«Ich möchte meine Berge sehen …» Diese Worte, dem Bergmaler Giovanni Segantini zugeschrieben, sind Ausdruck der Sehnsucht nach den Alpen, wie sie viele empfinden. Dies ist ein Buch über die Schönheit und Vielfalt der Schweizer Alpen.
Ich möchte meine Berge sehen Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen
Franz Ebner (Hrsg.)
Die wissenschaftlich fundierten, lebendig geschriebe nen Texte mit stimmungsvollen Fotografien verfolgen die editorische Idee, die Welt der alpinen Natur in verschiedenen Wissensdisziplinen spannend und informativ darzustellen: Natur und Kultur, Gesteine, Gewässer, Wälder, Tiere, Pflanzen. Die Autoren, ausge wiesene Kennerinnen und Kenner auf ihren Gebieten, fördern die Freude an der Natur, ohne drängenden Umweltfragen auszuweichen. Darin liegen der Reiz und die Faszination dieses reich bebilderten Berg-Lesebuches.
Ich möchte meine Berge sehen
Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen
ISBN 978-3-258-08095-6
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Herausgegeben von Franz Ebner
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Ich mรถchte meine Berge sehen
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Ich möchte meine Berge sehen Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen
Mit Beiträgen von Dominik Siegrist Mark Feldmann Bruno Schädler Peter Brang Hansjakob Baumgartner Constanze Conradin Sonja Hassold Urs Tester Haupt Verlag Ebener_Alpen_Lay_19_Abzug-05_HI-RES.indd 3
Herausgegeben von Franz Ebner 16.08.19 10:23
Voglio vedere le mie montagne – Ich möchte meine Berge sehen. Ein Giovanni Segantini (* 15. Januar 1858, † 28. September 1899), dem grossen Maler alpiner Landschaften zugeschriebener, nicht belegter Ausspruch. Die Publikation wurde durch folgende Institutionen unterstützt:
1. Auflage: 2019 Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet. Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb.dnb.de Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Struktur beitrag für die Jahre 2016 –2020 unterstützt. ISBN 978-3-258-08095-6 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2019 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Grafisches Konzept, Gestaltung und Satz: Katarina Lang, Zürich Bildbearbeitung: Fred Braune, Bern Lektorat: Claudia Huber, Erfurt Projektsupport: Jilline Bornand, Zürich Umschlagmotiv: Marco Volken, Zürich (Bildmitte Crasta Mora, im Hintergrund Berninagruppe mit Piz Palü) Gedruckt in Deutschland www.haupt.ch
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Inhaltsverzeichnis Ich möchte meine Berge sehen Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen Natur und Kultur – Gesteine – Gewässer – Wälder – Tiere – Pflanzen Alles hängt zusammen, alles macht Sinn 7
Vorwort von Franz Ebner
Vom alpinen Naturraum zur Kulturlandschaft – eine Reise vom Säntis zur Adula 17
Dominik Siegrist
Zeitreise durch die Schweizer Alpen 45
Mark Feldmann
Wasser – Ursprung allen Lebens 81
Bruno Schädler
Bergwälder auf dem Weg zu neuer Wildnis 117
Peter Brang
Zoologische Wanderungen 149
Hansjakob Baumgartner
Alpines Pflanzenkleid 191
Constanze Conradin / Sonja Hassold
Ein Blick aufs Ganze Die Alpen 229
Dominik Siegrist
Klimaerwärmung 231
Bruno Schädler
Unfassbare Lebensvielfalt 233
Urs Tester
Anhang Weiterführende Literatur 236 Weiterführende Literatur / Ein Blick aufs Ganze 238 Über die Autoren 239 Über den Herausgeber 240 Bildnachweis 240
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Vorwort
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Alles hängt zusammen, alles macht Sinn Franz Ebner
Jahre zurück, eine Bergwanderung wie andere. Der Weg führt vom Julier Hospiz über die Fuorcla digl Leget in das Val da Natons, an Sala tegnas vorbei nach Bivio. Dort noch nicht ganz angelangt, begegne ich einem anderen Wanderer. Wir kommen ins Gespräch. Mein Gegenüber entpuppt sich als profunder Kenner der Region, erzählt von spektaku lären Besonderheiten eines Wegs, den ich zwar eben zurückgelegt, aber von dessen Sehens- und Wissenswertem ich wenig mitbekommen habe. Dieser Weg, diese Erfahrung sollten sich rückblickend als Geburtsstunde dieses Buches erweisen. Zwölf Monate später dieselbe Wanderung. Diesmal bin ich vorberei tet und habe mir vermehrte Aufmerksamkeit vorgenommen für das, was mir an belebter und unbelebter Natur begegnet. Es ist Spätsommer. Erste kühle Nächte haben auf der alpinen Pflanzendecke Spuren hinter lassen. Die Farbe des karger werdenden Grases ist gelblich. In dieser hö heren Vegetationszone muss sich das alpine Leben beeilen, der Sommer ist kurz. Unweit der Julier Passhöhe tiefe Rillen im Felsen, mitten auf dem Weg. Bei meinem ersten Gang in das Gebiet des Val d’Agnel hatten mich diese Einschnitte leicht irritiert, aber zu keinem besonderen Nach denken veranlasst. Nicht durch Witterung entstandene Rillen sind es, sondern römische Karrengeleise. Kenner rhätischer Verkehrsachsen be stätigen, dass die Pässe Septimer und Julier von den Römern für ihre dem Handel und dem Krieg dienenden Alpenquerungen benutzt worden sind, auf teilweise bereits in früherer Zeit angelegten Wegen. Der Pfad führt schnell entlang der noch jungen Julia bergan. In ihrem über Stufen herabfliessenden klaren Bergwasser glänzen ver schiedenfarbige Steine und fordern geradezu den Blick des Betrachters heraus. Nach einigen ins Schnaufen bringenden Steilstufen öffnet sich der Taleinschnitt zu einer Fläche, die mich bei meiner ersten Begehung
