Richard Weiss
Häuser und Landschaften der Schweiz
Richard Weiss
Häuser und Landschaften der Schweiz
Mit 233 Zeichnungen und Karten von Hans Egli
Reprint der Erstausgabe aus dem Jahre 1959 Mit einem Geleitwort von Jean-Pierre Anderegg und einer Autorenbiografie von Jakob Weiss
Haupt Verlag
Dank Der Herausgeber Hans Weiss und der Haupt Verlag danken dem Orell Füssli Verlag, Zürich (Nachfolger des Eugen Rentsch Verlags) für die Erlaubnis, diese Neuauflage als Reprint erscheinen zu lassen. Ebenso gilt der Dank dem Illustrator, Hans Egli, für seine freundliche Genehmigung.
1. Auflage 2017 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-08017-8 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2017 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Gestaltung: Reprint der Originalausgabe aus dem Eugen Rentsch Verlag, 1959. Umschlag: Daniela Vacas, Haupt Verlag, in Anlehnung an die Originalausgabe. Bildnachweis S. 297: Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.1, S. 99; Foto: Codices Electronici AG, www.e-codices.ch Printed in Germany www.haupt.ch
Geleitwort zur Reprintausgabe Wer ein wissenschaftliches Werk mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinungsdatum neu herausgibt, muss dafür handfeste Gründe haben. Entweder ist das abgehandelte Thema von ungebrochener Aktualität oder die darin gesammelten Erkenntnisse können zeitlose Gültigkeit beanspruchen. Beides trifft auf «Häuser und Landschaften der Schweiz» (1959 in erster, 1973 in zweiter Auflage) des frühverstorbenen Zürcher Volkskundlers Richard Weiss zweifellos zu. Es ist das Verdienst von Matthias Haupt, umsichtiger Verleger umweltbezogener Publikationen in der dritten Generation, das längst vergriffene Standardwerk nun in dritter Auflage herauszugeben. Die Anregung dazu kam ursprünglich von Hans Weiss, dem ältesten Sohn des Autors, selbst Landschaftspfleger der ersten Stunde. Der Orell Füssli Verlag, als Nachfolger des Erstverlegers Eugen Rentsch, hat zur Neuauflage grosszügig Hand geboten. Die landwirtschaftliche Bevölkerung der Schweiz ist heute auf einem historischen Tiefstand von rund 3 % angelangt. Trotzdem prägen traditionelle bäuerliche Wohnstätten weite Teile des Landes immer noch in unverwechselbarer Weise. Jeder Schweizer und jede Schweizerin kann auf den ersten Blick ein typisches Walliser von einem Engadiner Dorf unterscheiden. Mit Richard Weiss zu sprechen, ist das Haus eben das synthetische Leitmerkmal einer Kulturlandschaft schlechthin. Häuser überleben die Menschen um Generationen, selbst wenn das Bauernhaus längst umfunktioniert wurde. Seine heute wieder besonders geschätzte Wohnqualität hat nicht zuletzt mit der Nachhaltigkeit der traditionellen Baustoffe Holz und Naturstein, aber auch von Lehm und Stroh zu tun, Materialien, die gerade jetzt von zeitgenössischen Architekten neu entdeckt werden. Richard Weiss nannte sein Buch unprätentiös ein «freskohaftes Gesamtbild». Wie schon in seinem Standardwerk «Volkskunde der Schweiz – Ein Grundriss», erschienen 1946, wollte er die menschliche Lebensumwelt, den eigentlichen Gegenstand seiner Wissenschaft, «erklären, nicht verklären». Seine nüchterne Haltung hebt sich vorteilhaft ab von den Versuchen der meisten seiner V
