JONA - Auslegungen zum alttestamentlichen Propheten

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Vorwort

Liebe Herold-Leser, das biblische Buch Jona ist eine faszinierende Erzählung, die nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch tiefgreifende theologische und christologische Bedeutungen enthält. Obwohl das Buch nur vier Kapitel umfasst, ist es reich an Lehren, die auch für das christliche Leben von großer Bedeutung sind – wie das Bewusstsein, dass Gott der Herr über alle Umstände ist und dass er bereit ist, seine Barmherzigkeit, Gnade und Liebe allen zu erweisen und wir als sein Volk aufgefordert sind, dasselbe zu tun.

Aus der Perspektive des Neuen Testaments wissen wir, dass Jonas Geschichte auf Christus hinweist. So wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches verbringt und dann wieder

Jona 1: Ein Prophet auf der Flucht vor Gott

Wenn wir uns in dieser Ausgabe des Herold mit dem Buch des Propheten Jona beschäftigen wollen, müssen wir zunächst feststellen, was wir über ihn und seinen Lebenshintergrund wissen. Zu diesem Zweck ist es hilfreich, 2. Könige 14,23-27 zu lesen, wo uns etwas über Jona und seinen Wirkungskreis berichtet wird. Der Name „Jona“ bedeutet Taube. Jona war der Sohn Amittais und stammte aus GatHefer, in Galiläa, dem Stammesgebiet Sebulons, in der Nähe von Nazareth und Kana.

Sehr wahrscheinlich war Jona ein Berufsprophet, der möglicherweise aus einer der Prophetenschulen aus der Zeit Elias und Elisas stammte. Er wirkte in der Regierungszeit Jerobeams II. (788-748 v. Chr.), unter dem das Nordreich einerseits eine Blütezeit erlebte, sich aber andererseits auch immer mehr von Gott entfernte. Gottes Gnadenfrist für Israel wurde nicht genutzt. 27 Jahre nach dem Ende der Herrschaft Jerobeams wurde Israel (das Nordreich) von den Assyrern vollständig besiegt und ging als Staat unter.

Die jüdische Gemeinde liest bis heute am Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag, aus dem Buch Jona vor. Jesus und seine Zeitgenossen sahen in dem Buch einen Bericht über reale Ereignisse (siehe Mt 12,39ff; 16,4 u. Lk 11,29ff). Im Jonabuch begegnen wir einer christozentrischen Botschaft und dem Handeln eines souveränen Gottes!

Gottes Auftrag! (V.1-2)

„Und das Wort des HERRN geschah zu Jona.“

Gott spricht! Das ist etwas Gewaltiges, und doch muss Jona als Prophet es gewohnt gewesen sein, auf Gottes Stimme zu warten, sie zu hören und sie weiterzugeben. Schließlich war er als Prophet ein Bote oder Sprachrohr Gottes. Und nun spricht Gott wieder zu ihm. Aber etwas ist anders. Es scheint einen gewaltigen Unterschied zu machen, ob man eine gute oder eine schlechte Botschaft zu überbringen hat. Die Heilsbotschaft an Israel und König Jerobeam II. hat Jona sicherlich gerne weitergegeben. Aber was bekam er nun zu hören? „Mache dich auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und

„aufersteht“, so war auch Christus drei Tage im Grab, bevor er auferstand und Unvergänglichkeit und Erlösung ans Licht gebracht hat (2Tim 1,10).

In dieser Herold-Ausgabe möchten wir Euch als Leser dazu einladen, die Geschichte von Jona nicht nur als ein faszinierendes Ereignis des Alten Testaments zu betrachten, sondern auch, wie Paulus es nennt, „als Vorbild für uns, damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen wie jene“ (1Kor 10,6). Möge Jonas Geschichte und die der Niniviten dazu beitragen, unseren Glauben zu stärken, unsere Beziehung zu Gott zu vertiefen und uns zu ermutigen, seinem Ruf zu gehorchen und seiner Liebe zu allen Menschen Ausdruck zu verleihen.

verkündige gegen sie! Denn ihre Bosheit ist vor mich aufgestiegen.“ Eine Gerichtsbotschaft!

Ninive stand für das Großreich Assyrien und war von seiner politischen, kulturellen und religiösen Bedeutung her das Washington der damaligen Zeit. Doch vor allem war Assyrien ein Erzfeind Israels. Und nun erhält Jona den Auftrag, in diese rund 800 Kilometer entfernte Stadt zu gehen und dort eine Gerichtsansprache zu halten. Gott schickt ihn zu den größten Feinden Israels!

Es ist immer wieder spannend, wie Gott im Alten Testament zu seinem Volk spricht. Aber auch heute spricht Gott zu uns – in erster Linie durch sein Wort, die Bibel, aber auch durch andere Menschen oder Umstände. Und Gott gibt uns als seinen Jüngern und Boten auch heute Aufträge: Sei es im persönlichen Bereich (z. B. „Ordne dein Leben“) oder in Bezug auf das Reich Gottes; denn Gott möchte auch uns als seine Boten zu den Menschen senden, die gegen ihn rebellieren, damit wir ihnen das Evangelium verkündigen. Aber wie reagieren wir oft auf Gottes klare Worte? Wie reagiert Jona?

Jonas Ungehorsam! (V. 3)

Er hatte gut zugehört und genau verstanden. Und er machte sich auf den Weg – leider in die falsche Richtung. Er nimmt nicht den Zug nach Ninive, sondern das Segelschiff nach Tarsis (Tartessa in Südspanien), in die entgegengesetzte Richtung. Jona flieht, er flieht vor Gott. Er ist ungehorsam. Er verlässt seinen Posten, er verlässt Gott. Ist das zu fassen? Was hat Jona zur Flucht getrieben? Was könnten mögliche Gründe gewesen sein? Vielleicht Angst vor den Niniviten, deren Gottlosigkeit und Grausamkeit bekannt war. Vielleicht auch nur Angst vor der großen Herausforderung. Wahrscheinlich war es sein selbstgerechtes Herz, das davon überzeugt war, dass die Niniviten Gottes Gnade nicht verdienten. (Sein Verhalten in Kapitel 4 bringt mich auf diesen Gedanken.)

