Beat A. Wartmann, Claudia Wartmann
ORCHIDEENWANDERUNGEN
Haupt NATUR
Beat A. Wartmann, Claudia Wartmann
ORCHIDEENWANDERUNGEN 24 Routen zu Hotspots in der Schweiz
Haupt NATUR
Dr. Beat A. Wartmann ist Biologe und wissenschaftlicher Bibliothekar. Als Vizepräsident von BirdLife Schweiz und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Einheimische Orchideen (AGEO) setzt er sich seit Jahren für einen umfassenden Naturschutz ein. Der ausgewiesene Kenner der einheimischen Orchideenwelt ist Autor des Standardwerks «Die Orchideen der Schweiz. Ein Feldführer». Claudia Wartmann ist Journalistin, Buchautorin, Verlegerin und Kräuterfrau. Aus ihrer respektvollen Annäherung an die Pflanzen entstehen fundierte Texte und eindrückliche Bilder. Sie ist Autorin von «Orchideenwanderungen im Schweizerischen Nationalpark». Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
1. Auflage 2018 Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet. Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb. dnb.de. ISBN: 978-3-258-08057-4 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2018 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Umschlagsbilder: vorne unten: © happyalex_depositphotos; alle übrigen: Claudia & Beat Wartmann Karten: swisstopo; reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA 170265) Layout und Satz: tiff.any, Berlin Printed in Germany Wünschen Sie regelmäßig Informationen über unsere neuen Titel im Bereich Garten und Natur? Möchten Sie uns zu einem Buch ein Feedback geben? Haben Sie Anregungen für unser Programm? Dann besuchen Sie uns im Internet auf www.haupt.ch. Dort finden Sie aktuelle Informationen zu unseren Neuerscheinungen und können unseren Newsletter abonnieren.
Inhaltsverzeichnis
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VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologie und Ökologie der Orchideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleiner Knigge für Orchideenwanderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Tipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ZENTRALSCHWEIZ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Zwischen Hybriden und Honigduft im Alpthal (SZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Pioniere im Goldauer Bergsturzgebiet (SZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Durchs Lorzentobel zum Zigermoos (ZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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NORD- UND NORDOSTSCHWEIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühlingsboten auf dem Hasebuck (SH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pantoffelpracht im Tannbüel (SH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im lichten Wald des Imebärgs (TG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Rücken der Gämse: Gamserrugg (SG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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SÜD- UND SÜDOSTSCHWEIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orchideen an tiefblauen Seen bei Tarasp (GR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orchideen-Zwerge in der Val Mingèr (GR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur letzten Orchidee des Sommers am Calanda (GR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waldvögelein über der Ruinaulta (GR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Wiesenmosaik von Dötra (TI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holunderduft im Val Canaria (TI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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WEST- UND SÜDWESTSCHWEIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über den Gestaden des Thunersees (BE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlang der wilden Kander im Gasteretal (BE). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artenreichtum im Pfynwald (VS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am Felsenkamm von Les Follatères (VS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussichtsreiche Wanderung über La Dôle (VD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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NORDWESTSCHWEIZ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Reben und Rieden am Bielersee (BE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu den Waldorchideen am Weissenstein (SO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchs Chaltbrunnetal zur Latschgetweid (BL/SO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Getäuschte Bienen am Chilpe (BL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über Jurahöhen zum Orchideen-Lehrpfad Erlinsbach (AG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blumenpracht am Bözberg (AG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BlĂźhkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register deutscher Artnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register lateinischer Artnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
