Asyllexikon
Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt
Vorwort
Liebe Leser:innen «Dublin-Verfahren», «NEE», «Härtefallgesuch», «Schutzstatus S» –immer wieder tauchen im Alltag oder in den Medien Begriffe auf, die wir vielleicht schon oft gehört haben, von denen wir aber nicht ganz genau wissen, was sie bedeuten. Meistens fehlt die Zeit, eine Erklärung zu suchen. Wer könnte schon auf Anhieb wissen, was der Unterschied zwischen einem B- und einem C-Ausweis ist? Wann wird ein Schutzstatus S erteilt und welche Rechte sind damit verbunden? Bedeutet ein N-Ausweis, dass Geflüchtete Nothilfe empfangen? Juristendeutsch muss keine Geheimsprache sein.
Der Asylbereich ist sehr schnelllebig. Nicht nur verändern sich welt weit Krisenherde, Fluchthintergründe und Migrationswege. Auch die rechtliche und die politische Situation in der Schweiz ist ständig im Wandel. Seit 2019 gilt in der Schweiz ein revidiertes Asylgesetz. Durch dieses wurde der gesamte Asylbereich neu strukturiert. Das Ihnen vorliegende Asyllexikon informiert über dieses geltende Recht und zeigt auf, wie ein Asylverfahren heute abläuft. Ebenso wird alles Wissenswerte zum Schutzstatus S erläutert, der 2022 aufgrund des Krieges in der Ukraine erstmals aktiviert wurde.
Ganz herzlichen Dank gebührt den Jurist:innen der HEKS Rechts beratungsstelle für Asylrecht Ostschweiz unter der Leitung von Stefan Hery. Sie haben dieses Ihnen vorliegende Nachschlagewerk überarbeitet und stellen so ihr Wissen zur Verfügung.
Wir hoffen, dass Ihnen das vorliegende Exemplar einen kompakten und verständlichen Überblick über die wichtigsten Begriffe des heutigen Asylwesens vermittelt – zum Nachschlagen, Verstehen und Mitreden.
Gabriela Alfanz HEKS Geschäftsstelle OstschweizAnhörung
Die Anhörung zu den Asylgründen – auch Bundesanhörung genannt – stellt das zentrale Element im Asylverfahren dar und bildet die Grundlage für den Asylentscheid. Sie dient der Feststellung des asylrelevanten Sachverhalts und der Prüfung der Glaubhaftigkeit. Asylsuchende haben die Möglichkeit, ihre Asylgründe sowie Weg weisungsvollzugshindernisse in ihrer Muttersprache ausführlich zu schildern. Die Anhörung wird durch eine Fachperson des Staats sekretariats für Migration (SEM) geleitet. Seit März 2019 werden Asylsuchende durch ihre zugewiesene Rechtsvertretung begleitet. Alle Aussagen werden durch Dolmetscher:innen übersetzt und es wird ein Protokoll erstellt. Die Anhörung zu den Asylgründen findet in den Bundesasylzentren mit Verfahrensfunktion der jeweiligen Asylregion statt. Erweist sich der Sachverhalt nach der Anhörung als unvollständig, kann das SEM im Rahmen des erweiterten Verfahrens eine ergänzende Anhörung durchführen.
Asyl
Das Wort Asyl stammt aus dem Griechischen und bezeichnet einen sicheren Zufluchtsort, ein Obdach, welches Schutz vor Gefahr und Verfolgung bietet. Eine asylsuchende Person erhält in der Schweiz Asyl, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Das heisst, wenn sie im Asylverfahren glaubhaft darlegt, dass sie in ihrem Heimatoder Herkunftsstaat existenziell bedroht ist und keinen ausreichen den Schutz von ihrem eigenen Staat erwarten kann. In diesem Fall wird die asylsuchende Person als Flüchtling anerkannt und erhält eine B-Bewilligung. 2021 wurden 37% der Asylsuchenden in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt und erhielten Asyl. Zusammen mit den Personen, welche eine vorläufige Aufnahme erhielten, ergibt sich eine Schutzqoute von rund 60% (Zahlen).
