderes als die konsequenten Durchführung des Tarifgedankens, der Vereinbarung, der Verständigung über die Lohn­ und Arbeitsbedingungen “

Im Original gesperrt gedruckt, geht es weiter: „Allerdings will sich die Arbeitsgemeinschaft nicht hierauf allein beschränken, sondern sie erstreckt sich auch auf die gemeinsame Beratung aller wirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen “ (ebda , S 16/17) Nach Theodor Leipart („Carl Legien – Ein Gedenkbuch von Th. Leipart Verlagsgesellschaft des ADGB, 1929) war für Legien klar: „Eine starke Einflußnahme gerade auf die Wirtschaftspolitik sollte der Hauptzweck sein. Es war die Absicht, das ganze Erwerbsleben Deutschlands in dieser Arbeitsgemeinschaft zu vereinheitlichen und durch sie eine bestimmenden und heilvollen Einfluß auf das Wirtschaftsleben auszuüben “ (ebda , S 17) Daraus wurde jedoch nichts Das musste damals auch Leipart in seinem Buch zugeben „Die Erwartungen, die Legien auf die Zentralarbeitsgemeinschaft gesetzt hatte haben sich nicht erfüllt “ (ebda , S. 17) Alle Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die damals in Gesetzesform gegossen und noch heute in teilweise unveränderter Form in dem Staat „Bundesrepublik Deutschland“ existieren, waren jedoch nur möglich durch die revolutionären Bewegungen im Gefolge des I. Weltkrieges. Doch entscheidend für die Gewerkschaftsführungen war etwas anderes Nun waren sie nicht mehr „Fremdkörper im Wirtschaftsleben“ , sondern vom Staat anerkannt. Die Monarchie als Herrschaftsform des Kapitals hatte ausgedient Die bürgerlich­parlamentarische Republik löste sie ab, ohne dass sich die Funktion des Staates, Hüter der kapitalistischen Herrschaft zu sein, geändert hätte Das wussten auch die Arbeiter, die sich immer wieder in Aktion setzten, auch gegen den Willen ihrer Gewerkschaftsführungen Dieser Kampf­

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fähigkeit des Proletariats musste etwas entgegengesetzt werden, dass ihnen die Hoffnung auf ein Ende der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse nicht nahm, und trotzdem geeignet war, ihrer Kampfkraft das Rückgrat zu brechen. Der damalige Holzarbeiterführer Tarnow fand 1925 ­ nach den Jahren der Revolution und der militärischen Niederschlagung der Räte, nach Kapp­Putsch und Hyperinflation ­ die Lösung:

„ die letzten Ziele unserer Bewegung zu verwirklichen, ist nicht in Erfüllung gegangen Es ist schon notwendig, zu fragen, ob das so bleiben muß, ob wir

nicht in unsere Arbeiterbewegung und ganz besonders in unsere Gewerkschaftsbewegung eine Ideologie hineinbringen können, an die die Massen glauben können, ein Ideal! ­ die Wirtschaftsdemokratie!“ (ebda., S. 22)

Die Herausgeber des roten Gewerkschaftsbuches dazu:

„Doch Ideale, die nicht aus der Masse selbst herauswachsen, können nie und nimmer zu einem Massenideal werden, “ (ebda , S 23) „Die Grenzen zwischen Bourgeoisie und Proletariat wurden künstlich verwischt, der Klassenstaat als eine über Klassen und Par­

teien stehende Einrichtung idealisiert, die Gewerkschaftsbewegung selbst zu einem Anhängsel dieses Staates degradiert Damit wurde aber auch der Gewerkschaftsbewegung selber das Rückgrat gebrochen.“ (ebda., S. 23)

Das historische Ergebnis dieser Politik ist bekannt Die deutschen Faschisten konnten kampflos ihre Macht ergreifen und die Arbeiterbewegung zerschlagen. Nun war auch das Kapital zufriedengestellt

Bremen, 26 05 2020

DIE LINKE: Verfassungstext und Verfassungswirklich­

keit: Illusionen nur einer

Landesverfassungsrichterin?