Vorgänger, die das Haus nur als Vehikel ihrer vorgefassten ethnischen oder entwicklungsgeschichtlichen Theorien benutzt haben. Dem so genannten «Alemannen-» und «Burgunderhaus» setzte Weiss schon in der Mitte des letzten Jahrhunderts das Haus des Viehzüchters, des Acker- und des Weinbauern entgegen. Jeder schematischen Typisierung abhold, zerlegte er das Haus vorerst in seine konstitutiven Bestandteile. Die Verbreitungskarten der verschiedenen Raumordnungen, der Wand- und Dachformen oder der Lage der Feuerstellen können eigentliche Kulturprovinzen sichtbar machen. Erstmals wagte Weiss damit eine analytische Gesamtschau der vorwiegend wirtschaftlich bedingten Hausformen der Schweiz. Darüber hinaus wurde anstelle einer statischen Beschreibung der Bauten das sich stets wandelnde Bauen und Wohnen im betrieblichen wie auch im gesamtkulturellen Zusammenhang zu seinem Hauptthema. Seine Methode nannte er sinngemäss «funktionalistisch», denn sie fragt primär nach dem Wozu, d.h. nach der Bedeutung des Hauses für den Menschen. Von den Häusern kam er dann zwangsläufig zu den (Kultur-)Landschaften, wo weder die ländliche Industrie, die Tourismus- und Pendlersiedlungen noch die Zeichen des Sakralen fehlen durften. Richard Weiss war sich dabei durchaus bewusst, dass die schweizerische Hausforschung damals noch in den Anfängen steckte. Erst 1965/68 erschienen mit Graubünden I und II die ersten Bände der Reihe «Die Bauernhäuser der Schweiz», ein Publikationsprojekt der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde und des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Durchgeführt wurde und wird diese von Bearbeitern so unterschiedlicher Fachrichtungen wie der Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie, Architektur, Geografie und Volkskunde. Die wachsende Bedeutung des Hauses als schützenswertes Kulturgut spiegelte sich schon bald in den logistischen Synergien mit kantonalen Denkmalpflege- und Raumplanungsämtern. Die Publikationsreihe wird in wenigen Jahren zum Abschluss kommen und rund 40 auf die Kantone ausgerichtete und von diesen mitfinanzierte Bände umfassen. Als Verfasser zeichnen nicht weniger als 20 Haupt- und ebenso viele Neben-Autoren. VI
Hätte Weiss 1959 schon über das nunmehr in einem halben Jahrhundert erhobene Inventarmaterial verfügt, wäre sein Buch vielleicht zu einem unübersichtlichen Wälzer angewachsen. Zu unserem Glück besticht es aber gerade durch seine wohltuend geraffte Darstellung, angereichert durch die didaktisch hervorragenden Zeichnungen von Hans Egli. Woraus besteht nun der wissenschaftliche Beitrag der seit den 1960er Jahren institutionalisierten Bauernhausforschung in der Schweiz? In Ergänzung zum Kunstdenkmälerwerk der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte sind die «Bauernhäuser der Schweiz» eine flächendeckende und detaillierte Bestandesaufnahme der ländlich-bäuerlichen Architektur. Sie wird damit zum Spiegel einer jeweils regional ausgeprägten, mehrhundertjährigen wirtschaftlichen und soziokulturellen Entwicklung. Methodisch haben exemplarische Siedlungs- und Hausmonographien längst die Suche nach abstrakten «Urtypen» abgelöst. Sensationell ist vorab im alpinen Raum die Neuentdeckung eines hoch- bis spätmittelalterlichen Baubestandes, dies dank der Dendrochronologie. Archivquellen liefern Dokumente zur individuellen Hausgeschichte sowie statistische Übersichten zu allen Baugattungen einschliesslich des ländlichen Gewerbes und der Heimarbeit. Handwerkliche Bauabläufe, die zeitgenössische Wohnkultur und die stilistische Entwicklung der Fassaden und des Hausinnern kommen nicht zu kurz. Die neueren Bände beruhen auf einem topographischen Basisinventar. Sie bieten aber auch da und dort thematische Exkurse zu Themen wie Agrarmodernisierung, Dorfbrände, Bauten im Wandel und selbst die Suche nach einer neuen «künstlichen Ländlichkeit». Heute steht allerdings zu befürchten, dass durch den überbordenden Bauboom und der damit einhergehenden masslosen Zersiedelung den überlieferten Hauslandschaften bald nur noch Reliktstatus eingeräumt wird. Hatte nicht Richard Weiss schon Ende der 1950er Jahre einen tiefgreifenden Wandel vorausgesehen, als er von der «alpinen Krise» und von so widersprüchlichen Realitäten wie dem «erfolgreichen Geschäftsmann im renovierten Riegelhaus» und dem stadtflüchtigen «Intellektuellen in der Alphütte» schrieb? Er war damit zweifellos ein früher BefürVII
