Liebe Freund*innen der Musik
Das Ritual der alljährlichen Abschlusskonzerte unserer Studierenden ist nahe: Einmal mehr dürfen wir voller Stolz unzählige Konzert- und Performance-Programme mit Ihnen teilen. A propos Ritual: der englische Musikethnologe Stephen Cottrell vergleicht den künstlerischen Akt gerne mit dem Ritual eines Schamanen! Und tatsächlich: Ob als Interpret*in, als Instrumentalist*in oder Sänger*in, als Komponist*in oder Improvisator*in, als Vermittler*in oder Forscher*in – immer stellen sich die Studierenden auf eine Bühne des inneren und äusseren Kontakts. Gegen innen weist die im Studium reifende Versenkung tief hinein in die Welt des komponierenden «Geistes», um daraus wieder mit neuen Erkenntnissen aufzusteigen. Gegen aussen verbinden die Künstler*innen sich mit dem Publikum und bilden für die Dauer des musikalischen Vortrags (vielleicht sogar länger) eine Gemeinschaft mit den Zuhörenden. Darin verbirgt sich tatsächlich eine Anlehnung ans Schamanentum: Hier wie dort geht es um das Verlebendigen von Vergangenem, um die Gestaltung von Zeit, um das Aufspüren von Fährten für ein neues Verständnis seiner selbst. Ganz besonders schön finde ich jedoch die Parallelen zwischen der Zuhörerschaft im Konzert und der erwartungsvollen Gemeinde, die einen Schamanen umgibt. Tatsächlich könnte man meinen, dass sowohl eine musikalische Interpretation als auch ein heilender Gestus erst dann ihre Vollendung finden, wenn sie bei den Anwesenden angekommen sind und aufgenommen wurden. Dabei kommen Sie, verehrtes Publikum, zum Zug: Durch Ihr Mit-Hören, Ihr abwägendes inneres Mitspielen wird ein Bogen geschlossen zwischen dem Werk und seiner wie auch immer von unseren Studierenden übersetzten Bestimmung.
1 VORWORT