Vor kurzem wurde Barbara Borchardt vom Schweriner Landtag mit den Stimmen der LINKEN und Teilen von SPD und CDU zum „Mitglied des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg­Vorpommern“, so die offizielle Bezeichnung, gewählt Laut WIKIPEDIA (27 05 2020) wurde sie 1956 in der ehemaligen DDR, in Mecklenburg­Vorpommern, geboren. Mit 18 Jahren trat sie 1976 der damaligen SED bei 1984 machte sie einen Abschluss an der Akademie für Rechts­ und Staatswissenschaft der DDR. Nach einem Fernstudium legte sie 1990 ihr Diplom in Jura ab (Diplomjuristin)

Ihr politischer Weg ist bisher „geradlinig“ verlaufen: SED, PDS, DIE LINKE In letzterer gehört sie zu den Mitgründern der Antikapitalistischen Linken (AKL) in Mecklenburg­Vorpommern. Dort gehörte sie zu denen, die den Bau der Mauer, die Militarisierung der Grenze zur damaligen BRD, als „alternativlos“ bezeichneten Während die AKL auf Bundesebene vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wird, gilt dies nicht für Mecklenburg­Vorpommern.

Die AKL tritt ein für die Entmachtung, Entflechtung und Vergesellschaftung aller

Banken und Versicherungen unter eine „demokratische Kontrolle und Verwaltung der Bevölkerung“ sowie die „Überführung der strukturbestimmenden Konzerne der Weltwirtschaft in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Leitung durch die Belegschaft und die Bevölkerung als ersten Schritt zu umfassender demokratischer Vergesellschaftung“ (AKL­Website: Erneuerter Gründungsaufruf vom 09 11 2013) Die AKL ist also der Ansicht, dass dies in der jetzigen kapitalistischen Wirtschafts­ und Gesellschaftsordnung, wie sie in der Bundesverfassung (Grundgesetz) und den einzelnen Bundesländerverfassungen niedergelegt ist, nicht zu realisieren sein wird So ist es Doch Frau Borchardt sieht das anders In einem Interview mit der Welt nach ihrer Wahl zum Mitglied des Landesverfassungsgerichts (siehe dazu auch: https://www jungewelt de/artikel/ print php?id=378958) erklärte sie, „ihre Mitgliedschaft in der Antikapitalistischen Linken steht nicht im Widerspruch zu ihrer neuen Tätigkeit Die Ziele der AKL stünden nicht im Gegensatz zum Grundgesetz, denn dieses sehe eine explizit kapitalistische Grundordnung nicht vor

Einen Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen lehne sie nicht grundsätzlich ab Zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge gehörten in die öffentliche Hand.“ (ebda.) Dazu gehören mit Sicherheit nicht „alle Banken und Versicherungen“ und die „strukturbestimmenden Konzerne der Weltwirtschaft“. Frau Borchardt versucht hier eine Wiederbelebung der Argumentationslinie der DKP der alten BRD Um einem neuerlichen Verbot gemäß des KPD­Verbotsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1956 zu entgehen, gab diese sich betont verfassungstreu Das schützte zwar nicht vor den Berufsverboten unter dem SPD­Kanzler Willy Brandt Aber es streute den eigenen Mitgliedern wie auch vielen aus dem Umkreis der Partei beständig Sand in die Augen statt tagtäglich Sand in die Rädchen des kapitalistischen Verwertungsprozesses Der damalige Kampfbegriff der deutschen Bourgeoisie, die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (FDGO), stand damals noch nicht einmal im Grundgesetz Heute ist er dort zu finden (GG Art. 10, 11, 18, 21, 73, 87a (Notstandsgesetze!), 91) Das sich gleichwohl Illusionen in die

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bürgerliche Verfasstheit der deutschen kapitalistischen „Grundordnung“ hartnäckig halten und sogar in Gestalt der „Wirtschaftsdemokratie“ wieder das Licht des politischen Alltags erblicken, ist vor allem den Artikeln 14 und 15 des Grundgesetzes geschuldet:

„Art 14

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt

(2) Eigentum verpflichtet Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen

Art 15

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs 3 Satz 3 und 4 entsprechend “

„Der Sozialismus ist möglich! Das mit der Entschädigung kriegen wir auch noch hin!“ So die verschreckten Kleinbürger, die mit aller Macht versuchen, die Notwendigkeit einer REVOLUTIONÄREN Umwälzung der bisherigen Gesellschaftsordnung zu leugnen

Die bundesdeutsche Verfassungswirklichkeit, die bundesdeutsche reale Wirklichkeit brauchen vor einer solchen Verfassungsrichterin keine Angst haben Trotzdem wird aus allen Rohren geschossen Damit hatte sie nicht gerechnet In einem Interview mit der „junge welt“ vom 20 05 2020 gesteht sie, davon überrascht worden zu sein: „Ja, denn ich bin bereits seit 2017 stellvertretendes Mitglied des Landesverfassungsgerichtes Schon damals war meine Mitgliedschaft in der AKL bekannt.“ Und: „Wertschätzung gibt es manchmal auch über Parteioder Fraktionsgrenzen hinweg “ Im Weiteren „adelt“ sie das Grundgesetz und die Landesverfassungen „Die wesentlichen Aktionsfelder, so liest man in dem Bericht, sind >>Antikapitalismus<<, >>Antiimperialismus<<, >> Antifaschismus<< und >>Antimilitarismus<< Das betrifft alles Fragen, die durch das Grundgesetz und unsere Landesverfassung gedeckt sind.“ Und auch die politischen Zielsetzungen der AKL sind nach ihr mit den Verfassungen von Bund und Land voll kompatibel. Die, nach eigenem Selbstverständnis „revolutionäre“, AKL wird gleich

Aus dem Schlusskapitel:

mal mit „weichgespült“: „Dass der Bundesverfassungsschutz die AKL allerdings als extremistisch einstuft, halte ich für einen Anachronismus und eine bedachte Diskriminierung der Partei Die Linke.“ (ebda.)

Die aus der DKP und der ehemaligen SED/PDS kommenden Mitglieder der AKL werden damit sicher sehr gut leben können Doch wie stehen die Mitglieder des „Internationalen Sekretariats der IV Internationale“ und der beiden Nachfolgeorganisationen der ehemaligen SAV (CWI) dazu? Der Aufruf für die Gründung der AKL trägt im wesentlichen ihre Handschrift, wie die in diesem Artikel zitierten Ziele zeigen!

Die Bundesrepublik Deutschland steuert unruhigen Zeiten entgegen. Alle spüren das Dies findet sowohl seinen Ausdruck in den Parteien der Bourgeoisie (CDU/CSU und FDP), als auch in denen des Kleinbürgertums (AfD und Bündnis '90/Die Grünen) und der Arbeiterbewegung, SPD und DIE LINKE Die Bundestagswahlen im Dezember 2021 werden zu den interessantesten werden, die es bisher gab Denn in ihrem Vorfeld geht es um die zentrale Frage der nächsten Monate und Jahre:

Wer zahlt die Kosten der kapitalistischen Krise ?

Bremen, 27 05 2020

Der Platz der Kommunisten war am 10 November an der Seite der Arbeiter und Studenten, der Anhänger von Morales gegen die Erhebung des Generalstabs, meuternde Polizisten, reaktionäre Politiker und faschistische Banden, die von den amerikanischen und europäischen Plündererstaaten unterstützt wurden

Wir stehen in ständigem Wettbewerb mit der nationalen Bourgeoisie als der einzigen Führung, die in der Lage ist, den Sieg der Massen im Kampf gegen die ausländischen Imperialisten zu sichern In allen Fällen, in denen sie sich direkt den ausländischen Imperialisten oder ihren faschistischen reaktionären Agenten entgegenstellt, geben wir ihr unsere revolutionäre Unterstützung, wobei wir die Unabhängigkeit unserer Organisation, unser Parteiprogramm und unsere volle Freiheit der Kritik bewahren (Trotzki, Diskussion über Lateinamerika, 4 November 1938)