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spontan an ein «Fussballfeld» denken liess. Mit Sport allerdings hat diese glatte Ebene nichts zu tun, wohl aber mit den Sedimenten eines trocken gelegten Gletschersees. Rechts des Wegs, unübersehbar, der Corn Alv mit einer Haupthöhe von 2869 Metern. Treibhausgas ist in ihm gespeichert, produziert in erdgeschichtlichen Zeiten aus kalkhaltigen Überresten von Plankton. Hinabtauchen in die Erdgeschichte! Ich nehme mir vor, mein spärliches geologisches Wissen unverzüglich aufzubessern. Heute ist eine Nullgradgrenze von über 3500 Metern vorausgesagt. Entsprechend komme ich ins Schwitzen. Beidseits des Weges fallen gelb getönte Steine auf, rundum mit kleineren und grösseren Poren versehen. Rauwacken sind es, alpine Dolomitbrocken, ihre Gipsanteile sind längst verwittert und herausgewaschen. Dieser steinige Zeitzeuge mutet äus serlich nicht besonders attraktiv an, beeindruckt aber umso mehr mit seinem stattlichen Alter: um die 240 Millionen Jahre. Ein letzter Energieschub bringt mich auf die mit kleinerem Gestein bedeckte Fuorcla digl Leget. Manche sehen in diesem Passübergang nur eine kahle Mondlandschaft, mich fasziniert er an diesem schönen Tag, gerade seiner Kargheit wegen. Ich verweile in der wärmenden Mittags sonne am Rand des Lei Leget, einem Seelein, hingelegt in die Gebirgs landschaft. Es ist ohne Zu- und Abfluss. Regen, Schnee und Eis füllen den See, Sonne und Wind lassen das Wasser verdunsten, und alpiner Perma frost verhindert, dass sich ein Abfluss ausbildet. Wie lange mag es der Erderwärmung und ihren vielfältigen Auswirkungen trotzen? Ich stehe an einer Stelle, die bekannt ist für ihre geologische Besonderheit. Von einem Superkontinent Pangäa ist die Rede. Er bricht auseinander, es entstehen ein südlicher, afrikanischer und ein nördlicher, europäischer Kontinent. Dazwischen macht sich die Tethys breit – ein Urmeer gewal tigen Ausmasses. Kein Wunder, gerät meine Fantasie in Bewegung, lässt mich eintauchen in eine Welt, wie sie vor 150 Millionen Jahren ausgesehen hat. Ich sehe mich am Ufer einer weiten Lagune. Flach das Was ser, tropisch das Klima, zu Lande Farne verschiedenster Grösse und Riesenschafthalme mit rohrähnlichen Stämmen, im Wasser Schnecken, sonderbare Fische, Ammoniten, Seeigel. Es sind Bilder von zauberhafter Magie, wie ich sie als Kind in Oswald Heers «Die Urwelt der Schweiz» bestaunte und mir daraus meine Fantasiewelt baute. Weiter geht’s, steil hinunter in das Val da Natons. Kreuz und quer liegen Steinplatten verschiedener Grösse. Wunderschön sehen sie aus.
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Vorwort
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Von hell- bis dunkelgrüner Farbe und mit weissen Flecken bedeckt. Ich bücke mich und streiche über die im Sonnenlicht glänzenden Steine. Serpentinit ist es, ein Gestein nur ein paar Millionen Jährchen alt, wie mir ein Fachmann der Geologie versichert. Mit einigem Zögern packe ich ein Stück dieses prächtigen Grüns in meinen Rucksack. Wenn das jeder täte, der ganze Berg würde abgetragen. Welche Vorstellung! Über den Kanonensattel führt der Weg hinunter nach Salategnas, wenige Gebäude am südlichen Rand der Alp Flix mit ihrer geschützten Hochmoorland schaft. Die Terrassenebene soll von Walsern besiedelt und bewirtschaf tet worden sein. Auf der offenen Ebene die um 1600 erbaute Kapelle Son Roc – ein schönes Beispiel für das Zusammenfinden von Natur und Kul tur. Von Salategnas führt der Weg dem nahen Bach entlang hinunter nach Bivio. Auf der gegenüberliegenden Talseite der mit seinen knapp 3400 Metern prächtig und stark wirkende Piz Platta. Dicht an dicht stehen stattliche Fichten, dann ein grösseres Feuchtgebiet. Wenige Geh minuten weiter eine zur Gemeinde Sur gehörende Lichtung namens «Gruba». Eine Eisenerzabbaustelle mit mehreren Stollen, von mir bei meiner früheren Wanderung schwer vernachlässigt. Leicht erhöht auf einer Schlackenhalde ein gut meterhohes Stollenmundloch, abweisend, dunkel. Ich leuchte mit der Taschenlampe in die Öffnung, verzichte aber wohlweislich auf nähere Erkundungen im Innern. Der Gedanke an ein solches Vorhaben erinnert unweigerlich an historische Illustrationen schwer schuftender Bergleute. Das Gegenteil von Romantik kommt auf, aber: Es ist ein weiteres kulturgeschichtliches Zeugnis Natur-Kultur, Mensch-Technik. Der Weg zieht sich über Buckel langsam ins Tal der Julia. Für kurze Zeit kommt rechts unten der Marmorera-See ins Blick feld. Bivio ist in Sicht, das Ende meiner Wanderung erreicht.* Wissen, um zu sehen Ich machte keine ungewöhnliche Erfahrung, aber jeder macht sie immer wieder für und an sich selbst: Ich kann nur sehen, was ich weiss. Inso fern gestaltete sich das Ende meiner Wanderung als Beginn eines Weges, der zu dem vorliegenden Buch führen sollte. Vorerst allerdings ging es *Seit 2012 liegt die Route Julier – d’Agnel – Salategnas – Bivio im 2012 eröffneten Regionalen Naturpark Parc Ela.
