Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum Institut fßr Landschaft und Freiraum (Hrsg.)
Impressum Herausgeberin Institut für Landschaft und Freiraum (ILF) HSR Hochschule für Technik Rapperswil Oberseestrasse 10, CH-8640 Rapperswil ilf@hsr.ch Redaktion und Lektorat Dominik Siegrist, Ursina Liembd Für die Inhalte der Beiträge sind die einzelnen Autorinnen und Autoren verantwortlich. Autorinnen und Autoren Raphael Angehrn, Marco Bertschinger, Stefan Böhi, Roger Bräm, Andrea Cejka, Hansjörg Gadient, Marcel Hunziker, Susanne Karn, Harry Keel, Lea Ketterer Bonnelame, Joachim Kleiner, Christoph Küffer, Ursina Liembd, Thomas Oesch, Simon Orga, Susanne Schellenberger, Dominik Siegrist, Hans-Michael Schmitt, Wulf Tessin, Sophie von Schwerin Layout Cédéric Dubois, Mike Forrer Korrektorat Barbara Siegrist Zitiervorschlag Institut für Landschaft und Freiraum (Hrsg.)(2016). Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum. HSR Hochschule für Technik Rapperswil. Redaktion Dominik Siegrist, Ursina Liembd. Mit Beiträgen von Raphael Angehrn, Marco Bertschinger, Stefan Böhi, Roger Bräm, Andrea Cejka, Hansjörg Gadient, Marcel Hunziker, Susanne Karn, Harry Keel, Lea Ketterer Bonnelame, Joachim Kleiner, Christoph Küffer, Ursina Liembd, Thomas Oesch, Simon Orga, Susanne Schellenberger, Dominik Siegrist, Hans-Michael Schmitt, Wulf Tessin, Sophie von Schwerin. Bern: Haupt Verlag. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07983-7 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2016 Haupt Bern. Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlags ist unzulässig. Gedruckt in Österreich
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Coverbild: Roger Bräm
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Vorwort
Vorwort Dieses Buch, das vom Institut für Landschaft und Freiraum an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil herausgegeben wird, weist auf zwei sehr aktuelle Diskussionen in der Fachwelt von Landschaftsarchitektinnen, Raumplanern, Geografen, Architektinnen und Stadtplanern hin: Was macht Landschaftsqualität aus? Was ist das Besondere am urbanen und periurbanen Raum, dass er im Fokus der Betrachtung steht? Spätestens seit den Diskussionen um die Revision des Raumplanungsgesetzes, um die Zweitwohnungsinitiative und um die Ausrichtung der Agrarpolitik ist das Thema Landschaft und welche Bedeutung sie für die Schweizer Bevölkerung hat stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In der Werbung und in den Prospekten wird gern das heile Bild einer Schweiz mit Bergen, fein und harmonisch strukturierten Landschaften, mit Kühen und einzelnen Hütten als Bebauung bemüht. Doch dieses immer wieder bediente Klischee täuscht darüber hinweg, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Mittelland, also im urbanen und periurbanen Raum wohnt und lebt. Die Sehnsucht nach einer schönen, abwechslungsreichen Landschaft, die Erlebnisse mit und in der Natur sowie Raum zum kontemplativen Erholen und für Freizeitaktivitäten verspricht, bleibt bestehen. Zurzeit beobachten wir eine rasante Veränderung der Landschaft, insbesondere im Mittelland: die Zersiedlung der unbebauten Landschaft durch das Ausdehnen der Siedlungsfläche. Ortschaften wachsen zusammen, Grenzen und Ortsränder verschwinden, neue Siedlungen stehen wie Fremdkörper in der Landschaft, eine Einbindung in den landschaftlichen Kontext hat nicht stattgefunden. Harte Siedlungsränder stossen auf harmonisch wirkende ländliche (oder unbebaute) Landschaftsräume. Über welche Qualitäten müssen Landschaften in urbanen und periurbanen Räumen verfügen, welche Funktionen müssen sie erfüllen und wie können sie entwickelt werden? Wie sollen die Landschaften der Zukunft aussehen? Zur Beantwortung dieser Fragen leistet dieses Buch einen informativen und inspirierenden Beitrag. Es ist gut, dass sich die Fachleute zu Wort melden. Einen Diskurs für und über die Qualitäten von Landschaften zu führen, ist ein wichtiges und relevantes Anliegen. Es ist wesentlich, dass ausgelotet wird, wie die Landschaften der Zukunft entwickelt, geplant und gestaltet werden können, und dass dabei auch die Chancen aufgezeigt werden. Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten sowie Fachleute aus verwandten Disziplinen breiten die Grundlagen für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema aus. Sie gehen von einem umfassenden Landschaftsbegriff aus, der auch dem Landschaftskonzept Schweiz zugrunde liegt. Die Darlegung dieser Grundlagen zum Thema Landschaftsqualitäten in urbanen und periurbanen Räumen wird durch anschauliche Fallbeispiele illustriert und weiterentwickelt. Diese Fallbeispiele widerspiegeln die Erfahrungen, welche die Autorinnen und Autoren in der Praxis gemacht haben, und beleuchten unterschiedliche Lösungsansätze, um dem Thema Landschaft mehr Gewicht zu geben.
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Die verschiedenen Beiträge in diesem Buch zeigen nicht nur die Breite der Disziplin Landschaftsarchitektur und ihrer Zugänge auf, sondern sie machen auch deutlich, dass Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten interdisziplinär und transdisziplinär arbeiten und bei ihren Arbeiten immer den eindeutigen Anwendungsbezug vor Augen haben. Die Beiträge illustrieren die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Facetten eindrücklich und geben vielfältige Denkanstösse für zukünftige Aufgaben. Dadurch leisten sie einen Beitrag für qualitätsvolle urbane und periurbane Räume und damit letztendlich für wertvolle und attraktive Landschaften. Der Leserin, dem Leser dieses Buches wünsche ich viele spannende Einblicke und Anregungen zum Mehren der eigenen Erkenntnisse sowie Anstösse für weiterführende Diskussionen.
