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Behlül & Cannabis
Text: Dieter Klaus Glasmann
Eine Reise durch Medizin und Misshandlung Misshandlung
Allein den vielseitigen medizinischen Potenzialen ist geschuldet, dass man die Einsatzgebiete für Cannabis als Medikament kaum zählen kann. Deswegen gibt es ihn nicht, den typischen Cannabispatienten. Der eine leidet unter körperlichen Beschwerden, der andere an psychischen Störungen, und auch innerhalb dieser beiden Kategorien gibt es jeweils eine ganze Liste von Diagnosen, für die eine Behandlung mit medizinischem Cannabis infrage kommt.
Aber bei all den vielen Unterschieden gibt es neben dem Medikament doch noch eine weitere Sache, die die meisten Cannabispatienten gemeinsam haben: Eine interessante Hintergrundgeschichte mit Höhen und Tiefen. Ob es die Suche nach dem Arzt war, die Auseinandersetzung mit der Krankenkasse oder die Stigmatisierung durch das Umfeld, wer Cannabis als Medizin erhält, hat meistens einen schwierigen Weg hinter sich und wird im Alltag immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen man sich als Außenseiter oder gar als Krimineller fühlen muss.
Obwohl solche Erfahrungen schon für Patienten in Deutschland nicht außergewöhnlich sind, gibt es auch Länder, in welchen die Situation noch um einiges problematischer ist. In einer Podcastepisode auf dem YouTube-Kanal von Vince and Weed erzählt der Cannabispatient, und Unternehmer Behlül Darakci von seinen Erlebnissen, die selbst für Patienten, die hierzulande einiges mitmachen mussten, außergewöhnlich und zum Teil schockierend sein dürften.
Not-Op wegen Loch in der Lunge
Behlül ist seit einigen Jahren Patient mit chronischen Schmerzen. Weiterhin leidet Behlül auch an ADHS, was ihn aber vermutlich weniger belastet als seine Beschwerden mit der Lunge. Er erlitt einen Spontanpneumothorax, ein Ereignis, bei dem ohne Vorwarnung oder ersichtlichen Grund Lungenbläschen platzen und Luft in den Pleuraspalt eindringen kann. Umgangssprachlich spricht man hier von einem Loch in der Lunge. Bei einer Fahrradtour traten vom einen auf den nächsten Moment Schmerzen auf, die mit Seitenstechen vergleichbar sind. Da die Schmerzen und auch Schweißausbrüche aber ohne viel Anstrengung ausgelöst wurden, begriff Behlül recht schnell, dass hier etwas nicht stimmte. Dann brach er zusammen und wachte erst im Krankenwagen wieder auf, der ihn in die Klinik brachte, wo er schließlich notoperiert wurde.
Starke Medikamente, schwere Nebenwirkungen
Viele Menschen, die Behlül heute kennenlernen, fragen, wie sich das verträgt, dass er mit einer lädierten und nur noch teilweise vorhandenen Lunge Cannabis als Medizin verwendet. Ein Teil der Lunge musste in einem operativen Eingriff entfernt werden. Natürlich weiß er, dass Rauchen für ihn nicht die optimale Applikation ist und es ist ihm bereits gelungen, sich vom Tabak zu verabschieden. Für die Zukunft will er versuchen, verstärkt zum Vaporizer zu greifen, da dies die wesentlich schonendere Anwendung ist. Trotzdem konnte er durch Cannabis bereits sein Asthmaspray absetzen und die Pflanze hilft sowohl bei den Schmerzen, lässt ihn entspannter atmen und lindert auch die ADHS Symptome.
Nach seinen Aufenthalten in Krankenhäusern und den Operationen wurde Behlül natürlich auch mit Medikamenten behandelt, darunter auch sehr starke Opiate und dergleichen. Die Nebenwirkungen machten es ihm schwer und oft auch unmöglich, am Leben teilzuhaben.
