Ivan Kožarić Essay Deutsch

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Ivan Kožarić Freiheit ist ein seltener Vogel Herausgegeben von Patrizia Dander & Radmila Iva Janković

in Kooperation mit:

Verlag der Buchhandlung Walther König


Patrizia Dander Freiheit ist ein seltener Vogel – oder: Fliehkräfte am Werk

Mit der Auflösung des Ostblocks ist in den letzten zwei Jahrzehnten das Interesse an künstlerischen Positionen aus diesen Ländern auffällig gestiegen. Dies zeigt sich nicht nur an Publikationen wie Primary Documents. A Sourcebook for Eastern and Central European Art since the 1950s,1 die sich darum bemühen, diesen vom „Westen“ kunsthistorisch wenig beachteten Teil Europas sichtbar zu machen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Auch die zahlreichen Ausstellungen beziehungsweise Ausstellungsbeteiligungen von Künstlerinnen und Künstlern ehemaliger Ostblockstaaten2 verdeutlichen dies. Das Hauptaugenmerk bei der verspäteten „Integration“ der künstlerischen Bewegungen und Positionen dieser Länder in den kunsthistorischen „Kanon“ liegt dabei auf Strömungen, die man im weitesten Sinn als konzeptuell beschreiben kann – was damit zu tun hat, dass wir uns in einer Phase der Historisierung dieser für die zeitgenössische Kunst so zentralen Bewegung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre befinden. Das impliziert zugleich eine Revision und Ausdifferenzierung der primär amerikanisch und westeuropäisch geprägten Konzeptkunst, um Künstlern dieser – und weiterer – Länder einen Platz innerhalb ihrer „Geschichte“ einzuräumen. So heißt es bei Luis Camnitzer, Jane Farver und Rachel Weiss in ihrer Untersuchung zu Global Conceptualism: „Es ist wichtig, eine klare Abgrenzung zwischen Konzeptkunst als Bezeichnung für eine im Kern formalistische Praxis, die sich im Gefolge des Minimalismus entwickelt hat, und dem Konzeptualismus vorzunehmen, der sich mit Entschiedenheit von der historischen Abhängigkeit der Kunst von ihrer physischen Form und visuellen Wahrnehmung losgesagt hat. Der Konzeptualismus war Ausdruck einer umfassenderen Geisteshaltung, die eine große Palette von Arbeiten und Arbeitsmethoden vereinte, indem sie die Rolle des Kunstobjekts radikal reduzierte und die Möglichkeiten der Kunst mit Blick auf die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Realitäten, innerhalb derer sie geschaffen wurde, neu erfand. Seine Formlosigkeit

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und Affinität zum Kollektiven machte den Konzeptualismus für Künstler attraktiv, die sich in diesen intensiven, transformativen Phasen in direkterer Weise mit der Öffentlichkeit auseinandersetzen wollten. Die Deakzentuierung – oder Dematerialisierung – des Objekts erlaubte ihnen, den Schwerpunkt ihrer Kunst vom künstlerischen Produkt auf die künstlerische Handlung zu verlegen.“3 Und weiter: „Legt man den Konzeptualismus in einem weiteren Sinne aus, bedeutet ‚Dematerialisierung‘ allerdings nicht immer das Verschwinden des Objekts; es geht vielmehr um eine Neudefinition seiner Rolle als Bedeutungsträger, um die Aufladung bestehender Objekte mit neuem Bedeutungsgehalt und um einen Versuch, die Erosion von Information zu verhindern.“4 Dies verdeutlicht, dass die Begrifflichkeiten für die Betrachtung konzeptueller Entwicklungen in globalen Zusammenhängen weit gefasst werden müssen – meist schlichtweg ob einer fehlenden besseren Alternative. Die Frage stellt sich, ob im Rahmen solcher Betrachtungen nicht passend gemacht wird, was unter den spezifisch westeuropäisch und amerikanisch geprägten Begriffen kaum zu subsumieren ist, beziehungsweise bis zu welchem Grad regional und national variierende Ausgangspositionen vernachlässigt werden

1 Laura Hoptman und Tomáš

3 Luis Camnitzer, Jane Farver

Pospiszyl (Hg.), Primary Documents. A Sourcebook for Eastern and Central European Art since the 1950s, The Museum of Modern Art, New York 2002. 2 Um nur ein paar zu nennen: Tadeusz Kantor, Edward Krasiński, Alina Szapocznikow (Polen), Maria Bartuszová, Július Koller (ehem. Tschechoslowakei), Ion Grigorescu (Rumänien), Andrei Monastyrski and the Collective 4 Actions Group (ehem. UdSSR).

und Rachel Weiss, „Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s–1980s“, in: Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s–1980s, Ausst.-Kat. Queens Museum of Art, New York; Walker Art Center, Minneapolis; Miami Art Museum; New York 1999, S. VIII. Ich danke Okwui Enwezor für diesen Hinweis. Ebd.

Pejzaž, 1958 [Landschaft]

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müssen.5 Der slowenische Kurator, Autor und Kritiker Igor Zabel hat zu dieser Problematik und insbesondere zur Dichotomie zwischen „Ost“ und „West“ folgende Thesen formuliert: „Innerhalb des globalen Kunstnetzwerks scheint die westliche Kunst die Position eines ‚strategischen Punkts‘ innezuhaben. [...] Ohne viel Übertreibung kann man sagen, dass der Westen festlegt, was Kunst ist und was nicht. Selbst die oft diskutierten ‚transkulturellen‘ Prozesse können dieser Determinante nicht entkommen; ein regionales Kunstphänomen oder -idiom wird zunächst durch westliche Interpretationen, Institutionen und durch westliches Kapital in Besitz genommen und dann erst in seinen ursprünglichen Kontext ‚relokalisiert‘ bzw. zurückprojiziert. [...] Es mag zwar zutreffen, dass westliche Kunst für uns das ‚Andere‘ ist, aber ausschlaggebend ist, dass ‚wir‘ für den Westen das ‚Andere‘ sind.“6 Im Rahmen der „Entdeckung“ künstlerischer Positionen aus den „anderen“ Ländern – hier eben des ehemaligen Ostblocks, der keine soziale oder geografische, sondern eine ökonomisch-politische Einheit war7 – wird für deren Erklärung dabei häufig auf reduktive nationale beziehungsweise kulturelle Repräsentationen zurückgegriffen.8 Diese zu überwinden ist jedoch Voraussetzung für ein Verständnis der Eigenheiten des jeweiligen künstlerischen Ansatzes. „Doch ein solches Unterfangen würde eine Konzentration von Energien erfordern und in erster Linie einen Ausbruch aus dem Spiel der Repräsentationen, aus der Position des ‚Anderen in den Augen der Anderen‘.“9 Dazu nochmals am Ende des Textes. Trotz des gestiegenen Interesses auch an den Künstlerinnen und Künstlern des ehemaligen Jugoslawien10 ist das Werk von Ivan Kožarić im „westlichen“ Kontext weitgehend unbeachtet geblieben.11 Der Künstler, der 1921 in der Nähe von Zagreb geboren wurde, hat ein erstaunlich facettenreiches Œuvre hervorgebracht, das in vielen Punkten Parallelen zu den und sogar Vorgriffe auf

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die Anliegen internationaler konzeptueller Strömungen aufweist. Umso erstaunlicher scheint die mangelnde Rezeption seiner Arbeit. Eines der ersten Themen, das einem begegnet, wenn man sich mit seinem Werk beschäftigt, ist die Betonung der künstlerischen Freiheit, die sein Schaffen von Anfang an und bis heute prägt. Doch was bedeutet diese künstlerische Freiheit konkret? Wie artikuliert sie sich, welche Folgen hat sie für den Werkbegriff bei Kožarić? Und welchen Einfluss hat sie auf die Bedingungen der Vermittlung seines Schaffens gehabt? Möglicherweise ist genau die Schwierigkeit, sein vielschichtiges Werk unter einen Begriff zu fassen, ein Grund für das Versäumnis, sein Werk auch international einer genauen Analyse zu unterziehen. DIE 1950ER JAHRE 1949 schließt Ivan Kožarić die Zagreber Kunstakademie ab, an der er unter anderem die Bildhauerklasse des für seine Monumentalplastiken bekannten Antun Augustinčić absolvierte. Sein Schaffen nach der Akademiezeit ist bestimmt von der Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur. Stehende, ein Čovjek koji sjedi [Sitzender, 1954, S. 58], sogar ein „Duschender“ [Figura (Kupač pod tušem), 1956, S. 56], Porträts, anonyme Köpfe (S. 50–55) und Torsi beleben den Kosmos der Figur bei Kožarić. Er erprobt zunächst die Möglichkeit, sich dem Menschen, und in letzter Instanz dem Menschlichen, in unterschiedlichsten Ausdrucksformen zu nähern. Inspiriert von stilprägenden Positionen der Moderne, bezeugt Kožarićs Werk dieser Periode eine beachtliche Offenheit und Experimentierfreude sowie das später von ihm explizit formulierte Bedürfnis, sich in seinem Tun immer neu zu überprüfen. Dabei entstehen bis heute gültige Variationen von bekannten bildhauerischen Fragestellungen. Ivan Kožarićs Einschätzung jener Jahre ist ebenso bescheiden wie unvoreingenommen: „Als ich jünger war, nahm ich meine Ideen ein bisschen von überallher. […] Ich machte mir mit