worter der Umnutzung, aber nicht um den Preis des Identitätsverlustes von traditionell geprägten Häusern und Landschaften. Sein wissenschaftlicher Weitblick veranlasste die Schweizerische Zeitschrift für Geschichte schon damals zum Urteil, Richard Weiss’ – bis heute unerreichte – Gesamtdarstellung des überlieferten Bauens und Wohnens in der Schweiz sei ein «Muster- und Meisterstück gegenwartsbezogener Volkskunde». Januar 2017 Jean-Pierre Anderegg, Freiburg i.Ü., Volkskundler und Koautor der Buchreihe «Die Bauernhäuser der Schweiz»
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Richard Weiss (1907 – 1962) Richard Weiss verlor den Vater als gut Zweijähriger, die Mutter, als er mit neunzehn im bündnerischen Schiers unmittelbar vor der Matura stand. Beide starben an Tuberkulose. Seine künftige «Mutter» lebte mit ihrem lungenkranken Mann im Höhenkurort Clavadel, sie hatte der leiblichen Mutter noch versprochen, für den verwaisten Buben zu sorgen. Richard fand in Elsa Bosshart-Forrer sogleich eine starke Bezugsperson und pflegte mit ihr ein inniges Verhältnis bis zu deren Tod im Jahr 1953. Sie und der bedeutend ältere Schriftsteller Jakob Bosshart waren kinderlos, doch die beiden pflegten in ihrem offenen Haus den Kontakt zu angehenden Künstlern und Intellektuellen. In die Jugendzeit von Richard fiel auch der erste Weltkrieg. Besonders wichtig empfand er selber die Jahre als interner Schüler an der «Evangelischen Lehranstalt Schiers» mit ihren prägenden Freundschaften und den zahlreichen Streifzügen durch den alpinen Lebensraum des Prättigaus. Auf seine biografischen Umstände entwickelte Richard Weiss zwei auffallende Antworten. Es zog ihn einerseits leidenschaftlich in die Natur, in abgelegene Täler, aber auch Felswände hinauf und in Schluchten hinab – lange bevor Ausrüstungsgegenstände und Routenbewertungen ein wichtiger Antrieb dafür wurden. Andererseits wollte er auf dem akademischen Pfad mit wissenschaftlichen Mitteln mehr Klarheit gewinnen für das Verstehen von Gemeinschaft und Gesellschaft, insbesondere durch die Erforschung ihrer sozialen und kulturellen Ausdrucksformen. Die beiden komplementären Bedürfnisse wurzelten in seinem eigenen Alltag und bestimmten diesen auch wieder. Es geht um Schwäche und Stärke beim einen, Blendung und Durchblick beim andern. Richard Weiss studierte Germanistik in Zürich, im Nebenfach Geschichte. Er verbrachte Auslandsemester in Paris und Heidelberg und schloss 1933 mit der Dissertation «Das Alpenerlebnis in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts» ab. Danach zog es ihn nach Berlin, wo er mit dem unausgesprochenen Wunsch, ein ähnliches Werk für die Schweiz in Angriff zu nehmen, am «Atlas der deutschen Volkskunde» arbeitete. Dabei erlebte er 1934 hautIX
