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Hochschule der Künste Bern HKB
September 2021 4 × jährlich
HKB-ZEITUNG
SEPTEMBER 2021
HKB-Zeitung
N°3/2021
LIEBE LESERINNEN UND LESER DER HKB-ZEITUNG Das Internet hat für jede auch so kleine Nische eine Definition parat. Der Begriff «Nische» stamme vom französischen niche und stehe, lehrt uns das öffentliche Lexikon Wikipedia, erstens für «Wandnische im Rahmen des Bauwesens», zweitens für «Marktnische im Rahmen der Wirtschaftswissenschaft» und drittens für «Nischenkultur im Rahmen der Subkulturforschung». Wunderbar – klingt überzeugend: Alles hat seinen Rahmen. Es stellt sich eigentlich nur die Frage, in welchen Rahmen welche Nische gestellt wird. Dass die Angelegenheit nicht so einfach ist, hat die Redaktion der HKB-Zeitung bald einmal realisiert, als sie sich näher mit Begriff Nische befasste. Zu Beginn stand das Projekt «Nischen», welches die Künstlerin und HKB Dozentin Tine Melzer aus Anlass des Themenjahres 2021 Natur braucht Stadt zur
Biodiversität im Stadtraum Bern realisiert hat (siehe Seite 8). Wir sind tief in die Begriffsgeschichte und -philosophie eingestiegen und haben den Wissenschaftsjournalisten Roland Fischer gebeten, uns auf diese Reise zu nehmen. Lesen Sie, im ersten Bund, über die erstaunliche Bedeutungskarriere eines Begriffs, der gerade in der Kunst immer populärer wird. Dass mit dem Semesterstart am 20. September auch die HKB wieder auf Hochtouren kommt, erfahren Sie im zweiten Bund dieser HKB-Zeitung. Lesen Sie, wie Kultur für Kinder geht, wie Düfte designt werden und wie Sie nachhaltig einkaufen können. Auch in diesen Nischen ist die HKB unterwegs. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre. Christian Pauli, Leiter Redaktion HKB Zeitung HKB aktuell
Thema: Nischen 3 Von der grossen Einsamkeit der Nische von Roland Fischer 5 Finde deine Nische? Nein, bau sie dir! von Florian Wüstholz 6 Flucht in die ökologische Nische von Roland Fischer
8 Ins Gasthaus zur Nische von Tine Melzer 10 Die weisse Seite des Mondes von Mirko Schwab 11 «Man muss sich eine Nische schaffen» Interview mit Robin Meier
13 «Nur machen, was mich interessiert.» Interview mit Hartmut Abendschein 15 Kunst am Bau – Kunst für die Nische? von Luise Baumgartner
16 Stellungnahme von Hansruedi Weyrich
21 Veranstaltungen 22 Ausgezeichnet: Stefan Ebner 23 Zu Gast: Nicola Pozzani 24 Absolvent*in im Fokus: Belia Winnewiser
24 Student*in im Fokus: Florian Jakober 25 Rückblick: CAP-Diplomfestival 27 Ein Studiengang stellt sich vor: CAS Kulturelle Bildung 28 Schaufenster – Arbeiten aus der HKB
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EINE BEGRIFFSGESCHICHTE UND EINE GESELLSCHAFTSKRITIK: WIE ES DAZU KAM, DASS DIE NISCHE ALS SYMBOL LANGE IN EINER NISCHE BLIEB UND WAS IHRE KARRIERE MIT DEM ALLGEGENWÄRTIGEN WETTBEWERBSDENKEN ZU TUN HAT.
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TEXT: ROLAND FISCHER *
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Der Graph zeigt das Vorkommen des Wortes Nische in deutschsprachigen Büchern in den letzten 200 Jahren. Quelle: books.google.com/ngrams
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1700
Vor dem 18. Jahrhundert fristet der Begriff Nische ein Nischendasein.
1750
1800
1850
Nach 1750 taucht die Nische häufiger, aber ausschliesslich im architektonischen/ kunsthistorischen Kontext auf.
Die Nische. Klingt irgendwie gemütlich, nach einer Ecke, in die man sich verkriechen möchte, einem gut geschützten Winkel. Ein Nest wohl, dem ursprünglichen Sinn nach: Das Wort geht auf lateinisch nidus, Nest, zurück – im 17. Jahrhundert wurde es vom französischen niche entlehnt. Aber die Wortherkunft ist umstritten. Ein wenig verborgen ist das alles, nicht leicht einzusehen. Und auch eher nebensächlich, als architektonisches Detail. Aus der Kunstgeschichte heraus hätte die Nische wohl kaum eine grosse Karriere gemacht. Aber zum Glück kam da die Biologie und vor allem die Ökologie, im 19. und im 20. Jahrhundert. Da wurde die Nische plötzlich sehr zentral als Denkfigur, sie wurde gewissermassen zum Legostein, aus dem man konzeptuelle Paläste gebaut hat. Denn ohne schützende Nische geht es nicht, wenn Natur als grosser Wettbewerb gedacht wird. Und spätestens seit Darwin lässt sich Natur kaum mehr anders denken. Alle gegen alle, der Stärkere gewinnt. Rückzug! Die Nische bietet Schutz vor der Konkurrenz. Dass es vor gut vier Jahrzehnten eine heftige und bis heute andauernde Kontroverse um das Primat der competition in ökologischen Zusammenhängen gab, hat man ausserhalb der Fachzirkel kaum mitbekommen. Denn inzwischen hatte das Wettbewerbs- und Nischendenken weiter Karriere gemacht. Im gesellschaftsökonomischen Kontext ist es längst zur leeren Phrase geworden, die aber nach wie vor unbedingte Deutungshoheit hat – man kann das seltsam finden oder folgerichtig. 70ER-JAHRE: PAUL FEYERABEND MIT ANYTHING GOES! Lässt sich unsere dauernde Busyness überhaupt noch als mutualistische Koexistenz denken statt als händereibendes Geschäft, bei dem eine*r der Beteiligten einen Gewinn einstreicht und der oder die andere den Kürzeren zieht? Und höchstens in der Nische überleben kann? Warum denken wir Natur als Wettbewerb? Wissenschaftliches Wissen entsteht nicht im leeren Raum, das gilt für ökologische wie für ökonomische Zusammenhänge. Bei Letzteren ist uns das irgendwie selbstverständlich – dass das aber auch für naturwissenschaftliche Erkenntnisse gilt, ist eigentlich erst den Wissenschaftsphilosoph*innen klar (und manchen Querköpfen, aber leider aus den falschen Gründen). Dabei ist es ein epistemologischer Allgemeinplatz: Spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zersetzte sich die Vorstellung, dass die Wissenschaft eine neutrale Faktenmaschine sei, die absolutes Wissen fabriziert. Aufgezeigt hatte das bereits der Mediziner Ludwik Fleck, der 1935 als Erster forderte, Erkenntnistheorie müsse unbedingt die historischen und sozialen Faktoren berücksichtigen, durch die Erkenntniskriterien geformt
1900 1859 erscheint Darwins Origin of the Species. Einen unmittelbaren Einfluss auf die Häufigkeit, mit der von Nischen gesprochen wird, hat das nicht. Ganz im Gegensatz zu competition, das ab diesem Moment eine beispiellose Begriffs-Karriere hinlegt.
1950 1917 publiziert Joseph Grinnell einen Forschungsartikel zu niche relationships of the California Thrasher. Die ökologische Nische etabliert sich im Fachjargon.
2000
heute
In den 1960ern zündet die zweite Raketenstufe der Nische, mit der Übernahme der Metapher in den Wirtschafts- und Marketingkontext.
werden. Das führt zwingend zu einer Kontingenz solcher Erkenntnisweisen – der grosse Philosophieanarchist Paul Feyerabend sollte es den immer noch methodenverliebten Forschenden in den 1970ern als «Anything goes!» entgegenschleudern, mit vorhersehbarem (und durchaus beabsichtigtem) Resultat. Fleck hatte es nobler formuliert, er nannte, was er im Forschungsprozess am Wirken fand, «Denkstile». Natürlich ist auch Wettbewerbsdenken ein solcher Denkstil. Und die Nische gewissermassen Symbol des biologischen Wettbewerbs. Seit ein paar Jahrzehnten fragen sich die Fachleute, ob er seit Darwin nicht überbewertet wurde. Angestossen wurde die Kontroverse nicht allein aus weltanschaulichen Gründen, sondern weil die Ökolog*innen plötzlich ihren Legobaustein nicht mehr fanden, wenn sie ins Feld gingen: Wo waren denn die Nischen geblieben für all die Pflanzen und Tiere? Man fand eigentlich vor allem Vielfalten und gemeinsame Lebensräume. Aber statt dass das Nischenkonzept und die Idee eines tobenden Wettbewerbs im Zuge der ökologischen Kontroverse Risse bekommen hätten, wurde die Nische nur noch berühmter als Marktelement. Scheint also nicht so, als hätte der Sturm, vor dem man sich gern in eine Mauernische flüchtet, nachgelassen. Sind wir nicht alle Entrepreneure in eigener Sache geworden, das Finden der passenden Nische als Lebensaufgabe, Selbstverwirklichung als ökonomischer Imperativ? AGOREN STATT NISCHEN Robert Putnam hatte es schon zur Jahrtausendwende aufgezeigt, in Bowling Alone: America’s Declining Social Capital: Die Orte des sozialen Austauschs wurden immer weniger. Er hatte die Veränderungen in den USA seit den 1950er-Jahren im Blick, aber seine Analyse wurde umso berühmter, weil sie ungemein prophetisch war, was die digitale Gegenwart anbelangt. Es fragmentiert sich alles, und so richtig gemütlich wird es in den Nischen, die sich da auftun, nicht. Es wird je länger, je einsamer darin. Wir brauchen dringend soziale Treffpunkte, öffentliche Plätze, Agoren. Auch als andere, gemeinschaftlichere Denkstile. Der nächste Karriereschritt der Nische ist überfällig – es wird keine weitere Beförderung sein. Und die ewigen, ewig gestrigen Dealmaker – sie gewinnen eben nicht immer. Das lässt doch hoffen. * ROLAND FISCHER ist Wissenschaftsjournalist, Kurator und hat den ersten Bund der vorliegenden HKB-Zeitung mitgeplant.
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VON DER GROSSEN EINSAMKEIT IN DER NISCHE
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DYNAMISCH UND KÜNSTLICH GESCHAFFEN. WIE LEBEWESEN, UNTERNEHMEN UND ALGORITHMEN IHRE UMWELT UND DIE DARIN BEFINDLICHEN NISCHEN KONSTRUIEREN UND AUSNUTZEN. TEXT: FLORIAN WÜSTHOLZ *
Regenwürmer sind unauffällige Wesen. Meist verstecken sie sich im Boden, bei Regen liegen sie überfahren auf dem Veloweg und anschliessend vertrocknet am Strassenrand. Dabei haben sie mitgeholfen, die Evolutionstheorie ein bisschen auf den Kopf zu stellen. Diese besagt bekanntlich, dass diejenigen Individuen überleben und sich vermehren, die sich am besten in ihre Umwelt einpassen. Aber Regenwürmer nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Während sie im Boden herumkriechen, manipulieren sie dessen Struktur und Eigenschaften. Sie
lockern die Erde auf, verändern dadurch den Wasserfluss und die chemische Zusammensetzung der Umwelt. Das alles fördert das Wachstum von Pflanzen und sichert gleichzeitig das Überleben der Regenwürmer. Die unauffälligen Würmer aus der biologischen Ordnung der Wenigborster passen sich also nicht brav an eine vorgegebene biologische Nische an. Sie konstruieren stattdessen eine für sie selbst ideale Umwelt. So beeinflussen Regenwürmer durch ihr Verhalten die Bedingungen für die eigene
WIE NEUSEELAND EINE NISCHE KONSTRUIERTE Nischen gibt es nicht nur für Regenwürmer, Algen und Ameisen. Wir kennen die Kochnische oder die Wandnische. Und in der Betriebswirtschaft sprechen wir vom «Erkennen einer Marktnische» – wenn in einem Teilmarkt die Nachfrage das Angebot übersteigt. Auch hier wirkt es so, als seien Unternehmen vor allem damit beschäftigt, in ihrer Umwelt Nachfrageüberschüsse zu entdecken und mit einem angepassten Produkt abzuschöpfen; als ob eine Marktnische nur darauf warte, erspäht und ausgenutzt zu werden. Dabei wissen wir nur zu gut, dass die Nachfrage nach einem Produkt nicht unveränderlich und gottgegeben ist, sondern durch Werbung und Marktpsychologie aktiv beeinflusst werden kann. Mit anderen Worten: Auch in ökonomischen Märkten werden Nischen von uns konstruiert. Wer ein dreifach gehopftes IPA braut und an Craftbeer-Fans vermarkten will, bedient dabei nicht einfach eine ohnehin bestehende Nische. Stattdessen wird durch Werbung und Marketing ein Bedürfnis nach ebenjenem IPA geschaffen. Wo früher Brachland war, wird eine Nachfrage konstruiert, die dann mit dem passenden Produkt bedient werden kann. Ein Paradebeispiel dafür ist die 1999 lancierte Kampagne 100% Pure New Zealand, mit der Tourism New Zealand das Ziel verfolgte, den Tourismus in Neuseeland innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Damit das gelingen konnte, musste Neuseeland erst zur Marktnische werden. Der Kampagnenentwickler Maurice Saatchi wusste: Freundliche Locals, Sonnenuntergänge am Strand oder üppige Urwälder gibt es auch anderswo. Also musste eine emotionale Nische geschaffen werden: Reisende sollten bestimmte Gefühle, Erwartungen und Hoffnungen mit dem Land verknüpfen. Dabei konnte Tourism New Zealand an gängige Emotionen und Bedürfnisse anknüpfen: Im Zentrum stand der Wunsch nach Authentizität in einer Welt der Trugbilder und der globalisierten Gleichförmigkeit. «Es ist beinahe unmöglich geworden, eine bedeutungsvolle Differenzierung zu finden», erklärte Saatchi, um im perfekten Marketingjargon fortzufahren: «Aber Neuseeland ist anders. Es ist ein authentisches Land. Neuseeland kommt nicht bereits abgepackt und vorbereitet. Neuseeland ist echt.» INDIVIDUELL IN DER NISCHE Am Ende dauerte es zwar zehn Jahre, bis das Ziel erreicht war. Aber die Kampagne zeigt, wie einfach sich eine Nische konstruieren lässt. Und der ökonomische und der touristische Erfolg sprechen für die neuseeländischen Regenwürmer: «come now, do more and come back.» Was die Marketingschlaumeier wussten: Die Nische ist viel mehr als eine ökonomische Wettbewerbsstrategie. Viele von uns sehnen sich nach Individualität. Mit austauschbaren Produkten im Mainstream für Migros-, Coop-, Aldi- oder Lidl-Kinder lässt sich diese Sehnsucht aber kaum erfüllen. Wirkliche Emotionen und Loyalität können viel einfacher mit Nischenprodukten geweckt werden – sei es mit einem lokal gebrauten Biocraftbeer oder mit spezifischen Kompressionsstrümpfen fürs Trailrunning. Die für uns von Unternehmen geschaffene Nische hilft dabei, unsere Identität zu gestalten und uns dadurch von der Masse abzuheben. Wir trinken Club Mate
ALGORITHMEN SCHAFFEN NISCHEN Digitale Angebote und algorithmische Optimierung vereinfachen diesen Prozess gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen lassen sich schier endlos viele perfekte Nischen schaffen. Und zum anderen werden Menschen problemlos in jene Nische bugsiert, die ihrem Konsumverhalten am ehesten entspricht. So werden ständig künstliche Nischen für uns geschaffen. Und wir können fast nicht anders, als uns geschmeichelt zu fühlen in unserer Individualität. TikTok zum Beispiel erkennt unsere Interessen innert weniger Stunden und anhand von nicht viel mehr als hundert Interaktionen – wie lange hat man welches Video angeschaut, welcher Vorschlag hat gefallen, welcher nicht? Anschliessend liefert uns die App eine massgeschneiderte Auswahl an Videos, die haargenau der für uns kuratierten Unterhaltungsnische entsprechen. Das Wall Street Journal konnte unlängst zeigen, dass sich die Vorschläge anfangs noch im Mainstream bewegen, während der Algorithmus uns zu entschlüsseln versucht; dabei errät er erstaunlich schnell, welche Videos für eine Benutzerin interessant sind. Das Resultat: Wir werden mit Videos von Schnauzern, Crossfit-Übungen oder Gitarrensolos überschwemmt – immer mit dem Ziel, dass wir möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen, ob uns das nun glücklich macht – zu Beginn bestimmt – oder nicht. Auch auf anderen Plattformen der nicht linearen Unterhaltungsindustrie spielt die Konstruktion individualisierter Nischen eine zentrale Rolle. Auf YouTube werden uns Videos empfohlen, die unserem Konsumverhalten vermeintlich entsprechen, dasselbe gilt für Netflix. Welche Bücher und Empfehlungen wir auf Amazon zu sehen bekommen, bestimmen Algorithmen, die darauf getrimmt sind, eine für den Konsum optimale individuelle Nische zu erkennen – oder eben: zu konstruieren. Kein Wunder, glauben einige seit dem Aufkommen digitaler Märkte, dass die Zukunft ganz und gar den ökonomischen Nischen gehört. Unternehmen müssten versuchen, den long tail abzudecken – jene Unmengen an Nischenprodukten, die im analogen Raum schlicht nicht rentabel sind. Im digitalen Markt könne ein signifikanter Anteil des Umsatzes mit Nischenprodukten erreicht werden, schrieb der WiredAutor Chris Anderson 2006 in seinem Buch The Long Tail: Why the Future of Business Is Selling Less of More. Während eine CD in einem physischen Regal Platz einnimmt und damit Kosten verursacht, kostet das digitale Bereitstellen von ein paar Songs ungleich weniger «Miete». Jedes Mal, wenn der Song heruntergeladen oder gestreamt wird – egal wo und von wem, egal wie selten – entspricht das einem ökonomischen «Win». Eine CD im Geschäft muss dagegen ein paar Mal verkauft werden, bevor sie zu rentieren beginnt. Denkt man sich den Long Tail mit der Theorie der Nischenkonstruktion zusammen, kommt einiges an Manipulationspotenzial zusammen: Stichwort Microtargeting und Narrowcasting. Marketingexpert*innen verkaufen bekanntlich nicht nur Produkte, sondern auch politische Programme. Wenn sich Nischen so leicht konstruieren lassen – und zwar nicht von den Nischenbewohner*innen selbst, sondern von Akteur*innen, die damit ihre eigenen Ziele verfolgen –, dann brauchen wir neue Strategien der Emanzipation. Vielleicht liegt die neue Authentizität ja mitten im Mainstream.