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ber 70 Orchideenarten wachsen in der Schweiz. Doch sie sind selten geworden, denn ihre Lebensräume – wie etwa Magerwiesen oder Feuchtgebiete – verschwinden mehr und mehr. Dieser Wanderführer zeigt Wege auf, an denen wildwachsende einheimische Orchideen noch bewundert werden können. Die in diesem Buch beschriebenen Wanderungen wurden so ausgewählt, dass die Orchideen direkt am Weg bewundert werden können, sei dies vom offiziell ausgeschilderten Wanderweg aus oder vom deutlich vorgegebenen Trampelpfad in einem öffentlich zugänglichen Naturschutzgebiet. Es werden hier keine Orchideenarten vorgestellt, die man nur finden kann, wenn man eine Wiese betreten muss, denn die Gefahr, dass dabei Pflanzen zertreten werden, ist zu groß. So werden auch nicht alle in einem Gebiet vorkommenden Arten erwähnt, wenn sie nicht direkt am Weg zu sehen sind. Es
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geht also nicht darum, Wandervorschläge mit Geheimtipps für Orchideenstandorte zu verraten, sondern darum, die Leserinnen und Leser auf die Schönheit einheimischer Orchideen aufmerksam zu machen und sie die bedrohte Vielfalt entdecken und erleben zu lassen. Trotzdem wird dieser Wanderführer unter Orchideenfreunden und in Naturschutzkreisen nicht überall auf Begeisterung stoßen – im Gegenteil. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass Naturschutz, etwas pointiert ausgedrückt, zum Teil immer noch so verstanden wird, dass schützenswerte Gebiete wenn möglich eingezäunt und Standorte seltener Pflanzen geheim gehalten werden sollen. In gewisser Weise ist dies auch verständlich: Es gibt tatsächlich Menschen, die Orchideen ausgraben, um sie an Liebhaber zu verkaufen oder sie zu Hause im eigenen Der Frauenschuh ist die wohl bekannteste einheimische Orchidee. Ihr Bestand hat stark abgenommen.
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Garten einzupflanzen. Und es gibt Menschen, die auf der Suche nach Orchideen Wiesen zertrampeln oder in ihrem Wunsch nach einem noch besseren Bild Jungpflanzen zerstören. Doch die eigentliche Gefahr für die selten gewordenen Orchideen und andere schützenswerte Arten und ihre Lebensräume geht nicht von solchen «Einzeltätern» aus – die eigentliche Gefahr lauert ganz woanders: Sie kommt aus der stickstoffhaltigen Luft, die Magerwiesen mit Nährstoffen düngt; sie kommt aus der intensiven Landwirtschaft, die mit Gülle, Düngemitteln und Pestiziden den Ertrag zu steigern versucht; sie kommt aus der Verbuschung von nicht gepflegten Flächen; sie kommt aus einem falsch verstandenen Sauberkeitswahn, der Grund dafür ist, dass Straßenborde und Wegböschungen bereits während der Blütezeit bis auf die nackte Erde abgemäht werden; sie kommt aus der Unwissenheit über Vorkommen seltener Arten in einem Gebiet, das trockengelegt, abgeholzt oder überbaut wird; sie kommt aus den Veränderungen durch die Erwärmung des Klimas, an die sich die Pflanzen und Tiere nicht schnell genug anpassen können. Um diesen mannigfaltigen Bedrohungen etwas entgegensetzen zu können, reicht es nicht, Gebiete einzuzäunen oder Standorte geheim zu halten. Dazu braucht es etwas mehr, nämlich richtungsweisende Entscheidungen auf politischer Ebene. Aber wie sollen diese zustande kommen, wenn den Menschen in unserem Land gar nicht bewusst ist, welch kostbare Naturschätze unsere Lebensräume beherbergen? Wie soll man sich für etwas einsetzen, das man gar nicht kennenund schätzen gelernt hat? Ja, von dem man nicht einmal weiß, dass es in der Schweiz überhaupt vorkommt? Es gibt Menschen, die
