Leseprobe HEKS-Asyllexikon

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ASYLLEXIKON Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt

4., aktualisierte Auflage, 2019



Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser «BAZ», «NEE», «Familienasyl» – immer wieder tauchen im Alltag oder in den Medien Begriffe auf, die man vielleicht schon oft gehört hat, von denen man aber nicht so ganz genau weiss, was sie bedeuten. Meistens fehlt die Zeit, eine Erklärung zu suchen. Wer könnte schon auf Anhieb sagen, was der Unterschied zwischen einem B- und einem C-Ausweis ist? Bedeutet ein N-Ausweis, dass man Nothilfe empfängt? Und was bedeutet das genau für die Betroffenen und für das Umfeld, in dem sie leben? Juristendeutsch muss keine Geheimsprache sein. Gerade im Asylbereich sollte die Sprache so gewählt sein, dass sie sowohl für Laien als auch für Asylsuchende leicht zu verstehen ist. Der Asylbereich ist zudem sehr schnelllebig. Nicht nur verändern sich weltweit Krisenherde, Fluchtgründe und Migrationswege. Auch die rechtliche und die politische Situation hier bei uns ist ständig im Wandel. Am 5. Juni 2016 hat die Bevölkerung die Vorlage über die Beschleunigung der Asylverfahren mit 66,8 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Damit wird der ganze Asylbereich neu strukturiert. Das neue Asylgesetz trat per 1. März 2019 in Kraft. Das Ihnen vor­ liegende Asyllexikon nimmt diese Änderungen auf. Bitte berücksich­tigen Sie, dass für alle Asylgesuche, die vor dem 1. März 2019 ein­­gereicht wurden, weiterhin das bisherige Recht angewendet wird, welches sie in den früheren Ausgaben des Asyllexikons nachlesen können. Ganz herzlichen Dank gebührt den Juristinnen und Juristen der HEKS-Rechtsberatungsstellen Ostschweiz unter der Leitung von Tilla Jacomet, welche die Idee für das Asyllexikon 2013 entwickelt haben und auch in dieser vierten, komplett über­arbeiteten Auflage ihr Wissen zur Verfügung stellen. Mit dem Asyllexikon möchte HEKS einen Beitrag zum besseren Verständnis eines Themas beitragen, das nicht nur in der Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert hat, sondern vor allem für sehr viele Menschen von existenzieller Bedeutung ist. Wir hoffen, dass Ihnen das vorliegende Exemplar einen kompakten und verständlichen Überblick über die wichtigsten Begriffe des Asylwesens vermittelt – zum Nachschlagen, Verstehen und Mitreden. Gabriela Alfanz HEKS-Regionalstelle Ostschweiz


Anhörung zu den Asylgründen Bundesanhörung

Asyl Das Wort Asyl stammt aus dem Griechischen und bezeichnet einen sicheren Zufluchtsort, ein Obdach, welches Schutz vor Gefahr und Verfolgung bietet. Eine asylsuchende Person erhält in der Schweiz Asyl, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Das heisst, wenn sie im Asylverfahren glaubhaft darlegt, dass sie in ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat existenziell bedroht ist und keinen ausreichenden Schutz von ihrem eigenen Staat erwarten kann. In diesem Fall wird die asylsuchende Person als Flüchtling anerkannt und erhält eine B-Bewilligung. In den letzten Jahren wurden durchschnittlich rund 20 Prozent der Asylsuchenden in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt und erhielten Asyl.

Asylausschlussgründe

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Wenn ein Asylausschlussgrund vorliegt, wird einem Flüchtling das Asyl verweigert, obwohl eine drohende Gefährdung im Heimat- oder Herkunftsstaat festgestellt wurde. Kein Asyl erhält, wer wegen verwerflicher Handlungen (wie z. B. Kriegsverbrechen oder andere schwere Verbrechen) asylunwürdig ist oder wer die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet oder verletzt hat. Ebenfalls kein Asyl erhält eine Person, welche erst durch ihre Ausreise oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise bewirkt hat, dass sie in ihrer Heimat ernsthafte Nachteile zu befürchten hat (subjektive Nachfluchtgründe). Aufgrund des völkerrechtlich verankerten Rückschiebungsverbots bei konkreter Gefährdung im Heimatland erhalten betroffene Personen in der Regel jedoch eine vorläufige Aufnahme als Flüchtling.

Asylentscheid Ein Asylgesuch in der Schweiz kann unterschiedlich entschieden werden: Bei einem positiven Entscheid wird die Person als Flüchtling anerkannt, darf in der Schweiz bleiben und erhält eine B-Bewilligung. Ist der Entscheid negativ, muss die Person die Schweiz verlassen, sofern keine Wegweisungsvollzugshinder­ nisse vorliegen. Ist dies der Fall, erhält die Person eine vorläufige Aufnahme als Ausländer oder Flüchtling und darf in der Schweiz bleiben. Wurde das Asylgesuch nur aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen gestellt oder ist ein anderer Staat für die Person zuständig, erlässt das SEM einen Nichteintretens­ entscheid mit Wegweisung aus der Schweiz. Negative Asylentscheide sowie Nichteintretensentscheide können mit Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

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Asylgesetz (AsylG) Das Asylgesetz ist ein Bundesgesetz, welches die in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 enthaltenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz auf nationaler Ebene konkretisiert. Soweit das Asylgesetz keine besondere Regelung enthält, gilt auch für Asylsuchende das Ausländer- und Integrationsgesetz. Seit die Schweiz im Jahr 2008 dem europäischen Dublin-System beigetreten ist, haben mit der Dublin-Verordnung sowie den damit zusammenhängenden Rechtsakten vermehrt auch gesetzliche Regelungen der Europäischen Union Einfluss auf die Schweizer Asylrechtspraxis. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat bei Fragen des Wegweisungsvollzugs grosse praktische Bedeutung. Den aktuellen Gesetzestext des Asylgesetzes findet man in der systematischen Sammlung des Bundesrechts unter www.admin.ch.