Margit Mönnecke Prorektorin HSR Hochschule für Technik Rapperswil
Vorwort
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................................. 3 Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum (Dominik Siegrist, Susanne Karn, Christoph Küffer, Thomas Oesch) ........................................................................................... 6 Angenehme Qualität als Ziel von Landschaftsarchitektur (Wulf Tessin) .................................. 10 Beurteilung der Landschaft durch die Bevölkerung – theoretische Grundlagen und empirische Beispiele (Marcel Hunziker) ................................................................................. 17 Landschaft 21 – die Landschaft der Zukunft entwickeln, planen und gestalten (Hans-Michael Schmitt) .................................................................................. 25 Freiräume – nicht von selbst und nicht umsonst – Qualität der Alltagslandschaft in Schweizer Agglomerationsgemeinden (Susanne Karn) ........................... 41 Siedlungsrandgestaltung – eine Standortbestimmung (Joachim Kleiner, Stefan Böhi, Susanne Schellenberger) ..................................................................................................... 52 Biodiversität wagen – neue Ansätze für den Naturschutz im Zeitalter des Anthropozäns (Christoph Küffer) ............................................................................................................... 72 Wildheit und Gestaltung (Andrea Cejka) ............................................................................. 86 Ansprüche von Erholungssuchenden an landwirtschaftliche Bauten in empfindlichen Landschaften (Hansjörg Gadient, Simon Orga) .................................................................... 95 Der Sihlsee im Fokus – Planungsprozess Region Mitte (Thomas Oesch) ............................... 108 Naherholung am Obersee – Langsamverkehr und öffentliche Zugänge zum Wasser (Ursina Liembd) ............................................................................... 120 Mut zu mehr Vielfalt – Biodiversität als Freiraumqualität im öffentlichen Raum am Beispiel des Landschaftsentwicklungskonzepts Höfe (Marco Bertschinger) ...................................... 137 Aufwertung von Siedlungsrändern am Beispiel des Bezirks Höfe SZ (Joachim Kleiner, Stefan Böhi, Susanne Schellenberger) ................................................................................ 148 Villenanlagen des frühen 19. Jahrhunderts – ihre Bedeutung für den Landschaftsraum in Rapperswil-Jona (Sophie von Schwerin) .......................................................................... 157 Methode zur rechnerunterstützten flächendeckenden Analyse der Landschaftsästhetik (Roger Bräm) ..................................................................................................................... 167 Sehen und gesehen werden – Sichtbarkeitsanalysen in Planung und Projektierung (Raphael Angehrn, Roger Bräm, Hans-Michael Schmitt) ...................................................... 177 Besuchermanagement in Grossschutzgebieten – das Beispiel des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona (Lea Ketterer Bonnelame, Harry Keel, Dominik Siegrist) ................... 190 Schluss und Ausblick – sieben Thesen zur Landschaftsqualität (Dominik Siegrist, Susanne Karn, Christoph Küffer, Thomas Oesch) ................................................................ 199 Autorinnen und Autoren ................................................................................................... 202
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Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum
Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum Dominik Siegrist, Susanne Karn, Christoph Küffer, Thomas Oesch
«Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum» – der Titel des vorliegenden Buches ist gleichsam Programm für alle in der Landschaft tätigen Akteurinnen und Akteure. Diese sind auch die Adressaten, an die sich diese Publikation richtet. Den hier vorgestellten Überlegungen liegt die Landschaftsdefinition der Europäischen Landschaftskonvention zugrunde, die neben den «klassischen», wenig verbauten Landschaften auch periurbane und urbane Gebiete umfasst. Damit wird das traditionelle Landschaftsverständnis erweitert, das den Raum in «Stadt» und «Landschaft» gliedert und damit sozusagen von der Stadt auf das Land schaut (oder umgekehrt). Ebenso wird die bislang verbreitete Unterteilung des Raums in Landschaften und Freiräume in Frage gestellt. Denn zur Landschaft gehören ebenso Erholungs- und Tourismusräume in der Offenlandschaft und Naturgebiete an Flüssen und Seen, in Wäldern und im Gebirge als auch ländliche Gemeinden, Siedlungen im Agglomerationsraum und Städte mit ihrem Mosaik aus bebauten und unbebauten Flächen. Der Grossteil der Schweizer Bevölkerung wohnt, arbeitet und verbringt die Freizeit in urbanen und periurbanen Räumen. Auch flächenmässig umfassen diese Gebiete gemäss Erhebungen des Bundes deutlich mehr als die Hälfte der Schweiz. Es ist daher angemessen, sich um die Qualität der urbanen und periurbanen Landschaften zu kümmern, in denen so viele Menschen den grössten Teil ihrer Zeit verbringen. Eine wichtige Frage ist dabei, was unter der Qualität von solchen stark vom Menschen geprägten Landschaften zu verstehen sei: Welche Qualitäten wünschen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Generationen für ihre Wohnlandschaften, Arbeitslandschaften, Freizeitlandschaften, Agrarlandschaften und Naturlandschaften? Wie kann die Landschaft den Bedürfnissen nach Begegnung, nach Aktivität und Bewegung, aber auch nach Stille und Kontemplation und nach Rückzugsmöglichkeiten gerecht werden? Als anwendungsorientierte Fachleute interessiert uns dabei insbesondere die Frage, auf welche Art und Weise wir eine hohe Qualität von Landschaften in ihren vielfältigen Ausprägungen erreichen und umsetzen können. In jüngerer Zeit ist der Verlust an Landschaftsqualität verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Die Zersiedlung durch die ausufernde Bautätigkeit der vergangenen Jahrzehnte, der Verlust an öffentlichen Freiräumen angesichts der zunehmenden Verdichtung der Städte und die Zerstörung der Artenvielfalt und der Vielfalt der ökologischen Strukturelemente durch intensive Landwirtschaft haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Es besteht kein Zweifel, dass der Umgang mit Landschaft in der Schweiz zu einem wichtigen Thema geworden ist. Nicht zuletzt haben das die Ergebnisse einer Reihe von Volksabstimmungen der letzten Jahre zu Landschaftsfragen gezeigt. Die Landschaftspolitik von Bund und Kantonen übernimmt vermehrt die Aufgabe, die Qualität der Landschaft mit einem integrativen Ansatz zu verbessern. Wichtige Grundlagen der Landschaftspolitik bilden unter anderem das Natur- und Heimatschutzgesetz (mit dem Landschaftskonzept Schweiz und den Pärken von nationaler Bedeutung), das Waldgesetz, das Raumplanungsgesetz (mit der Agglomerationspolitik und der Politik des ländlichen Raums) und das Landwirtschaftsgesetz (mit den Direktzahlungen und den Landschaftsqualitätsbeiträgen). Die qualitativ hochstehende Gestaltung und Planung der Landschaft in kleinen und grossen Massstäben bildet eine Kernaufgabe der Profession der Landschaftsarchitektinnen und Landschafts-
