Haus der Kunst: Thomas Ruff, Works 1979-2011

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WORKS 1979–2011

WORKS 1979–2011

Texts by Okwui Enwezor, Thomas Weski and Valeria Liebermann 272 pages, 202 color plates, 8 illustrations ISBN 978-3-8296-0585-4

Mit Texten von Okwui Enwezor, Thomas Weski und Valeria Liebermann

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272 Seiten, 202 Farbtafeln, 8 Abbildungen ISBN 978-3-8296-0585-4 Thomas Ruff (geb. 1958), aus der Becher-Klasse hervorgegangener, international renommierter Fotokünstler, ist ein Meister der konzep-

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tuellen Fotografie. Sein Werk, das weder erzählerische noch anekdotische Momente enthält und sich gleichermaßen analoger wie digitaler Herstellungstechniken bedient, ist Ausdruck einer durch und durch wissenschaftlichen Arbeitsweise, die ihren Gegenstand seziert, neu zusammensetzt und dabei Analyse und originäre Bildfindung vereint. Bekannt wurde er in den 1980er Jahren mit übergroßen und hyperrealistischen, farbigen Porträts seiner Freunde und Mitstudenten an der Düsseldorfer Kunstakademie. Auf ihn geht die Entdeckung des Diasec-Verfahrens für die Fotografie zurück, einer der Werbung entlehnten Methode, fotografische Abzüge zu gerahmten Objekten zu versteifen und damit die Fotografie aus dem Ghetto druckgrafischer

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Thomas Ruff (born in 1958), from the Becher class of internationally renowned photo artists, is a master of conceptual photography. His work, which contains neither narrative nor anecdotal moments and makes equal use of analog and digital production techniques, is an expression of a thoroughly scientific working method, which dissects its object, reassembles it and in so doing combines analysis and original image creation. He became known in the 1980s with oversized and hyperrealist color portraits of his friends and fellow students at Kunstakademie Düsseldorf. It was he who discovered the Diasec process for photography, a method borrowed from advertising of framing photographic prints and thus liberating the photograph from the ghetto of print cabinets. Since then, large-format photographic works have been proudly displayed on museum and gallery walls worldwide. Thomas Ruff – Works 1979–2011 presents selected photographs from all of the artist’s series to date, starting with his small Interiors and large Portraits, to the starry skies and night shots, the nudes, recycled from pornographic material he found on the Internet, and abstract Substrates, to his stellar compositions based on astronomical photographs from ESO and NASA. The richly illustrated book, with essays by Okwui Enwezor, Director of Haus der Kunst in Munich, and Thomas Weski, Professor at Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, accompanies a major Thomas Ruff retrospective at Haus der Kunst.

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Kabinette zu befreien. Großformatige Bildobjekte erobern seitdem weltweit die Museums- und Galeriewände. Thomas Ruff – Works 1979–2011 versammelt ausgesuchte Beispiele aller bisher erstellten Werkgruppen des Künstlers, angefangen bei den kleinen Interieurs und den großen Portraits, den Sternenhimmeln und Nachtaufnahmen, den nudes, die er aus pornografischem Material aus dem Internet recycelt hat, und den abstrakten Substraten, bis zu seinen stellaren Kompositionen, die auf astronomischen Aufnahmen der ESO und der NASA basieren. Die reich bebilderte Publikation mit Essays von Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst, München, und Thomas Weski, Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, begleitet

Also from Schirmer/Mosel:

eine große Thomas Ruff-Retrospektive im Haus der Kunst. Stefan Gronert The Düsseldorf School of Photography 320 pages, 232 color and duotone plates

SCHIRMER/ MOSEL www.schirmer-mosel.com

Ebenfalls bei Schirmer/Mosel:

HAUS DER KUNST | SCHIRMER/ MOSEL

Die Düsseldorfer Schule Photographien aus der Sammlung Lothar Schirmer 72 pages, 117 color and duotone plates

Stefan Gronert Die Düsseldorfer Photoschule 320 Seiten, 232 teils farbige Tafeln Die Düsseldorfer Schule Photographien aus der Sammlung Lothar Schirmer 72 Seiten, 117 teils farbige Tafeln

