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unabhängig, überparteilich, legal Ausgabe Unser Eckthema dreht sich diesmal um Menschen in Not. Sie sind allesamt zur Behandlung schwerer Erkrankungen auf Cannabis angewiesen, da eine Behandlung mit konventionellen Medikamenten unzureichend oder mit schweren bis hin zu tödlich verlaufenden Nebenwirkungen verbunden ist. Da auch Not leidende Menschen hierzulande deshalb von den Behörden verfolgt und kriminalisiert werden, kann ein Teil der Fälle nur anonymisiert vorgestellt werden. Jeder einzelne Fall ist jedoch sorgfältig recherchiert und existiert real.

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Freispruch für 900 Gramm Cannabis

Text: Michael Knodt

Immer mehr deutsche Gerichte haben, im Gegensatz zu Politikern und Ministerien, Verständnis für die Notlage kranker Menschen, die die Symtome ihrer Krankheit mit Cannabisprodukten lindern. Die Polizei hatte vor mittlerweile fünf Jahren bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Peter S. sowohl mehr als 900 Gramm Cannabispflanzenteile und Haschisch beschlagnahmt als auch seine Cannabiszucht zerstört. Im folgenden Strafverfahren vor dem Amtsgericht im Jahr 2004 wurde ihm unerlaubter Besitz, Anbau und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen und seitens der Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe beantragt. Peter S. erklärte von Anfang an, die Pflanzen ausschließlich zur Eigentherapie aufgrund seiner HIV- Infektion, seiner Hepatitis C Erkrankung, einer Polyneuropathie (Nervenentzündung) sowie einer Bauchspeicheldrüsenerkrankung zu züchten und zu nutzen. Er verwende zur Linderung der aus der Vielzahl der Erkrankungen erwachsenden Schmerzen und zur Verhinderung von Muskelkrämpfen bis zu acht Gramm Cannabis täglich .Sein behandelnder Arzt sowie ein unabhängiger Sachverständiger konnten die Einlassungen des Angeklagten und den therapeutischen Nutzen einer Behandlung mit Cannabis beim vorliegenden Krankheitsbild bestätigten. Schon damals konnte das Amtsgericht dieser Argumentation folgen und sprach Peter S. frei. Die Staatsanwaltschaft ging insgesamt drei mal in Revision und Berufung und forderte beim letzten Prozess Ende September 2007 erneut fünf Monate Haft, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden sollten. Nun ist es nach über vierjährigem Prozessmarathon amtlich: Der Richter und die beiden Schöffen folgten dem Antrag nicht, sondern lehnten die Berufung ab: An der grundlegenden Strafbarkeit des Anbaus und Besitzes von Cannabis ändere seine Lage zwar nichts, jedoch sei das Verhalten des Peter S. in diesem Fall nicht rechtswidrig, weil er sich in einer Situation „rechtfertigenden Notstands“ nach §34 Strafgesetzbuch (StGB) befinde. Zur Behandlung der aus seinem Krankheitsbild resultierenden Schmerzen stehe ihm kein anderes geeignetes Mittel zur Verfügung. Weil sein Leben ohne die illegale Cannabistherapie massiv gefährdet sei, müsse das Gericht Peter S. freisprechen.

wendung wurde Ende August zwar bundesweit das erste Mal genehmigt, jedoch gibt es über dieses Mittel weder Gutachten noch Studien, die sich auf Wirksamkeit und Verträglichkeit beziehen. Zwar gibt es für selbstgezüchtete Hanfblüten auch keine wissenschaftlichen Studien, die den Ansprüchen unserer Gesetzgeber genügen, aber selbst RichterInnen können mittlerweile verstehen, dass positive Erfahrungen seitens der PatientInnen höher zu bewerten sind und einen Notstand rechtfertigen. Ein Berliner Gericht spricht einen Morbus Crohn - Kranken frei, dem es gelingt nachzuweisen, dass sich sein Gesundheitszustand unter Anwendung von Cannabis deutlich verbessert. Ein Gericht in Thüringen verurteilt eine durch einen ärztlichen Kunstfehler zu unerträglichen Schmerzen verdammte Frau zur kleinstmöglichen Geldstrafe auf Bewährung, nachdem diese versuchsweise Cannabis angepflanzt - und sich selbst angezeigt hatte, um darauf aufmerksam zu machen, dass ihr die Kosten für das Medikament Dronabinol (synthetisch gewonnenes THC) nicht von der zuständigen Krankenkasse (AOK) erstattet werden. In Mannheim muss die Polizei beschlagnahmtes Cannabis an einen MS- Patienten zurückgeben.

