Sabine Brantl, Haus der Kunst, München, 2007

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2. Der »erste Baumeister des Führers« 2.1 Paul Ludwig Troost »Troost hatte sich an dem ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Neubau nicht beteiligt. Seine Art konnte damals keinen Anklang fi nden […] Nur der Führer kannte diese Blätter, auf denen der Zeichenstift des Architekten der deutschen Kunst ein Haus entworfen hatte: maßvoll, klar, voll hoher Würde und strenger, pathosloser Erhabenheit, wie es deutschem Wesen entsprach.«39 Auch lange nachdem das Haus der Deutschen Kunst fertiggestellt war, erinnerte die gleichgeschaltete Presse – wie hier 1938 das »Neue Münchener Tageblatt« – in regelmäßigen Abständen an die Entstehungsgeschichte des Gebäudes. Einen besonderen Stellenwert nahmen dabei Paul Ludwig Troost und dessen enge Beziehung zu Hitler ein. In Bemühung der allgegenwärtigen nationalsozialistischen Propaganda wurde das Bild eines Architekten beschworen, der selbst in der Weimarer Republik, der sogenannten Verfallszeit, konsequent und ungeachtet jeglicher Wertschätzung an einer Bauweise festhielt, die den »völkischen Boden nie verließ«, und erst durch die Anerkennung Adolf Hitlers zur Leitfigur einer ganzen Künstlergeneration werden sollte. Wer war dieser Architekt, der als »erster Baumeister des Führers« in die Kulturgeschichte des Nationalsozialismus einging? Wie hatte sich seine berufl iche Laufbahn gestaltet, bevor Hitler auf ihn aufmerksam wurde und ihn schließlich mit den ersten Repräsentationsbauten des Dritten Reiches beauftragte? Paul Ludwig Troost, 1878 in Elberfeld geboren, war seit 1900 in München ansässig. Nach seinem Architekturstudium an der Technischen Hochschule Darmstadt übernahm Troost die Leitung des Planungsbüros von Martin Dülfer, dem bedeutendsten Münchner Jugendstilarchitekten, bevor er sich 1904 als freischaffender Architekt selbstständig machte. 40 Zusammen mit Dülfer, Heinrich Vogeler und Rudolf Alexander Schröder wirkte der junge Architekt an der Gestaltung der berühmten Wohnung des Verlegers Alfred Walter Heymel in der Leopoldstraße mit, in der auch die Redaktionsräume der ästhetisch-belletristischen Monatsschrift »Die Insel« untergebracht waren. Die nach Entwür-

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Vor dem Modell des »Hauses Deutsche Kunst«: Paul Ludwig Troost und Adolf Hitler im Atelier Troost, Theresienstraße 148

fen von Rudolf Alexander Schröder fertiggestellte Inneneinrichtung sorgte durch ihre neuartige, betont schlichte Gestaltung für Aufsehen und wurde vielerorts besprochen. »Es handelt sich um eine Wohnung, es sind deren in diesen Blättern im Laufe der Jahre schon Dutzende beschrieben worden; auf die vorliegende will der allgemeine Ausdruck nicht passen«, schrieb der bekannte Kunstkritiker Julius Meier-Graefe 1901 in der »Dekorativen Kunst«. »Das Merkwürdige an der Wohnung ist der Mangel an allem Dilettantismus. Gerade was den Dilettanten am meisten an der Moderne imponiert, die neue Ornamentik, ist hier mit einer kühlen Sicherheit außer acht gelassen, die kaum ein Künstler über sich bringt.«41 Zweifellos wirkte der schlicht-klassizisierende Stil der »Insel«-Wohnung und die sich um die Jahrhundertwende etablierende Auffassung vom Gebäude als »Gesamtkunstwerk«, in dem jedes Detail unverwechselbar den Stil der Bewohner auszudrücken habe (man denke an die 1897 / 98 erbaute Villa-Stuck), wegweisend für Paul Ludwig Troosts weiteres Schaffen. Dies zeigte sich deutlich bei seinem ersten eigenständigen Projekt, der Villa des Landschaftsmalers Benno Becker in München-Bogenhausen, deren gesamtes Interieur Troost selbst entwarf. 42 Das palazzoartige Haus, dessen Bauarbeiten im Spätsommer 1904 abgeschlossen waren, weist Gestaltungselemente auf, die das

