KLASSENKAMPF 20

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DOSSIER:

CoReP

ZIONISMUS UND ANTISEMITISMUS

KLA S S E N KA M PF Zei t u n g f체 r R채 t em a ch t u n d Revol u t i on

Nummer 20 / September 201 4 Gruppe Klassenkampf

Preis 2,-- EUR

1 00 Jahre nach dem 1 . Weltkrieg

Den Dritten imperialistischen Weltkrieg verhindern!

ISSN: 2220-0657

www.klassenkampf.net


KLASSENKAMPF

EDITORIAL

Kämpfen, bevor es zu spät ist 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach Ausbruch des 2. Weltkrieges, 25 Jahre nach Beginn der kapitalistischen Restauration in der UdSSR und in Osteuropa, steht die Welt neuerlich vor einem Abgrund. Einem Abgrund, den wie 1914 die Imperialisten mit ihrem Heißhunger nach der Unterwerfung neuer Absatzmärkte und Produktionsstätten, der Zurückdrängung konkurrierender imperialistischer Mächte, offenen Grenzen für ihren Kapitalexport aufgerissen haben. Und wieder rasen Nationalismus, Rassismus, Kriegspropaganda und Lügen um den Planeten. Die täglichen Opferzahlen sind erschreckend: da Dutzende Opfer von Bombenanschlägen in Bagdad, hier Dutzende zivile Opfer beim Beschuss ukrainischer Städte durch Truppen der Regierung in Kiew; dort erschossene Palästinenser bei „Säuberungsaktionen“ der zionistischen Truppen in Gaza; unzählbar die Opfer des Gemetzels in Syrien, verschwiegen die Zahl der Hingerichteten in Ägypten. Massenmorde in Nigeria; und dazu die „zivilen Opfer“ der schon längst tobenden imperialistischen Wirtschaftskriege: verbrannte Arbeiterinnen und Arbeiter in den Billigtextilmanufakturen in Pakistan und Bangla Desh; verschüttete Bergarbeiter in der Türkei und China. Seuchen, die sich ausbreiten, weil angeblich keine Mittel zur Verfügung stehen, um den Menschen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ausreichend Nahrung, Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen zu sichern, Legalisierung der Kinderarbeit in Bolivien, Staatsbankrott in Argentinien. In den imperialistischen Metropolen, die sich ihres Reichtums brüsten, blättert die Tünche des „Wohlfahrtsstaates“ endgültig ab, und der nackte Klassenkampf der kleinen herrschenden Elende tritt offen hervor: in Ferguson, Missouri, wo der Mord an einem schwazen Jugendlichen durch einen weißen Polizisten den angeblich überwundenen „Rassismus“ nicht nur aufbrechen lässt, sondern der staunenden Welt zeigt, wie weit die angebliche Schutzmacht der Demokratie bereits auf ihrem Weg in den durchmilitarisierten Polizeistaat ist; in Frankreich, wo ein sich opportunistisch den reaktionären und faschistischen Bewegungen anbiedernder sozialdemokratischer Staatspräsident eine neue Regierung ernennt, die sich als erstes die Abschaffung der 35-StundenWoche vornimmt, um der Bourgeoisie zu zeigen, wo sie steht; in Deutschland, wo nach Hartz IV das Elend weit in die westdeutschen Großstädte vorgedrungen ist und gleichzeitig ein sozialdemokratischer Außenminister mithilft, eine faschistische Putschregierung in der Ukraine zu inthronisien und deutsches Militär in Nordafrika zu implantieren. In Österreich schleicht sich die Krise noch auf leisen Sohlen an – aber sie ist schon da. Und auch bei uns sind es Sozialdemokraten, welche das Spiel der herrschenden Klasse machen. Vorstöße zur Einführung des 12-Stunden-Tages, eine „Steuerreform“, welche die Arbeitenden belastet und die Reichen ungeschoren lässt, weitere Angriffe auf die Pensionen, das Gesundheitswesen, die weitere Verscherbelung (teil)verstaatlichter Betriebe an Privatkapitalisten, die Sanierung krimineller und spekulativer Bankendesaster durch die Steuern der Werktätigen und dafür Einsparungen im Bildungsbereich. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist bei uns der Widerstand gegen die Krise und ihre Verursacher fast nicht wahrnehmbar.

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Liegt es daran, dass es „den Menschen zu gut“ geht? An der „Verblösung der Menschen“? Am „Egoismus“, der angeblich Teil der menschlichen Natur ist? 100 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges müssen wir mit Zorn und Bitterkeit feststellen: So, wie vor 100 Jahren die Führer der sozialdemokratischen 2. Internationale die Massen ihrer Anhänger, denen sie den entschlossenen Kampf gegen einen imperialistischen Krieg versprochen hatten, verraten haben, haben in der weiteren Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts die sozialdemokratischen, stalinistischen und pseudorevolutionären, zentristischen Parteien und Gewerkschaften die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Jugend, in die Irre geführt, sie mit Illusionen in das bestehende kapitalistische System genährt, den Nationalismus mitgeschürt und an der Spaltung der Arbeiterklasse in in- und ausländische, männliche und weibliche, jüngere und ältere Arbeiterinnen und Arbeiter. mitgewirkt. Sie haben damit das Vertrauen der Arbeiterinnen und Arbeiter in sich selbst erschüttert. Und sie haben jede sozialistische Perspektive verbaut und aus dem Bewusstsein der Massen getilgt. Mit ihrer Unterwürfigkeit gegenüber den Interessen der großen Kapitalisten haben sie es geschafft, unzufriedene Schichten der Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse in die Arme reaktionärer, populistischer Bewegungen zu treiben, die ihr rückschrittliches Gesellschaftsmodell mit „antikapitalistischen“ Parolen kaschieren. Im internationalen Rahmen findet das seine Entsprechung in der Zunahme reaktionärer religiös-fundamentalistischer Bewegungen, die sich als „Gegenbewegung“ zum Imperialismus präsentieren und in Wirklichkeit die Errichtung reaktionärer, repressiver und substanziell mit dem Faschismus verwandter Herrschaftssysteme anstreben. „Wahrlich, ich lebe in finsteren Zeiten“, schrieb Bert Brecht in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ (Mitte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts). Tatsächlich leben auch wir in „finsteren Zeiten“, in denen sich immer schärfer die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ stellt. Das heißt nicht, dass wir glauben, dass wir mitten in einer vorrevolutionären oder gar revolutionären Epoche leben. Zwar gibt es weltweit Revolten, Unruhen, Proteste. Aber diese bleiben isoliert oder verpuffen, wenn der unmittelbare Anlass für ihr Auftauchen verschwunden ist; zugleich hat die Bourgeoisie systematisch ihre Repressionskräfte – Polizei, Armee, private Söldnertruppen – aufgebaut. Der Widerstand – vom kleinsten Protest für höhere Löhne, gegen Arbeitszeitverlängerung, bis hin zur Verteidigung der Rechter nationaler Minderheiten oder dem Widerstand gegen die Kriergspläne der Bourgeoisie – muss im Rahmen eines größeren Programms, eines Programms zum Sturz der Imperialisten, ihrer Verbündeten und ihrer Gesellschaftsordnung, geführt werden. Dieses Programm wird nicht spontan aus den isolierten Kämpfen entstehen, es ist das Ergebnis der intensiven theoretischen Analyse der bestehenden Gesellschaft durch die fortgeschrittensten Kräfte der Arbeiterklasse – die revolutionäre Partei. Diese gilt es aufzubauen, im nationalen wie im internationalen Rahmen. Dafür kämpfen wir von der Gruppe Klassenkampf und international das CoReP (Kollektiv Permanente Revolution). Kämpfe mit uns für eine sozialistische Zukunft ohne Elend und Not, ohne Völkerhass und Krieg. IMPRESSUM:

Eigentümer, Herausgeber, Verleger, Druck: Gruppe Klassenkampf. Druckort: Wien


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ARBEITSLOSIGKEIT IN ÖSTERREICH STEIGT WEITER

KLASSENLOS ARBEITSLOS Sie sind wieder im Steigen begriffen: die Arbeitslosenzahlen. Arbeitslosigkeit, Hunger und Krieg sind die unheilige Dreifaltigkeit des Kapitalismus. Für die besitzende Klasse sind Arbeitslose in mehrfacher Hinsicht von Vorteil. Diese „industrielle Reservearmee“ ermöglicht es, rasch auf Produktionsengpässe reagieren zu können, weil ja zusätzliche Arbeitskraft jederzeit verfügbar ist. Zudem sind Arbeitslose ein gutes Mittel, die Löhne zu drücken und sogar Streiks unter dem Motto „Wenn ihr nicht wollt, warten schon viele andere auf eure Jobs“ den Wind aus den Segeln nehmen. Last but not least eignen sich Erwerbslose vortrefflich dazu, die ArbeiterInnenklasse zu spalten. Die Mär der FPÖ von den vermeintlich Faulen und den vermeintlich Fleißigen lässt grüßen.

findet, muss eine AMS „Karriere“ beginnen. Die Palette der „Maßnahmen“ des AMS umfasst Sinnlosschulungen wie Windows Anfängerkurse für gelernte Informatiker oder das sattsam bekannte „Wie bewerbe ich mich richtig“ für Arbeitsuchende der Altersgruppe 60 +. Dabei ist erfolgreiche Arbeitssuche schon ab 45 selbst für gut ausgebildete Arbeit suchende fast ein Ding der Unmöglichkeit. Der Blick auf das Ge-

inklusive Nachweis von Bewerbungsaktivitäten oder eben die Teilnahme an AMS Kursen werden von der Drohung des Entzugs von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe (92 % des Arbeitslosengelds nach längerer Arbeitslosigkeit) begleitet. Vor allem aber soll der Stolz des Arbeit suchenden gebrochen werden und dieser schließlich keinen anderen Ausweg mehr sehen, als seine Arbeitskraft im sogar ent-

burtsdatum kostet PersonalistInnen ein mildes Lächeln und im besten Fall ein lapidares Absageschreiben. Eine besondere Sprosse der AMS Karriereleiter hat erklommen, wer selbst Kurse leiten darf. Das bietet eine spezielle Abwechslung im Arbeitslosendasein, erfährt man doch oft erst kurz vorher, ob man in betreffendem AMS Kurs die Rolle des Kursleiters oder des Kursteilnehmers einnehmen darf. Sämtliche AMS Maßnahmen wie das regelmäßige Gespräch beim Betreuer

legensten Winkel Österreichs möglichst billig verkaufen zu müssen.

SCHÖNFÄRBEREI DER BÜRGERLICHEN MEDIEN Arbeitslosigkeit ist eine ganz normale Erscheinung im Kapitalismus. Die kapitalistische Überproduktion bedingt sinkende Absatzzahlen und damit sinkende Profite. Gibt es in der Realwirtschaft weniger zu verdienen, verlegen sich die Kapitalisten auf Spekulationsgeschäfte und drosseln die Produktion. D. h. sie benötigen weniger Produktionsmittel und damit auch weniger Arbeitskraft und setzen daher ArbeiterInnen an die frische Luft. In Österreich jubeln die von der herrschenden Klasse kontrollierten Medien regelmäßig über die angeblich niedrigsten Arbeitslosenzahlen in der EU. Diese Jubelmeldungen strotzen vor Zynismus, weil dieser angebliche Bestwert den Betroffenen nicht hilft und diese durch verschiedene Methoden geschönte Statistik klein redet statt Lösungen anzubieten. Arbeitslosigkeit bedeutet gesellschaftliche Ausgrenzung durch mangelnde Kauf-

kraft und höhere Neigung zu ungesunder Lebensweise mit der Auswirkung kürzerer Lebenserwartung.

DIE TRETMÜHLE DER MÄRCHENFABRIK AMS Gebetsmühlenartig wird uns eingetrichtert, dass gute Ausbildung und Arbeitswille Arbeitsplatzgarantie bedeuten. Tausende Betroffene können das Gegenteil bezeugen. Wer nicht bereits in der Kündigungsfrist einen neuen Job

GESCHEITERTE BÜRGERLICHE, SOZIALDEMOKRATISCHE UND STALINISTISCHE LÖSUNGSVERSUCHE Die von der Politik vehement geforderte Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters bedeutet für viele nur ein längeres zwanghaftes Verharren in der Arbeitslosig-

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Fortsetzung von Seite 3 nur temporär wirksam und schäftigung mit dem Zurück- und der mit ihm untrennbar

keit. Erfolgreiche Arbeitssuche mit 59 (aktuelles faktisches Pensionsantrittsalter) und älter: eine Utopie aus dem Labor kapitalistischer Hirngespinste. Die Rezepte der offen bürgerlichen Parteien als auch der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien sind einander im Kern ähnlich und gleichermaßen untauglich. ÖVP, FPÖ & Co. wollen den Kapitalisten Förderungen geben, damit diese gefälligst wieder Geld in die Realwirtschaft pumpen. Die SPÖ will bevorzugt Investitionen des kapitalistischen Staates sponsern. Beide Methoden sind

ändern nichts am Problem der kapitalistischen Überproduktion und der Rolle des Staates als Unterdrückungsinstrument der herrschenden Klasse, der den staatlichen Investitionen in Infrastruktur prompt das nächste Sparpaket mit der Erhöhung von Massensteuern und Kürzung von Sozialausgaben folgen lässt. Auch die degenerierten und Anfang der 1990er Jahre untergegangenen stalinistischen ArbeiterInnenstaaten hatten keine Lösung für das Problem Arbeitslosigkeit parat. Sie verbanden auf fatale Weise das Ideal der Vollbe-

Aus den Archiven des Marxismus Wenn aber eine überschüssige Arbeiterbevölkerung notwendiges Produkt der Akkumulation oder der Entwicklung des Reichtums auf kapitalistischer Grundlage ist, wird diese Überbevölkerung umgekehrt zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine frei verfügbare industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eigenen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite ausbeutbare Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. ... Die technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie, Transportmittel usw., ermöglichen, auf größter Stufenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Produktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen Reichtums drängt sich mit Wildheit in alte Produktionszweige, deren Markt plötzlich erweitert ist, oder in neu eröffnete ..., deren Bedürfnis aus der Entwicklung der alten Produktionszweige entspringt. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in anderen Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Überbevölkerung (der Arbeitslosen) liefert sie. Karl Marx, Das Kapital, Band 1 (Werke Bd. 23), S. 661 (1 867)

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halten des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts und damit der Hemmung der Entwicklung der Produktivkräfte. Zudem hatte das Produktionsdiktat der stalinistischen Bürokratie nichts mit demokratischer Planwirtschaft gemein.

verbundenen kapitalistischen Gesellschaft erreicht werden. Nur eine demokratisch geplante Wirtschaft ohne Profitzwang kann die ArbeiterInnenklasse von der Geißel der Massenarbeitslosigkeit befreien. Voraussetzung dafür ist der erfolgreiche Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenDER EINZIGE AUSWEG partei, die die AUS DER SACKGASSE ArbeiterInnenklasse zur soARBEITSLOSIGKEIT zialistischen Revolution führt – ein ehrgeiziges Ziel, das sich die Gruppe KlassenDas Ziel der Vollbeschäfti- kampf gesetzt hat. gung kann nur durch die Beseitigung des Lohnsystems

Die Grundlagen unserer Politik: Warum wir für Rätemacht durch sozialistische Revolution kämpfen

Der beste und umfassendste Weg, um uns kennzulernen: Die Lektüre unseres programmatischen Dokuments Für Revolution, Rätemacht und Sozialismus Für 3,-- bei den Genossinnen und Genossen der GKK erhältlich.