SCHIRMER/MOSEL HAUS D ER KU NST SCHIRMER/ MOSEL www.schirmer-mosel.com


TH O M A S R U F F WORKS 1979–2011

Mit Texten von | Texts by Okwui Enwezor, Thomas Weski, Valeria Liebermann

SCHIRMER/ MOSEL

Porträt 1991


Okwui Enwezor 7

Vorwort | Foreword Okwui Enwezor

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Die Bedingungen der Spektralität und des Sehens in den Fotografien von Thomas Ruff | The Conditions of Spectrality and Spectatorship in Thomas Ruff’s Photographs Thomas Weski

Tafeln | Plates

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Der wissenschaftliche Künstler | The Scientific Artist

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Interieurs | Interiors Porträts | Portraits Häuser | Houses Sterne | Stars Zeitungsfotos | Newspaper photos Nächte | Nights andere Porträts | other Portraits Stereofotos | Stereo-photos Plakate | Posters nudes l.m.v.d.r. Substrate | Substrates Maschinen | Machines jpeg cassini zycles ma.r.s.

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Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung „Thomas Ruff“, die vom 17. Februar bis zum 20. Mai 2012 im Haus der Kunst stattfindet.

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© 2012 der Fotografien by Thomas Ruff / VG Bild-Kunst, Bonn © 2012 für die Serie Sterne Thomas Ruff / ESO © 2012 für die Serie ma.r.s. Thomas Ruff / NASA / JPL / University of Arizona © 2012 der Texte bei den Autoren © 2012 by Schirmer/Mosel München / Stiftung Haus der Kunst GmbH

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche Arten der Vervielfältigung oder der Wiedergabe dieses Werkes sind ohne vorherige Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt für alle Arten der Nutzung, insbesondere für den Nachdruck von Texten und Bildern, deren Vortrag, Aufführung und Vorführung, die Übersetzung, die Verfilmung, die Mikroverfilmung, die Sendung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Zuwiderhandlungen werden verfolgt. Übersetzungen aus dem Englischen: Matthias Wolf Übersetzungen ins Englische: Jeremy Gaines Design: Schirmer/Mosel Lithographie: Nova Concept, Berlin Druck und Bindung: Passavia, Passau ISBN 978-3-8296-0585-4 (Buchhandelsausgabe) Eine Schirmer/Mosel Produktion www.schirmer-mosel.com

174 184 196 210 Stiftung Haus der Kunst GmbH Direktor: Okwui Enwezor Team: Daniela Burkart, Sylvia Clasen, Arnulf von Dall’ Armi, Patrizia Dander, Elena Heitsch, Tina Köhler, Anton Köttl, Isabella Kredler, León Krempel, Anne Leopold, Julienne Lorz, Iris Ludwig, Karin Mahr, Marco Graf von Matuschka, Miro Palavra, Sophie-Marie Remig, Petra Ronzani, Glenn Rossiter, Andrea Saul, Anna Schüller, Cassandre Schmid, Martina Schmid, Ulrich Wilmes

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Biografie | Biography Ausstellungen | Exhibitions Bibliografie | Bibliography


Vorwort | Foreword Dieser Überblick über das unvergleichliche Werk Thomas Ruffs dokumentiert einmal mehr das anhaltende kuratorische und analy-

bietet eine gründliche Analyse der entscheidenden Bildexperimente, die Ruff zu einem der überzeugendsten Künstler seiner Generation

tische Interesse des Hauses der Kunst, einige der wichtigsten zeitgenössischen Fotokünstler in detaillierten und umfassenden Ausstellungen vorzustellen. Im Laufe der vergangenen Jahre hat das Museum immer wieder wichtige Werkschauen veranstaltet, in denen Fotografen wie Bernd und Hilla Becher, Andreas Gursky, Michael Schmidt, William Eggleston – um nur einige zu nennen – gewürdigt wurden. Sie boten die Gelegenheit, den entscheidenden Beitrag dieser Künstler zur Praxis und Geschichte der Fotografie zu erkunden. Der große Erfolg, den diese Ausstellungen bei Kritik und Publikum feiern konnten, verdankt sich nicht zuletzt dem exzellenten kuratorischen Sachverstand von Thomas Weski, der sich maßgeblich für das Werk dieser Künstler eingesetzt hat. Unter ihnen nimmt Thomas Ruff insofern eine Sonderrolle ein, als er die Möglichkeiten der Fotografie radikal erweitert und damit neue Einblicke in die materiellen, konzeptuellen, ästhetischen und historischen Prozesse des Mediums eröffnet hat. Auch diese faszinierende Ausstellung, eine der umfassendsten ihrer Art, wurde von Thomas Weski organisiert, und der dazugehörige Katalog, der weit mehr ist als nur eine ergänzende Publikation, erlaubt uns, Ruffs Werk in neuem Lichte zu sehen. In nahtlosem Übergang entfaltet die Werkschau die wichtigsten Etappen des seit über dreißig Jahren währenden künstlerischen Schaffens von Thomas Ruff: Sie zeigt die frühen Arbeiten aus seiner Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf,