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architekten. Angesichts der Bedeutung des Themas mag erstaunen, dass es sich bei der Landschaftsarchitektur in der Schweiz um keine hoheitliche Aufgabe der Raumplanung handelt, sondern lediglich um eine informelle Aufgabe, die das Gesetz nicht vorschreibt. Dennoch leisten Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten heute in den Bereichen Gestaltung und Planung im Auftrag von Privaten, Gemeinden, Kantonen und Bund wesentliche Beiträge zur Erhaltung und Verbesserung der Landschaftsqualität. Sei dies der Entwurf, die Planung und Umsetzung von gestalterischen Massnahmen im bebauten Raum und in Offenlandschaften, die Aufwertung von Siedlungsrändern und von Agrarlandschaften, neue Ansätze der Biodiversitätsförderung, die Eingliederung von Bauten und Infrastrukturen in empfindlichen Räumen, die Wiederherstellung und Pflege von historischen Gartendenkmälern, die Schaffung attraktiver Erholungsangebote, der Aufbau von Naturpärken und vieles andere mehr. Dies als Basis für die Pflege der Landschaft durch Landwirte, Försterinnen, Gärtner und andere grüne und technische Berufsleute. Von diesen und weiteren Aktivitäten der Landschaftsarchitektur und von verwandten Fachdisziplinen handelt die vorliegende Publikation. Sie entstand aus der Zusammenarbeit von Dozierenden und Mitarbeitenden im Institut für Landschaft und Freiraum (ILF) an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil und von weiteren Gastautoren. Das ILF ist eng mit dem Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR verbunden und zeichnet verantwortlich für angewandte Forschungs- und Dienstleistungsprojekte in den Fachbereichen Freiraum und Gärten, Geschichte und Theorie der Landschaftsarchitektur, Landschaftsentwicklung sowie Naturnaher Tourismus und Pärke. Mit ihren Fachbeiträgen ist es den Autorinnen und Autoren ein Anliegen, die Grenzen der einzelnen Fachbereiche zu überschreiten und einen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen. Sie sind sich dabei der Herausforderung und des Risikos des Scheiterns bewusst, die mit diesem Anspruch verbunden sind. Als Angehörige einer Fachhochschule gilt für sie ein transdisziplinärer Ansatz, der wissenschaftliches Arbeiten und praktische Anwendung miteinander verbindet, als selbstverständlich. Die Landschaft wird so zum Reallabor der Forschung, die ihre Untersuchungsfragen an aktuellen Problemstellungen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik orientiert und sich konkreten Problemlösungen der Praxis verpflichtet sieht. Mit dem vorliegenden Buch wird versucht, die thematische Breite der Landschaftsarchitektur soweit als möglich abzudecken. Diese reicht von der entwerfenden und gestaltenden Herangehensweise bis zu planerischen Ansätzen. Wichtig ist den Autorinnen und Autoren die Einlösung des allzu oft noch offenen Versprechens, den Graben zwischen Gestaltung, Planung und Ökologie zu verkleinern und zwischen diesen Teilbereichen Brücken zu schlagen. Mit ihren Beiträgen behandeln die Autorinnen und Autoren in diesem Buch einerseits Grundlagen, die für die ganze Schweiz (und darüber hinaus) Gültigkeit besitzen. Andererseits – und dies gilt insbesondere für die Fallstudien – bemüht sich eine Reihe der Schreibenden darum, auf eine bestimmte Region Bezug zu nehmen. Im Fokus steht dabei insbesondere ein Transsekt, das vom Walensee über das Linthgebiet und den Obersee bis in den Kanton Schwyz hineinreicht. Dieses Transsekt mit der Agglomeration Obersee und Rapperswil-Jona als Zentrum bildet eine räumliche Schnittmenge zwischen der sogenannten
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Landschaftsqualität im urbanen und periurbanen Raum
Südostschweiz und dem östlichen Teil des Metropolitanraums Zürich. Das vorliegende Buch ist daher in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste Teil besteht aus Grundlagenbeiträgen, die den theoretischen Rahmen abstecken. Der zweite Teil ist einer Reihe von Fallstudien gewidmet. Zunächst erläutern Autorinnen und Autoren ihren grundsätzlichen Zugang zum Thema: Was bedeutet Landschaftsqualität aus Sicht der Fachleute und der Bevölkerung? Wo liegen aktuelle Herausforderungen, und wie sollen diese angegangen werden? Wulf Tessin von der Leibniz Universität Hannover führt aus, wieso das Erreichen einer «angenehmen Qualität» für die Landschaftsarchitektur ein wichtiges Ziel darstellt und wie eine solche durch gute Planung und Gestaltung erreicht werden kann. Marcel Hunziker von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL reflektiert die Frage, wie die Qualität der Landschaft durch die Bevölkerung beurteilt wird, und gibt dafür eine Reihe von Beispielen. Hans-Michael Schmitt formuliert Gedanken und Forderungen zu einem neuen konzeptionellen und gestalterischen Verständnis der Landschaft im Zeitalter der fortgeschrittenen Aufklärung. Susanne Karn beschäftigt sich mit der Entwicklung von Freiräumen zur Förderung der Qualität von Alltagslandschaften in Agglomerationsgemeinden. Joachim Kleiner, Stefan Böhi und Susanne Schellenberger plädieren in ihrer Standortbestimmung für eine Gestaltung von Siedlungsrändern, die das Verhältnis zwischen der bebauten Siedlungslandschaft und der umgebenden Kulturlandschaft aufmerksamer einbezieht. Christoph Küffer diskutiert neue Ansätze im Naturschutz und verlangt angesichts des anbrechenden Zeitalters des Anthropozäns mehr Platz für die Natur inmitten unserer Kulturlandschaften. Andrea Cejka fordert für gute Freiraumgestaltung die Schaffung von Möglichkeitsräumen als neue Qualitätsauffassung, wobei Wildheit und damit auch die Interaktion zwischen Mensch und Natur angesprochen wird. Im zweiten Teil wird eine Reihe von Fallstudien vorgestellt, die zeigt, dass konzeptionelle Grundlagen bei sehr unterschiedlichen Praxisproblemen in verschiedenem Zusammenspiel eine wichtige Rolle spielen. Die in diesem Rahmen vorgestellten Ansätze und Werkzeuge reichen von der Partizipation, über den kulturwissenschaftlichen Zugang bis zu technischen und raumplanerischen Instrumenten. Zu Beginn zeigen Hansjörg Gadient und Simon Orga die ästhetischen Ansprüche von Erholungssuchenden an landwirtschaftlich genutzte Räume auf und formulieren Empfehlungen für die Planungs- und Bewilligungspraxis für landwirtschaftliche Bauten ausserhalb der Bauzonen. Thomas Oesch analysiert den Planungsprozess im Rahmen des Richtplans Region Mitte im Kanton Schwyz mit Fokus auf das Gebiet des Bezirks Einsiedeln und fordert Mut zur Umsetzung der vorliegenden Konzepte und Planungen. Ursina Liembd widmet sich der Naherholung am Obersee und analysiert die Defizite und Möglichkeiten des Langsamverkehrs und der öffentlichen Zugänge zum Wasser. Marco Bertschinger zeigt die Bedeutung der Biodiversitätsförderung als Beitrag zur Freiraumqualität im öffentlichen Raum am Beispiel des Bezirks Höfe auf. Joachim Kleiner, Stefan Böhi und Susanne Schellenberger verdeutlichen ihre Standortbestimmung zur Siedlungsrandgestaltung anhand von drei Fallbeispielen im Bezirk Höfe im Kanton Schwyz. Sophie von Schwerin dokumentiert die Geschichte von Villenanlagen aus dem frühen 19. Jahrhundert in Rapperswil-Jona und diskutiert deren Bedeutung für den Landschaftsraum. Die nächsten Beiträge beschäftigen sich mit dem Einsatz von Geografischen Informationssystemen (GIS) in der Landschaftsarchitektur: Roger Bräm präsentiert eine Methode zur rechnerunterstützten flächendeckenden Analyse der Landschaftsästhetik. Raphael Angehrn, Roger Bräm und HansMichael Schmitt diskutieren den Einsatz von Sichtbarkeitsanalysen bei der Planung und Projektie-
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rung von Windkraftanlagen in der freien Landschaft. Am Schluss erläutern Lea Ketterer, Harry Keel (IG Tektonikarena Sardona) und Dominik Siegrist das Besuchermanagement in Grossschutzgebieten anhand des Beispiels UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona.
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Angenehme Qualität als Ziel von Landschaftsarchitektur
Angenehme Qualität als Ziel von Landschaftsarchitektur Wulf Tessin, Leibniz Universität, Hannover
Die Frage nach «mehr Qualität» in Landschaft und städtischem Freiraum weist auf ein grundsätzliches Problem hin und suggeriert ein wenig, wir wüssten, was «Qualität» sei, es ginge also nur darum, sie besser umzusetzen. Tatsächlich beinhaltet der Begriff Qualität ja eine Wertung und ist so gesehen immer subjektiv. Der Entwurf, den der eine Fachkollege aus gestalterischer Sicht lobt, kann der andere Experte aus ökologischer, gartendenkmalpflegerischer oder aus grünflächenpflegerischer Sicht gerade nicht wertschätzen. In breiten Kreisen der Bevölkerung herrschen noch einmal ganz andere Qualitäts- und Wertmassstäbe als in der Berufsgruppe der Landschaftsarchitekten: Wir leben in einer Zeit des Relativismus, der Auflösung allgemeingültiger Werte in unzählige beliebige Perspektiven, in einer Zeit des Nebeneinanders verschiedener zum Teil unvereinbarer Kulturen, Ideologien und geistiger Bezugssysteme, was natürlich für die Qualitätsbestimmung und -begründung eines Entwurfs folgenschwer ist: Einerseits lässt sich – leichter denn je – alles irgendwie begründen, zugleich sind Andersdenkende jedoch – schwerer denn je – argumentativ zu überzeugen, denn alle Argumente und Qualitätshinweise können sich im Bezugssystem des Adressaten gleichsam ins Gegenteil verkehren, wobei insbesondere die Diskrepanz zwischen dem professionellen Selbstverständnis und dem Laiengeschmack von Bedeutung ist, weil hier Qualitätsfragen ganz anders gesehen werden. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden.