aus allen Wolken fallen, wenn sie erfahren, dass Orchideen nicht nur als günstige Zimmerpflanzen beim Großverteiler erhältlich sind, sondern tatsächlich in unseren Wiesen und Wäldern wachsen. Wir hoffen deshalb, den Leserinnen und Lesern mit diesem Wanderführer die Augen zu öffnen für die fragile Schönheit unserer noch intakten Lebensräume und deren Bewohner. Orchideen mit ihren ansprechenden Blüten und den faszinierenden Anpassungen an ihre Lebensbedingungen sind wie keine andere Pflanzenfamilie dazu geeignet, die Betrachter zu berühren und zu begeistern. Genau darum geht es letztlich: nicht nur den Kopf, sondern vor allem auch das Herz anzusprechen. Wer emotional berührt wird durch die Schönheit der Natur, wird eine Verbundenheit mit ihr empfinden und ihr mit Respekt begegnen und sich allenfalls sogar aktiv für ihren Schutz einsetzen. In diesem Sinne: Machen Sie sich auf, um den wildwachsenden Orchideen draußen zu begegnen und sich von ihnen berühren zu lassen! Claudia und Beat Wartmann
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ZENTRAL SCHWEIZ Zweizeilige Ãœberschrift 1
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Zwischen Hybriden und Honigduft im Alpthal (SZ)
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Wer «Alp» hört, denkt unweigerlich an
eine Bergweide, auf der das Vieh gesömmert wird. Wie also soll man sich das Alpthal vorstellen? Als Tal auf der Alp? Oder als Alp im Tal? Irgendwie wollen Alp und Tal nicht so richtig zusammenpassen. Oder etwa doch? Des Rätsels Lösung ist ganz einfach: Man nenne einen Fluss «Alp» und – voilà – erhält man ein veritables Alpthal. Wenn man beim Restaurant Brunni aus dem Postauto steigt, fällt einem jedoch nicht der Fluss auf, sondern die beiden markanten Felspyramiden, die über dem Tal thronen: die Mythen. Eigentlich ist es falsch, von den
Mythen zu sprechen, denn das Wort «Mythe» wird hergeleitet vom Lateinischen «meta», was so viel bedeutet wie «Kegel, Pyramide». In früheren Jahrhunderten wurden in Ratsprotokollen «die Mythe» durchweg als weibliche Form und in der Einzahl verwendet. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin, Ernst Hodel, Meinrad Inglin – sie alle und noch viele andere mehr haben sie besungen, gemalt und in Gedichten und Erzählungen verewigt. Selbst auf dem Gemälde im Nationalratssaal sind die Mythen mit ihrer charakteristischen Form unschwer zu erkennen.
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darf nur auf den markierten Fuß- und Wanderwegen begangen werden. Schon bald erreichen wir die ersten Feuchtwiesen. Zwischen dem weißen Wollgras ragen unzählige rosafarbene und dunkelviolette Kerzen empor – Orchideen in Hülle und Fülle! Die Bestimmung per Feldstecher ist nicht immer einfach, doch eindeutig identifizieren lassen sich Breitblättrige Fingerwurz, Lappländische Fingerwurz, Fuchs’ Fingerwurz, Langspornige Handwurz und Weiße Waldhyazinthe. Was sich nicht bestimmen lässt, wird der Einfachheit halber kurzerhand als Hybrid klassifiziert; denn wo verschiedene Fingerwurzarten auf so engem Raum nebeneinan-
Und in der Schalterhalle des Basler Bahnhofs leuchten sie als ruhende Felsen in der Brandung der Pendler und Bahnreisenden. Am schönsten sind sie aber immer noch in natura, vor einem echten blauen Himmel und dem frischen Grün der Weiden. An der Postauto-Haltestelle überqueren wir Straße, Parkplatz und die fließende Alp und biegen rechts in den Weg zum Zwäckentobel ein. Wir befinden uns nun im Kantonalen Naturschutzgebiet Ibergeregg, Heimat zahlreicher seltener oder bedrohter Tierund Pflanzenarten. Bis zum 15. Juli gilt deshalb ein Wegegebot, das heißt, das Gebiet
Blick auf die Mythen vom Weg auf den Furggelenstock aus (oben links). Die Tropfen des nächtlichen Regens glitzern auf Orchideen und Grashalmen (rechts).
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der wachsen, tendieren sie dazu, sich untereinander zu kreuzen. Als Resultat entstehen Bastarde, die Merkmale beider Elternarten tragen. Ihre Bestimmung gestaltet sich äußerst schwierig. Das stetige Rauschen des Flusses begleitet uns, während wir seinem Lauf folgen und dabei mehrere kleine Bachläufe überqueren. Unvermittelt wechselt der Weg seine Richtung und steigt steil bergan. Die Fichten haben ihre Wurzeln zu einer Treppe verwoben, die den Wanderern zu einem sicheren Tritt verhilft. Nach dem kurzen Aufstieg können wir uns auf der asphaltierten Alpstraße (Richtung Müsliegg) etwas erholen. Fuchs’ Fingerwurz, Großes Zweiblatt und beide Waldhyazinthen-Arten (Weiße und Grünli-
BREITBLÄTTRIGE FINGERWURZ Dactylorhiza majalis Mit ihrem dicken Stängel und den breiten Laubblättern wirkt die Pflanze recht kräftig und robust. Die dunkelgrünen Laubblätter sind auf der Oberseite meist stark gefleckt. Der zylindrische Blütenstand trägt viele und dichte Blüten, deren Farbe lila bis purpurrot ist. Die Lippe ist deutlich dreilappig und mit auffälligen Schleifen gezeichnet. Die Art liebt feuchte Wiesen.