* FLORIAN WÜSTHOLZ ist freier Journalist und schreibt über Digitalpolitik, alternative Gesellschaftsmodelle und Umweltbewegungen.
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statt Coca-Cola. Wir unterstützen den FC Winterthur statt Real Madrid. Und wir tragen On-Schuhe statt Nike-Sneaker. Analog zur Theorie der Nischenkonstruktion können unsere Emotionen dabei mit Werbung und geschicktem Marketing so beeinflusst werden, dass unser Konsumverhalten perfekt in die durch das Produkt überhaupt erst geschaffene Nische «passt».
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FINDE DEINE NISCHE? NEIN, BAU SIE DIR!
Evolution. Das tun natürlich nicht nur Regenwürmer. Biber bauen Dämme und verändern den Wasserlauf von Flüssen zu ihren Gunsten, Kieselalgen scheiden chemische Stoffe aus, die ihre Umwelt stabilisieren, Insektenstaaten bauen Hügel, in denen sie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtintensität regulieren können. Und Zitronenameisen betätigen sich als Försterinnen, indem sie fürs eigene Überleben ungeeignete Bäume mit Säure bespritzen, um deren Wachstum zu regulieren. Überall in der Natur zeigt sich, dass die Beziehung zwischen Lebewesen und Umwelt wechselseitig und dynamisch ist. Nischen sind nicht einfach da. Sie werden oft aktiv geschaffen und manipuliert. Die entsprechende Theorie niche construction theory gibt es seit etwa fünfzig Jahren. Und sie ist ein Frontalangriff auf die Idee, dass unsere Umwelt mit starren Nischen besiedelt ist, die besetzt und ausgenutzt werden. Evolutionäre und ökologische Prozesse sind viel flexibler und können durch Individuen aktiv beeinflusst werden. Entsprechend schreibt der Evolutionsbiologe und Mitbegründer der Theorie der Nischenkonstruktion Richard Lewontin: «Organismen passen sich nicht ihrer Umwelt an, sie konstruieren diese aus den Versatzstücken ihrer Aussenwelt.»
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FLUCHT IN DIE ÖKOLOGISCHE NISCHE
DIE NISCHE BRAUCHT UNS NICHT, ABER WIR BRAUCHEN SIE. VOM ÖKOLOGISCHEN DENKEN IN DER ÖKONOMIE – UND VICE VERSA. ODER WARUM DER BIOLOGE CHARLES DARWIN DEREINST DEN ÖKONOMEN ADAM SMITH ABLÖSEN KÖNNTE. TEXT: ROLAND FISCHER In Darwins On the Origin of Species kommt der Begriff «Nische» nicht vor. Das ist ein wenig erstaunlich, ist die Nische doch ein zentrales Konzept im Feld der Evolutionstheorie. Tatsächlich verdankt sich der Aufstieg des Nischenkonzepts einem grossen Paradox, das Darwin seinen Erben hinterlassen hat. Wenn sich doch überall ein «Great battle of life» abspielt, wie Darwin schreibt, wenn man sich die Natur also als grosses Schlachtfeld vorzustellen hat, mit Konkurrenten, die einander nicht schonen, warum dann finden wir überall eine grosse Vielfalt an Lebewesen? Das «Paradox of the Plankton», kaum jemandem ein Begriff, hat im Fachgebiet der Ökologie einen festen Platz. Man könnte auch sagen: Es ist der böseste Stachel im Fleisch der Biologie – und die Forscher*innen bekommen ihn einfach nicht zu fassen, er plagt sie nun schon seit gut hundert Jahren. Aber von Anfang an … Schon vor Darwin fanden Forscher deutliche Worte für die Unerbittlichkeit der Natur: Der Schweizer Botaniker Augustin-Pyrame de Candolle schrieb als Erster von einem «Krieg» der Pflanzen, alle gegen alle. Darwin nahm das gleich als Motto für sein Opus magnum: «Alle Natur befindet sich im Krieg miteinander oder mit der äusseren Natur.» Herauszufinden blieb, «[...] why one species has been victorious over another in the great battle of life», das war gewissermassen die grosse Forschungsfrage, die Darwin sich selber stellte. Beschreiben liess sich das als «economy of nature», was sich direkt auf die berühmte Oeconomia Naturae von Carl von Linné bezog. Aber erst mit Darwin bekam diese einen ökonomischen Anstrich im heutigen Sinn: Die Natur, beschrieben als Marktplatz, als grosser Wettbewerb aller gegen alle. Vor den Evolutionsdenkern war die Naturökonomie teleologisch, folgte also einer inneren Ordnung, sie war keineswegs anarchisch wie eine libertäre Marktwirtschaft. Die dazu passende Denkfigur war ein grosser, wohlgeplanter Organismus beziehungsweise ein Räderwerk, in dem die einzelnen Teile natürlich nicht gegeneinander arbeiteten, sonst wäre die schöne Konstruktion (für die es, versteht sich, auch einen Konstrukteur brauchte) rasch auseinandergefallen. DENKEN IN POPULATIONEN Auch Darwin war ursprünglich noch stark von diesem alten Denken geprägt, die brutale Konkurrenz drang erst im Laufe einiger Überarbeitungen in seine Evolutionslehre hinein. Entscheidend dafür sollte vor allem die Lektüre von Malthus’ Essay on the Principle of Population sein. Dieser hatte die (aufgeklärte) europäische Intelligenzia zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mit purer Mathematik das Fürchten gelehrt. Er war gewissermassen der erste Populationsbiologe und Wachstumsskeptiker, indem er modellierte, wie Populationen wachsen (exponentiell) und wie die Ressourcen da nicht Schritt halten können, egal wie man es anstellt (linear). Er meinte vor allem den Menschen und wollte seine Aufsätze ausdrücklich als Warnung verstanden wissen – man erinnert sich an Malthus vielleicht auch deshalb, weil er alle Wohlfahrtsprogramme, jede Hilfe für die Armen ablehnte. Er wollte die limitierenden Faktoren des Bevölkerungswachstums ganz konkret und gnadenlos am Werk sehen. So zynisch das für uns heute klingt, sein Aufsatz – der übrigens auch von biologischen Ideen inspiriert war, Biologie und Ökonomie waren in diesen politisch wie intellektuell turbulenten Zeiten nicht weit voneinander entfernt – definierte das Denken über Populationen, was sich auch bei Darwin niederschlug. Seither ist die Ökologie von diesem unerbittlichen Kampf um Ressourcen geprägt – und je besser man das alles mathematisch modellieren konnte, umso stringenter sah es aus. Wenn im selben Lebensraum zwei Arten leben, die von denselben Ressourcen zehren, die eine das aber ein wenig erfolgreicher als die andere macht, dann braucht man nur die evolutive Mechanik laufen zu lassen und man wird sehen: Über kurz oder lang wird die erfolgreichere Art die andere verdrängt haben – the winner takes it all. Bloss wenn jede Art sich in ihre eigene Nische verkriechen kann, hat sie eine Chance; Koexistenz ist in diesem Denkschema nicht vorgesehen. Bis die Nische explizit in der Fachliteratur auftaucht, sollte es noch eine Weile dauern. Erst 1917 verwendete Joseph Grinnell den Begriff im heutigen, ökologischen Sinn. Das Konzept indessen wurde immer dominanter: Nochmals fast fünfzig Jahre später formuliert Garrett Hardin in einem brillant geschriebenen Essay, The Competitive Exclusion Principle, dass eine von zwei Arten in direkter Konkurrenz das Feld räumen muss; im Westernjargon würde man
sagen: «This niche ain’t big enough for the both of us.» Das Prinzip bringt die Oeconomia Naturae endlich auf den Punkt – aber wie es so ist mit Prinzipien in der Wissenschaft: Sie mögen als Konzepte sehr plausibel sein, einer Probe aufs Exempel halten sie oft nicht stand. Steve Hubbell, ein weiterer mathematisch sehr versierter Ökologe und ausdrücklicher Kritiker kompetitiver Modelle, meinte unlängst in einem Interview: «The other thing is that we hardly ever observe competitive exclusion – one species driving another extinct.» Basiert da etwa eine ganze Wissenschaft auf einem Prinzip, das so gar nicht zu beobachten ist? DAS PARADOXON PLANKTON Deshalb auch das Plankton: Es gibt kaum ein schöneres Beispiel für ein Ökosystem, das kaum Nischen kennt. Und trotzdem vielen verschiedenen Arten einen Lebensraum bietet. Hubbell war mitverantwortlich dafür, dass das Paradox nicht einfach ein Streit zwischen Theoretiker*innen und Empiriker*innen blieb. Er fand andere mathematische Modelle, die die Verteilung von Arten ebenso gut erklären, mit zufälligen Fluktuationen statt einem «battle of life». «Neutral Theory» nannte er das, ein mathematisches Konzept, das davon ausgeht, dass es keine Reproduktionsvorteile in einer Population oder zwischen verschiedenen Arten gibt. Wider Erwarten lässt sich mit einer solchen «neutralen» statt kompetitiven Theorie auch ziemlich gut beschreiben, wie die Biodiversität da draussen in der wirklichen Natur aussieht. Eine solche Theorie kommt entsprechend auch ganz ohne Nischen aus – die Verteilung der Arten ist ein Spiel des Zufalls, ein auf und ab, kein unerbittlicher Kampf mit eindeutigen Gewinnern und Verlierern. Wurde also die Bedeutung von «competition» gegenüber «coexistence» überschätzt, anderthalb Jahrhunderte lang? Oder muss man einfach besser suchen, dann findet man die Nischen am Ende schon? Letzteres ist nach wie vor Lehrbuchmeinung, die «Neutral Theory» hat einen schweren Stand. Die Nische lebt, allerdings ist sie zu einem sehr abstrakten Begriff geworden, in Lehrbuchdefinition klingt das so: «Niche: an n-dimensional hypervolume defined by axes of resource use and/or environmental conditions and within which populations of a species are able to maintain a long-term average net reproductive rate that is R>1.» Die Kontroverse dauert an, aber eines ist klar: So leicht ist dieses Hypervolumen «Nische» nicht aus der Welt zu schaffen. Vor allem, weil längst ein weiterer Fachmann aufgetaucht war, um ihr nochmals ganz neue Felder zu eröffnen. Wobei – es war ja eigentlich bekanntes Terrain. Von der Wirtschaft zur Biologie und wieder zurück. Nun aber, in den 1960ern, unter etwas anderen Vorzeichen: Ökonomie war nicht mehr politisch, sie war individualistisch. Es war die grosse Zeit der Marketingtheoretiker. Bernt Spiegel, eigentlich Psychologe und später Verfasser einer Motorradfahrbibel, prägte das Konzept der Marktnische – bis heute ist die «Marktnische» im Deutschen sehr viel geläufiger als im Englischen. Es verwundert nicht, dass man es mit derselben Begriffsunschärfe zu tun hat wie in der Ökologie – und mit denselben empirischen Problemen: Treffen wir nicht in jedem Supermarkt eine erstaunliche Vielfalt ähnlicher Marken an? Man denke nur an ein durchschnittliches Wein- oder Wurstregal. Wie auch immer: Die Marktnische war als Chiffre mindestens ebenso erfolgreich wie die ökologische Nische.