Abbildung 1: Was ein qualitativ hochwertiger Freiraum ist, wird von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen. (Quelle: D. Siegrist)
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Ästhetik und Qualität Die Ästhetik-Disziplin durchzieht die grundlegende Kontroverse, ob man die Ästhetik als eine vom Subjekt oder vom Objekt her zu entwickelnde Disziplin verstehen soll. Ist das Ästhetische eine Eigenschaft des Objekts, oder, wovon hier ausgegangen wird, entsteht es erst in der Vorstellungswelt der Person, die das Objekt wahrnimmt? Entsprechend diesen Grundpositionen haben sich in der Ästhetik unterschiedliche Arbeitsrichtungen entwickelt, wobei die Werkästhetik jene Richtung ist, die den «objektivistischen Ansatz» am weitesten treibt. Sie lässt (idealtypisch betrachtet) nur das Objekt, in der Regel das Kunstwerk, gelten und beschäftigt sich mit seinen Eigenschaften, seinen Strukturmerkmalen und Gestaltungsprinzipien, der Materialverwendung und so fort, also seiner Qualität auch im Vergleich zu anderen (zum Beispiel früheren) Kunstwerken, weshalb die Einordnung des jeweiligen Werks in eine bestimmte «Richtung» oder «Epoche» ganz wesentlich zu diesem werkästhetischen Ansatz gehört. Der rezeptionsästhetische Ansatz zielt (im Gegensatz zum werkästhetischen) in eine andere Richtung. Hier interessiert in erster Linie, wie das Kunstwerk vom Publikum wahrgenommen wird, wie es «gefällt», welche Wirkung es im Publikum hat, wozu natürlich unter anderem auch die Frage gehört, was und welche («objektiven») Eigenschaften und Merkmale am Kunstwerk dem Publikum («subjektiv») auf- und gegebenenfalls auch gefallen. Werk- und Rezeptionsästhetik verfolgen unterschiedliche Ziele und Ansätze, ergänzen sich also, was freilich ganz grundsätzliche Debatten zwischen den beiden Ästhetikansätzen nicht ausschliesst. So beklagt die «objektivistische» Werkästhetik regelmässig den «Relativismus» und «Subjektivismus» der Rezeptionsästhetik, insofern dort das Kunstwerk sich auflöse in ein breites Spektrum subjektiver, fast beliebiger Wahrnehmungen des Publikums. Es gäbe hier, so der Vorwurf, keinen «objektiven Wert» des Kunstwerks, sondern nur jeweils ganz unterschiedliche, in gleicher Weise gültige Wertschätzungen noch dazu von Laien. In jedem Fall wäre der rezeptionsästhetische Ansatz nicht in der Lage, die «wahre» Qualität eines Kunstwerks zu bestimmen. Die Vertreter des rezeptionsästhetischen Ansatzes bestreiten das mit dem «wahren Wert» des Kunstwerks auch gar nicht, denn ihnen geht es tatsächlich allein darum herauszufinden, wie dem Publikum das Werk gefällt, welche ästhetische Wirkung es auf das Publikum ausübt, und nicht um seine künstlerische Qualitätsbestimmung. So könnte man sich also eigentlich recht friedlich arrangieren. Latent enthält aber diese an sich plausible Arbeitsteilung doch einen gewissen Sprengsatz insofern als das, was die Werkästhetik aus Sicht der Kunst respektive der Fachleute als wertvoll und qualitativ hochwertig deklariert, dem Publikum durchaus nicht auch gefallen muss. Und andererseits kann es sein oder ist es eher die Regel, dass etwas dem Publikum gefällt, was (aus Sicht der Werkästhetik, also der Experten) ohne jeglichen Wert, ohne «Qualität» ist, womit gerade auch «anspruchsvolle» Architekten ihre Probleme haben. Und latent ist damit die Frage aufgeworfen, was denn letztlich eigentlich wichtiger sei: die Qualität eines Werkes aus fachlicher Sicht oder seine Resonanz im Publikum. Und während die Werkästhetiker, sprich: Fachleute befürchten, dass der rezeptionsästhetische Ansatz latent die Qualitätsmassstäbe von Kunst beziehungsweise von Architektur auf «Hollywoodniveau» absenke und das «Diktat der Einschaltquoten und des Banausentums» und die Herrschaft des
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«schlechten Geschmacks» behaupten, machen sich die Rezeptionsästhetiker ein bisschen lustig über die «hehren» Qualitätsmerkmale der Werkästhetiker und Fachleute, die Werke künstlerisch-ästhetisch oder sonst wie (und sei es ökologisch) wertschätzen, die aber am Geschmack des Publikums gänzlich vorbeigehen und die dabei Qualitätsmerkmale verwenden, die für das Publikum, da unter Umständen nicht einmal wahrgenommen, keinerlei Bedeutung haben. Die Werkästhetik, die fachliche Expertise, misst wie gesagt das Werk an bestimmten professionellen Wertmassstäben, wie sie innerhalb der Kunst beziehungsweise in unserem Fall der Architektur entwickelt wurden, wie etwa der Neuheit, der Authentizität, der Materialwahl, der Nachhaltigkeit, dem Umgang mit Regeln, der Ökonomie der eingesetzten Mittel, dem Zeitbezug, dem Kitschverbot. Sie fällt also vor allem Qualitätsurteile. Auch in diesem (normativen) Kontext kommt es natürlich noch zu unterschiedlichen Beurteilungen unter Fachkollegen: Ob etwas als «neu» beziehungsweise als «wirklich neu» zu bewerten ist, kann ja durchaus eine Ermessensentscheidung sein, aber die streitenden Fachleute sind sich doch immerhin darin einig, dass die Frage des «Neuen» ein relevantes Qualitätskriterium von Kunst und Architektur ist, und auch darin, dass man ein ganzes Stück weit die Frage der «Originalität» oder ähnlicher Kriterien argumentativ klären kann, wohingegen das reine, subjektive Geschmacksurteil, wie es in der Rezeptionsästhetik zum Tragen kommt, sich einer solchen Argumentation weitgehend entzieht und sei es mit dem Hinweis, dass einem das Werk trotzdem oder gerade deshalb gefiele oder das Argument für das eigene Geschmacksurteil einfach irrelevant sei. Die Unterschiedlichkeit von werk- und rezeptionsästhetischer Betrachtung zwischen einer professionellen Beurteilung und einer Laienwahrnehmung wird deutlich, wenn man sich in den Fachzeitschriften anschaut, wie dort die neu entstandenen städtischen Freiräume gelobt respektive kritisiert werden, welche Qualitätsmerkmale Anwendung finden. Da spielt zum Beispiel das «Neue» eine zentrale Rolle, lobend im Sinn von ungewöhnlich, unkonventionell, eigenwillig, zeitgenössisch, radikal, avantgardistisch, am Puls der Zeit, eigenständig oder einmalig, kritisch im Sinn von konventionell, platt, banal, bieder oder traditionell, sinnlose Kopie, quasi Schimpfworte im werkästhetischen beziehungsweise Fachjargon, der sich auch in anderen Ausdrücken festmachen lässt: Da ist etwas (lobend) massstabssetzend, lehrreich, genial gelöst, vorbildlich, ein Höhepunkt in der Landschaftsarchitektur oder (negativ) halbherzig, unbedarft, alles völlig legitime Beurteilungen, die aber einem Laien vermutlich kaum in den Sinn kommen würden. Werkästhetische respektive Fachurteile sind qua grösseren beruflichen Interesses und Engagements häufig auch extremer, das heisst überschwänglicher (spannend, faszinierend, magisch, elektrisierend, spektakulär), aber auch kritischer (furchtbar, Kitsch, hausbacken) als Laienurteile. Auffällig sind derzeit auch lobende Hinweise der Architekturkritik auf die Stringenz, Logik, Klarheit, Strenge oder die geometrische Ordnung einer Freiraumgestaltung. Das alles sind keine Begriffe beziehungsweise Qualitätsmerkmale aus der Laienästhetik. Profession und Laien Es gab mal eine Zeit oder in Gestalt des Landschaftsgartens eine Stilrichtung in der Landschaftsarchitektur, in der sich das werkästhetische Qualitätsurteil der Fachleute und das rezeptionsästhetische Geschmacksurteil der Laien ziemlich deckten beziehungsweise noch immer decken. Auch der
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Werkzeugmacher, der mit der Arbeiterwohlfahrt eine Reise nach Wörlitz oder Muskau macht, wird nicht nur den (werkästhetischen) Qualitätsunterschied zu seinem heimischen Stadtpark erkennen, sondern Wörlitz wird ihm vermutlich auch besser gefallen. Aber diese weitgehende Konvergenz von Qualitätsurteil der Fachleute und Geschmacksurteil der Laien ist in den letzten Jahrzehnten brüchig geworden, ja, seitens der modernen Landschaftsarchitektur aufgekündigt worden, teilweise durchaus in bewusster und gewollter Abgrenzung zum Laiengeschmack. Moderne Landschaftsarchitektur definiert sich heute ja häufig in bewusster Abgrenzung zum Landschaftsgartenstil, der als überholt und unzeitgemäss gilt. Man verweigert sich ganz bewusst den vertrauten Klischeevorstellungen und den daran gekoppelten «arkadischen» Stimmungslagen, ja, man will diese brechen, verfremden und als ideologisch respektive unzeitgemäss entlarven. Also inszeniert man Brüche und Kanten, und nie lässt man die Illusion aufkommen, dass hier etwas «natürlich» sei, also pflanzt man Bäume in Rastern, die Baumkronen zu Kästen geschnitten, verwendet viel Beton. Schräge Ebenen werden ins Gelände geschnitten und bloss keinen natürlich wirkenden Hügel aufschütten, lieber ihn als Kegel, Welle oder Pyramide in Szene setzen. Wasser stets in «Form giessen» (Rinne, Kanal, Becken), damit ja keine «falsche», das heisst idyllische Assoziation an Bach oder Teich aufkomme. Oder man inszeniert im Gegenteil «Wildnis» und verzichtet darauf, die Natur angenehm aufzuhübschen, preist die Artenvielfalt der Brachfläche, sieht in der Ungepflegtheit eine interessante Alternative zu den steril und uniform gestalteten öffentlichen wie privaten Grünflächen in der Stadt, erkennt in ihnen eine Art Befreiung von Natur und Mensch, bietet also quasi «echtes Naturerlebnis». Die Bevölkerung mit ihrer noch immer traditionellen, gleichsam arkadischen Affinitätsstruktur in Bezug auf städtische Grünflächen hat es freilich gern lieber vertraut und die Natur nur von ihrer angenehmsten Seite. Die professionellen Qualitätskriterien sind derzeit stark darauf ausgerichtet, nichts vorzutäuschen, keine Illusionen zu erzeugen. Man ist (etwa in der Gartendenkmalpflege) skeptisch gegenüber Versuchen, Verlorengegangenes wieder zu rekonstruieren. Es gibt beziehungsweise gab eine lange, sehr kontroverse Debatte darüber, ob man sich bei der Pflanzenverwendung nur auf einheimische, zumindest standortgerechte Pflanzen beschränken, also keine Pflanzenpracht vortäuschen sollte, die Boden und Klima «vor Ort» nicht hergeben. Ein städtischer Platz müsse, so heisst es in einem anderen Kontext, eben «städtisch» sein, das heisst er sollte möglichst gepflastert und frei und nicht umfänglich bepflanzt sein, also Natur vortäuschen. «Bloss» dekoratives Grün wird abgelehnt, allzu «bunt» darf es auch nicht sein. Es gilt Kitschverbot. All das sind professionelle Kriterien und Qualitätsmerkmale, die für die Bevölkerung kaum von Belang sind. Aber was sind dann die Wertmassstäbe der Laien? Laien messen städtische respektive landschaftliche Freiräume nahezu ausschliesslich daran, inwieweit sie ihnen gefallen, zum Aufenthalt einladen. Das müssen also nicht unbedingt fachlich qualitativ hochwertige Freiräume sein. Sie müssen ihnen gefallen, im weitesten Sinne «angenehm», Wohlfühlorte sein, das schliesst Illusionsproduktionen und «falsche Kulissen» ausdrücklich ein. Natürlich darf ein städtischer Freiraum auch gartenkünstlerisch schön, originell, interessant oder ökologisch wertvoll sein, aber er «darf» dies sozusagen nur, solange er als (noch) angenehm erlebt wird.