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STELLUNGSKRIEG UM DIE LOHNSTEUERREFORM

KALTE STEUERPROGRESSION FRISST UNS AUF! Immer drückender wird die Belastung der österreichischen ArbeiterInnen durch die Massensteuern des bürgerlichen Staats. Das Durchschnittsbruttojahreeinkommen unselbstständig Erwerbstätiger in Österreich liegt derzeit bei etwa EUR 31.000. Der seit 1.1.2009 geltende Lohnsteuertarif bedeutet, dass für jede Lohnerhöhung ab einem Jahresbruttoeinkommen von EUR 25.000 ein Steuersatz von 43,214 % zur Anwendung kommt.

STELLUNGSKRIEG IM PARLAMENT UND DIE KAMPAGNE DES ÖGB Schon seit einigen Monaten gärt es in der SPÖ Basis, weil sich in der Regierungskoalition in Sachen Lohnsteuerreform nichts tut. Ganz im Gegenteil sind die Belastungen für die ArbeiterInnen seit der letzten Nationalratswahl

im Oktober 2013 durch die kalte Progression, aber auch durch Erhöhung anderer Massensteuern wie etwa der motorbezogenen Versicherungssteuer für Kraftfahrzeuge oder der Tabaksteuer noch größer geworden. Deshalb hat sich der Gewerkschaftsflügel der SPÖ zur Kanalisierung der innerparteilichen Proteste dazu

entschlossen, der Basis mit einer vorwiegend im Internet via eigener Homepage und Facebook Präsenz stattfindenden Kampagne den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit Ende August 2014 wurden mehr als 400.000 Unterschriften für eine Lohnsteuerreform gesammelt. Gleichzeitig will der ÖGB ein neues Lohnsteuermodell ausarbeiten und am 18. September 2014 öffentlich präsentieren.

Rahmen der pseudo klassenharmonischen "Sozial"partnerschaft zum Erfolg zu führen. Errungenschaften für die ArbeiterInnenklasse wurden historisch gesehen jedoch weder mit Unterschriftssammlungen noch mit Facebookgruppen erzielt. Die Organisation von Demonstrationen oder gar Streiks scheut der ÖGB wie der Teufel das Weihwasser. Zu groß ist die Angst der ÖGB Bürokraten davor, dass ihnen die Kontrolle über die Protestbewegung entgleiANGST VOR PROTESTEN ten könnte. Zu groß ist auch AUF DER STRASSE die Angst vor einer Blamage, die die ÖGB Spitze bei einer Wie immer ist der ÖGB be- geringen Mobilisierung erleimüht, die Verhandlungen im den könnte. Denn seit vielen

SOMMERGESPRÄCHE - NACHLESE (Folge 1 ) NEOS: SCHAUSPIELEREIEN UND RABIATER KLASSENKAMPF Die Bühne der bürgerlichen Politik bringt oft die seltsamsten Talente hervor – so auch den meist im aufgekrempelten Blauhemd anzutreffenden yuppieartigen NEOS Boss Matthias Strolz. Schauspielerische Begabung hat der aufstrebende Spross der politischen Kaste der Kapitalisten zweifellos. Denn nur so ist zu erklären, dass sich Strolz völlig echauffiert in die Präsentation seiner abstrusen politischen Pläne hinein steigern kann. Im selben ORF Sommergespräch fordert Strolz

eine Senkung der Lohnnebenkosten (sprich: Sozialversicherungsbeiträge) und eine notwendige Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Die unausgesprochene Strolz´sche Logik dabei: Weniger SV Beiträge für Unternehmer bedeuten weniger Geld für Pensionen. Weniger Geld für Pensionen zieht eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters (lt. NEOS Parteiprogramm schrittweise bis 72 Jahre!) nach sich. Das, Herr Strolz, hat mit der von Ihnen geforderten Enkelfitness für Pensionen nichts zu tun. Das ist nichts anderes als rabiater Klassenkampf

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KLASSENKAMPF Jahren und vor allem nach und die verräterrische ÖGB den Debakeln Konsum und Führung stürzen. BAWAG leidet der ÖGB unter permanentem Mitgliederschwund, sind immer weniger LOHNSTEUER NUR EIN Gewerkschaftsmitglieder be- TEIL DES PROBLEMS reit, sich vor den Karren der WEG MIT ALLEN MASÖGB Bürokraten spannen zu SENSTEUERN! lassen, um dann ohnehin wieder von ihnen verraten zu Eine neue, kämpferische werden. ÖGB Führung wird sich nicht auf das Ziel einer Lohnsteuerreform beschränken. FordeWEG MIT DEN GEWERK- rungen zur radikalen SCHAFSBONZEN! Umverteilung von der Kapitalisten- zur ArbeiterInnenklasImmer dreister werden die se sehen so aus: Attacken des kapitalistischen Klassenfeinds, mit dem er - Lohnsteuerreform: Erhöversucht, die Kosten seiner hung der Freigrenze für systembedingten Finanz- und die untersten Einkommen! Wirtschaftskrise auf die Ar- Mehr Progressionsstufen beiterInnen abzuwälzen. Die als bisher! Erhöhung des Bonzen im ÖGB sind zur Or- Spitzensteuersatzes! ganisation des Kampfs ein - Umsatzsteuersenkung als wesentliches Hindernis. Sie erster Schritt zur Abschafdemoralisieren die Arbeite- fung aller MassenrInnen mit ihren Scheinkämp- steuern! fen, die unweigerlich in die - Abschaffung aller Selbstnächste Niederlage führen. behalte im GesundheitsweDie ArbeiterInnen müssen sen (Rezeptgebühr, Kransich daher selbst organisieren kenhausselbstbehalt, Selbst-

behalte bei Seh- und Hörbehelfen etc.)! - Freie Bildung ohne Studiengebühren, Elternbeiträge in Schulen und Schulbuchselbstbehalte! - Pensionen: Rücknahme der Pensionsreform von 2004, d. h. als Durchrechnungszeitraum die besten 15 Jahre und Steigerungsbetrag wieder 2 %! Senkung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters für Frauen und Männer auf 60 Jahre! - Unternehmens- und Vermögensbesteuerung: •Körperschaftssteuer wieder rauf von 25 auf 34 %! •Offenlegung der Geschäftsbücher! •Komitees der Beschäftigten sollen - gegebenenfalls unter Beiziehung von ihnen verantwortlichen Buchprüfern - kontrollieren, ob Vermögenssteuern und Sozialversicherungsabgaben korrekt

abgeführt werden! •Enteignung angeblich unrentabler Betriebe unter Arbeiterkontrolle! •Abschaffung des Stiftungsrechts und der Gruppenbesteuerung! • Höhere Grundsteuer für Luxusimmobilien! - Einführung der Erbschaftssteuer für Vermögen über 1 Mio. EUR! - Arbeit: Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden mit dem Ziel der Vollbeschäftigung! • Verbot aller prekären Beschäftigungsverhältnisse wie "geringfügiger" Beschäftigung, Werkverträgen oder Scheinselbst- ständigkeiten! - Verkehr: Nulltarif auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln! • Steuerliche Begünstigungen für den Kauf von Fahrrädern! • Stärkere Besteuerung von hochpreisigen sowie emissionsreichen motorisierten Fahrzeugen!

Die GKK im Internet:

www.klassenkampf.net

Das CoReP im Internet:

http://www.revolucionpermanente.com 6⁠

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TELEKOM-VERKAUF

Anatomie einer Privatisierung von einem Kollegen der Telekom

Die alte Post und Telegraphenverwaltung (PTV), die im Eigentum des Österreichischen Staates stand, wurde in die Telekom Austria AG umfirmiert. Die Ziele der Alten PTV waren Kundenzufriedenheit, Schaffen von Telekom-Anschlüssen, Schaffen und Absichern von Arbeitsplätzen im Betrieb und bei den Lieferanten, Aufträge an die Wirtschaft, Entwicklung neuer zukunftsorientierter Technologien. Der Gang an die Börse in Wien und später auch in New York, wurde mit der Begründung der Schaffung einer Volksaktie. Der kleine Mann an der Börse, um sich auch als Kapitalist zu fühlen? In Folge von eigenartigen Geschäften durch Manager und Konsulenten bezeichneten einige Zeitungen die Telekom als „Bankomat der Politik“. Laut verschiedenen Meldungen sollen Politiker aus ÖVP, FPÖ und BZÖ Geld

erhalten haben. Derzeit stehen einige Funktionäre und Manager vor dem Strafgericht, für alle gilt natürlich die Unschuldsvermutung. In den meisten Fällen der Gerichtverfahren geht es um Millionenbeträge. Der Staatsanteil von 50% und einer Aktie wurde im Laufe der Jahre gesenkt. Durch Zukäufe bzw. Aktivitäten anderer Investmenthäuser konnte American Movil einen Anteil von über 50 % erwerben. Bedingt durch Horrormeldungen über Defizite bei Telekom sank der Aktienpreis. Ein Syndikatsvertrag bindet die ÖIAG an die Mexikanische América Móvil von Carlos Slim, dem reichsten Mann der Welt. Dieser Syndikatsvertrag, in den Medien auch als Unterwerfungsvertrag bezeichnet, bindet die ÖIAG an die Befehle aus Mexico. AMóv stellt 10 der 12 Aufsichtsratsmitglieder. Der Inhalt des Syndikatsvetrages

„Wer hat uns verraten" ... da staunten die SP-Bonzen auf der 1 . Mai-Tribüne ist bis heute weder dem Vorstand noch den Betriebsräten zur Information vorgelegt worden. Zur Verschenkung bzw. Verkauf der Telekom hörte man von Vizekanzler Dr. Spindelegger, einem Anhänger neoliberaler Wirtschaftspolitik, nur Zustimmung. Bundeskanzler Faymann (SPÖ) schwieg zum Verlust des Volksvermögens. Durch den Verkauf der ös-

terreichischen Telekom sind 9.000 Arbeitsplätze im Betrieb und weitere 20.000 Arbeitsplätze bei Lieferanten gefährdet. Am 1. Mai trugen Mitarbeiter der A1 Telekom Austria Transparente mit der Aufschrift “Wer hat uns verraten?“ an der Tribüne der SPÖ-Spitze am Rathausplatz vorbei. Die Antwort ist bekannt.

SOMMERGESPRÄCHE - NACHLESE (Folge 2) FRANK´ S NACHBAUR(FOLGERIN) Schon wieder fast ein Jahr her, dass wir uns im Nationalratswahlkampf von grotesken TV Auftritten des Milliardärs und Hobbypolitikers Frank Stronach belustigen lassen durften. Nun lässt uns die gelernte Juristin und Vertraute des Herrn Parteigründers, Kathrin Nachbaur, via ORF Sommergespräch ausrichten, dass es ohnehin absehbar war, dass ihr Chef mit 81 bald wieder zu

seiner Familie nach Kanada heimkehren wird. Warum nur haben das Politikinteressierte ganz anders in Erinnerung? War da im Wahlkampf nicht die Rede davon, dass der Altkapitalist für sein geliebtes Österreich im Nationalrat die Kastanien aus dem Feuer holen will? Jedenfalls zeigen die Umfragen, dass die WählerInnen nicht nochmals von den politischen Künsten des Herrn Stronach samt Team beglückt werden wollen.

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POLITISCHES SOMMERKABARETT

Politisches Kasperltheater um's Bundesheer Beste Unterhaltung in der Debatte um das finanzmarode Bundesheer lieferten Ende August 2014 die politischen Marionetten der herrschenden Kapitalistenklasse. Für Aufregung in der Saure Gurken Zeit sorgte die Nachricht, dass nicht nur für Eurofighter Flugstunden und den Betrieb sonstigen Kriegsgeräts sondern sogar für den Transport der Rekruten zu den traditionellen Angelobungen sowie die Auffüllung der Gulaschkanonen zur Ausspeisung der schaulustigen Bevölkerung kein Geld vorhanden sei. Wohl angetrieben von der Bundesheer affinen ÖVP Vorfeldorganisation Österreichischer Kameradschaftsbund (ÖKB) appellierte Ex-Finanz-

Dabei hatte Spindelegger „vergessen“, dass er als Finanzminister oberster Finanzverantwortlicher der Republik und daher auch für die Budgetverteilung an die einzelnen Ressorts zuständig ist. Der von Spindelegger abgefeuerte Schuss ging nach hinten los, denn sofort brach ein Sturm der Entrüstung führender Militärs über den ÖVP Chef herein. Generalstabschef Commenda sprach gar von einer „roten Linie, die der Minister überschritten hat“. Die Erfordernisse der österreichischen und internationalen Bourgeoisie sind klar: Das österreichische Bundesheer soll in eine elitäre,

baut werden. Hilfsdienste im Tschad im Austausch gegen Erdgasförderrechte für die OMV in Libyen ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit des Bundesheers mit einer imperialistischen Großmacht (Frankreich). In ÖVP und FPÖ gibt es relevante Kräfte, die sich ein starkes Heer wünschen und mit dem ÖKB aber auch mit den Burschenschaften starke Vorfeldorganisationen ihrer Parteien haben. Diese Kräfte waren zusätzlich zur traditionellen Ablehnung eines Berufsheers in der SPÖ Parteibasis auch für den Ausgang der Bundesheervolksbefragung im Jänner 2013 entscheidend. Was wir jetzt erleben, sind Scheingefechte der politischen Eliten Öster-

Entgegen anderslautender Gerüchte trat Minister Spindelegger NICHT wegen des strafenden Blicks von Generalstabschef Otmar Commenda zurück ... minister Spindelegger an SPÖ Verteidigungsminister Klug, „das Bundesheer nicht finanziell auszuhungern“.