SPIEGELKABINETT DES DENKENS Ökonomie als evolutiver Prozess gedacht – auch hier gab es natürlich Vorläufer, der wichtigste von ihnen wohl Joseph Schumpeter. 1911 unternahm der Ökonom mit seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung den Versuch, den Ursprung und das Werden des Kapitalismus zu erklären, wobei er explizit auf evolutive Konzepte und den dort dominierenden Wettbewerb Bezug nimmt. Die sich daraus entwickelnde sogenannte Evolutionsökonomik bricht mit der Idee eines anzustrebenden Gleichgewichtszustands im Markt. «Ein permanenter Wettbewerb zwischen Produkten, Dienstleistungen, Unternehmensformen und sogar Wirtschaftssystemen sorgt dafür, dass nur jene Wettbewerbsteilnehmer weiterbestehen können, die den jeweiligen Umweltanforderungen entsprechen und sich an die laufend wechselnden Wettbewerbsbedingungen anpassen», so der dazugehörige Wikipedia-Eintrag. Geistesgeschichtlich haben wir es rund um die Nische also mit einem Resonanzraum und Spiegelkabinett biologischen und wirtschaftlichen Denkens zu tun. Über die Jahrhunderte gab es Inspirationen in die eine wie in die andere Richtung. Manche Expert*innen sehen insofern auch Darwin als Proto-Ökonomen. Berühmt geworden ist zum Beispiel die Formel des Biologen Stephen J. Gould, Darwins Theorie sei nichts anderes als «the economy of Adam Smith transferred to nature». Adam Smith war bekanntlich der grosse Marktderegulierer aus dem 18. Jahrhundert, Darwin hatte ihn natürlich gelesen. Und wer weiss, vielleicht wird der zunächst eher zögerliche Biologiewettbewerber den grossen Vordenker sogar noch überflügeln? Robert H. Frank, Wirtschaftskolumnist der New York Times, schrieb vor ein paar Jahren ein Buch, mit dem er eine «Darwin Economy» begründen wollte. Dessen Untertitel: Liberty, Competition, and the Common Good. Seine Prognose: In hundert Jahren werde Charles Darwin als grösster Ideengeber in der modernen Ökonomie anerkannt sein, womit er nicht nur Urvater der heutigen Biologie wäre, sondern auch noch Adam Smith als Begründer der Wirtschaftslehre ablösen werde.
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INS GASTHAUS ZUR NISCHE WIR GEHEN AUF DEM LAND IN GASTSTÄTTEN, DIE ZUM WILDEN EBER HEISSEN, ZUM GOLDENEN HORN,¹ ABER NIE FINDEN WIR EINKEHR IM GASTHAUS ZUR NISCHE. DABEI WÄRE DAS DER BESTE ORT, UM AUSZURUHEN UND KRÄFTE ZU SAMMELN.
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TEXT: TINE MELZER *
Wie immer passen Begriffe aus der Alltagssprache an alle möglichen Orte und Kontexte. Die Nische ist so ein Wort, das sich einnistet, das immer Wege findet, dabei zu sein, mitgemeint zu sein. Wer Nische sagt, kann fast nicht anders, als etwas mit-zu-meinen, worin das Wort ganz wichtig wird, überlebenswichtig. Und persönlich. Vielleicht weil es eine Theorie stützt, wie bei Charles Darwins Evolutionstheorie, die das Konzept der ökologischen Nische zwingend braucht, um sich mit dem Paradox der Artenvielfalt arrangieren zu können. Die Evolution sortiert gnadenlos aus – wo sonst ausser in der Nische sollten sich die Schwachen bis heute erhalten haben? Jedenfalls verspricht der Begriff der Nische Hoffnung auf Schutz und Sicherheit. Eine Nische ist ein kleiner Ort, gerade gross genug für uns selbst oder jene, die uns wichtig sind. Nischen können Becken sein, Höhlen, Löcher, Gruben, Gräben, Krater und Dellen. Eine Nische ist Senke und Vertiefung, Trichter und Kuhle. Ein Einbauschrank ist die häusliche Nische des guten Geschmacks. Schlupfwinkel, Spalten, Vorsprünge und dunkle Ecken. Wenn es regnet, suchen wir in Hauseingängen Schutz.
Die Natur ihrerseits ist voll mit Nischen. Wir denken an den Kaninchenbau, den Fuchsbau sogar, an ein Schneckenhaus als mitgebrachte Nische, ein mobiles Zuhause. Bei Nischen assoziieren wir Feuchtes und Dunkles. Denn das haben alle Nischen gemeinsam: Es kommt wenig Licht dorthin. Es ist kein Platz an der Sonne. Es ist etwas dunkel und undeutlich. Auch Geschlechtskrankheiten finden in Nischen statt, an schamvollen Orten, weniger hell, weniger gefegt vielleicht, intim jedenfalls. Libelleneier, Vaginalpilze, Kleinkriminelle – hier fühlen sie sich wohl. Nischen sind etwas unheimlich, wenn es nicht unsere eigenen sind. Der Subkultur ist das unten schon eingeschrieben, das Präfix sub-, es passt: ein Ort für Minderheiten, für Kenner und Ein-
geweihte. Bei der Kirche wiederum sind die Nischen und geweihten Orte diejenigen, die wenigen vorbehalten sind. Ein Tabernakel ist oft in die Wand versenkt, auch Gräber sind in Mauern und Böden eingelassen, die Insekten und Wühler sind willkommen. Nischen sind auch Orte der Gesetzlosigkeit, Orte, in die die Gesetze noch nicht gelangt sind. Sie werden gebraucht von zu Recht oder zu Unrecht geächteten Menschen und Lebensformen (je nach Zeit und Struktur), die also nicht teilnehmen dürfen am echten, hellen Leben, denjenigen, die sich durch die Liebe, den Nachwuchs, die Verbundenheit mit den Falschen schuldig gemacht haben.
In der Wand kann die Nische der Statue von Mutter Maria einen festen Platz geben, ohne anderem Platz streitig zu machen. Eine architektonische Nische ist ein Gewinn ohne Verlust, ein Raum ohne Platzverbrauch: Etwas kann abgestellt, abgelegt, angedeutet werden, verstärkt und gezeigt, ohne wieder nur die Schwerkraft des Bodens zu bemühen. Alles in Nischen scheint zu schweben. Man müsse ja nur die «richtige Nische» finden, ruft der Marketingcoach, denn dort sei noch niemand. Und schliesslich wird jeder Winkel ausgeleuchtet und ausgebeutet sein und alle machen Profit, gibt es doch beinahe unendlich viele Nischenbedürftige im Kundenspektrum. In der Welt der liberalen Marktwirtschaft wird die soeben entdeckte Nische nicht mehr als dunkel und feucht, sondern als gerade entblösst, beleuchtet, aufgewertet und sogenannt «unentbehrlich» vermarktet. Einmal mehr schaffen es zeitgenössische ökonomische Modelle und deren Jünger, tradierte Wertbilder auf die Schnelle überzubelichten und durch ein hell umrissenes Profil zu ersetzen. Die Dunkelheit der Nische wird entzaubert und als strahlendes kurzlebiges Produkt verkauft. Das Heilsversprechen liegt in der Verkäuflichkeit.
DOWN THE RABBIT HOLE Alice im Wunderland² geht down the rabbit hole, nicht nur eine Nische ohne Rückwand, aber doch ein Versteck, das weiterführt in diese Geschichte. Der Autor des Werks selbst schafft sich mit dem Verfassen seiner Storys eine Nische für das Begehren zur minderjährigen Nachbarin Alice. Die Kindergeschichte wurde uns von diesem alten weissen Mathematiker in guter Sublimierungsweise hinterlassen. Sie wurde zur Nische für die Beschäftigung mit dem verbotenen Objekt. Das ist unschön, aber trotzdem wahr. Nischen bewahren Dinge und Narrative für uns auf, weil sie nicht ans Licht können, Geheimnisse sind und nur in Nischen sicher. Nischen sind Verstecke und Kerker für Verbotenes, Unliebsames, Verkanntes, Verdrängtes. In den bildenden Künsten gibt es berühmte sichtbare Nischen. Der wahrnehmungswahnsinnige britische Künstler Anish Kapoor ³ hat es uns oft vorgemacht: Seine Werke bringen unseren optischen und sensuellen Apparat an die Grenzen. Im Museum De Pont in Tilburg ist ein dunkles Loch im Boden eingelassen, dessen Tiefe unser körperliches Sensorium nicht abzuschätzen vermag. Ebenso gibt es Wandreliefs, die sich nicht als solche preisgeben: mannsgrosse konkave Wandansichten, deren Glätte und Helle keine Grenzen des sichtbaren Feldes zeigen. Diese schwindelerregenden Seherfahrungen sind Werke von Nischen, unklare Vorschläge von Vorsprüngen und Eindruck.
DIE BESENKAMMER DER ARCHITEKTUR Ähnlich die Besenkammer in der Architektur: ein Ort zur Aufbewahrung dessen, was gebraucht, aber nicht gezeigt wird – der Handbesen, heute der Staubsauger, der Wäscheständer, die Doppelsteckdose. Gaston Bachelards Poetik des Raumes ⁴ kommt vorbei und besucht die alltäglichen Räume der menschlichen Behausungen bis hin zur Schublade. Zugegeben, eine recht kleine Nische, aber auch dort: Ort der Geheimnisse, der Liebesbriefe, des Memorysticks, des zweiten Mobiltelefons, der Harddisc, der Schlüssel zum Schliessfach, der Zugangscodes – Geheimversteck für ein zweites Leben, ein Platz für Vergessenes, der geschätzten Nachlässigkeit. Weiter das Tablar im Schrank der heutigen Frauen: der Ort der Tampons und Binden, der diskret weggeschafften Menstruationsüberbleibsel. Eine Nische ist auch der Raum unter dem Waschbecken, hinter
der Waschmaschine, unter dem Spülbecken, hinter der Tür. Im Keller immer dort, wo es am dunkelsten ist und im Wohnzimmer nur dort, wo die Kabel zusammenkommen.
Kulturhistorisch kommen wir auch an der Falte nicht vorbei. Dieser Begriff, von Leibniz bewirtschaftet und dann aufs Neue beseelt von Gilles Deleuze⁵, diese kleine vorläufige Hülle, der kleine Ort für kurze Dunkelheit. Die Falte als fallendes Dunkel am Körper der gewandeten Menschen, in den Räumen die Falten der Vorhänge, die die Aussicht zudecken und rahmen zugleich. Der beste Ort für ein kindliches Versteckspiel. Eine ganze Zeitung zur Nische beleuchtet und entweiht einen Ort, der bisher unerkannt vor sich hin stauben konnte. Die Nische als souveräner Ort der Ambiguität, der Mehrdeutigkeit, ist ein willkommenes Risiko. In der Installation «Nischen» wird sie als autonome Kleinigkeit überleben. Die künstlerische Arbeit Nischen ist eine Geste des Trotzes am helllichten Tag⁶. ¹ Tine Melzer / David Zürcher: So sieht das Land aus. In: Sich in Sprache Begegnen. Delmenhorst: Städtische Galerie. 2020. S. 96–99. ² Lewis Carroll: Alice in Wonderland. New York City: Macmillan. 1898. ³ Anish Kapoor: Descent into Limbo (1992). Museum De Pont, Tilburg. ⁴ Gaston Bachelard: Poetik des Raumes. Berlin: Fischer. [1957]. 1987. ⁵ Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2000. ⁶ Bildnachweis: Tine Melzer: Nischen. Installation im öffentlichen Raum. 2021. Kultur Stadt Bern, Bio-divers. KiöR. → tinemelzer.eu/nischen
* TINE MELZER ist Künstlerin und Dozentin an der Hochschule der Künste Bern
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DIE WEISSE SEITE DES MONDES AUF EINER AUSFAHRT IN DEN AQUAPARC IN DER ROMANDIE: NACHDENKEN ÜBER DAS POPKULTURELLE VERHÄLTNIS VON NISCHE UND MAINSTREAM. UND JE LÄNGER ER NACHDENKT, DESTO MEHR FRAGT SICH MUSIKER UND AUTOR MIRKO SCHWAB*, WAS DAS ÜBERHAUPT SEIN SOLL – EINE NISCHE?