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Angenehme Qualität als Ziel von Landschaftsarchitektur
Alle sogenannten Qualitätsmerkmale der Fachleute haben sich aus Sicht der Bevölkerung dem Angenehmen unterzuordnen, was natürlich auch für die Wertmassstäbe der 08/15-Landschaftsarchitektur gilt, die mit ihren Qualitätsbegriffen wie pflegeleicht, vandalismussicher, kostengünstig, immergrün und so fort ja auch nicht immer angenehm «rüberkommt». Im Rahmen eigener Untersuchungen wurden die Besucherinnen und Besucher unterschiedlichster Freiraumtypen danach gefragt, wie wichtig es ihnen sei, dass der Freiraum einerseits «Anregung, Abwechslung, neue Eindrücke, Interessantes» biete beziehungsweise er andererseits «was ganz Eigenes habe und Besonderes ausstrahle». Es wurde unterstellt, dass diese beiden ästhetischen Interessen deutlich über das Niveau des Hübschen, Gefälligen und Vertrauten, des bloss Angenehmen hinausgingen und Gestaltqualitäten darstellen, wie sie auch von Fachleuten gern formuliert werden. Tatsächlich ergab sich (freiraumtypübergreifend) eine Quote von nur 10 bis 20 Prozent der Besucher, denen diese beiden höherwertigen ästhetischen Qualitätsansprüche «sehr wichtig» waren, wobei diese Quote immerhin in jenen Grünanlagen etwas höher lag, die besichtigt beziehungsweise touristisch genutzt wurden, also nicht der alltäglichen Erholung dienten.
Abbildung 2: Ein angenehmer Freiraum erfordert keine gartenkünstlerischen Höchstleistungen. (Quelle: D. Siegrist)
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Wulf Tessin
Angenehme Qualität In der kunstlastigen Ästhetik-Diskussion, also gerade auch bei «künstlerisch» orientierten Landschaftsarchitekten, ist der Begriff des «Angenehmen», der meines Erachtens so sehr treffend ist für das ästhetische Anspruchsniveau der Bevölkerung, ja meist abwertend gemeint, Wohlfühlarchitektur ist ihnen geradezu ein Schimpfwort. Dem Gefühl des Angenehmen wird dabei (ja durchaus zu Recht) eine gewisse Flach- und Seichtheit angelastet. Es verlange keine innere Konzentration, setze kein Denkvermögen voraus, kein Wissen, keine Geschmacksbildung, kein Qualitätsbewusstsein – ein anspruchsloses Vergnügen. Die blosse Gefälligkeit eines Objekts, einer Situation reiche aus, es auszulösen. Dem Gefühl des «Angenehmen» fehle es sozusagen an katharsischer Wirkung: keine Bewunderung, keine Erschütterung, keine Entzückung. Angenehm ist unmittelbar empfundenes Wohlbehagen – ohne nachhaltige Konsequenz, ohne Tiefe. Dem Angenehmen wird in diesem Zusammenhang auch eine zu enge Beziehung zum Nützlichen und Alltäglichen vorgehalten, während ja das «Künstlerisch-Ästhetische» gerade diesen Bezug negiert beziehungsweise in spezifischer Weise verwandelt. Nicht nur, dass viele «bloss nützliche» (statt ausschliesslich künstlerisch-gestaltete Dinge) angenehme Gefühle auslösen können, scheint das Gefühl des Angenehmen zu diskreditieren, sondern auch eine spezifische Kosten-Nutzen-Kalkulation: Angenehm ist etwas, was leicht von der Hand geht, mit wenig Aufwand zu machen oder zu haben ist, was einem zufällt. Nicht zwingend, aber doch sehr oft verbunden ist das Gefühl des Angenehmen mit «niederen» physiologischen Bedürfnislagen: ein Sonnenschein, ein kühler Luftzug, ein bequemer Stuhl, der erste Zug an einer Zigarette. Angenehm ist etwas, was mit Ruhe, Gelöstheit, Entspannung zu tun hat, bequem ist. Angenehm und einfach, angenehm und bequem sind geradezu Synonyme, weshalb «coole» Betonquader zwar vielleicht «schön», aber nicht unbedingt die angenehmsten Sitzmöglichkeiten im Freien sind. Für das Gefühl des Angenehmen ist die konkrete Gestaltung des jeweiligen Freiraums durchaus wichtig, aber es sind sozusagen keine gartenkünstlerischen Höchstleistungen erforderlich. Man assoziiert mit diesen Freiräumen ja mehr gefällige Natur- denn anspruchsvolle Kunstvorstellungen, weshalb eine Art von Natürlichkeit, eine «angenehme (gefällige) Gestaltung» des Freiraums wichtiger ist als eine aussergewöhnliche Schönheit der Gestaltung. Gute Erreichbarkeit, gute Nutzbarkeit, viel Grün, Ruhe, guter Pflegezustand, ein freundliches Geschehen, schönes Wetter sind dagegen nahezu unverzichtbar. Ist das gegeben und bewegt sich die Gestaltung im sozusagen üblichen Rahmen, empfindet man den Aufenthalt als angenehm. Man mache sich übrigens nichts vor: Die Ästhetik des Angenehmen sieht nach gestalterischer, qualitativer Anspruchslosigkeit aus; tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Denn es dürfte leichter sein, einen künstlerisch aufregend neuen oder minimalistisch-coolen, einen ökologisch wertvollen oder von der Nutzung her hoch attraktiven Ort zu gestalten, als einen angenehmen. Und noch schwieriger dürfte ein Freiraum zu bewerkstelligen sein, der künstlerisch, ökologisch und/oder von der Nutzung her anspruchsvoll ist, sich aber zugleich im Rahmen des Angenehmen bewegt. Aber läge nicht genau in dieser Gratwanderung die Herausforderung der Landschaftsarchitektur?
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Angenehme Qualität als Ziel von Landschaftsarchitektur
Die Ästhetik des Angenehmen, eher eine Entwurfshaltung denn eine Entwurfsrezeptur, gleich weit entfernt von einem ökologischen Naturalismus, einem behavioristischen Funktionalismus und einem ästhetischen Formalismus, wäre also sowohl für die professionelle Routine wie für die professionelle Innovation eine Herausforderung, auch wenn klar ist, dass «Gestaltung» nur einen zwar notwendigen, aber noch keinen hinreichenden Beitrag zu einem letztlich gelungenen, angenehmen Ort leisten kann, wobei eine «angenehme Gestaltung» also nicht identisch ist mit dem, was Landschaftsarchitekten bisweilen als «gute, qualitätsvolle Architektur», als «interessante Gestaltung» oder als «innovativ» bezeichnen. Fachliche Qualität, die sich im Rahmen des Angenehmen bewegen würde, angenehme Qualität: Das wärs!