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darum, ungefähres Wissen über die alpine Biodiversität anhand geeigneter Literatur zu vertiefen. Neben Naturbeschreibungen unserer Tage hatten es mir vor allem klassische Werke früher Naturschriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts angetan. Alexander von Humboldt mit seinem «Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung» ist einer dieser Autoren, ein anderer Bénédict de Saussure mit seinen «Reisen durch die Alpen» oder Oswald Heer mit der «Urwelt der Schweiz». Weitere Impulse für den Entwurf des vorliegenden Buchs haben zwei «nature writer» ausgelöst: Henry David Thoreau mit «Walden» sowie John Muir mit «Die Berge Kaliforniens». Alle diese grossartigen Naturalisten haben mit ihren Schriften zum ideellen Fundament dieses Buchs beigetragen, viele Jahrzehnte nach der Veröffentlichung ihrer Werke. Ihre Bücher zeichnen sich aus durch Wissen und Fantasie, durch Vernunft und belebenden Stil. Für Humboldt «hängt alles mit allem zusammen», und de Saussure fordert die Naturbeobachter auf, «die grossen Gegenstände im Ganzen und in ihren Beziehungen anzuschauen». Natürlich können wir den Gestus dieser Wegbereiter eines ganzheitlichen Naturverständnisses nicht kopieren. Es wäre in der heutigen Zeit auch nicht angebracht, aber wir können deren Vorstellung vom Ganzen der Natur, vom Netz des Lebens durchaus übernehmen, können versuchen, den Lesern die Schönheit und die Vielfalt der alpinen Natur mit unserer heutigen Sprache und unserer heutigen Sicht näherzubringen. Jedenfalls haben wir uns dies zum Ziel gesetzt. Zum Glück fanden sich Autorinnen und Autoren, die bereit waren, Gedanken dieser Art in ihren Texten aufzunehmen und ihre Kräfte für ein Buch einzusetzen, das die Vielfalt der Natur in der Vielfalt der Themen spiegelt. Vom alpinen Naturraum zur Kulturlandschaft – eine Reise vom Säntis zur Adula Was wir heute als Naturlandschaft erkennen, ist Kulturlandschaft – vom Menschen über Generationen geprägt. Diese Entwicklung geht weiter und wird intensiv diskutiert. Geht es um die Bedürfnisse des Menschen oder um jene der Natur? Gelingt uns eine Koexistenz? Fragen dieser Art gehören zu den Kernthemen des Geografen und Landschaftsplaners Dominik Siegrist.
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Vorwort
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Zeitreise durch die Schweizer Alpen Wie sind die Alpen entstanden? Der Geologe Mark Feldmann nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch die erdgeschichtliche Vergangen heit. Er zeigt das Wechselspiel zwischen Hebung und Erosion auf, dem die Alpen ihre heutige Gestalt verdanken, und weist uns auf Gebirgszüge und Gesteine hin. Wasser – Ursprung allen Lebens Wasser fasziniert – sei es der schnell fliessende Bergbach, der klare Alpen see, als schneebedeckte Gebirgslandschaft, als Eis der Gletscher. Und es ist die Quelle des Lebens. Der Meteorologe und Klimaforscher Bruno Schädler vermittelt uns an Beispielen die Grundlagen für das Verständnis der klimabedingten Veränderungen. Bergwälder auf dem Weg zu neuer Wildnis Bergwälder spielten und spielen für die Bewohner der Alpen eine wich tige Rolle. Der Forstwissenschaftler Peter Brang beleuchtet die Nutzungs geschichte der Wälder, beschreibt den Wertewandel, den sie erfahren haben, und zeigt die klimabedingten Entwicklungen auf – der Wald der Zukunft wird anders aussehen als der heutige. Zoologische Wanderungen Aus der grossen Vielfalt des alpinen Tierlebens greift der Zoologe Hans jakob Baumgartner neun Arten heraus. Wir kennen sie vielleicht aus der Feldstecher-Perspektive oder von unerwarteten Begegnungen von Ange sicht zu Angesicht. Dank der kenntnisreichen Porträts werden wir künf tig mehr sehen und verstehen. Alpines Pflanzenkleid Eine blühende Wiese im Frühsommer, ein mit winzigen Pflanzen über und über bedeckter Fels – gehen uns da nicht die Augen über? Wo wächst was und warum? Die Botanikerinnen Constanze Conradin und Sonja Hassold erklären uns die faszinierenden Anpassungen der Pflanzen an die jewei ligen Standortbedingungen.
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Grundsätzliche Überlegungen Wer über die Diversität der alpinen Natur schreiben will, der muss einen übergrossen Stoffreichtum auf wenige Seiten verdichten. Das geht nur mit Auswahl und Verzicht. Weitere editorische Überlegungen drängten sich auf. Etwa die: Verstehen wir die Alpen als «Problemlandschaft»? Die Zerstörung der Natur wird von vielen Menschen mit zunehmender Be sorgnis wahrgenommen. Bedeutet das, dass an dieser Stelle Warnungen über den Zustand der Natur unerlässlich sind? Wir sind überzeugt, dass unsere Leserinnen und Leser um das bedrohliche Szenario wissen, und überzeugt davon, dass das Aufzeigen des Schönen und Schützenswerten dem Respekt gegenüber der Natur förderlicher ist als repetitives Klagen. Was jedoch nicht bedeutet, in verklärende Schönfärberei zu verfallen. Die Autoren weisen in ihren Beiträgen auf spezifische Belange der be drängten Natur hin. Darüber hinaus werfen wir (auf den Seiten 229 bis 234) einen BIick aufs Ganze: Dominik Siegrist informiert über die drasti schen Veränderungen in der alpinen Natur. Bruno Schädler schreibt über den Wasserhaushalt im Gebirge in Zeiten der Klimaerwärmung, und Urs Tester macht sich grundsätzliche Gedanken über die Gefährdung der Vielfalt des Lebens. Auf detaillierte Orts- und Wegangaben wurde ver zichtet. Aus den Texten der Autoren gehen genügend Anhaltspunkte hervor, wo sie sich in ihren Naturbeschreibungen befinden. Auf diese Weise erleichtern sie uns das Selbersehen und Selberverstehen. Ein Hinweis zum Titel des Vorworts «Alles hängt zusammen, alles macht Sinn.» Alexander von Humboldt (1769–1859) versteht die Natur als zusammenhängendes Ganzes, als Netz des Lebens, nichts ist ohne Sinn. Um diese ganzheitliche Sicht ringen wir mehr denn je. Die Lektüre einiger Schriften von Alexander von Humboldt hat mich in diesem Denken beeinflusst, ebenso Andrea Wulfs Buch: «Alexander von Humboldt oder die Erfindung der Natur».