Asylausschlussgründe
Wenn ein Asylausschlussgrund vorliegt, wird einem Flüchtling das Asyl verweigert, obwohl eine drohende Gefährdung im Heimatoder Herkunftsstaat festgestellt wurde. Kein Asyl erhält, wer wegen verwerflicher Handlungen (wie z.B. Kriegsverbrechen oder andere schwere Verbrechen) asylunwürdig ist oder wer die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet oder verletzt hat. Eben falls kein Asyl erhält eine Person, welche erst durch ihre Ausreise oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise bewirkt hat, dass sie in ihrer Heimat ernsthafte Nachteile zu befürchten hat (subjek tive Nachfluchtgründe). Aufgrund des völkerrechtlich verankerten Rückschiebungsverbots bei konkreter Gefährdung im Heimatland erhalten betroffene Personen in der Regel jedoch eine vorläufige Aufnahme als Flüchtling.
Asylentscheid
Ein Asylgesuch in der Schweiz kann unterschiedlich entschieden werden: Bei einem positiven Entscheid wird die Person als Flüchtling anerkannt, darf in der Schweiz bleiben und erhält eine B-Bewilligung. Ist der Entscheid negativ, muss die Person die Schweiz verlassen, sofern keine Wegweisungsvollzugshinder nisse vorliegen. Liegen solche Hindernisse vor, erhält die Person eine vorläufige Aufnahme als Ausländer:in oder Flüchtling und darf in der Schweiz bleiben. Wurde das Asylgesuch aus wirtschaft lichen oder medizinischen Gründen gestellt oder ist ein anderer Staat für das Asylverfahren der Person zuständig, erlässt das Staatssekretariat für Migration (SEM) einen Nichteintretens entscheid und ordnet die Wegweisung sowie deren Vollzug aus der Schweiz an. Negative Asylentscheide sowie Nichteintretens entscheide können mit Beschwerde ans Bundesverwaltungs gericht angefochten werden.
Asylgesetz (AsylG)
Das Asylgesetz ist ein Bundesgesetz, welches die in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 enthaltenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz auf nationaler Ebene konkretisiert. Das Asylgesetz regelt, wem in der Schweiz unter welchen Umständen Schutz gewährt wird. Zudem enthält es zahlreiche Vorschriften zum Asylverfahren, dem Rechtsschutz sowie zum Beschwerde verfahren. Ausserdem finden sich auch Grundsätze zum Schutz status S in diesem Gesetz. Soweit das Asylgesetz keine besondere Regelung enthält, gilt auch für Asylsuchende das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG). Seit die Schweiz im Jahr 2008 dem euro päischen Dublin-System beigetreten ist, haben mit der DublinVerordnung sowie den damit zusammenhängenden Rechtsakten vermehrt auch gesetzliche Regelungen der Europäischen Union Einfluss auf die Schweizer Asylrechtspraxis. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat bei Fragen des Weg weisungsvollzugs grosse praktische Bedeutung. Den aktuellen Gesetzestext des Asylgesetzes findet man in der systematischen Sammlung des Bundesrechts unter www.admin.ch.
Asylgesetzrevision
Das erste Asylgesetz trat 1981 in Kraft. Seither unterstand es zahlreichen Revisionen. Das aktuell geltende Asylgesetz trat per 1. März 2019 in Kraft. Ziel der letzten grossen Revision war eine Beschleunigung der Asylverfahren. Um trotzdem rechtsstaatlich korrekte Verfahren zu gewährleisten, erhalten Asylsuchende seither bereits zu Beginn des Verfahrens unentgeltliche rechtliche Beratung und haben Anspruch auf eine:n Rechtsvertreter:in, welche:r sie bei wichtigen Verfahrensschritten begleitet und bei Verfahrensfehlern oder Rechtsverletzungen intervenieren kann.