Begeisterung alles zu eigen, was mir gefiel. Alles, was ich sah, formte mich, am Anfang Rodin, dann Maillol, Brancusi und auch Pevsner.“12 Ohne Selbstbeschränkungen erprobt er sein Wissen über die Skulptur anhand eines klassischen Motivrepertoires. Und die figürlichen Darstellungen in einer modernen Tradition bilden in seinen Plastiken, aber auch Zeichnungen bis heute das Rückgrat seines Schaffens. Daneben tauchen schon in den frühen 1950er Jahren Werke anderer Ausrichtung auf. So fertigt Kožarić beispielsweise Osjećaj cjeline [Gefühl von Ganzheit, 1953/1954, S. 61], eine der bemerkenswertesten Arbeiten des Künstlers. Wenngleich die Kuratorin Ana Dević feststellt, dass Abstraktion im Grunde keine für Kožarić relevante Kategorie ist, sondern nur eine Spielart unter vielen möglichen Ausdrucksformen,13 gilt diese Arbeit doch weithin als eine der ersten nicht-darstellenden Skulpturen Jugoslawiens.14 Mit der etwas später entstandenen Gipsplastik Precizni mehanizam [Präziser Mechanismus, 1959, S. 66] drückt Kožarić ausgehend von einer abstrahierten, figürlichen Darstellung – zu sehen ist ein Torso, einer Pendelwaage ähnlich, auf einem weiß gestrichenen Holzsockel – eine Faszination für den inneren, mechanisch verstandenen Aufbau des Menschen aus. Radoslav Putar, ehemals Leiter der Galerija suvremene umjetnosti [Galerie für zeitgenössische Kunst] in Zagreb, beschreibt dies schon früh in Kožarićs Arbeiten als Bewegung hin zur Reduktion auf das minimal Nötige.15 Beide Arbeiten überschreiten rein auf die Darstellung bezogene Fragen, sie versuchen vielmehr abstrakte Vorstellungen in skulpturale Formen zu übertragen. Der Künstler erweitert seinen Blick also auf die bildhauerische Übersetzung von Zuständen. Dies wird in den späten 1950er und Anfang der 1960er Jahre weiter in den Vordergrund treten und zu Arbeiten führen, die ihre genuine Eigenheit bis heute behaupten. Deutlich ablesbar ist das an Skulpturen wie Unutarnje oči [Innere Augen, 1959, S. 73] und Isječak rijeke [Ausschnitt eines Flusses, 1959/1960, S. 74], mit

ihren Themen Innerlichkeit, Leere, Immaterialität oder Vergänglichkeit. Sie gelten, wie unten beschrieben, als Auslöser für den Beitritt zur Avantgardegruppe Gorgona im Jahr 1960. Während die eben erwähnten Werke eine Bewegung nach innen, hin zum Mentalen beziehungsweise in die Abstraktion verbildlichen, entstehen gleichzeitig „distanzschaffende“ Arbeiten: ab Mitte der 1950er Jahre erste Globen (zum Beispiel Globus, 1956, S. 62; Globus, 1959, S. 65); Pejzaž [Landschaft, 1958; S. 11], eine abstrahierte Landschaft, die einen Berg von unten umfängt; später dann die Sfera [Sphäre, ca. 1959–2000], die als Inbegriff von Ganzheit gelten kann. Der Betrachterstandpunkt wird immer weiter nach außen verlagert – ein

5 Vgl. Zdenka Badovinac, Eda

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Čufer, Cristina Freire, Boris Groys, Charles Harrison, Vít Havránek, Piotr Piotrowski und Branka Stipančić, Conceptual Art and Eastern Europe: Part 1, online: http:// www.e-flux.com/journal/ conceptual-art-and-easterneurope-part-i/, abgerufen am 5. April 2013. Igor Zabel, „‚We‘ and the ‚Others‘“, in: Moscow Art Magazine, 22, 1998, S. 27–35, wieder abgedruckt in: Igor Španjol (Hg.), Igor Zabel. Contemporary Art Theory, Zürich/Dijon 2012, S. 32–45, hier S. 34. Laura Hoptman und Tomáš Pospiszyl, „Introduction“, in: dies. 2002, S. 9. Zabel, in: Španjol 2012, S. 37. Ebd., S. 44. Beispiele hierfür sind Marina Abramović, Braco Dimitrijević, Mladen Stilinović oder Sanja Iveković.

11 Ausnahmen sind beispiels-

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weise seine Einzelausstellung im Musée d’art moderne de la Ville de Paris oder sein Beitrag zur Documenta 11 (beide 2002). Ivan Kožarić, zitiert nach: Hans Ulrich Obrist und Vivian Rehberg, o. T., in: dies. (Hg.), Ivan Kožarić, Ausst.Kat. Musée d’art moderne de la Ville de Paris, Paris 2002, o. S. Ana Dević, „Ivan Kožarić. A Feeling of Wholeness“, in: Afterall, 31, Herbst/Winter 2012, S. 40. Igor Fisković (Hg.), 1000 Tisuću godina hrvatskog kiparstva [1000 Jahre kroatische Skulptur], Muzejsko Galerijski Centar [Museums- und Galeriezentrum], Zagreb 1997, S. 323. Vgl. Radoslav Putar, „Ivan Kožarićs plastische Intuition“, in vorliegender Publikation, S. 165.

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den vom Künstler in seiner „Kosmologie“, in deren Zentrum der Mensch steht, ins Gleichgewicht gebracht, aber Fliehkräfte sind am Werk.

„Herabschauen“ auf die Welt aus der Entfernung, lesbar als Versuch, sich in seinem Lebensumfeld klarer zu verorten. In diesem Zusammenhang erscheint eine Zeichnung von 1953 geradezu paradigmatisch: Muški akt (S. 14), ein männlicher Akt, der auf einer Weltkugel steht – auf der Erde verwurzelt, aber doch distanziert von oben herabblickend. Kožarić formuliert es selbst so: „Ich habe einen Fixpunkt im Weltall gefunden …!“16 Schon anhand dieser wenigen Arbeiten wird deutlich, wie weit Ivan Kožarićs künstlerischer Blickwinkel gespannt ist. Er beschäftigt sich mit der Verortung des menschlichen Subjekts, und insbesondere des künstlerisch tätigen, zwischen den Polen des Universums und der Individualität und widmet sich dabei den lebenskonstituierenden Elementen – der unmittelbaren Umwelt, dem Menschen selbst und den inneren Prozessen. Diese Bandbreite erreicht er durch Pendelbewegungen von Nähe und Distanz, ganz so als schiene er einer von Vito Acconci beschriebenen Idee zu folgen: „Um Land überhaupt entdecken zu können, muss es vorher erst als ganz weit entfernt wahrgenommen worden sein; Land muss ganz weit weg sein, damit es im Ganzen gesehen werden kann, als Panorama; Land weicht zurück und wird zu ‚Landschaft‘.“17 Übertragen auf Kožarićs Werk, impliziert dies räumliche wie mentale Distanznahme als Voraussetzung für ein Verstehen der menschlichen Existenz. Schon zu dieser Zeit zeichnet sich ab, was der Künstler und Kurator Antun Maračić später prägnant beschreibt: „So präsentiert sich Kožarić als Künstler des räumlichen Maximalismus, als Bildhauer, auch dann noch, wenn er kein konkretes Material handhabt. Er ist ein Bildhauer vor allem in seiner universellen Spiritualität, mit der er alle Arten von Distanzen und Unterschieden miteinander verbindet und entmystifiziert.“18 Eine ähnliche These vertritt Ana Dević, wenn sie formuliert, dass sich Kožarićs gesamtes Werk durch die Eigenheit auszeichne, die unterschiedlichsten Materialien und Formen zu einer Idee von Ganzheitlichkeit zu vereinen.19 Die Polaritäten wer-