Neulich hat mir ein schüchterner Freund, den ich leider nur ab und zu treffe, von einem Ausflug in den Aquaparc erzählt. Ich habe ihn nicht gefragt, wie er überhaupt dazu gekommen ist, nach Le Bouveret zu reisen, ans Ostende des Genfersees, ich hielt es für eine zu persönliche Frage. Der verdammte Aquaparc in Le Bouveret: Ist Langenthal schon lange synonymisch für den Schweizer Durchschnitt, wie er einkauft, so ist Le Bouveret so etwas wie die Mainstreamschweiz auf dem Tagesausflug. Oder das Eldorado des White Trash mittelständisch-helvetischer Prägung. In Bouveret gibt es den Swiss Vapeur Parc, mit Eisenbahnen zum Draufsitzen und heimatlichen, kleinmassstäblichen Sehenswürdigkeiten zwischen Alpenmassiv und Juraketten. Daneben ragt der Aquaparc in den See wie ein bunter Oktopus. Als Kind hatte er die steilen Rutschbahnen und den Geruch von Chlor geliebt. Jetzt war er bald dreissig. Die Beleuchtung war ihm zu hell, die Kinder zu laut und die Erwachsenen blieben ihm ganz schleierhaft. Die Anlage schien baulich darauf ausgelegt, dass die Gäste vom Personal ständig beobachtet werden konnten. Jeder Winkel war ausge-
leuchtet, jeder Weg entweder angezeigt oder versperrt und in manchen Ecken lugten Kameras in den Raum, hinter denen sich womöglich irgendwelche Spanner vom Sicherheitsdienst eine gute Zeit machten. Die Kinder, die davon noch keine Notiz nahmen, rannten die Hallen rauf und runter. Die älteren Gäste machten es sich auf weissem Plastik gemütlich oder lauschten der Dur-Pentatonik im Klangbad. Auf der Suche nach seiner kindlichen Erinnerung schlich er also durch die Anstalt, vielleicht eine halbe Stunde lang. Endlich fasste er den Entschluss, eine Rutschbahn auszuprobieren. Oben auf der Plattform blies der Wind und stellte ihm die Brustwarzen auf. Als die Ampel einwilligte, schickte er sich in die Röhre ... Ich sollte hier etwas zum Verhältnis von Mainstream und Nische schreiben, insbesondere auf dem Gebiet der Popmusik, wo ich mich gerne aufhalte. Aber jeder irgendwo angenommene Mainstream, wie er auch am Beispiel einer mehrheitsfähigen Freizeittechnologie aufscheint, wird erst mit der Frage nach seinen Gegenüberstellungen interessant. Sind es die Nischen, parallele Mainstreams oder alles gleichzeitig, was das Konzept von
Mainstream und Nische konstituiert – oder aus dem Gleichgewicht bringt? But let’s have some music now, huh: Man kann sich zum Beispiel fragen, ob das wirklich so war, damals im 20. Jahrhundert, als alle auf den gleichen Mond geguckt haben – the white side of the moon. In Woodstock beispielsweise, das im kulturellen Gedächtnis der westlichen Welt bis heute für die historische Gleichzeitigkeit von Gegenkultur, Mainstream und Zeitgeist steht. Mythisch überblendet von Acid und Gewittern und einem historisch wenig haltbaren Dokumentarfilm. Und jetzt, wiederum dank einer Dokumentation, wird bekannt, dass Woodstock eine schwarze, sehr politische Zwillingsschwester hatte. Der Schlagzeuger und Regisseur Questlove erzählt in Summer Of Soul (…Or, When the Revolution Could Not Be Televised) vom grössten afroamerikanischen Musikfestival der Geschichte, das im Schatten der weissen Hippiebewegung vergessen gegangen war und dessen Dokumentation, 40 Stunden Film, ein halbes Jahrhundert in irgendeinem Keller verstaubte, weil sich damals kein Produzent für die Erzählung dieses Black Woodstock begeistern liess. Am porträtierten Harlem Cultural Festival, das nicht auf irgendeinem Rübenacker im Hinterland, sondern in New York City und vor 300’000 Leuten stattgefunden hat, traten mit Nina Simone, B. B. King, Mongo Santamaría, Stevie Wonder, Mahalia Jackson und vielen anderen wichtige Vertreter*innen der afroamerikanischen Pop- und Jazzgeschichte auf. Es ging um wirkliche Politik: Black Panthers schmissen den Sicherheitsdienst, weil sich die städtische Polizei geweigert hatte, der Prediger Jesse Jackson sprach im Geist Martin Luther Kings zu den Leuten und Nina Simone rezitierte in die Menge: Are You Ready, Black People? War das nun Mainstream oder Gegenkultur – oder im Hinblick auf die kulturelle Hegemonie weisser Deutung gar ein riesiges Nischenereignis? Wieso steht das erst heute in den Feuilletons der westlichen Welt (dafür aber in so ziemlich jedem) und was erzählt es uns, wenn die Streamingmaschine Disney+ den Film on-demand in die deutschsprachigen Stuben sendet? Und wenn wir schon bei antiquierten Empfänger*innen sind: Machen wir mal das Radio an, zum Beispiel im Auto, zum Beispiel an einem Wochentagsmorgen auf der Fahrt nach le fucking Bouveret am Genfersee. Auf SRF 1 läuft Nek, der italienische Schmusesänger, lascia che io sia. Der erste nationale Sender bringt den Mainstream der Babyboomer, Rockismus, «echte Musik», Country, Folk und Schlager. Es ist, grob gezeichnet, die Musik jener von Woodstock und der Hippiekultur geprägten weissen Mittelstandsgeneration, die zwar lange Haare getragen hat und ein paar Akkorde auf der Gitarre konnte, aber nichts angezündet hätte (auch nicht die Gitarre). Auf SRF 2, Zusatz Kultur, empfängt das Gerät zur selben Zeit Haydns Cembalokonzert in F-Dur. Der Mainstream des akademischen Kulturbürgertums, unaufdringlicher Jazz etwa, unter «Weltmusik» zusammenramisiertes oder eben einen Griff aus dem Kanon der klassischeuropäischen Kunstmusik. SRF 3 spielt Kanye Wests Love Lockdown – den zeitgenössischen angelsächsischen Popmainstream, ein paar ältere Hits und Spitzlichter auf arrivierte helvetische Künstler*innen.
Was uns einmal geeint habe, das sei verschwunden. Michael Jackson ist tot. Und spätestens das Internet habe heute alle Paralleluniversen, Nischen und Zufluchtsorte erschlossen und das popkulturelle Andere, das Randständige, das Subkulturelle, das dem Mainstream immer gegenübergestanden habe und in dessen Schatten alternative Realitäten verhandelt wurden, verwertbar gemacht und nivelliert. Das Besondere sei heute generell. Das Singuläre jetzt das Normale. Der Mainstream, wie er das 20. Jahrhundert geprägt habe, sei einer unendlichen Vielzahl von personalisierten Streams gewichen, keiner so gross, wirklich Mainstream zu sein, wirklich Michael Jackson zu sein. Eigentlich nur noch Nischen – und damit keine mehr, weil alles verwertet werden kann, ausgeleuchtet ist und für alles ein Kanal, eine Kundschaft besteht? Ist die Nische tot, weil die Reibung mit ihrem Gegenstück, einer irgendwie konsistenten Idee von Mainstream, verloren ist? Vielleicht wirken die beiden Antipoden am besten noch im Aquaparc aufeinander ein, gewissermassen als Karikatur der weissen, wohlhabenden und gelangweilten Schweiz. Mein schüchterner Freund hatte den Gang der Dinge, wir erinnern uns, mit einer Rutschbahnfahrt zu akzeptieren versucht und kommt eben im Auslaufbecken angebraust: Er hatte leichte Rückenschmerzen, auch war ihm die Badehose verrutscht und er sah keinen Grund, den Ablauf zu wiederholen, wieder hochzusteigen, auf keine Rutschbahn dieser Welt. Er verlegte sich deshalb wieder aufs Schleichen. Er wollte ganz durchsichtig werden. Er wollte ganz in der Masse aus weissen Körpern und bunter Bademode absinken und es war ihm, als würde er in diesem Zustand ganz leicht. Er glitt luzid über die Fliesen. Auf einmal stand er vor einer verdächtig halbhohen Aussparung in der Wand, die ihn interessierte und aus allen Träumen riss. Er schaute sich kurz um und bückte sich, sodass er den Durchgang, der unter einer der schnelleren Rutschbahnen durchführte, in der Hocke durchqueren konnte. Eine kleine Treppe führte ihn in einen fast leeren, gedrungenen Raum, in dem es anders roch, nicht nach Chlor. Als einziges Objekt hing ein schwarzer Boxsack von der Decke. Er vergewisserte sich, vielleicht eine halbe Minute lang, dass niemand ausser ihm zugegen war und keine Kamera ihn beobachten konnte. Dann drosch er von einer wunderbaren Manie überkommen auf das Übungsgerät ein, eine halbe Stunde lang oder mehr. Es gehört zu den gängigen Erzählungen der Moderne, dass die einmal vor Ausdruck leuchtende Künstlerin zuerst in der Anonymität der Masse, typischerweise einer Grossstadt, versinken und verschwinden muss, um das Besondere zu werden. Nische und Mainstream bedingen sich. Sie stehen in einem Verhältnis der Reibung, das sich jedoch über ihr (nicht zwingendes) subversives Moment hinaus stabilisieren kann. Nischen können so im Mainstream arrivieren, ja, selbst Mainstream sein. Die Popkultur kennt viele Beispiele: Dem Nachtclub, dem Hardcorerap und einem guten Haufen Verschwörungstheorien um Michael Jacksons Tod ist gemeinsam, dass sie zugleich eine Nische bedienen und subversionslos im Hauptstrom stattfinden können. Die zu wirklichen Umstürzen fähigen, obskuren kulturellen Orte abseits des Mainstreams, die heute mit Sicherheit irgendwo existieren, zeichnen sich nicht durch ihre exemplarische Nischenhaftigkeit aus. Sondern gerade dadurch, dass wir sie (noch) nicht kennen.
Dann, Röstigraben endlich überwunden, deutlich hörbar auf RTS Couleur 3: Da spielt die Sendung Brooklyn Maputo – urbane, zumeist black music aus verschiedenen Zeiten, les sonorités d’ailleurs, Musik von anderswo, viele Originale und Erben und Epigonen dieses vergessenen Summer of Soul, der heute endlich im Gespräch ist. In der vereinfachten Spiegelung mittels nationaler Radioprogramme auf der Ultrakurzwelle zwischen West- und Restschweiz erscheint die Beziehung von Mainstream und Nische bereits mehrfach verkompliziert. Wenn man erst die Internetradios befragen würde, die Streamingdienste und alle weiteren mehr oder weniger obskuren Kanäle menschlicher Verständigung mit und über Musik, auf allen Kontinenten – könnte man in dieser Unendlichkeit von parallelen Mainstreams und sendungsfähigen Nischen überhaupt noch von einem solchen Dualismus ausgehen? Der Mainstream sei überhaupt tot, hört man gerne sagen. Man kann diese und ähnliche Behauptungen ebenfalls als theoretischen Mainstream der Postmoderne bezeichnen. Die Argumentationslinie geht dann so:
* MIRKO SCHWAB ist Musiker und Autor in Bern. Er schreibt für das KSB Kulturmagazin und betreibt das Label Blaublau Records.
VOM GEIGENUNTERRICHT BIS ZUR MUSIKALISCHEN BESCHÄFTIGUNG MIT INSEKTEN – KOMPONIST UND KLANGKÜNSTLER ROBIN MEIER WIDMET SICH INTENSIV DER LEBENDIGEN WELT EINFACHER TIERE, IHRER ORGANISATION, IHREN KLÄNGEN UND SCHWINGUNGEN. ROBIN MEIER, DER AB HERBST 2021 ZUM DOZIERENDENTEAM SOUND ARTS DES FACHBEREICHS MUSIK DER HKB STÖSST, GIBT AUSKUNFT ÜBER SEINE KÜNSTLERISCHE NICHE CONSTRUCTION. INTERVIEW: PETER KRAUT
Du arbeitest mit natürlicher und künstlicher Intelligenz, mit maschinellen Umgebungen und Tieren. Das sind Themen, die uns ständig umgeben, trotzdem ist das doch ein sehr spezieller Ansatz. Wo liegt hier dein Interesse als Komponist? Mein Ausgangspunkt war die Musik, ich habe mit Geige angefangen und mich später auf elektroakustische Komposition spezialisiert, weil mich die Technologie faszinierte. Es war schon früh so, dass mich diese beiden Welten interessierten. Richtig reingerutscht bin ich dann aber während des Studiums, als ich programmiert und mit Synthesizern gearbeitet habe. Man kommt dann schnell in sehr rigide Abläufe und Verfahren rein, wenn man Code schreiben muss, im Vergleich etwa zur musikalischen Improvisation. Diese Spannung zwischen einem technologisch vermittelten, sehr formalisierten und einem intuitiven Ansatz, den ich letztlich auch der Welt gegenüber habe, war von Anfang an ein wichtiger Treiber für mich. Wie kann man das überbrücken? Einen konkreten ersten Ansatz dazu erhielt ich durch Frédéric Voisin, einen Forscher am Centre International de Recherche Musicale in Nizza in den späten 1990er-Jahren, der sich für künstliche neuronale Netzwerke interessierte. Das war damals ein etwas obskures Überbleibsel aus der Kybernetik der 1960er-Jahre und noch kein grosses Thema. Es offenbarte aber einen ganz anderen Zugang zur Technologie, es war kein Code-Schreiben Zeile für Zeile, sondern viel diffuser, mit überraschenden, lernenden Systemen. Aus diesem alternativen Zugang zur Informatik kam dann das Interesse für Tiere, denn ein Leitgedanke sind hier biologische Modelle, etwa Ameisenkolonien, neuronale Synapsen und Ähnliches mehr. Bist du mit dieser Beschäftigung nun selbst in einer obskuren Nische gelandet oder hat das auch Mainstream-Aspekte? Einerseits sind da etwa Insekten, andererseits aber alltägliche Technologie. Das war sicher lange eine Nische und keine Mode, die Thematik von lernenden Systemen etwa kam erst so um 2010 auf. Aber die Arbeit, die ich mache, mit hybriden Setups, wie mit Lebewesen, die dann auf Technologie und Menschen treffen, wird immer aktueller. Das Interesse für Biologie und Technologie steigt und hat auch gewisse philosophische und ästhetische Wurzeln, wenn wir etwa an den Film Existenz (1999) von David Cronenberg denken, an Fragen der Biopolitik – Stichwort Michel Foucault – oder aktuell den Umgang mit Covid und Impfungen. Was waren die Überraschungen, als du in dieses Feld vorgestossen bist? Lebewesen haben ihren eigenen Willen. Das ist eine ständige Verhandlung, und das ist spannend. Man denkt, man könne planen, strukturieren, quantifizieren, aber am Ende kommt ein kleines Virus, ein Erdrutsch oder ein grosser Regen und vieles fliegt über den Haufen. Dieses Verhandeln mit der Umwelt ist ein Thema, das mich beschäftigt. Wie ist das Verhältnis von Dressur und Verhandlung, wie viel Offenheit ist gegenüber den Lebewesen vorhanden? Es geht nicht darum, einen Flohzirkus zu dressieren, ganz im Gegenteil. Es geht mehr um Kommunikation, weniger um Kontrolle. Um Kollaboration. Es geht um Verständnis von Sprachen, etwa derjenigen der Pheromonspuren bei Ameisen oder des Flügelschlags bei Moskitos.