Asylgesuch
Als Asylgesuch gilt jede Äusserung, mit der eine Person zu erkennen gibt, dass sie in ihrem Heimat- oder Herkunftsland Verfolgung oder ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist und in der Schweiz um Schutz bittet. Ein Asylgesuch ist an keine Formvorschriften gebunden. Es kann mündlich oder schriftlich an einem Grenzübergang oder bei der Grenzkontrolle eines Schweizer Flughafens gestellt werden, von wo aus das Gesuch dann zur Behandlung ans Staatssekretariat für Migration (SEM) weitergeleitet wird. Die Möglichkeit, ein Asyl gesuch bei einer Schweizer Botschaft im Ausland einzureichen, wurde 2012 abgeschafft. Schutzsuchenden Personen im Ausland bleibt seither nur noch die Möglichkeit, ein an deutlich restriktivere Bedingungen geknüpftes humanitäres Visum auf einer Schweizer Botschaft zu beantragen.
aAsylverfahren
Zu Beginn des Asylverfahrens werden die Asylsuchenden vom Staatssekretariat für Migration (SEM) einem Bundesasylzentrum zugewiesen. In einer Vorbereitungsphase werden Vorabklärungen getätigt, welche zur Durchführung des eigentlichen Asylverfahrens notwendig sind. In dieser wird entschieden, ob ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird und eine Person direkt ab dem Bundesasylzentrum in einen Drittstaat zurückgewiesen wird. Andernfalls wird das beschleunigte Verfahren eingeleitet, welches u.a. die Anhörung zu den Asylgründen umfasst. Ist die Faktenlage klar, kann direkt im Bundesasylzentrum ein Asylentscheid gefällt werden. Sind weitere Abklärungen notwendig, findet ein Wechsel ins erweiterte Ver fahren statt und die Person wird einem Kanton zugewiesen. Ziel ist es, dass im erweiterten Verfahren bereits zwei Monate nach Kantonszuweisung ein Entscheid gefällt werden kann. Dieses Ziel wird in der Praxis jedoch oft verfehlt und die Verfahren dauern regel mässig deutlich länger. Personen, die sich für den Schutzstatus S registrieren, durchlaufen kein ordentliches Asylverfahren.
Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG)
Das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) gilt für alle Auslän der:innen in der Schweiz, soweit keine anderen Bestimmungen des Bundes- oder des Völkerrechts bestehen. Es findet auf Asyl suchende immer dann Anwendung, wenn das Asylgesetz keine spezialgesetzliche Regelung enthält. Vor allem die Bestimmungen zum Familiennachzug, zur vorläufigen Aufnahme oder zu den Voraussetzungen des Erhalts einer B- oder C-Bewilligung sind in der Praxis relevant. Zudem regelt es die Voraussetzungen von Härtefallbewilligungen sowie die Anwendung von Zwangsmass nahmen. Seit dem 1. Januar 2019 regelt das Ausländer- und Inte grationsgesetz auch die Förderung der Integration.
Ausschaffung
Zwangsausschaffung
Ausserordentliche Rechtsmittel
Die beiden ausserordentlichen Rechtsmittel, das Wiedererwägungs gesuch und die Revision, ermöglichen es, einen bereits rechtskräf tigen Asylentscheid von den Behörden erneut überprüfen zu lassen. Ein Wiedererwägungsgesuch richtet sich an das Staatssekretariat für Migration (SEM). Es können darin entweder eine neue, veränder te Sachlage geltend gemacht oder neue Beweismittel eingereicht werden, die eine Neubeurteilung des Asylgesuchs begründen. Ein Revisionsgesuch richtet sich an das Bundesverwaltungsgericht. Es kann nur gestellt werden, wenn im früheren Beschwerdeverfahren gravierende Verfahrensmängel bestanden oder wenn die Gesuch steller:innen nachträglich neue Tatsachen und Beweise entdecken, die ihnen während des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, welche aber bereits vor dem Urteilszeitpunkt bestanden. Bei neu entstandenen Beweismitteln muss ein neues Asylgesuch oder ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht werden. Die inhaltlichen Anforderungen an ausserordentliche Rechtsmittel sind sehr hoch. Auch die Einforderung von Kostenvorschüssen soll aussichts lose Verfahren vermeiden. Bereits abgewiesene Asylsuchende, die nur noch Nothilfe erhalten, haben mit einem ausserordentlichen Rechtsmittelverfahren keinen erneuten Anspruch auf Sozialhilfe und dürfen in der Regel auch nicht arbeiten (Erwerbstätigkeit).