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Spätwerk Troosts der Dreißigerjahre schon erkennen lassen. Die auf das Dekorative beschränkte Funktion klassischer Bauglieder wie Steinsäulen und Sockel, ihre reduziert antike Formensprache sowie das Motiv der zentralen Halle mit Kassettendecke im Inneren fi nden sich auch am »Haus der Deutschen Kunst« wieder. Bereits in den ersten Jahren seiner beruflichen Tätigkeit konnte sich Paul Ludwig Troost als gefragter Architekt etablieren, der vor allem durch seine eleganten Raumschöpfungen das Interesse der gehobenen Münchner Gesellschaft auf sich zog. Zu seinen Auftraggebern gehörten u. a. der Komponist Felix von Rath, der Privatdozent Hans Kupelwieser und das Verlegerehepaar Elsa und Hugo Bruckmann, in deren Salon Paul Ludwig Troost häufig zu Gast war. 43 Auch nahm Troost des Öfteren an Ausstellungen teil, um seine Einrichtungen einem breiteren Publikum zu präsentieren. So war er beispielsweise 1910 auf den Weltausstellungen in Brüssel und Paris vertreten. Doch erst seine 1912 begonnene Zusammenarbeit mit dem Norddeutschen Lloyd machte ihn auch international bekannt. Bis 1930 richtete er als künstlerischer Leiter und Nachfolger von Bruno Paul nahezu alle riesigen Überseedampfer der Bremer Reederei ein. 44 Für Hunderte von Räumen entwarf er repräsentative Innenausstattungen vom Teppichmuster bis zum Tafelsilber, vom Treppenhausgeländer bis zu den unterschiedlichsten Beleuchtungskörpern. Die großzügigen, meist über mehrere Stockwerke hinweg ineinanderfl ießenden Raumfolgen bildeten Stimmungsesembles aus Mobiliar, Farbe und Dekor, die in ihrer luxuriösen Gediegenheit und in einer Mischung aus konservativen und modernistischen Elementen »deutsche Kultur in der Welt aufs denkbar Würdigste zu vertreten« hatten, wie der Kunsthistoriker Franz Arens diesen »Dampferstil« charakterisierte, der moderne Technik mit den Erfordernissen von Repräsentation und Selbstdarstellung verband. 45 Troost avancierte damit zum führenden Schiffsausstatter der Zwanzigerjahre. Die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche infolge des Ersten Weltkriegs nahmen indessen keinen Einfluss auf sein Schaffen. Zwischen 1914 und 1918 beschäftigte sich Troost, der wegen eines Herzleidens vom Kriegsdienst befreit war, mit dem Ausbau von Kriegsschiffen. 1917 wurde er von König Ludwig III. von Bayern zum Professor ernannt. Nach wie vor sah er eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, »die künstlerischen Interessen des bemittelten Publikums« zu wecken. 46 »Sie wissen ja, dass mir in der Hauptsache daran liegt, gute Kunst zu machen und den Auftraggebern gediegene und solide Arbeit zu verschaffen und ich habe immer erfahren, dass man letzten Endes dabei auch den besten materiellen Nutzen fi ndet, weil die ausgeführten

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Arbeiten dann die beste Werbekraft haben«, schrieb er 1926 in einem Brief an Hans Barth. 47 Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedurfte es – neben den erforderlichen hohen Geldsummen – einen gut funktionierenden Stab an Mitarbeitern und qualifi zierten Betrieben. Mit der Ausführung von künstlerischem Raumschmuck betraute Paul Ludwig Troost gewöhnlich Münchner Kollegen aus dem Umkreis der traditionsbezogenen »Secession« wie Josef Wackerle, Alfred Hagel, Angelo Jank, Eduard Thöny oder Hans Gött, mit denen er freundschaftlichen Umgang pflegte. 48 Auch die Firmen, die Troost für seine immensen gestalterischen Aktivitäten beauftragte, waren überwiegend in München zu fi nden. Für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur entwarf er spätestens seit 1904 Service und plastischen Porzellanschmuck, 49 mit den Vereinigten Werkstätten war er schon seit seiner Zeit bei Martin Dülfer eng verbunden.50 Ein in den Räumen der Vereinigten Werkstätten ausgestellter »Diplomatenschreibtisch« soll es dann auch gewesen sein, den Adolf Hitler 1926 unbedingt erwerben wollte und der sein beharrliches Interesse auf seinen späteren Vorzeigearchitekten lenkte.51 Die erste persönliche Begegnung zwischen Hitler und Troost fand vier Jahre später im Hause Hugo Bruckmanns statt. Hitler hatte den Verleger gebeten, dieses Treffen zu arrangieren. Bruckmanns Villa am Karolinenplatz hatte sich seit Mitte der Zwanzigerjahre zum Mittelpunkt der reaktionären Kreise Münchens entwickelt. Hier wurden spätere Parteigrößen wie Rudolf Hess, Baldur von Schirach und Alfred Rosenberg empfangen. Hugo und Elsa Bruckmann, selbst »Altparteigenossen«, förderten und unterstützten Hitler finanziell und verhalfen ihm zu wichtigen gesellschaftlichen Kontakten. Hitler trat mit einem ganz konkreten Anliegen an Paul Ludwig Troost heran. Im Juli 1930 hatVilla Becker, um 1904/05