gemacht haben, und versammelt außerdem Archivmaterial, das nicht nur seine Quellen offenbart, sondern auch andere Aspekte seines Denkens und seiner Produktion erhellt. Für das Haus der Kunst ist es eine Ehre, das Werk von Thomas Ruff präsentieren zu dürfen. Wir möchten dem Künstler dafür danken, dass er unserem Museum nicht nur eine so wichtige Ausstellung bereitwilligst anvertraut, sondern uns auch den größten Teil des benötigten Materials zur Verfügung gestellt hat. Unser Dank gilt gleichermaßen den Mitarbeitern in Ruffs Studio, seinen Galeristen, die uns in der Vorbereitungsphase der Ausstellung tatkräftig unterstützt haben, sowie Valeria Liebermann für ihre informativen Kurztexte im Katalog. Gedankt sei auch den Mitarbeitern der Planungs- und Produktionsabteilung unseres Hauses, die mit ihrer großen professionellen Sorgfalt dazu beigetragen haben, dass diese Ausstellung realisiert werden konnte. Und danken möchte ich schließlich Thomas Weski: Durch seinen kuratorischen Weitblick ist es dem Haus der Kunst einmal mehr möglich, den bedeutenden Rang, welcher der Fotografie in der Praxis der Gegenwartskunst zukommt, angemessen zu würdigen.

This exhibition of the incomparable work of Thomas Ruff represents one of the most important examples of Haus der Kunst’s ongoing curatorial and analytical interest in presenting detailed and comprehensive surveys of some of the most compelling contemporary artists in the field of photography. Over the years the museum has been the venue for important exhibitions by Bernd and Hilla Becher, Andreas Gursky, Michael Schmidt, William Eggleston, amongst others. These exhibitions have been occasions to explore the critical contributions of these artists. Thomas Weski has been a key champion of their artistic achievements, and Haus der Kunst is greatly indebted to his formidable curatorial insight and scholarship. Of all these artists, Thomas Ruff stands apart for his rigorous expansion of the possibilities of photography by lending insight into the medium’s material, conceptual, aesthetic, and historical processes. Weski has also organized the absorbing exhibition—for which this publication serves as more than a mere supplement—that enables us to see Ruff’s work in new light. This exhibition, one of the most comprehensive of its kind on Ruff’s work, brings together all the principal phases of his artistic production spanning more than thirty years in one seamless display. In addition to the early works of his student years at the Kunstakademie in Düsseldorf, the exhibition includes an in-depth analysis of the key

pictorial experiments that have made Ruff one of the most compelling artists of his generation, as well as archival materials that reveal his sources and elucidate other parts of his thinking and production. Haus der Kunst is honored to present Thomas Ruff’s work, and we wish to thank him for agreeing not only to entrust us with such an important exhibition in our museum, but also for generously lending most of the material that went into its planning. We are also deeply grateful to his studio staff and his gallerists who provided such valuable support during the preparation phase of the exhibition. Special thanks are due as well to Valeria Liebermann for her informative synopses in the catalog. I would also like to thank the exhibition planning and production staff at Haus der Kunst for their great professional care in making this exhibition possible. Finally, I wish to express my gratitude to Thomas Weski. It is thanks to his curatorial vision and insight that Haus der Kunst is once again able to pay due homage to the importance of photography in contemporary art.