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GORGONA UND DIE OBLICI PROSTORA

Muški akt, 1953 [Männlicher Akt]

Im Folgenden soll der Blick vor allem auf Kožarićs – aus heutiger Perspektive – als konzeptuell lesbare Arbeiten gerichtet werden, in denen sich sein Verhältnis zum Lebensumfeld artikuliert. 1960 kehrt er von einem halbjährigen Stipendienaufenthalt in Paris mit Unutarnje oči und Isječak rijeke, den wegweisenden Arbeiten zurück, die als Grund für die Einladung gelten, Gorgona beizutreten: „Nach meinem letzten Parisaufenthalt, von dem ich Ende der 1960er Jahre zurückkehrte, fragte mich Ješovar, ob ich mich der Gorgona-Gruppe anschließen wolle. Da wir einander schon von früher kannten, sagte ich: ‚Warum nicht?‘“20 Gorgona war ein von 1959 bis 1966 aktiver Zusammenschluss von Künstlern, Architekten und Kunsthistorikern, die sich einem „Prozeß des Suchens nach künstlerischer und intellektueller Freiheit, deren Erreichung in sich selbst Zweck und Absicht war, [verschrieben hatten]. [...] Trotz Differenzen bezüglich ihrer individuellen künstlerischen Konzeption hatten die Mitglieder von Gorgona eines gemeinsam: Die moderne Geistesrichtung, der sie angehörten, d.h. Anerkennung des Absurden, der Leere und der Monotonie als ästhetischer Kategorien und eine Tendenz zum Nihilismus und metaphysischer Ironie.“21 Gorgona zeichnete sich im Gegensatz zu anderen künstlerischen Gruppen weder durch ein gemeinsames stilistisches Programm aus noch durch einen Wunsch, ihr Tun nach außen zu propagieren.22 Im Grunde war der Ansatz von Gorgona privatistisch – was unter anderem als Reaktion auf die politische Situation des Landes zu verstehen ist. Der Maler Josip Vaništa, Sprachrohr der Gruppe, erinnert sich: „Gorgona strebte nach einer außerästhetischen Realität. Beschränkung, Passivität und Meditativität standen

über der ironischen Negation der Welt, in der wir lebten. Wir legten keinen Wert auf das Kunstwerk, die Aktivitäten waren sehr einfach: beispielsweise gemeinsame Spaziergänge in der Umgebung der Stadt, eine ‚in Auftrag gegebene Selbstbeobachtung zum Frühlingsanfang‘, wie Radoslav Putar scherzhaft sagte – relativ gewöhnliche Gespräche in der Natur. Ich war, wie andere auch, in dieser Zeit an der Leere des Zen interessiert, ich sehnte mich in dieser ideologie-erfüllten Welt nach einem normalen Verhalten, einem natürlichen Leben.“23 Insofern gibt es Parallelen zu kollektiven Ansätzen in anderen sozialistischen Ländern, die Claire Bishop in einem Text über die ab den 1970er Jahren in Russland aktive Collective Actions Group folgendermaßen fasst: „[...] die individuellen Erfahrungen, die im Sozialismus im Visier der partizipatorischen Kunst standen, werden noch immer als gemeinsame privatisierte Erfahrungen ausgelegt: als Konstruktion eines kollektiven künstleri-

16 Das Zitat ist einer undatierten

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rie für zeitgenössische Kunst], Textarbeit des Künstlers entZagreb; Galerija Studentskog nommen (Tekst, o.J [Text], centra [Galerie des StudenS. 64 oben). tenzentrums], Belgrad; StädVito Acconci, „Das Haus vertisches Museum, Mönchenlassen. Anmerkungen zu Eingladbach; Zagreb 1977; zitiert fügungen in die Öffentlichaus der deutschen Beilage keit“, in: Florian Matzner (Hg.), zum Ausst.-Kat., herausgePublic Art. Kunst im öffentgeben vom Städtischen Mulichen Raum, Ostfildern-Ruit seum in Mönchengladbach, 2001, S. 40. 1978, o. S. Antun Maračić, „Ivan Kožarić 22 So rückte Gorgona auch verdient sein Glück“, in vorlieerst 1977 mit der von Nena gender Publikation, S. 211. Dimitrijević kuratierten Dević 2012, S. 39. Retrospektive ins öffentliche Ivan Kožarić im Gespräch mit Bewußtsein. Vladimir Kusik, in: Ivan Koža- 23 Josip Vaništa, „The Gorgona“, in: Marija Gattin (Hg.), Gorgorić, Ausst.-Kat. Galerija Kazana / Protocol of Submitting mat (HDLU), Osijek 2003, o. S. Nena Dimitrijević, „Gorgona Thoughts, Ausst.-Kat. Muzej – Kunst als Lebensform“, in: suvremene umjetnosti [MuseGorgona, Ausst.-Kat. Galerija um für zeitgenössische Kunst], suvremene umjetnosti [GaleZagreb 2002, Bd. 1, S. 159.

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schen Raumes unter Kollegen, die einander vertrauten. Statt diese Arbeit als ‚implizit politisch‘ aufzufassen, [...] sollte [die] Arbeit, die in diesen Jahrzehnten unter dem Staatssozialismus entstanden ist, in einem komplexeren Zusammenhang betrachtet werden. Angesichts eines ideologisch gesättigten Alltags betrachteten Künstler ihre Arbeit nicht als politisch, sondern vielmehr als existenziell und apolitisch und sahen sich den Ideen von Freiheit und individueller Fantasie verpflichtet.“24 Das System in Jugoslawien war im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten relativ freizügig – Jugoslawien hatte sich bereits 1948 von der UdSSR losgesagt –, vordergründig waren die Künstler keinen wesentlichen Einschränkungen ausgesetzt.25 Die präferierte Kunstrichtung dieser Zeit war nicht etwa der sozialistische Realismus, sondern der Modernismus, verstanden als „‚reine‘ Kunst, die sich nur um sich selbst drehte, die soziale und politische Sphäre nicht berührte und demnach harmlos war“,26 und Anschluss an die westlichen Entwicklungen und auch Märkte versprach.27 Die Kuratorinnen von What, How & for Whom / WHW betonen jedoch, dass der Modernismus als Exponent sozialen Wandels im jugoslawischen Kontext als antibourgeois galt und dem sozialistischen Projekt damit auch inhaltlich nahestand – was die moderne Kunst in Jugoslawien entgegen ihrem behaupteten Autonomieanspruch politisierte.28 Der Kunsthistoriker Boris Groys schreibt: „Alle modernen Gesellschaften ziehen die vita activa der vita contemplativa vor. [...] Unter den Bedingungen der Moderne sind es jedoch gerade Fortschritt und Wandel, die den Status quo bestimmen. Jedes Mitglied der modernen Gesellschaft ist vom Zeitpunkt seiner Geburt an in den Prozess des wirtschaftlichen Fortschritts, Wachstums und Wandels eingebunden.“29 Gegen diese Fortschrittsprämisse ging Gorgona mit der Verweigerung gegenüber dem Kunstwerk und dem Vorrang der Idee gegenüber ihrer Ausführung explizit an. Vor diesem Hintergrund wird auch folgende Notiz von Josip Vaniš-