Kann man vor Gott fliehen? Selbst wenn wir diese Frage verneinen, müssen wir doch zugeben, dass wir selbst schon vor Gott geflohen sind, oder? Vielleicht fliehst du gerade vor

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ihm! Wie schnell drücken wir durch unsere Haltung, durch unser Handeln aus: „Nein, Gott, ich will nicht!“ Unsere Beweggründe entpuppen sich schnell als faule Ausreden. „Keine Zeit!“, „Ich kann nicht!“, „Es sind noch andere da!“. Jona diskutiert nicht lange. Er schafft Fakten.

Warum flüchtest du? Wovor flüchtest du? Flucht ist einer unserer stärksten Abwehr- und Schutzmechanismen, aber nicht immer gut und hilfreich. Man muss gar nicht weit weglaufen, um vor etwas zu fliehen, dem man sich stellen sollte! Vielleicht schiebst du eine unangenehme Aufgabe im Studium oder im Beruf vor dir her. Vielleicht spielst du mit dem Gedanken, aus einer schwierigen Ehe auszubrechen. Oder du vermeidest es, Verantwortung für dein Leben zu übernehmen oder dich deiner Vergangenheit zu stellen. Flucht entpuppt sich oft als Feigheit gegenüber der Verantwortung, in die Gott uns gestellt hat und in der er uns helfen will!

Jona und wir sind von der gleichen Art. Und doch liebt uns Gott, dem wir ungehorsam sind, und er ist geduldig mit uns. Er bleibt an Jona dran und auch an dir!

Die Folgen des Ungehorsams! (V. 4-16)

„Da warf der HERR einen gewaltigen Wind auf das Meer, und es entstand ein großer Sturm auf dem Meer, sodass das Schiff zu zerbrechen drohte.“

Gott hat viele Möglichkeiten, uns zu verfolgen. Hier benutzt er einen starken Wind, um an Jona zu arbeiten. Aber die weitere Geschichte zeigt uns noch etwas Dramatisches: Jonas Ungehorsam bringt Menschen in Gefahr. Zuerst die Niniviten, die gewarnt und zur Umkehr aufgerufen werden müssen. Dann die Seeleute, mit denen er nun unterwegs ist und mit denen er in diesen heftigen Sturm gerät. Und natürlich bringt sich Jona auch selbst in Gefahr. Im Sturm bricht große Panik auf dem Schiff aus, alles Mögliche wird über Bord geworfen und Jona schläft! Hat er denn kein Gewissen?

An Bord wird inzwischen kräftig gebetet, während Jona noch schläft. Er ist ziemlich heruntergekommen; es ging immer weiter bergab mit ihm. Zuerst ist er nach Jafo hinabgestiegen, dann in den untersten Raum des Schiffes – aber da sollte er noch nicht am tiefsten Punkt angelangt sein, dorthin würde Gott ihn selbst noch führen. Schließlich wird Jona wachgerüttelt und zum Gebet aufgefordert: „Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht gedenkt Gott unserer, dass wir nicht umkommen“, fordert ihn der Kapitän auf, nachdem er ihn geweckt hatte. Erst durch das Los kommt die Wahrheit ans Licht: Jona ist für den Sturm verantwortlich. Und endlich steht Jona auch zu seinem Versagen und ist bereit, sich in Gottes Hände zu begeben: „Ich bin ein Hebräer und ich fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das trockene Land gemacht hat […] Nehmt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhigt und euch verschont! Denn ich weiß, dass dieser gewaltige Sturm durch meine Schuld über euch gekommen ist.“

Was ist mit uns? Erkennen wir uns in Jona wieder? Auch wir kommen hin und wieder in Situationen, in denen wir innerlich vor Gott davonlaufen und trotzdem gut schlafen können, obwohl um uns herum alles „drunter und drüber“ geht. Und am Sonntag gehen wir wie immer in den Gottesdienst. In diesen Momenten merken wir gar nicht, wie wir selbst innerlich krank sind und leiden und wie wir andere Menschen in Mitleidenschaft ziehen. Menschen zum Beispiel, die sich an unserem sündigen Verhalten ein Beispiel nehmen. Oder Menschen in unserer nächsten Umgebung, die unseren Frust und Ärger abbekommen. Oder Menschen, die Gottes gute Botschaft nicht hören, weil es uns an Hinga-

be und Bereitschaft mangelt. Ungehorsam, wie jede Sünde, hat immer negative Folgen und Auswirkungen auf Menschen in unserer Umgebung. Sind wir uns dessen bewusst?

Schließlich, nach langem Zögern, wirft man Jona über Bord ins stürmische Meer, das sich sofort wieder beruhigt. Eigentlich der sichere Tod für den Propheten. Aber der Herr ist die Rettung. Gott hat noch etwas vor mit seinem ungehorsamen Propheten. Er rettet Jona und hat auch noch die Assyrer im Blick, zu denen Jona ursprünglich gesandt war. Zunächst aber handelt Gott an den Menschen an Bord. Ihre lebensbedrohliche Situation, das Bekenntnis Jonas und das Wunder des sich legenden Sturmes öffnen sie für den Gott Israels. Auch inmitten unseres Ungehorsams und unserer feigen Flucht kann Gott Gutes tun – an uns und an anderen.

Das soll auch uns Mut machen, neu anzufangen! Gott ist mit dir und mir noch nicht fertig. Er geht auch uns nach und gibt uns eine neue Chance. Ergreifen wir sie! Kehren wir um, wo es nötig ist, und gehen wir Gottes Weg. Den Weg, den er für jeden von uns vorgesehen hat. Gott segne und begleite uns dabei.

Georg Münch ist Pastor der EFG Unna und verheiratet mit Rita. Sie haben vier erwachsene Kinder und sieben Enkelkinder.

