Unendlicher Turm

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Vor der Unmöglichkeit stehend, neue Denkräume entwerfend... Wenn sich eines Tages die Absolventen einer Architekturschule nicht in den Büros verwerten lassen, dann wird die Schule einen großen Schritt nach vorne gemacht haben. (Luigi Snozzi )

Hintergrund

Intervention

Wer oder was sind die Bauleitenden des sich schnell verändernden Architekturstudiums und wo führt dieser Umbau hin?

Wir fordern eine radikale (v. lat.: radix = Wurzel, Ursprung) Veränderung. Wir begnügen uns hier nicht damit, über innerstrukturelle Neuorganisation nachzudenken, um für isoliert betrachtete Systemebenen Lösungsvorschläge zu entwickeln. Es geht darum,

Technologie, Wirtschaft, Politik und Bildungsinstitutionen verändern sich rasch wobei neu entstandene Problemlagen aus diesen Entwicklungen auf lokaler bis globaler Ebene zu wenig Berücksichtigung finden. Moderne Technologien, die als Fortschritt gepriesen werden, und die immer schneller funktionierende globale Vernetzung verursachen exponentiell ansteigende Risiken. Beunruhigende Krisen mehren sich in Form von Umweltkatastrophen, durch technologische Lecks (Deep Horizon bis Fukushima), kriegerischen Interventionen in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen, (z.B. Interventionen in Kleinasien und Nordafrika) oder bezogen auf das, insgesamt infarktgefährdete, kapitalistische Wirtschaftssystem. Der Mensch steht in der heutigen Zeit, auf dem Planeten Erde lebend, vor fundamentalen - seine Lebensgrundlage betreffend - globalen Herausforderungen, die nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm oder von einigen wenigen Individuen oder Gruppierungen gelöst werden können. Die Ideologie des neoliberalen Wirtschaftssystems nach unendlichem Wachstum geht mit einem unstillbaren Hunger nach Ressourcen einher, die auf dieser Erde nur begrenzt verfügbar sind.Vergleichbar mit unkontrolliert wuchernden Krebszellen drängt dieses Prinzip hin zur völligen Ausbeutung von Mensch und Natur. Gesundheitssystem, Sozial- und Bildungssystem somit auch Universitäten erhalten eine immer knapper werdende finanzielle Basisversorgung durch den Staat. Seine Finanzmittel sind nicht zuletzt aufgrund des finanzkräftigen Umwerbens der vielversprechenden neoliberalen Bräute trotz beinahe kontinuierlichen Wirtschaftswachstums verhältnismäßig gering gestiegen. Ausgleichende und schützende Systeme wie Politik-, Sozial- und Bildungssystem stehen immer mehr unter Druck und werden dazu aufgefordert, sich dem Mandat des freien Marktes unterzuordnen. Die Schere von Arm und Reich wird größer.

Bildungssysteme verwandeln sich stärker zu Ausbildungssystemen, die verwertbares Humankapital zur Steigerung eines wirtschaftlichen Outputs bereitstellen. Freiräume der Bildung, des Ausprobierens und des kritischen Denkens, um außerhalb eines konkurrenzorientierten Systems Alternativen entwickeln zu können, werden immer mehr eingeengt. Die vorherrschenden Bedingungen erzeugen auch massiven Druck auf die Universitäten, der in Form des Bolognaprozesses und der Umsetzung des österreichischen Universitätsgesetzes 2002 seine praktische Umsetzung findet. Das Studieren muss heute effizienter, vergleichbarer und schneller voran gehen. Neben der Studierendenmobilität geht es beim Bolognaprozess auch um die Herstellung von „employability“, die in Form der Bachelorabschlüsse den Verwertbarkeitsvorstellungen der Wirtschaft entgegenkommt. Die Auswirkungen der Umstrukturierung von Studienordnungen und Prüfungsmodalitäten sind auch im Architekturstudium spürbar. Studierende haben weniger Zeit, um Auszuprobieren und Fehler zu machen oder Erfahrungen außerhalb des Studiums zu sammeln. Der Spielraum für Umwege, Zweifel oder Kritik an Inhalten des Studiums wird eng gemacht. Lange Zeit Studieren sei für das Universitätssystem nicht mehr leistbar, lautet der Grundtenor der deutschsprachigen Bildungspolitik. Das Universitätsgesetz 2002 (UG02) steht im Zeichen der Umsetzung einer neoliberalen Verwaltungsreform, die in den 1970er Jahren als „New Public Management“ in Großbritannien von der eisernen Lady des Neoliberalismus, Margaret Thatcher initiiert wurde. In öffentlichen Institutionen, wie den Universitäten, wird mit der positiv klingenden Aussicht auf Autonomie betriebswirtschaftliches Management verstärkt gefordert. Es werden Leistungsvereinbarungen getroffen, es müssen Bildungsbilanzen vorgelegt werden und Forschungsleistungen dokumentiert werden. Die sukzessive Unterwerfung von Forschung und Lehre unter konkurrenzorientierten Marktmechanismen (nach US-amerikanischen Modell) ist die Konsequenz daraus, was der weltweiten wirtschaftlichen Krisensituation entgegenkommt. Das rund 200 Jahre bestehende Vorbild der Humboldtschen Universität baut auf die Grundprinzipien der Freiheit von Forschung und Lehre und sieht gleichzeitig eine Gemeinschaft von Studierenden und Lehrenden/Forscherinnen auf Augenhöhe vor. Durch das UG02 und den Bolognaprozess werden Grundprinzipien universitärer Bildung über Bord geworfen (z.B. auch die Mitsprache von Studierendenvertre-