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für den weltweiten Einsatz bestimmte Eingreiftruppe für die Interessen der imperialistischen Großmächte umge-

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reichs, um die Festung Bundesheer so lange sturmreif zu schießen, bis die Einführung eines Berufsheers aus

„Staatsräson“ auf der Tagesordnung steht. Daher sehen wir als MarxistInnen diese Entwicklung kritisch, denn das an sich begrüßenswerte Aushungern des bürgerlichen Heeres, welches wir als Unterdrückungsinstrument des bürgerlichen Staates verstehen, wird nicht von langer Dauer sein. Die herrschende Klasse braucht militärische Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen und wird sich daher ein Bundesheer nach seinen Bedürfnissen schaffen. Die Grundsatzposition der Gruppe Klassenkampf (GKK) zum Militarismus ist wie folgt (Punkte 108-112 der programmatischen Grundlagen der GKK): 108. Als internationalistische Marxistinnen und Marxisten lehnen wir die bürgerliche Armee, die stets ein Instrument des Klassenkampfes gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie der internationalen Interessen des Imperialismus ist, ab. 109. Das gilt für den gesamten militärischen Unterdrückungsapparat in jeder erdenklichen Gestalt (Bundesheer, allgemeine Wehrpflicht, Freiwilligenheer etc.). Die Wahl zwischen einer Söldnertruppe für imperialistische Auslandseinsätze sowie Unterdrückung der ArbeiterInnenklasse im Inland und der schlecht bezahlten militärischen Zwangsarbeit für alle zur Festigung der bürgerlichen Herrschaft gleicht der zwischen Pest


KLASSENKAMPF und Cholera. Ebenso lehnen wir alle „zivilen“ Formen militarisierter Zwangsarbeit ab, die mit dem bestehenden Militärdienst gerechtfertigt werden. 110. Im Rahmen unserer Propagandatätigkeit entlarven wir den Klassencharakter des bürgerlichen Militarismus und fordern die Abschaffung der bestehenden Heere. 111. An ihrer Stelle propagieren wir die Schaffung einer Arbeitermiliz unter Kontrolle der ArbeiterInnenorganisationen. Wir unterstützen alle Selbstverteidigungsmaßnahmen – Schutz von Demonstrationen und Veranstaltungen von ArbeiterInnenorganisationen, Streikposten und Selbstverteidigungskomitees in gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen – als erste Schritte in diese Richtung. Den Verrat der bürokratischen Führungen in den bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und reformistischen Gewerkschaften sehen wir daher als wesentliches Hindernis beim Aufbau von ArbeiterInnenmilizen für den Kampf um Befreiung von kapitalistischer Unterdrückung auf militärischer Ebene an. 112. Wie in allen ArbeiterInnenorganisationen treten wir auch in den ArbeiterInnenmilizen für die Wählbarkeit und jederzeitige Absetzbarkeit von AusbildnerInnen und anderer leitender Kader ein. Sicherer Umgang mit Waffen gepaart mit strenger Disziplin und das Ziel des Sturzes der kapitalistischen Herrschaft im Weltmaßstab sowie die Errichtung und Absicherung eines weltweiten sozialistischen ArbeiterInnenstaates bilden das Selbstverständnis der zu schaffenden ArbeiterInnenmilizen.

Aus den Archiven des Marxismus Die Zertrümmerung der Zweiten Internationale ist eine tragische Tatsache, und es wäre Blindheit oder Feigheit, davor die Augen zu schließen. Die Stellungnahme der französischen und des größten Teils der englischen Sozialisten ist ebenso ein Teil dieses Zusammenbruches wie die Haltung der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie. Und wenn diese Broschüre in ihrem kritischen Teil überwiegend der deutschen Sozialdemokratie gewidmet ist, so ausschließlich deshalb, weil die letztere das stärkste, einflussreichste und prinzipiellste Mitglied der sozialistischen Weltgemeinde war – in ihrer historischen Kapitulation zeichnen sich am klarsten die Ursachen des Zusammenbruches der Zweiten Internationale ab. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als ob die sozial-revolutionären Perspektiven der künftigen Epoche, von denen wir oben gesprochen haben, durchaus trügerisch seien angesichts der katastrophal deutlich gewordenen Unzulänglichkeit der alten sozialistischen Parteien. Doch solch eine skeptische Folgerung wäre grundfalsch. Sie ignorierte den „guten“ Willen der Dialektik, wie wir gar zu oft ihren „bösen“ Willen ignorierten, der sich so erbarmungslos an dem Schicksal der Internationale erwiesen hat. Der Krieg von 1914 verkündet die Zertrümmerung der nationalen Staaten. Die sozialistischen Parteien der nun abgeschlossenen Epoche waren nationale Parteien. Mit allen Verzweigungen ihrer Organisationen, ihrer Tätigkeit und Psychologie waren sie mit den nationalen Staaten verwachsen, und entgegen den feierlichen Beteuerungen ihrer Kongresse erhoben sie sich zur Verteidigung der konservativen staatlichen Gebilde, als der auf nationalem Boden großgewordene Imperialismus mit dem Schwert die überlebten nationalen Schlagbäume durchschlug. In ihren histori-

schen Zusammenbruch ziehen die nationalen Staaten die nationalen sozialistischen Parteien mit hinein. Nicht der Sozialismus geht zugrunde, sondern seine gegenwärtige historische Äußerung. Die revolutionäre Idee mausert sich, indem sie sich von ihrer erstarrten Hülle befreit. Diese Hülle besteht aus lebenden Menschen, aus einem ganzen sozialistischen Geschlecht, das trotz der selbstverleugnenden agitatorischen und organisatorischen Arbeit einiger Jahrzehnte in politischer Reaktion verknöcherte und den Ansichten und Gewohnheiten des nationalen Possibilismus (Opportunismus) verfiel. Die Versuche, die Zweite Internationale zu „retten“ – auf den alten Grundlagen – mit Hilfe persönlicher, diplomatischer Methoden und gegenseitiger Konzessionen, sind durchaus hoffnungslos; viel zu gut gräbt jetzt der alte Maulwurf der Geschichte seine Gänge, und niemandem ist es gegeben, ihn davon abzuhalten. Wie die nationalen Staaten zu einem Hemmnis für die Entwicklung der Produktivkräfte wurden, so wurden auch die alten sozialistischen Parteien zum Haupthindernis für die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse. Sie mussten ihre ganze Rückständigkeit offenbaren, sich durch die völlige Beschränktheit ihrer Methoden kompromittieren, die Schande und den Schrecken nationaler Zwietracht über das Proletariat bringen, damit es sich durch diese furchtbaren Enttäuschungen von den Vorurteilen und sklavischen Gewohnheiten der Vorbereitungsepoche befreien könne und endlich zu dem werde, wozu es die Stimme der Geschichte jetzt aufruft; zur revolutionären, um die Macht kämpfenden Klasse. Aus: Leo Trotzki, Der Krieg und die Internationale (Oktober 1 91 4)

Alle Interessierten verweisen wir auf die zweiteilige Artikelserie zum Ersten Weltkrieg in der Zeitung unserer französischen Schwesterorganisation Groupe Marxiste Internationaliste, "REVOLUTION COMMUNISTE"! September 2014 | Nummer 20

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Nein zum 12 Stundentag – Widerstand organisieren! Regierung und Wirtschaft planen die Anhebung der täglichen Maximalarbeitszeit auf 12 Stunden (per Gesetz oder per Kollektivverträge), die Ausdehnung der Probezeit sowie die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Die Gewerkschaft hat diese Entwicklung nicht gestoppt, denn schon jetzt arbeiten zu viele zu lang. Wenn sich Regierung und Unternehmen durchsetzen , sind die 12-Stunden – oder noch mehr - bald für alle normal und viele werden Einkommensverluste haben (Wegfall von Zuschlägen etc.). Denn wir wissen aus der Vergangenheit: Was als Ausnahme beginnt, wird rasch zur Regel für alle Beschäftigten. Bei der höchsten Arbeitslosigkeit seit 1945 brauchen wir keine Verlängerung, sondern eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn und Personalausgleich! Wir dürfen nicht mehr länger die Erpressungen der Wirtschaft akzeptieren, die uns die Kosten für eine Krise aufbürden wollen, die wir nicht verursacht haben. Seit über hundert Jahren begeht die ArbeiterInnenbewegung den 1. Mai als Kampftag für den 8-StundenTag. 1918 wurde dieser in Österreich gesetzlich eingeführt – soll er 2014 endgültig beseitigt werden?

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Nein zum 12 Stunden-Tag! Nein zu jeder Verlängerung der Arbeitszeit egal ob per Gesetz oder per KV! Stattdessen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn!

gement- und Vorstandsbezüge sind teilweise im Millionenbereich. Wir haben die Krise nicht verursacht, wir wollen und können sie nicht bezahlen. Jede weitere Flexibilisierung bzw. Verlängerung der Rund 25% aller Beschäftig- Arbeitszeit wird weitere Jobs ten arbeiten Gleitzeit, wären kosten und die Löhne weiter also von der vorgeschlagenen senken. Nicht mit uns! Regelung unmittelbar betroffen. Schon jetzt werden jedes Nein zu faulen KomproJahr rund 300 Millionen missen bei der Arbeitszeit Überstunden geleistet - 68 und anderen VerschlechteMillionen davon unbezahlt. rungen. Stattdessen kämpSchon jetzt arbeiten viele Be- fen für Arbeitszeitverschäftigte länger als 10 Stun- kürzung und eine 6. Urden pro Tag, für viele ist laubswoche. wegen „Sonderregelungen“ in Kollektivverträgen sogar Gewerkschaft und AK betoder 12-Stunden-Tag bereits nen, dass es um ein „GesamtNormalität. Die negativen paket“ geht und eine Folgen für Gesundheit und Verlängerung der täglichen Privatleben sind in zahlrei- Maximalarbeitszeit nur im chen Studien belegt. Wir wis- Abtausch für einen leichteren sen aus der Erfahrung, dass Zugang zur 6. Urlaubswoche die Unternehmen jede Rege- und Beschränkungen bei Alllung exzessiv für ihre Interes- In-Verträge kommen wird. sen und Profite ausnützen Doch wir wissen: Reicht man werden. den UnternehmerInnen den kleinen Finger, dann nehmen Seit Jahren sollen die Be- sie zuerst den Arm und dann schäftigten durch Verschlech- den ganzen Rest. Für die Unterungen für die über allem ternehmen würde diese Regestehende Wettbewerbsfähig- lung die Möglichkeit bieten, keit der österreichischen Überstundenzuschläge zu Wirtschaft bluten. Damit sparen. Setzt sich die Regiemuss endlich Schluss sein. rung durch, werden wir eine Die Gewinne sind hoch, es massive Zunahme der Gleitwerden großzügige Dividen- zeit erleben. Durch Regelunden ausgeschüttet und Mana- gen (z.B. durch die

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Verlängerung von Durchrechnungszeiträumen) in den Kollektivverträgen fallen bisher bezahlte Zuschläge weg, das Einkommen sinkt. Außerdem: Gibt es den 12 Stundentag bei Gleitzeit, ist die Ausweitung nur mehr eine Frage der Zeit. Auf unserem Rücken soll die Wirtschaft „fit“ gemacht werden. Der 8. Dezember ist heute im Handel ein normaler Arbeitstag geworden, und viele andere Regelungen, die nur als Ausnahmen fixiert wurden, sind heute für hunderttausende Beschäftigte normal (10 Stunden - oder sogar 12-Stunden-Maximalarbeitszeit, All-In-Verträge, opt-out Lösungen bei KV-Verhandlungen etc.). Auch die Versicherung, eine solche Regelung würde nur „im gegenseitigen Einverständnis“ fixiert oder die Beschäftigten würden von mehr Flexibilität profitieren ist nichts wert. Seit Jahren werden Betriebsräte bzw. KollegInnen in Einzelverträgen regelrecht erpresst, um Regelungen zu unterschreiben, die Verschlechterungen bedeuten. Und die Flexibilität stellt sich in der Regel als zusätzliche Belastung der Beschäftigten heraus, da nur die Bedürfnisse des Unternehmens zählen, nicht aber die


KLASSENKAMPF der Beschäftigten. Eine 6. Urlaubswoche für ALLE Beschäftigten und ein Ende von All-In-Verträgen, Prekarisierung und sonstigen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen ist notwendig. Doch durch so einen Abtausch wird das nicht erreicht werden. Dazu braucht es eine kämpferische Politik der ArbeiterInnenbewegung.

Für eine kämpferische Kampagne von aktiven Gewerkschaftsmitgliedern, Betriebsräten, Personalvertretungen, Gewerkschaften und Arbeiterkammern gegen die Versuche, die Arbeitszeit zu verlängern!

nem „Gesamtpaket“ das sich rasch als Trojanisches Pferd herausstellen wird! Auch wenn es aktuell so aussieht, als ob das Gesetzespaket vom Tisch wäre so ist davon auszugehen, dass es die Wirtschaft nicht dabei belassen wird. Viel eher ist im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen zu erwarten, dass in noch mehr Branchen die Ausdehnung der Tagesarbeitszeit

Unterschriftenlisten und TVInterviews werden nicht reichen. Der Klassenkampf wird schon längst von oben geführt. In der Vergangenheit hat die Gewerkschaft versucht, die immer härteren Angriffe zurück zu schlagen. Doch vielen Verschlechterungen hat sie letztlich doch zugestimmt. Wir können uns das nicht mehr leisten. Wir müssen uns entschlossener

auf 12-Stunden fixiert werden soll. Die Gewerkschaften dürfen diesen Verlängerungen weder auf der gesetzlichen Ebene, noch über Kollektivverträge zustimmen, sondern müssen sie vielmehr zurückschlagen und bereits gemachte Zugeständnisse wieder zurück nehmen. Dadurch können viele KollegInnen für eine gewerkschaftliche Kampagne gewonnen werden, die bisher am Rande standen weil sie von den auf ihrem Rücken gemachten Zugeständnissen zu Recht enttäuscht waren.

wehren als bisher. Die bisherigen Protestformen waren offensichtlich zu wenig, um die Angriffe erfolgreich abzuwehren. Darum sind aktive Proteste wie Betriebs- und Dienststellenversammlungen, Kundgebungen, Protestaktionen, Demonstrationen bis hin zu Arbeitskämpfen möglich und notwendig. Bei den Metallern konnte mit einem Streik der Versuch, die Arbeitszeit zu verlängern, zurück geschlagen werden. An diesem Beispiel muss sich der ÖGB nun orientieren und einen Schritt weiter gehen: Der ÖGB fordert es eigentlich schon lange – nun müssen wir es endlich erkämpfen: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und

Die Regierung will die Zustimmung von AK und ÖGB zu den geplanten Regelungen. Doch für Gewerkschaft und AK darf es nicht nur Ziel sein, überhaupt mitzuverhandeln, sondern ist das Ergebnis zentral. Die Gewerkschaften und AK dür- Um diesen und andere Anfen den geplanten Ver- griffe zurück zu schlagen reischlechterungen nicht chen keine Verhandlungen. zustimmen, auch nicht in ei- Auch Presseaussendungen,

Personalausgleich statt Arbeitszeitverlängerung! GewerkschafterInnen dürfen den geplanten Angriffen nicht zustimmen (z.B. im Nationalrat) und auch nicht bei Kollektivvertragsverhandlungen. Stattdessen müssen wir Widerstand dagegen organisieren – Proteste, Demonstrationen bis hin zu Streiks. EinE GewerkschafterIn hat die Aufgabe, die Interessen von Beschäftigten und ihren Familien zu vertreten. Neoliberale Politik, Sparpaket, Arbeitszeitflexibilisierung etc. aber schaden uns. GewerkschafterInnen können diesen also nicht zustimmen. Man kann nicht am Vormittag einE GewerkschafterIn sein und am Nachmittag ein Sparpaket beschließen. GewerkschafterInnen dürfen daher den geplanten Angriffen auf Arbeitszeit, Arbeitsverträge etc. nicht zustimmen – weder in den Gremien von AK und ÖGB, noch in Nationalrat oder Land- und Gemeinderäten. Stattdessen ist es notwendig, den Widerstand dagegen zu organisieren. Die Regierung plant massive Sparmaßnahmen in vielen Bereichen - bei Beschäftigten, im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich. Dem wollen wir eine Bewegung der Betroffenen, der Opfer dieser Sparpolitik entgegen stellen.

