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NEUE BAHN
Verkehr | 27. August 2021 | Nr. 31-35
LUNGHAMMER – TU GRAZ
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Im Projekt wird an einer virtuellen Plattform gearbeitet, mit der neue Szenarien und Entwicklungen im Bahnsektor unter Betriebs- und Umwelteinwirkungen simuliert werden können. Neben dem RCRS-Konsortium sind weitere Partner aus Wissenschaft und Industrie an Bord, wie etwa die TU Wien, die TU München, die Wiener Linien oder Plasser & Theurer, um nur einige zu nennen.
Elementare Entscheidungsgrundlagen
Mit der Bahn gegen den Klimawandel Für Mark Topal-Gökcell, CTO bei den ÖBB, steht fest: Der Klimawandel stellt eine große Bedrohung dar, und eine Antwort im Verkehrsbereich zur Bewältigung dieser Bedrohung ist die Bahn. Deren Wachstum müsse mit allen Kräften mit Unterstützung aus Wirtschaft, Politik sowie Forschung und Lehre massiv vorangetrieben werden. Beim System Bahn kommt es auf die Interaktion zwischen Fahrweg und Fahrzeug an. Mit Hilfe digitaler Zwillinge des real existierenden Gesamtsystems Bahn können Simulationen und Analysen beschleunigt und Er-
Arnulf Wolfram, CEO von Siemens Mobility Austria. Dank Digitalisierung lassen sich potenzielle Schäden an Fahrzeugen oder am Fahrweg vermeiden und Fahrzeuge vorausschauend warten.
Präsentierten gemeinsam die Forschungsinitiative Research Cluster Railway Systems (v.l.n.r.): Mark Topal-Gökceli (ÖBB), Franz Kainersdorfer (voestalpine), Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl, Jost Bernasch (Virtual Vehicle), Harald Kainz (TU Graz) und Arnulf Wolfram (Siemens Mobility Austria)
kenntnisse für die Gestaltung des Systems Bahn als Ganzes abgeleitet werden, erklärte voestalpine-Vorstand Franz Kainersdorfer. Im neuen Cluster soll gerade das passieren. Wenn es im Bahnbereich um Innovationen geht, dann müssen sie in Zukunft schneller real umsetzbar werden, man könne es sich nicht leisten, zehn Jahre zu forschen und zu testen, denn
die Bahn steht im massiven Wettbewerb gegenüber anderen Verkehrsträgern, und Lösungen müssen rasch praktisch nützlich sein.
Die Digitalisierung bringt viele Vorteile Siemens Mobility und die TU Graz pflegen seit vielen Jahren eine enge technische Zusammenarbeit, die beispielsweise
konkret sichtbar wird bei der Entwicklung neuer Drehgestelle auf Basis von Leichtbaurahmen. Diese wurden im Grazer Siemens-Werk entwickelt und kommen heute weltweit bei den Siemens-Fahrzeugen zum Einsatz. Bahnfahrzeuge sind heute längst rollende Computer, und die Digitalisierung des Bahnverkehrs bringe viele Vorteile im täglichen Betrieb, so
Virtual Vehicle hat in der Steiermark viel Kompetenz im Automotive-Bereich aufgebaut, die man jetzt in den neuen Bahncluster hineintragen will, so Jost Bernasch, CEO von Virtual Vehicle. Die Forschung des Unternehmens fokussiert sich auf die Schwerpunkte Simulation, Künstliche Intelligenz und Digital Twins. Mit deren Netzwerken lassen sich schon in der Entwicklungsphase elementare Entscheidungsgrundlagen für die Auslegung von Fahrwerksund Fahrzeugkomponenten erarbeiten. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist das Engagement von Virtual Vehicle beim EU-Projekt shift2Rail, der ersten und bislang einzigen europäischen Initiative für gezielte Forschung und Entwicklung im Bereich marktorientierter Lösungen für den Bahnbetrieb.
Auf die Nummer kommt es an TECHNOLOGIE: Die Vorteile automatisierter und standardisierter Prozesse werden von der Bahnbranche zunehmend erkannt und realisiert. Unter dem Dach von GS1 wurden gemeinsam Lösungen für mehr Transparenz im kompletten Lebenszyklus von Bahn-Bauteilen und -Komponenten entwickelt.
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weit die verwendeten Identifikationsnummern, gibt die strukturierte Darstellung der Datenelemente vor, beschäftigt sich mit den zu verwendenden Strichcodes, 2D Codes und RFID Tags und definiert den Datenübertragungsstandard.