Jona 2: Ein Prophet lernt seine Lektion

Jona 2 beginnt und endet mit dem großen Fisch, der Jona zunächst verschlingt und ihn einige Tage später wieder ausspuckt. Dazwischen lesen wir von Jonas Gebet im Bauch des Fisches, und es ist schwer zu sagen, was uns eher verwundert, der Fisch oder das Gebet. Denn während keine Kinderbibel ohne den Fisch auskommt, und der kindliche Glaube die Tatsache einfach hinnimmt, das Jona von einem Fisch verschlungen und wieder ausgespuckt wurde, fällt dies zu glauben manchen Christen mit zunehmenden Alter etwas schwerer. Kann sich dies wirklich so zugetragen haben? So viel erst einmal zum „großen Fisch“, wie es im Hebräischen heißt, womit vermutlich ein Wal gemeint ist. Wir kommen später noch einmal auf ihn zurück.

Aber auch das Gebet verwundert. Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass Jona überhaupt betet. Ein altes Sprichwort lautet: „Wenn du beten lernen willst, geh zur See!“ Der Sinn dahinter ist klar. Es gibt keinen gefährlicheren und menschenfeindlicheren Ort als das stürmische Meer. Wie wir aber aus Kapitel 1 wissen, konnte nicht einmal der Sturm Jona auf die Knie zwingen. Doch jetzt, im Bauch des Fisches angekommen, betet er. Und seine Worte zeugen von

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einem Gottvertrauen in den Bundesgott Israels, der so plötzlich auftaucht und verschwindet wie der Fisch! Jona 2 verdeutlicht uns wieder einmal mehr, dass die Welt, in der wir leben, wundersamer ist als wir es oftmals für möglich halten. Bevor wir über den Fisch – das Mittel zum Zweck – staunen, sollten wir über den Gott der Bibel staunen. Denn es heißt: „Und der HERR bestellte einen großen Fisch, Jona zu verschlingen“ (Jona 2,1). Anstatt „bestellte“ könnten wir auch übersetzen: „Und der HERR bestimmte“, oder „entbot …“. Der Punkt ist, dass die Geschichte nicht bereits nach Kapitel 1 endet – obwohl dies eine grandiose Kurzgeschichte wäre: Jona wird als Prophet zu den Heiden geschickt; er verweigert den Auftrag; Gott schickt einen Sturm; Jona verweigert immer noch den Gehorsam und trotzdem bekehren sich die Heiden. Es wäre eine herrlich ironische Geschichte, würde das Buch mit der Bekehrung der heidnischen Seeleute in Jona 1,16 aufhören: „Und die Männer fürchteten den HERRN mit großer Furcht, und sie brachten dem HERRN Schlachtopfer dar und gelobten ihm Gelübde.“ Um Jona wäre es zwar schade, und die Niniviten hätten vermutlich keine Buße getan, aber zumindest könnte man das Soli Deo Gloria unter die Geschichte setzen.

Doch gerade damit hört die Geschichte nicht auf. Sie geht weiter, und wir ertappen uns bei dem Gedanken, dass wir anders gehandelt hätten, wenn wir an Gottes Stelle gewesen wären. Warum sich um einen Fahnenflüchtigen kümmern, nur um uns später sein Gemeckere anhören zu müssen? Gott sei Dank, ist Gott so ganz anders als wir; er hat unendlich viel Geduld mit uns, seinen Kindern, die wir oftmals nur sehr langsam lernen. Sicherlich, Gott hatte es nicht nötig Jona zu retten. Er hätte auch einen anderen Propheten schicken können. Und doch rettete er ihn, wenn auch vielleicht nur aus dem Grund, um hier eine Veranschaulichung für etwas weitaus Größeres zu bieten, das er bereits vor Grundlegung der Welt geplant hatte.

Denn als Jesus einige Jahrhunderte später auf dieser Erde war und durch seine Herkunft, seinen Lebenswandel, seine Taten und Worte unmissverständlich deutlich machte, dass er „mehr als Jona ist“, nämlich das Wort Gottes selbst, und seine Widersacher frecherweise ein weiteres Zeichen forderten, antwortete Jesus ihnen:

„Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen, und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas, des Propheten. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein“ (Mt 12,39-40).

Der Fisch hätte Jona vermutlich schon früher ausspucken können, und es ist zweifelhaft, ob Jona tatsächlich so viel Bedenkzeit brauchte, um zur Einsicht zu kommen. Doch es gehörte zu Gottes Plan, dass Jesus drei Tage und drei Nächte – eine antike Redewendung für „lange genug, um definitiv tot zu sein“ – im Grab sein sollte, um jeden Zweifel auszuräumen, dass er nur „scheintot“ oder „halbtot“ war. Dafür war der Fisch also gut; und Jesu Antwort an die Pharisäer verdeutlicht, dass Jesus sich dafür verbürgt, dass dieses Ereignis mit dem Fisch eine historische Tatsache ist. Das allein sollte uns als Beleg reichen. Da unser Herr aber wusste, dass ein böses, aufgeklärtes Geschlecht weitere Zeichen fordern würde, kam er uns in seiner großen Gnade entgegen und ließ im Laufe der Geschichte noch weitere Seemänner an dem Ergehen Jonas teilhaben, damit wir keine Ausreden mehr hätten. Insgesamt gibt es allein in der Seefahrtsgeschichte des 19. Jahrhunderts vier bezeugte Berichte von Seefahrern, die von Meeressäugetieren verschluckt und kurze Zeit später lebendig wieder ausgespuckt oder von ihren Kameraden aus den Tieren geborgen wurden. Einer von ihnen sogar drei Tage später.1

Zu diesen Glücklichen gehörte auch der Matrose James Bartley, der 1891 auf dem Walfänger Stern des Ostens diente, als sie es auf einen Pottwal abgesehen hatten. Richard D. Philipps beschreibt, was dann geschah:

„Harpunenboote wurden zu Wasser gelassen, von denen eines kenterte und zwei Männer über Bord gingen. Nach einiger Zeit wurde der Wal getötet und zum Schiff gezogen, wo er gesichert und seine Speckschicht entfernt wurde. Am nächsten Tag wurde sein Magen auf das Deck gehievt, und darin befand sich der Seemann James Bartley, der bewusstlos, aber am Leben war. Nachdem er wieder bei Sinnen war, nahm er seinen Dienst an Bord des Schiffes wieder auf.“