Die Gruppe Klassenkampf ist Teil des Aktionsbündnisses gegen den 12-Stunden-Tag. Auch wenn wir inhaltlich zum hier abgedruckten Text Differenzen haben (in der Einschätzung der Arbeiterkammern, die wir als Instrument des bürgerlichen Staates ablehnen), unterstützen wir die Stoßrichtung, insbesonders das Ansprechen der Kollektivvertragspolitik.

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DOSSIER

ZIONISMUS, ANTISEMITISMUS UND DIE GRÜNDUNG DES STAATES ISRAEL Seit dem jüngsten mörderischen Angriff der israelischen Armee auf Gaza, der mindestens 1.900 Tote auf palästinensischer Seite forderte, und der Aufpeitschung einer gewalttätigen Hetzstimmung gegen Kriegsgegner in Israel läuft die zionistische Propagandamaschine auf Hochtouren. Weltweit machen Journalisten, bürgerliche und sozialdemokratische Politiker, ja sogar Sprachwissenschaftler Front gegen Kritiker des Apartheidstaates Israel. Antizionismus sei gleich Antisemitismus, die kriegsgegnerische „Linke“ marschiere in einer „Querfront“ mit Neonazis und islamistischen Antisemiten. Den Worten folgten Taten: In Frankreich ließ der „sozialistische“ Staatspräsident Hollande Demonstrationen gegen das Massaker in Gaza verbieten; wiederholt wurde in Deutschland und England von Politikern der Regierungsparteien die Idee von Gesetzen ins Spiel gebracht, die die Kritik an Israel als „antisemitisch“ unterbinden sollen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass die Politik Israels in der Westbank für wirkliche Antisemiten den idealen Nährboden für deren rassistische und mörderische Ideologie liefert; und es kann leider nicht verwundern, wenn politisch wenig bewusste Schichten der arabischen Bevölkerung auf Grund des seit Jahrzehnten wiederholten Anspruchs der zionistischen Politiker des Staates Israel, die Repräsentanten „aller Juden“ zu sein, unter dem Einfluss reaktionärer politischer und geistlicher Führer „die Juden“ insgesamt als Feinde sehen und aus dem Mittleren Osten vertreiben wollen. Tatsächlich ist der Zionismus eine erst Ende des 19. Jahrhunderts entstandene bürgerlich-nationalistische Bewegung, die bis weit in die 1930er Jahre eine Minderheitsströmung im Judentum darstellte und erst nach der Shoah nach Außen hin zur dominierenden Vertretung des „jüdischen Volkes“ werden konnte. Sein Hauptargument, das auch von „Antideutschen“ und „Antinationalen“ in Deutschland und Österreich aufgegriffen wird, besagt, dass einzig der Staat Israel den Schutz für die Juden in aller Welt garantiere und eine über 2000 Jahre währende Odyssee einer Nation durch die Staatsbildung ein Ende gefunden habe. Die Argumente sind falsch und bewusste Lügen der zionistischen Theoretiker.

ABRAHAM LÉON UND DIE “JÜDISCHE FRAGE” Nach wie vor führt bei der Beschäftigung mit der „jüdischen Frage“ kein Weg an der bahnbrechenden Arbeit des mit 26 Jahren von den Nazis in Auschwitz ermordeten Führers der belgischen Trotzkisten, Abraham Léon, vorbei. Der 1918 in Warschau geborene Léon war selbst führend in der zionistischen Jugendbewegung tätig, ehe er mit 18 mit der

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trotzkistischen Revolutionär Sozialistischen Aktion in Kontakt kam. Abraham war aber kein „Wendehals“ - sein vollständiger Übergang zum Marxismus war mit vielen Diskussionen, der Lektüre sozialistischer Klassiker und dem Studium der revolutionären Literatur seiner Zeit verbunden. In den folgenden vier Jahren arbeitete er intensiv die jüdische Geschichte auf, um 1940 die Kernthesen des später als Buch erschienenen Werks zur jüdischen Frage im Hashomer Hatzair, einer sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation, der er angehörte, zur Diskussion zu stellen. Dies markierte zugleich seinen Bruch mit dem Zionismus. In „Die jüdische Frage“ widerlegt Léon Punkt für Punkt die zionistischen Mythen. So waren es keineswegs die Römer, die mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (70 n.d.Z.) die Juden in alle Winde zerstreuten, die seither von der Wiedererrichtung ihres „Staates“ in der „alten Heimat“ träumten. Vielmehr hatten die Abraham Léon schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Palästina die Herausbildung einer sesshaften jüdischen Bauernbevölkerung unmöglich gemacht; stattdessen nahmen die Juden im Durchgangsland Palästina, das ein Knotenpunkt des damaligen Güterverkehrs war, die Rolle der 146 v.d.Z. von den Römern geschlagenen Phönizier als Handelsvolk ein. Schon lange vor der Zerstörung des Tempels hatte es eine jüdische Diaspora gegeben, die im gesamten hellenischen Raum eine hervorragende Rolle bei der Entwicklung des Wirtschaftslebens spielte und die den jüdischen Seeleuten, Händlern und Bankiers auch gegenüber dem rasch expandierenden römischen Imperium eine weitgehende Autonomie sicherte. Zum antiken Antisemitismus schreibt Léon: „Der Haß gegen die Juden besteht nicht erst seit Durchsetzung des Christentums. Seneca behandelt die Juden als kriminelle Rasse. Juvenal glaubt daß die Juden nur dazu da seien, um anderen Völkern Leiden zuzufügen. Nach Quintilius sind die Juden ein Fluch für die anderen Völker. Die Ursache des antiken Antisemitismus ist dieselbe wie die des mittelalterlichen: Es handelt sich um den den Händlern entgegengebrachten Widerstand aller Gesellschaften, deren Wirtschaft hauptsächlich auf der Produktion von Gebrauchs-


KLASSENKAMPF werten basiert. 'Die Feindseligkeit des Mittelalters Händlern gegenüber ist nicht nur christlichen oder pseudochristlichen Ursprungs. Sie hat auch eine heidnische Quelle ganz realer Art. Diese Feindseligkeit ist stark verwurzelt in einer Klassenideologie: Die herrschenden Klassen der römischen Gesellschaft, Senatsleute ebenso wie Mitglieder der provinzialen Kurien, brachten auf Grund ihrer tief sitzenden bäuerlichen Tradition allen Formen wirtschaftlicher Aktivität, außer solchen, die sich aus der Landwirtschaft ableiten, Verachtung entgegen.'“(S. 12/13) Die jüdische Religion entsprach den Bedürfnissen eines Händlervolkes. Daher auch der Widerstand der Juden gegen das brutal expandierende Christentum das postulierte, „dass ein Kaufmann nur schwerlich gottgefälliges Werk“ tun könne. Dialektisch erklärt Léon: „Es ist also nicht die Treue der Juden ihrem Glauben gegenüber, die ihre Erhaltung als eine besondere gesellschaftliche Gruppe erklärt, sondern im Gegenteil, ihre Erhaltung als solche, die ihre Verbundenheit mit ihrem Glauben erklärt“.

hatte. Der Abbau der überragenden kommerziellen Bedeutung der Juden war die Voraussetzung für ihre eigene Entwicklung. Es handelte sich nicht um den Kampf zweier nationaler oder religiöser Gruppierungen um die Vormacht im Handelsverkehr, sondern um einen Konflikt zwischen zwei Klassen, die zwei verschiedene Wirtschaftssysteme verkörpern. Die sogenannte nationale Konkurrenz reflektiert hier nur den Übergang der Feudalwirtschaft zur Tauschwirtschaft. Die Juden beherrschten den Handel in einer Epoche, in der „die Großgrundbesitzer Gegenstände von Wert und teuere Luxusgüter gegen große Mengen von Rohprodukten aus ihren Besitzungen einkauften.“ Die industrielle Entwicklung Westeuropas setzt ihrem Monopol ein Ende. In ihrem Kampf gegen die Juden wehren sich die einheimischen Kaufleute gegen eine veraltete wirtschaftliche Funktion, die ihnen mehr und mehr als unerträgliche Ausbeutung des Landes durch Fremde erscheint. Die Beziehungen der Kaufmannsklasse zu den Juden verändern sich nach deren Verdrängung aus dem Handel weitgehend. Der jüdische Kredit ist im wesentDER BEGRIFF DER lichen ein Konsumkredit. “VOLKSKLASSE” Die Kaufleute nehmen keine Geschäftsbeziehungen mehr Die Juden bildeten also in mit jüdischen Bankiers auf. der Antike und im Mittelalter Die großen Bankhäuser, wie eine Volksklasse: „Die Juden die der Medici’s, der Chigi’s stellen „in der Geschichte“ und der Fugger, entwickeln vor allem eine gesellschaftlisich in den Großstädten“. che Gruppe mit einer be(S. 107/108) stimmten ökonomischen Die Durchsetzung des Funktion dar. Sie sind eine (Früh)Kapitalismus führt daKlasse, oder besser noch, ei- Frankfurt 1 61 4: Der Fettmilch-Aufstand versucht, die Juden zu, dass die jüdischen Händne Volksklasse. ler aufhören, die aus der Stadt zu vertreiben. Die Handwerker und Zunftbürger Der Begriff der Klasse wi-wollten sich durch ein Pogrom entschulden. Geschäftspartner der Könige derspricht in keiner Weise dem und Fürsten zu sein. Sie sinBegriff des Volkes. Gerade weil die Juden sich als gesell- ken zu Wucherern herab, die Geld an Handwerker und Bauschaftliche Klasse erhalten haben, haben sie auch bestimmte ern verleihen, die wiederum den Geldverleihern (und nicht ihrer religiösen, ethnischen und linguistischen Eigenheiten den Feudalherren und deren Bankiers) die Schuld an ihrer bewahrt. elenden Lage geben – ein neuer Boden für Pogrome und JuDieses Zusammenfallen von Klasse und Volk (oder Rasse) denhass. ist bei weitem nicht außergewöhnlich in den vorkapitalistiMit der einsetzenden Industrialisierung zersetzt sich in schen Gesellschaften. Die sozialen Klassen unterscheiden Westeuropa das Judentum rasant: ein Teil der Juden wandert sich dort sehr häufig durch ihren mehr oder minder nationa- Richtung Osteuropa, wo sich der Kapitalismus noch nicht belen oder rassischen Charakter.“ (S. 16/17) sonders entwickelt hat und noch Platz für ein (völlig verarmDer Charakter der Händler-Volksklasse führte zum schein- tes) Händlerdasein ist; ein hoher Prozentsatz der Juden baren Paradoxon, dass oft allerchristlichste Majestäten ihre assimiliert sich und geht in der modernen kapitalistischen schützende Hand über die Juden hielten, weil diese als einzi- Gesellschaft auf. Dabei verschwinden die religiösen und kulge Luxusgüter aus dem Orient beschaffen konnten – und dar- turellen Unterschiede zu den neuen „christlichen“ Klassengeüber hinaus wundervolle Steuerzahler waren. Gegen Ende nossen, seien diese nun Händler, Handwerker oder des Mittelalters, mit dem Aufstieg eines städtischen Bürger- Proletarier. tums, setzt ein Wandel ein – es kommt zu Pogromen in den Die zionistische Behauptung, „die Juden“ hätten auf wunStädten, und Könige konfiszieren plötzlich jüdisches Vermö- dersame Weise allen Anfeindungen zum Trotz ihre Religion gen und verweisen sie aus ihren Ländern – um sie bald darauf und ihren Volkscharakter bewahrt, gehört in den Bereich der wieder zurückzuholen und zu ermutigen, ihre Tätigkeit wie- ideologisch motivierten Legenden, wie Léon nachweist. der aufzunehmen. Der Antisemitismus des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit war kein religiöser, sondern ein veri- JUDENTUM UND ASSIMILATION tabler Klassenkampf: „Das Handelsmonopol der Juden war eines der größten “Allgemein gesehen betritt das Westjudentum jedoch seit Hindernisse, das die aufsteigende Bourgeoisie zu überwinden Beginn des 19. Jahrhunderts den Weg zu einer vollständigen

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KLASSENKAMPF Assimilation. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts – in einen Zeitraum von 30 Jahren – bekehrte sich die Hälfte der Berliner Juden zum Christentum. Diejenigen, die der jüdischen Religion treu geblieben waren, wehrten sich energisch dagegen, eine getrennte Nation zu bilden. ‘Ohne ein Territorium, einen Staat, eine Sprache gäbe es keine Nation, und das Judentum hätte längst aufgehört, eine Nation zu sein’, sagt Riesser, ein Repräsentant der deutschen Juden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. ‘Wir sind Deutsche, nichts als Deutsche, wenn vom Begriff der Nationalität die Rede ist (...)’, schrieb etwas später, im Jahre 1879, ein jüdischer Professor in Berlin”. Ein indirekter Beweis dafür ist übrigens der permanente Kampf der Zionisten gegen die Assimilation, die als besondere Gefahr für “das Judentum” angesehen wurde. Die wirtschaftlichen Veränderungen in Osteuropa ab dem letzten Fünftel des 19. Jahrhunderts führen dann zu einer Rück- und Auswanderung der “Ostjuden” nach Westeuropa und Amerika. Die alten Erwerbsmöglichkeiten der Juden in Osteuropa - der Kleinhandel und bestimmte Bereiche des Handwerks - schwanden dahin. “Während der Kapitalismus in Westeuropa die Assimilierung der Juden vorantrieb, riß er sie in Osteuropa aus ihren jahrhundertealten wirtschaftlichen Positionen. Indem er so den Zustrom der Juden in den Westen provozierte, zerstörte er mit der linken Hand, was er mit der rechten geschaffen hatte. Ströme von Ostjuden flossen kontinuierlich in die westlichen Länder und flößten so dem absterbenden Judentum neues Leben ein. ‘Unsere großen Volksmassen im Osten, die noch in jüdischer Tradition und allenfalls in deren Atmosphäre wurzeln, bilden für die völlige Auflösung der Westjudenheit ein Hemmnis. (...) Die Judenheit im Westen besteht also nur noch als Abglanz des Ostjudentums.“ Die Tatsache, daß es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Wien nur einige 100 Juden gab, daß ihre Zahl im 20. Jahrhundert jedoch 176.000 erreichte, genügte, um die volle Bedeutung der jüdischen Immigration aus Osteuropa zu verstehen”. Vor allem die kleinbürgerlichen Schichten WesteuSchtetl in Galizien ropas sahen sich von der ostjüdischen Immigration bedrängt. Nach dem 1. Weltkrieg und angeheizt durch die Weltwirtschaftskrise nahm der Antisemitismus rasant zu: “Die wirtschaftlichen Katastrophe von 1929 machte die Lage der kleinbürgerlichen Massen aussichtslos. Die Überfüllung im Kleinhandel, im Handwerk und in den intellektuellen Berufen nahm ungewohnte Ausmaße an. Der Kleinbürger betrachtete seinen jüdischen Konkurrenten mit wachsender Feindseligkeit, dessen berufliche Überlegenheit – Ergebnis jahrhundertelanger Praxis – ihm oft leichter über ‘die schweren Zeiten’“ hinweghalf. Der Antisemitismus gewann sogar bei den breiten Schichten der handwerklichen Arbeiter an Boden, die schon immer unter dem Einfluß des Kleinbürgertums gestanden hatten.