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te die NSDAP das klassizistische »Palais Barlow« von der Rentierswitwe Elise Barlow zum Preis von 805 864 Goldmark erworben.52 Das Gebäude in der Brienner Straße zwischen Königs- und Karolinenplatz sollte nun zu einem repräsentativen Verwaltungsgebäude umgestaltet werden. Die bisherige Parteizentrale in einem Rückgebäude der Schellingstraße war angesichts der wachsenden Mitgliederzahlen zu eng geworden. Zudem sollte der neue Sitz in einer der vornehmsten Wohngegenden Münchens die Partei »salonfähig« und für Wähler aus begüterteren Schichten attraktiv werden lassen. Die unmittelbare Nähe zum Königsplatz, den die Nationalsozialisten 1933 als Parteiforum in Besitz nahmen, dürfte hinsichtlich der Wahl des Gebäudes gewiss auch eine Rolle gespielt haben. Paul Ludwig Troost erfüllte bei der Umgestaltung des »Braunen Hauses«, wie das Gebäude nach der Farbe der Parteiuniformen nun genannt wurde, vollends die Vorstellungen Hitlers. Pathetische Monumentalität und eine feierlich-kühle Raumstimmung bestimmten den Stil der Innenräume. Ein besonderes Augenmerk wurde auf den – von SS-Männern Tag und Nacht bewachten – Eingangsbereich gelegt, für den der Architekt detaillierte Entwürfe für das sogenannte Hoheitszeichen sowie für den über der mit Hakenkreuzmuster versehenen Bronzetür angebrachten Schriftzug »Deutschland erwache« anfertigte.53 Ähnliche Elemente verwendete er auch für das 1933 an der Feldherrnhalle angebrachte Ehrenmal für die Toten des Hitlerschen Putschversuchs vom 9. November 1923.54 Troost entwarf sogar die braunen Smokings, die die Mitglieder des »Nationalsozialistischen Reichs-Symphonie-Orchesters« bei ihren Darbietungen trugen. Nach den 1966 publizierten Erinnerungen Albert Speers sei das Verhältnis Hitlers zu Troost »etwa das eines Schülers zum Meister« gewesen. Des Weiteren spricht Speer vom positiven Einfluss, den Paul Ludwig Troost auf Hitlers architektonischen Geschmack hatte: »Es sei ihm ›wie Schuppen von den Augen gefallen‹, als er dessen Arbeiten gesehen habe. ›Ich konnte das, was ich bis dahin gezeichnet hatte, nicht mehr ertragen. Was für ein Glück, dass ich diesen Mann kennenlernte‹«.55 Auch Gerdy Troost, die an den Aufgaben ihres Ehemannes lebhaften Anteil nahm, äußerte sich 1947 vor dem Spruchkammergericht nahezu identisch: »Hitler hatte meinem Mann gesagt, dass er ihn bzw. seine Arbeiten, Innenausstattungen der Dampfer seit langem mit Aufmerksamkeit verfolge. Es hat sich herausgestellt, dass mein Mann und Hitler die gleichen künstlerischen Auffassungen hatten […] Hitler war von meinem Mann und seinen Ansichten begeistert und er hat mir auch später, als mein Mann schon tot war, wiederholt erklärt, wie sehr er meinen Mann