B-Bewilligung
Die B-Bewilligung ist die gängigste Aufenthaltsbewilligung mit Arbeitserlaubnis, die sowohl Ausländer:innen aus EU-/EFTA-Staaten als auch Drittstaatsangehörige erhalten können. Im Asylbereich er halten anerkannte Flüchtlinge mit Asyl eine B-Bewilligung, welche nur bei Widerruf des Asyls entzogen werden kann. Eine allfällige Sozialhilfeabhängigkeit hat keinen Einfluss auf die asylrechtliche B-Bewilligung. Auch Personen, deren Härtefallgesuch gutgeheis sen wird, erhalten eine B-Bewilligung. Dazu wird insbesondere eine Sozialhilfeunabhängigkeit sowie eine erfolgreiche Integration verlangt. B-Bewilligungen werden von den kantonalen Migrations behörden zumeist auf ein Jahr befristet ausgestellt und können anschliessend verlängert werden. Bei EU-/EFTA-Bürger:innen haben B-Bewilligungen fünf Jahre Gültigkeit.
Beschleunigtes Verfahren
Nach Abschluss der Vorbereitungsphase folgt das beschleu nigte Verfahren. Dieses dauert maximal 100 Arbeitstage, inklusive allfälligem Beschwerdeverfahren und Vollzug der Wegweisung bei negativem Asylentscheid oder im Falle eines Nichteintretens entscheides. Während dieser Zeit berät die Rechtsvertretung die Asylsuchenden, begleitet sie zu Befragungen und stellt sicher, dass alle rechtsstaatlichen Vorgaben eingehalten werden. Zentrale Bestandteile des beschleunigten Verfahrens sind die Anhörung zu den Asylgründen, die Gewährung des rechtlichen Gehörs bei Nichteintretensentscheiden sowie bei klarer Faktenlage der Erlass eines Asylentscheides. Erhält eine Person Asyl oder eine vorläufige Aufnahme, wird sie direkt einem Kanton zugewiesen. Bei einem negativen Asylentscheid prüft die Rechtsvertretung dessen Rechtsmässigkeit und kann bei Rechtsverletzungen ein Beschwerdeverfahren einleiten. Wird der negative Asylentscheid mit Wegweisungsvollzug rechtskräftig (Rechtskraft), erfolgt der Wegweisungsvollzug direkt ab Bundesasylzentrum. Sollten nach der Anhörung zu den Asylgründen weitere Abklärungen notwendig sein, wird ein erweitertes Asylverfahren durchgeführt und die asyl suchende Person einem Kanton zugewiesen. Kann das Verfahren nicht innert der maximalen Aufenthaltsdauer im Bundesasylzen trum von 140 Tagen abgeschlossen werden, muss ebenfalls eine Zuweisung ins erweiterte Verfahren erfolgen. Ziel ist, dass rund 60 Prozent aller Asylgesuche noch im Bundesasylzentrum entschieden werden.
Beschwerde
Gegen negative Asylentscheide, Nichteintretensentscheide sowie gegen weitere Verfügungen des Staatssekretariats für Migration (SEM) kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einge reicht werden. Diese muss in einer der drei Amtssprachen verfasst sein und eine Begründung enthalten, weshalb der angefochtene Entscheid rechtswidrig ist. Im Asylrecht kann jede natürliche Person eine Beschwerde einreichen, das Anwaltspatent ist hierzu vom Gesetz nicht vorgeschrieben. Jedoch kann das Bundesverwaltungs gericht auf Antrag der asylsuchenden Person einen amtlichen Rechtsbeistand bestellen, sofern es die Beschwerde nicht als von vornherein aussichtslos erachtet. Bei aussichtslosen Beschwerden verlangt es meist einen Kostenvorschuss von 750 Franken. Wird dieser nicht bezahlt, so tritt das Gericht nicht auf die Beschwerde ein. Wird die Beschwerde gutgeheissen, kann das Gericht den Fall entweder selbst entscheiden oder ihn zur Neubeurteilung an das SEM zurückweisen. Besondere Aufmerksamkeit muss auf die Einhaltung der gesetzlichen Beschwerdefristen gelegt werden. Diese sind nicht verlängerbar und beginnen mit der Zustellung des Entscheids. Auf eine verspätet eingereichte Beschwerde tritt das Ge richt nicht ein. Im Asylrecht existieren unterschiedliche Beschwerde fristen zwischen 5 und 30 Tagen. Die jeweils geltende Frist steht in der Rechtsmittelbelehrung ganz am Schluss der Verfügung.