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Es ist also falsch, das Großkapital zu bezichtigen, den Antisemitismus provoziert zu haben. Das Großkapital hat sich nur den elementaren Antisemitismus der kleinbürgerlichen Massen zunutze gemacht. Es benutzte ihn zu einem Meisterstück faschistischer Ideologie. Mit dem Mythos des ‘jüdischen Kapitalismus’“ versuchte das Großkapital den Kapitalistenhaß der Massen von sich abzulenken. Die reale Möglichkeit einer Agitation gegen die jüdischen Kapitalisten lag im Antagonismus zwischen Monopolkapital und spekulativem Kaufmannskapital, das in der Regel in jüdischen Händen lag. Die Skandale innerhalb dieses spekulativen Kaufmannskapitals, insbesondere die Börsenskandale, sind in der Öffentlichkeit relativ besser bekannt geworden. Dies erlaubte es dem Monopolkapital, den Haß der kleinbürgerlichen Massen und teilweise sogar der Arbeiter zu kanalisieren und gegen den ‘jüdischen Kapitalismus’ zu lenken”. Léon analysiert sehr pointiert die soziale Besonderheit des Kleinbürgertums, das einerseits eine bürgerliche Klasse, zugleich aber “antikapitalistisch” ist: Denn es ist sich der beiden Mühlsteine, die es bedrohen, Proletariat auf der linken, Monopolkapital auf der rechten Seite, sehr wohl bewusst.

ZIONISMUS - KEIN FEIND DES ANTISEMITISMUS Der Zionismus entstand als Reaktion auf die antisemitische Welle, vor allem nach dem Attentat auf den russischen Zaren 1881. Bei Pogromen im Zarenreich wurden hunderte Jüdinnen und Juden ermordet. Leo Pinsker (1821 - 1891), einer der Väter der zionistischen Bewegung, sah im Antisemitismus eine Art Geisteskrankheit und meinte: „Die Judophobie ist eine Psychose. Als Psychose ist sie hereditär, und als eine seit zweitausend Jahren vererbte Krankheit ist sie unheilbar“. Hier wird ein Leitmotiv des Zionismus angeschlagen, das bedeutende Auswirkungen haben sollte: Als einzige Strömung im Judentum war der Zionismus nicht zum Kampf gegen den Antisemitismus entschlossen - beide teilten eine wesentliche gemeinsame Grundposition. Antisemiten und Zionisten gingen gleichermaßen davon aus, dass die Juden ein “Fremdkörper” seien und daher mit Recht von den anderen Völkern “abgestoßen “ würden, was wiederum die Gründung eines jüdischen Staates zwingend erforderlich mache. Theodor Herzl (1860 - 1904), der wegen seines Buches “Der Judenstaat” oft für den eigentlichen Gründer des Zionismus gehalten wird, stellte schon bei Drucklegung seines Buches (1895) freudig fest, dass die beiden Druckereibesitzer, bei denen er produzieren ließ, bekennende Antisemiten, von seinem Buch begeistert wären. Innerhalb der damaligen jüdischen Bewegung stieß der Zionismus auf massive Ablehnung: Orthodoxe Gläubige sahen in Zion eine spirituelle Erlösung und keine territoriale Aufgabe; Intellektuelle, Handwerker und Arbeiter arbeiteten mehr auf eine Assimilation und damit verbundene demokratische Rechte, also die völlige Gleichstellung mit den Nicht-Juden, hin. Verbittert erklärte Herzl nach Erscheinen seines “Judenstaats”: “Den Juden ist vorläufig noch nicht zu helfen. Wenn einer ihnen das gelobte Land zeigte, würden sie ihn verhöhnen. Denn sie sind verkommen. Dennoch weiß ich, wo es liegt: in uns. In unserem Kapital, in unserer Arbeit und in der eigentümlichen Verbindung beider, die ich ersonnen habe. Aber wir müssen noch tiefer herunterkommen, noch mehr beschimpft, angespuckt, verhöhnt, geprügelt, geplündert und erschlagen werden, bis wir für diese Idee reif sind”. Daher wohl auch das Buhlen Herzls um die Unterstützung


KLASSENKAMPF des französischen Antisemiten Eduard Drumonts, der während der Dreyfus-Affäre eine rabiat antijüdische Position einnahm und das Hetzblatt “La Libre Parole” herausgab. 1897 rezensierte “La Libre Parole” Herzls Buch auch sehr positiv und unterstrich dabei vor allem, dass Herzl und seine Anhänger die Antisemiten nicht als Fanatiker, sondern als “Bürger, die ihr Recht auf Selbstverteidigung ausüben” würdigten. Einerseits verkündeten die Zionisten, ganz im Sinne der Vorstellungen der bürgerlichen Revolution, die Notwendigkeit der Konstituierung eines jüdischen Nationalstaates. Zugleich waren sie, wie viele Reaktionäre anderer Herkunft auch, entschiedene Feinde der großen bürgerlichen Revolution von 1789, welche den Grundstein für die Emanzipation der Juden gelegt hatte. Wie die Antisemiten beschworen sie die “Rasse” als entscheidendes Moment in der Geschichte und näherten sich hier Moses Hess (1812 - 1875) an, der Rasse vor Klasse gesetzt hatte und die Geschichte des Judentums in der bürgerlichen Ära als Rassenkampf interpretierte: “Die Deutschen hassen weniger die Religion der Juden als ihre Rasse, weniger ihren eigentümlichen Glauben als ihre eigentümlichen Nasen. Weder Reform noch Taufe, weder Bildung noch Emanzipation erschließt den deutschen Juden vollständig die Pforten des sozialen Lebens. Sie suchen daher ihre Abstammung zu verleugnen”. Herzls Strategie zielte auf Grund der Isolierung der zionistischen Bewegung unter der [werktätigen] jüdischen Bevölkerung darauf ab, mit Staatsspitzen aller imperialistischer Länder, inklusive dem deutschen Kaiser, zu einem Territorium für seinen Judenstaat zu kommen. Dabei wies er beharrlich darauf hin, dass der Zionismus die Herrschenden Europas vor der Gefahr einer radikalen, sozialistischen Jugendbewegung bewahren würde, könnte man die jungen Juden zur Ansiedlung in einem “eigenen” Staat bewegen. Selbst der zaristische Innenminister Plehwe, Organisator blutiger Pogrome, wurde von den Zionisten hofiert und machte sich die Bewegung zunutze, weil er auf eine Massenemigration von Juden aus Russland hoffte. Kein Wunder, dass die revolutionären jüdischen Arbeiter, organisiert im “Bund”, den Zionismus bekämpften. Die Idee eines Judenstaates oder eine Auswanderung nach Palästina (wie sie seit Theodor Herzl 1882 von jüdischen Studenten propagiert und praktiziert wurde) lehnten die Bundisten als Fluchtreaktion ab. 1902 hatte Herzl in London vor einer parlamentarischen Kommission, welche ein neues Einwanderungsgesetz vorbereitete, ausgesagt - es ging darum, die Zuwanderung von aus Osteuropa flüchtenden Juden zu stoppen. Auch wenn sich Herzl nicht offen für einen Einwanderungsstopp aussprach, waren Äußerungen wie jene, dass “ein Jude niemals ein echter Engländer” werden könne Wasser auf die Mühlen der antisemitischen Befürworter dieses Gesetzesentwurfs. Arthur J. Balfour, der 1905 als Staatssekretär das Gesetz durchsetzte, war nicht nur glühender Antisemit, sondern auch überzeugter Zionist. Palästina war übrigens nicht unbedingt die erste Wahl für einen jüdischen Staat - die Zionisten hätten vermutlich auch andere Territorien angenommen (Uganda war jedoch keine

Option, da das Land zu unwirtlich war). Balfour war es auch, der am 2. November 1917 in einem Brief an Lord Rothschild die Unterstützung der britischen Regierung bei der „Errichtung einer nationalen jüdischen Heimstätte in Palästina” zusicherte. Ein Jahr zuvor hatten die französischen und britischen Imperialisten im geheimen Sykes-Picot-Abkommen die Aufteilung des Osmanischen Reiches beschlossen; die Balfour-Deklaration war ein wesentlicher Baustein bei den künftigen Plänen des Britischen Empire in diesem Teil der Welt. Tatsächlich erhoben die zionistischen Führer einen Exklusivanspruch auf Palästina. Bei der Erez-Israel-Konferenz im Dezember 1918 spielten sie mehrere Szenarien durch, um das nach dem 1. Weltkrieg in aller Munde geführte “Selbstbestimmungsrecht der Völker” nicht auf die arabisch-palästinensische Bevölkerung anwenden zu lassen. Deutlich war jedenfalls der Wunsch, die arabische Bevölkerung so rasch wie möglich zu verringern und in die durch die europäischen Imperialisten geschaffenen “neuen” Staaten der Region zu treiben. Da Palästina nach wie vor unter britischer Verwaltung stand, setzten die Zionisten alles daran, von oben her eine bürgerlich-demokratische Verfassung für das Gebiet zu verhindern. Ein [rassistisches] Argument, das bis heute zum Standardrepertoire der Zionisten gehört, wurde ständig und in Varianten wiederholt: Die jüdischen Siedler seien die Repräsentanten einer höheren, westlichen Kultur, die Araber verkörperten den “zurückgebliebenen” Osten und seien daher für die Demokratie gar nicht reif. Alle Flügel der zionistischen Bewegung – der “offizielle” (verkörpert durch Chaim Weizmann und David Ben Gurion) und der “revisionistische” (vertreten durch Wladimir Zeev Jabotinsky) – setzten auf eine Masseneinwanderung von Juden nach Palästina. Damit begann ein finsteres Kapitel der Kollaboration zwischen Zionisten und Faschisten.

ZIONISMUS UND DIE NAZIHERRSCHAFT Bekannte und unverhüllte Antisemiten wie der Vorsitzende des “Alldeutschen Verbandes”, Heinrich Class, hatten wiederholt ihre Bewunderung für die Zionisten geäußert. Tatsächlich zogen sich die rassistischen Extreme an: lehnten die Antisemiten jede Form von jüdischer Zuwanderung und “Rassenvermischung” ab, sahen die Zionisten in der Assimilation und dem Versuch der Juden, sich in die modernen Gesellschaften zu integrieren, eine Schwächung des zu schaffenden “Judenstaates”. So wie die Vertreter des extremsten Antisemitismus unter den Nazis auf “Auslese” und “Rassenreinheit” setzten, verfolgten die zionistischen Führer (und hier nicht einmal die extremsten wie Jabotinsky) ein symmetrisches Konzept gegenüber den Juden. Wie wir weiter oben gezeigt haben, war das Zentrum der zionistischen Bestrebungen die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates. Diesem Interesse ordneten ihre Führer alles unter, selbst das Schicksal der von den Nazis mit der Ausrottung bedrohten Juden. Chaim Weizmann erklärte am 20. Zionistenkongress 1937 unumwunden, dass Palästina keineswegs als die Zuflucht für alle verfolgten Juden gedacht

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KLASSENKAMPF sei: "Die Hoffnungen der sechs Millionen europäischen Juden sind auf die Auswanderung konzentriert. Man fragte mich: 'Können Sie sechs Millionen Juden nach Palästina bringen?' Ich antwortete: 'Nein.' Aus den Tiefen der Tragödie will ich ... junge Menschen [für Palästina] retten. Die alten werden sterben. Sie werden ihr Schicksal ertragen oder nicht. Sie sind Staub, ökonomischer und moralischer Staub in einer grausamen Welt. Nur die Gruppe der jungen wird überleben. Sie müssen das akzeptieren." Während sich ab der Machtergreifung der Nazis die Mehrheit der jüdischen Organisationen in Deutschland, ebenso wie Aktivisten der Arbeiterbewegung, gegen den Nationalsozialismus zur Wehr zu setzen versuchten, äußerten sich die Zionisten durchaus positiv zum Hitlerregime. Der zionistische Rabbi Joachim Prinz schrieb 1934 in seinem Buch “Wir Juden” über den Nazistaat: “Ein Staat, der aufgebaut ist auf dem Prinzip der Reinheit von Nation und Rasse, kann nur vor dem Juden Achtung und Respekt haben, der sich zur eigenen Art bekennt. Er kann keine anderen Juden wollen, als die Juden des klaren Bekennt- Der Krakauer Judenrat nisses zum eigenen Volk. (...) Die Nationwerdung des Judentums aber bedeutet die Rückkehr eines Kerns der Judenheit in die alte Heimat (Palästina). Die Qual der Assimilation ist zu Ende.“. Während die meisten nichtzionistischen jüdischen Organisationen nach 1933 zu einem Boykott Nazi-Deutschlands aufriefen, verfolgten die Zionisten eine genau konträre Politik: Der Zionistische Weltkongress schloss mit Nazideutschland ein Transfer-Abkommen, das reichen Juden ermöglichte, ihren Besitz in Nazideutschland zu liquidieren und einen Teil ihres Vernögens in Palästina zurück zu erhalten. Rund 60 Prozent des zwischen 1933 und 1939 in Palästina investierten Kapitals kam aus Deutschland.