Staunen wir also zurecht über diesen großen Fisch – und wozu dieser fähig ist –, aber staunen wir vor allem über den Gott, der ihn gemacht und für seine weisen Zwecke gebraucht hat. Und nun zum Gebet des Propheten. Mehrere Ausleger haben darauf hingewiesen, dass es mit Jona immer weiter abwärts ging – sowohl im geistlichen als auch um physischen Sinn. Jona „ging nach Jafo hinab“ (Jona 1,3) und als der Sturm losbrach, fand ihn der Kapitän im „untersten Schiffsraum“ (1,5); anschließend wurde er über Bord geworfen und, vom Seeungeheuer verschlungen, noch weiter hinabgezogen. Und dort, ganz unten angekommen, betet Jona:

„Ich rief aus meiner Bedrängnis zum HERRN, und er antwortete mir. Aus dem Schoß des Scheols schrie ich um Hilfe - du hörtest meine Stimme. Und du hattest mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere, und Strömung umgab mich. Alle deine Wogen und deine Wellen gingen über mich dahin. Da sprach ich: Verstoßen bin ich von deinen Augen hinweg, dennoch werde ich wieder hinblicken zu deinem heiligen Tempel. Wasser umfing mich bis an die Seele, die Tiefe umschloss mich, Seetang schlang sich um mein Haupt. Zu den Gründen der Berge sank ich hinab. Der Erde Riegel waren hinter mir auf ewig geschlossen. Da führtest du mein Leben aus der Grube herauf, HERR, mein Gott. Als meine Seele in mir verschmachtete, dachte ich an den HERRN. Und mein Gebet kam zu dir, in deinen heiligen Tempel. Die, die nichtige Götzen verehren, verlassen ihre Gnade. Ich aber will dir Opfer bringen mit der Stimme meines Lobes; was ich gelobt habe, werde ich erfüllen. Bei dem HERRN ist Rettung“ (V. 3-10).

Es ist verständlich, dass wir am Tiefpunkt angekommen, anfangen zu beten, selbst dann, wenn Gott uns vorher nicht groß interessiert hat. Doch was gibt uns die Hoffnung, dass unser Gebet auch erhört wird? Womöglich kannte Jona den berühmten Psalm 139 von David, wo dieser über die Allgegenwart Gottes nachdachte und betete:

„Stiege ich hinauf zum Himmel, so bist du da; machte ich das Totenreich zu meinem Lager, siehe, so bist du auch da! Erhöbe ich die Flügel der Morgenröte, ließe ich mich nieder am äußersten Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten

1 A. J. Wilson: „The Sign of the Prophet Jonah“, Princeton Theological Review 25 (1927): S. 636. https://www.ivpress.com/Contents/ Item/Display/27785

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und deine Rechte mich fassen. Und spräche ich: Nur Finsternis möge mich verbergen und Nacht sei das Licht um mich her: Auch Finsternis würde vor dir nicht verfinstern“ (V. 8-12).

Entgegen der Vorstellungswelt ihrer antiken Nachbarn, war Israel davon überzeugt, dass Jahwe keine Nationalgottheit war, sondern der „Gott des Himmels, der das Meer und das trockene Land gemacht hat“ (Jona 1,9). Jona wusste daher, dass er nicht außerhalb von Gottes Reichweite war, und so betete er mit der Hoffnung, gehört zu werden.

Auch wenn es um ihn herum finster war, so konnte er geistlich betrachtet klar sehen. Der HERR ist sein Gott, auf den er sein Vertrauen auf Rettung

setzt, und ihm möchte er das Opfer seines Lobes bringen. Ihm möchte er seine Gelübde erfüllen. Im Bauch des Wals war Jona so weit vom Tempel in Jerusalem entfernt wie nur möglich. Vielleicht war er nicht die ganze Zeit bei Bewusstsein, doch die Zeit, die er hatte, nutzt er, um sich an seinen Gott zu wenden. Auch wir geraten vielleicht in schlimme Situationen – selbstverschuldet oder nicht –, Situationen, in denen wir uns verloren fühlen wie Jona in jenem Moment. In solchen Augenblicken können wir vielleicht nichts anderes tun als beten – und das ist mehr als genug. Gott mit der Stimme unseres Lobes Opfer bringen, können wir nahezu jederzeit und überall. Und wenn Jona sich schon sicher war, dass Gott sein Gebet erhört und ihn errettet, wie viel mehr Grund ha-

Jona 3: Gottes Botschaft:

Gut, besser, skandalös

Charles Dickens’ „Eine Weihnachtsgeschichte“ gehört zu den bekanntesten Erzählungen der Weltliteratur. Ihr Hauptcharakter Ebenezer Scrooge ist einsam, geldgierig und unbarmherzig. Doch an Heiligabend bekommt er in einem Traum Besuch von drei „Geistern“ – denen der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht. Sie zeigen ihm, wie einsam er eigentlich ist und wohin sein Leben steuern wird, wenn er sich nicht grundlegend ändert. Ebenezer Scrooge wird durch diese Schocknachricht wachgerüttelt und beginnt am nächsten Tag ein neues Leben.

Diese Geschichte ist ein treffendes Bild für das Grundmuster von Gottes Gericht in der Bibel: er kündigt es nicht an, mit dem Verlangen, es vollstrecken zu müssen, sondern mit dem Ziel, dass wir umkehren und ein neues Leben mit ihm beginnen. Der Gott Israels freut sich nicht, wenn Sünder aufgrund ihrer Schuld sterben; vielmehr will er, dass sie umkehren und leben (vgl. Hes 18,32 + 33,11). Die Botschaft von Gottes Gericht durch Jona ist also zuerst eine zutiefst gute Botschaft!

Eine gute Botschaft: Gottes Gericht lässt uns umkehren (1-5)

Der Anfang von Kapitel 3 (V. 1-3) ähnelt dem von Kapitel 1. Der Unterschied besteht in seinem Inhalt: Jona bekommt zum zweiten Mal seinen Auftrag von Gott, aber diesmal gehorcht er. Er geht nach Ninive und verkündigt Gottes Gericht. Die drei Tage im Fisch haben ihre erste Wirkung gezeigt: Jonas Verhalten Gott gegenüber hat sich geändert. Allerdings sieht es am Ende seines „Propheten-Einsatzes“ in Ninive, in Kapitel 4 so aus, als ob sich sein Herz noch nicht wirklich verändert hat. Denn er gehorcht Gott eher aus der

ben wir, voller Zuversicht zu Gott zu kommen. Denn wir haben in Christus den freien Zugang und können „mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe!“ (Hebr 4,16).