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ta verständlich: „Gegen die moderne Kunst.“30 Der nicht am Objekt orientierte Ansatz zeigt das protokonzeptuelle Denken Gorgonas, das sich auch in Ivan Kožarićs Werken niederschlägt. In dieser Zeit entwickelt er seinen „Blick aus der Distanz“ weiter. Dieser manifestiert sich in Projekten, die in ihrem Maßstab derart groß angelegt sind, dass eine Realisierung außer Frage steht. Dies gilt beispielsweise für folgenden Vorschlag des Künstlers: „Ich kam auf die Idee, an abgefahrenen Straßen voller Fuß-, Reifen- und anderer Spuren Gipsabgüsse von der Erdoberfläche zu machen. Auf diese Weise könnte ich nach und nach einen Abguss der gesamten Erde herstellen; natürlich würde es eine Weile dauern, und viele Leute müssten mitarbeiten. Dann müsste man ein Positivmodell aus dem Abguss anfertigen. Aber wo würde man das ausstellen?“31 Auch sein wohl bekanntestes Projekt dieser Zeit, Neobični projekt – Rezanje Sljemena [Ungewöhnliches Projekt – Abschneiden des Sljeme, 1960, S. 76–78], für das der Gipfel des Zagreber Hausberges Sljeme gekappt werden sollte, von Kožarić in Skizzen und Skulpturen ausgearbeitet, ist kaum umsetzbar. Die den Projekten immanente Unrealisierbarkeit und das damit verbundene Primat der künstlerischen Idee rückt sie in die Nähe konzeptueller Praktiken. Und der Ort des Geschehens – die Natur beziehungsweise die Landschaft – macht sie, wie häufig betont wird, als frühe Manifestation der Land Art lesbar. Die Art des von Kožarić in Neobični projekt – Rezanje Sljemena vorgeschlagenen Eingriffs steht im Einklang mit Vito Acconcis Feststellung: „Der Blick auf die Landschaft kann ersetzt werden durch den Blick in bzw. durch die Landschaft. Die Landschaft wird, statt ein Objekt für die Augen zu sein, zu einem Objekt für den Körper; anstatt ein Objekt zum Anschauen zu sein, wird es ein Objekt zum Anfassen – ein Objekt für das Eingreifen des Körpers in die Landschaft.“32 Kožarić begreift die Welt also gleichzeitig als Readymade und als formbare Instanz. Diese doppelte Inanspruchnahme

wird auch an den ab den frühen 1960er Jahren entstandenen Oblici prostora [Raumformen] nachvollziehbar, in denen sein Interesse am urbanen Raum erstmals deutlich wird. Die Serie, die er im Jahr 1962 in Lindenholz beginnt (vgl. Oblik prostora [Raumform 1963, S. 172]) und später in Fiberglas fortsetzt,33 ist dem gedanklichen Ausgangspunkt nach zu verstehen als „Abformungen“ von innerstädtischen, privaten und öffentlichen Zwischen- und Hohlräumen. Er erläutert seinen Ansatz mit der Antwort auf die unter den Gorgona-Mitgliedern diskutierte Frage, ob es möglich sei, ein kollektives Kunstwerk zu schaffen. Kožarićs Statement hierzu, datiert auf den 26. Februar 1963, lau-

24 Claire Bishop, „Zones of In-

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28 Kolektivno djelo, 1963/2011 [Kollektives Werk] Antwort von Ivan Kožarić auf die Frage, ob Gorgona ein kollektives Kunstwerk schaffen solle.

distinguishability: The Collective Actions Group and Participatory Art“, in: Boris Groys (Hg.), Empty Zones. Andrei Monastyrski and Collective Actions, Ausst.-Kat. 54a Esposizione Internazionale d’Arte – la Biennale di Venezia, London 2011, S. 10. Vgl. Dunja Blažević, „Wer singt da drüben? Kunst in Jugoslawien und danach … 1949–1989 … “, in: Aspekte/ Positionen. 50 Jahre Kunst aus Mitteleuropa, Ausst.-Kat. Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 1999, S. 81–96, insb. S. 83. Ebd., S. 83f. Vgl. Igor Zabel, „Art and State: From Modernism to the Retroavantgarde“, in: Španjol 2012, S. 64. What, How and for Whom / WHW, „In Conjunction, Not at All Accidental“, in: Vojin Bakić, Ausst.-Kat. Grazer

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Kunstverein, Graz 2008, S. 24; vgl. auch Gal Kirn, „Antifascist Memorial Sites: Pure Art or the Mythologisation of Socialist Yugoslavia?“, in: What, How and for Whom / WHW (Hg.), Art Always Has Its Consequences, Zagreb 2010, S. 120–133. Ich danke Ana Dević und Sabina Sabolović für diese Texthinweise. Boris Groys, „Art Clearings“, in: ders. 2011, S. 6. Josip Vaništa, O Ništa [Über das Nichts], undatiertes Schriftstück aus der Sammlung Marinko Sudac Zagreb. Ivan Kožarić in seinen Notizen vom 25. März 1964, zitiert von Evelina Turković in: „My Studio Is a Laboratory for Vivification“, in: Antun Maračić und Evelina Turković, Atelijer Kožarić, Zagreb 2002, 2. Auflage, S. 106. Acconci, in: Matzner 2001, S. 41. Vgl. Turković, in: Maračić/ Turković 2002, S. 90.

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Oblik prostora (Frižider) 2, 1975 [Raumform (Kühlschrank) 2] Dokumentation der temporären Installation im öffentlichen Raum.

tet (vgl. S. 17): „Man sollte ausnahmslos kollektiv von allen Schädelinnenräumen der Gorgona-Mitglieder Gipsabgüsse herstellen. Ebenfalls – und zwar heimlich – von den Innenräumen einiger wichtiger Autos, von Einzimmerwohnungen, Bäumen, dem Inneren von Parks etc., kurzum: von allen wichtigen Hohlräumen in unserer Stadt.“34 So gibt es eine Oblik prostora, die das vergrößerte Innere eines Kühlschranks darstellt, Oblik prostora (Frižider) [Raumform (Kühlschrank), 1963, S. 82], und eine andere, die sich auf ein Badezimmer bezieht, beide mehrere Jahre vor Bruce Naumans A Cast of the Space under My Chair (1965– 1968) entstanden. Im Grunde sind die Oblici prostora jedoch allgemeiner gefasst als die skulpturale Umsetzung von Negativräumen in Positivformen, und in ihrer amorphen Gestalt lassen sich nicht alle konkreten Ausgangsformen zuordnen. Sie unterstreichen die „ontologische Leere des Raums, in dem wir uns bewegen“,35 und damit bietet der Künstler eine anschauliche Umsetzung dieses zentralen Themas der Gruppe Gorgona. Die Leere des öffentlichen Raums ist zudem die Voraussetzung für die Möglichkeit, ihn mit privaten oder institutionellen Anliegen zu besetzen,36 wie Kožarić sie in seinem Werk wenig später formuliert. So wird der Stadtraum in den 1970er Jahren auch zum Adressaten seiner Arbeit. Exemplarisch dafür sind die Fotografien der Oblik prostora (Frižider) aus dem Jahr 1975 (vgl. S. 19). Der Künstler stellt seinen Fiberglas-„Kühlschrank“ temporär vor dem

34 Ivan Kožarić, Kolektivno djelo

[Kollektives Werk, 1963/2011, S. 17]. 35 Boris Groys, „Art Clearings“, in: ders. 2011, S. 7. 36 Ebd. 37 Vgl. Davor Matičević, „Predgovor“ [Vorwort], in: Ivan Kožarić, Ausst.-Kat. Galerija

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suvremene umjetnosti [Galerie für zeitgenössische Kunst], Zagreb 1975, o. S. 38 Rosalind Krauss, „Sculpture in the Expanded Field“, in: October, Vol. 8, 1979, S. 30–44. 39 Hans Haacke, „OffenSichtlich“, in: Matzner 2001, S. 331.

Ethnografischen Museum in Zagreb auf und deklariert ihn zu einem Entwurf für eine öffentliche Skulptur – ein pointierter Kommentar auf die Institution als Konservator der Kultur und Zeuge der Menschheitsgeschichte. (Weitere Fotografien zeigen, dass er auch andere Standpunkte ausprobiert hat.)37 Auffällig ist die für Skulpturen im öffentlichen Raum verhältnismäßig bescheidene Größe – die Oblik prostora (Frižider) ist nur 146 Zentimeter hoch. Es geht also weniger um die überwältigende Konfrontation des Betrachters in monumentalem Maßstab als um eine direkte, unmittelbar physische Begegnung zwischen Betrachter und Gegenstand. URBANE INTERVENTIONEN In dieser Dekade sind die Landschaft und der öffentliche Raum international Ort künstlerischer Erkundungen, wie von Rosalind Krauss in ihrem Essay „Sculpture in the Expanded Field“ (1979)38 systematisiert. Die Vorstellung, mit Projekten im öffentlichen Raum ohne die vermittelnde Funktion einer Institution ein großes Publikum zu erreichen, prägt zahlreiche künstlerische Vorhaben,39 so auch in Zagreb. Kožarić tritt dabei vor allem im Umfeld einer jüngeren Künstlergeneration, unter anderem Sanja Iveković, Goran Trbuljak, Dalibor Martinis oder Braco Dimitrijević, in Erscheinung. Želimir Koščević schreibt, „daß sich einige Künstler der älteren Generation, an erster Stelle der Bildhauer Ivan Kožarić, dann Julije Knifer, Đuro Seder (1927), Dimitrije Bašičević (alles Mitglieder der Gruppe Gorgona!) sowie Tomislav Gotovac (1937) der jüngeren Generation anschlossen und in ihr nicht nur Verwandtschaft, sondern auch einen Impuls für einen neuen schöpferischen Anfang fanden. Die eigentliche Schlagkraft ging aber trotzdem von der Generation jener Künstler aus, die um 1950 geboren sind und sich alle mehr oder weniger im Rahmen der Konzeptkunst mit einer deutlichen Tendenz zur Sozialisation der Kunst be-