che) säumen den Wegrand. Doch das ist erst der Anfang! Kaum haben wir die Alpstraße verlassen und sind links auf den Wanderweg abgebogen, durchqueren wir wieder feuchte Wiesen, in denen mehrere Orchideenarten üppig blühen. Wenige Schritte, nachdem wir einen Fahrweg überquert haben, erwartet uns eine weitere Art, die Kugelorchis. Es ist nicht ganz einfach, sie im hohen Gras zu entdecken, umso mehr, als sie mit ihrem kugeligen Blütenstand wie ein blühender WiesenKlee wirkt. Kaum vorstellbar, aber kurz vor der Müsliegg nimmt die Dichte der Orchideen nochmals zu. In den sumpfigen Wiesen sind es vor allem die Lappländische und die Fleischrote Fingerwurz, die in allen Rottönen um die Wette blühen und sich munter untereinander kreuzen. Nach so vielen Orchideen tut eine Verschnaufpause gut. Die wehende Schweizerflagge verrät, dass es nicht mehr weit ist bis zur Alpwirtschaft Zwäcken. Von hier aus genießt man einen herrlichen Blick auf den Großen Mythen, wo auf dem Gipfel die Hütte und die Schweizerflagge auszumachen sind. Mit dem Feldstecher lassen sich sogar die Bergwanderer erkennen, die winzig wie Ameisen den steilen Zickzackweg hinaufsteigen. Auch für uns heißt es jetzt, hinaufzusteigen zum Furggelenstock. Der Weg führt
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über Viehweiden und Kuhtrampelpfade. Da diese Route weniger oft begangen wird, ist der Weg auf dem ersten Abschnitt in der Wiese manchmal nur schwach erkennbar. Orientierungshilfen bieten die mit Stacheldraht umwickelten Holzpfosten mit Bergwegmarkierung. Auf der Halbegg wird plötzlich «die andere Seite» sichtbar – der Hoch-Ybrig mit dem Druesberg und dem fantastischen Voralpenpanorama. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Furggelenstock, von wo aus der Blick 360 Grad in die Runde schweifen kann. Zwei Panoramakarten – zum Schutz vor neugierigen Kühen eingezäunt – erläutern die umliegenden Gipfel. Manch ein bekannter Name ist darunter, wie etwa Pilatus, Stanserhorn, Glärnisch oder Säntis. Selbst der Zürichsee ist in der Ferne zu sehen. Beim Gipfelkreuz laden zwei massive Holzbänke zur Rast ein.
Und wieder flattert eine Schweizerfahne im Wind: Die nächste Alpwirtschaft ist nicht weit. Der etwas steile Abstieg zur Alp Furggelen ist im Nu erwandert. Von hier aus dauert der Weg zurück nach Brunni etwa eine Stunde. Er führt über Wurzeln, Treppenstufen und Holzrugeli durch schattige Waldpassagen und frischgrüne Moorwiesen. Der Asphaltstraße folgen wir nur etwa hundert Meter weit, bis links ein Trampelpfad zum Erlenblätz abzweigt. Hier erwarten uns zwei weitere Orchideenarten. Die eine Art, die Sumpf-Ständelwurz (auch Weiße Sumpfwurz), ist kaum zu übersehen, denn sie überragt die Grashalme deutlich. Ihre lang gestielten Blüten mit den braunrot überlaufenen Kelchblättern und der auffällig geformten Lippe wirken sehr attraktiv. Dies kann man Die Sumpf-Ständelwurz wächst ab Ende Juni in feuchten Wiesen (links). Fantastisches Voralpenpanorama auf dem Furggelenstock (oben).