DER ANTISEMITISMUS DER NAZIS UND DIE JUDENRÄTE In allen Arten von zionistischen, kleinbürgerlichen, antideutschen und “wissenschaftlichen” Mainstreampublikationen wird der Nationalsozialismus über den Antisemitismus und über “Auschwitz” definiert. Das ist eine falsche und letzten Endes gefährliche Reduzierung des Faschismus auf einen (besonders kriminellen) Teilaspekt. Vor allem Trotzki, aber auch andere marxistische Theoretiker (außerhalb des stalinistischen Orbits) haben unterstrichen, dass die Funktion des Faschismus für die Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit darin besteht, der Arbeiterbewegung das Rückgrat zu brechen. In den ersten KZ der Nazis, eingerichtet unmittelbar nach der “nationalen Revolution”, wurden daher in erster Linie Kommunisten, Sozialdemokraten und

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Angehörige anderer Arbeiterorganisationen eingesperrt, gefoltert und ermordet. Bezüglich des Rassismus der Nazis hatte Trotzki in seinem brillanten Text “Porträt des Nationalsozialismus” vom August 1933 geschrieben: “Vor dem Hintergrund des heutigen Wirtschaftslebens – international in den Verbindungen, unpersönlich in den Methoden – scheint das Rassenprinzip einem mittelalterlichen Ideenfriedhof entstiegen. Die Nazis machen im voraus Zugeständnisse: Im Reich des Geistes wird Rasseneinheit durch den Paß bescheinigt, im Reich der Wirtschaft aber muß sie sich durch Geschäftstüchtigkeit ausweisen. Unter heutigen Bedingungen heißt das: durch Konkurrenzfähigkeit. So kehrt der Rassismus durch die Hintertür zum ökonomischen Liberalismus – ohne politische Freiheiten – zurück. Praktisch beschränkt sich der Nationalismus in der Wirtschaft auf – trotz aller Brutalität – ohnmächtige Ausbrüche von Antisemitismus. Vom heutigen Wirtschaftssystem sondern die Nazis das raffende oder Bankkapital als den bösen Geist ab; gerade in dieser Sphäre nimmt ja die jüdische Bourgeoisie einen bedeutenden Platz ein. Während er sich vor dem kapitalistischen System verbeugt, bekriegt der Kleinbürger den bösen Geist des Profits in Gestalt des polnischen Juden im langschößigen Kaftan, der oft keinen Groschen in der Tasche hat. Der Pogrom wird zum Beweis rassischer Überlegenheit. Das Programm, mit dem der Nationalsozialismus an die Macht gelangte, erinnert nur zu sehr an die jüdischen Warenhäuser der finsteren Provinz. Was findet man dort nicht alles zu niedrigem Preis und in noch niedrigerer Qualität. Die Erinnerung an die 'glücklichen' Zeiten der freien Konkurrenz und die vage Überlieferung von der Stabilität der Ständegesellschaft, Träume von der Auferstehung des Kolonialreichs und den Wahn von einer geschlossenen Wirtschaft, Phrasen über eine Rückkehr vom römischen zum altdeutschen Recht und über die Befürwortung des amerikanischen Moratoriums, neidische Feindschaft gegen die Ungleichheit in Gestalt einer Villa und eines Autos und tierische Furcht vor der Gleichheit in Gestalt des Arbeiters mit Mütze und ohne Kragen, tobenden Nationalismus und Angst vor den Weltgläubigern – all dieser internationale Auswurf politischer Gedanken füllt die geistige Schatzkammer des neudeutschen Messianismus”. Trotzkis “Porträt des Nationalsozialismus” weist insoweit über andere Schriften zur Faschismustheorie hinaus, weil er hier neben der materialistischen Klassenanalyse massen- und sozialpsychologische Elemente der faschistischen Massenbewegungen untersucht. Tatsächlich greifen alle ökonomischen Erklärungsversuche für die Shoah und die Endlösung zu kurz und führen – wie bei Götz Alys “Volksstaat”-These – zu einer Neuauflage einer Kollektivschuldthese, welche die Klasseninteressen der Bourgeoisie am faschistischen Terror herunter-


KLASSENKAMPF spielt. (amerikanische zionistische) Jüdische Agentur wider besseres Dass der Antisemitismus gerade bei der Mobilisierung der Wissen den Holocaust hinunter. Auch hier sehen wir die kleinbürgerlichen Massen gegen das angebliche “böse” raf- durchgängige Achse: Was gut ist für die Errichtung des Jufende gegen das gute “schaffende” Kapital eine maßgebliche denstaates muss nicht zwangsläufig gut für die Juden sein. Rolle spielte, ist unbestritten. Bereits im Juli 1938, als auf Initiative des amerikanischen Tatsächlich waren Antisemitismus, Pogrome und schließĺich Präsidenten die “Evian-Konferenz” stattfand, in der pro fordie Massenvernichtung der Juden Ausdruck der psychopatho- ma über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge aus Europa belogischen Obsession eines Teils der kleinbürgerlichen fa- raten wurde (es war von Haus aus klar, dass sich unter den schistischen Machtelite des NS-Staates. Daher war es nach “demokratischen” Ländern keine Bereitschaft zu einer Masder Niederlage des Nationalsozialismus für die deutsche seneinwanderung für Juden finden würde) und die DominikaBourgeoisie auch ein leichtes, sich angewidert von der Shoah nische Republik überraschend erklärte, sie wolle 100.000 zu distanzieren und diese als “Ausgeburt verbrecherischer Juden aufnehmen, bekämpften die Zionisten dieses Angebot Hirne” von sich zu weisen. Damit versuchte sich das Großka- vehement. Ein britischer (pro-zionistischer) Labour-Minister pital von seiner tatsächlichen Verantwortung reinzuwaschen: erklärte sehr scharfsinnig: “Das vorrangige Ziel der Zionisten Nämlich den Faschismus an die Macht gebracht zu haben, ist es nicht, Juden aus Europa zu retten, sondern Juden nach um die Gefahr der sozialistischen Revolution Palästina zu bringen”. In den USA weigerte sich der Vorsitzu bannen; und damit die Errichtung jener zende des zionistischen “Rescue Committee”, Terrorherrschaft ermöglicht zu haben, in der Spenden zur Rettung der von der Ausrottung kleinbürgerliche Rassentheoretiker ihre Allbedrohten Juden in den besetzten Gebieten machtsphantasien umsetzen konnten. Die nalocker zu machen. tionalsozialistische Herrschaft ist der Beweis, Obwohl die zionistischen Vertreter in Eurodass der Staatsapparat der Bourgeoisie gepa und die Mitglieder der Judenräte das Ausgenüber der herrschenden Klassen eine gemaß der Vernichtung kennen mussten und wisse Autonomie erlangen kann, die nicht 1944 zwei slowakische Flüchtlinge aus zwangsläufig einer “Klassenlogik” unterworAuschwitz, Vrba und Wetzler, in einer ausfen ist. führlichen Denkschrift rechtzeitig vor der geIn den von den Nazis besetzten Gebieten planten Ausrottung der ungarischen Juden wurden nach dem Vorbilde der “Reichsvertrewarnten, unterdrückten zionistische Funktiotung der deutschen Juden” überall “Judenränäre, unter ihnen wieder einmal Kastzner, te” gebildet; das war der erste Schritt eines diesen Bericht. 1961 erklärte Vrba in einem Mehrstufenplans, der über die Errichtung von Interview mit dem englischen Daily TeleGhettos zur “Umsiedlung in den Osten” und graph: schließlich zur Vernichtung der Juden führen “Ich klage gewisse jüdische Führer einer sollte. Adolf Eichmann machte sich dabei die Der Kollaborateur Rudolf der grausigsten Taten dieses Krieges an. DieSpaltung innerhalb der jüdischen Gemeinden Kastner se kleine Gruppe von Quislingen wusste, was zu Nutze: Die “Assimilationisten” seien unmit ihren Brüdern in Hitlers Gaskammern geglücklich über die Ghettos, Orthodoxe und Zionisten (aus ver- schah und erkauften ihr eigenes Leben um den Preis des schiedenen Gründen) jedoch wohlwollend. Die Judenräte Schweigens. Unter ihnen war Dr. Kasztner...Ich konnte die registrierten die Juden in ihren Städten, setzten die Anord- ungarischen Zionistenführer drei Wochen vorher warnen, nungen der Nazis um und bereiteten die Deportationen mit dass Eichmann eine Million Juden in die Gaskammern schivor. Ungefähr zwei Drittel der Judenräte bestanden aus Zio- cken würde ... Kasztner ging zu Eichmann und sagte ihm: nisten. "Ich kenne ihre Pläne; Schonen sie einige Ersatz Juden meiIm Hintergrund verhandelten die Zionisten mit den Nazis: ner Wahl und ich schweige'. Eichmann war nicht nur einverSie tauschten Kollaboration gegen die Rettung hauptsächlich standen, er steckte Kasztner in eine SS-Uniform und nahm junger, landwirtschaftlich oder industriell geschulter Juden ihn nach Belsen mit, um einige seiner Freunde aufzuspüein, die nach Palästina gebracht werden konnten. Am Bei- ren.” spiel des zionistischen Funktionärs Rudolf Kasztner ließen Die zionistische Führung musste sich zu Recht den Vorwurf sich diese Mechanismen aufzeigen: In Budapest wurde er gefallen lassen, trotz ihres Wissens die Verfolgung und Er1943 Vorsitzender des Komitees für “Hilfe und Rettung” der mordung der europäischen Juden heruntergespielt zu haben, Zionisten und handelte mit der Nazi-Führung die Ausreise ei- um das Primat ihrer Politik – das Vorantreiben der Staatsner Gruppe von durch ihn ausgewählte 1.685 Juden in die gründung in Palästina – nicht zu gefährden. Schweiz aus. Währenddessen begannen die Nazis mit der Deportation von zwischen 430.000 und 800.000 ungarischen Ju- MITTLERWEILE, IN PALÄSTINA … den nach Auschwitz.. Genauer untersucht wurde die zwielichtige Rolle KasztZwischen 1919 und 1925 stieg die Zahl der in Palästina leners, der noch während der Nürnberger Prozesse zugunsten benden Juden von 60.000 auf 125.000. Danach stieg die Zahl von angeklagten Nazis aussagte, als ihm, der mittlerweile in der Einwanderer kontinuierlich an. Gleichzeitig wurde die Israel in der sozialdemokratischen (!) Mapai-Partei Karriere Rolle der arabisch-palästinensischen Bevölkerung deutlich gemacht hatte, 1952 in einem Zeitungsartikel die Mitschuld eingeschränkt: 1939 betrug der Anteil des ausländischen Kaan der Ermordung der ungarischen Juden gegeben wurde. Im pitals an den Investitionen in Palästina 75 %, jener des jüdifolgenden Prozess wurde erstmals öffentlich die Zusammen- schen etwas über 20 %, der des palästinensischen nur 2-3 %. arbeit zwischen Zionisten und Nazis thematisiert. 1936 kam es zu einem sechsmonatigen Generalstreik der Gleichzeitig spielte die Jüdische Weltorganisation und die palästinensischen Arbeiter (ausgehend von den Hafenstäd-

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KLASSENKAMPF ten), der sich gegen die angeleitet, konnten die entschlossenen Verbände von HagaKolonialmacht England nah und Irgun mit Unterstützung der USA und des Kreml die richtete und durch den arabischen Armeen zurückschlagen. Verrat der bürgerlichen Zugleich begannen ethnische Säuberungen: Jaffa, eine blüFührung der arabisch- hende arabische Stadt, wurde komplett “gesäubert” - von palästinensischen Bewe- 100.000 Arabern blieben gerade noch 5.000 in der Stadt; Irgung scheiterte. gun und Haganah setzten auf Einschüchterung und eine PoliDer britische Imperia- tik der verbrannten Erde. Im Dorf Dir Yassin wurden die lismus versuchte, zwi- Einwohner, auch Kinder und Frauen, 250 Menschen insgeschen den Zionisten und samt, abgeschlachtet. 850.000 palästinensische Araber wurPalästinensern zu lavie- den aus dem neuen Staat Israel vertrieben. ren; die zionistischen Israel – die sichere Heimstatt der Juden? Kräfte, und hier vor alDie zionistische Führung, die während der Nazizeit zynisch lem die “revisionisti- die Verfolgung der europäischen Juden für ihre eigenen Interschen”, militanten essen ausnutzte, spielte nach 1948 plötzlich eine ganz andere Kräfte, konnten ihr Ge- Karte aus: Nachdem das gesamte Ausmaß des Mordes an den wicht steigern, weil der europäischen Juden bekannt wurde, erklärten sie sich plötzGroßmufti von Jerusa- lich zu den Vertretern aller Juden. Auch jene Überlebenden Wladimir Zeev Jabotinsky lem offen Propaganda der Shoah, denen sie vorher mit keinem Finger geholfen hataggressiver jüdischer Nationalist für die Nazis machte ten, sollten nun den neuen “Judenstaat” unterstützen. mit faschistischen Neigungen und die terroristischen, Aus der offiziellen Geschichte wurden all jene nichtzionistiselbst teilweise faschistisch ausgerichteten zionistischen Mili- schen Juden getilgt, die den Nazis Widerstand leisteten oder zen von Haganah und Irgun ihren Kampf gegen die Palästi- der “Endlösung” die Stirn geboten hatten: Es gab keine Genenser scheinbar als Verbündete der britischen rechtigkeit für den heldenhaften bundistischen Anführer des Kolonialmacht führten. In Wirklichkeit wurden hier gewaltsa- Warschauer Ghetto-Aufstandes Marek Edelmann, der bis zu me Weichenstellungen für die seinem Tod Antizionist blieb; Zeit nach Ende des 2. WeltYad Vashem, die offizielle Hokrieges gestellt. locaust-Gedenkstädte, ignoDas britische Empire, nomiriert Rudolph Vrba, dessen nell eine der Siegermächte, Warnung einen Teil der ungasah sich nach 1945 real durch rischen Juden retten hätte den US-amerikanischen Impekönnen. rialismus in die Defensive geDer zionistische Staat, der drängt. Die zionistische bis zum heutigen Tag (und Bewegung machte sich diese zum letzten Krieg in Gaza) ein Situation zu Nutze und machte Eckpfeiler der Unterdrückung in den USA massiv Propaganda der palästinensischen Massen für die Zulassung der Einwanist, kann auf Grund seiner derung von weiteren 100.000 Funktion für den ImperialisJuden in Palästina – was die mus und seiner eigenen regioBriten abgelehnt hatten. Im Mitglieder der paramilitärischen Betar-Bewegung - sie nalen imperialistischen Februar 1947 kündigte Groß-orientierten sich an Mussolinis Faschismus Interessen niemals der “Staat britannien für Sommer 1948 die aller Juden” oder die “sichere Beendigung seines Mandats in Palästina an und begann, sei- Heimstatt” der in ihm lebenden jüdischen Bevölkerung sein. ne Truppen zurückzuziehen. Jahre des Kampfes gegen paläs- Er ist ein Klassenstaat, der durch seine bloße Existenz eine tinensische und zionistische Terroristen hatten der Bedrohung für den Frieden und die soziale Entwicklung in Kolonialmacht auch wirtschaftlich schwer zugesetzt. der ganzen Region darstellt. Zu diesem Zeitpunkt besaßen 700.000 jüdische Siedler Am 24. November 2012 schrieb das Kollektiv Permanente 174.000 Hektar bewirtschaftbaren Bodens, 1,25 Millionen pa- Revolution (CoReP) in einer Erklärung zum (vorletzten lästinensische Araber rund 600.000 Hektar, von denen aller- großen) israelischen Überfall auf Gaza: dings der Großteil öffentliches Eigentum und der Rest “Die Zerstörung des Staates Israel ist die Voraussetzung für äußerst karg war. Gleichzeitig proklamierten die Zionisten ein vereinigtes, weltliches, multiethnisches und sozialistieinen Boykott palästinensischer Waren und trafen so die ara- sches Palästina bische Wirtschaft schwer. Das Ende der nationalen Unterdrückung, deren Opfer die Am 29. November 1947 nahm die UNO mit 33 gegen 13 palästinensischen Araber sind, verläuft über die Zerstörung Stimmen bei 10 Enthaltungen einen Teilungsplan für Palästi- des rassistischen, kriegslüsternen und kolonialistischen Staana an (die UdSSR unterstützte diese amerikanische Initiati- tes Israel, dem Instrument des Imperialismus im Nahen Osve). Am 14. Mai 1948 proklamierte der Jüdische Nationalrat ten. Nur auf dieser Grundlage kann ein weltliches, in Tel Aviv die Unabhängigkeit Israels. multiethnisches Palästina auf palästinensischem Territorium Als Reaktion marschierten die Armeen Transjordaniens, Sy- entstehen, in dem Araber und Israelis, Moslems, Juden, riens, Ägyptens, des Irak und des Libanon in Palästina ein. Christen und Atheisten zusammenleben. Ein so beschaffenes Von den britischen Imperialisten schlecht bewaffnet, kaum Palästina ist nur lebensfähig, wenn sich die Revolution ausausgebildet und durch schwankende politische Führungen weitet, die von der Kolonialzeit ererbten Grenzen beseitigt