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wegten. Sie interessierten sich für Ambiente, Straßenaktionen, Installationen und die Anwendung prozessualer Techniken.“40 Kožarić entwickelt ab den frühen 1970er Jahren vermehrt Vorschläge für Interventionen im Stadtraum, meist in Reaktion auf konkrete Ausstellungsbeteiligungen oder Ausschreibungen, beispielsweise für den 6. und 7. Zagrebački salon [Zagreber Salon] im Jahr 1971 und 1972 oder für die Ausstellung trigon 71: intermedia urbana in Graz: „Die Auseinandersetzung mit der Qualität der städtischen Umgebung ist eines seiner Hauptinteressen und wird in Projekten von großer Tragweite umgesetzt, die er nur öffentlich zeigte, wenn sich eine gute Gelegenheit ergab [...].“41 Für die Zagreber Austellung (8. Mai–5. Juni 1971) schlug er drei Projekte vor: Raznobojne svijetle trake idu preko kuća [Helle bunte Bänder, die sich über Häuser erstrecken, S. 94–95], Zlatna fasada [Goldene Fassade, S. 95] und Prizemljeno sunce [Gelandete Sonne, S. 98–99], alle von 1971.42 Nur die Prizemljeno sunce wird – temporär – realisiert. Die goldfarbene Fiberglaskugel mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern wird auf dem Marschall-Tito-Platz vor dem Kroatischen Nationaltheater aufgestellt. Binnen kürzester Zeit wird sie zur Angriffsfläche für ikonoklastische43 Übergriffe, die in dem hier publizierten Interview zwischen Ivica Župan und Ivan Kožarić ausführlich beschrieben sind.44 Dabei handelt es sich durchaus um keinen Einzelfall, wie der Kunsthistoriker Walter Grasskamp schreibt: „Seit das moderne Monument den Platz solcher [traditioneller] Denkmäler eingenommen hat, ohne, wie diese, deutlich lesbar auf einen kollektiv gegenwärtigen Sinngehalt zu verweisen, wird es als Usurpator angefeindet und als Zumutung betrachtet.“45 Kožarić nimmt die verschiedenen „Interaktionen“ der Betrachter mit seiner „Sonne“ wohlwollend zur Kenntnis. Nicht so jedoch die städtischen Institutionen, die den Künstler auffordern, die Skulptur zu entfernen.46 Damit bestätigt sich, was die Kulturpolitik der Zeit verlangt: „harmlose“ Kunst, die nicht für Unruhe sorgt.

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Für die Ausstellung trigon 71: intermedia urbana (8.�� Oktober–19. November 1971) reicht Ivan Kožarić in Zusammenarbeit mit seinem Neffen Tomislav Kožarić drei Entwürfe für Projekte im Grazer Stadtraum ein. Unter dem Motto „Was ist eine Stadt? Wie könnte eine Stadt sein“47 präsentiert er anhand von Fotocollagen und übermalten Fotografien seine Ideen für Lokve vode [Wasserpfützen; Projektnummer 51192, S. 92], Duga [Regenbogen; Projektnummer 51193, S. 92] und Ritmički stup [Rhythmische Säule; Projektnummer 51194, S. 92].48 Da die Lokve vode im hier wieder abgedruckten Text von Antun Maračić besprochen sind,49 wird an dieser Stelle auf eine nähere Beschreibung verzichtet. Duga, ein Regenbogen, der die Stadt Graz überspannen sollte, erinnert in seiner grafischen Form und ambitionierten Größe an das frühere Neobični projekt – Rezanje Sljemena.50 Das dritte, in drei Skizzen ausgearbeitete Projekt Ritmički stup umfasst den Entwürfen zufolge zwei Teile: Zum einen handelt es sich um eine an die Zickzackform des Crveni znak [Rotes Zeichen, 1969, S. 93] erinnernde Säule, für die Kožarić verschiedene Aufstellungsorte vorschlägt – auf einer Trambahn, auf der Straße, auf dem Bürgersteig. Zum anderen sind es rote „Rohre“, die an der barocken Stuckfassade des Luegg-Hauses am Grazer Hauptplatz verlaufen und die einzelnen Wohnungen und Etagen verbinden. Diesen visuell prägnanten Entwurf kann man in Relation zu den Zagreber Raznobojne svijetle trake idu preko kuća setzen. Auch wenn die „Bänder“ Verbindungen zwischen verschiedenen Häusern markieren und in ihrer Form flexibler scheinen als die roten „Rohre“ für Graz, ist die Grundessenz dieselbe: Verbindungen und damit idealerweise Austausch schaffen. Während Vera Horvat-Pintarić in ihrem Katalogbeitrag zu trigon 71 betont, dass es bei Projekten im öffentlichen Raum „um den menschen im maßstab des kollektivs, um den benützer des öffentlichen, gemeinsamen, d.h. kollektiven raumes“51 gehe, steht bei Kožarićs Arbeiten gerade nicht der Gedanke des Kollektivs im Zentrum. Was mögli-

cherweise auch daran liegt, dass der öffentliche Raum im sozialistischen Jugoslawien nicht „öffentlich“ war: Jegliche Inanspruchnahme konnte nur nach vorheriger Genehmigung oder im Rahmen von institutionalisierten Freiräumen wie Kunstausstellungen erfolgen.52 Vielmehr ist er für ihn als Schnittstelle zwischen Privatem

40 Želimir Koščević, „Kroatische

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oben: Sjećanje na poplavu 1, 1972 [Erinnerung an die Flut 1] unten: Sjećanje na poplavu 2, 1972 [Erinnerung an die Flut 2] Entwürfe für den 7. Zagrebački salon [Zagreber Salon]

44

Kunst“, in: Christina Steinle, Peter Weibel (Hg.), Identität, Differenz. Tribüne Trigon 1940–1990. Eine Topographie der Moderne, Ausst.-Kat. Künstlerhaus, Neue Galerie und Stadtmuseum, Graz; Wien 1992, S. 383. Matičević, in: Ausst.-Kat. Zagreb 1975, o. S. Vgl. Turković, in: Maračić/ Turković 2002, S. 105. „Der unspezifische Charakter und die polemische Dimension des Begriffs haben mich bewogen, den des ‚Ikonoklasmus‘ vorzuziehen, der bisher vor allem historischen Phänomenen vorbehalten war, in denen die religiöse Dimension der angegriffenen Bilder im Vordergrund stand, der aber ebenfalls für Formen von sozial legitimer Aggression verwendet wird, so etwa bei den symbolischen Angriffen der Avantgarden gegen traditionelle Kunstformen.“ Dario Gamboni, „Kunst, öffentlicher Raum, Ikonoklasmus“, in: Walter Grasskamp (Hg.), Unerwünschte Monumente. Moderne Kunst im Stadtraum, München 1989, S. 15. Vgl. Ivica Župan, „Ein ,Marsmensch‘“, in vorliegender Publikation, S. 197–199.

45 Walter Grasskamp, „Invasi-

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on aus dem Atelier. Kunst als Störfall“, in: ders. 1989, S. 146. Vgl. Ivica Župan, „Ein ,Marsmensch‘“, in vorliegender Publikation, S. 199. Vgl. „Protokoll“, in: Wilfried Skreiner (Hg.), trigon 71: intermedia urbana, Ausst.-Kat. Künstlerhaus, Graz 1971, o. S. Die Titelgebung orientiert sich an der Auflistung der Interventionen im Stadtraum entsprechend dem Ausstellungskatalog Ivan Kožarić, Galerija suvremene umjetnosti [Galerie für zeitgenössische Kunst], Zagreb 1975, o. S. Vgl. Antun Maračić, „Ivan Kožarić verdient sein Glück“, in vorliegender Publikation, S. 211. Leider ließen sich zu den von Kožarić eingereichten Projekten weder über den Künstler selbst noch im Ausstellungskatalog oder in den Archiven des Steiermärkischen Landesarchivs nähere Details (z. B. Material, angedachte Dimensionen) eruieren. Vera Horvat-Pintarić, „Der Mensch und seine Umwelt“, in: Skreiner 1971, o. S. Branka Stipančić, im Gespräch mit der Autorin, Zagreb, 14. März 2013.