Sich da hineinzudenken und die Perspektive eines Insekts in Betracht zu ziehen, ist bereits eine wichtige Übung, um sich selbst in der Welt orientieren zu können. Wie funktioniert denn so eine Arbeit ganz konkret? Bei Synchronicity (2018) etwa frage ich mich, wie aus Chaos Ordnung entstehen kann. Ein typisches System der Selbstorganisation ist Synchronisation. Das sieht man in vielen Bereichen der Natur, von der Bewegung von Asteroiden über das Schritttempo von zwei diskutierenden Personen bis zum Verhalten von Ameisen. Dahinter sind ähnliche mathematische Regeln. Ich will hier verschiedenste Sachen miteinander kommunizieren lassen durch das Prinzip der Synchronisierung. Da sind etwa am Anfang dieser Rauminstallation zwei elektromagnetische Pendel, die man beliebig anschlagen kann und die sich später im selben Rhythmus finden. Dann gibt es Glühwürmchen, die synchron blinken, was als Phänomen dokumentiert, aber wissenschaftlich lange umstritten war. In der Installation gibt es Glühwürmchen, es gibt LEDs, die im Rhythmus des Pendels blinken, es gibt malaysische Heuschrecken, die untereinander zirpen, es gibt weitere Maschinen und Bildschirme, und alles kommuniziert und synchronisiert miteinander, ohne dass man es genau kontrollieren kann. Es ist lebendig, es gibt Wellen und Patterns, man spürt eine Organisation, aber es schwankt ständig wie das Scharf- und Unscharfstellen bei einer Kamera. Und da liegen die Überraschungen. Man gibt einen Input und beobachtet und nimmt teil an diesem Synchronisierungsprozess. Das erinnert durchaus an den Komponisten John Cage, der sich als wertender Autor in den Hintergrund stellte, indem er gewisse zufällige Gegebenheiten oder Systeme integrierte. Man muss etwa Partituren nach gewissen Regeln zuerst herstellen, bevor man die Musik interpretieren kann. Siehst du dich in dieser Tradition? Ja, in der Nachkriegsavantgarde fühle ich mich schon bei Cage am nächsten, er ist eine Inspiration und hat eine Denkweise, die mich sehr anspricht, besonders seine Loslösung von Kontrolle und Egozentrismus im Schaffensprozess. Wie sehen nun deine Pläne aus? Ich versuche weiter, mit verschiedenen Tieren, Pflanzen und Landschaften zu kommunizieren. Mit einem Forscher bin ich gerade in Diskussion zum Thema «Tiere und / in Virtual Reality». Das ist wahrnehmungspsychologisch sehr interessant: Wie nehmen Tiere wahr, wie kann man sie in eine Umgebung integrieren und was können wir daraus lernen? Aber dann beschäftigen mich natürlich immer noch die Musik und die Menschen. Alle diese Recherchen und Experimente sind für mich musikalische und kompositorische Projekte. Dann muss man die von dir beschriebene Arbeit vielleicht auch gar nicht als Nische betrachten? Sie hat eine sehr konkrete Anbindung an unsere reale Welt. Klar. Man muss sich zwar eine Nische schaffen, um seinen Platz in der Welt zu finden und um diesen verhandeln zu können. Eine Nische ist für mich das Resultat dieser Verhandlung, dieses Duetts mit der Welt. Es ist der Platz im Ökosystem. Und das ist auch professionell-künstlerisch nicht anders. Ich habe halt mit Geige angefangen und bin jetzt bei Heuschrecken und Glühwürmchen.
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«MAN MUSS SICH EINE NISCHE SCHAFFEN.»
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MIT EINEM VERLAG IN DER NISCHE: HARTMUT ABENDSCHEIN, VERLEGER DER EDITION TABERNA KRITIKA, AUTOR UND LEHRBEAUFTRAGTER DER HKB IM SCHRIFTLICHEN INTERVIEW. INTERVIEW: CHRISTIAN PAULI
Was fällt dir zum Begriff Nische ein? Ich meine, mich zu erinnern, dass wir den Begriff schon in den frühen 90ern gebraucht haben. Damals machte ich meine Ausbildung zum Buchhändler. Das Wort Nischenliteratur wurde auf Buchbestände bzw. das Sortiment bezogen und enthielt durchaus auch noch einen architektonischen Aspekt. Diese Bücher standen in weniger erreichbaren Ecken oder an Orten, die die Kundschaft nicht gerade als Erste entdeckt hätte. Reparaturanleitungen für Motorräder, Schachbücher, DIN-Normen, Eisenbahnliteratur etc., kurz: special interest oder nerd culture, wie man heute sagt. Das war Kassengift. Geringe Lagerumschlaggeschwindigkeit, schlechtere Margen, doch die Vorhaltung wurde als spezieller Kundenservice gesehen. Ein allgemeines Vollsortiment, das etwas auf sich hält, will das ganze Spektrum anbieten, auch wenn etwas nur selten verkauft wird. Die positive Signalsetzung durch die zitatweise Präsenz von Nischenliteratur war unwidersprochen, aber wurde doch auch etwas belächelt. 30 Jahre und ein paar Perspektivenwechsel später habe ich einen eigenen Verlag für – wenn man so will – literarische Nischen und beschäftige mich auch als Autor damit. Nischen sind für mich heute von der Öffentlichkeit wenig(er) wahrgenommene, unterbelichtete, aber hartnäckig existierende Teile literarischen Schaffens. Experimentelle Arbeiten, gattungshybride Positionen, schwierige Prosa – die Textsegmente an den Rändern der Normalverteilung. Das interessierte Publikum ist überschaubar. Aber man munkelt, dort entsteht Innovation. Produktionsästhetische Forschung, aber auch subversive Auseinandersetzung mit den Marktmechanismen stehen im Vordergrund. Das hat mich immer mehr interessiert als auf Ähnlichkeit und Formenrepertoires ausgerichtete Saisonware oder als grossmeisterliches Kunsthandwerk Gepriesenes, vulgo: Bestsellerliste und bekömmlicher Kanon. Wie bist du dazu gekommen, einen Kleinstverlag zu gründen? Es kam aus dem eigenen Schreiben heraus. Um 2002 hatte ich ansatzweise eine für mich zulängliche Schreibform gefunden. Ich entwickelte und pflegte ein literarisches Weblog, das auch heute noch aktiv ist. Da das damals noch nicht viele gemacht haben und das im Literaturbetrieb erst mal als obskur galt, schlossen sich einige Kolleg*innen zusammen und wir betrieben eine Plattform für poetische Weblogs (litblogs.net). Auch das war ein Nischenprojekt: Man war da eher unter sich, aber mit einer offiziellen Herausgeberschaft und später dann mit systematischem Archivierungsauftrag, obwohl alles sehr dezentral organisiert war und sozusagen aggregiert wurde. Jedenfalls sammelte ich 2006 in diesem Zusammenhang Erfahrungen in der Herausgabe zweier Bücher, und auch diese Seite hat mich gereizt, sodass ich 2008 die edition taberna kritika (etkbooks) gründete. Es war damals schon ziemlich klar, dass das ein dezidierter Nischenverlag werden sollte und weniger etwas, das sich hauptsächlich im Buchhandel abspielt. Ich wollte schliesslich nur machen, was mich interessierte. Und das relativ kompromisslos. Diese Unabhängigkeit kann ich mir glücklicherweise leisten, weil ich noch eine Teilzeitstelle an der Uni (UB Fachreferat) habe, sonst ginge das natürlich finanziell nicht. Was ist deine Verlagsstrategie? Was publizierst du wie? Verfolgst du explizit eine Nischenpolitik? Die Hauptreihe der Edition charakterisiere ich als «Exempelsammlung». Jeder Titel, der hinzukommt, muss sich in Ansatz, Schreibweise, qua Material etc. von der Backlist unterscheiden. Im Idealfall soll also keine Position mehrfach vertreten sein. Durch dieses Differenzkonzept (statt einer sonst üblichen Homogenisierung des Profils durch epigonale oder leicht variierende Wiederholung) erhält jeder einzelne Titel im Kontext dieser Bibliografie nochmals eine spezifische Bedeutung als Koordinate. Jeder Text sollte also eine eigene Nische innerhalb des Programms besetzen. Kann man solche Nischen planen? Mithilfe einiger Tools habe ich versucht, das etwas zu systematisieren und transparent zu machen. So benutze ich – bibliothekarische Berufskrankheit! – kontrolliertes Erschliessungsvokabular in der Form von Schlagwörtern und Deskriptoren (GND) oder arbeite mit einer wissenschaftlichen Klassifikation (DDC), um die Ausdifferenzierungsbreite besser abbilden zu können. Andererseits kann ich so den Autor*in-
nen vermitteln: Wenn keine zwei bis drei neuen Schlagwörter zum Index dazukommen oder keine tiefere Klassenebene beansprucht wird, dann ist die Position grundsätzlich besetzt. Das hört sich hart an, ist aber nachvollziehbar und gerecht. In anderen Reihen, zum Beispiel der anonymen Edition aaaa press (aaaa.etkbooks.com), ist dieser Differenzansatz ähnlich spürbar. Die Reihe liegt als Open-Access-Publikation mit Print-on-Demand-Option vor. Weil die Objekte dort hauptsächlich konzeptueller Natur sind (auch so eine Nische), komme ich mit herkömmlichen Hilfsmitteln nicht weiter und verwende eine eigens entwickelte Facettenklassifikation. Dieses Projekt hat eine bestimmte Laufzeit und kommt irgendwann nächstes Jahr zum Abschluss. Gesamthaft ist der Korpus von dann 100 Titeln auch ein wenig als provokante Allegorie gedacht: Sie setzt erstmals eine Foucault’sche Denkfigur um, die die Frage formuliert, was passieren würde, wenn Literatur- und Kunstmarkt nicht über (Autor*innen-)Namen oder Labelprovenienz strukturiert werden könnten, weil diese Informationen schlichtweg zurückgehalten werden. Die Rezeption müsste sich den Artefakten ohne Paratexte nähern, was heute praktisch nicht mehr denkbar ist. Man sagt: Nischen bedienen. Ist das nicht sehr defensiv, im Sinne von: Mehr können wir ja nicht tun? Was bringt eine Kunst, die nur Nischen bedient? Wenn es bei einer schlichten Bedienung bliebe, also der Erfüllung einer Erwartungshaltung, dann wäre das in der Tat nicht besonders offensiv. Und im Ergebnis vermutlich ähnlich originell wie das Funktionieren des Populärsegments, nur eben im kleineren Massstab. Ein normaler (Buch-)Verlag kann halt das tun, was er üblicherweise macht. Er unterstützt Produktion, Herstellung und Vertrieb von Werken und versucht nach Kräften zu vermitteln. Und er sorgt dafür, dass das eigene Profil einigermassen stimmig ist und über diese Stimmigkeit eine weitere Wirkkraft entfaltet wird. Ich mache zusätzlich regelmässig kleine Ausstellungen in meinem Kunstraum, wenn es dem Material entspricht. Visuell orientierte, aber auch konzeptuelle Literatur funktioniert bspw. weniger im Wasserglaslesungskontext. Ein anderer Ansatz ist es, zu versuchen, genau diese Erwartungshaltung zu unterlaufen. Das kann gerade in Nischen probiert werden. Ich versuche das mit meinen genannten Mitteln und in dieser Edition umzusetzen. Gibt es einen künstlerischen Mehrwert? Ich hoffe doch, dass die Edition zur Schärfung einer kritischen Urteilsbildung beitragen kann, indem sie aufzeigt, was man sich als mögliche Literatur vorstellen oder was als solche verhandelt werden kann.
Stichwort Koexistenz: Wie lassen sich Nischen parallel unterhalten? Nischen existieren nebeneinander. Oftmals haben sie wenig oder nichts miteinander zu tun, da Abgrenzung ja eine gewisse Profilschärfung bedeutet, was wiederum vorteilhaft für die Aussenwahrnehmung ist. Social-Media-Bubbles oder Communitys sind da strukturell ähnlich. Substanzielles Wachstum ist erwünscht, aber nicht um jeden Preis. Aus diesem Grund ist eine friedliche Koexistenz schon eine ziemlich gute Sache. Interessiert dich der Mainstream? Im Job Nr. 1: naturgemäss ja. Von mir wird erwartet, dass ich einen guten Überblick über eine allgemeine Literaturproduktion habe. Das meint den Mainstream, aber natürlich auch diverse Nischen. Manche Nischen können auch erst durch diesen Überblick als solche erkannt bzw. identifiziert und dann verfolgt werden. Trends gibt es also auch in Subsystemen. Das finde ich ausserordentlich interessant. Zweitberuflich aber eher weniger. Grösstenteils beschäftige ich mich mit dem Feld, das auch für den Verlag relevant ist. Daneben lese ich aber, worauf ich Lust habe oder was mir in die Hand fällt, ohne mich an irgendeinem imaginären Kanon abzuarbeiten. Was passiert, wenn die Nische populär wird? So etwas kann man im Buchmarkt beispielsweise schön im Bereich der zeitgenössischen Mundartliteratur oder der aus dem Poetry Slam erwachsenen Spoken-Word-Ecke beobachten. Erstaunlicherweise gibt es da ja eine grössere Schnittstelle. Spezialverlage mit einem gewissen Community-Hintergrund bauen allmählich einen spezifischen Katalog auf, und ab einem gewissen Punkt wird die Sache grösser und bekannter. Danach sind die Feuilletons voll damit und man erfindet ein seriöses oder klangvolles Label dafür. Ein paar Jahre später gibt es dann ein so bezeichnetes Regal in der Buchhandlung, das immer breiter wird. Vielleicht sind die kleinen Verlage in der Zwischenzeit grösser geworden, aber andere – gestandenere Verlage – wollen da natürlich auch drinstehen und werden auch ein paar Titel lancieren. (Oder gleich Autorschaften aus anderen Verlagen akquirieren, aber das ist im Musikbereich möglicherweise drastischer.) Das geht dann so lange weiter, wie die Energie der Verlage reicht und das – mittlerweile grössere, aber dennoch überschaubare – Publikum mitzieht. Dieses Regal wird also sicher eine Weile bleiben. Irgendwann aber, beim nächsten grossen Ding, wandern die Werke wieder zurück ins zeitgenössische Autor*innen-Alphabet, oder in die Lyrikabteilung (Grossnische), denn ich glaube, dass längerfristig weiterhin mehr in die Arbeit an Autorschaftsinszenierungen investiert wird. Auch ein Grund, warum etkbooks wohl eher in der Nische bleiben wird.
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«NUR MACHEN, WAS MICH INTERESSIERT.»