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von der zweiten Art nicht unbedingt behaupten: Unscheinbar und beinahe unsichtbar wächst die Honigorchis zwischen den Gräsern. An ihrem ährigen Blütenstand hängen die winzigen gelblichen Blüten wie kleine Glöckchen. Und trotzdem haben sie es in sich, sie verströmen nämlich einen süßlichen, an milden Honig erinnernden Duft. Die Art wird auch Kleine Einknolle genannt, denn sie bildet unterirdische Ausläufer, die an jedem Abschnitt eine kleine Knolle aufweisen; mit diesen kann die Art sich auch vegetativ vermehren. In Deutschland wird die Honigorchis auch Elfenständel genannt. Was für ein hübscher Name für diese winzige Orchidee, die tatsächlich elfenähnlich aus dem
dichten Gras aufzutauchen scheint, wenn ein Sonnenstrahl sie streift! Auf dem Erlenblätz wächst die Honigorchis direkt am Weg. Wer mit Gänsefußschritten talwärts tippelt und aufmerksam das Gras absucht, wird sie vielleicht entdecken. Auf gar keinen Fall darf die Wiese betreten werden, denn gerade weil die Honigorchis fast unsichtbar ist, könnte sie unabsichtlich zertrampelt werden! Dieses süßliche «Honigdessert» bildet den Schlusspunkt einer wunderschönen Wanderung mit einer fast unglaublichen Dichte an Orchideen. Genau das Richtige für alle jene, die nie genug bekommen von blühenden Orchideen, fantastischen Moorlandschaften und weiten Ausblicken.
FLEISCHROTE FINGERWURZ Dactylorhiza incarnata Eine kräftig wirkende Pflanze mit einem dicken, hohlen Stängel. Die Laubblätter sind saftig grün und ungefleckt, gekielt oder gefaltet und straff aufwärts gerichtet; bei den obersten ist die Spitze nach innen geneigt. Der zylindrische Blütenstand ist dicht- und reichblütig. Die Farbe der kleinen Blüten ist hell bis dunkel fleischfarbig, an der dreilappigen Lippe sind die Seitenlappen nach unten gebogen. Taucht elfenähnlich aus dem dichten Gras auf und verströmt einen feinen Honigduft: die unscheinbare Honigorchis.
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© swisstopo (BA 170265)
Zwischen Hybriden und Honigduft im Alpthal (SZ)
man aber die herrliche Rundsicht vom Furggelenstock.
Höhenmeter 1600 1400 1200 1000 0
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ROUTE: Restaurant Brunni (1090 m)
J Zwäckentobel J Müsliegg (1426 m) J Zwäcken (1452 m) J Halbegg (1583 m) J Furggelenstock (1655 m) J Furggelen (1526 m) J Restaurant Brunni (1090 m) REINE WANDERZEIT: gute 3 Stunden für
insgesamt 9 km HÖHENDIFFERENZ: 565 m Aufstieg und
565 m Abstieg CHARAKTER DER WANDERUNG: Abwechslungsreiche Wege (Fahrwege, steinige Wege, Alpweiden, Wurzelwege, Trampelpfade, wenig Asphalt) ohne besondere Schwierigkeiten. VARIANTE: Kurz vor dem Furggelenstock besteht die Möglichkeit, an dessen Flanke nach Furggelen zu gelangen; dabei verpasst
ORCHIDEEN AM WEG: Fuchs’ Fingerwurz, Breitblättrige Fingerwurz, Fleischrote Fingerwurz, Lappländische Fingerwurz, Großes Zweiblatt, Weiße Waldhyazinthe, Grünliche Waldhyazinthe, Langspornige Handwurz, Kugelorchis, Sumpf-Ständelwurz, Honigorchis, Männliches Knabenkraut, Weißzunge u. a. m. JAHRESZEIT: Juli VERPFLEGUNG: Restaurant in Brunni, Alp-