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bewunderte und verehrte, er wäre unser aller Meister und wir könnten nur von ihm lernen. So bekam mein Mann verschiedene grössere Aufträge […] Zur Besprechung dieser Pläne ist Hitler oft zu uns gekommen. Meiner Erinnerung nach war es im Frühjahr 1931, dass ich ihn kennengelernt habe. Er war besessen von architektonischen Ideen […] Mein Mann bekam auch die Aufträge für die Parteibauten am Königlichen Platz für die Ehrentempel und für das Haus der Deutschen Kunst. Alle diese Pläne waren bis 1932 fertiggestellt. Später kamen noch kleinere Projekte hinzu, z. B. Umgestaltung des Ärztehauses in Berlin und des Adolf Hitlerhauses in Nürnberg.«56 Troosts Berufung zum Architekten der NSDAP fand zu einem Zeitpunkt statt, in dem der Wiederaufbau der durch die Reparationen dezimierten Lloydflotte ihrem Ende entgegenging. »Ich […] bin berufl ich stark in Anspruch genommen, aber nicht durch innen- sondern außenarchitektonische Arbeiten. Der Lloyd baut zur Zeit keine Dampfer und meiner Beurteilung nach wird wohl noch viel Zeit bis dahin gehen, bis in Bremen wieder an einen grösseren Neubau, der die Mitwirkung von Architekten erfordert, gedacht werden wird«, berichtete Paul Ludwig Troost im Januar 1932 seinem Bruder.57 Die neuen Aufgaben bestimmten jedoch nicht nur seinen berufl ichen Alltag. »Wir lebten so stark und bewusst miteinander im Reich der Architektur, der Kunst und der Musik. Und wiederum mit einander für eine höhere Idee, der in den letzten Jahren unser ganzes Leben galt«, so Gerdy Troost rückblickend 1934.58 Im August 1930 war Paul Ludwig Troost in die NSDAP eingetreten59 und wurde nun auch zunehmend als Verfechter einer militant reaktionären Kulturpolitik aktiv. Er war Mitglied des 1928 unter Leitung Alfred Rosenbergs entstandenen »Kampfbundes für deutsche Kultur« und der 1931 / 32 gegründeten Fachgruppe der »Deutschen Architekten und Ingenieure«, die jegliche Form des funktionalen modernen Bauens zu ihrem Feinbild erklärt hatte. Im Juni 1933 unterzeichnete er einen Aufruf, der sich in scharfen Worten »gegen die künstlerischen Schrittmacher der zersetzenden kommunistischen Revolution« und »formzersetzende Persönlichkeiten wie Nolde, Schmidt-Rottluff, Klee, Mies van der Rohe« wandte. 60 Zudem war Troost seit April 1933 für die NSDAP Mitglied im Münchner Stadtrat und gehörte dem Beirat für die städtischen Kunstsammlungen an. Sein Stadtratsmandat legte er jedoch schon nach wenigen Monaten nieder, was er »mit der großen Arbeitsüberlastung durch die Übertragung einer großen Aufgabe« begründete. 61 Nachdem die Nationalsozialisten im März 1933 infolge einer Mischung aus Putsch, Gewalt und scheinbarer Legalität auch in Bayern an die Macht gekommen waren, war Troost in

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nahezu allen Bereichen des kulturpolitischen Lebens präsent. So wurde der Architekt gar zum Kunstrichter ernannt und zum Vorsitzenden der Jury für die »Münchener Kunstausstellung« berufen, die im Sommer 1933 in der Neuen Pinakothek gezeigt wurde. »Er wird darüber wachen, dass das Ansehen Münchens als Kunststadt nicht weiter heruntersinkt, sondern im Gegenteil wieder gehoben wird«, attestierte ihm Georg Steinlein in der »Deutschen Bauzeitung«. 62 Wie hoch Troosts Einfluss mittlerweile war, zeigen die Vorgänge um die Vertreibung des berühmten Postbauarchitekten Robert Vorhoelzer aus der Technischen Halle der 1. Klasse auf der »Europa«, 1926 / 30 Hochschule München im Oktober 1933. Nicht nur, dass der Bildhauer Karl Lösche, der eigentliche Drahtzieher dieser Kampagne, auf Empfehlung Paul Ludwig Troosts zum Referenten im Kultusministerium befördert wurde, selbst Kultusminister Hans Schemm berief sich in seinem Gutachten auf den Architekten als gewissermaßen höchste Instanz »nach dem Führer«: Vorhoelzer sei durch seine Postbauten, »die als typische bolschewistisch bezeichnet wurden« belastet. Auch Troost habe sich »negativ über diese Bauten und somit über Herrn Prof. Vorhoelzer« ausgesprochen. 63 Derweil nahmen Hitlers Pläne für die ersten Repräsentationsbauten des Dritten Reichs konkrete Formen an. Im September 1933 wurden die Bauarbeiten für das »neue Verwaltungsgebäude« an der Arcisstraße aufgenommen, am 15. Oktober legte Hitler in einer pompösen Inszenierung den Grundstein für das »Haus der Deutschen Kunst«. Dazu kam der Ausbau der Wohn- und Arbeitsräume Hitlers in der Neuen Reichskanzlei in Berlin. Paul Ludwig Troost erlebte deren Fertigstellung nicht mehr. Er starb am 21. Januar 1934 nach kurzer schwerer Krankheit. Hitler ordnete ein Staatsbegräbnis für seinen verstorbenen Architekten an. SA- und SS-Männer hielten die Totenwa-