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Das Verhältnis von Kunst und Bau ist gespannt: Kommt das Kunstwerk nach dem Bauwerk? Ist die Architektur die Hauptsache, die Kunst nur Beiwerk? Oder sollte die künstlerische Gestaltung eines Baus von Anfang an und von denselben Gremien mitgeplant werden? Wären diese Gremien und Jurys fachlich überhaupt kompetent, das zu leisten? In welche ästhetische Kategorie fällt also die sogenannte «Kunst am Bau», die verlegenheitshalber oft auch einfach unter «Kunst im öffentlichen Raum» subsumiert wird? Heute kommt kaum ein öffentlicher bzw. öffentlichkeitsrelevanter Bauwettbewerb mehr ohne integriertes Kunstprojekt aus, wobei Letzteres, zumindest, was das Budget betrifft, klar zweitrangig ist. Auch planerisch erfolgt die Projektierung der für das Gebäude gedachten Kunstwerke oft erst in der letzten Etappe – die Kunst wird zur Ausstattung gezählt. Initiativen wie der Verein BAKUB (Basis Kunst und Bau) wollen das korrigieren, indem sie einen disziplinübergreifenden «Dialog zwischen Kunst und Architektur in Stadt und Kanton Bern» propagieren. Was zunächst vielleicht schwammig-selbstbezogen anmuten mag, soll handfeste politische Konsequenzen entfalten: Nicht zuletzt zielen Gruppierungen wie BAKUB darauf ab, das Prozedere im öffentlichen Beschaffungswesen hinsichtlich der Vergabe von Kunstaufträgen transparenter zu gestalten und damit die Rolle der Künstler*innen zu stärken. Implizit geht es dabei wohl auch darum, die Kunst am Bau als wenig geliebte Sparte der öffentlichen Kunstförderung wieder prestigeträchtiger zu machen. ARBITRÄRER BESITZ Tatsächlich suggeriert die recht umständliche Gattungsbeschreibung «Kunst am Bau» eine untrennbare gestalterische Verbindung zwischen Bau und schmückendem (?) Kunstwerk. Die Bezugnahme auf ein Gebäude scheint dadurch werkimmanent zu sein, was bei zeitgenössischen und konzeptionell sehr durchdachten Kunstprojekten meist auch der Fall ist. Betrachtet man aber den historisch gewachsenen Bestand der Kunst am Bau (beispielsweise im Kanton Bern), ergibt sich ein anderes Bild: Der unmittelbare räumliche und motivische Bezug zwischen Werk und architektonischem Kontext ist oft nur bei Wandgemälden gegeben, die in der Regel aus der gleichen Entstehungszeit wie das Gebäude stammen (grosse Ausnahme: das Gemälde von Victor Surbek am Berner Zytglogge-Turm!) und häufig die Funktion dieses Baus inhaltlich reflektieren. Viele ältere Kunstwerke gelangten jedoch über die – gerade in der Vergangenheit – sehr verschlungenen Pfade der städtischen und der kantonalen Kunstförderung auf arbiträre Weise in den Besitz des Kantons und gehören heute aus rein verwaltungstechnischen Gründen zur «Kunst am Bau». Das macht das Ganze, speziell bei Erhaltungsfragen, spannungsreich: Aus welchen Gründen hängt, steht, liegt ein Kunstwerk in einem spezifischen Gebäude? Gehört, passt es überhaupt dorthin? Wird ein Kunstwerk, auch wenn es mobil ist und unabhängig vom baulichen Zusammenhang funktioniert, nach einer gewissen Zeit Teil des Raums, in dem es sich befindet? Muss das Werk dann in situ erhalten werden, auch wenn zum Beispiel die klimatischen Bedingungen nicht optimal sind? UNGEKLÄRTE PROVENIENZ Aber auch bauzeitliche Kunstwerke werden fallweise vom Gebäude separiert, sobald über
Erhaltung oder Nichterhaltung (also Abbruch, sanfter ausgedrückt als «Rückbau») entschieden wird: Was passiert mit einem kunsthistorisch bedeutsamen Wandbild, wenn das Gebäude drum herum als nicht erhaltenswert eingestuft wurde und der Abriss droht? Fügt das Kunstwerk dem architektonischen Ensemble nicht etwas hinzu, was es vielleicht doch erhaltenswürdig macht? Was also, wenn sich die Hierarchie von Architektur und Kunst plötzlich ins Gegenteil verkehrt und das Kunstwerk wichtiger wird als der es umgebende Bau – es aber materiell nicht ohne diesen erhalten werden kann? Diese Entscheidungen können nicht pauschal getroffen werden, denn die betreffenden öffentlichen Kunstsammlungen sind äusserst heterogen: So finden sich etwa im Kunst-am-Bau-Bestand des Kantons Bern Werke aus fünf Jahrhunderten, in unterschiedlichsten Erhaltungszuständen und räumlichen Umgebungen; bei vielen Objekten ist zudem weder die Autorschaft noch die Provenienz geklärt. In diesem breiten Spektrum sind einige Schätze versammelt, die aber teils nicht öffentlich zugänglich sind und daher bis auf Weiteres ein Nischendasein fristen – etwa die Mixed-Media-Installation Wolken und Gestirne (1964/1965) von Meret Oppenheim in der BFF Sulgeneckstrasse, das Glasfenster Die Tageszeiten (1943) von Augusto Giacometti im Berner Rathaus oder Samuel Buris Wandgemälde Die vier Jahreszeiten (1979) im Amthaus Biel.
Abb. 1: Meret Oppenheim, Wolken und Gestirne, 1964/1965, Mixed-Media-Installation
Abb. 2: Augusto Giacometti, Die Tageszeiten, 1943, Glasfenster
Abb. 3: Samuel Buri, Die vier Jahreszeiten, 1979, Wandmalerei (keine technischen Angaben)
* LUISE BAUMGARTNER ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am HKB Institut Materialität in Kunst und Kultur
SEPTEMBER 2021
TEXT: LUISE BAUMGARTNER *
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KUNST AM BAU KUNST FÜR DIE NISCHE?
EIN LAUFENDES PROJEKT DER HKBFORSCHUNG WIDMET SICH IM AUFTRAG DES KANTONALEN AMTS FÜR GRUNDSTÜCKE UND GEBÄUDE DER INVENTARISIERUNG UND DER ERHALTUNG VON KUNSTWERKEN IN KANTONALEN GEBÄUDEN. IN DIESEM RAHMEN STELLT SICH IMMER WIEDER DIE FRAGE, MIT WELCHER BERECHTIGUNG KUNSTWERKE IN DIE NISCHE «KUNST AM BAU» GESTELLT WERDEN UND WIE HILFREICH DIESE EINORDNUNG EIGENTLICH IST.
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STELLUNGNAHME
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TEXT UND BILD: HANSRUEDI WEYRICH *
«Jetzt gaht’s ufe i d’Nische», ruft mir einer der beiden Wildhüter zu. Er trägt eine der 30 Kilogramm schweren Kisten mit einem 90 Tage alten Bartgeierküken den steilen Berghang hinauf. Als begleitender Fotograf der Stiftung Pro Bartgeier (bartgeier.ch), die für das Auswildern und das Monitoring der Bartgeier verantwortlich ist, muss ich mich beeilen, um vor den Wildhütern bei der Nische anzukommen. Die beiden müssen schliesslich aufs Bild, wie sie schwitzend die Kisten mit dem wertvollen Inhalt den Berg hinaufschleppen. Zum Glück ist auf den letzten 50 Metern ein erstes Fixseil montiert, an dem man sich bis unter den Felsvorsprung hochziehen kann. Etwas ausgesetzt geht es nun noch um einen Felsblock herum und danach wieder an Fixseilen durch ein Felsband hinab, bis die Auswilderungsnische erreicht ist. Dieser geschützte Ort wurde von den Biologen sorgfältig ausgewählt und vorbereitet, damit die diversen Anforderungen für die ersten Wochen der Junggeier in ihrem natürlichen Lebensraum optimal erfüllt werden können. Die Nische befindet sich im Wildschutzgebiet Hutstock, das einen guten Bestand an Steinböcken und Gämsen hat. Dass die Nische oben und unten durch eine Felswand begrenzt ist, schützt die beiden noch nicht flugfähigen Vögel vor Regen und begrenzt ihren Aktionsradius. Die beiden werden alle zwei Tage frühmorgens um halb sechs gefüttert. Auf dem Speiseplan stehen Rehfleisch und -knochen, die vom Wildhüter gesammelt werden – eine sinnvolle Nutzung der toten Tiere, die dem Strassenverkehr zum Opfer gefallen sind. Die beiden Jungvögel sitzen etwa einen langen Monat in dieser Nische, beobachten die Umgebung und prägen sich diese ins Gedächtnis ein. In dieser Zeit trainieren sie auch ihre Flugmuskulatur intensiv. Wenn sie täglich rund 200 Flügelschläge machen, ist das ein Zeichen, dass sie bald ihren ersten Flug wagen werden. Dieser ist meist nur kurz und endet mit einer holprigen Landung. Aber sie haben gelernt, dass ihre Flügel sie zu tragen vermögen. Dank der erlangten Flugfähigkeit verlassen sie die Auswilderungsnische, fliegen zunehmend längere Strecken und suchen neue Schlafplätze im Hang. Entsprechend wird das Futter verteilt, damit sie lernen, die Nahrung zu suchen und sie gegen Steinadler und Kolkraben zu verteidigen. Bei ihren Flügen finden sie nun auch erstmals Nahrung von wild verendeten Gämsen oder Steinböcken. Der Speiseplan der Bartgeier ist höchst spezialisiert. Sie fressen zu achtzig Prozent Knochen und räumen so von einem verendeten Tier noch die letzten Überreste weg. Ein Gämsbein von dreissig Zentimeter Länge kann ohne Probleme ganz geschluckt
werden, um dann von den starken Magensäften in verwertbare Proteine zersetzt zu werden. Ende August verlassen die Jungvögel das Auswilderungsgebiet meistens und fliegen für die folgenden vier bis fünf Jahre im ganzen Alpenraum umher. Mit rund sieben Jahren sind sie ausgewachsen und geschlechtsreif. Aus ihrer Zeit in der Nische kennen sie ein Gebiet, das sich für die Aufzucht von Jungen eignet, und oft kommen sie zurück, um dort mit einem Partner ein eigenes Territorium zu besetzen und wilden Nachwuchs grosszuziehen. Dieses philopatrische Verhalten Brutortstreue hat zur Folge, dass in der Region der Auswilderungs-Nische zunehmend auch Wildbruten stattfinden, die den Lebensraum nachhaltig bereichern.
* HANSRUEDI WEYRICH ist Geschäftsleiter von Ediprim AG in Biel, der Partnerdruckerei der HKB.
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Bekommen Sie kalte Füsse in der heissen Phase der Klimakrise? SEPTEMBER 2021
16. «Der Bund»-Essay-Wettbewerb Preisgeld von insgesamt 9000 Franken
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Teilnahme bis 31. Dezember 2021 derbund.ch/essay
Partner:
NISCHEN AUF UNSEREN HANDYS Fast jede*r fotografiert. Milliardenfach finden sich Fotografien von Nischen, die wir als solche erkennen, auf unseren Handys. Wir haben HKB-Mitarbeitende und -Studierende gebeten, die Nischen auf ihren Handys der HKB-Zeitung zur Verfügung zu stellen. Wir bedanken uns bei folgenden Personen für ihre Beiträge: Hasan Hadi Abdulameer, Tanja Bojanic, Stéphane Chapuisat, Chloe Geissler, Peter Glassen, Mathia Gremaud, Seraina Grupp, Meret Gschwend, Samuel Haettenschweiler, Lena Hoppenkamps, Dilan Kilic, Nadja Knuchel, Peter Kraut, Gia Han Le, Urs Lehni, Kerstin Linder, Esther Maurer, Christian Pauli, Ramona Picenoni, Agathe Quintin, Nasrin Amiri Ramsheh, Tim Rodriguez, Nicola Rossi, Cristina Scapol, Polina Solotowizki, Selina Zürrer. Impressum HKB-Zeitung Aktuelles aus der Hochschule der Künste Bern HKB N°3/2021 Herausgeberin Berner Fachhochschule BFH Hochschule der Künste Bern HKB
Redaktion Christian Pauli (Leitung) Lara Kothe Peter Kraut Urs Lehni Marco Matti Nathalie Pernet Andi Schoon Lektorat Daniel Allenbach
Gestaltungskonzept und Layout Atelier HKB Marco Matti (Leitung), Jacques Borel, Lara Kothe, Sebastian Wyss Bildredaktion: Meret Gschwend Druck DZB Druckzentrum Bern Auflage: 7500 Exemplare Erscheinungsweise: 4 × jährlich
© Hochschule der Künste Bern HKB. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitung darf ohne schriftliche Genehmigung der HKB reproduziert werden. Berner Fachhochschule BFH Hochschule der Künste Bern HKB Fellerstrasse 11 CH-3027 Bern hkb.bfh.ch
Die Einnahmen aus den Inseraten kommen vollumfänglich dem Stipendienfonds zugute, der HKBStudierende in prekären finanziellen Verhältnissen gezielt unterstützt.