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und Öffentlichem, als Ort der Begegnung von Interesse. Dies unterstreicht Kožarić durch seine Aussage, dass die Vorschläge Intimität zwischen Personen oder zwischen einer Person und der Stadt ausdrücken sollten.53 Im Folgejahr konzipiert er für den 7. Zagrebački salon (8. Mai–8. Juni 1972) in der Sektion „Die Stadt als Raum plastischer Ereignisse“ zum einen Granica poplave [Grenze der Flut, 1972], die an das historische Hochwasser in Zagreb im Oktober 1964 erinnern soll. Auf den Entwürfen sind seine Oblici prostora (Sjećanje na poplavu)54 [Raumformen (Erinnerung an die Flut), 1964] in vergrößertem Maßstab als Skulpturen im öffentlichen Raum vorgesehen – aufzustellen im Park an der Savska-Chaussee (vgl. S. 21), bis wohin die Flut 1964 vorgedrungen war. Bei Maßen von rund 2 x 3 x 2 Metern erinnern sie auch in ihrer Größe an die einzigartigen Ausmaße dieser Überflutung. Zum anderen reicht er einen Entwurf für Nazovi je kako hoćeš [Nenn sie, wie du willst, 1971, S. 22]55 ein, eine abstrakte Skulptur, die, in Gummi gefertigt, eine ganze Straßenkreuzung überragen sollte. Wenngleich in ihrer Größe monumental, verweigert Kožarić durch die abstrakte Form und vor allem durch den Titel des Projekts jede konkrete Lesart und repräsentative Inanspruchnahme. Inhalt und Aussage der Arbeit zu definieren wird zur Aufgabe des Betrachters. Dieser subversive, jedoch nicht offen politische Umgang mit Monumentalität und Repräsentation setzt sich auch in anderen Entwürfen des Künstlers fort, die traditionelle Denkmäler karikieren. So beispielsweise Čekajući tramvaj ... [Auf die Bahn wartend ..., 1971], vier seiner Faličke figure [Phallische Figuren, 1971], die mit ihren übergroßen Penissen eine Tramhaltestelle von allen Seiten weithin sichtbar rahmen sollten (vgl. S. 104). Auch andere Vorschläge beziehen sich nicht auf konventionell verehrungswürdige Figuren, sondern sind einer Bardame gewidmet (Spomenik pipničarki [Denkmal für eine Barfrau], 1973, S. 102–103), die gallionsfigurengleich einen Platz vor einem mehrstöckigen Haus ein-

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nehmen sollte, oder einer Sirotica56 [Arme Frau, 1973]. Dass Letztere vor der Moderna galerija [Moderne Galerie] und damit gegenüber dem ehemaligen Gebäude des Amerikanischen Konsulats aufgestellt werden sollte, ist in ihrem politischen Gehalt zwar höchstwahrscheinlich unbeabsichtigt,57 gleichwohl unterstreicht diese Koinzidenz den provokanten Charakter des ebenfalls unrealisierten Entwurfs. Davor Matičević schreibt zu den Projekten für den öffentlichen Raum 1975: „Sein Beitrag ist die Gleichsetzung des Öffentlichen mit dem Privaten, des Intimen mit dem Repräsentativen, des Interpretativen mit dem Objektiven [...].“58 Kožarićs Vorschläge werden im Laufe dieser Jahre provokanter – was mit einer Bewegung von eher formalistischen Eingriffen hin zur Figuration einhergeht und auch insofern im Widerspruch zur seinerzeit präferierten, „reinen“ Kunst steht. Sie beanspruchen den öffentlichen Raum – in Zagreb – nicht nur als Ort der Kommunikation, sondern als Ort der Konfrontation. Dies geschieht in dem Wissen, dass die Entwürfe höchstwahrscheinlich nicht realisiert würden.59 Ob die Desillusionierung gegenüber der lokalen Kulturpolitik zu der zunehmend konzeptuellen Kritik Kožarićs an den Konventionen des Denkmals beitrug, bleibt offen. Angesichts seines gelassenen Umgangs mit den teilweise erbosten Reaktionen auf die Prizemljeno sunce kann man aber annehmen, dass der Künstler Diskussionen und Auseinandersetzungen als zentrale Elemente von Kunst begreift60 und später vielleicht sogar gezielt angestrebt hat. „FREIHEIT IST EIN SELTENER VOGEL“ 61

oben: Nazovi je kako hoćeš 1 [Nenn sie, wie du willst 1], 1971 unten: Nazovi je kako hoćeš 2 [Nenn sie, wie du willst 2], 1971 Entwürfe für den 7. Zagrebački salon [7. Zagreber Salon]

Die oben dargelegten Projekte beziehen sich auf einen ausgewählten Aspekt innerhalb von Kožarićs Werk: seine Beschäftigung mit dem öffentlichen, urbanen Raum als Ort der Begegnung und des Austauschs. Was sich in obiger Anordnung wie eine geschlossene Entwick-

lung liest, ist jedoch nur einer von mehreren parallel verlaufenden künstlerischen Strängen. Zeitgleich zu den Vorschlägen für urbane Interventionen vollzieht er eine komplette Revision seines bisherigen Tuns mit der „Vergoldung“ seines Ateliers im Jahr 197162 – vom Türrahmen bis hin zu bereits existierenden Skulpturen – sowie dem Verpacken anderer Gegenstände zu Pinkleci [Bündeln]. Auch die Spontane skulpture [Spontane Skulpturen], die ab Mitte der 1970er Jahre aus einfachen Materialien wie Holzlatten entstehen, sind gekennzeichnet von einem Interagieren mit Vorgefundenem, einschließlich eigenen früheren Arbeiten:63 In Reagiranja [Reaktionen, 1956–1978, S. 121] wird beispielsweise ein Bronzekopf von Kožarić aus dem Jahr 1956 wiederverwertet. Die konzeptuelle Rigorosität der Entwürfe für den Stadtraum wird also flankiert von

53 Ivan Kožarić, im Gespräch mit der

Autorin, Zagreb, 12. März 2013. 54 Das Hochwasser hatte große Teile der Stadt unter Wasser gesetzt; die erhabenen Formen der Oblici prostora (Sjećanje na poplavu) verbildlichen die über den Wasserpegel hinausragenden Gegenstände und Bauwerke. 55 Die Titelgebung orientiert sich an der Benennung von Kožarićs Vorschlägen im Ausstellungskatalog zum 7. Zagrebački salon, Umjetnički paviljon [Kunstpavillon], Zagreb 1972, S. 163. 56 Der Ausstellungskatalog Ivan Kožarić, Galerija suvremene umjetnosti [Galerie für zeitgenössische Kunst], Zagreb 1975, benennt dieses Projekt als Beskućnik [Obdachloser]; Ivan Kožarić selbst hat dafür auch den Titel Sirotica [Arme Frau]

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verwendet. Da die Aluminiumskulptur eine Frauenfigur mit Bündel unter dem Arm zeigt, wird hier der Titel Sirotica benutzt. Ivica Župan, E-Mail an die Autorin, 21. November 2012. Matičević, in: Ausst.-Kat. Zagreb 1975, o. S. Ivan Kožarić, im Gespräch mit der Autorin, Zagreb, 12. März 2013. Vgl. dazu die Thesen der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe zum „agonistischen“ öffentlichen Raum. Ivan Kožarić, in: Ana Marija Habjan (Regie), Gorgona, Fernsehdokumentation, 52 Min., HRT / Croatian Radio Television, 2012. Vgl. dazu Davor Matičević, in vorliegender Publikation, ab S. 182. Ebd., S. 184.