Asylgesetzrevision Das erste Asylgesetz trat 1981 in Kraft. Seither unterstand es zahlreichen Revisionen. Das mit der Volksabstimmung vom 5. Juni 2016 angenommene neue Asylgesetz trat per März 2019 vollständig in Kraft. Ziel dieser Revision war eine Beschleunigung der Asylverfahren. Durch die Schaffung von 5000 Plätzen in Bundesasylzentren und einem neuen beschleunigten Verfahren sollen bereits 60 Prozent der Asylgesuche – innert maximal 140 Tagen – in einem Bundesasylzentrum entschieden werden. Nur noch 40 Prozent aller Asylgesuche werden in einem erwei­ terten Verfahren auf die Kantone verteilt und dort möglichst rasch – innert eines Jahres – entschieden. Die Beschleunigung der Verfahren hat auch eine Kürzung der Beschwerdefristen zur Folge. Um trotzdem rechtsstaatlich korrekte Verfahren zu gewährleisten, erhalten Asylsuchende bereits zu Beginn des Verfahrens unentgeltliche rechtliche Beratung und haben Anspruch auf einen Rechtsvertreter, der sie zu wichtigen Verfahrensschritten begleitet und bei Verfahrensfehlern oder Rechtsverletzungen intervenieren kann. Neu eingeführt wird zudem eine Vorbereitungsphase zu Beginn des Asylverfahrens, in welcher die Asylsuchenden registriert werden und sie sich über den Ablauf des Asylverfahrens, ihre Rechte und Pflichten informieren können.

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Asylgesuch

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Als Asylgesuch gilt jede Äusserung, mit der eine Person zu erkennen gibt, dass sie in ihrem Heimat- oder Herkunftsland Verfolgung oder ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist und in der Schweiz um Schutz bittet. Ein Asylgesuch ist an keine Formvorschriften gebunden. Es kann mündlich oder schriftlich an einem Grenzübergang oder bei der Grenzkontrolle eines Schweizer Flughafens eingereicht werden, von wo aus das Gesuch dann zur Behandlung ans Staatssekretariat für Migration (SEM) weitergeleitet wird. Die Möglichkeit, ein Asylgesuch bei einer Schweizer Botschaft im Ausland einzureichen, wurde 2012 abgeschafft.

Asylverfahren Zu Beginn des Asylverfahrens werden die Asylsuchenden vom Staatssekretariat für Migration (SEM) einem Bundesasyl­ zentrum zugewiesen. In einer Vorbereitungsphase werden Vorabklärungen getätigt, welche zur Durchführung des eigentlichen Asylverfahrens notwendig sind. In dieser wird entschieden, ob ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird und eine Person direkt ab dem Bundesasylzentrum in einen Drittstaat zurückgewiesen wird. Andernfalls wird das beschleunigte Verfahren eingeleitet, welches u.a. die Anhörung zu den Asylgründen umfasst. Ist die Faktenlage klar, kann direkt im Bundesasylzentrum ein Asyl­entscheid gefällt werden. Sind weitere Abklärungen notwendig, findet ein Wechsel ins erweiterte Verfahren statt und die Person wird einem Kanton zugewiesen. Ziel ist es, dass im erweiterten Verfahren bereits zwei Monate nach Kantons­zuweisung ein Entscheid gefällt werden kann. Das neue, beschleunigte Asylverfahren gilt für Asylgesuche, welche nach dem 1. März 2019 eingereicht wurden. Alle anderen Asylgesuche werden im bisherigen Verfahren entschieden.

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Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) Das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) gilt für alle Aus­länderinnen und Ausländer in der Schweiz, soweit keine anderen Bestimmungen des Bundes- oder des Völkerrechts bestehen. Es findet auf Asylsuchende immer dann Anwendung, wenn das Asylgesetz keine spezialgesetzliche Regelung enthält. Vor allem die Bestimmungen zum Familiennachzug, zur vorläu­figen Aufnahme oder zu den Voraussetzungen des Erhalts einer B- oder C-Bewilligung sind in der Praxis relevant. Zudem regelt es die Voraussetzungen von Härtefallbewilligungen sowie die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Seit dem 1. Januar 2019 regelt das Ausländer- und Integrationsgesetz auch die Förderung der Integration.

Ausschaffung Zwangsausschaffung

Ausserordentliche Rechtsmittel Die beiden ausserordentlichen Rechtsmittel, das Wiederer­ wägungsgesuch und die Revision, ermöglichen es, einen bereits rechtskräftigen Asylentscheid von den Behörden erneut überprüfen zu lassen. Ein Wiedererwägungsgesuch richtet sich an das Staatssekretariat für Migration (SEM). Es können darin entweder eine neue, veränderte Sachlage geltend gemacht oder neue Beweismittel eingereicht werden, die eine Neubeurteilung des Asylgesuchs begründen. Ein Revisionsgesuch richtet sich an das Bundesverwaltungsgericht. Es kann nur gestellt werden, wenn im früheren Beschwerdeverfahren gravierende Verfahrensmängel bestanden oder wenn der Antragsteller nachträglich neue Tatsachen und Beweise entdeckt, die ihm während des früheren Verfahrens nicht bekannt waren. Die inhaltlichen Anforderungen an ausserordentliche Rechtsmittel sind sehr hoch. Auch die Einforderung von Kostenvorschüssen soll aussichts­ lose Verfahren vermeiden. Bereits abgewiesene Asylsuchende, die nur noch Nothilfe erhalten, haben mit einem ausserordentlichen Rechtsmittelverfahren keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

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