Jona beendet sein Gebet mit den Worten, die als Zusammenfassung des ganzen Alten Testaments dienen könnten: „Bei dem HERRN ist Rettung.“ Er ist zur Einsicht gekommen – zumindest für den Moment. Und damit hat der große Fisch seine Aufgabe erfüllt. Er spuckt den Propheten auf Geheiß seines Meisters in Ufernähe aus, damit auch Jona selbst nun dem Befehl seines Schöpfers gehorsam sein kann.

Andreas Münch ist Mitarbeiter der Herold-Schriftenmission. Er ist verheiratet mit Miriam und Vater von drei Söhnen.

Furcht vor erneuten unangenehmen bis schmerzlichen Konsequenzen für seinen Ungehorsam.

Jonas Predigt wird in einem Satz zusammengefasst: „Noch 40 Tage und Ninive ist zerstört“ (V. 4). Schreckliche, aber gerechte Konsequenzen für schreckliche Verbrechen gegenüber Gott und Menschen, die die Niniviten begangen hatten. Darum haben sie sehr schnell verstanden: „Das ist nicht einfach der missmutige Wunsch eines Israeliten. Hier spricht Gott zu uns. Wir haben ein ernsthaftes Problem mit ihm!“. Jonas Botschaft ist wie ein Warnhinweis an einem Strommast: wenn du ihn ignorierst, deine Sportlichkeit unter Beweis stellst, hochkletterst und in die Leitungen fasst, dann wirst du gegrillt. Solche Warnhinweise schützen vor schrecklichen Konsequenzen. Niemand käme auf die Idee, so eine Warnung als lieblos zu bezeichnen. Sie sind notwendig, damit es gar nicht erst so weit kommt. Und genau so ist Gott: er warnt uns, weil er weiß, dass ein Leben ohne ihn auf kurz oder lang zerstörerisch ist. Manchmal schockiert er uns unmittelbar, damit wir umkehren. Wenn Gott uns daher durch sein kommendes Gericht schockiert, dann zeigt er uns vor allem, was wir werden, wenn wir etwas mehr lieben als ihn. Tust du dich schwer mit dem Gedanken an einen Gott, der richtet? Liegt dir vielleicht ein Satz auf der Zunge wie „Ich brauche und will keinen Richter!“? Aber ganz ehrlich: jeder von uns unterliegt doch ständig dem Urteil anderer und urteilt selbst über andere. Sei es die Zeitung, die die Karriere eines Politikers zerlegt; unsere Kollegen bei der Arbeit, die kein gutes Haar an uns lassen, oder auch „nur“, wenn wir unsre Augen wegen ein paar schlecht erzogener Kinder auf dem Spielplatz verdrehen. Die eigentliche Frage lautet doch: Wer fällt das letzte Urteil? Kennst du dich und bist ehr-

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lich genug zu dir selbst? Falls ja, dann weißt du, dass du nicht unfehlbar bist und dass du damit nicht qualifiziert bist, um über (d)ein ganzes Leben urteilen zu können. Von anderen Menschen kannst du vielleicht manchmal ein gerechtes Urteil erwarten. Aber auf Gnade kannst du bei ihnen im besten Fall nur hoffen. Du bist ihrer Willkür ausgeliefert.

Bei Gott ist das anders: Er ist immer gerecht, und gleichzeitig ist er auch immer barmherzig. Gerade im Angesicht von Gottes Gericht ist Umkehr nicht nur nötig, sondern wird so auch erst möglich! Und weil Gott nicht nur gerecht ist, sondern auch gnädig, führt uns das zu einer weiteren Botschaft des Jonabuches; nämlich der von Gottes Gnade:

Eine noch bessere Botschaft: Gottes Gnade lässt uns verändert leben (6-10)

Jonas Gerichtsbotschaft hat etwas verändert und erfasst das ganze Volk. Sogar der König bekommt das mit. Und er verfügt: „Ausnahmslos alle, Menschen und Tiere sollen fasten, Trauerkleidung anziehen, anfangen zu beten und Gott um Gnade bitten“. Alle Niniviten sollen aufhören, ein Leben ohne Gott zu führen und ihr Leben nicht mehr nach ihren eigenen Vorstellungen, Plänen und Wünschen zu führen. Das meint der König, wenn er in Vers 8 anordnet: „Sie sollen umkehren, jeder von seinem bösen Weg und von der Gewalttat, die an seinen Händen ist“. Im Großen und Ganzen ist das die Bilanz ihres Lebens ohne Gott. Das ist das Leben, von dem sie sich abwenden und Gott zuwenden sollen. Der entscheidende Satz fällt dann in Vers 9: „Vielleicht wendet sich Gott und lässt es sich gereuen und kehrt um von seinem Zorn“. Ist das nicht erstaunlich? Dieser heidnische König hat mehr von Gottes Gnade verstanden als Jona. Er sieht ein, dass Gott gerecht ist und versteht gleichzeitig, dass Ninives einzige Hoffnung auf Veränderung Gottes Gnade ist!

Am Ende dieses Kapitels zeigt uns Vers 10, dass nicht nur Jona umgekehrt ist, indem er seinen Auftrag ausgeführt hat. Nicht nur die Niniviten sind umgekehrt. Auch Gott „kehrt um“: „Und Gott sah ihre Taten, dass sie von ihrem bösen Weg umkehrten. Und Gott ließ sich das Unheil gereuen, das er ihnen zu tun angesagt hatte, und er tat es nicht.“ Er vernichtet Ninive nicht. Die Einwohner der Stadt und auch die Tiere, die dort leben, trifft Gottes Strafe nicht. Weshalb? „Gott sah, dass die Menschen von Ninive von ihren bösen

Taten umkehrten.“ Es ist eben nicht nur ihre Trauerkleidung und die Tatsache, dass sie fasten. Das Entscheidende ist, dass sie aufhören, mit ihrem Leben gegen Gott zu rebellieren, was ein Ausdruck davon ist, dass die Niniviten erkannt hatten: „Gott schaut nicht mehr länger nur zu; unser Leben muss sich ändern, sonst laufen wir selbst auf eine riesige Katastrophe zu. Wir haben Gottes Geduld ausgereizt. Der Einzige, der uns jetzt noch vor Gottes Gericht retten kann, ist Gott selbst!“ Sie begreifen, dass nur Gott ihr Leben verändern kann. Das ist es auch, was Gott den Niniviten durch Jona anbietet: echtes Leben aus Gnade.