Okwui Enwezor Direktor, Haus der Kunst

Okwui Enwezor Director, Haus der Kunst

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Interieurs | Interiors entstanden zwischen 1979 und 1983 chromogener Farbabzug Motivgröße: 27,5 x 20,5 cm (Hochformat) oder 20,5 x 27,5 cm (Querformat) mit Passepartout gerahmt

Taken between 1979 and 1983 Chromogenic color print Print size: 27.5 x 20.5 cm (portrait format) or 20.5 x 27.5 cm (landscape format) Mounted and framed

Fasziniert von Aufnahmen von Eugène Atget und Walker Evans, die Thomas Ruff durch Bernd Becher kennengelernt hatte, beschloss er das häusliche Umfeld, in dem seine Generation aufgewachsen war bzw. lebte, fotografisch zu bearbeiten. Neben Detailansichten seiner eigenen Wohnung in Düsseldorf fotografierte er während zahlreicher Aufenthalte bei seiner Familie im Schwarzwald verschiedene Innenräume, die er seit seiner Jugend kannte: Zimmer in seinem Elternhaus, in den Wohnungen seiner Verwandten und in den Elternhäusern seiner Schulfreunde. Später dehnte er seine Aufnahmeorte auf Innenräume aus, die denen des Schwarzwalds entsprachen und die er bei Besuchen von Freunden und Bekannten entdeckt hatte. Als Ziel setzte er sich, mit Hilfe der Aufnahmen das zu zeigen, was für diese Räume charakteristisch war. Jedes Foto sollte einerseits möglichst sachlich und distanziert die Raumdetails wiedergeben, andererseits durch die Wahl des Ausschnitts die Stimmung und den Charakter des Raumes zusammenfassen und wie dessen Essenz wirken. Aus diesem Grund fotografierte er die Ansichten so wie er sie vorfand: mit dem vorhandenen natürlichen Licht und ohne Veränderungen an der Einrichtung. Nachdem die meisten Wohnungen seiner Verwandten und Bekannten Anfang der 1980er Jahre renoviert und dem Zeitgeschmack angepasst worden waren, stellte er 1983 die Serie ein. Fascinated by photographs by Eugène Atget and Walker Evans, which Thomas Ruff got to know thanks to Bernd Becher, he resolved to photograph the domestic world in which his own generation had grown up and lived. Alongside detailed shots of his own apartment in Düsseldorf, during countless trips to see his family in the Black Forest he photographed various interiors that he had known since his youth: rooms in his parents’ house, in relatives’ apartments and in the homes of the parents of some of his friends from school. He later expanded the venues chosen to include interiors that related to the Black Forest and which he discovered visiting friends and acquaintances. He set himself the goal of creating images that would show what was characteristic about these rooms. Each photo was meant to be as factual as possible and to reproduce the details of the room in a distant manner; on the other hand, the choice of cropping was intended to summarize the room’s mood and character as its essence, as it were. For this reason, Ruff often photographed the views exactly as he found them – with the existing natural light and without changing the furnishings in any way. He discontinued the series in 1983 as most of the apartments belonging to his relatives and acquaintances were modernized in the early 1980s and brought into line with the style of the day. Interieur 1D 1982

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Porträts | Portraits 1986 bis 1991, seit 1998 chromogener Farbabzug Diasec Face, Holzrahmen Rahmengröße: 210 x 165 cm

1986 to 1991, since 1998 Chromogenic color print Diasec Face, wooden frame Frame size: 210 x 165 cm