Schon kleine Spaziergänge brachten ihn an seine Grenzen, er fühlte sich kurzatmig, schwach und litt ständig an starken Schmerzen. Für einen Menschen wie Behlül, der immer aktiv und sportlich war, ist es natürlich deprimierend, wenn schon das Überwinden von zwei Stockwerken zu Fuß Schwierigkeiten bereitet. Auch in Momenten, als die Eingriffe an der Lunge bereits zwei oder drei Jahre zurücklagen, fühlte er sich noch wie frisch operiert. Bei 1,78 Meter Körpergröße wog er gerade noch knapp 60 Kilogramm und rechnete schon damit, bald bettlägrig zu sein. Doch eines Tages fand Behlül zu Cannabis als Medizin.
Langer Weg zur Cannabistherapie
Da Behlül im schönen, aber konservativen Bayern zu Hause ist, gestaltet sich die Suche nach einem Arzt dort etwas schwieriger als im Rest der Republik. Da aber auch der bayrische Schwarzmarkt wenig Brauchbares anzubieten hat, ist dieser keine Option als Ersatz für Cannabis als Medizin. Nachdem Behlül seinen Arzt gefunden hatte, begann für ihn, wie für viele Patienten, der Kampf mit der Krankenversicherung um die Kostenübernahme seiner Cannabistherapie. Die Kasse wollte ihm diese nicht gewähren, obwohl er längst als austherapiert galt und vergebens alles ausprobiert hatte, was die Pharmaindustrie anzubieten hatte. Nachdem er sich seine
Kostenübernahme erkämpft hatte, hatte er dann wiederum zeitweise keinen verschreibenden Arzt mehr, da der bisherige in den Ruhestand gegangen war.
Bei Cannabis ist Bayern Ausland
Auch mit einer Kostenübernahme für die Behandlung mit medizinischem Cannabis ist das Leben als Cannabispatient in Bayern nicht ganz so einfach. Die Vorurteile sind dort noch sehr präsent und auch die Behörden haben sich längst noch nicht vollumfänglich auf die Legalität und Rechtmäßigkeit von Cannabismedikamenten eingestellt. Wie Behlül im Gespräch mit Vince betont, ist Bayern bezüglich Cannabis schlicht und einfach Ausland. In seiner Vergangenheit ist Behlül das eine oder andere Mal mit kleineren Konsummengen Cannabis auffällig geworden, und schon die Sanktionen verraten das Bundesland, in dem die Strafen verhängt wurden.
Für Mengen um die zwei Gramm bekommt man wohl nur in Bayern eine 24-monatige Bewährungsstrafe. In der Bewährungszeit mit 0,9 Gramm erwischt zu werden, bescherte ihm dann sogar tatsächlich neun Monate im Gefängnis. Der beschwerliche Weg mit den vielen problematischen Erfahrungen und die Liebe und Überzeugung für die Pflanze brachten Behlül nicht nur dazu, anderen Pa- tienten zu helfen, er ist mit Magicanna mittlerweile auch als Unternehmer in der CBD-Branche aktiv.
Mit Cannabis auf Reisen
Wer als Cannabispatient mit seinem Medikament reisen will, muss entsprechende Vorkehrungen treffen. Das sogenannte Schengen-Dokument wird vom Arzt ausgefüllt und vom Gesundheitsamt abgestempelt, dann ist das Reisen mit Medizinalcannabis möglich, begrenzt auf eben den Schengenraum. Will man andere Länder besuchen, so muss man sich mit den rechtlichen Möglichkeiten und Anforderungen beschäftigen, gegebenenfalls mit den Behörden oder dem Konsulat Kontakt aufnehmen.