wirtschaften Zwäcken und Furggelen (beide Alpwirtschaften verkaufen auch Käse und andere Alpprodukte) AN- UND ABREISE: Mit dem Postauto von
Einsiedeln Richtung Alpthal, Haltestelle Restaurant Brunni KARTE: Landeskarte der Schweiz, 1:25’000, Blatt 1152 «Ibergeregg» INFOS: www.zwaecken.ch, www.alpwirt-
schaft-furggelen.ch, www.hotelbrunni.ch
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Bildnachweis S. 55 unten: Alfred Jäger S. 118: Marie-Thé Roux Alle übrigen Fotos: Claudia und Beat Wartmann
Register deutscher Artnamen Die Zahlen hinter den Artnamen beziehen sich auf die Kapitel, in denen die Art erwähnt wird. Fettgedruckt sind diejenigen Kapitel, in denen die Bestimmungsmerkmale einer Art beschrieben sind. Angebranntes Knabenkraut (Orchis ustulata) 8, 12, 13, 17, 23 Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) 6, 21, 22, 23 Blasses Knabenkraut (Orchis pallens) 4, 17 Bleiches Waldvögelein (Cephalanthera damasonium) 5, 6, 19 Blutrote Fingerwurz (Dactylorhiza cruenta) 8, 9 Bocks-Riemenzunge (Himantoglossum hircinum) 19 Breitblättrige Fingerwurz (Dactylorhiza majalis) 1, 12 Breitblättrige Ständelwurz (Epipactis helleborine) 10, 20 Fleischrote Fingerwurz (Dactylorhiza incarnata) 1, 2, 15, 19 Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera) 2, 4, 5, 6, 8, 11, 13, 22, 23, 24 Frauenschuh (Cypripedium calceolus) 2, 4, 5, 6, 8, 15 Fuchs’ Fingerwurz (Dactylorhiza fuchsii) 1, 3, 5, 7, 8, 11, 12, 15, 18, 22
Großes Zweiblatt (Listera ovata) 1, 2, 5, 6, 8, 9, 11, 12, 14, 15, 21, 23 Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride) 7, 9, 18 Grünliche Waldhyazinthe (Platanthera chlorantha) 1, 2, 3, 5, 6, 12, 13, 21, 22, 23 Helm-Knabenkraut (Orchis militaris) 2, 5, 8, 14, 19, 23, 24 Herbst-Wendelähre (Spiranthes spiralis) 10 Holunder-Fingerwurz (Dactylorhiza sambucina) 13, 17, 18 Honigorchis (Herminium monorchis) 1 Hummel-Ragwurz (Ophrys holosericea) 21, 23 Kleinblättrige Ständelwurz (Epipactis microphylla) 19 Kleine Spinnen-Ragwurz (Ophrys araneola) 22, 23, 24 Kleines Knabenkraut (Orchis morio) 4, 17 Kleines Zweiblatt (Listera cordata) 9, 15 Korallenwurz (Corallorhiza trifida) 8, 9, 15 Kugelorchis (Traunsteinera globosa) 1, 7, 12, 18 Langblättriges Waldvögelein (Cephalanthera longifolia) 2, 4, 5, 6, 14, 16, 22, 23, 24 Langspornige Handwurz (Gymnadenia conopsea) 1, 2, 3, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15, 16, 18, 19, 21, 22, 23 Lappländische Fingerwurz (Dactylorhiza lapponica) 1, 2, 12
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Männliches Knabenkraut (Orchis mascula) 1, 13, 14, 17, 18, 23, 24 Moosorchis (Goodyera repens) 9, 15, 20 Österreichisches Männertreu (Nigritella austriaca) 18 Puppenorchis (Aceras anthropophorum) 17, 19, 23 Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea) 6 Pyramidenorchis (Anacamptis pyramidalis) 21, 22, 23, 24 Rotbraune Ständelwurz (Epipactis atrorubens) 8, 9, 11,16 Rotes Waldvögelein (Cephalanthera rubra) 4, 11, 13, 16 Schmallippige Ständelwurz (Epipactis leptochila) 20 Schwarzes Männertreu (Nigritella rhellicani) 7, 9, 12, 18 Sumpf-Knabenkraut (Orchis palustris) 19 Sumpf-Ständelwurz (Epipactis palustris) 1, 3, 5, 7, 15, 22