Um 1980 begann Thomas Ruff sich erstmals mit dem Genre „Porträt“ auseinanderzusetzen, einem Bildtypus, der damals weitgehend aus der zeitgenössischen Kunst verschwunden war. Letzlich entschied er sich für ein neutrales Brustbild, welches das Gesicht des Porträtierten in den Vordergrund stellt und jegliche psychologisierende Interpretation vermeidet. Jede Person sollte wie eine Gipsbüste fotografiert werden, denn laut Ruff gibt eine Fotografie ohnehin nur die Oberfläche der Dinge wieder. Die Porträtierten wurden mit einem ernsten, ruhigen Gesichtsausdruck in ihrer Alltagskleidung fotografiert. Jede Form von emotionaler Beteiligung wie Lächeln, Grinsen oder Flirten mit der Kamera wurde untersagt. Als Modelle wählte er intuitiv Personen aus dem eigenen Umfeld: gleichaltrige Freunde und Bekannte, die er von der Akademie oder dem Düsseldorfer Nachtleben (der „Ratinger Straße“) her kannte. Ziel der Serie war, etwa 100 Porträts im Format 24 x 18 cm anzufertigen, die – einer Ahnengalerie vergleichbar – in einer Reihe gehängt werden sollten. Damit diese Reihe nicht zu eintönig würde, fotografierte er seine Modelle vor verschiedenfarbigem Fotokarton und aus unterschiedlichen Blickwinkeln (en face, Profil, Halbprofil). Ab 1986 stellte er die Porträts auch im großen Format (210 x 165 cm) her, verzichtete nun aber auf den farbigen Hintergrund, da dieser im großen Format zu dominant wurde. Durch die Vergrößerung wurden Blick und Ausdruck der Porträtierten intensiviert und gleichzeitig die visuelle Präsenz der Fotografie in den Vordergrund gerückt. Around 1980 Thomas Ruff for the first time started to concern himself with “portraits” as a genre; it was a type of image that had at the time as good as vanished from the art of the day. In the end, he chose a neutral image of the face and upper torso that emphasized the portrayed person’s face and avoided any psychologizing interpretation. The idea was to photograph each person as if s/he were a plaster bust, because according to Ruff, a photograph only reproduces the surface of things anyway. The persons portrayed were taken in their everyday clothes and wearing a calm and serious look on their faces. Any form of emotional involvement such as smiles, grins or flirting with the camera was eschewed. Ruff intuitively chose persons he actually knew as models for the portraits: friends and acquaintances of his own age whom he knew from the academy or in Düsseldorf’s night-life (the “Ratinger Strasse”). The objective of the series was to create about 100 portraits sized 24 x 18 cm that could be hung in a row like a gallery of ancestors. In order to ensure that the row did not become too monotonous, Ruff photographed them in front of different-colored photographic card and from different angles (en face, in profile, in semi-profile). From 1986 onwards, he produced the portraits in a large format, too (210 x 165 cm), but now abandoned the colored background, as it became too dominant on such a large scale. The person’s gaze and expression was intensified by the enlargement, and the image’s visual presence likewise foregrounded. Porträt 1988 (L. Coelevy)

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nudes seit 1999 chromogener Farbabzug Diasec Face, Holzrahmen Maßangaben beziehen sich auf die gerahmte Größe

from 1999 onwards Chromogenic color print Diasec Face, wooden frame Measurements refer to the framed size

Um 1998 begann Ruff, sich einerseits mit Aktfotografie zu beschäftigen und andererseits mit computergenerierten, abstrakten Pixelbildern zu experimentieren. Eine Internet-Recherche zum Genre der Aktfotografie lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Bereich der Pornografie, die er im Grunde ehrlicher fand als die gesamte künstlerische Aktdarstellung. Diese im World Wide Web gezeigten Bilder weisen aufgrund der schlechten Auflösung (72 dpi) eine Pixelstruktur auf, die der ähnelte, mit der er bereits experimentierte. Er beschloss, die Technik, die er bei den Pixelbildern erarbeitet hatte, auf die Internetbilder zu übertragen, und bearbeitete sie so, dass die Pixelstruktur gerade noch sichtbar blieb. Er setzte Bewegungsunschärfen und andere Weichzeichner ein, variierte teilweise die Farbigkeit, entfernte störende Details. Die Auswahl der Vorlagen wurde nach kompositorischen Gesichtspunkten wie Bildaufbau, Lichtführung, Farbigkeit oder Körperinszenierung getroffen. Mit den nudes wollte er ein möglichst breites Spektrum der heutigen sexuellen Phantasien und Praktiken abbilden, die im Internet von Profis und Amateuren unter Kategorien wie „Babes“, „Blond“, „Cheerleader“, „Gay“, „Group“, „Anal“, „Fetisch“, „Nylon“, „Bondage“ oder „Hardcore“ angeboten werden.