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Marcel Hunziker
Beurteilung der Landschaft durch die Bevölkerung – theoretische Grundlagen und empirische Beispiele Marcel Hunziker, Eidg. Forschungsanstalt WSL
Spricht man von «Wahrnehmung und Beurteilung von Landschaft», so wird impliziert, dass die Landschaft etwas Objektives sei, das vom Menschen wahrgenommen und beurteilt wird. Natürlich gibt es objektive Eigenschaften und Elemente der Landschaft wie zum Beispiel der Waldanteil, die Reliefenergie, die Siedlungsdichte, wobei auch diese Eigenschaften nicht unabhängig von menschlicher Wertung und Bedeutungszuweisungen sind. Man vergegenwärtige sich beispielsweise die Relativität der Definitionen von «Wald» oder von «Siedlung»: Was ist Wald, wo liegt die Grenze zu einer Baumgruppe; wie viele Gebäude ergeben eine Siedlung? Trotzdem kann man bestimmte Eigenschaften und Elemente als einigermassen objektiv existent betrachten, das heisst, sie existieren physisch auch unabhängig von menschlicher Wahrnehmung. Sie werden dann in der Regel wahrgenommen und beurteilt, beziehungsweise erlebt (siehe weiter unten). Die Beurteilung jedoch, wie jede Beurteilung, ist nicht objektiv, sondern eine Bedeutungszuweisung durch den Menschen. Dies muss sich nicht nur darauf beschränken, ob die Landschaft als schön empfunden wird oder nicht. Zugewiesen werden der Landschaft auch Bedeutungen wie Idylle, Heimat, öffentliches Gut, Nahrungsgrundlage, Wildnis, Ödnis, Naturgefahren, die leicht mit objektiven Eigenschaften verwechselt werden (Watzlawick 1976). In Abbildung 1 wird die Bedeutungszuweisung zu einer LandAbbildung 1: Objektive Eigenschaften und subjektiv zugewiesene Bedeutungen am Beispiel einer alpinen Landschaft. (Quelle: M. Hunziker)
objektive Eigenschaften
schaft im Unterschied zu ihren objektiven Eigenschaften und Elementen an einem Beispiel gezeigt. Aus konstruktivistischer Perspektive geht man sogar so weit, dass man Landschaft an und für sich als kognitives Produkt versteht, und postuliert, dass Landschaft objektiv gar nicht existiert, sondern nur subjektiv, indem der Mensch sie permanent durch seine Wahrnehmung, Interpretation und Bedeutungszuweisung (re-)konstruiert (Backhaus et al. 2007). Dass dies nicht einfach eine
subjektive Bedeutungen grandiose Szenerie
Berge, Relief, Wald, Gebüsch
Siedlung, Stein
furchterregende Berge
heimelige Häusergruppe wie früher... Investitionsobjekt
Wiese, grün
unrentables Weideland idyllische Wiesen mühsamer Weg für die Landwirtschaft
Weg, Schotter wunderbarer Wanderweg
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Beurteilung der Landschaft durch die Bevölkerung
abstrakte Idee ist, vermittelt uns die derzeit relevanteste Definition von Landschaft, die der Europäischen Landschaftskonvention (Europarat 2000; in Kraft seit 2004, ratifiziert von 29 Staaten, unterschrieben von sechs Staaten, darunter die Schweiz): «Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet 'Landschaft' ein Gebiet, wie es vom Menschen wahrgenommen wird, dessen Charakter das Ergebnis der Wirkung und Wechselwirkung von natürlichen und/oder menschlichen Faktoren ist.» Landschaft wird also nur über deren Wahrnehmung durch den Menschen als Landschaft verstanden. Auch auf der Website des schweizerischen Bundesamts für Umwelt, BAFU (2009) wird Landschaft in diesem Sinn definiert: «Landschaft umfasst den gesamten Raum – wie wir ihn wahrnehmen und erleben. Sie entsteht im Zusammenwirken von natürlichen Prozessen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren und der Wahrnehmung.» Diese Auffassung wiederspiegelt die derzeit in der Fachwelt weit verbreitete Haltung zwischen radikalem Konstruktivismus und reinem Realismus: Landschaft besteht einerseits aus objektiven physischen Merkmalen, die zu einem grossen Teil aus der Interaktion zwischen Mensch und Natur (insbesondere der Landnutzung) hervorgingen und -gehen. Andererseits wird Landschaft subjektiv gedeutet, wobei der Prozess der Deutung aus einem Wechselspiel von Bedeutungszuweisung und Bedeutungswahrnehmung besteht. Abbildung 2 veranschaulicht diesen Prozess auf grafische Art.
wahrgenommene Landschaft
soziokultureller Kontext
te
gedeutete Landschaft
rp
re t
at
io
n
le el g u id n iv hru d in rfa E
In
Ve rh al te n
-
evolutionäre Prägung
le el se du is vi n di rf in edü B
genutzte Landschaft
ns io at me rm ah fo fn In au
ns io at rf rm da fo be
In
gs H n u V tz V u N LQÀ H
physische Landschaft
Abbildung 2: Aspekte der Landschaft (hellgrün), ihre gegenseitige Beeinflussung durch die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt (orange) und die wichtigsten psychologischen (türkisblau) und Kontext-Einflüsse (hellblau) auf diese Wechselwirkung, wie sie im «Labes-Modell Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse zur Landschaft» dargestellt sind. (Quelle: Kienast et al. 2013)
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Marcel Hunziker
Bedeutungen der Landschaft variieren individuell und situativ – trotzdem herrscht grosser Konsens Die Landschaft hat vielerlei Bedeutungen für den Menschen. Für den einen hat sie eine Bedeutung als Erholungsraum, für die andere als Wirtschaftsraum (Abbildung 1). Einige beschäftigen sich als Planer, Wissenschaftlerin oder Politikerin mit der Landschaft. Entsprechend haben wir alle unterschiedliche Erfahrungen, Ansprüche, Bedürfnisse und Interessen, die wir an die Landschaft herantragen. Allen gemeinsam ist jedoch, dass wir die Landschaft mit unseren Sinnen wahrnehmen beziehungsweise erleben. «Erleben» bedeutet dabei, dass wir die Landschaft nicht (zuerst) neutral als physisch-objektive Realität wahrnehmen und dann allenfalls beurteilen, sondern dass wir unmittelbar und gleichzeitig die Landschaft deuten, ihr also Bedeutungen zuweisen und ihre Bedeutungen wahrnehmen. Dieser Prozess der gleichzeitigen Wahrnehmung der physisch-objektiven Landschaft und ihrer Deutung (Wahrnehmung von Bedeutungen und Bedeutungszuweisung), in der Folge Landschaftserlebnis genannt, findet auf dem Hintergrund all unserer Erfahrungen, Ansprüche, Bedürfnisse und Interessen statt. Wären diese bei allen Individuen total verschieden, wäre das Landschaftserlebnis hochgradig individuell. Dass dem nicht so ist, wird weiter unten erläutert. Gleichwohl und zugleich ist Landschaftserlebnis nicht nur individuell, sondern sogar situativ verschieden, denn je nachdem in welcher Rolle wir uns gerade befinden (oder befinden wollen), welche Erfahrungen, Ansprüche und so weiter also Priorität haben, erleben wir die Landschaft anders. Dies wurde etwa von Droz & Miéville-Ott (2005) beschrieben und wurde von Backhaus et al. (2007) in einem sechs Dimensionen umfassenden konzeptionellen Modell der Landschaft postuliert (Abbildung 3). Auch in unseren eigenen Untersuchungen konnten wir diese situationsbeziehungsweise rollenbedingten intrapersonalen Differenzen beobachten (Hunziker 1995): Dieselben Personen beurteilten Erscheinungen der brachebedingten Wiederbewaldung im Alpenraum auf dem Hintergrund verschiedener Urteilsdimensionen (Tabelle 1) teilweise sehr widersprüchlich.