Erhältlich bei den Genossen der GKK Preis: 2,­­ EUR

IMPRESSUM: Eigentümer, Herausgeber, Verleger, Druck: Gruppe Klassenkampf Druckort: Wien Offenlegung nach §25 Mediengesetz: 100%-Eigentümer der periodischen Druckschrift KLASSENKAMPF ist die im Parteienverzeichnis registrierte politische Partei GRUPPE KLASSENKAMPF (früher: Trotzkistische Gruppe Österreichs/TGÖ) Die Partei ist an keinen anderen Medienunternehmen finanziell beteiligt

Deutschland Klassenkampf 40/2020 24

Erst der Sturz des Kapitalismus kann

Gerechtigkeit für George Floyd bringen

Die Massenproteste, die seit der Ermordung George Floyds am 26. Mai die USA erschüttern, gehen trotz massiver polizeilicher Gewalt, dem Einsatz der Nationalgarde und Präsident Donald Trumps Drohung mit dem Einsatz regulärer Truppen weiter Der Mord an George Floyd war der eine Akt von Polizeiterror zu viel, der das Fass der Empörung (nicht nur) der schwarzen Bevölkerung in zahlreichen Orten in den USA zum Überlaufen brachte. Polizeigewalt gehört zum Alltag in der militärisch stärksten Metropole des Imperialismus – und überproportional trifft sie Schwarze, Latinos und Menschen asiatischer Herkunft. Oft ist sie völlig grundlos – im Rahmen von Aktionen, die ausschließlich der Einschüchterung potenziell aufrührerischer, weil armer, Bevölkerungsschichten dienen; oft ist sie die Antwort auf Proteste gegen genau diese Polizeigewalt; immer öfter richtet sie sich gegen Streikende.

Alleine in Minneapolis, wo Floyd ermordet wurde, tötete die Polizei seit dem Jahr 2000 31 Menschen 21 davon waren schwarz Als im November 2015 der unbewaffnete 24­jährige Jamar Clark in Minneapolis, der von Cops festgenommen und gefesselt worden war, durch einen Kopfschuss getötet wurde, kam es nicht nur zu Protesten, sondern auch zu faschistischen Attacken auf Demonstranten gegen die Polizeigewalt Altright­Faschisten und Klan­Männer griffen unter den Augen der Polizei ein Protestcamp vor dem 4 Revier der Minneapolis Police an und verletzen fünf schwarze Demonstranten durch Schüsse

Damals wie heute sind aktive Gewerkschaftsmitglieder in vorderster Front an den Protesten beteiligt: Locals (Gewerkschaftsortsgruppen) der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, der Krankenschwestern, der LKW­Fahrer*innen, der Hafenarbeiter*innen, der Elektrizitätsarbeiter*innen stehen dem massiven Aufgebot an schwerbewaffneten Unterdrückungskräften gegenüber

Aber die US­amerikanischen Gewerkschaften sind durchaus zwiespältig Zwar gibt es keine genauen Informationen, warum am Sonntag, 31. Mai, in der Hauptstadt Washington versucht wurde, das Hauptquartier des Gewerkschaftsdachverbandes AFL­CIO in Brand zu stecken Das Grafitti „Black Lives Matter“ könnte ein Hinweis darauf sein, dass im Dachverband auch mehr als 100.000 Polizisten im Rahmen der International Union of Police Associations (IUAP) organisiert sind Laut Presseberichten wurden zwischen 2007 und 2017 rund 450 von 1 800 wegen Fehlverhaltens gefeuerten Cops auf Gewerkschaftsintervention wieder eingestellt

Nein, Polizist*innen sind keine „Arbeiter*innen in Uniform“, wie einige „Linke“ glauben Es sind auch nicht einzelne „weiße“ Schafe, die aus Rassenhass mit Brachialgewalt auf Farbige losgehen Das ist die Argumentationslinie der amerikanischen Liberalen und der Demokratischen Partei die in Bundesstaaten und Städten, in denen sie Verwaltungsposten vergeben können, immer wieder Frauen, Schwarze, Latinos oder Homosexuelle an die Spitze der Polizeikräfte setzen, um zu zeigen, wie „gleichberechtigt“ Farbige doch wären Am Polizeiterror ändert das nichts, weil der Rassismus kein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.