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Arbeiten, bei denen Spontaneität und Materialität im Zentrum der künstlerischen Erkundung stehen. „Es ist nicht nur schwierig, eine formale Verbindung zwischen einigen Skulpturzyklen zu erkennen, die über mehrere Jahre hinweg entstanden sind, sondern es treten auch widersprüchliche Handlungsstrukturen zutage: Das bereits Geschaffene wird auseinandergenommen, etwas Weggeworfenes wird wieder zusammengesetzt, ein Material wird entmaterialisiert und vice versa, oder es wird durchgestrichen und verändert.“64 Was hier für die 1970er Jahre angerissen ist, gilt für das Werk des Künstlers im Allgemeinen, das sich auszeichnet durch eine außergewöhnliche Heterogenität und Vielfalt. Die eingangs beschriebenen Pendelbewegungen gelten also nicht nur in Bezug auf den jeweiligen Gegenstand seines Interesses, sondern auch für den konstanten Wechsel zwischen verschiedenen künstlerischen Aus-

64 Želimir Koščević, „Ivan Koža-

rić“, in: ders., Ivan Kožarić, Zagreb 1996, S. 63. 65 Ivica Župan, „Ivan Kožarić“, in: Jovan Brajović (Hg.), Ivan Kožarić, Ausst.-Kat. Galerija Moira, Stari Grad 2003, o. S. 66 Kožarićs Beitrag für den Jugoslawischen Pavillon bestand aus einigen seiner wichtigsten Skulpturen (u. a. Crveni znak, 1969, einige Oblici prostora der frühen 1960er Jahre und Pozlaćena vrata, die vergoldete Tür seines Ateliers von 1971), die er für die Präsentation auf einem Haufen arrangierte (vgl. S. 185); daneben zeigte er auf einem Regal aus Alufolie gefertigte Privremene skulpture [Temporäre Skulpturen].

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67 Vladimir Kusik, „Brief Intro-

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duction to the Works of Ivan Kožarić“, in: Ausst.-Kat. Osijek 2003, o. S. Ivan Kožarić, Inschrift auf einem gezeichneten Selbstporträt [Autoportret (Tekst), 1987, S. 154]. Ivan Kožarić im Gespräch mit Vladimir Kusik, in: Ausst.-Kat. Osijek 2003, o. S. László Beke, „Conceptual Tendencies in Eastern European Art“, in: Ausst.-Kat. New York 1999, S. 42. Renato Barilli, „Opera o comportamento?“ [Werk oder Verhalten?], in: ders., Informale, oggetto, comportamento, Volume secondo, La ricerca artistica negli anni ’70, Mailand 1979, S. 96. Vgl. Igor Zabel (Anm. 6). Vgl. Igor Zabel (Anm. 9).

drucksformen. „Schon seit Beginn seiner Karriere kamen Ivan Kožarić alle künstlerischen Konventionen merkwürdig vor, denn er drückte sich immer schon auf verschiedene Arten aus – figürlich und abstrakt, geometrisch und organisch [...]; in seiner Morphologie gibt es keine ikonografischen Konstanten.“65 Mit dem simultanen Verfolgen unterschiedlicher Ansätze und der damit verbundenen Infragestellung häufig als ausschließend verstandener Kategorien wirft Kožarić vieles von dem, was wir kunsthistorisch als gegeben betrachten, über den Haufen – oder „auf den Haufen“, nimmt man seine Präsentation auf der Venedig Biennale von 1976 wörtlich.66 Unter diesen Gesichtspunkten wird nachvollziehbar, weshalb der Begriff „Freiheit“ in den Beschreibungen seines Werks immer wiederkehrt. Die Freiheit, die sich in den konzeptuellen Werken des Künstlers als hypothetische Ausarbeitung der unter den jeweiligen Bedingungen unrealisierbaren Arbeiten äußert, findet ihr materielles Pendant in den verschiedenen, von Kožarić gewählten künstlerischen Ausdrucksformen. Sie lässt sich fassen als Unvoreingenommenheit gegenüber der eigenen Arbeit, als Verzicht auf Selbstbeschränkungen und als konstante Infragestellung des Erreichten. Chronologie, Entwicklung, Einzigartigkeit spielen in seinem Werk eine untergeordnete Rolle. Sie verkörpern einen wenig erfolgreichen Versuch, zu definieren, was Kunst ausmacht und wie sich Kunst inhaltlich fassen lässt – eine Frage, die sich laut Kožarić nicht beantworten lässt: „Fragt man ihn, was Kunst sei, entgegnet er: ‚Sie ist eine Idee.‘ Er lässt die Definitionsfrage offen und macht sie irrelevant, denn ‚Kunst kann man nicht definieren.‘“67 „Kunst entgleitet immer!“,68 so Kožarić, und ist damit ein ebenso „seltener Vogel“ wie die von ihm angestrebte Freiheit. Er betont zwar immer wieder die Schlüsselstellung einer Idee für ein Kunstwerk: „Ich interessiere mich für Ideen, und ich versuche, jede Idee umzusetzen. [...]

Keine Form des künstlerischen Ausdrucks kann ohne Idee sein; ohne Idee ist eine Arbeit leer. [...] wenn eine Arbeit eine Idee enthält, hat sie alles, hat sie Leben.“69 Gleichzeitig versteht er eine Idee nicht ausschließlich als Konzept, auch eine Formvorstellung oder ein bestimmtes Verständnis von Skulptur beziehungsweise Kunst lassen sich unter diesem Begriff subsumieren. Dies verkompliziert die Bezüge zu konzeptuellen Ansätzen – auch wenn man von Folgendem ausgeht: „Im Vergleich zu dieser westlichen Vorstellung von Konzeptkunst war die osteuropäische Auffassung nie so rigoros. Sie war flexibel und elastisch, ironisch, humorvoll und mehrdeutig, nicht-professionell, mitteilbar und immer bereit, eine gesellschaftliche Aktivität einer Gruppe junger Leute oder sogar eine alternative Bewegung zu werden.“70 Anstatt Kožarićs Werk über die Zuordnung zu einer bestimmten künstlerischen Strömung definieren zu wollen, scheint es produktiver, seine künstlerische Haltung in den Vordergrund zu stellen. Dies lässt sich in Einklang bringen mit der von den italienischen Kunsthistorikern Francesco Arcangeli und Renato Barilli auf der Venedig Biennale 1972 aufgefächerten Dichotomie zwischen „Opera o comportamento?“ [Werk oder Verhalten?]. Barilli schreibt hierzu: „Es ist möglicherweise nicht übertrieben zu behaupten, dass es sich gar um die Gegenüberstellung zweier anthropologischer Daseins-Modi handelt, dessen einer, der des Werks, eine dem ‚westlichen‘ Menschen gut bekannte Entwicklungslinie repräsentiert, in der er einige seiner typischsten und gültigsten Ergebnisse erreicht hat. Der andere Daseins-Modus hingegen dürfte eine Art Zielpunkt für die zahlreichen Versuche darstellen, die seit mittlerweile einem Jahrhundert versuchen, den ‚westlichen‘ Menschen seiner gewohnten Umlaufbahn zu entziehen, um ihn dem ‚Anderen‘ gegenüber zu öffnen, also der Möglichkeit eines weiteren und intensiveren Lebens.“71

Die Bewegung von den Dingen hin zum Dasein ist eine, die Kožarićs Werk im Kern zu beschreiben scheint. In seinen Arbeiten artikuliert sich bei aller Unterschiedlichkeit eine Grundhaltung zur Welt und zum Leben, die geprägt ist von Instabilität und Unvorhersehbarkeit genauso wie von Neugierde und Offenheit für Begegnungen und Veränderung. Das Streben nach der Kunst und das Streben nach Freiheit fallen dabei in eins. Ivan Kožarić beansprucht, sich für immer neue Ausdrucks- und damit künstlerische Kommunikationsformen entscheiden zu können. Dies ist ein Vorgehen, das uns mit der künstlerischen Produktion der Postmoderne vertraut geworden ist – für Künstler aus Kožarićs Generation ist das in dieser Konsequenz jedoch außergewöhnlich. Vielleicht lässt sich die Ausgangsfrage, weshalb sein Werk bisher kaum rezipiert wurde, auch damit beantworten, dass diese Freiheit bedeutet, sein Werk nicht in eindeutigen Kategorien und Begriffen ausdrücken zu können. Damit verweigert es sich bereits in erster Instanz einer Vereinnahmung durch den westlich geprägten Kanon als „Anderes“.72 Sein Werk ist weder unter kunsthistorischen Gesichtspunkten einer Richtung zuzuordnen noch repräsentativ für einen speziellen gesellschaftlichen Zusammenhang. Es entzieht sich also im Sinne von Igor Zabel auf jeder Ebene dem „Spiel der Repräsentationen“.73 Vielleicht haben wir nun den Punkt erreicht, dem angemessen zu begegnen.