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Vorwort
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Dank Den Autorinnen und Autoren dieses Buchs. Sie haben Ja gesagt zu einem Buch, das Einblicke gewährt in die Vielfalt alpinen Lebens. Sie haben mir Zeit gewährt für vertiefende Gespräche über ihre Forschungs- und Wis sensgebiete. Haben mich mitgenommen auf Exkursionen, an Fachtagun gen teilnehmen lassen oder auf Vorträge zum Thema Alpen hingewiesen. Sie sind die Hauptdarsteller. Mein Dank geht an all jene Menschen, die mir über lange Zeit gedul dig mit Fragen und Kritik, mit Zuhören und Rat hilfreich und aufmun ternd beigestanden haben, sowie an den Haupt Verlag für die sorgfältige Drucklegung. Die Herausgabe dieses Buchs finanziell gefördert haben die Stiftun gen Avina, Ernst Göhner und Albert Koechlin. Wir danken herzlich. Franz Ebner Herausgeber Sommer 2019
Nachfolgende Doppelseite Der Wildhauser Schafberg wacht über das Obertoggenburg.
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Vom alpinen Naturraum zur Kulturlandschaft – eine Reise vom Säntis zur Adula Dominik Siegrist
König der Ostschweiz und Toggenburger Bauern Wir stehen auf dem Säntisgipfel, dem ungekrönten König der Ostschweiz. Die Frage, wem Grund und Boden hier herum gehört, beschäftigte die Ostschweizer lange Zeit. Nun ist geklärt, dass der Säntis den Appenzel lern und den Toggenburgern gemeinsam gehört. Auf dem Säntis treffen nämlich die drei Kantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Inner rhoden und St. Gallen zusammen. Von hier aus reicht der Blick von den Bergen der Ostschweiz und des Toggenburgs, Vorarlbergs und Liechten steins über die Gipfelflur Graubündens bis zum Monte Disgrazia in Itali en. Daran schliessen die Glarner Alpen mit dem Tödi und die Berge der Zentralschweiz an. In westlicher Richtung weitet sich der Blick über das Schweizer Mittelland, in den Jura und zum Schwarzwald. Was für ein erhabenes Gefühl, da oben zu stehen und die Alpen zu überblicken! Der Säntis ist nicht nur wegen seiner besonderen Gestalt, sondern auch in geologischer Hinsicht ein ganz besonderer Berg. Er entstand nicht an jener Stelle, wo er heute steht, sondern rund zwölf Kilometer weiter südlich. Die Gesteine des Säntis wurden im Erdmittelalter vor über hundert Millionen Jahren in einem Flachmeer abgelagert. Erst mit der Alpenfaltung gelangte der Säntis an seinen heutigen Ort. Seine Schichten verdanken ihre raue, kantige Form den harten Kalkgesteinen, die rund um den Gipfel verschiedene Zonen mit je eigenen Charakteristika bilden. In den tieferen Lagen tritt die Molasse mit ihren weicheren Gesteinen auf, für die etwa die Nagelfluh typisch ist. Wie überall in den Alpen hat die Geologie einen wesentlichen Einfluss auf das Landschaftsbild und auf die Landnutzung. Während im Toggenburg die kargen Kalkböden für die Alpwirtschaft wenig hergeben, sind die Molassegebiete fruchtbarer, doch ist dort oft die Vernässung der Böden ein Problem.
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So wie der Säntis ein geologisches Phänomen darstellt, ist er seit Langem auch eine Attraktion für Jung und Alt. Schutzbauten und Gast häuser gab es hier oben schon vor über hundert Jahren. Seit 1935 trans portiert die Säntis-Schwebebahn die Gäste von der Schwägalp über schwindelerregende Abstürze auf den Gipfel. Der Säntis stand damit ganz am Anfang der Erschliessung der Alpen mit Seilbahnen. Heute überwindet die Bahn in nur zehn Minuten Fahrzeit über tausend Höhen meter und ermöglicht jährlich Hunderttausenden den grandiosen Pano ramablick von oben. Am Säntis gibt es keine Skilifte, das Gelände wäre zu steil dafür. So stehen die Säntisbahn und die Säntiswirte für einen im Sommer und Winter wirtschaftlich erfolgreichen Tourismus, der das Bergerlebnis in den Mittelpunkt stellt. Das Toggenburg ist unser nächstes Ziel, zu Fuss ist es vom Säntis gipfel über teils steile, aber gut gesicherte Wege zu erreichen. Die Route führt durch die eindrückliche Karstlandschaft mit ihren weitläufigen Karrenfeldern, die im gleissenden Licht der Bergsonne silbergrau glän zen. Karstphänomene bilden sich in chemischen Prozessen unter Ein fluss des Regenwassers. Wegen der tiefen Spalten ist das Verlassen der markierten Wege nicht ungefährlich. Zwischen den Rillen der weitläu figen Kalkbänder fassen Pflanzen Fuss und bringen etwas Grün ins Grau. Wenn es nicht gerade regnet, was hier allerdings häufiger vorkommt, ist es da oben sehr trocken, man hört kaum Bergbäche rauschen, alles Was ser versickert durch den durchlässigen Untergrund sofort in die Tiefe, der grösste Teil der Entwässerung findet unterirdisch statt. Anders als die Abhänge des Säntis ist das Haupttal des Toggenburg fruchtbar und grün und ermöglicht eine intensive Grünlandwirtschaft. Der Schwerpunkt liegt auf der Viehwirtschaft mit der Produktion von Milch und Fleisch. Hier wird ein ansehnlicher Anteil des weltberühm ten Appenzeller Käses hergestellt. Offenbar ärgern sich die Talbewohner bis heute darüber, dass der Name ihres Käses von den Nachbarn kommt und er nicht «Toggenburger» heisst. Doch es finden Veränderungen im Agrarsektor statt, und der Anteil der Milchbauern geht zurück, die Pro duktion von Fleisch wird immer bedeutender. Beliebt ist heute die Mut terkuhhaltung, bei welcher die Kälber nach der Geburt bei den Mutter tieren bleiben. Auch die Bio-Landwirtschaft erfreut sich zunehmender Beliebtheit, ebenso der Anbau von Spezialprodukten wie zum Beispiel Kräutern für die Herstellung von Tee.