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che. In einem Nachruf schrieb Alexander Heilmeyer in den »Münchner Neuesten Nachrichten«: »Wie Ludwig I. im Baumeister Klenze, so sah der Führer in Troost den Gestalter und Verwirklicher seiner baulichen Pläne für die Weiterführung der großen Münchner Bauaufgaben.«64 Während des Reichsparteitages wurde im September 1937 der neu geschaffene »Deutsche Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft« als höchste Auszeichnung des nationalsozialistischen Deutschlands posthum an Paul Ludwig Troost verliehen. 65 Die Würdigung Troosts als »Erster Baumeister des Führers« und »Gesetzgeber deutscher Baukunst« war zu diesem Zeitpunkt längst zum festen Bestandteil der nationalsozialistischen Kulturpropaganda geworden und sollte erst mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches ihre Gültigkeit verlieren. Eine wesentlich kürzere Dauer war hingegen der am Münchner Hofgarten gelegenen »Trooststraße« beschieden. In willfährigem Eifer hatte der Münchner Stadtrat Mitte Oktober 1934 beschlossen, die Galeriestraße nach dem »verstorbenen Bauherrn des Führers« umzubenennen. 66 Doch kaum war das neue Straßenschild angebracht, musste es wenige Wochen später auf höchstem Befehl wieder entfernt werden. Hitler schien die 38 Hausnummern umfassende Straße für seinen Baumeister zu unbedeutend. »Es wird ein großer, architektonisch entsprechend ausgestalteter Platz entstehen und der Führer hat die Absicht, hier die Ehrung des Professors Troost vorzunehmen und diesen Platz Troostplatz zu nennen«, hieß es am 20. November 1933. 67 Das Vorhaben, für das das Gelände zwischen Gabelsbergerstraße und Alter Pinakothek vorgesehen war, kam jedoch nicht zur Ausführung.

2.2 Das Atelier Troost: Gerdy Troost und Leonhard Gall Nach Aussage Albert Speers soll Hitler für kurze Zeit mit dem Gedanken gespielt haben, das Büro Troosts selbst weiterzuführen.68 Tatsächlich übernahm aber die Witwe des Architekten, Gerdy Troost, die Leitung des Ateliers und vollendete mit dessen langjährigem Mitarbeiter Leonhard Gall die begonnenen Projekte. Gerdy Troost stand kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag, als sie das Erbe ihres Mannes antrat.69 1923 hatte sie den Architekten durch ihren Vater Johannes Andresen kennengelernt. Der Leiter der Bremer Holzkunst-Werkstätten, selbst Innenarchitekt, stand mit Paul Ludwig Troost im Zuge der Innenausstattungen für die Dampfer des Norddeutschen Lloyds in geschäftlicher Verbindung; auch seine Tochter arbeitete nach ihrer Schulausbildung an der Höheren Mädchenschule