nah, wie die Nazis ihren Einfluss auf die Universitäten durchsetzten. Zurück in der Schweiz war er glücklich, als Lehrer an «seiner» Schule in Schiers eine Stelle zu bekommen. Dann brach der zweite welterschütternde Krieg aus. Richard Weiss vollendete 1941 die umfassende Studie und Habilitationsschrift «Das Alpwesen Graubündens». Zeitweise als Trainsoldat im Aktivdienst, schrieb er am nächsten Buch und schickte vollgeschriebene Zettel an seine Wahlmutter zum Abtippen. Dazwischen betrieb er ausgedehnte Feldforschungen per Fahrrad und zu Fuss. 1946 erschien sein Hauptwerk «Volkskunde der Schweiz», er nannte es einen Grundriss. Neuartig daran war die funktionale Sichtweise, sowohl bei der methodischen Erhebung wie in der sachlichen Darstellung, sie machte das Buch zum Standardwerk des Fachs für mehrere Jahrzehnte. Im gleichen Jahr schuf die Universität Zürich einen Lehrstuhl für Volkskunde und ernannte Richard Weiss zum ersten Inhaber. Richard Weiss war weder leichtsinniger Abenteurer noch abgehobener Intellektueller, sondern ein geerdeter Mensch, der genau beobachtete. Das Gesehene hielt er schriftlich fest, schreibend zu denken gehörte zu seiner täglichen Selbstverortung, beruflich wie privat. Davon zeugen auch seine Tagebücher. Letztlich kreiste bei ihm alles um das Zusammen-Leben, das soziale Tun und Lassen, also auch um die Familie und das so wichtige «Dach über dem Kopf»: Haus und Garten, Dorf und Gemeinschaft – Häuser und Landschaften. Er heiratete 1939 und lebte zuerst noch in Schiers, zog dann mit seiner Frau Liselotte Steinbrüchel und den Kindern näher zur Uni nach Küsnacht. Neben markanten kürzeren Publikationen wurde «Häuser und Landschaften der Schweiz» sein letztes Buch. Richard Weiss verunglückte 1962 auf einer Wanderung im Onsernonetal. Das aufwändige Langzeitprojekt «Atlas der schweizerischen Volkskunde» fand ohne ihn den Abschluss im Jahr 1995. In den gut dreissig Jahren dazwischen und seither hat das Fach Volkskunde unter der Prägung der jeweiligen Lehrstuhlinhaber manchen Wandel erlebt, der sich auch in Namensänderungen niederschlug. Die einst starke Funktion nationaler Vergewisserung ist weggefallen. Die entsprechenden Vereinnahmungen, die nicht nur X
in der deutschen Geschichte evident wurden, gibt es – im wissenschaftlichen Umfeld – kaum mehr. Heute hat man verständlicherweise aber nur schon mit dem Wort «Volk» Mühe, was den Rückblick erschwert. «Volkskunde» erscheint bedeckt vom Staub ideologischer oder musealer Aufbereitung, alte Gerätschaften und gestickte Kissenüberzüge treten vor das innere Auge. Richard Weiss ging es entschieden um etwas anderes. Herdtypus und Geschirr konnten erkenntnisleitend durch ihre Funktionsweise sein, aber in erster Linie interessierten in dieser neuen Volkskunde die Menschen und ihre Tätigkeiten in einer so oder anders ausgestatteten Küche samt den Verknüpfungen zu weiteren Lebensbereichen oder öffentlichen Manifestationen – und wie sich dieses soziale Geflecht, beispielsweise bei der Umstellung vom Holz- auf den Elektroherd, verändert. Nicht die Musterung oder Farbe der Tracht waren wichtig, sondern die innere Haltung und die Gelegenheit, bei der jemand die Tracht tragen wollte, vielleicht auch tragen musste – oder plötzlich nicht mehr trug. Wer die Zeitbedingtheit der Begriffe in Kauf nimmt, findet in den Werken von Richard Weiss eine luzide Darstellung gelebter Gegenwart. Eine Gegenwart, die bereits Geschichte geworden ist, aber diese Geschichte in ihrer Bedeutung bis heute verstehen lässt. Januar 2017
Jakob Weiss
Jakob Weiss (*1948) ist der jüngste Sohn von Richard Weiss. Er hat Geographie mit den Nebenfächern Volkskunde und Geschichte an der Universität Zürich studiert. Als Betriebshelfer und Kleinbauer war er während über zwanzig Jahren in der Landwirtschaft tätig.
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