Ist das nicht erstaunlich? Die Schönheit von Gottes Gnade können wir nicht erfahren, wenn wir nicht zuvor durch sein Gericht über unser sündiges Leben aufgeschreckt wurden. Diese Botschaft findet ihren Höhepunkt im Evangelium von Jesus: Beispielsweise kann in Lukas 15 der verlorene Sohn nur umkehren, weil er weiß, wie sehr er auf Gnade und Vergebung angewiesen ist. Denn er hat sonst keine Hoffnung. Er spürt die Konsequenzen seines Lebens ohne den Vater: ein Leben im Dreck bei Schweinen, deren Futter er nicht einmal essen darf. Das rüttelt ihn wach und er sieht ein: „Ich muss umkehren, zurück zu meinem Vater. Ich bin der Schuldige, damit muss ich zurechtkommen.“ Er weiß aber auch: dieser Vater, Gott, ist nicht nur gerecht, sondern auch gnädig. Das ist seine einzige Hoffnung, dauerhaft wegzukommen vom Schweinestall. Das ist das Versprechen, das Gott uns durch das Evangelium von Jesus macht – Gott ist immer bereit, uns anzunehmen, wenn wir umkehren und unser Vertrauen auf Jesus setzen.

Aber möglicherweise fragst du dich „Ist es für mich nicht schon längst zu spät, um umzukehren?“ Diese Frage beantwortet Jona selbst einige Zeit nach der Umkehr Ninives: „Gott ist ein gnädiger und barmherziger Gott, langsam zum Zorn und groß an Güte, der sich das Unheil gereuen lässt“ (Jona 4,2). Es gibt bei ihm also kein „Zuspät“. Gott hat nämlich größere Freude daran, sich durch Gnade zu verherrlichen als durch Gericht. Sein Gericht ist eine logische Konsequenz von Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit – Gott will und muss gerecht sein. Doch seine Gnade ist ein Ausdruck von Gottes Entscheidung, uns zu lieben, wenn wir zu ihm umkehren!

Eine skandalöse Botschaft: Gottes Gnade gilt den Allerschlimmsten – auch dir! Für die Israeliten zur Zeit Jonas hatte dieses Buch eine schwer anzunehmende Botschaft: „Brutale Heiden kehren um, wenn sie die Botschaft von Gottes Gericht hören und sie verlassen sich dabei einzig und allein auf seine Gnade. Aber ihr, Gottes auserwähltes Volk, lebt weiterhin in Sünde und Rebellion gegen ihn!“. Wir dürfen nicht vergessen, dass Jona ein Prophet aus dem Nordreich war. Die geistliche Situation der Könige und des ganzen Volkes dort wird uns in den Geschichts- und Prophetenbüchern beschrieben: Israel war kein „wahrhaft weises und verständiges Volk“, das als Zeuge für seinen Gott inmitten der Völker seiner Umgebung lebte (5Mo 4,6-8; 1Kön 8,57-61).

Genau das soll die Umkehr Ninives auch uns vor Augen führen: Sie rüttelt dich wach, wenn du noch nicht an Jesus glaubst. Denn Gottes Gnade, die er dir bis heute durch Jesus Christus zeigt und anbietet, ist unvorstellbar groß. John Bunyan schrieb dazu: „Große Sünde verlangt große Gnade. Und wo Schuld am schrecklichsten ist, genau da strahlt auch Gottes Barmherzigkeit in Christus am deutlichsten und herrlichsten!“1 Aber wie schnell vergessen wir, dass Gott durch seine Gnade unser Leben nicht bloß verbessert, sondern grundlegend verändert! Unser Leben, Reden und Denken soll ein sichtbares Zeichen für die Kraft des Evangeliums sein. Das ist der größte Grund zum Danken, den du dir vorstellen kannst. Und Gottes Barmherzigkeit gilt den Allerschlimmsten – Israel, Jona, Ninive, Ebenezer Scrooge und sogar dir!

Jonathan Malisi ist Pastor in der Immanuel-Gemeinde in Wetzlar mit den Schwerpunkten junger Erwachsener und Verwaltung. Seine Freizeit verbringt er gerne mit Freunden, guten Büchern oder auf dem Rad.

1 John Bunyan: „Die überschwängliche Gnade an dem größten der Sünder“ (Autiobiografie).

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Jona 4: Wenn Gottes Gnade zum Problem wird

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ona, der Prophet Gottes hat Gottes Botschaft verkündet. Über 120.000 Menschen hören sie nicht nur, sondern reagieren darauf, sehen sich im Licht dieser Botschaft, bereuen ihre Taten und ändern ihr Leben. Bis zum König dringt die Botschaft vor, der das ganze Volk aufruft: „Kehrt um von euren bösen Wegen, lasst ab von eurem Unrecht.“ Der Traum eines jeden Predigers, oder?

Für Jona war es ein Alptraum. Denn „es missfiel Jona sehr“. Oder wörtlich: „Es war böse in Jonas Augen.“ Bisher war „böse“ eine treffende Beschreibung für die Niniviten gewesen. Und dies bezieht Jona nun auf Gott? Warum reagiert Jona mit so glühendem Zorn? Ärgert er sich etwa über die Assyrer? Nein, er weiß genau, dass ihre Buße auf Gottes Gnade zurückzuführen ist, deshalb richtet sich sein ganzer Zorn gegen Gott. Und wie so oft, führt auch bei ihm der Zorn nicht zu vernünftigen Schlüssen. Er ist so zornig, dass er am liebsten sterben würde (Auf heute übertragen: „Wenn die am Leben bleiben, dann nur über meine Leiche!“):

„Und er betete zum HERRN und sagte: Ach, HERR! War das nicht meine Rede, als ich noch in meinem Land war? Deshalb floh ich schnell nach Tarsis! Denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und einer, der sich das Unheil gereuen lässt. Und nun, HERR, nimm doch meine Seele von mir! Denn es ist besser, dass ich sterbe, als dass ich lebe“ (4,2-3).