Subjektiver Pol Individuum identifikatorische Dimension körperlich-sinnliche Dimension
ästhetische Dimension
Physischer Pol Natur ökologische Dimension
Abbildung 3: Die sechs Dimensionen der Landschaft, wie sie in der Teilsynthese «Wahrnehmung» des Nationalen Forschungsprogramms 48 (NFP 48) «Landschaften und Lebensräume der Alpen» postuliert wurden. (Quelle: Backhaus & Stremlow 2010)
politische Dimension
Gesellschaft Inter-subjektiver Pol
Symbolischer Pol Kultur
ökonomische Dimension
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Beurteilung der Landschaft durch die Bevölkerung
So äusserte sich ein Bauer während eines qualitativen Interviews zu einer Fläche im Unterengadin, die noch gemäht wird, wie folgt: «(...) das ist jetzt wirklich schade für jede Stunde, die man da vergeudet. (...) Von der Rendite her könnte man das ruhig sein lassen.» Derselbe Bauer meinte kurze Zeit später zu einer aufgegebenen und teilweise mit Gehölzen bestockten Fläche: «Eigentlich würde ich es gar nicht so weit kommen lassen, sondern so behalten, wie es war. Denn eingewachsen ist es noch schnell. Wenn man schaut, was unsere Vorfahren machen mussten, bis sie das gerodet hatten, um das zu bewirtschaften. Und jetzt überlassen sie es einfach der Natur, und dann gibt es eben so etwas. Und das ist wirklich nichts wert!» Der Befragte wechselte während des Interviews die Rolle, vom modernen, rationalen und renditeorientierten Landwirtschaftsunternehmer zum einheimischen, in der lokalen Geschichte verwurzelten, dem kulturellen Erbe verpflichteten, traditionsorientierten Bauern. Diesen Rollenwechsel, diese Ambivalenz gegenüber der Wiederbewaldung, stellten wir auch bei allen anderen Befragten fest, bei Touristen, Hoteliers, Biobauern oder Förstern.
Urteilsdimension
Bedeutung der Landschaft
Wiederbewaldung keine
gering
mittel
stark
total
++
+
+/-
-
--
+
++
+
+/-
-
Tradition
Kulturelles Erbe
Naturschutz
Natur
Rendite
Produktionsfaktor
--
-
+/-
+
++
Emotion
Erholungsort
+/-
++
++
++
-
Universale Gemeinsamkeiten im Landschaftserlebnis Das Landschaftserlebnis ist jedoch keineswegs rein individuell und situationsabhängig. Denn es existieren gemeinsame menschliche und gesellschaftliche Grundlagen des Landschaftserlebnisses, die zur Folge haben, dass bestimmte Strukturen und Elemente von Landschaften innerhalb von Kulturen beziehungsweise sogar weltweit ähnlich erlebt werden. Die sogenannten Habitattheorien versuchen das Phänomen der Universalität des Landschaftserlebnisses zu erklären und postulieren, dass Landschaften, die Elemente und Strukturen aufweisen, die den frühen Menschen das Überleben und die weitere Entwicklung ermöglichten, instinktiv-angeboren auch heute noch bevorzugt werden. Dabei wird diesen Landschaften unbewusst die Bedeutung «überlebenssichernd» und daher «bevorzugt» zugewiesen – heute allerdings nicht mehr im existenziellen, sondern im übertragenen Sinn der Landschaftspräferenz. Die anerkannteste Habitattheorie ist die Informationsverarbeitungstheorie von Kaplan & Kaplan (1989), die besagt, dass eine Landschaft dann bevorzugt wird, wenn sie gleichzeitig komplex und kohärent, mysteriös und lesbar ist, weil sie damit das urmenschliche Bedürfnis nach Informationsbeschaffung und -verarbeitung am besten befriedigt und somit die menschliche Entwicklung ermöglicht und fördert. Andere Theorien wie die Savanna-Theorie von Orians (1980) oder die Prospect-Refuge-Theorie von Appleton (1975/1995) postulieren die ehemalige Überlebenssicherungsfunktion einer Landschaft mit lockerem Baumbestand, die dem frühmenschlichen Jäger und Gejagten gleichzeitig bestmöglichen Überblick und Schutz gewährte, sowie mit Wasservorkommen – der Grundlage jeden Lebens – als Basis heutiger Landschaftspräferenzen. Entsprechende Strukturen kommen oft in den traditionellen Kulturlandschaften, aber auch in vielen städtischen Pärken und auf Grünflächen vor. Bei Bewertungen von Landschaften schnitten die oben erwähnten traditionellen Kulturlandschaften (Hunziker 1995, Hunziker & Kienast 1999, Hunziker et al. 2001, 2008), aber auch urbanen Frei-
Tabelle 1. Urteilsdimensionen im Landschaftserlebnis und dimensionsspezifische Beurteilung der Wiederbewaldung. (Quelle: Hunziker 1995)
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Marcel Hunziker
4
Präferenzurteil (Mittelwert)
3
Abbildung 4: Beurteilung von Managementszenarien urbaner Grünflächen. (Quelle: Home et al. 2009)
2
1
0
bad
poor
good
best
Szenarien urbanen Grünflächen-Managements
räume mit offener Fläche und lockerem Baumbestand im Vergleich mit Landschaften bzw. urbanen Freiräumen mit sehr geringem oder sehr hohem Baumbestand am besten ab (Abbildung 4). Die grosse Attraktivität des Wohnens an oder mit Blick auf Wasserflächen zeigt sich unter anderem an den dortigen Liegenschaftspreisen (Bourassa 1991), aber auch in Studien wie derjenigen der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL über Ansprüche an Wohnumgebungen (Ströbele & Hunziker 2015). In dieser zeigte sich, dass insbesondere bei Kernstädten das Vorhandensein von Wasserflächen ein wichtiger Faktor von wahrgenommener Lebensqualität darstellt. Gesellschaftliche Gemeinsamkeiten im Landschaftserlebnis Weitere beziehungsweise andere Elemente und Strukturen werden nicht weltweit, jedoch innerhalb von Kulturen und sozialen Gruppen ähnlich erlebt. Die Theorien zur sozialen Dimension wie die zur Ortsbindung (zum Beispiel Korpela 1989), Ortsidentität (zum Beispiel Twigger-Ross & Uzzell 1996), zum Sense of Place (Jorgenson & Stedman 2001) oder zur Vertrautheit (Hammit 1981) befassen sich damit. Der wichtigste Unterschied zwischen der universalen und der sozialen Dimension des Landschaftserlebnisses liegt darin, dass die universalen, präferenzgenerierenden Bedeutungszuweisungen vererbt werden, das heisst dem Individuum angeboren sind, während die sozialen Faktoren gesellschaftlich überliefert, das heisst vom Individuum durch den Prozess der Sozialisation angeeignet werden (Bourassa 1991; Hunziker et al. 2007). Anzueignen gilt es dabei im Wesentlichen soziale Regeln beziehungsweise Normen und Werte, die gesellschaftliche Identität erzeugen, diese stabilisieren und damit sichern. Wichtigstes Werkzeug dieses Aneignungsprozesses ist die Kommunikation, die mittels Symbolen und Zeichen respektive deren Bedeutung geschieht (Bourassa 1991). Auch die Landschaft und deren Elemente können solche Symbole verkörpern (Appleyard 1979) und damit Bedeutungen vermitteln. So übermittelt etwa die soziale Gruppe der Christen sich selbst und Fremden durch das einprägsame Landschaftselement Kirchturm unter anderem die Botschaft: «Wir sind Christen, und das ist gesellschaftlich akzeptiert, ja, normal in dieser Region, wo der Kirchturm steht.» Vereinfacht ausgedrückt, dient die Landschaft als externes Gedächtnis, indem es die Bewohnerinnen und Bewohner an ihre persönlichen Erfahrungen, Fähigkeiten, Werte und ihr Zugehörigkeitsgefühl erinnert und damit ihre Identität stabilisiert.
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Beurteilung der Landschaft durch die Bevölkerung
Hohe intersubjektive Übereinstimmung – wenn es um das Ganze geht Die universale beziehungsweise kultur-/gruppenspezifische gemeinsame Basis führt dazu, dass trotz intra- und interpersonalen Differenzen in der Gewichtung der verschiedenen Erfahrungen, Ansprüche und so weiter eine hohe intersubjektive Übereinstimmung auftritt, wenn die Landschaft integral beurteilt wird. Dies gilt insbesondere, wenn die Landschaft eine gewisse Grösse und Komplexität hat – im Unterschied zu Einzelerscheinungen «am Wegrand» (Hunziker et al. 2008). In der oben erwähnten Studie (Hunziker 1995) favorisierten die Befragten schliesslich einhellig ein mittleres Stadium der Wiederbewaldung als gesamthaft bestes Szenario für die weitere Entwicklung der Gesamtlandschaft im Untersuchungsgebiet. Dieses Ergebnis konnte auch aufgrund von Bildbewertungsexperimenten mit Studentengruppen (Hunziker & Kienast 1999) sowie einer Befragung der Schweizer Bevölkerung (Hunziker et al. 2001) bestätigt werden. Und in einer späteren Studie (Hunziker et al. 2008) zeigten selbst so unterschiedliche soziale Gruppen wie Einheimische und Touristen einer alpinen Region sowie die Schweizer Bevölkerung grossen Konsens bezüglich der Entwicklungsoptionen grösserer Landschaftsausschnitte im Alpenraum.