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Der aus dem Toggenburg stammende Schriftsteller Peter Weber hat in seinem Buch «Der Wettermacher» diese Landschaft treffend beschrie ben: Wie sich die Sonne im Winter für eine Seite entscheide und so wirt schaftliche Schwerpunkte setze. Morgendlich aufsteigend, erweise sie zwar vorerst beiden Seiten ihre Gunst, lecke kleinzüngig Zauber an eis beschlagene Gipfel, bringe frostbesetzte Felsenberge mit kleiner Glut ins Lodern, versehe riesige Faltenmassen mit demselben lichten Streifen Ahnung, schiebe bläuliche Schatten dunkelblau und nach Westen ab … Wer kennt nicht den Kranz der sieben Churfirsten, die über die süd liche, schattige Seite des Obertoggenburg wachen. An ihren Flanken lie gen die Skigebiete. Zwei voneinander unabhängige Bergbahngesell schaften kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen, die nicht zuletzt mit dem zunehmenden Schneemangel zu tun haben. Die Talstationen in Unterwasser und Wildhaus liegen auf rund 1000 Metern über Meer und damit verhältnismässig tief. Bei winterlichen Wärmeeinbrüchen mit Föhn ist es da mit dem schönen Weiss rasch vorbei. Zudem zeitigt das Kirchturmdenken negative Folgen. Alle Versuche, die beiden Betriebe in einer Gesellschaft zusammenzufassen und so Kosten zu sparen und Synergien zu schaffen, sind bisher gescheitert. Mit den Sorgen der Bahnen einher geht die Krise der lokalen Hotel lerie, die bereits viele Betten verloren hat und oft zu wenig Innovations freudigkeit und Investitionsbereitschaft zeigt. Manchmal fehlt in den konservativ geprägten Berggemeinden ganz einfach der Veränderungs wille, um die überkommenen Strukturen zu reformieren und neue Mög lichkeiten anzugehen. So gehen im Tal immer mehr Arbeitsplätze verlo ren, und eine zunehmende Zahl von Einheimischen muss zur Arbeit in die nahen Regionalzentren pendeln. Mit diesen Problemen ist das Ober toggenburg jedoch beileibe kein Einzelfall. Alpenweit kämpfen Hunder te von Skistationen mit vergleichbaren Schwierigkeiten, ohne dass sich neue Zukunftsperspektiven auftun. Damit sind wir bei einem Thema angelangt, das die Bevölkerung der Berggebiete und darüber hinaus auch viele andere bewegt. Wohin entwi ckeln sich diese strukturschwachen Regionen, die einerseits über eine aussergewöhnliche Natur, Kultur und Landschaft, andererseits über we nig wirtschaftliche Möglichkeiten verfügen? Die meisten jungen Leute verlassen ihre Dörfer, um im Unterland ihre Ausbildung zu absolvieren und später dort Arbeit zu finden. Zurück kehren nur wenige, für gut aus
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gebildete, jüngere Fachkräfte fehlen in den Tälern geeignete Arbeits möglichkeiten. Die Abwanderung hat aber nicht nur wirtschaftliche Gründe. Viele Junge ziehen die urbanen Strukturen der Städte mit ihren vielen Möglichkeiten den sozial und kulturell oftmals beengten Verhält nissen im Berggebiet vor. Dabei gibt es durchaus innovative Ansätze, die für die Berggebiete eine neue Zukunft ermöglichen. Diese reichen von veränderungsberei ten landwirtschaftlichen Betrieben, zum Beispiel mit ökologischer Di rektvermarktung, über innovative Ansätze im Tourismus bis hin zu neuen Kulturinitiativen. So wirkt im Toggenburg der Verein «Klangwelt Toggenburg» seit Jahren sehr erfolgreich. Ausgehend von der reichen Ge sangs- und Musikkultur des Toggenburgs werden in Klangkursen, auf dem Klangweg, bei Festivals und Konzerten neue Erlebnisse zum Thema Klang, Resonanz, Brauchtum und Stimme angeboten. Die international vernetzte «Klangwelt» hat der Region viele neue Freunde aus dem Inund Ausland gebracht. Ein interessanter Ansatz könnte auch sein, die Zweitwohnungsbesitzer vermehrt in die Gestaltung der Zukunft der Berggemeinden einzubeziehen. Sie sind oft gut vernetzt und manchmal auch bereit, für Projekte finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder solche zu vermitteln. Über einen Friedenstempel hinunter zum Walensee Von Wildhaus geht es über die Churfirsten zum Walensee hinüber. Wir durchqueren die Toggenburger Streusiedlungen unter dem Chäserrugg und gelangen zu den letzten Alphütten unter den steilen Felszacken. Auf mageren Bergwiesen gedeihen seltene Pflanzenarten wie die StraussGlockenblume oder der Hohe Rittersporn. Wenn man Glück hat, begeg net man hoch oben dem Ostalpen-Enzian, den es in der Schweiz nur hier im Churfirstengebiet gibt. Die Kulturlandschaft ist durch viele Einzelge höfte geprägt. Diese für viele Berggebiete typische dezentrale Siedlungs struktur gab den Bauern früher die Möglichkeit, näher an ihren Wiesen und Weiden zu sein, bei der Bewirtschaftung konnten sie dadurch lange Gänge vermeiden. Ein ausgeklügeltes Netz von Scheunen, Ställen und Verbindungswegen sichert so auch in strengen Wintern das Überleben. Im Sommer wurde das Gras mit der Sense geschnitten und als Winter vorrat eingelagert. Jeder Quadratmeter Land, mochte er noch so un