Around 1998 Ruff started concerning himself with nude photography, on the one hand, and started experimenting with computer-generated abstract pixelated images on the other. Internet research on the genre of nude photography directed his eye to the world of pornography, which he essentially found more honest than the entire representation of the nude in art. These images, as presented on the Net, stand out for their poor resolution (72 dpi) but thus had a pixel structure similar to that with which he had been toying. Ruff resolved to transpose the technique he had established for the pixelated images onto the Internet images and process them such that the pixel structure was only just still visible. He made use of blurred motion and other forms of soft focus, in part varied the color tones, and removed annoying details. He chose which images to take according to compositional criteria such as image structure, lighting, colors or how the particular body was staged. With nudes Ruff sought to cover as broad a spectrum as possible of sexual fantasies and practices today such as are offered on the Internet by pros and amateurs alike under headings such as “Babes”, “Blond”, “Cheerleader”, “Gay”, “Group”, “Anal”, “Fetish”, “Nylon”, “Bondage” or “Hardcore”.

nudes kü12 2001 130 x 100 cm

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l.m.v.d.r. seit 1999 chromogener Farbabzug Diasec Face, Holzrahmen Maßangaben beziehen sich auf die gerahmte Größe

from 1999 onwards Chromogenic color print Duasec Face, wooden frame Measurements refer to the framed size

1998 wurde Thomas Ruff von Julian Heynen, damals Kurator der Kunstmuseen Krefeld, gebeten, eine Ausstellung mit Architekturaufnahmen der zwischen 1927 und 1930 entstandenen Villen Ludwig Mies van der Rohes vorzubereiten. Mit der Ausstellung sollten die beiden inzwischen als Museen für zeitgenössische Kunst genutzten Häuser des Architekten, Haus Lange und Haus Esters, nach ihrer Renovierung wiedereröffnet werden. Ruff begann sich mit der Architektur und den zeitgenössischen Aufnahmen von Haus Tugendhat (Brünn), Haus Lange, Haus Esters und dem Barcelona Pavillon auseinanderzusetzen. Er versuchte eine eigene Sichtweise auf die verschiedenen Gebäude zu entwickeln und fotografierte – ähnlich der Serie Herzog & de Meuron – die Gebäude in allen von ihm bisher genutzten Techniken. Während der Ausstellung in Krefeld trat Terence Riley (Museum of Modern Art, New York), der eine Retrospektive der Architektur Mies van der Rohes bis 1938 vorbereitete, mit der Bitte an Ruff heran, für diese Ausstellung alle weiteren, noch existierenden Mies-Bauten aus diesem Zeitraum in Europa zu fotografieren. Da einige der Gebäude nicht fotografiert werden konnten, benutzte Ruff auch fremdes Bildmaterial, das er digital überarbeitete.

In 1998 Julian Heynen, at the time curator of the Kunstmuseen Krefeld, asked Thomas Ruff to prepare an exhibition with architectural photos of the villas Ludwig Mies van der Rohe had designed between 1927 and 1930. The exhibition was meant to mark the reopening after modernization of the two buildings designed by the architect and, meanwhile, used as museums of contemporary art, his Haus Lange and Haus Esters. Ruff started concerning himself with the architecture and contemporary shots of Villa Tugendhat (Brünn), Haus Lange, Haus Esters and the Barcelona Pavilion. He tried to find his own way of seeing and photographing the different buildings relying on all the techniques he had used hitherto. During the show in Krefeld, Terence Riley (Museum of Modern Art, New York), who was preparing a retrospective on Mies van der Rohe’s architecture through 1938, approached Ruff and asked him to photograph all the other Mies buildings in Europe from the period for the exhibition. Since some of the buildings could not be photographed, Ruff also made use of other people’s images, which he processed digitally.

d.p.b.01 1999/2000 185 x 235 cm | 130 x 165 cm

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jpeg seit 2004 chromogener Farbabzug Diasec Face, Holzrahmen Maßangaben beziehen sich auf die gerahmte Größe

from 2004 onwards Chromogenic color print Diasec Face, wooden frame Measurements refer to the framed size

Bilder, die durch das Internet weltweit kommuniziert werden, aber auch Landschafts- und Architekturaufnahmen, die Ruff mit einer digitalen Kamera selbst hergestellt hat, sowie gescannte Postkarten oder Abbildungen aus Fotobänden bilden den visuellen Ausgangspunkt der jpegs. Die den Bildern gemeinsame digitale, geometrische Bildstruktur – die dem JPEG-Format, der Standardkomprimierung digitaler Bilder im Internet oder im privaten Gebrauch zugrunde liegt – interessierte ihn. Er vergröberte die Pixelstruktur der einzelnen Aufnahmen, indem er die Komprimierungsrate erhöhte und die Anzahl der Pixel pro cm verringerte. Durch diese Intensivierung der Pixelstruktur und die gleichzeitige Vergrößerung des Gesamtbildes entsteht ein neues Bild, das aus der Nähe betrachtet einem geometrischen Farbmuster gleicht. Mit entsprechendem Abstand jedoch fügt sich das Muster zu einem realen, fotografischen Bild zusammen. Ruff greift hier Bildgestaltungsmethoden der Impressionisten und Pointillisten des 19. Jahrhunderts auf. Als mögliches Motiv für die jpgs diente die gesamte Bandbreite der in den letzten Jahrzehnten global publizierten und diskutierten Bilder. Die Serie erscheint fast wie ein Lexikon der medialen Bildwelt, die von A wie Architektur über E wie Eisberg bis Z wie Zerstörung reicht.