Schwarze und andere ethnische Minderheiten stellen das

Gros der amerikanischen Arbeiter*innenklasse und damit auch der Arbeitslosen und der prekär Beschäftigen im sogenannten „informellen Sektor“; sie verdienen weniger als ihre weißen Kolleg*innen, sie haben noch weniger Zugang zum Gesundheitswesen, sie hausen oft unter menschenunwürdigen Zuständen, werden vom Bildungssystem ausgeschlossen und werden überproportional oft gerichtlich verurteilt und eingesperrt

In der Coronakrise waren sie besonders betroffen, hatten deutlich höhere Infektionszahlen auf Grund der schlechten Lebensbedingungen und eine dementsprechend höhere Sterblichkeit.

Die derzeitigen Proteste zeigen, dass die bewußtesten Schichten der weißen Werktätigen trotz der Jahrhunderte währenden Spaltungspolitik der herrschenden Klasse solidarisch an der Seite ihrer farbigen Brüder und Schwestern stehen Sie begreifen, dass die Orgie der staatlichen Gewalt, die von Trump befeuert wird, Ausdruck des Klassenkampfs reich gegen arm ist Spaltung, Unterdrückung, Polizeiübergriffe, Staatsrassismus sind kein Alleinstellungsmerkmal der USA. Auch wir in Österreich sind damit konfrontiert Auch bei uns hat die Coronakrise besonders die „migrantischen“ Kolleg*innen getroffen: durch Falschinformationen der Behörden bezüglich der Ausgangsbeschränkungen, durch Kurzarbeit und Entlassungen in Branchen, die besonders schlecht bezahlt sind (Baugewerbe, Gastronomie), durch die Belastung durch das „Home schooling“ für Nicht­Muttersprachler*innen. Darüber hinaus befinden sich Migrant*innen und Geflüchtete permanent im Visier der Polizei Die österreichische Abschiebepraxis mit ihren gewalttätigen Methoden, die bis zum Tod von Festgenommenen (Marcus Omofuma) geht, das Zerreißen von Familien durch Ausweisungen, Misshandlungen und Folter (wie im Fall Bakary J )

Das Spalten der arbeitenden Bevölkerung, das Anheizen von nationalistischen, fremdenfeindlichen Stimmungen gehört zum klassischen Instrumentarium der ausbeutenden Klassen Aus diesem Grund müssen wir mit den Opfern rassistischer Polizeigewalt solidarisch sein und zugleich unterstreichen:

Hier geht es nicht um individuelles Fehlverhalten – Rassismus und unterdrückerische Gewalt sind logische Auswirkungen

Klassenkampf 40 / 2020 USA 25

einer Gesellschaft, in der eine Klasse die andere ausbeutet; in der diese besitzende Klasse einen Repressionsapparat zur Verfügung hat, um der Mehrheit der Bevölkerung ihren Willen notfalls mit offener Gewalt aufzuzwingen

Während hierzulande die politische Vertretung der herrschenden Klasse, die Kurz­Kogler­Regierung, die „Bekämpfung der Pandemie“ genützt hat, um den Ausnahmezustand zu üben und demokratische Grundrechte einzuschränken, sind die Klassenauseinandersetzungen in der USA viel weiter gediehen und Trump droht kaum verhüllt mit der Militärdiktatur.

Internationale Solidarität bedeutet heute, den Kampf gegen den Feind im eigenen Land zu organisieren, gegen die eigene herrschende Klasse „Gerechtigkeit für Floyd“ und „Gerechtigkeit für Omofuma“ kann es erst geben, wenn wir das Gesellschaftssystem, das solche Verbrechen zwingend hervorbringt – den Kapitalismus – durch eine Revolution beseitigen, die mit der sozialen Ungleichheit aufräumt

Dafür brauchen wir eine internationalistische revolutionäre Partei, in der Arbeiter*innen und Jugendliche unabhängig von ihrer Hautfarbe und Herkunft gemeinsam für den Sozialismus kämpfen.

