Missbrauch der Musen

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Bayerischer Hof Machos als bessere Männer

Kabarettpreis Die Branche feiert heiter

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kultur

A B E N DZ E I T U N G MITTWOCH, 18. JULI 2012 T E L E F O N 089.23 77 324 FA X 089.23 77 709 E-MAIL KULTUR@AZ–MUENCHEN.DE

D I E K U LT U R - F R A G E In seinem neuen Film „Magic Mike“ lässt der 2005 zum „Sexiest Man Alive“ gekürte Amerikaner die Hosen herunter.

Sind Sie ein bisschen eitel? Matthew McConaughey, Schauspieler: „Eitelkeit hat beim Strippen ganz sicherlich eine größere Wichtigkeit, denn hier ist sie zu 100 Prozent kommerzieller Natur. Natürlich sind auch Schauspieler und andere Prominente in einem bestimmten Maße eitel, und der eine oder andere befürchtet dann beispielsweise, dass er wegen der Glatze oder der paar Kilo mehr auf den Hüften weniger Rollen bekommen könnte.Wir müssen uns nichts vormachen: Es gibt einen sehr offensichtlichen Grund, sich meinen neuen Film anzuschauen. Hier geht’s um nackte Männer und um ganz schlichte, fleischliche Laster und Vergnügungen. Wer immer auch auf Männer steht, ganz gleich welchen Geschlechts, wird sich diesen Film ansehen.“

Die Hausgeschichte als Teil der Kunst Akribisch und spielerisch: Ein Museum stellt sich seiner Vergangenheit Bis 1939 wurde die Eröffnung der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ als „Tag der deutschen Kunst“ mit Umzügen in der Prinzregentenstraße gefeiert. F.: SZ Photo/Vladimir Efimov

Missbrauch der Musen Heute vor 75 Jahren wurde das damals so genannte „Haus der deutschen Kunst“ eröffnet – Hitlers Propagandamuseum

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ür die Festbeleuchtung musste jede Wohnpartei zehn Leuchtbecher für jedes ihrer Fenster kaufen“, berichtete ein Gewährsmann der SPD an den Vorstand im Prager Exil. „Wer sich wehrte, musste eine schriftliche Begründung abgeben und einen Antrag auf Befreiung stellen. Dadurch wurde erreicht, dass sich kaum jemand der Anordnung zu entziehen wagte.“ Die Eröffnung des Hauses der Kunst vor genau 75 Jahren war ein gigantisches Propaganda-Spektakel. Die innerstädtischen Baudenkmäler wurden am Vorabend angestrahlt, die Bevölkerung mit Platzkonzerten bei Laune gehalten. Der Münchner Gauleiter Adolf Wagner gründete eigens eine „Münchner Großver-

anstaltungen e.V.“, weil er Profit witterte. Am Tag der Eröffnung demonstrierte der 3000 Meter lange Festzug „Zweitausend Jahre Deutsche Kultur“ mit aufwändig kostümierten Komparsen die Leistungen der „arischen Herrenrasse“ von der Zeit der Germanen bis zur NSGegenwart – ein „in Geschenkpapier verpackter Nationalsozialismus, dessen Opfer unsichtbar blieben“, wie eine britische Journalistin schrieb. Das Haus der Kunst ersetzte den 1931 abgebrannten Glaspalast am Alten Botanischen Garten. Den Wettbewerb für den Neubau hatte Adolf Abel gewonnen, doch Hitler verwarf im Frühjahr 1933 dessen Pläne. Er beauftragte den Nazi Paul Ludwig Troost, der 1930 das Palais Barlow in der Brienner Straße zur repräsentativen Parteizentrale umgebaut hatte, und ordnete als neuen Standort den Südrand des Englischen Gartens an. Bei der Grundsteinlegung im Oktober 1933 beschwor Hitler die Tradition der Kunst-

stadt München. Als er symbolisch auf den Grundstein des ersten Monumentalbaus des Regimes klopfte, zerbrach der silberne Hammer, was jedoch von der zensierten Presse verschwiegen wurde. Zur Eröffnung befahl Hitler eine Ausstellung zeitgenössischer Maler, Bildhauer und Grafiker. Auch Gabriele Münter, Gründunsgmitlied des