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zugänglich sein, wurde gepflegt. Was wir bis heute als traditionelle alpine Kulturlandschaft wahrnehmen, ist das Ergebnis unvorstellbar harter Arbeit früherer Generationen. Seit einigen Jahrzehnten zieht sich die Berglandwirtschaft aus den abgelegenen Flächen immer mehr zurück. Im Gegenzug dazu wird die Nutzung der Gunsträume intensiviert, unabhängig davon, ob es sich um Bio-Landbau oder konventionelle Landwirtschaft handelt. Viele Flächen sind heute überdüngt, die Artenvielfalt ist stark zurückgegangen. Nut zungsintensivierung in den einen Gebieten steht somit dem Trend nach neuer Wildnis in den anderen Gebieten gegenüber. Der Vergandung und Verbuschung der Wiesen folgt die Verwaldung. In der Schweiz, vor allem im Berggebiet, nimmt der Wald jährlich um die Fläche des Thunersees zu, das entspricht rund 4000 Fussballfeldern. Empfinden viele Bewohner des Berggebiets die Waldzunahme als Verlust und Bedrohung, sieht die urbane Bevölkerung die Entwicklung von neuer, sekundärer Wildnis oft weniger negativ. Im Zuge der gesamt gesellschaftlichen Naturtrends ist das Bild der neuen Wildnis für viele positiv besetzt und steht gegen die fortschreitende weltweite Umwelt zerstörung. So werden vermehrt Überlegungen angestellt, wie in Zukunft neu entstehende Wildnisgebiete für den Tourismus nutzbar gemacht werden können. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass ohne den Beitrag der Berglandwirtschaft in Zukunft die bequeme Zugänglichkeit der Berge für die Wandernden nicht mehr gewährleistet sein wird. Wandern ist seit jeher eine der wichtigsten Freizeitaktivitäten im Toggenburg, und an schönen Wochenenden wird das Tal von Tagesaus flüglern überschwemmt. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war es auch eine der beliebtesten Feriendestinationen der Schweiz. Es gab zahlreiche Hotels, und der Fremdenverkehr florierte im Sommer wie im Winter. Doch der Strukturwandel im Schweizer Bergtourismus hinterlässt gera de auch im Toggenburg seine Spuren. Als Folge sinkender Gästezahlen mussten zahlreiche Hotels schliessen, heute gibt es gerade noch eine Handvoll guter Beherbergungsbetriebe. Seit 2008 kommen die Auswir kungen des starken Schweizer Frankens hinzu, was zu einem Einbruch insbesondere bei den Gästen aus Deutschland geführt hat. Seit Jahren bemühen sich die Verantwortlichen, dem Obertoggen burger Tourismus wieder neues Leben einzuhauchen. Projekte zur För derung der Sommersaison wurden ebenso lanciert wie die kostspielige
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Sanierung von Bergbahnen und der Bau von künstlichen Beschneiungs anlagen. Doch nicht alle Initiativen stossen auf die Zustimmung der Be völkerung. So lehnten die Stimmbürger die Schaffung eines Regionalen Naturparks zweimal ab. Die Ängste insbesondere der bäuerlichen Ein wohner vor Einschränkungen durch den neuen Park waren zu gross. Eine vertane Zukunftschance meinen die einen, zum Glück sind wir kei ne Parkbewohner, sagen die anderen. Unter dem Selun, dem westlichsten der sieben Churfirsten, liegt das sagenumwobene Wildmannlisloch. Die kleine Karsthöhle ist immer zugänglich, und ausgerüstet mit einer Stirnlampe kann sie jedermann besuchen. Um das Loch im Berg ranken sich viele alte Legenden, eine lautet folgendermassen: Im Wildmannlisloch hausten die wilden Männ chen. Diese halfen den Alpknechten und Talbewohnern oft bei der Arbeit, sie seien dienstfertig gewesen. Einmal hat ihnen ein Senn aus Dankbarkeit ein Essen hingestellt, ein anderer gab ihnen Kleider. Von da an hat man von den wilden Männchen nichts mehr gesehen. Es war also besser, mit ihnen nicht in Kontakt zu kommen. Unter den Churfirsten liegen zahlreiche weitere unterirdische Gän ge. Eine Ahnung von der Dimension des ausgedehnten Höhlensystems erhält man bei der Rinquelle in Betlis (Gemeinde Amden) am Walensee. Die Rinquelle ist eine der grössten Karstquellen Europas und liegt am Eingang einer ausgedehnten Wasserhöhle. Bei starken Niederschlägen donnert das Höhlenwasser als imposanter Wasserfall über eine rund vierzig Meter hohe Felswand hinunter. Es fällt direkt in das Becken der daneben liegenden Seerenbachfälle, die eine Gesamthöhe von nicht we niger als 585 Metern besitzen. Im Sommer ist die Rinquelle oft trocken, das Höhlensystem unter den Churfirsten entwässert dann zur Thur im Toggenburg. Hoch über dem Walensee gelangen wir auf die Terrasse des Walen stadtbergs mit seinem Sanatorium hinunter. Früher ein bekanntes Lun gensanatorium, ist es heute Rehazentrum der Kliniken Valens. Auf dem Walenstadtberg vollendete der Künstler Karl Bickel aus Dankbarkeit für seine Heilung von der Tuberkulose nach 25 Jahren Arbeit den Frie denstempel Paxmal. Der Name des 1949 eingeweihten Monuments prangt in den drei grossen Lettern «PAX» unter dem Giebel. Zwischen zeitlich in Vergessenheit geraten, ist das Denkmal in jüngerer Zeit wie derentdeckt worden, auch dank des seit 2002 bestehenden Museums
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Vom alpinen Naturraum zur Kulturlandschaft
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Der FrĂźhling erwacht am Murgsee in der Tektonikarena Sardona.