Aber warum? Versetzen wir uns einmal in Jonas Lage: Bisher hatte Gott Assyrien schon dreimal als „Rute seines Zorns“ gebraucht, um sein abtrünniges Volk zu bestrafen (vgl. Jes 8,7ff.; 10,5ff.). Hinzu kam, dass die Assyrer nicht einfach nur Feinde waren, sondern grausame Feinde, die grausame Dinge taten. Nun hatte Jona von Gott den Auftrag bekommen, zu diesen Erzfeinden zu gehen, um ihnen Gottes Gericht anzukündigen. Hätte Gott sein Gericht umgesetzt und Jona wäre nach Hause zurückgekehrt, wäre Jona ein Held gewesen. Er hätte verkündigen können: „Jahwe hat Ninive vernichtet, unsere Feinde haben ihre

gerechte Strafe bekommen.“ Das wäre das Beste, was hätte passieren können – zumindest für Jona und Israel. Vers 2 zeigt uns aber, dass Jona schon geahnt hatte, dass Gott etwas anderes im Schilde führte. Er hatte von Anfang an Gottes Gnade in Betracht gezogen: „Deshalb floh ich schnell nach Tarsis! Denn ich wusste, dass du ein gnädiger Gott bist …“ Seine Flucht war also sein Versuch gewesen, sich aus einer verzwickten Lage zu stehlen, in der er am Ende nicht als Held, sondern als Verlierer dastehen würde. Denn Jonas Befürchtung war, dass Gott Ninive erneut als Zuchtmittel gegen Israel gebrauchen könnte.

Im Grunde hatte Jona eine weitaus bessere Theologie als man zuerst meinen würde. Schon auf dem Schiff war ihm klar gewesen, dass der Sturm kein zufälliges Naturereignis war. Er wusste, dass Jahwe der Herr über die ganze Schöpfung ist. Jona war auch bereit gewesen, sich den Meeresfluten und damit der Hand Gottes auszuliefern. Er kannte Gott gut genug, um sich den Konsequenzen seines Handelns und seinem Gott zu stellen, weil er wusste, dass Gott kein unberechenbarer Gott ist, sondern ein „gnädiger, barmherziger Gott … langsam zum Zorn und groß an Güte“ (4,2).

Doch ausgerechnet diese Eigenschaften macht der Prophet Gott jetzt zum Vorwurf. Jonas „Anklagebekenntnis“ in Jona 4,2 ist ein Zitat aus 2. Mose 34,6-7, das Jona nicht ohne Grund wählt. Diese Worte stammen aus dem Kontext der Bundeserneuerung zwischen Jahwe und Israel:

„Und der HERR ging vor [Moses] Angesicht vorüber und rief: Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden von Generationen, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, aber keineswegs ungestraft lässt, sondern die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, an der dritten und vierten Generation“ (2Mo 34,6-7).

Indem Jona diese Worte wählt, wirft er Gott sozusagen Untreue gegenüber Israel vor. Es ist, als wolle Jona sagen: „Mit deinem eigenen

Volk, mit dem du einen Bund geschlossen hast, über dem dein heiliger Name ausgerufen ist, verfährst du so hart und strafst es, indem du ein gottloses, grausames Volk über sie sendest! Aber dieses gottlose, grausame Volk, das nicht deinen Namen trägt, dem schenkst du deine Gnade? Was ist los mit dir, Gott?“

Jona war zwar ein Prophet Gottes, der die Botschaft Gottes vertrat, jedoch ohne Gottes Anliegen zu teilen – die liebevolle Barmherzigkeit gegenüber dem Nächsten. Wenn wir ehrlich sind, haben wir mehr mit Jona gemein als wir denken.

Jona wollte Gott nicht Gott sein lassen

Indem Jona so sehr mit Gott hadert und sein Verhalten kritisiert, stellt sich Jona über Gott. Er glaubt, es besser zu wissen als Gott. Kennst du solche Gedanken? Ich schon. Vielleicht haben wir nicht immer den Mut, das so offen zuzugeben, aber ich bin sicher, jeder von uns hat schon innerlich mit Gott und seinen Entscheidungen gehadert. Man muss es Jona zugutehalten, dass er sich mit seiner Kritik direkt an Gott wendet.

Wir dürfen und sollen unsere Klage vor Gott bringen. Doch es besteht ein Unterschied zwischen klagen und anklagen. Wir müssen Gott immer noch Gott sein lassen. Manchmal gibt Gott uns erklärende Antworten, aber vor allem will er, dass wir auf ihn vertrauen, indem er uns daran erinnert: „Ja, die Gnadenerweise des HERRN sind noch nicht zu Ende, ja, sein Erbarmen hört nicht auf, es ist jeden Morgen neu … Gut ist der HERR zu denen, die auf ihn harren!“ (Klgl 3,22.25).

Die Voraussetzung dafür ist aber, dass wir unsere Zufriedenheit mit Gott nicht von dem abhängig machen, was er uns gibt. Es ist leicht, von Gottes Treue überzeugt zu sein, solange es uns gut geht. Vertrauen zeigt sich dann, wenn Gott uns kritische Phasen zumutet. Jona machte seine Zufriedenheit mit Gott von seinem persönlichen Wohlergehen und dem des Volkes Israel abhängig. Als er dies gefährdet sah, fing er an, sich gegen Gott aufzulehnen und ihn anzuklagen.