The visual basis of the jpegs are images that are communicated worldwide through the Internet, as well as landscape and architecture photos that Ruff himself took with a digital camera, not to mention scans of postcards and illustrations from photobooks. He was interested in the digital geometrical structure of all the images that underlies the JPEG format, the standard compression format used for digital images on the Internet or for private use. He gave some of them a coarser, pixelated structure by increasing the compression and lowering the number of pixels per square centimeter. By intensifying the pixel structure in this way and simultaneously enlarging the overall picture, Ruff creates new images that, seen up close, resemble a geometric color pattern. Seen from a greater distance, the pattern then jells to become a real, photographic image. Here Ruff uses the creative methods of the 19th century Impressionists and Pointillists. The entire range of images published and discussed globally in recent decades served as potential material for the jpegs. The series reads almost like an encyclopedia of the world of media images, from A as in Architecture via I as in Iceberg to Z as in Zero.

jpeg td02 2006 261 x 188 cm

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ma.r.s. seit 2010 chromogener Farbabzug Diasec Face, Holzrahmen Maßangaben beziehen sich auf die gerahmte Größe

from 2010 onwards Chromogenic color print Diasec Face, wooden frame Measurements refer to the framed size

Während seiner regelmäßigen Recherchen zu Aufnahmen aus dem All stieß Thomas Ruff auf Fotografien vom Mars, die seit 2006 von einer HiRISE- (High Resolution Imaging Science Experience) Kamera aufgenommen wurden. Diese Kamera befindet sich in einer im August 2005 von der NASA ins All geschickten multifunktionalen Raumsonde (Mars Reconnaissance Orbiter), die im März 2006 ihr Ziel erreichte, und sendet detaillierte Bilder der Oberfläche des Planeten Mars per Satellit zur Erde. Die Bilder sollen Wissenschaftlern genauere Kenntnisse über die Oberfläche, die Atmosphäre und die Wasserverteilung des Mars vermitteln. Ziel der Untersuchungen ist es – unter anderem –, mögliche Landeplätze für zukünftige Flüge zu finden. Um die Bilder möglichst vielen Forschern zugänglich zu machen, stellte die NASA sie frei ins Internet. Ruff bearbeitete diese sehr naturalistischen und doch befremdlichen Bilder in mehreren Schritten mit Hilfe digitaler Techniken. Unter anderem transformierte er die senkrecht nach unten fotografierten, schwarzweiß übermittelten Aufnahmen in eine Schrägansicht und kolorierte sie anschließend, so dass die Oberfläche des fernen Planeten als unmittelbar erreichbar und fast vertraut erscheint.

While conducting regular research on images of outer space, Thomas Ruff came across photos of Mars taken from 2006 onwards using a HiRISE (High Resolution Imaging Science Experience) camera. The camera is onboard a multifunctional space probe launched in August 2005 by NASA (the Mars Reconnaissance Orbiter), which reached its goal in March 2006 and has since then transmitted detailed images of the surface of the planet Mars by satellite to Earth. The images are intended to give scientists a more exact knowledge of the surface, atmosphere and distribution of water on Mars. The objective behind the studies is, among other things, to identify possible landing areas for future flights. In order to make the images accessible to as many researchers as possible, NASA has placed them on the Internet as free-of-charge downloads. Ruff digitally processed these very naturalist and yet strange images in several stages. Among other things, he transformed the shots, which were photographed in black and white vertically downwards into views from an angle, and then added color such that the surface of the distant planet seems instantaneously accessible and almost familiar.

ma.r.s.03 III 2011 255 x 185 cm

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