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Dominik Siegrist
ickel in Walenstadt. Karl Bickel finanzierte seinen Lebensunterhalt B übrigens fast 40 Jahre lang mit der Gestaltung von Briefmarken für die Schweizer Post. Wir sind nun am Walensee, der tief eingeschnitten auf nur 419 Me ter über Meer zwischen hohen Bergflanken liegt. Vom Seespiegel zum Gipfel des Hinderrugg sind es beinahe 1900 Meter Höhendifferenz. Ge prägt wurde das tiefe, U-förmige Tal während der letzten Eiszeit durch den Rheingletscher. Dieser teilte sich bei Sargans in zwei Ströme, der westliche floss hier hindurch und vereinigte sich dann mit dem Linth gletscher. Eine weitere spannende Geschichte betrifft die Linthkorrekti on, durch die der Walensee zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Seez als seinen Hauptzufluss verlor. Seither wird er in erster Linie durch die aus dem Glarnerland kommende Linth gespiesen. Geschützt vor kalten Winden hat der Walensee ein speziell mildes Lokalklima, was ihm einen etwas mediterranen Charakter verleiht. In Quinten am Südufer des Sees wird Weinbau betrieben, im Murgtal auf der gegenüberliegenden See seite gedeihen Edelkastanien. Edelkastanien im St. Galler Oberland und UNESCO-Welterbe Sardona Heute bildet der Walensee den Transitkorridor zwischen Graubünden und dem Schweizer Mittelland, Autobahn und Eisenbahn zwängen sich auf engstem Raum durch das Nadelöhr. Aber der Walensee dient schon seit der Römerzeit als Verbindung vom Norden über die Bündner Pässe in den Süden. Lateinische Ortsnamen wie Terzen, Quarten und Quinten erinnern an die historische Verkehrslandschaft. Während beinahe zwei Jahrtausenden wurden die Waren in Schiffen über den See transportiert, und erst mit dem Bau der Eisenbahn im 19. Jahrhundert verlagerte sich der Verkehr auf den Landweg. Mit der Automobilisierung nahm die Be deutung der Strasse rasch zu. Das Trio Eugster verewigte die Wochen endstaus am Walensee mit seinem Qualensee-Schlager. 1974 wurde die Autobahn A3 eröffnet, an Spitzenwochenenden platzt unterdessen auch diese aus allen Nähten. Vom Walensee geht es hinauf ins stille Murgtal. Die Tannenbodenalp, bei Skifahrenden besser bekannt unter dem Namen Flumserberge, lassen wir links liegen. Im Murgtal wähnt man sich in einer anderen Welt. Am Taleingang oberhalb Murg glaubt sich der Besucher in südlichen Gefilden,
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Über die Autoren Hansjakob Baumgartner (* 1949) ist Zoologe und arbeitet als freier Journalist. Seine wichtigsten The men sind Biologie einheimischer Wildtiere, Natur schutz und Wald. Er ist Co-Autor der Bücher «Der Wolf – ein Raubtier in unserer Nähe» und «Der Fisch otter – ein heimlicher Jäger kehrt zurück», beide im Haupt Verlag erschienen.
Universität Göttingen (D). Anschliessend amtete er als Dozent an der Universität Stuttgart, bevor er als praktizierender Geologe verschiedene Projekte in der Region Zürich leitete. Seit 2002 betreibt er sein eigenes Geologiebüro in Niederurnen und vermit telt Geologie in Form von Kursen, Vorlesungen und Führungen.
Dr. Peter Brang (* 1963) studierte Forstwissenschaf ten an der ETH Zürich und doktorierte dort 1995 zur Verjüngung der Fichte im Gebirgswald. Danach bil dete er sich als Postdoc an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada weiter. Seit 1996 ist er an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf tätig. Von 2010 bis 2018 leitete er das Forschungs programm «Wald und Klimawandel» mit rund 50 Forschungsprojekten. Seine Forschung erstreckt sich auf viele Themen aus Waldökologie und Wald bau, wobei die Waldverjüngung eine besondere Rolle spielt, und fokussiert auf Gebirgswälder, Na turwaldreservate und Urwälder. Die Anwendungs orientierung seiner Forschung zeigt sich in Vor standstätigkeiten im Schweizerischen Forstverein (2005–2014) und in der Schweizerischen Gebirgs waldpflegegruppe (seit 2011).
Dr. Sonja Hassold (* 1983) lebt als selbstständige Bio login und Botanikerin in Zürich. Nach ihrem Biolo giestudium an der ETH Zürich erforschte sie wäh rend ihres Doktorats und PostDocs die genetische Vielfalt der Madagassischen Rosenhölzer. Seit mehr als 10 Jahren leitet sie botanische Kurse und Exkur sionen für Studierende und Erwachsene. Sie ist Gründerin und Mitinhaberin von Botanik Exkursi onen Conradin & Hassold und bringt Naturinteres sierten die Pflanzenvielfalt näher.