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in Düsseldorf in dem kunstgewerblich orientierten Betrieb mit. 1925 heirateten Gerdy und Paul Ludwig Troost. Ein halbes Jahr zuvor war Gerdy Troost zu »architektonischen und kunsthistorischen Studien« nach München gekommen. Die junge Frau zeigte an der Arbeit ihres Mannes reges Interesse und wurde zu seiner engsten Beraterin. Wie Paul Ludwig Troost war auch sie, wie sie sich später äußerte, »von Hitler beeindruckt«,70 und trat 1932 in die NSDAP ein. Die Wertschätzung, die Hitler ihrem Mann entgegenbrachte, übertrug sich auf sie und sollte sich in den kommenden Jahren zu einem freundschaftlichen Verhältnis entwickeln. So war es für Gerdy Troost eine Selbstverständlichkeit, das Werk ihres Gatten fortzusetzen. »Es gab wohl kaum einen Gedanken des Meinigen, den ich nicht mit ihm geteilt hätte«, schrieb sie im Dezember 1934 an eine Freundin. »Auf Wunsch des Führers werden die gesamten Bauten von Paulus hier vom ›Atelier Troost‹ – ich habe dem Atelier diese Bezeichnung gegeben u. die Leitung übernommen – durchgeführt […] Denn es kann Niemand so tief in Paul Ludwig Troosts Sprache u. Seele u. in den Geist seines Schaffens eingefühlt sein, wie seine Mitarbeiter und ich. Wir fühlen, denken u. arbeiten ganz in seinem Geist, während jeder andere Architekt naturgemäß sich wohl anpassen, aber doch seine eigene Sprache sprechen wird.71 Da Gerdy Troost über keine entsprechende Ausbildung verfügte und auch wohl kaum die Qualifikation für derartige Vorhaben besaß, übertrug sie die technische Leitung des Ateliers an Leonhard Gall, der seit 1908 im Büro ihres Mannes angestellt war.72 Leonhard Gall, ebenso wie Gerdy Troost seit 1932 Mitglied der NSDAP, fertigte die architektonischen Pläne und die Entwurfszeichnungen für das Mobiliar, während Gerdy Troost vor allem die Repräsentanz des Ateliers übernahm und für ein entsprechend würdiges Arrangement mittels Farbe, Material und Dekor sorgte. Dass Gerdy Troost auch die Möbelentwürfe und deren Anfertigung begutachtete, verstand sich von selbst. In dieser Konstellation setzte das Atelier Troost, das zeitweise 19 Mitarbeiter beschäftigte und zu den hoch dotierten Firmen im Dritten Reich gehörte, ab 1934 nicht nur die Bauten am Königsplatz, das »Haus der Deutschen Kunst« und die Arbeiten in der Neuen Reichskanzlei in Berlin fort, sondern gestaltete in München auch die Amtsräume des Oberbürgermeisters im Neuen Rathaus, die Dienstwohnung des Innenministers und Gauleiters Adolf Wagner in der Kaulbach-Villa sowie die Räumlichkeiten des Anfang 1937 umgebauten Prinz-Carl-Palais, das Mussolini bei seinen Staatsbesuchen als Gästehaus dienen sollte. Zudem stattete das Atelier Troost Hitlers Privatwohnung am Prinzregentenplatz und den am Obersalzberg gelegenen »Berghof« gewohnt aufwändig und damit ganz nach dem Geschmack

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des Auftraggebers aus. 1939 übergab Gerdy Troost die Leitung des Ateliers an Leonhard Gall. Zu Kriegsbeginn verlegte sie ihren berufl ichen Schwerpunkt auf die Gestaltung von Ritterkreuzurkunden, die die nationalsozialistische Propaganda als höchste Tapferkeitsauszeichnung huldigte, und exquisiten Geschenken für die NS-Führungsriege und deren Sympathisanten.73 Auch widmete sie sich nun intensiv dem Aufbau Gerdy Troost und Leonhard Gall (links) beim Richtdes »Archiv und Werk Paul fest des »Hauses der Deutschen Kunst«, 29. Juni 1935 Ludwig Troost«, für das auf Wunsch Hitlers ein Gebäude mit der Nachbildung der Inneneinrichtung der großen Halle des Llyoddampfers »Europa« errichtet werden sollte. Gerdy Troost verstand sich zeitlebens als Sachverwalterin eines großen Erbes, das von ihr treu gehütet und fortgesetzt wurde – eine Rolle, die ihr die nationalsozialistische Berichterstattung nur zu gerne zuschrieb. Als nahezu einzige Frau gehörte sie den Akteuren der NS-Kunstszene an, deren Mittelpunkt das »Haus der Deutschen Kunst« bildete. Auf unzähligen Fotografien und Filmaufnahmen, die zwischen 1935 und 1944 anlässlich einschlägiger Veranstaltungen und Festivitäten aufgenommen wurden, ist sie – gewissermaßen als »Vorzeigefrau«, deren elegante Erscheinung aus der uniformierten Masse herausstach – an der Seite Adolf Hitlers und hochrangiger Parteiprominenz zu sehen. »In ihrem weißen Kostüm saß sie bei den Feiern in der vordersten Reihe der Ehrengäste, hatte ihren Platz nahe dem Führer. Denn diese Tage der Feier waren ja zugleich Ehrentage für sie. Es war ja auch ihr Werk mit, das geweiht und dem deutschen Volk übergeben wurde«, berichtete der »Völkische Beobachter« wenige Tage nach der Eröffnung des »Hauses der Deutschen Kunst«.74 Gerdy Troost ließ sich die Ehre, die man dem Andenken ihres Mannes und ihr selbst zollte, gerne angedeihen. 1937 verlieh ihr Hitler »in Würdigung einer unermüdlichen, tief innerlich verbundenen Bereitschaft darüber zu wachen, dass bis ins letzte das Ver-