Die Ausrichtung des Architekturstudiums und der universitären Bildung allgemein muss im Sinne einer Gesundheit des Gesellschaftssystems viel mehr in der Verantwortung gesamtgesellschaftlicher Interessen stehen und darf sich nicht an monetär basierten, wirtschaftlichen Interessen ausrichten.

tungen beschnitten).

Die Entwicklung eines kritischen Geistes, der die Verhaftetheit seines Seins in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fallstricken reflektieren kann, braucht Zeit und somit auch studienstrukturelle Freiräume mit finanzieller Absicherung. Das zu frühe Einspannen junger Menschen in ökonomisch rationale Strukturiertheit, die sich im Studium der Architektur immer mehr durchsetzt, beschränkt die Fähigkeit der Menschen außerhalb von Verwertungszwecken des Wirtschaftssystems zu denken. Der Raum und die Zeit für das Entwerfen alternativer Modelle, Konzepte und Ideen fehlen. In Anbetracht komplexer gesellschaftlicher, umweltökonomischer und globaler Herausforderungen ist jedoch die Notwendigkeit des freien Raumes für die Entwicklung kritischer und wacher Menschen dringlicher als je zuvor. Die Menschheit bewegt sich mit der derzeitigen Ausrichtung ihrer Zivilisation auf eine Kippe zu, die mehr als je zuvor die Möglichkeit eines globalen Kollapses beinhaltet. Nachhaltige Gegenmaßnahmen, sprich Handlungen, gegen die rücksichtslose Ausbeutung von Natur und Mensch bleiben aus.

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dass eine materialistisch, konsumorientierte Gesellschaft sich vor der Konfrontation ihres Tuns, ihrer Unterstützung des vorherrschenden, fatalistisch dominierenden Wirtschaftssystems, nicht mehr drücken kann. Dieser Wirtschaftswahnsinn muss aufhören. Untätig zuschauen bis es zu spät ist, ist für uns keine Option. Das menschliche Verhalten, durch „aus den Augen aus dem Sinn“ Probleme zu vergessen und zu verdrängen darf nicht mehr funktionieren.

Ein unendlicher Turm – auf dem Dach des Architekturstudiums – hält den Menschen einen Spiegel der Möglichkeit ihres unausweichlichen Kollapses vor Augen. Der unendliche Turm soll unerreichbar als die unschlagbare Superlative seiner Art in die Höhe ragen. Er wird einem neoliberalen Riesen gleichen, der nicht aufhört, Hunger zu haben. Das Bauprojekt verschlingt unendlich viele Ressourcen. Er bringt die Umstände des ökonomischen Ausrichtung mit dem Streben nach unendlichem Wachstum klar zum Vorschein. Die Menschen, die dieses Bauprojekt mit verfolgen, lehnen sich zuerst gegen das widersinnige Vorhaben auf. Der Turm wird das Zentrum von heftigen Protesten und zu einem zentralen Versammlungspunkt, der Menschen aus verschiedenen Ländern und Regionen der Welt anzieht. Der Turmbau geht trotz dieses Widerstandes gegen seine Realisierung weiter. Mit zunehmender Größe steigt die Antizipation der Gefahr, der nicht unendlich bezwingbaren Gravitationskraft. Mit wachsender Höhe des unendlich aufstrebenden Turms kommt in der Bevölkerung neben Protest und Widerstandsbewegungen auch die Furcht auf, dass der Turm unkontrolliert umstürzt. Jeder und Jede ist von der Gefahr betroffen, da weder die Richtung des Umsturzes, noch die Ausmaße und Reichweite der Zerstörung eingeschätzt werden können. Der Turm ist in dieser Phase zu einem ständig präsenten Monument geworden, das über Landesgrenzen hinweg sichtbar ist. Die Radikalität des Baus und seine Unhaltbarkeit werden weltweit thematisiert. Die Menschen können sich der Konfrontation des vertikal aufstrebenden Baus nicht entziehen. Die Macht und Kraft der Architektur liegt in der existentiellen Rührung des Menschen, der er in der Wahrnehmung unterworfen ist und die er nur zu einem Bruchteil in verbalisierter Form explizieren kann. Durch diese Kraft findet ein Erkenntnisprozess und eine Erweiterung des Bewusstseins statt. Diskussionen und Wahrnehmungen des monumentalen Werkes beginnen sich zu