Landgericht Berlin beendet fünfjährigen Rechtstreit

Dieses Urteil muss für das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ( BfArM) wie eine Ohrfeige wirken. Die Behörde weigert sich trotz anders lautendem Urteil des Bundesgerichthofes, nunmehr seit über zwei Jahren, Genehmigungen zur Versorgung mit medizinischem Cannabis zu erstellen (Hanf Journal 09/07). Im Gegenteil – die dem Gesundheitsministerium untergeordnete Behörde versucht sogar bei PatientInnen, bei denen die Situation „rechtfertigenden Notstands“ nach §34 Strafgesetzbuch (StGB) vorliegt, dieses Recht mit merkwürdigen Praktiken zu verhindern. Die Auflagen sind im Prinzip nicht erfüllbar, schafft das ein/e PatientIn irgendwie doch, sucht sich das BfArM eine neue Finte, die Verwendung von Hanfblüten zu verhindern. Diesmal: Das medizinische Cannabisextrakt. Die An-

Die eigentliche Aufgabe des BfarM wäre es, diesen gerechtfertigten Notstand, sofern er nachgewiesen ist, zu legalisieren. Stattdessen versuchten Dr. Schinkel und seine Glaubensbrüder- und Schwestern alles Menschenmögliche, die medizinische Verwendung von Hanfblüten zu verschleppen und die PatientInnen durch immer neue Hürden von ihrer Antragstellung abzubringen.

Mehr zum Thema: http://hanfverband.de/themen/warum_hanf.html#nr_17 http://www.selbsthilfenetzwerk-cannabis-medizin.de/ http://hanfverband.de/aktuell/meldung_1190301035.html

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Drogentests sind nicht unbedingt das Maß aller Dinge − ihre Aussagekraft lässt auch trotz angeblich hochmoderner und genauster Messmethoden oft zu wünschen übrig. Mehr dazu erfahrt ihr im ersten Teil unserer dreiteiligen Serie von Dr. Franjo Grotenhermen auf Seite 4.

www.hanfjournal.de

Ein psychoaktiver Tag in Dahlem Am 29. und 30. September 2007 fand ein äusserst interessanter Kongress zur Bewußtseinsforschung im großen Hörsaal und den Seminarräumen des Botanischen Museums im Botanischen Garten der Freien Universität Berlin in BerlinDahlem statt. Die „Entheovision“ befasste sich mit Themen rund um bewußtseinsändernde Pflanzen und Substanzen, also mit Betrachtungen zu Botanik, Psychologie, Ethnologie, Politik, Kunst und Pharmakologie. Der Gesamtrahmen des Kongresses richtete sich an privat oder hauptberuflich mit dem Thema befasste Personen (freie Forscher, Forscher ohne Budget, Drittmittelforscher, Laien, Fachhändler für Entheobotanik, drogenpolitisch Tätige, Personal von Drogenberatungsstellen, ...). Explizit angesprochen wurden Ärzte und anderes medizinisches Personal, welche mit den Auswirkungen fehlenden Wissens bei Patienten im Drogenbereich letztlich zu kämpfen haben (Suchtproblematik, soziale Probleme, psychologische Probleme). Die Vorträge von Referenten wie Dr. Jochen Gartz, Tibor Harrach, Werner Pieper, Julia Seeliger, Frank Fuchs, Steffen Geyer, Jan W. Heising, Dr. Torsten Passie, Hans-Georg Schaaf und Micky Remann waren sowohl für einen Zuhörer mit oberflächlicheren Fachkenntnissen als auch für einen fachlich weit eingearbeiteten Wissenschaftler lehrreich, und wir sprachen mit Hartwin Rohde über seine Veranstaltung. Hans Cousto, Sachbuchautor und Mitbegründer von Eve & Rave, erläuterte uns die Informationspolitik des Kokains, da bei dieser psychotropen Substanz die Informationslage zu juristischen Schritten gegen Händler im Verhältnis zur Konsummenge erstaunlich dünn ist und die Datenlagen zu Konsumprävalenzen äußerst widersprüchlich sind. Man Mohan stellte uns das Berufsbild eines Schamanen in der westlichen Welt dar, um die verzerrten Wahrnehmungen des christlichen als auch des hinduistischen Terminus auf verständliche Weise zu korrigieren, und Dr. Joachim Eul, Mykologe, Biochemiker und Mitgründer der AG Drogen Berlin sprach mit uns über das Risikoverhalten im Sexualleben unter Drogeneinfluss. Dieses Gespräch war natürlich so anregend, dass ein Gläschen Absinth zum Abschluss genau das richtige war, um diesen inhaltsreichen Tag in Dahlem angemessen abzurunden. Durch die Zeremonie führte uns Roger Liggenstorfer aus der Schweiz, und „die grüne Fee“ war mild und magisch. Unsere aufschlussreichen, exzessiven Interviews werden bald on air gehen, so dass für weitere Eindrücke unserer Entheovisionen gesorgt ist. Weitere Informationen unter: www.entheovision.de www.eve-rave.net/abfahrer/presse/presse07-09-10.pdf Text: Roland Grieshammer


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