MAI 2024 | 7

Jona war selbstgerecht

Erinnern wir uns, dass Jona nur zwei Kapitel vorher Gott um Rettung angefleht hatte? Gott hatte sie ihm geschenkt, aus reiner Gnade! Jetzt könnte man meinen, Jona hätte all das vergessen. Warum sonst weigert er sich, den Niniviten Gottes Gnade zu gönnen, wo er sie selbst gerade erst empfangen hatte? In 4,2 wird deutlich, dass Jona Gottes Gnade nicht vergessen hatte. Doch Jona meint, es gäbe verschiedene Arten von Sündern: die „Guten“ und die „Bösen“, und weil er meint, zu den Guten zu gehören, fängt er an, sein Verhalten zu rechtfertigen! Hier zeigt sich, dass Jona äußerst selbstgerecht war.

Auch in diesem Punkt sind wir Jona nicht unähnlich. Natürlich sind wir fest davon überzeugt, dass niemand von uns sich Gottes Gnade verdienen kann, aber trotzdem gibt es doch Menschen, die viel schlimmer sind als wir, oder? Menschen, deren Sünde schädlich als unsere Sünde. Diese Denkweise ist durch und durch selbstgerecht. Von außen betrachtet hatte das gottlose Verhalgen der Niniviten sicherlich schädlichere Auswirkungen als Jonas Sünde. Aber Rebellion gegen Gott, so klein sie auch scheint, ist immer Sünde und verdient den Tod (vgl. Röm 1,29-31; 6,23).

Zur Erinnerung: Der Tod Christi geschah unseretwegen, aufgrund unserer Rebellion. Selbstgerechtigkeit ist eine überhöhte Sicht von uns selbst und eine niedrige Sicht auf Gott. Gibt es jemanden in deinem Leben, den du lieber verurteilt sehen würdest als begnadigt? Jemanden, dem du nichts Gutes gönnst? Oder gibt es Personen oder Situationen, bei denen du anfängst, dein sündiges Verhalten zu rechtfertigen? Wir alle können leicht in diese Falle tappen, wenn wir dem Evangelium nicht genügend Beachtung schenken. Hören wir deshalb auf Gottes Wort, wenn er zu uns redet, anstatt uns zu rechtfertigen und zu entschuldigen.

Doch was tut Gott eigentlich bei alldem? Er stellt Jona nur eine selbstreflektierende Frage: „Ist es recht, dass du so zornig bist?“ Gottes Geduld und Treue gegenüber Jona ist bemerkenswert. Doch anstatt auf Gottes Frage zu antworten, wendet Jona sich wortlos ab, setzt sich in eine Ecke und hofft darauf, dass Ninives Umkehr nicht von

Dauer ist und Gottes Gericht vielleicht doch noch losbricht (4,5). Wie sehr unterschätzt Jona Gottes Souveränität und Gnade!

Wieder geht Gott ihm nach. Denn während dieser wartet, wird er von der lästigen Sonne gestört. Er baut sich eine Unterkunft, die ihm mehr schlecht als recht Schatten spendet. Und was tut Gott? Er arbeitet an Jona, bis er erreicht hat, was er erreichen will (vgl. Phil 1,6). Gott lässt eine Pflanze wachsen, die Jona Schatten spendet. Wieder zeigt Gott seine Allmacht über die Schöpfung. Der Fisch war die Lebensrettung, die Pflanze dient zur Verbesserung der Lebensqualität. Hauptziel dieser pädagogischen Pflanzen-Lektion ist aber: Jona soll sich in Gottes Lage versetzen.

Ja, richtig! Gott will nicht, dass Jona die Lage der Niniviten versteht, sondern seine – Gottes. Es gibt ein Sprichwort: „Du musst erst einhundert Schritte in den Schuhen eines anderen gehen, wenn du ihn verstehen willst.“: Solange man sich nicht bemüht, den anderen zu verstehen, kommt man nicht zusammen. Wenn zwei Menschen jeweils auf ihrem Standpunkt beharren und nicht bereit sind, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt des anderen hineinzuversetzen, sind kein Verständnis, keine Versöhnung, keine Gemeinschaft möglich.

Wie erstaunlich demütig erweist sich Gott hier, dass er sich mit seinem Geschöpf so auseinandersetzt.

Er versetzt Jona in die Lage, Freude zu empfinden, wie Gott sie empfand, als die vielen Sünder in Ninive von ihren bösen Taten abließen und vor Gottes Gericht bewahrt blieben; nur um ihn dann den Schmerz des Verlustes empfinden zu lassen, den Gott empfindet, wenn Sünder sterben. Gott macht deutlich: „Wenn du schon wegen einer kleinen Pflanze so einen Aufriss machst, wie viel mehr sollte mir an meinen Geschöpfen liegen, an Tausenden Menschen und unzähligen Tieren!“

HERR, bitte erfülle mich mehr mit deinem Geist und der Erkenntnis deiner Liebe, damit ich immer weniger Jona und immer mehr dir ähnlich bin. Denn so oft bin ich ein Prediger, der zwar deine Botschaft vertritt, aber nicht dein Anliegen teilt, dem es an barmherziger Liebe fehlt. Bitte verändere mich, zu deiner Ehre!

Benjamin Schmidt ist verheiratet mit Hanna und dreifacher Vater. Er ist Leiter der Herold-Schriftenmission und verantwortlich für die Zeitschrift „Herold“.

HEROLD ist eine monatliche Erweckungszeitschrift, die allein von ihren Lesern finanziert wird. Bezug (jährlich): 10,- € (D/A), bzw. 12,– sfr (CH)· Verleger: HEROLD-Schriftenmission e.V., Postfach 1162, D-35634 Leun • Redaktion: Benjamin Schmidt · redaktion@herold-mission.com Wir sind telefonisch für Sie wie folgt erreichbar: Mo, Mi, Fr von 9-12 und von 13-16 Uhr unter +49 (0) 6473 - 931 076 Oder über unsere Homepage unter www.herold-mission.com

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Satz und Gestaltung: HEROLD-Schriftenmission e.V. · Printed in Germany · Postverlagsort Köln

Verwendete Bilder dieser Ausgabe: Titelbild: Daniel Malikyar on Unsplash.com. © Die Urheberrechte liegen bei den jeweiligen Autoren der Artikel. Vervielfältigungen der Texte sind nicht gestattet! Der Verteiler (nicht der Herausgeber) übernimmt die Verantwortung bei unzulässiger Verbreitung.

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