Efeu und Ahorn als „Schambehaarung“ in der Nachkriegszeit „Blauen Reiters“, reichte ein Gemälde mit dem Titel „Jochberg“ als „deutsche Landschaft“ ein. Es wurde jedoch von der Jury abgelehnt. Kurz vor der Eröffnung besah sich Hitler die Ausstellung – und bekam einen Wutanfall. „Man hat hier Stücke aufgehängt, die einem direkt das Grausen beibringen“, notierte der Kunst- und Propagandaminister Joseph Goebbels. Die

endgültige Auswahl nahm Hitlers Leibfotograf Heinrich Hofmann vor, der mit seinem Hauptmotiv die Liebe für sentimentale Genremalerei des 19. Jahrhunderts teilte. Er fuhr auf einem motorisierten Rollstuhl durch die Säle und brüllte seinen Assistenten „Angenommen“ oder „Abgelehnt“ zu. Hoffmann blieb für die „Große Deutsche Kunstausstellung“ zuständig, auch wenn sich Hitler die Letztauswahl vorbehielt und vieles selbst ankaufte. Akte des als „Reichsschamhaarmalers“ verspotteten Adolf Ziegler waren hier ebenso zu sehen wie Skulpturen von Arno Breker oder Joseph Thorak. Porträts von Nazigrößen waren in der Minderzahl, wurden aber an strategischen Punkten aufgestellt. Ein Hitlerbild im Eingangsbereich war obligatorisch. Ab September 1942 verhüllten Tarnmatten die Fassade, ein Teil des Dachs wurde zur Irreführung der Bomberpiloten mit künstlichen Baumkronen bedeckt. Die letzte „Große Deutsche Kunstausstel-

lung“ öffnete im Juli 1944. Noch zehn Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde ein Bild verkauft. Die richteten in dem unbeschädigten Bau ihr Offizierskasino ein, ehe ab Januar 1946 Werke aus den kriegszerstörten Pinakotheken gezeigt wurden. „Entnazifiziert“ wurde das Gebäude durch die Streichung von „deutsch“ im Namen sowie mit einer Ausstellung über den Blauen Reiter und die Folgen im Jahr 1949. Sechs Jahre später war Picassos Antikriegsbild „Guernica“ hier zu sehen. Die Architektur blieb in der Nachkriegszeit peinlich, weshalb man an der Fassade Efeu emporranken ließ und 1959 vor die Säulenfassade Ahornbäume pflanzte. Der langjährige Direktor Chris Dercon nannte das sehr zutreffend eine „Schambehaarung“. Robert Braunmüller Sabine Brantl: „Haus der Kunst – Ein Ort und seine Geschichte“ (alitera, 150 Seiten, 14.90 Euro) Mehr Infos unter http://www.hausderkunst.de

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uf Christoph Vitali (Leiter des Hauses der Kunst 1993 – 2003) geht der Ausspruch „Mauern tragen keine Schuld“ zurück. Unter seiner Leitung begann die systematische Recherche zur Vergangenheit des Hauses, er holte die Historikerin Sabine Brantl ins Museum. In der Amtszeit von Chris Dercon (2003 – 2011) begann auch die architektonische Vergangenheitsbewältigung, der „Kritische Rückbau“ des Hauses, bei dem bauliche Änderungen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder rückgängig gemacht wurden. Dercon öffnete Räume und Archive für die Öffentlichkeit, kurz vor seinem Weggang zog die Sammlung Goetz mit Kunstvideos in die Jahrzehnte nicht zugänglichen Keller- und Bunker-

räume des Museums. In Erinnerung geblieben sind auch die temporären Bespielungen der Fassade in der Ära Dercon: die bunten Blumen McCarthys, das Allianz Arena Schild während der Fußball WM, oder Ai Weiweis Kinderrucksäcke. Und natürlich entfaltete auch Maurizio Cattelans „betender Hitler“ in keinem anderen Museum diesen ironischen Zauber. AZ

Cattelans „betender Hitler“ im Haus der Kunst. Foto: dpa

K U LT U R kompakt Noch ein Staatstheater mehr?