Behlül wollte mit seiner Partnerin nach Hurghada, Ägypten, reisen, wo das Schengen-Dokument offiziell eigentlich nicht gilt und wo auch ein etwas strikteres Cannabisverbot herrscht. Er hatte sich zuvor mit dem Konsulat in Verbindung gesetzt, um sich zu versichern, dass er mit seinen Cannabismedikamenten dorthin reisen kann. Das Konsulat bestätigte via E-Mail, dass dies möglich ist, insofern er das Schengen-Dokument in deutscher und auch in englischer Sprache mit sich führt. Die Einreise mit etwa 40 Gramm Cannabis verlief auch recht unproblematisch. Auf die Nachfrage des Grenzbeamten am Flughafen, ob er etwas Illegales bei sich hatte, zeigte Behlül seine Medikamente samt der vom Konsulat geforderten Dokumente vor. Nach kurzer skeptischer Begutachtung der vorgelegten Dinge winkte der augenscheinlich etwas überforderte Beamte Behlül mit seiner Medikation durch. Der Versuch der Ausreise sollte dann aber weniger unproblematisch werden.
Ausreise: Die Reste werden zum Verhängnis
Auf dem Weg nach Hause wurden bei den Security-Checks am ägyptischen Flughafen vorgedrehte Joints und ein kleiner Rest Cannabis im Rucksack von Behlül gefunden. Ab diesem Moment nahm die Reise für ihn eine dramatische Wendung. Seine Partnerin wurde gezwungen, ins Flugzeug zu steigen, ihn aber behielten sie dort. Versuche, die Situation aufzuklären und auf die Dokumente zu verweisen, schlugen fehl, die Beamten dachten, er würde einfach Drogen schmuggeln. Über Nacht wurde Behlül am Flughafen festgehalten, bis er erreichen konnte, dass er dort eine Ärztin aufsuchen durfte. Er wurde behandelt und er konnte sich mit ihr verständigen.
Er erklärte ihr die Lage und hatte den Eindruck, sie verstand ihn und könnte ihm nun helfen, nach Hause fliegen zu dürfen. Stattdessen wurde er aber in einen Gefangenentransport gesteckt und auf eine Wache gebracht. Er wurde dort als Straftäter registriert, mit Fotos und Fingerabdrücken, und schließlich ins Gefängnis von Hurghada überführt. Dass dieses nicht den Standards einer deutschen Justizvollzugsanstalt entspricht, kann man sich wahrscheinlich vorstellen. Behlül hat die erbärmlichen Zustände im Podcast mit Vince sehr eindrücklich beschreiben können, von den überfüllten, altertümlichen Zellen bis zur notdürftigen und rückständigen Toilette. Aufgrund der heftigen Situation und auch seines schlechten Gesundheitszustands glaubte Behlül zeitweise, dass er dieses Gefängnis nicht mehr lebend verlassen würde.
Der Einsatz der Freunde bringt Behlül nach Hause
Während Behlül im ägyptischen Gefängnis festsaß, kam seine Freundin in Deutschland an und hatte die türkische Botschaft verständigt (Behlül besitzt die türkische Staatsbürgerschaft). Außerdem kontaktierte sie einen engen Freund, der ermöglichen konnte, dass in Hurghada einen Anwalt vor Ort organisiert werden kann und Behlül einen Draht zur Außenwelt hatte, sodass er unter anderem frisches Wasser und Essen ins Gefängnis bekam. Durch Zahlung einer hohen Kaution wurde Behlül schließlich nach sechs Tagen aus der Anstalt entlassen und konnte durch die Hilfe einiger besonderer Menschen nach Hause fliegen. Noch bis zum Flugzeug musste er Handschellen tragen, was selbstverständlich einige weniger freundliche Blicke der anderen Passagiere zur Folge hatte, dennoch war Behlül glücklich, endlich wieder nach Hause zu können.
Nach Ägypten würde er nach diesen Erfahrungen wahrscheinlich kein Cannabis mehr mitnehmen. Wenn Du mehr Einzelheiten zu dieser außergewöhnlichen Geschichte erfahren möchtest, findest Du das Podcast-Video auf dem YouTube-Kanal von Vince and Weed. Den zweiten Teil von Behlüls Reisen als Cannabispatient gibt es dann in der kommenden Ausgabe des Hanf Magazin.