Die Gruppe KLASSENKAMPF ­ Für Rätemacht und Revolution!

Die Gruppe Klassenkampf (GKK) ist eine internationalistische kommunistische revolutionäre Organisation Internationalistisch: im nationalen Rahmen lassen sich die großen Probleme nicht lösen. Soziale Ungleichheit, Unterdrückung ethnischer oder sexueller Minderheiten, Naturzerstörung, Pandemien sind weltweit, sie müssen auch weltweit bekämpft und gelöst werden

Revolutionär: In allen Ländern versuchen die Herrschenden, mit zunehmend unterdrückerischen Mitteln ihre Herrschaft gegen die Unterdrückten zu verteidigen Die Geschichte zeigt: Niemals sind herrschende Klassen freiwillig abgetreten, wenn ihre Zeit abgelaufen war Mit Pseudodemokratie, aber letzten Endes mit Polizei, Militär und faschistischen Banden versuchen sie heute, ihren Untergang hinauszuzögern. Reformen helfen nicht - auch eine reformierte Unterdrückung bleibt Unterdrückung

Der einzig mögliche Weg ist ein radikaler Umsturz der Gesellschaft, eine Revolution

Kommunistisch: Weltweit stehen einander zwei große Klassen gegenüber: Arbeiter*innen und Kapitalist*innen

In den in Armut gehaltenen Ländern auch das Heer der armen Bäuerinnen und Bauern, die rechtlos sind. Die Herrschenden kontrollieren die Produktionsmittel, sie besitzen alles, was notwendig ist, um aus denen, die arbeiten müssen, um überleben zu können, unbezahlte Arbeit herauszupressen, die ihr Profit ist. Während einigen Wenigen der Großteil des Reichtums gehört, verhungern Millionen neben ihnen Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel allen gehören, allen der wissenschaftliche Fortschritt zugute kommt, niemand hungert, Medikamente nicht aus Profitgier den Bedürftigen vorenthalten werden

Kontakt: gruppe.klassenkampf@gmail.com

Die Gruppe Klassenkampf im Internet: www.klassenkampf.net

Wir Werktätigen können die Gesellschaft selbst lenken, durch demokratisch gewählte, rechenschaftspflichtige Komitees (Räte), durch die Arbeiter*innenkontrolle über die Produktion.

Wir sind die Sektion des Kollektivs Permanente Revolution (CoReP), einer internationalen revolutionären Tendenz Permanente Revolution heißt: Dort, wo die Bourgeoisie den Unterdrückten noch nicht einmal die grundlegenden Freiheiten gewährt hat, wird das Proletariat (die Arbeiter*innen) im Zuge seiner Rervolution diese demokratischen Aufgaben miterfüllen

USA Klassenkampf 40 /2020 26

Internationale

Solidarität: Kämpferische Jugend erobert die Straße zurück

50 000 am 4 Juni 2020 in Wien auf der Straße, am folgenden Tag 10 000 vor und um die US­Botschaft in Wien: Vor allem junge Menschen – Schüler*innen, Studierende, Lehrlinge – demonstrierten gegen die rassistische Polizeigewalt in den USA und in Österreich.

Diese Massendemonstrationen waren in mehrfacher Weise bemerkenswert: Sogar die Organisator*innen der Proteste wurden von der gewaltigen Mobilisierung überrascht; trotz der subtilen „Warnungen“ vor und nach den Demonstrationen, dass diese das Infektionsrisiko mit COVID­19 explodieren lassen könnten, ließen sich die Teilnehmer*innen nicht abschrecken und, sofern das möglich war, wurden auch vernünftige Schutzmaßnahmen (Abstand, Mund­NasenSchutz) weitgehend umgesetzt Die vom grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober beschworenen „verstörenden Bilder“ hätten sich vermeiden lassen, hätte die Polizei nicht versucht, die Demonstrationen klein zu halten, wodurch es zwangsläufig zu Drängeleien kommen musste