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mächtnis des dahingegangenen Mannes erfüllt werde« den ProfessorenTitel.75 Im selben Jahr wurde sie auf der Pariser Weltausstellung für das »Haus der Deutschen Kunst« (dessen Modell auf dem »Ehrenpodium« des »Deutschen Hauses« ausgestellt war) mit dem Grand Prix ausgezeichnet und erhielt die Silberne Ehrenmedaille der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Bereits 1934 war sie in den Vorstandsrat des »Hauses der Deutschen Kunst« berufen worden. In München und in Parteikreisen galt Gerdy Troost bald als »eine Art Kunstrichterin.«76 Wie groß Gerdy Troosts Einfluss in dem von Intrigen und Kompetenzkämpfen beherrschten Machtapparat tatsächlich war, lässt sich anhand der bislang bekannten Quellen nicht eindeutig beurteilen. Zumindest was die kulturellen Belange Münchens betraf, war ihr Urteil entscheidend. Albert Speer, dessen Aufstieg nach dem Tod Paul Ludwig Troosts begann, beschrieb sie als »eine Frau von Geschmack und Charakter, die ihre oft eigenwilligen Ansichten beharrlicher verteidigte als manche Männer in Amt und Würden«. Kollegen, die sich wie Paul Bonatz kritisch über das Werk ihres Mannes äußerten, habe sie bekämpft. Ebenso habe sie heftig gegen moderne Architekten wie Adolf Abel oder Robert Vorhoelzer interveniert und war, so Speer, »in all diesen Fällen mit Hitler einig«.77 Ihr gutes Einvernehmen mit Hitler war sicherlich auch ausschlaggebend, sie 1938 in den Aufsichtsrat der Bavaria Filmkunst GmbH zu berufen, die sich in ständiger Konkurrenz mit der von Goebbels protegierten UFA befand. »Ich nehme an, dass Frau Professor Troost – nachdem sie im Aufsichtsrat der Bavaria sitzt und der Führer doch auch manchmal auf Frau Troost in solchen Dingen hört – Gelegenheit nehmen wird dem Führer einiges vorzutragen«, hieß es in einem von Erich Walter Herbell, dem Geschäftsführer der Bavaria, verfassten Bericht in dem – wieder einmal – die Bevormundungen aus Berlin zur Sprache gebracht wurden.78 Zudem fiel häufig Gerdy Troosts Name, wenn es um Empfehlungen für Ämter oder Professorentitel ging. Dass ihre Stellungnahme auch bei den sogenannten Arisierungsverfahren, d. h. der Ausplünderung und Entrechtung jüdischer Bürger, Gewicht hatte, ist zumindest im Falle des Volkskunsthauses Wallach belegt. Immerhin gelang es dem Parteigenossen und gescheiterten Kunsthändler Otto Witte durch ihre Fürsprache, das weltberühmte Unternehmen zu einem Spottpreis zu erwerben.79 Andererseits benutzte Gerdy Troost, die 1943 mit dem »Goldenen Parteiabzeichen«80 ausgezeichnet wurde und bis zuletzt eine unbelehrbare Anhängerin Hitlers blieb, ihre einflussreiche Stellung auch dazu, um verfolgten oder in Not geratenen Kollegen,