Constanze Conradin (* 1986) lebt als selbstständige Biologin und Botanikerin im Unterengadin. Nach dem Biologiestudium hat sie die Ausbildung zur Biologielehrerin absolviert und unterrichtet seither zeitweise an Mittelschulen. Nebst dem Studium war sie über mehrere Jahre im Botanikunterricht an der ETH Zürich tätig und leitete Kurse und Exkursionen für Studierende. 2016 machte sie zusammen mit Sonja Hassold ihre Leidenschaft zum Beruf, sie gründeten das Unternehmen Botanik Exkursionen Conradin & Hassold. Dr. Mark Feldmann (* 1960) studierte und promo vierte an der ETH Zürich. Nach einem Forschungs aufenthalt an der Harvard Universität (USA) folgten Forschungsprojekte an der ETH Zürich und an der
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Dr. Bruno Schädler (* 1948) hat an der ETH Zürich At mosphärenphysik studiert und in Hydrologie promo viert. Er war viele Jahre in der Abteilung Hydrologie des Bundesamtes für Umwelt tätig, zuletzt als deren Leiter. Zudem war er an verschiedenen Hochschulen Dozent, zuletzt an der Universität Bern in der Gruppe für Hydrologie und am «Oeschger Zentrum für Kli maforschung». Er war Projektleiter zahlreicher nati onaler und internationaler Forschungsprojekte zum Thema «Hydrologie und Klimaänderung» sowie auch «Nachhaltige Wassernutzung». Prof. Dr. habil. Dominik Siegrist (* 1957), ist Geograf und Landschaftsplaner an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil. Er ist Leiter des Instituts für Landschaft und Freiraum und Professor für natur nahen Tourismus und Pärke am Studiengang Land schaftsarchitektur. Von 2004–2014 war Siegrist Prä sident der Internationalen Alpenschutzkommission. Binding-Preisträger 2012. Er hat zahlreiche Publika tionen zu Themen des Alpenschutzes und des natur nahen Tourismus verfasst. Zuletzt war er Initiant und Kerngruppen-Mitglied der thematischen Alpen wanderung «whatsalp Wien–Nice 2017».
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Dr. Urs Tester (* 1959) aus Bottmingen Basel Land ist in Basel aufgewachsen. Er hat sich schon als Kind für die Natur interessiert. Er studierte Biologie an der Universität Basel mit Schwerpunkt Oekologie und Verhaltensforschung. 1990 schloss er sein Studium mit einer Doktorarbeit über den Schutz des Laub
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froschs ab. Daneben engagierte er sich ehrenamtlich für den Schutz der Natur. Von 2004–2016 war er Mit glied der Eidgenössischen Nationalparkkommission. Seit 1991 ist er Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Natura und Leiter der Abteilung Biotope und Arten.
Über den Herausgeber Franz Ebner (* 1938). Die Berufsstationen meines ebens mit Büchern: Buchdrucker, Buchhändler, L Lektor, Verleger, Autor. Was mich von früh her inter essiert sind zeitdiagnostische und naturwissen schaftliche Themen, besonders Natur, Umwelt, Ge sellschaft. Das Engagement für das Buch führte mich an die Verlags-Arbeitsplätze Olten, Amsterdam, München, Zürich. Und nun hat mich «Ich möchte
meine Berge sehen» aufs Neue mit all dem konfron tiert, was ein Buch ausmacht: die Begegnungen mit Autorinnen und Autoren, die Vielfalt von editori schen und buchgestalterisch-drucktechnischen Fra gen, die Zusammenarbeit mit Verlag, Lektorat und Grafik. Und natürlich und immer w ieder: die Hoff nung auf viele Leserinnen und Leser. All dies mag erklären, weshalb mich das Buch nicht loslässt.
Bildnachweis Peter Brang: 121, 131, 139 Coaz, J. et al. (1905). Ein Besuch im Val Scarl (Seitental des Unterengadins). Stämpfli Bern: 130 Constanze Conradin: 199, 216–217 Mark Feldmann: 47, 67 Daniel Fleuti: 58–59 Sonja Hassold: 204–205, 211 Lorenz Heer: 153, 177 Beat Rüegger: 170–171 Bruno Schädler: 87, 94–95, 105 Schweizerischer Alpenclub (SAC): 51 Schweizerischer Nationalpark / Curdin Eichholzer: 165 Schweizerischer Nationalpark / Hans Lozza 157, 187 Dominik Siegrist: 23, 28–29 Marco Volken: Cover, 14–15, 37, 42–43, 78–79, 114–115, 146–147, 188–189, 226
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«Ich möchte meine Berge sehen …» Diese Worte, dem Bergmaler Giovanni Segantini zugeschrieben, sind Ausdruck der Sehnsucht nach den Alpen, wie sie viele empfinden. Dies ist ein Buch über die Schönheit und Vielfalt der Schweizer Alpen.
Ich möchte meine Berge sehen Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen
Franz Ebner (Hrsg.)
Die wissenschaftlich fundierten, lebendig geschriebe nen Texte mit stimmungsvollen Fotografien verfolgen die editorische Idee, die Welt der alpinen Natur in verschiedenen Wissensdisziplinen spannend und informativ darzustellen: Natur und Kultur, Gesteine, Gewässer, Wälder, Tiere, Pflanzen. Die Autoren, ausge wiesene Kennerinnen und Kenner auf ihren Gebieten, fördern die Freude an der Natur, ohne drängenden Umweltfragen auszuweichen. Darin liegen der Reiz und die Faszination dieses reich bebilderten Berg-Lesebuches.
Ich möchte meine Berge sehen
Von der Vielfalt und Schönheit der Alpen
ISBN 978-3-258-08095-6
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Herausgegeben von Franz Ebner
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