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Das Massaker von Deir Yassin, April 1 948: Mindestens 1 20 Üalästinernserinnen und Palästinenser wurden von zionistischen Terroristen ermordet

Aus den Archiven des Marxismus Der Sozialismus führt im nationalen Bereich notwendigerweise zur Demokratisierung im weitesten Sinne. Er muß den Juden die Möglichkeit geben, in allen Ländern, in denen sie ansässig sind, ein eigenes nationales Leben zu fuhren. Er muß ihnen außerdem ermöglichen, sich auf ein oder mehrere Gebiete zu konzentrieren, ohne natürlich die Interessen der einheimischen Bevölkerung zu verletzen. Nur eine so weit wie möglich ausgedehnte proletarische Demokratie wird es erlauben, die jüdische Frage mit einem Minimum an Leiden zu lösen. Natürlich hängt das Tempo der Lösung der jüdischen Frage vom Rhythmus des sozialistischen Aufbaus ab. Der Antagonismus zwischen Assimilation und nationaler Lösung ist relativ, die letztere ist oft nur die Einleitung zur ersteren. Historisch gesehen sind alle bestehenden Nationen Produkte diverser Rassen- und Völkervermischungen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß neue Nationen durch Vermischung oder Versprengung heute existierender Nationen entstehen. Wie dem auch sei, der Sozialismus muß sich hier darauf beschränken, „die Natur handeln zu lassen“. Man wird übrigens im gewissen Sinne zur Praxis der vorkapitalistischen Gesellschaft zurückkehren. Erst der Kapitalismus hat dadurch, daß er dem nationalen Problem eine wirtschaftliche Basis gegeben hat, auch die unüberwindbaren nationalen Gegensätze geschaffen. Vor Einbruch des Kapitalismus lebten Slowaken, Tschechen, Deutsche und Franzosen in völliger Eintracht miteinander. Die

und die sozialistische Föderation des Nahen Ostens errichtet wird. Die palästinensische Bourgeoisie, sei sie panarabisch (Fatah) oder islamistisch (Hamas), kann Palästina nicht befreien, weil sie stets die Kollaboration mit den benachbarten bürgerlichen Staaten der Mobilisierung der Arbeiter in Stadt und Land vorgezogen hat, die zur Infragestellung des Privateigentums geführt hätte. Die nationale Bourgeoisie, welche die verlogene Einheit aller Araber oder aller Moslems predigt, hat sich als unfähig erwiesen, sich an die Arbeiterklasse der Region zu wenden. Die Arbeiterklasse, welche die Bauern und Studenten um sich schart, ist die soziale Kraft, welche die Fähigkeit besitzt, die zionistische Kolonisierung und die imperialistische Dominanz zu beenden, die Frauen und die Jugend zu befreien, das Land den Bauern zu übergeben und die wirtschaftliche Entwicklung sicher zu stellen.” Das jüngste Massaker an den palästinensischen Massen in Gaza hat die Aktualität unserer damaligen Position bedauerlicherweise bekräftigt.

Kriege hatten keinen nationalen Charakter; sie interessierten nur die besitzenden Klassen. Die Politik erzwungener Assimilierung und nationaler Verfolgungen war bei den Römern unbekannt. Die barbarischen Völker ließen sich auf friedlichem Wege romanisieren oder hellenisieren. Die nationalen kulturellen und linguistischen Antagonismen von heute sind nichts anderes als die Folgen der vom Kapitalismus geschaffenen wirtschaftlichen Widersprüche. Mit dem Verschwinden des Kapitalismus wird das nationale Problem seine Schärfe völlig verlieren. Wenn es auch verfrüht wäre, von einer weltweiten Assimilation der Völker zu sprechen, so ist es doch offensichtlich, daß eine globale Planwirtschaft eine beträchtliche Annäherung aller Völker der Welt zufolge hätte. Es wäre jedoch unangebracht, die Assimilierung künstlich voranzutreiben; nichts könnte ihr mehr schaden. Noch ist nicht vorauszusehen, welcher Art die „Nachfahren“ des heutigen Judentums sein werden. Aber der Sozialismus wird darüber wachen, daß sich diese „Generation“ unter optimalen Bedingungen entfalten kann. Aus dem Schlußkapitels von Abraham Léons Werk "Zur jüdischen Frage".

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ERKLÄRUNG DES CoReP (KOLLEKTIV PERMANENTE REVOLUTION)

Sofortige Beendigung des israelischen Krieges gegen Gaza ! Für ein vereinigtes, weltliches, sozialistisches Palästina ! Israel führt einen permanenten Krieg gegen die Araber Pa- Die Ungleichheit der Defensiv- und Offensivwaffen sowie lästinas weil es seit seiner Schaffung durch den jüdischen Na- das Missverhältnis der Opferzahl zeigen, wer dominiert, untionalismus (einer Minderheitenposition vor der Auslöschung terdrückt und angreift, was auch immer der Vorfall sei, welder europäischen Juden durch den rassistischen bürgerlichen cher als Vorwand dient. So wird Sderot von der zionistischen deutschen Staat) ein Kolonialstaat ist. Propaganda als eine Märtyrerstadt darIsrael als Staat beruht seit seiner Grüngestellt. Aber es gab 2014 kein einziges dung auf der Vertreibung der nicht-jüdiisraelisches Opfer in Sderot. Ganz im schen Bewohner Palästinas und, beim Gegenteil, einige Einwohner machen es Aufeinandertreffen mit diesen, auf Tersich mit ihren Fauteuils und Tischen rorismus in großem Maßstab, ein Staat, auf den Hügeln gemütlich, um sich am der niemals die Sicherheit der Juden Schauspiels der Bombardierung Gazas gewährleistete. zu erfreuen (zum jetzigen Zeitpunkt Diese Gewalt und Unterdrückung ma130 Tote). Nationalismus und Militarisnifestieren sich täglich im Exil von Milmus dienen in Israel der Erstickung des lionen Personen, in der Diskriminierung Klassenkampfes, während die Kapitalisder Araber in Israel, in der Kolonisieten dort die Lohnabhängigen ausbeurung in Jerusalem und der Westbank, ten und sich die Ungleichheit verstärkt. dem 700 km langen Mauerbau zur ethIn diesem barbarischen Treiben ernischen Säuberung, der Einkesselung hält die israelische Regierung die Unvon 1,7 Millionen Menschen im 360 km² terstützung der kapitalistischen grossen Ghetto in Gaza, den VerhaftunMächte USA, Großbritannien, Frankgen tausender Menschen ... reich, Russland,... Sie sehen nur das In regelmässigen Abständen zeigt sich „Selbstverteidigungsrecht Israels“ der zionistische Kolonialismus sogar (Hollande, 9. Juli ; Obama, 10. Juli ; Punoch offener und gewalttätiger : durch tin, 10. Juli ; Cameron, 12. Juli...). In gezielte Attentate, durch die militäriWirklichkeit sind es die Palästinenser, schen Interventionen eines überrüstedie sich seit 70 Jahren mit lächerlichen ten bürgerlichen Staates (darunter, Mitteln gegen die Kolonisierung zu verunter Missachtung aller internationalen teidigen versuchen. Alle diese StaatsVerträge, die Atomwaffe) : führer unterhalten sich in diesen Tagen mit Netanjahu, dem Premierminister Is- im Juni 2006 ( 7 tote Israelis, 200 tote raels, keiner mit Haniyeh, dem PrePalästinenser) mierminister des bombardierten Gaza. - im Zeitraum Dezember 2008 bis JänWährenddessen fürchten die imperianer 2009 ( 1 3 tote Israelis, 1 300 tote listischen Staaten, auch wenn sie RivaPalästinenser) len sind und sich durch Stellvertreter - im November 201 2 ( 6 tote Israelis, in Syrien, im Irak, in Afghanistan ge1 63 tote Palästinenser) genüberstehen, die Destabilisierung der lokalen bürgerlichen - im Zeitraum Juni bis Juli 201 4 ... Regimes und ein überspringen der sozialen Revolution, die

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KLASSENKAMPF sich in Tunesien und Ägypten angedeutet hat. Daher die Appelle der westlichen Führer zu „Zurückhaltung“. Desgleichen musste die ägyptische Militärjunta, welche, wie Israel, ein Verbündeter des US-amerikanischen Imperialismus ist, aus Vorsicht die Grenze Zerstörtes für die Opfer Israels einen Spalt Klassenzimmer öffnen. Und die islamistische tür- in der von kische Regierung, ein weiterer israelischen Verbündeter des US-amerikani- Granaten UNschen Imperialismus, war genö- zerstörten Schule in tigt, ihre Annäherung an Israel zu Jabalia. 3.300 unterbrechen. Die Fatah ist der- Zivilisten hatten zeit dermassen vom Imperialis- in der Schule mus abhängig, dass die Zuflucht Regierung Abbas von der West- gesucht, dies bank mit Netanjahu nach der Er- wurde auch der mordung von drei jungen israelischen Siedlern zusammenarbeitete, ob- Armeeführung wohl die israelische Armee im Ju- kommuniziert ... ni auf ihrem Territorium intervenierte (12 Palästinenser getötet). Erst die Wiederauf- Die Palästinenser können zu ihrer Verteidigung nur auf die nahme der Offensive gegen die Hamas in der Westbank und in weltweite Arbeiterklasse zählen. Alle Organisationen, die sich Gaza führte zur Beendigung der seit 2012 respektierten Waf- auf die Arbeiter und den Sozialismus berufen, müssen forfenruhe. dern : Die Arbeiter und Jugend Palästinas kann sich nicht auf eine vorgetäuschte arabische oder muslimische Gemeinschaft ver- • Sofortiger Stop der Bombardements und des militärischen Eindringens in Gaza und der Westbank ! Aufheben lassen, denn alle bürgerlichen Nachbarn haben sie verraten der Blockade Gazas und der Westbank. Freies Reiserecht oder tun es weiterhin.

- Die jordanische Monarchie und das syrische nationalistische Baath-Regime haben, jeweils 1 970 und 1 976, den palästinensischen Widerstand in Form der PLO zerrieben, zu einer Zeit, da Israel die Islamisten bevorzugte. - In allen Golfmonarchien werden die palästinensischen Arbeiter wie die anderen Einwanderer gnadenlos ausgebeutet. - Im Libanon, in Syrien und Jordanien sind die Palästinenser in ihren Lagern eingesperrt. - Das iranische islamistische Regime von Khamenei und Rohani hat Revolutionäre physisch liquidiert, unterdrückt die eigenen nationalen Minderheiten und hat seit 201 3 begonnen, sich dem US-amerikanischen Imperialismus anzunähern – ganz nach ihren eigenen Interessen und ohne, dass das Los der Palästinenser ein Hindernis dargestellt hätte. - Die Monarchie in Bahrein hat den Generalstreik zerschlagen und die Demonstranten im März 2011 massakriert. - Die türkische islamistische Regierung Erdogans unterdrückt den 1 . Mai, sperrt tausende revolutionäre Aktivisten ein und unterdrückt das kurdische Volk - Der islamistische Präsident Mursi hat Israel anerkannt, General al-Sissi hat die Grenze zu Gaza geschlossen, unterdrückt sein eigenes Volk und hat zwischen 1 .000 und 2.000 junge Revolutionäre eingesperrt.

Die salafistischen Monarchien des persischen Golfs, die Ayatollahs Irans und die Chefs der Hamas in Palästina haben gemeinsam, dass sie sehr viel effizienter in der Selbstbereicherung, in der Unterdrückung der Frauen und Jugend, im Verbieten von Gewerkschaften und Streiks, im Verteidigen des Privateigentums sind als im Kampf gegen den Zionismus und die imperialitischen Mächte.

für Palästinenser – weltweit ! • Zerstörung der Mauer der Apartheid ! Freilassung aller palästinensischen Gefangenen ! Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge und ihrer Nachkommen ! • Keine Waffe, keine Militärhilfe für Israel ! Rückzug der imperialistischen Truppen aus Afghanistan, dem Libanon und dem Irak, Abzug der US-amerikanischen Militärflotte aus dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean, Schliessung aller imperialistischen Militärbasen in ganz Westasien !