M Ü N C H E N Die Augsburger Intendantin pocht auf die Um-

wandlung des Stadttheaters in ein Staatstheater. „Das wäre für uns alle ein immenser Fortschritt und eine Beflügelung unserer Arbeit“, erklärte Juliane Votteler. „Wir hätten Planungssicherheit und könnten hoffentlich einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, da wir nicht mehr chronisch unterfinanziert wären.“ Die Kommune Augsburg wäre entscheidend entlastet. Kunstminister Wolfgang Heubisch hat die Idee ins Gespräch gebracht.

Das Ende der Avantgarde in Deutschland Nahe dem Haus der Kunst öffnete 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“

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Erwünscht oder entartet? Bellings „Max Schmeling“ landete im Haus der Kunst, sein Frauenkopf im Hofgarten. Foto: Nationalgal. Berlin

andinsky und Klee, Max Ernst oder Ludwig Kirchner – man kann sich das heute nur noch schwer vorstellen, aber für die Nationalsozialisten war das keine Kunst. Was heute jede bedeutende Sammlung der Klassischen Moderne zu ihren wichtigsten Schätzen zählt, musste an den Pranger. Respektive in eine Ausstellung. Nicht im „Haus der deutschen Kunst“, wo die Künstler Hitlers und seiner Entourage gezeigt wurden, sondern in den Hofgartenarkaden eröffnete einen Tag nach dem

Prunkbau an der Prinzregentenstraße die Schau „Entartete Kunst“ am 19. Juli 1937. Das wird oft verwechselt, auch Okwui Enwezor, der neue Chef im Haus der Kunst, hatte die Ausstellung in seinen Räumen vermutet. Andererseits ist es naheliegend, dass die Nazis ihren Kunsttempel nicht „entweihen“ wollten mit „gequälter Leinwand“, „seelischer Verwesung“ oder „geisteskranken Nichtskönnern“. So wurden Beckmann, Kokoschka, Nolde und ihre Kollegen auf Flugblättern verunglimpft, mit denen die Reichskammer der bildenden Künste die Femeschau ankündigte. In den heutigen Räumen des Theatermuseums wurden 650 Kunstwerke aus 32 deut-

schen Museen gezeigt – im Vergleich mit Zeichnungen von geistig Behinderten oder in Kombination mit Fotos verkrüppelter Menschen. Die Auswahlkriterien indes waren nicht immer eindeutig. Franz Marcs berühmter „Turm der Blauen Pferde“ musste wieder aus den Galerieräumen genommen werden. Der Deutsche Offiziersverein protestierte, weil der im ersten Weltkrieg gefallene Maler als um „das Reich und Vaterland verdienter“ Soldat galt und nicht „mit der Schande dieser Ausstellung in Verbindung gebracht“ werden sollte. Vier andere Gemälde Marcs blieben allerdings in der Schau. Die Skulpturen Rudolf Bellings tauchten dafür gleich

zweimal auf – im „Haus der deutschen Kunst“ war sein „Boxer Max Schmeling“ zu sehen, unter den „Entarteten“ zwei kubistisch beeinflusste Arbeiten, die schließlich schnellstens entfernt wurden. Die Schau am Hofgarten gilt als das Ende der freien Kunst und der Avantgarde. Sie lockte drei Millionen Besucher an – der Eintritt war übrigens frei – und zog bis 1941 noch durch zwölf weitere deutsche Städte. Parallel dazu wurden beträchtliche Mengen unerwünschter Kunstwerke beschlagnahmt, die Nazis sprachen von einer „Säuberung“ deutscher Sammlungen. Vieles davon wurde brutal zerstört oder ins Ausland verkauft. Christa Sigg

Marcs „Turm der Blauen Pferde“ ist seit 1945 verschollen. F.: Archiv


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