Die Analogie des unendlichen Turms zur unendlichen Verschwendung des Wirtschaftssystems kommt im Denken der Menschen an. Die materialisierte

verändern.

Vergegenwärtigung des wahnsinnigen Tuns, das auf nachfolgende Generationen keine Rücksicht nimmt, mündet in ein Umdenken. Die Menschen verstehen, dass der Turm die Verschwendung repräsentiert, die auf dem gesamten Planeten ohne große Proteste in den vergangenen Jahrzehnten permanent passiert ist. Dieser Bewusstwerdungsprozess wandelt die Menschen in ihrer Haltung, die gegen den Turm gerichtet war. Sie sehen, dass sie im Grunde gegen sinnlose Verschwendung gekämpft haben. Dass sie gegen eine selbstverherrlichende Phallusarchitektur sind, die über ein kurzsichtiges Prestigedenken nicht hinausgeht. Dass dieser unendliche Turm in der Lage ist, den Spiegel vorzuhalten: ein vertikal aufstrebendes Monstrum, das ihren wirtschaftlich dominierten Gesellschaften gleicht und nur ein unvorstellbares Ausmaß an Zerstörung zur Folge haben kann. Der Turm wird zum Symbol des Wandels, weg vom Monument eines äußeren Zustandes, hin zum Zeichen der dem Leben und der Gesellschaft innewohnenden Monumentalität. Er wird zum Zentrum eines fieberhaften Arbeitens an neuen Schulen der Politik Ökonomie, Bildung und Ausbildung, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Etablierung von sozialer Gerechtigkeit usw. Der unendliche Turm zieht Menschen mit unterschiedlichen Berufen, aus verschiedenen unterschiedlichen sozialen Schichten und Regionen an, die angesteckt werden vom Drang, aus ihrer Ohnmachtshaltung auszusteigen und sich aktiv an einer Bewältigung dieser durch den Turm symbolisierten, eklatanten Krise zu beteiligen. Der Druck, der auf der alten Schule der Architektur gelastet hat, wird durch die direkte Bewusstwerdung der Unterworfenheit unter wirtschaftliches Diktat, sicht-

Der Realisationsprozess führt zur Öffnung für alternative Ideen, die in die Gründung einer neuen Schule der Architektur münden. Die neue freie Schule öffnet bar.

sich den Interessen von unterschiedlichen Menschengruppen und ist nicht mehr primär von kapitalträchtigen Einzelpersonen und Institutionen bestimmt.

Die Vielfalt der Möglichkeiten Architektur zu denken, nimmt explosionsartig zu. Das große Umdenken der Menschen hat eine Befreiung aus einem kollektiven, kapitalistisch überformten Bewusstsein zur Folge, was plötzlich ungeahnte Handlungsmöglichkeiten zur Lösung von Problemen zulässt. Für die Architektur bedeutet es, dass sich Projekte, Utopien und Visionen realisieren lassen, und es zu schichtunspezifischen Revolutionen in der Schaffung von Stadt-, Wohn-, Erholungs-, Kulturräumen usw. kommt. Der unendliche Turm wird zum Ort der Hoffnung für eine angstfreie Zukunft der Menschen, in der die Menschen eine Sicherung ihrer Existenzbedürfnisse erfahren und darüber hinaus ein globales Verantwortungsbewusstsein aufbauen und einem vernünftigen, selbstbestimmten Leben nachgehen können. Architektur einmal mehr als kultureller Akt, als Ausdruck und Impuls der Veränderung, einer zu neuen Zielen aufbrechenden Menschheit.


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