Identifizierung Im konkreten Fall werden zur Identifizierung die Global Trade Item Number (GTIN) oder der Global Individual Asset Identifier (GIAI) verwendet. Die GTIN wird im Bahnbereich meist mit einer Seriennummer verbunden, um eine Verfolgung der einzelnen Teile zu gewährleisten. Der GIAI wiederum ist eine serialisierte Nummer für Objekte. Alle GS1Identifikationsnummern beinhalten eine GS1-Basisnummer (GS1 Company Prefix, GCP), die dem jeweiligen Unternehmen zur Selbstverwaltung von einer GS1-Organisation zugewiesen
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Einzelne Bauteile im Schienenverkehr werden oft nicht eindeutig gekennzeichnet, was die allgemeine Instandhaltung sehr erschwert. „Dazu kommt, dass diese – wenn überhaupt – nur auf völlig unterschiedliche Art und Weise gekennzeichnet werden, etwa durch Einstanzungen oder gesprühte Farbbeschichtungen“, weiß Gerald Gruber, Projektleiter bei der Standardisierungsorganisation GS1 Austria, aus langjähriger Erfahrung. Diese uneinheitlichen Methoden haben unter anderem Barrieren im Informationsfluss, intransparente Materialströme und mangelnde Rückverfolgbarkeit mit negativen Auswirkungen auf die Effizienz und die Kosten der Wertschöpfungskette im Bahnwesen zur Folge. Der Weg zur Digitalisierung führt nur über die eindeutige Identifizierung aller beteiligten Dinge, wie auch ein anderer in diesem Zusammenhang verwendeter Begriff „Internet der Dinge“ passender ausdrückt. Viele Branchen verwenden zur Identifizierung dazu das Nummerierungssystem von GS1 – so auch der Bahnbereich zur Identifikation von Bauteilen, Komponenten und Anlagegütern über den gesamten Lebenszyklus. GS1 vergibt und verwaltet welt-
wird. Gruber: „Die GS1-Basisnummer stellt die Grundlage des GS1-Systems dar und kann in der Länge zwischen sechs und elf Stellen variieren. Mit diesen Identifikationsnummern wird das physisch ausgezeichnete Teil mit den zugehörigen elektronischen Daten (Digital Twin) verknüpft.“ Ein Beispiel für eine Kennzeichnungslösung: Ein Anlagengut wird mit einem GIAI verschlüsselt. 8004 ist der Application Identifier, der das Datenelement in der Bedeutung, Struktur und Funktion beschreibt. 95070000090540000565 ist der GIAI, wobei 950700000905 die GS1-Basisnummer ist und 40000565 der serielle Objektbezug. Die dreifache Darstellung einer weltweit eindeutigen seriellen Identifikationsnummer sorgt für eine hohe Auslesesicherheit. Die im Bestand befindlichen auszuzeichnenden Teile der Bahngesellschaften werden
bei der Wartung des Zuges mit einem GIAI gekennzeichnet. Die Zulieferanten der Bahnindustrie sind daher aufgefordert, Bauteile und Komponenten mit weltweit eindeutigen Identifikationsnummern wie einer serialisierten GTIN zu kennzeichnen. Beim Austausch und der Rückverfolgbarkeit von Daten wird vermehrt auf den EPCIS-Standard gesetzt. Der GS1 EPCIS (EPC Information Service) ist ein offener Schnittstellen-Standard, der Versorgungsketten von Anfang bis zum Ende abbilden kann. Er ermöglicht eine durchgängige Transparenz und somit volle Kontrolle über sämtliche Geschäftsabläufe.
Viele Anwender Automatisierte und standardisierte Prozesse kommen bei den Bahngesellschaften gut an. „Eine eindeutige Kennzeichnung ist die Basis für die Industrie 4.0 und die vorausschauende In-
standhaltung“, erklärt Christian Gruböck, Fachbereichsleiter Mechanische Komponenten & Systeme, ÖBB-Technische Services. Bisher wurden bei den ÖBB 32.000 Laufradsätze, 4.300 Triebradsätze, 2.000 Drehgestelle und 14.000 Bremskomponenten mit einer GS1-Identifikationsnummer ausgezeichnet. Auch die Deutsche Bahn (DB) setzt in vielen Bereichen auf Digitalisierung. Eine Grundlage ist die eindeutige Identifizierung von Infrastruktur, MRO-Teilen und Zügen. Eine durchgehende Auto-ID-fähige Kennzeichnung nach GS1-Standard sollte bereits ab Herstellung erfolgen. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) setzen die mit GS1 entwickelten Standards kontinuierlich um. Auch die Industrie setzt auf das GS1-System. Im vergangenen Jahr hat Siemens Mobility beschlossen, GS1 als weltweiten Standard für Identifikation und Rückverfolgung einzusetzen. „Eine eindeutige Kennzeichnung und Rückverfolgung von spezifischen Weichenkomponenten ist von entscheidender Bedeutung für eine funktionierende, verfügbare Bahninfrastruktur“, ist auch Markus Lerchbacher, voestalpine Turnout Technology Zeltweg, überzeugt.
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