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22.10.21 – 13.2.22 Mon exposition
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Brigham Baker, Apple, 2020
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DER APFEL. EINE EINFÜHRUNG. (IMMER UND IMMER UND IMMER WIEDER) Ein Projekt von Pawel Freisler und Antje Majewski. Mit Brigham Baker, Jimmie Durham, Agnieszka Polska und Didier Rittener 4.9. – 28.11.2021
Fr, 10.9.2021, 19 Uhr / So, 12.9.2021, 17 Uhr, Musik und Bewegung
Ab ins Beet! – Ça pousse ou quoi ? Ein Musik- und Tanztheater für Kinder von 4 bis 8 Jahren über Freundschaft und Biodiversität. Un théâtre de musique et de danse pour les enfants de 4 à 8 ans sur l’amitié et la biodiversité. → Volkshaus / Maison du Peuple Aarbergstrasse 112, 2502 Biel → Reservation: rhythmik@hkb.bfh.ch Do, 16.9.2021, 18.30 Uhr Jazz
Kultur im Viktoria Die Pianistin und HKB-Alumna Mélusine Chappuis begleitet in einer einmaligen Live-Improvisation Buster Keatons Stummfilme Neighbours (1920) und One Week (1920), dazwischen spielt sie Eigenkompositionen. → Alterszentrum Viktoria, Kapelle Schänzlistrasse 63, 3013 Bern → Tickets 20 – 30 CHF Reservation: az-viktoria.ch/leben/kultur Sa, 18.9.2021, 18 – 2 Uhr Theater
Wir dürfen wieder!!! Bis in die Nacht hinein bespielen wir unsere Bühnen mit allem, was auf die Bühne muss und es letztes Jahr nicht konnte: von spontanen Performances und Rauminstallationen bis hin zu Theaterprojekten. → HKB Theater, Zikadenweg 35 3006 Bern → konsibern.ch Sa, 18.9.2021, 19.30 Uhr, Bern, So, 3.10.2021, 17 Uhr, Freiburg Musik Klassik
Schweizer Vokalmusik vom 19. bis 21. Jahrhundert Das Konzert präsentiert zwei Uraufführungen von Jean-François Michel und Leopold Dick, die dafür in Auftrag gegeben wurden. Umrahmt wird es von einer Tagung, die sich mit dem Chorleben in der Schweiz befasst. → Französische Kirche Zeughausgasse 8, 3011 Bern → clefni.unibe.ch Di, 21.9.2021, Vernissage 18 – 20 Uhr Gestaltung und Kunst
instant eternities Die Cabane B verwandelt sich in eine Beobachtungsstation. Der Blick richtet sich nach draussen in die Landschaft. Das Gesehene erscheint, verschwindet und verändert sich. Ist es noch derselbe Ort? → Cabane B, Kunstraum beim Bahnhof Bümpliz Nord Mühledorfstrasse 18, 3018 Bern → cabaneb.com
hkb.bfh.ch /veranstaltungen
Fr, 24.9.2021 – Sa, 25.9.2021 Forschung
Sa, 9.10.2021, 19 Uhr Jazz
Fr, 22.10.2021, 17 Uhr Conservation-Restoration
Fr, 29.10.2021, 19 Uhr Musik und Bewegung
Do, 11.11.2021, 19.30 Uhr Musik Klassik
Francesco Pollini and the Milanese musical world in the early 19th century
Generations Jazz Festival Frauenfeld
Master Graduation, Swiss CRC
Rohkost*9 – Crudités*9
Spätklassik für Streichensembles
Das aus HKB-Studierenden bestehende Bern Art Ensemble spielt am legendären Jazzfestival Frauenfeld mit Django Bates dessen Programm 40+ Years Outside The Box. Der Pianist feiert damit seinen 60. Geburtstag. Tickets unter generations.ch → Casino Frauenfeld, Bahnhof platz 76b, 8500 Frauenfeld
The diploma ceremony for the Master graduates in ConservationRestoration. → Abegg-Stiftung Werner Abeggstrasse 67 3132 Riggisberg → swiss-crc.ch/ crc-ma-graduation-ceremony
Organised by the HKB and the Conservatory of Milan Giuseppe Verdi, this conference is devoted to the figure of Francesco Pollini (Ljubljana 1762 – Milan 1846) and the Milanese musical milieu. → Conservatorio Giuseppe Verdi Sala Puccini, Milano (IT) → hkb-interpretation.ch/pollini Mi, 29.9.2021, 17.30 Uhr Forschung
Forschungs-Mittwoch Can Performance (Art) Be Conserved? Claire Bishop in Conversation. What does it mean to conserve performance art, to extend its lifespan into the future? → hkb.bfh.ch/de/forschung
OKTOBER Mi, 6.10.2021, 16 Uhr Forschung
Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine – Paul Klee und die Musik Improvisationen zu Klee-Bildern durch das Duo da Silva – Spitzenstaetter, kommentierter Videobeitrag mit Harrison Birtwistle zu dessen Zwitschermaschine-Vertonung und ein Gespräch zum Buch. → Zentrum Paul Klee, Forum Monument im Fruchtland 3 3000 Bern → hkb-interpretation.ch/veranstal tungen/klee-und-die-musik Do, 7.10.2021, 20 Uhr Oper
Operngala – Auf hoher Fahrt Mit Dirigentin Oksana Lyniv hat 2021 erstmals eine Frau an den Festspielen in Bayreuth dirigiert. Nun kommt sie nach Bern, um hier eine veritable Operngala zu erarbeiten. → Casino Bern Casinoplatz 1, 3001 Bern Fr, 8.10.2021, 9.15 – 17.30 Uhr Forschung
5. SINTA-Tag SINTA-Doktorierende, Moderation: Prof. Dr. Thomas Gartmann und Prof. Dr. Cristina Urchueguía → UniBe, Raum 224 Mittelstrasse 43, 3012 Bern
Di, 12.10.2021 – Do, 14.10.2021 Musik
Zukunftsmusik 2021 Musik als Ort der gelebten Inklusion: Das Symposium Zukunftsmusik 2021 richtet sich an Personen mit und ohne Beeinträchtigungen wie Musiklehrer*innen, Musikstudent*nnen, Dozent*innen und Musiker*innen. → tabulamusica.ch/ zukunftsmusik-2 Do, 14.10.2021, Vernissage 18 Uhr Gestaltung und Kunst
Hörst du uns, Lady Felicia? Wer gibt den Kartoffeln Namen und warum sind dies Frauennamen? Auf der Suche im Netz und im Emmental ist eine assoziative und vegane Desktop-Documentary entstanden. → Cabane B, Kunstraum beim Bahnhof Bümpliz Nord Mühledorfstrasse 18, 3018 Bern → cabaneb.com Do, 14.10.,2021 18–19 Uhr Musik Klassik
Halt auf Verlangen Den Auftakt in der Konzertreihe machen Studierende von Antonio Meneses (Cello) und Giuliano Sommerhalder (Trompete). Ergänzt wird das Programm durch den Jazzspot, diesmal mit Loïc Baillod am Kontrabass. → Spittelkapelle im Burgerspital Bahnhofplatz 2, 3011 Bern → begh.ch Di, 19.10.2021, 18.30 Uhr Jazz
Kultur im Viktoria Die vier HKB-Absolvent*innen von Canned Swing präsentieren ihr neues Repertoire. Das Konzert wird live auf Radio RaBe übertragen. Tickets 20 – 30 CHF, Reservation: az-viktoria.ch/leben/kultur → Alterszentrum Viktoria, Kapelle Schänzlistrasse 63, 3013 Bern Do – Fr, 21.10.2021 – 22.10.2021, 10 – 18 Uhr, Forschung
Aspect Change The aim of the symposium is to compare cultural practices and vocabularies. It aims to make people aware of their habits of seeing and naming, and to break through them. It is held in English. → Fellerstrasse 11, 3027 Bern Auditorium, 1. Stock
Fr, 22.10.2021, 20.30 Uhr Jazz
DKSJ All Stars feat. Furio Di Castri Die Jazzabteilungen aller Schweizer Musikhochschulen lancieren jährlich ihr All Star Project inklusive Konzerttournee. Die Leitung 2021 übernimmt der italienische Bassist und Komponist Furio Di Castri. → BeJazz Club, Könizstrasse 161 3097 Liebefeld → dksj.ch | bejazz.ch Di, 26.10.2021, 20 Uhr, Neuenburg Fr, 29.10.2021, 20 Uhr, Bern Neue Musik
Operngala – Auf hoher Fahrt
Die Komponistin erarbeitet mit Studierenden der HKB und dem Nouvel Ensemble Contemporain Neuchâtel zwei Versionen ihrer Konzertinstallation – eine davon im unterirdischen Lager an der Ostermundigenstrasse. → Di: Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Pertuis-du-Sault 74 2000 Neuenburg Fr: HKB, Hochregallager im Untergeschoss Ostermundigenstrasse 103 3006 Bern → Eintritt frei → cdn.ch → rebeccasaunders.net/chroma Do, 28.10.2021, 18 – 19 Uhr Musik Klassik
Halt auf Verlangen Die Klavierklasse von Wilhem Latchoumia lässt den Steinway-Flügel in der Spittelkapelle erklingen. Dazwischen spielen Studierende von Ernesto Molinari Klarinette und Hannah Biedermann singt im Jazzspot. → Spittelkapelle im Burgerspital Bahnhofplatz 2, 3011 Bern → begh.ch Do, 28.10.2021 / Fr, 29.10.2021, 20 Uhr, Jazz
DKSJ Exchange Nights Eine Auswahl der Bachelorprojekte aller Jazzabteilungen der Schweizer Hochschulen geht auf Tour und präsentiert unterschiedliche Programme und Ästhetiken. → HKB, Auditorium Ostermundigenstrasse 103 3006 Bern → dksj.ch
Studierende des Bachelors Musik und Bewegung zeigen in diesem Format Tanzduette und solistische Choreografien. Les étudiant*es du Bachelor Musique et Mouvement présentent des duos de danse et des chorégraphies en solo. → HKB Burg, Jakob-Rosius Strasse 16, 2502 Biel → Reservation: rhythmik@hkb.bfh.ch
NOVEMBER Mo, 1.11.2021 bis Mi, 3.11,2021 jeweils 9.30 – 12.30 / 13.30– 16.30 Uhr Gestaltung und Kunst
Design Research Methods Festival 2021
Das jährliche Festival des Masters Design diskutiert aktuelle designund designforschungsrelevante Ansätze und Methoden. Gäste: Hanaa Dahy, Victoria L. Rovine, Arne Scheuermann, Bettina Minder, Ute Klotz und Medea Fux. → HKB, Auditorium Fellerstrasse 11, 3027 Bern → hkb-ma-design.eventbrite.com Di, 2.11.2021, Vernissage 18 Uhr Gestaltung und Kunst
Bümpliz Street View
Bei den Open-Chamber-Konzerten stehen Dozierende und Studierende gemeinsam auf der Bühne. David Sinclair und Patrick Jüdt interpretieren mit Studierenden virtuose Kammermusik der Spätklassik. → Konservatorium Bern Kramgasse 36, 3011 Bern → konsibern.ch Di, 16.11.2021, 18.30 Uhr Musik Klassik
Kultur im Viktoria: Streichquartette von Haydn und Schubert Das preisgekrönte Quartetto Eos führt zwei Meisterwerke auf: Haydns Streichquartett Op. 77 Nr. 1 und Schuberts Der Tod und das Mädchen. Im Wechsel dazu erzählt das Quartett vom Leben als Kammermusiker*in. → Alterszentrum Viktoria, Kapelle Schänzlistrasse 63, 3013 Bern → Tickets 20 – 30 CHF Reservation: az-viktoria.ch/leben/kultur
Do, 25.11.2021, 18 Uhr Musik Klassik
Halt auf Verlangen
Gemeinsames Gestalten und Ausprobieren ohne Druck an zwei Nachmittagen. → Cabane B, Kunstraum beim Bahnhof Bümpliz Nord Mühledorfstrasse 18, 3018 Bern → cabaneb.com
Akkordeon und Orgel wechseln sich ab, wenn Studierende von Teodoro Anzellotti und Daniel Glaus ein Konzert geben. Im Jazzspot spielt Daniel Hernandez Klavier. → Spittelkapelle im Burgerspital Bahnhofplatz 2, 3011 Bern → begh.ch
Mi, 3.11.2021, 17 Uhr Forschung
Do, 25.11.2021, 18.15 Uhr Forschung
Forschungs-Mittwoch
Sonic Agency – Historic Soundscapes
Sammeln – Sammlung – Museum: die Querflötensammlung Halder. Wer sammelt, wählt aus – und entscheidet mit dieser Wahl, was der Nachwelt erhalten bleiben soll. Gleichzeitig ist es immer auch ein Entscheid darüber, was möglicherweise nicht erhalten bleibt. → Klingendes Museum Kramgasse 66, 3011 Bern und online Fr, 12. / Sa, 13.11.2021, 10 / 14 Uhr So, 14.11.2021, 17 Uhr Jazz
41. Musikwettbewerb des Lyceum Clubs Der alle drei Jahre stattfindende Wettbewerb wird 2021 in Bern ausgetragen und widmet sich erstmals dem Jazz. Jeweils zwei Masterprojekte aus Basel, Bern, Lausanne, Luzern spielen an den Konzerten. → Fr / Sa: HKB, Auditorium Ostermundigenstrasse 103 3006 Bern So: Mahogany Hall Klösterlistutz 18, Bern → concoursdemusique lyceumclub.ch
Vortrag im Rahmen der Themen, Theorien und Methoden der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften des Doktoratsprogramms Studies in the Arts SINTA. Referenten: PD Dr. Jan-Friederich Missfelder, Prof. Dr. Andi Schoon → UniS, Hörraum A022 Schanzeneckstrasse 1, 3012 Bern Mo, 29.11.2021 – Sa, 4.12.2021, 9.30 – 12.30 / 14 – 15 / 15.30 – 18.30 Uhr Musik Klassik
European Chamber Music Academy (ECMA)
Die ECMA bietet ein abwechslungsreiches Programm an Meisterkursen und Vorträgen an. Berühmtheiten wie Hatto Beyerle oder Komponist Helmut Lachenmann fördern talentierte Kammermusik-Ensembles. → HKB, Papiermühlestrasse 13d 3014 Bern → ecma-music.com
Fr, 10.9.2021. / Sa, 11.9.2021, jeweils 10 – 16 Uhr Konservierung und Restaurierung
Do, 7.10.2021, 19.30 Uhr Musik Klassik
Mi, 6.10.2021 – Fr, 8.10.2021 Forschung
Mo, 25.10.2021 – Mo, 28.2.2022 Hochschule der Künste Bern
Im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals 2021 bietet sich für alle Interessierten die Chance, sich mit unserem Kulturerbe vertieft zu befassen; auf Spaziergängen, in Gesprächsrunden, bei Atelierbesuchen. Studierende und Dozierende aus dem Fachbereich Konservierung und Restaurierung unterstützen diese Initiative tatkräftig: Gemeinsam mit Ihnen besteht im September die Möglichkeit, den Nachlass von Marguerite Frey-Surbek und Victor Surbek zu erkunden oder auf den Spuren der Werke von Walter Kretz durch Bern zu wandeln.
Die grosse Bühne betreten und den Saal musikalisch füllen – auch das gehört zur Ausbildung vieler Musikstudierender. An der Operngala haben sie die Möglichkeit dazu, unter anderem mit Werken aus bekannten Opern von Alban Berg, Benjamin Britten, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Giacomo Puccini oder Richard Strauss. Sinfonieorchester der HKB / musikalische Leitung: Oksana Lyniv. Sänger*innen: Julia Andersson, Leo Bachmann, Simon Burkhalter, Adi Denner, Pepe Diaz, Arilda Hoxha, Brigitte Keusch, Xuenan Liu, Paula Meyer, Lara Morger, Natalia Pastrana, Marija Prifti, Aleksandra Stankovic, Yurii Strakhov, Jiacheng Tan, Nicole Wacker
Die Tagung Traduction – relation, die im Rahmen des gleichnamigen SNF-Forschungsprojekts durchgeführt wird, denkt und praktiziert «Übersetzung» einmal anders: nicht bloss als Text, dessen Korrektheit es zu erfassen gilt. Oder einfach als Disziplin, deren Methoden man begreifen könnte. Traduction – relation versteht «Übersetzung» als singuläre Form der Beziehung, die verändert, was sie miteinander verbindet. Diese Beziehung wird in Ateliers, Performances, Lesungen und Vorträgen erkundet.
Es geht wieder los! Unsere Infotage-Saison beginnt im Herbst und dauert bis zum nächsten Frühjahr. Wer also an einem Studium an der HKB interessiert ist, kann sich quer durch alle Fach- und Studienbereiche informieren: → Konservierung und Restaurierung → Gestaltung und Kunst → Musik → Theater → Schweizerisches Literaturinstitut → Y Institut → Weiterbildung / Forschung
Europäische Tage des Denkmals 2021
→ Brunnmattstrasse 46a (Hinterhof), 3007 Bern → Treffpunkt Spaziergang: Marzilistrasse 47, 3005 Bern → hereinspaziert.ch
Operngala im Casino
Freier Eintritt, Kollekte → Casino Bern, Casinoplatz 1, 3011 Bern
Traduction – relation
Infotage 2021/2022
Je nach aktueller Covid-Lage finden die Veranstaltungen online oder vor Ort statt. Alle Interessierten sind herzlich willkommen!