Landschaftsforschung und Landschaftsarchitektur brauchen den Kontakt zur Basis Ausgehend von der Landschaftsdefinition der Europäischen Landschaftskonvention und des BAFU sollte es ein unbestrittenes Ziel sein, die Landschaftsentwicklung mittels Politik, Planung und Gestaltungmassnahmen so zu prägen, dass sie den Bedürfnissen der Bevölkerung bestmöglich entspricht. Obige Ausführungen verdeutlichen, dass Politik, Planung und Gestaltung bei der Konzipierung von Strategien, Massnahmen, Plänen und Gestaltungsentwürfen diese Bedürfnisse tatsächlich einbeziehen können, weil eine relativ starke intersubjektive Übereinstimmung im Landschaftserlebnis der Bevölkerung besteht. Es braucht dabei auch nicht jedes Mal eine umfassende Bevölkerungsbefragung durchgeführt zu werden, denn verschiedene Ergebnisse bisheriger Untersuchungen sind teilweise verallgemeinerbar, weil sie auf kulturell oder gar universal allgemeingültigen und in Theorien erklärten Präferenzfaktoren basieren. Aus den theoretischen und empirisch überprüften Erkenntnissen zur universalen Dimension des Landschaftserlebnisses, wie der Präferenz offener Landschaft mit Baumbestand, kann beispielsweise einiges zur anzustrebenden Struktur der Landschaft gefolgert werden. Mit wenigen Gesprächen in einer Gemeinde würde man zudem schnell herausfinden, welches dort sensible, bedeutungstragende Landschaftselemente und -teile sind, die es umsichtig zu behandeln gilt. Diesen Schritt gilt es aber nicht zu vernachlässigen, weil sonst die kultur- und gruppenspezifischen Bedeutungen, die für die Ortsidentität und damit eine zentrale Funktion der Landschaft besonders wichtig sind, verloren gehen können. Je konkreter und kleinräumiger eine zu entwickelnde Landschaft beziehungsweise deren Elemente jedoch sind, desto notwendiger wird es, die Bedürfnisse der Bevölkerung genauer zu analysieren, das heisst Befragungen durchzuführen und Instrumente partizipativer Planung einzusetzen. Denn je kleinräumiger und konkreter der zu entwickelnde Landschaftsausschnitt ist, desto grösser fallen die Unterschiede in der Beurteilung verschiedener Szenarien und die Urteile verschiedener sozialer Gruppen aus (Hunziker et al. 2008).
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Marcel Hunziker
Als Basis für Politik, Planung und Gestaltung sicherlich ungenügend ist der altbewährte «Expertenansatz» (ein landschaftsästhetisch sensibler Experte beurteilt die Situation), weil auch Experten und Entscheidungsträger durchaus eigene Präferenzen haben und diese, wie unsere Studien eindrücklich zeigen (Abbildungen 5 und 6), besonders stark von denen der breiten Bevölkerung abweichen – jener Bevölkerung, für die eine Landschaftsentwicklung von hoher Qualität erreicht werden soll.
5
Abbildung 5: Beurteilung von Landschaftsentwicklungsszenarien für den Alpenraum durch Laien und Experten. (Quelle: Hunziker et al. 2008)
Landschaftspräferenz (Mittelwert)
Experten (N=74) Experten (n=74)
Bevölkerung (N=991) CH-Bevölkerung (n=991)
4
3
2
1
5
Wohnortspräferenz (Mittelwert) p ( )
Experten (N=53) Experten (N=53)
Abbildung 6: Beurteilung der Attraktivität von Wohnortstypen durch Experten und Laien. (Quelle: Ströbele und Hunziker 2015)
Bevölkerung (N=1208) Bevölkerung (N=1208)
4
3
2
1
Stadt
Agglomeration
Kleinstadt
Dorf
Ländlich ausserhalb
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Autorinnen und Autoren Raphael Angehrn, BSc FH, Landschaftsarchitekt, arbeitet als wissenschaftlicher Assistent im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR. Seine Themenschwerpunkte sind Landschaftsplanung und Geografische Informationssysteme. Marco Bertschinger, Bsc FH Umweltingenieurwesen, ist wissenschaftlicher Assistent im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR. Seine Themenschwerpunkte sind Biodiversität und Landschaftsentwicklung. Stefan Böhi, BSc FH, Landschaftsarchitekt, war bis 2015 wissenschaftlicher Assistent im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und ist heute für Grün Stadt Zürich tätig. Roger Bräm, Dipl. Ing. Landschaftsarchitekt, MSc GIS, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Landschaft und Freiraum und im Kompetenzzentrum Geoinformation der HSR. Seine Themenschwerpunkte sind Landschaftsplanung und Geografische Informationssysteme. Andrea Cejka, Prof. Dipl. Ing. Landschaftsarchitektin und Ingenieurkonsulentin für Landschaftsplanung, wirkt als Professorin für Entwurf im Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR. Hansjörg Gadient, Prof., Dipl. Arch. ETH, Architekt und Landschaftsarchitekt, ist Partner im Institut für Landschaft und Freiraum und Professor für Entwurf im Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR. Er leitet das Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur ASLA. Marcel Hunziker, Dr., Geograph und Sozialwissenschaftler an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Er ist Leiter der Gruppe Sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung in der Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Susanne Karn, Prof. Dr.-Ing., Landschaftsarchitektin, ist Partnerin im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und Leiterin des Fachbereichs Geschichte und Theorie der Landschaftsarchitektur. Sie unterrichtet und forscht in den Fächern Freiraumplanung, Gartenkulturgeschichte und Gartendenkmalpflege. Harry Keel, Dipl. natw. ETH, Geschäftsführer der IG UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona. Studium der Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Forschungsaufenthalt im Volcanoes National Park Hawaii. Abteilungsleitung und Sachbearbeitung bei zwei Zürcher Gemeinden im Gesundheits- und Umweltbereich. Lea Ketterer Bonnelame, Dipl. geogr., Studium der Wirtschafts- und Humangeographie an der Universität Zürich und an der Lund University (Schweden). 2010–2011 Forschungsaufenthalt bei der Seychelles Island Foundation. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR mit Schwerpunkt naturnaher Tourismus und Pärke.
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Joachim Kleiner, Prof., Landschaftsarchitekt und Raumplaner, ist Partner im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und Professor für Landschaftsgestaltung im Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR. Christoph Küffer, Prof. Dr. habil., Ökologe und Umweltwissenschaftler, Partner im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR. Er ist Professor für Siedlungsökologie im Studiengang Landschaftsarchitektur und Privatdozent für Ökologie des Globalen Wandels an der ETH Zürich. Ursina Liembd, MSc FHO in Engineering mit Vertiefung in Raumentwicklung und Landschaftsarchitektur, ist Projektmitarbeiterin im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR. Thomas Oesch, Dipl. Ing. ETH, Kulturingenieur, Partner im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und Professor für Landschaftsgestaltung im Studiengang Landschaftsarchitektur. Angewandte Forschung und Dienstleistung in den Bereichen Gewässerrevitalisierung, Rekultivierung und Landschaftsentwicklung. Simon Orga, Dipl. Arch. ETH, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Landschaft und Freiraum sowie im Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur ASLA. Daneben führt er sein eigenes Architekturbüro in Zürich. Susanne Schellenberger, MSc FHO in Engineering mit Vertiefung in Public Planning, ist Projektmitarbeiterin im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR. Hans-Michael Schmitt, Prof. Dipl. Ing. TUH, Landschaftsarchitekt, ist Partner im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und Professor für Landschaftsplanung im Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR. Verantwortlicher für das Kompetenzzentrum Geoinformation an der HSR. Dominik Siegrist, Prof. Dr. habil., Geograf und Landschaftsplaner, ist Leiter des Instituts für Landschaft und Freiraum der HSR und Professor für naturnahen Tourismus und Pärke im Studiengang Landschaftsarchitektur der HSR. Sophie von Schwerin, Dr.-Ing., Landschaftsarchitektin, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR und im Studiengang Landschaftsarchitektur mit Schwerpunkt Gartenkunstgeschichte. Wulf Tessin, Prof. Dr., Soziologie- und Städtebaustudium, war bis 2010 Professor für Planungsbezogene Soziologie an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität in Hannover. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich Stadtentwicklung und Rezeptionsästhetik.