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Freunden und Bekannten zu helfen, was sie nach Kriegsende anhand Dutzender eidesstattlicher Erklärungen für sich zu reklamieren suchte. Wie nicht wenige Kulturschaffende, die im Dritten Reich einen privilegierten Status genossen und durch ihre Tätigkeit die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gefördert hatten, nahm auch Gerdy Troost das vielbemühte Klischee vom Künstler als unpolitischem Wesen für sich in Anspruch. Als Künstlerin habe ihr ganzes Streben nur der Architektur und der Vollendung des Werkes ihres Mannes gegolten: »Offen nur dem Schönen und Lichten im Leben, verschloss sie sich instinktiv dem Bösen und Dunklen«, beteuerte ihr Anwalt 1947 in seiner Verteidigungsschrift. »So sah sie auch am Nationalsozialismus nur die lichten Seiten, an die sie, unfähig Verstellung und Betrug auch nur zu argwöhnen, aus reinem Herzen glaubte.«81 Obwohl die Anwälte das Verfahren bis März 1950 hinziehen konnten, stufte die Spruchkammer Gerdy Troost als »Minderbelastete« ein. Als Nutznießerin und überzeugte Anhängerin der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde sie zu einer fi nanziellen Sühneleistung und der Aberkennung staatsbürgerlicher und persönlicher Rechte innerhalb einer zweijährigen Bewährungsfrist verurteilt. Die Berechtigung zur Führung des Professorentitels wurde ihr entzogen, weil »selbständige überragende künstlerische Leistungen, die die Verleihung des Titels seinerzeit gerechtfertigt hätten, von ihr nie vollbracht worden sind«. 82 Gerdy Troost lebte bis zu ihrem Tod im Februar 2003 zurückgezogen im oberbayerischen Bad Reichenhall. Auch Leonhard Gall wurde für seine Dienste mit zahlreichen Ämtern und Auszeichnungen bedacht. Als Vizepräsident der Reichskammer der bildenden Künste und Mitglied im künstlerischen Beirat der Stadt München war er, der 1935 anlässlich des Richtfestes des »Hauses der Deutschen Kunst« zum Professor ernannt wurde, vor allem auf kulturpolitischer Ebene aktiv. 1936 bestellte ihn Joseph Goebbels zum Treuhänder der vom Propagandaministerium gestifteten Spende »Künstlerdank«, einer Art sozialen Fürsorge für hilfsbedürftige, dem Regime genehme Künstler. Zudem war Leonhard Gall – neben Albert Speer und dem Bildhauer Richard Klein – Herausgeber der maßgebenden Zeitschrift »Die Kunst im Dritten Reich« (ab 1939 »Die Kunst im Deutschen Reich«), die seit Januar 1937 im parteieigenen Eher Verlag erschien und mit einer Auflage von bis zu 50 000 Exemplaren nationalsozialistische Kunstanschauung ins deutsche Heim brachte. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Gall zu den »unersetzlichen Künstlern«, die, vom Kriegsdienst freigestellt und mit uneingeschränkten Privilegien verse-

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hen, keinerlei Behinderung ihrer Arbeit zu befürchten hatten.83 Trotz dieser Ehrungen stand Leonhard Gall als Architekt ganz im Schatten seines verstorbenen »Lehrmeisters« Paul Ludwig Troost. Noch 1944 titulierte ihn die zeitgenössische Presse an seinem 60. Geburtstag als »neuschöpferischen Wahrer großen Erbes«, der mit dem Bewusstsein zurückblicken könne, »als enger Mitarbeiter Paul Ludwig Troosts an der Entwicklung des Bau- Gerdy Troost umgeben von NS-Prominenz: Erstils unserer Zeit mitgewirkt öffnungsrundgang durch die »Große Deutsche […] zu haben.«84 Abgesehen Kunstausstellung«,1939. Rechts Karl Kolb, der Direktor des Hauses von einzelnen monumentalen Planungen wie dem »Haus der Deutschen Architektur« an der Prinzregentenstraße und einem gegenüber der Alten Pinakothek situierten Kanzleigebäude der NSDAP, spielte Leonhard Gall für die ab 1938 / 39 konzipierte »Neugestaltung der Hauptstadt der Bewegung« nur eine marginale Rolle. Etliche Entlastungszeugen, die sich überwiegend aus der Münchner Künstler- und Architektenschaft rekrutierten, bescheinigten ihm nach 1945 einen unermüdlichen Einsatz für seine künstlerische Arbeit, die »eine politische Inanspruchnahme nicht mehr zuließ«. 85 Die überaus milde gestimmte Spruchkammer stufte den Architekten schließlich im November 1948 als »Mitläufer« ein und fand selbst für dessen rapide wachsendes Einkommen in der »enormen Baukonjunktur des 3. Reiches« eine bemerkenswerte Erklärung. Nicht zuletzt aus Altersgründen gelang es Leonhard Gall nicht mehr, in der umtriebigen Wiederaufbauphase der Nachkriegszeit als Architekt Fuß zu fassen. Er beschäftigte sich fortan erfolglos mit Möbelentwürfen. Das aus dieser Zeit wohl einzig realisierte Projekt war ein 1949 für den Ostflügel des »Hauses der Deutschen Kunst« (das mittlerweile zum »Haus der Kunst« umbenannt worden war) entworfenes Leuchttransparent in Form einer Eingangspforte, das bis 1957 u. a. als Reklamefläche genutzt wurde. Leonhard Gall starb im Alter von 68 Jahren am 20. Januar 1952 in München.

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Blick auf das Areal Hofgarten, Von-der-Tann- und PrinzregentenstraĂ&#x;e, 1937



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