Die beste Hilfe für die Palästinenser ist der Kampf für den Sturz aller Regierungen, die in den USA, Europa und im Nahen Osten den zionistischen Staat unterstützen. Die palästinensische Bourgeoisie, sei sie panarabisch (Fatah) oder islamistisch (Hamas), kann die Palästinenser nicht befreien, weil sie immer die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Nachbarstaaten gegenüber einer Mobilisierung der Arbeiter in Stadt und Land in der ganzen Region bevorzugten, welche das Privateigentum in Frage gestellt hätte. Indem sie die trügerische Einheit aller Araber oder Muslime predigte, zeigte sich die palästinensische Bourgeoisie unfähig, die Arbeiterklasse der Region und der imperialistischen Länder anzusprechen. Daher müssen die palästinensischen Arbeiter mit ihren bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern brechen, um ihre Massenbewegung aufzubauen und ihre revolutionäre Partei zu errichten. Nur die Arbeiterklasse kann die palästinensischen Araber befreien. Um diese Rolle zu übernehmen, müssen sich die Arbeiter auf internationaler Ebene vereinigen, egal welcher Nationalität, Ethnie oder Religion sie auch angehören mögen. Wenn die revolutionären Arbeiterparteien dieses Ziel umsetzen, wird die soziale antikapitalistische Revolution der ge-

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KLASSENKAMPF samten Region ein laizistisches, multiethnisches Palästina errichten, in dem Araber und Juden, Muslime, Menschen jüdischen Glaubens, Christen und Atheisten gemeinsam leben können. Die Arbeiter- und Bauernregierung des vereinten Palästina kann nur auf den Trümmern des rassistischen, kriegerischen und kolonialistischen Staates, dem Instrument des Imperialismus im Nahen Osten, entstehen. Als Ausdruck der Macht der Arbeiterräte wird die Arbeiter- und Bauernregierung die vom Kolonialismus ererbten Grenzen beseitigen und die Sozialistische Föderation des Nahen Ostens errichten. Proletarier aller Länder, vereinigt euch !

13. Juli 2014 Kollektiv Permanente Revolution (Frankreich, Peru, Österreich) движение к социализму / Bewegung zum Sozialismus (Russland) Internationalistisches Marxistisches Kollektiv COMARI (Kolumbien) Collectif Manuel Agustín Aguirre (Ecuador)

MOLDAWIEN

Der nächste Dominostein?

Der Konfrontationskurs zwischen den „alten“ imperialistischen Mächten und ihren neuen imperialistischen Herausforderern Russland und China verschärft nicht nur weltweit militärische Auseinandersetzungen und die Gefahr eines neuen Weltkrieges, er treibt die arbeitenden Menschen in immer mehr Ländern in Armut, Hunger und Verzweiflung. Der nächste Schauplatz von Verelendung, daraus erwachsenden Hungerrevolten, der verdeckten und/oder offenen Intervention der verschiedenen imperialistischen Mächte zur Etablierung einer ihnen genehmen politischen Führung könnte das arme Moldawien – ein Nachbarstaat Rumäniens, der im Norden,

Osten und Süden von der Ukraine umgeben ist – sein. Das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 200 Euro im Monat, 700.000 der etwa 4,1 Millionen Einwohner arbeiten im Ausland. Haupteinnahmequellen Moldawiens sind der Export von Wein und Weinbrand sowie von Obst. Die regierende bürgerliche „Allianz für europäische Integration“ unterzeichnete am 27. Juni 2014 in Brüssel – gemeinsam mit der Ukraine und Georgien – einen Freihandelsvertrag mit der EU und ist heftig entschlossen, das Land in die EU zu führen. Premierminister Jurie Leanca von der Liberaldemokratischen Partei erklärte nach der Unterzeichnung des Abkommens mit der EU: „Mol-

dawien hat eine definitive Entscheidung getroffen, und das ist die europäische Integration.“ Das harmlos klingende Freihandelsabkommen hat es in Wirklichkeit in sich: So wird den östlichen Unterzeichnern gnädig weiterer Freihandel mit Russland zugestanden, allerdings dürfen sie nicht der Eurasischen Union Russlands beitreten. Gleichzeitig muss Moldawien seine Wirtschaft für Investoren und Unternehmen aus der EU öffnen und Subventionen für öffentliche Dienstleistungen zurückfahren, was vor allem die Energieversorgung der Bevölkerung bedroht. Angesichts der Einbindung Moldawiens in die antirussi-

Das Kollektiv Permanente Revolution(CoReP) www.revolucionpermanente.com

Frankreich: GROUPE MARXISTE INTERNATIONALISTE http://groupemarxiste.info Peru: REVOLUCION PERMANENTE (PERU) http://luchamarxista.blogspot.fr/

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sche Front der EU hat die russische Regierung, der wichtigste Handelspartner, erste Sanktionen ergriffen: Die Einfuhr moldawischen Obsts wurde gestoppt. Drohende Zölle auf Wein- und Getreideimporte könnten das Land in diesem Jahr mit Verlusten von 80 Millionen Euro belasten. Wesentlich schlimmer für die moldawische Wirtschaft wäre ein mögliches Beschäftigungsverbot für Arbeitsmigranten in Russland – zwischen 500.000 und 700.000 Moldawier dürften in Russland arbeiten und durch ihre Löhne die moldawische Wirtschaft wesentlich stützen. EU-Emissäre und Vertreter der NATO haben in den vergangenen Monaten klar ge-


KLASSENKAMPF sagt, dass der wirtschaftliche Aspekt des Freihandelsabkommens nur eine Facette darstellt. Wichtig sei die Herstellung einer stabilen „Demokratie“ – wenn man sich die faschistisch durchsetzte ukrainische Regierung anschaut kann man sich vorstellen, was damit gemeint ist. Forts. v. S. 24 hinter sich” (so Die Zeit vom 1. August 2014), schaut die Realität anders aus. Im ersten Quartal 2014 war das Wirtschaftswachstum in Griechenland um 0,9 Prozent zurück gegangen, im 2. Quartal wegen steigender Touristenzahlen aber um 0,38 % gestiegen. Eine saisonale Zunahme wird also zum Aufschwung - und die Tatsache, dass die Griechen wieder “mehr Geld” ausgeben zum Indiz, dass die Krise überwunden wäre. In Wirklichkeit müssen die griechischen Arbeiterinnen, Arbeiter, Angestellten, Beamten, Bauern… einfach Geld ausgeben, egal ob sie es (schon) haben oder nicht, weil die Menschen bis an den Rand der Existenz “zurückgespart” wurden. “Die Zeit” streut in ihren Jubelbericht von der “griechischen Front” dann auch noch nonchalant ein, dass die Löhne und Pensionen der Griechen heuer - laut Schätzung der EU-Kommission - um 1,5 Prozent sinken werden. “Vorsicht, Aufschwung, schnell ducken”, kann man da wohl nur rufen! Während im vorigen November die Arbeitslosigkeit auf 62 % hochschnellte, kürzte die Regierung die Arbeitslosenunterstützung: Diese kann nun innerhalb von zwei Jahren für maximal fünf Monate beantragt werden und beträgt 360 Euro pro Monat. Gleichzeitig nutzte die regierende Koalition aus bürgerlicher Nea Demokratia und der “sozialdemokratischen” PASOK die Parlamentsferien, um ein lange diskutiertes “Eigen-

Und dann schwelt immer noch der Konflikt um die von Moldawien abgespaltene, aber international nicht anerkannte Region Transnistrien. Die westlichen Vorwürfe, hier habe sich eine Art Banditenrepublik gebildet, sind angesichts der Korruption innerhalb der moldawischen Lumpenbourgeoisie wohl et-

was demagogisch. Nach der Ratifizierung des Freihandelsvertrags im Parlament in Chisinau verließen die Abgeordneten der Kommunistischen Partei (PCRM) unter Protest den Saal. Die PCRM ist mit 39,34 % der Stimmen (Wahlen 2010) immerhin nach wie vor die stärkste Kraft im Land.

tumssteuergesetz” in Kraft zu setzen. Was nach Umverteilung klingt, ist in Wirklichkeit ein neuer Raubzug gegen die arbeitenden und arbeitslosen Massen in Stadt und Land: In Griechenland beträgt der Anteil an “Wohnungseigentum” 70 % und das soll nun mit Steuern von 300 - 700 Euro pro Jahr belastet werden, ebenso wie landwirtschaftliche Nutzflächen ab 1.000 (!) Quadratmetern! Während Reeder und Spekulanten ihre Vermögen sicher bei den ausländischen Banken gebunkert haben, werden die arbeitenden Klassen in den Würgegriff der Steuerpolizei genommen.

gierung sagt, dass Arbeitslose eh genug Zeit haben, sich um die Kinder zu kümmern; wie vor allem arbeitslose Frauen dann auch noch Arbeit suchen sollen ist schleierhaft.” In einigen Gemeinden haben jetzt arbeitslose Eltern gemeinsame “Solidaritätskindergruppen” eingerichtet. Die Regierung arbeitet derweil an ihrer eigenen Imagepolitur: “Jetzt denkt die Koalition darüber nach, Familien, die weniger als 4.800 Euro im Jahr zum Leben haben, eine Unterstützung zu gewähren. Klingt großzügig, wird aber kaum an viele Bedürftige ausbezahlt werden: Denn jeder, der über Wohnungs- oder Hauseigentum verfügt, bekommt nichts!”.

NEUE ANGRIFFE, NEUES ELEND “Die Arbeitsämter sollen abgeschafft und privatisiert werden”, sagt Ioanna. Tatsächlich treibt seit Jahresanfang das Zentrum für Planung und Wirtschaftsforschung KEPE solche Pläne voran. Damit verbunden ist die geplante Beseitigung des Mindestlohns von 511 Euro/Monat für junge Arbeiterinnen und Arbeiter. Gleichzeitig sollen jugendliche Arbeitslose durch Subventionen für griechische Unternehmen im Ausland (!) eben dorthin verlagert werden - ein neuer Exportartikel also: junge Arbeitslose! Auf ein weiteres Problem, das die Sparpolitik verursacht, weist Ioanna ebenfalls hin: “Heuer werden 40.000 Kinder keine Kindergartenplätze mehr haben. Es gibt sie einfach nicht mehr! Die Re-

“VORWÄRTS, NICHT VERGESSEN … die Solidarität”! Wir setzen unsere Kampagne “Helfen wir der Ameise!” fort. Ja - es ist uns bewusst, wenn wir auf die Ukraine, auf die Krim, nach Gaza, nach Lampedusa, in die Auffanglager für Sinti und Roma in Frankreich, an die Grenze zwischen USA und Mexiko, nach Nigeria, Zaire, Syrien … schauen: In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts leben wir in einer Welt, die wie noch nie in der Geschichte der Menschheit durch Seuchen, Elend, Hunger, Krieg, Verzweiflung, Vertreibung, Völkermord, ethnischen, religiösen und rassischen Fana-

tismus gekennzeichnet ist. Wir können unsere Solidarität nicht allen “Verdammten dieser Erde” gleichermaßen zuteil werden lassen - die Barbarei, die Imperialismus und kapitalistische Profitgier über den Planeten bringt, kann aber auch keine Entschuldigung dafür sein, nichts zu tun, fatalistisch zu sagen: “Hat eh alles keinen Zweck”. Wir haben uns entschlossen, unsere Energie auf die Solidarität mit den Opfern der kapitalistischen Krise in Griechenland zu konzentrieren, die von der “Ameise” betreut werden. Und ganz besonders wichtig ist uns die Hilfe für die Kinder, die To Mirmigi betreut, denn sie sind die Träger einer besseren Zukunft, die es aufzubauen gilt. To Mirmigi benötigt heuer Schul- und Lernmaterial: Hefte, Blöcke, Bleistifte, Buntstifte, Wachskreiden - was auch immer euch einfällt! Und: Nahrungsmittel! Ja, wir sind soweit, dass wir innerhalb der angeblichen “Europäischen Union” durch das Spenden von Konserven, Teigwaren, Reis, Öl, Babynahrung … Menschen vor Unterernährung, im Extremfall vor dem Verhungern, bewahren müssen. Wir werden bis Mitte September genaue Listen erstellen, was benötigt wird und sind dabei, den Transport zu organisieren. Das bezieht sich vor allem auf die Nahrungsmittel. Schulmaterial kann jederzeit gesammelt werden!

September 2014 | Nummer 20

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SOLIDARITÄT MIT DEN WERKTÄTIGEN IN GRIECHENLAND

„Was schlimm war, ist jetzt furchtbar geworden“

Die „Ameise“ braucht wieder unsere Hilfe Im vergangenen Jahr haben wir von der Gruppe Klassenkampf unter dem Slogan „Helfen wir der Ameise” eine Solidaritätskampagne mit To Mirmigi begonnen. To Mirmigi („Die Ameise“) ist eine Selbsthilfegruppe, die sich im 6. Bezirk von Athen gebildet hat, um Opfer der Krise, die das Land seit 2010 im Würgegriff hält, zu unterstützen. Denn die angebliche „Milliardenhilfe“ für Griechenland kommt nicht den Arbeitslosen, den Kindern und Jugendlichen, den Fischern oder Asylsuchenden zu Gute, sondern nur den ausländischen Banken. Es gelang uns damals, eine Spendensammlung anzustoßen, bei der wir drei Paletten mit Kleidung, hauptsächlich für Babys und Kleinkinder, sowie Decken und Windeln nach Athen befördern konnten. Die Aktivistinnen und Aktivisten von To Mirmigi haben uns damals geschrieben. dass sie hofften, dass dies der letzte Hilfskonvoi nach Athen sein würde. Dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Es war für uns klar, dass die Genossinnen und Genossen von To Mirmigi selbst nicht glauben konnten, dass sich binnen einiger Monate die Situation in

Griechenland grundlegend zum Besseren wenden würde. Aber dieser Wunsch nach einem menschenwürdigen Leben, ohne auf Spenden und solidarische Hilfe angewiesen zu sein, war Ausdruck des ungebrochenen Willens unserer griechischen Brüder und Schwestern, das Krisendiktat von EU, IWF und Weltbank abzuschütteln.

AUFSCHWUNG IN GRIECHENLAND? EIN HOHN! „Was früher schlimm war, hat sich jetzt ins Furchtbare Aktivistinnen und Aktivisten von To Mirmigi verteilen

KONTAKT

Die Gruppe Klassenkampf im Internet:

www.klassenkampf.net

Die Gruppe Klassenkampf kontaktieren:

gruppe.klassenkampf@gmail.com Unsere Postadresse: Gruppe KLASSENKAMPF Stiftgasse 8 A-1 070 Wien

Lebensmittel, Bauern bieten direkt ihre Produkte an

gedreht”, sagt uns Ioanna von To Mirmigi. „Trotz aller Probleme unterstützen wir von der ‚Ameise’ nach wie vor neue Hilgfesuchende. Wir hatten in den letzten Monaten gewaltige Probleme, Nahrungsmittel zu sammeln. Wir machen ja Infotische vor Supermärkten und bitten dort um Sachspenden. Aber die Menschen können ganz einfach immer weniger geben. Die Arbeitslosigkeit ist gewachsen, und die Unternehmer zahlen die Löhne derer, die noch Arbeit haben, ver-

spätet oder auf Raten aus”. Solidarity4all, ein von der linksreformistischen SYRIZA kontrolliertes Netzwerk, spendete der ‘Ameise” eine LKW-Ladung mit Lebensmitteln, damit über den Sommer wenigstens eine Grundversorgung möglich wäre. Und die ist bitter notwendig: Während Gläubigerbanken neue Auszahlungen aus der sogenannten „Griechenlandhilfe” der Troika bekommen und die „Intelligenzblätter” des deutschen Bürgertums jubeln: „Griechenland lässt Rezession


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