Auffallend war die fehlende Präsenz der Sozialdemokratischen Partei (Fahnen, Transparente ), obwohl es eine Spitzenpolitikerin der Wiener SPÖ – Mireille Ngosso, stellvertretende Bezirksvorsteherin des 1. Bezirks – war, welche die erste Demo angemeldet hatte Rassismus kennt Ngosso allerdings ja auch aus der eigenen Partei: Obwohl es keine Gegenkandidat*in gibt, stimmte eine Mehrheit der Bezirksparteimitglieder gegen die schwarze Politikerin als Spitzenkandi­

datin bei der bevorstehenden Wien­Wahl

Der Internationalismus der Demonstrant*innen zeigte sich unter anderem darin, dass nicht nur auf selbstgebastelten Schildern und Tafeln die Losungen der Black­Lives­Matter­Bewegung aufgegriffen, sondern auch Sprechchöre und Parolen auf Englisch skandiert wurden

Auf beiden Demonstrationen wurde von den farbigen Redner*innen der strukturelle Rassismus in den USA ebenso angeprangert wie jener in Österreich Das „racial profiling“ der Polizei wurde ebenso angeprangert wie die Übergriffe gegen migrantische und farbige Menschen, bis hin zu Folter und Mord

Vor der amerikanischen Botschaft ging eine schwarze Rednerin auf den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus ein Dieser Zusammenhang wurde ansonsten weitgehend ausgeblendet.

Dementsprechend konnten wir uns über die positiven Reaktionen auf unser Flugblatt (Siehe Seite 25 und 26 dieser Nummer von KLASSENKAMPF) freuen

Zurückhaltend agierte dieses Mal – sicher auch angesichts der großen Zahl der Demonstrant*innen – die Polizei. Ziemlich unverfroren: Mittels LEDLeuchtschrift wurde auf einem Polizeibus „Black Lives Matter“ eingeblendet – daneben angebracht waren die Überwachungskameras, die die Protestierenden abfilmten

Die scheinbare polizeiliche „Toleranz“ ist ebenso unglaubwürdig wie eine Aussendung der US­Botschaft, die heuchlerisch den Demonstrant*innen „für das

Zeichen der Solidarität mit der amerikanischen Zivilgesellschaft“ dankte „Wir stehen gemeinsam gegen Rassismus und Diskriminierung, nicht nur in den Vereinigten Staaten und Österreich, sondern weltweit Die Vereinigten Staaten sind nicht perfekt, aber wir stehen immer für freie Meinungsäußerung und Bürgerrechte ein“, heißt es in dem Text weiter Die freundlichste Interpretation dieser Erklärung ist: Die offenkundigen Risse innerhalb der Front der US­Bourgeoisie pro und contra Trump haben jetzt auch die Botschaften im Ausland erreicht. Oder doch bloß der nackte Propagandazynismus der Imperialisten?

Eines haben die Demonstrationen zusätzlich gezeigt: Die Notwendigkeit von Selbstverteidigungsstrukturen gegen Übergriffe durch Faschist*innen und die Polizei

Bei der amerikanischen Botschaft versuchten Identitäre (und ihre neue Marke „Die Österreicher“) zu provozieren, wurden aber schnell in die Schranken gewiesen und von der Polizei sicher wegeskortiert

Die bereits erwähnten Aussagen des grünen Herrn Anschober deuten darauf hin, dass die Herrschenden versuchen werden, in Zukunft Demonstrationen über den Umweg des „Seuchengesetzes“ zu reglementieren und zu behindern. Die massive Mobilisierung der solidarischen Jugend bereitet ihnen zu Recht Kopfschmerzen!

Korrespondentenbericht Wien

Klassenkampf 40 / 2020 Jugend 27

Frankreich: Groupe Marxiste Internationaliste groupemarxiste.info/

Spanischer Staat: Internaciema Kolekivista Cirklo

www.ikcirklo.org/es/

Türkei: Patronsuz Dünya www patronsuzdunya com/

Österreich: Gruppe Klassenkampf www.klassenkampf.net

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