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Impressum

Fotonachweis

Der Katalog erscheint anlässlich

AUSSTELLUNG

FOTONACHWEIS

Die Ausstellung und die Publika-

der Ausstellung

Kuratorin: Patrizia Dander

siehe Seite 247

tion wären nicht möglich gewesen

IVAN KOŽARIĆ. FREIHEIT IST EIN

Mitarbeit: Jelena Lozo

SELTENER VOGEL KATALOG

ESSAYS (S. 10–47) S. 11, 28 (unten): Branko Balić, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 14, 32: Filip Zima, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 17, 21–22, 28 (oben): Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 19: Petar Dabac, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 27: Boris Cvjetanović, Courtesy Ivan Kožarić S. 29: Tomislav Šmider, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 30: Matija Pavlovec, Courtesy Moderna galerija, Ljubljana S. 33: Ivan Kožarić, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 34: Rudolf Bartolović, Courtesy Galerija likovnih umjetnosti, Osijek S. 36: Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 39: Antun Maračić S. 41: Boris Cvjetanović, Courtesy Antun Maračić S. 42 (oben), 43, 45: Antun Maračić, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 42 (unten): Radmila Iva Janković S. 44: Ljubo Gamulin, Courtesy Antun Maračić

WERKABBILDUNGEN (S. 48–160) S. 48–49, 50 (oben links, unten rechts), 51–52, 54–55, 57, 68, 70–71, 74, 79, 88–89, 103, 108– 110, 116–118, 122–128, 132–133, 135, 139, 146: Boris Cvjetanović, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 50 (rechts), 59, 62, 90, 150–151: Damir Žižić, Courtesy of Lauba S. 53, 76, 121: Goran Vranić, Courtesy Moderna galerija, Zagreb

S. 56, 65–66, 82–83 (unten), 93: Darko Bavoljak S. 58, 83 (oben): Ana Opalić, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 61, 64 (unten), 104, 120, 141: Lisa Rastl, Courtesy Sammlung Goran Prkačin, Wien/Zagreb S. 63, 67, 69, 80, 85, 91, 92 (unten links), 96 (unten links), 129 (alle außer oben links), 130 (alle außer oben links), 131, 134, 138, 142–143, 147, 149, 152–155: Filip Zima, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 64 (oben), 84, 96 (oben links, rechts), 100, 106–107, 119, 129 (oben links), 130 (oben links), 140, 144–145, 148: Tomislav Šmider, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 73: Branko Balić, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 75: Fedor Vučemilović, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 77, 98–99, 101: Courtesy Sammlung Ivica Župan, Zagreb S. 78, 94, 95, 102: Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 81: Tošo Dabac, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 86–87, 112–113: Courtesy Sammlung Marinko Sudac, Zagreb S. 92 (alle außer oben links): Marino Solokhov S. 97: Martina Vidas Butorac, Courtesy Muzeji Hrvatskog zagorja, Muzej seljačkih buna, Gornja Stubica S. 105: Petar Dabac, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 111: Aleksandar Saša Novković, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 114–115: Mio Vesović, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb

S. 137: Courtesy Museum of Contemporary Art (M HKA), Antwerpen S. 157–158: Lado Mlekuž, Matija Pavlovec, Courtesy Moderna galerija, Ljubljana S. 159: Dejan Habicht, Courtesy Moderna galerija, Ljubljana

Die Negative von Branko Balić sind Teil des Fotoarchivs Branko Balić am Institut für Kunstgeschichte, Zagreb.

WIEDERVERÖFFENTLICHTE TEXTE (S. 163–224) S. 163, 190 (oben): Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 164–165: Branko Balić, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 167, 213: Boris Cvjetanović, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 169: Boris Cvjetanović, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 170: Zlatko Movrin, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 172, 185, 193: Branko Balić, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 175: Fotoarchiv Branko Balić, Institut für Kunstgeschichte, Zagreb S. 176: Enes Midžić, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 179, 186, 196: Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 180: Courtesy Branko Silađin S. 183: Petar Dabac, Courtesy Muzej suvremene umjetnosti Zagreb S. 189, 190 (unten): Marija Braut, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 207: Antun Maračić S. 209: Ivan Kožarić, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 214: Antun Maračić, Courtesy Stadt Zagreb, Atelijer Kožarić S. 221, 223: Radmila Iva Janković

ohne die Unterstützung vieler Cover: Crvena petlja, 1969

Wegbegleiter und Freunde von

[Rote Schleife]

Ivan Kožarić.

21. Juni bis 22. September 2013

Herausgeberinnen: Patrizia Dander

im Haus der Kunst München

(für das Haus der Kunst München) und

Wir danken allen Inhabern von

Ausstellung: Božo Biškupić,

organisiert in Kooperation mit dem

Radmila Iva Janković (für das Muzej

Bildnutzungsrechten für die

Vladimir Macura, Dušan Mandič,

Muzej suvremene umjetnosti Zagreb

suvremene umjetnosti Zagreb)

freundliche Genehmigung der

Tomislav & Željka Pernar, Goran

[Museum für zeitgenössische Kunst

Mitarbeit: Jelena Lozo (Haus der Kunst

Veröffentlichung. Sollte trotz

Prkačin, Marinko Sudac, Vanja

Zagreb]

München) und Filip Turković-Krnjak

intensiver Recherche ein

Žanko (Lauba), Ivica Župan; der

(Muzej suvremene umjetnosti Zagreb)

Rechteinhaber nicht berücksichtigt

Gliptoteka Zagreb, Kontakt. Die

© 2013 Stiftung Haus der Kunst

Autoren: Bart De Baere (BB), Patrizia

worden sein, so werden berechtigte

Kunstsammlung der Erste Group

München, gemeinnützige

Dander (PD), Ješa Denegri (JD),

Ansprüche im Rahmen der üblichen

und ERSTE Stiftung Wien,

Betriebsgesellschaft mbH, der

Okwui Enwezor (OE), Radmila Iva

Vereinbarungen abgegolten.

M HKA Antwerpen, Moderna

Künstler, die Autoren, die Fotografen

Janković (RJ), Antun Maračic (AM),

und Verlag der Buchhandlung

Davor Matičević (DM), Snježana

Walther König, Köln

Pintarić (SP), Radoslav Putar (RP),

DISTRIBUTION

umjetnosti Zagreb, Muzeji

Zdenko Rus (ZR), Marco Scotini (MS),

Schweiz

Hrvatskog zagorja Gornja

Stiftung Haus der Kunst München,

Ivica Župan (IZ)

Buch 2000

Stubica, Zak Branicka Galerie

gemeinnützige Betriebsgesell-

Lektorat: Ursula Fethke

c/o AVA Verlagsauslieferungen AG

Berlin sowie den Leihgebern, die

schaft mbH

Übersetzer: Klaus Neundlinger (MS),

Centralweg 16,

anonym bleiben wollen.

Direktor und Geschäftsführer:

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Clasen, Arnulf von Dall’Armi, Patrizia

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Wir danken den Leihgebern der

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dem Städtischen Amt für UK & Irland

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Krempel, Teresa Lengl, Anne

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Dunja Blažević, Katrin Bucher

Karin Mahr, Marco Graf von

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Trantow, Vladimir Čajkovac, Anne

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Faucheret, Alexander Fritz, Ana

Rossiter, Andrea Saul, Anna Schüller,

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Marija Habjan & HRT / Croatian

Martina Schmid, Cassandre Schmid,

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Radio Television, Magdalena Außerhalb Europas/

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Outside Europe

Maračić & Evelina Turković, Irena

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Šimić, Saša Šimpraga, Vanja Šišek,

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Dejan Sretenović, Branka

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Dević & Sabina Sabolović von

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What, How and for Whom /

Wir danken unseren Gesellschaftern für die jährliche Unterstützung des Programms: Freistaat Bayern, Josef

WHW und Dr. Peter Wiesflecker. Gedruckt in Deutschland

Schörghuber Stiftung, Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst e. V.

Unser größter Dank gilt: Ivan Kožarić, Tomislav Kožarić (†) und

ISBN 978-3-86335-369-8

Filip Kožarić.

in Kooperation mit:

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