Traunsteiners Fingerwurz (Dactylorhiza traunsteineri) 3 Übersehene Ständelwurz (Epipactis neglecta) 20 Violette Ständelwurz (Epipactis purpurata) 20 Violetter Dingel (Limodorum abortivum) 16, 17, 19, 23 Vogelnestwurz (Neottia nidus-avis) 2, 3, 5, 8, 11, 14, 16, 19 Wanzen-Knabenkraut (Orchis coriophora) 11, 17 Weiße Waldhyazinthe (Platanthera bifolia) 1, 2, 3, 5, 6, 8, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 21, 22 Weißzunge (Pseudorchis albida) 1, 7, 9, 15 Wohlriechende Handwurz (Gymnadenia odoratissima) 6, 8, 9, 11, 21, 22 Zwergorchis (Chamorchis alpina) 7, 9
Register lateinischer Artnamen Die Zahlen hinter den Artnamen beziehen sich auf die Kapitel, in denen die Art erwähnt wird. Fettgedruckt sind diejenigen Kapitel, in denen die Bestimmungsmerkmale einer Art beschrieben sind. Aceras anthropophorum 17, 19, 23 Anacamptis coriophora siehe: Orchis coriophora Anacamptis morio siehe: Orchis morio Anacamptis palustris siehe: Orchis palustris Anacamptis pyramidalis 21, 22, 23, 24 Cephalanthera damasonium 5, 6, 19 Cephalanthera longifolia 2, 4, 5, 6, 14, 16, 22, 23, 24
Cephalanthera rubra 4, 11, 13, 16 Chamorchis alpina 7, 9 Coeloglossum viride 7, 9, 18 Corallorhiza trifida 8, 9, 15 Cypripedium calceolus 2, 4, 5, 6, 8, 15 Dactylorhiza cruenta 8, 9 Dactylorhiza fuchsii 1, 3, 5, 7, 8, 11, 12, 15, 18, 22 Dactylorhiza incarnata 1, 2, 15, 19 Dactylorhiza lapponica 1, 2, 12 Dactylorhiza majalis 1, 12 Dactylorhiza sambucina 13, 17, 18 Dactylorhiza traunsteineri 3 Dactylorhiza viridis siehe: Coeloglossum viride
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Epipactis atrorubens 8, 9, 11, 16 Epipactis helleborine 10, 20 Epipactis leptochila 20 Epipactis microphylla 19 Epipactis neglecta 20 Epipactis palustris 1, 3, 5, 7, 15, 22 Epipactis purpurata 20 Goodyera repens 9, 15, 20 Gymnadenia conopsea 1, 2, 3, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15, 16, 18, 19, 21, 22, 23 Gymnadenia odoratissima 6, 8, 9, 11, 21, 22 Herminium monorchis 1 Himantoglossum hircinum 19 Limodorum abortivum 16, 17, 19, 23 Listera cordata 9, 15 Listera ovata 1, 2, 5, 6, 8, 9, 11, 12, 14, 15, 21, 23 Neotinea ustulata siehe: Orchis ustulata Neottia cordata siehe: Listera cordata Neottia nidus-avis 2, 3, 5, 8, 11, 14, 16, 19 Neottia ovata siehe: Listera ovata Nigritella austriaca 18 Nigritella rhellicani 7, 9, 12, 18
Ophrys apifera 6, 21, 22, 23 Ophrys araneola 22, 23, 24 Ophrys holosericea 21, 23 Ophrys insectifera 2, 4, 5, 6, 8, 11, 13, 22, 23, 24 Orchis anthropophora siehe: Aceras anthropophorum Orchis coriophora 11, 17 Orchis mascula 1, 13, 14, 17, 18, 23, 24 Orchis militaris 2, 5, 8, 14, 19, 23, 24 Orchis morio 4, 17 Orchis pallens 4, 17 Orchis palustris 19 Orchis purpurea 6 Orchis ustulata 8, 12, 13, 17, 23 Platanthera bifolia 1, 2, 3, 5, 6, 8, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 21, 22 Platanthera chlorantha 1, 2, 3, 5, 6, 12, 13, 21, 22, 23 Pseudorchis albida 1, 7, 9, 15 Spiranthes spiralis 10 Traunsteinera globosa 1, 7, 12, 18