Interview Mathew Barney (SZ Magazin)

Page 1

Der amerikanische Ausnahmekünstler Matthew Barney hat sieben Jahre lang an seinem neuen Projekt River of Fundament gearbeitet. Es ist gigantischer, irrsinniger und schöner als alles, was er bisher gemacht hat

36 Süddeutsche Zeitung Magazin

Der Künstler Matthew Barney, 46, trägt am liebsten funktionale Arbeitskleidung. Seine Skulpturen und Filme erinnern an tiefenpsychologische Abenteuerreisen.

Sind Sie b e s e ss e n ? Sicher.

Leiden Sie darunter? Ich glaube nicht.

I n t e r v i e w : t o b ias h a b e r l

foto: ari marcopoulos

Matthew Barney steht in einem Tonstudio in Manhattan, sein Pullover ist voller Löcher, er trägt Arbeitsschuhe – keine Frage, er ist hochkonzentriert. Noch vier Wochen bis zur Premiere seines neuen Films »River of Fundament«. Barney starrt auf die Leinwand: Ein Greis, mehr Wesen als Mensch, besudelt mit Erde und Torf, greift nach einem rostigen Messer, säbelt sich ein Stück Fleisch aus dem Bauch und wirft es auf die hölzernen Dielen: »Flatsch«. Matthew Barney nickt. »Flatsch«, das klingt gut. Sehr organisch. Sehr echt. Also weiter, nächste Szene. Filme von Matthew Barney sind wie Reisen ins Unterbewusstsein: bizarr, anstrengend, außergewöhnlich. Er selbst ist höflich, fast scheu; sehr ernsthaft, aber nicht verbissen, irgendwie besessen und irgendwie frei. Vor jeder Antwort überlegt er lange, manchmal zwanzig Sekunden. Er ist dann ganz still. Gelegentlich lacht er, aber nie aus Verlegenheit. Wenn »River of Fundament« fertig ist, wird er sieben Jahre daran gearbeitet haben.

Matthew Barney: Ich glaube, sie meint, dass

SZ-Magazin: Herr Barney, Ihre frühere Lebensgefährtin, die Sängerin Björk, sagt, Sie erinnern sie an ein U-Boot. Haben Sie eine Ahnung, was sie damit meinen könnte?

Ich habe mir das Münchner Opernhaus angesehen, gar nicht lange, nur für ein paar Minuten, aber ich habe sofort gespürt, dass es der richtige Ort dafür ist. Der Film hat mehr

ich für Wochen und Monate, ja manchmal sogar für ein, zwei Jahre abtauchen kann, wenn ich an einem neuen Projekt arbeite. Ich bin dann ganz in meiner eigenen Welt, schlafe kaum, äußere mich wenig. Im Moment ist wieder so eine Phase. Aber Sie geben doch gerade ein Interview.

Ja, aber es ist wirklich das einzige. Ich arbeite rund um die Uhr an meinem neuen Film. Im Zimmer nebenan feilen ein paar Tontechniker an letzten Details. Seien Sie nicht böse, aber ich muss immer mal wieder rüberschauen, wir sind in der Endphase, ich habe seit Tagen nicht richtig geschlafen. Ab dem 16. März zeigt das Münchner Haus der Kunst Skulpturen und Zeichnungen und Fotografien, die zusammen mit dem Film entstanden sind. Am gleichen Tag findet die Europa-Premiere von River of Fundament in der Bayerischen Staatsoper statt. Warum nicht in einem Kino?

mit einer Oper als mit einem Kinofilm zu tun. Allein die Länge, er hat drei Akte, zwei Pausen und dauert fünfeinhalb Stunden, da fand ich ein Opernhaus einfach schlüssiger. Das klingt, als müsste der Film wie eine Wagner-Oper durchlitten werden?

Durchleiden ist das falsche Wort, aber wer etwas davon haben möchte, muss Zeit, Energie und Disziplin investieren. Nach dem Adorno-Prinzip: »Wo aber Qual ist, da wächst auch der Genuss«?

Natürlich ist man nach vier, fünf Stunden erschöpft. Der Geist ist müde, die Konzentration lässt nach. Der Film hat nichts von einem 90-minütigen Hollywoodfilm, dessen emotionaler Spannungsbogen bewusst so konstruiert wurde, dass er sich der Konzentrationsfähigkeit des Publikums anpasst. Eher gleicht er einer sehr physischen Reise. Sie haben mal gesagt, dass Sie Oper halb mögen, halb ablehnen. Welchen Teil mögen Sie denn?

Oper ist für mich in erster Linie eine räumliche, eine organische Erfahrung. In der Oper spüre ich ganz intensiv, dass ich im Zentrum eines Resonanzraumes sitze. Ich komme mir Süddeutsche Zeitung Magazin 37


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.