→ Schwabstrasse 10, 3018 Bern
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SEPTEMBER
N°3/2021
→ hkb.bfh.ch/infotage
HKB-ZEITUNG
HKB aktuell
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News
HKB-ZEITUNG
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Stefan Ebner Theater für Kinder ab vier Jahren – aber auch packend für Erwachsene: Stefan Ebners Stück Bis einer heult wurde mit dem STELLA*20, dem Darstellender. Kunst.Preis für junges Publikum in Österreich ausgezeichnet.
Neuer Standort für Gestaltung und Kunst Der Bachelor of Science Multimedia Production und der Master of Arts Multimedia Communication & Publishing des Fachbereichs Gestaltung und Kunst beziehen per 1. September neue Räume am Holzikofenweg 8.
Zwei Typen im Anzug wollen hoch hinaus: Sie bauen Türme mit den sogenannten Kapla-Bausteinen, während im Hintergrund eine Frau auf einem Cello spielt. So die Ausgangslage im Stück Bis einer heult. Einer der beiden Männer ist der Theaterschaffende Stefan Ebner, der bisher vor allem als freischaffender Regisseur und Autor in seiner Heimat Kärnten in Erscheinung trat. Der 1979 in Klagenfurt geborene Theaterschaffende findet Abgrenzungen nicht notwendig. Ganz in diesem Sinne hat er an der Hochschule der Künste Bern Expanded Theater studiert. «Im Studium macht man sich viele Gedanken darüber, wie man über die jeweils aktuellen Theaterbegriffe hinausdenken kann.» Dieser Ansatz sei es gewesen, der ihn nach Bern gezogen habe. Mit einem Fuss in Villach und einem in Bern verbrachte er die letzten zwei Jahre häufig in Nachtzügen. Sein Hintergrund mag erstaunen. Ebner hat ursprünglich eine Ausbildung zum Förster gemacht und nebst der Forstwirtschaft Betriebswirtschaft und Germanistik studiert. «Musik habe ich seit jeher gemacht», verrät er. Er habe sich für alternativen Sound und Punk begeistert. Als er in einem Theater als Assistent arbeiten konnte, zog es ihm den Ärmel rein. «Im Theater kommt alles zusammen. Text, Musik, Bild, Körper und weitere Elemente finden zueinander», schwärmt er. Ebner begann mit Jugendtheater. «Die Welt der Jugendlichen interessiert mich, weil man in der Auseinandersetzung mit ihr auf seine eigene Jugend zurückgeworfen wird.» 2012 war Ebner Mitbegründer des TURBOtheater Villach, das mit seinem Namen ausdrücken wollte: «Wir geben Gas und gehen auch mal mit dem Kopf durch die Wand.» In Kärnten habe es so etwas zuvor nicht gegeben. «Jugendtheater wurde vernachlässigt.» Ebner ist davon überzeugt, dass man Jugendlichen eine Stimme geben muss. Das tat er auf unkonventionelle Art und Weise. Etwa mit ortsspezifischen Bühnensituationen (site-specific theatre). «Wir bauten ein Theater zu einer Disco um, in der alle Rollen, zum Beispiel jene des Türstehers, von Jugendlichen verkörpert wurden.» Freunde hätten ihn öfters mal gefragt, warum er nicht nach Wien oder Berlin gehe. «Doch ich mag es, wo ich lebe», so Ebner. Die Verbundenheit mit den Menschen mache etwas mit ihm. Villach mit seinen 60 000 Einwohnern liege an der Peripherie der Kunst. «Darin liegt ein gewisser Reiz.» Es sei auch ein Risiko, weil man die Sehgewohnheiten des Publikums schneller herausfordere, als dies in Wien der Fall wäre. «Meine Basis liegt in Kärnten, aber ich arbeite auch immer wieder darüber hinaus, etwa am Volkstheater in Wien», so der Vater von drei Kindern. Aktuell befinde er sich mit seinem jüngsten Sohn auf Radurlaub, verrät er während des Zoom-Gesprächs. Die Kinder hätten ihm häufig Inspiration geliefert. So seien etwa die beiden älteren Kinder grosse Fans der Trilogie Der Herr der Ringe gewesen. 2015 bekam Ebner die Gelegenheit, ein sogenanntes Klassenzimmerstück zu inszenieren. Er setzte sich mit Lessings Ringparabel auseinander und entwickelte eine Geschichte, bei der ein Hausmeister in eine Klasse geschickt wird, um etwas zu reparieren. Der Mann stellt sich als Nerd und eingefleischter Fan von Der Herr der Ringe heraus. Bereits für dieses Stück erhielt Ebner eine Nomination beim Theaterpreis STELLA. Auch mit suchtkranken Menschen entwickelte er schon Stücke, unter anderem einen Text, der von einem professionellen Schauspieler unter seiner Regie aufgeführt wurde. Es sei darum gegangen, den Suchtkranken Selbstvertrauen zurückzugeben. Doch Ebner betont auch: «Kunst kann zwar etwas Heilendes haben, aber es wäre ein Trugschluss, in die Kunst zu gehen, um geheilt zu werden.»
HKB Code of Conduct Nach einer breiten Vernehmlassung hat die HKB Departementsleitung im April 2021 einen Code of Conduct verabschiedet. Die HKB bekennt sich damit zu einer diversen und diskriminierungssensiblen Hochschule, formuliert ethisch fundierte Verhaltensrichtlinien und schafft transparente Verfahren. Mitdiesem Verhaltenskodex steht der HKB künftig ein Arbeitsinstrument zur Förderung einer wertschätzenden Lern- und Arbeitskultur und zum Umgang mit nicht tolerierbarem Verhalten zur Verfügung. Das Dokument wird allen Mitarbeitenden und der Studierenden zugesandt. Um den Kulturwandel gemeinsam gestalten zu können sind verschiedene Formate geplant.
Zurück zur Natur Als er vor acht Jahren mit Theater angefangen habe, habe er sich von der Natur entfernt und einen eher intellektuellen Ansatz gehabt. «Ich habe ganz viel Theaterliteratur gelesen und hatte meinen eigenen Zugang noch nicht gefunden», so Ebner. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Aktuell verbringe er sehr viel Zeit in seinem Garten oder im Wald. In seiner Masterarbeit setzt sich Ebner mit Zusammenhängen zwischen Natur und Theaterschaffen
Ober-Gerwern-Masterpreis 2020 für Nermina Šerifović Die Gesellschaft zu Ober-Gerwern hat zum 6. Mal den Preis für herausragende MasterArbeiten an der HKB vergeben. Der Preis in der Höhe von 20 000 Franken geht dieses Jahr an Nermina Šerifović, Master Art Education. Ausgezeichnet wurde Nermina Šerifović für ihre Masterthesis Zwischen Zerfall und Umbruch – Rahmenbedingungen für künstlerische Selbstorganisationen in Sarajevo. Als Kind bosnischer Eltern ist Nermina Šerifović mit der Kultur und Sprache gross geworden, aber in der Schweiz sozialisiert, in der sie ein umfassendes kulturelles Förderungssystem hat kennenlernen dürfen.
Foto:Caroline Zissernig
auseinander. In seinem neu gegründeten fluiden Theaterkollektiv Material für die nächste Schicht geht es unter anderem um Analogien zwischen den Prozessen der Kompostierung und der künstlerischen Arbeit. «Die künstlerische Kompostierung besteht aus verschiedenen Organismen», so Ebner. Es gehe um die Pole Chaos und Ordnung, die man auch in der Natur wiederfinde. Ebner möchte von der Idee wegkommen, Theater für verschiedene Altersgruppen zu machen. Das mit dem STELLA*20 ausgezeichnete Stück Bis einer heult soll alle ab vier Jahren ansprechen. Die Kapla-Steine kennt Ebner, seit er Vater geworden ist. «Damit wollte ich schon länger etwas machen.» Die zwei Typen in Anzügen (Ebner selbst und Martin Geisler) sorgen für ein absurdes Setting. «Wir fangen immer mit ganz wenig an bei der Entwicklung eines Stücks», so Ebner. Er wolle während der Arbeit entscheiden, was passiere, die Dinge erfühlen. «Ich bin sehr verspielt.» Es gebe kaum Text, dafür Livemusik. Die Musikerin und Performerin Jana Thomaschütz beweise im Stück auch darstellerisches Talent. Für ihn selbst sei es das erste Mal gewesen, dass er ein ganzes Stück lang auf der Bühne war, so der Theatermacher. An der HKB wurde er dazu angestossen, auch selbst zu spielen, vieles auszuprobieren. Wird denn eigentlich irgendwann geweint, in einem Stück mit dem Titel Bis einer heult? «Wir sind oft knapp davor», so Ebner lachend. Am Ende des Stückes heulten allerdings nicht die Menschen, sondern Sirenen. Dass diese Arbeit ausgezeichnet wurde, bedeutet Ebner viel. «In der Peripherie wird man schlecht gesehen. Meistens kommen die Gewinner*innen aus Zentren wie Wien und Graz.» So ein Preis helfe auch dabei, Fördergelder zu bekommen oder an Festivals eingeladen zu werden. «Das Schlachthaus Theater hat uns allerdings schon vorher vertraut und in sein Programm aufgenommen.» Nach Bern kommt Bis einer heult auch in Graz, Salzburg und am Kultursommer von Wien zur Aufführung. In Bern spielte die Truppe bereits im Tscharnergut-Quartier in Bümpliz. «Unser Stück funktioniert für alle sozialen Gruppen. Auch für Kinder, die noch
nie im Theater waren», so Ebner. Am Ende der Vorstellung dürfen die Kinder auch selbst auf der Bühne mitspielen. «Kinder geniessen es, Erwachsene mit Bauklötzen spielen zu sehen und zu beobachten, was wir damit machen», so Ebner. Erwachsene hätten jeweils eine andere Sichtweise. «Sie interpretieren das Stück zum Beispiel als Abbild einer Gesellschaft, in der Männer die Welt gestalten und die Frau im Hintergrund bleiben muss, bis sie sich selbst den Raum nimmt.» Er selbst sehe es vor allem als Ode an die Verspieltheit. «Es geht um die Freiheit, dass auch Männer in Anzügen jederzeit aus ihrer Rolle ausbrechen können.»
Text: Helen Lagger
Berner Literaturpreis für Regina Dürig und Arno Camenisch Die HKB-Alumni Regina Dürig und Arno Camenisch haben neben vier weiteren Schriftsteller*innen den mit jeweils 9 000 Schweizer Franken dotierten Literatupreis des Kantons Bern gewonnen. Arno Camenisch und Regina Dürig haben vor elf beziehungsweise zwölf Jahren den Bachelor Literarisches Schreiben an der HKB abgeschlossen. Beide Schriftsteller leben in Biel und beide haben bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Arno Camenisch gewinnt mit seinem neusten Roman Der Schatten über dem Dorf (Engeler-Verlag) und Regina Dürig mit ihrer Novelle Federn lassen (Droschl Literaturverlag), ihrem Debüt als Autorin für Erwachsene. Neue Publikation Gila Kolb, Dozentin Art Education, hat Post-Digital, Post-Internet Art and Education – The Future is All-Over veröffentlicht. In drei Teilen wird dem Post-Digitalen und der Art Education nachgegangen: 1. How did we get here: Historical, theoretical, critical, and future oriented perspectives on post-digital and post-Internet art & education; 2. Why is this important for art education? Transdisciplinary networks, research, and subjectivities of the post-digital and post internet; 3. How can we create educational futures? Classroom and pedagogical practices examples of post-digital and post-internet art education. Der Band ist beim Palgrave Verlag / SpringerLink erschienen. Herausgegeben haben ihn Gila Kolb, Dozentin für Art Education an der HKB, Kevin Tavin und Juuso Tervo. Die Open-Access-Version gibt es Dank finanzieller Unterstützung der HKB und der Aalto University.
Forschungsfenster
Zu Gast
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Klebstoffgitter – Methode und Anwendung zur flächigen Verklebung von Leinwandgemälden In einem im Frühling gedrehten Film zum Innosuisse-Projekt erklärt die KonservatorinRestauratorin Mona Konietzny das neue Produkt der Klebstoffgitter: Leinwandgemälde können vielfältige Schäden aufweisen, die oft auch den Bildträger betreffen. Die Leinwand kann dabei so stark abgebaut sein, dass sie mit einem Stütztextil hinterklebt werden muss. Das HKB-Forschungsteam hat hierfür – gemeinsam mit der APM Technica AG und der Hochschule für Bildende Künste Dresden – wabenförmige Klebstoffnetze entwickelt. Wie diese aussehen und anzuwenden sind, ist zu erfahren auf: → youtube.com (Kanal Institut Materialität in Kunst und Kultur) Studies in the Arts – Neue Perspektiven auf Forschung über, in und durch Kunst und Design Das Doktoratsprogramm Studies in the Arts ist eine schweizweit einzigartige Kooperation zwischen der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern HKB, die Absolvent*innen von Kunsthochschulen oder Universitäten eine künstlerisch-wissenschaftliche Promotion ermöglicht. Fünf Jahre nachdem die ersten Absolvent*innen erfolgreich promoviert haben, erschien Ende März die Open-Access-Publikation Studies in the Arts – Neue Perspektiven auf Forschung über, in und durch Kunst und Design erstmals beim Transcript-Verlag. Sie enthält Beiträge von SINTA-Doktorierenden der Forschungstage 2018 und 2019 sowie Aufsätze von Dozierenden dieser Jahre: → transcript-verlag.de (Stichwort Thomas Gartmann) Swiss Graphic Design Histories – neue Publikation lanciert Am 1. Juli 2021 luden die Herausgebenden, der Verlag Scheidegger & Spiess und die Berner Design Stiftung, zur Vernissage der Publikation Swiss Graphic Design Histories ein. Diese baut auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts Swiss Graphic Design and Typography Revisited auf. Mit zwölf Forscher*innen von sieben Schweizer Universitäten sowie einer Laufzeit von vier Jahren war es das bislang grösste akademische Forschungsprojekt im Bereich Design, das vom SNF gefördert wurde. Die daraus entstandene Publikation bietet nun einen umfassenden Überblick über die Grafikdesignlandschaft der Schweiz. → srf.ch (Stichwort graphic design histories) Gratulationen → Catalina Lucía Agudin, SINTA-Doktorandin, erhält vom SNF einen Doc.CH-Beitrag zu ihrem Dissertationsprojekt Revaluation of Wichi traditions: Applying Anthropological and Design Methods in a participatory project within Argentinian Aboriginal Community bewilligt. → Petra Dariz’ Folgeprojekt zu Ägyptisch Blau wird von der Goethe-Stiftung für Kunst und Wissenschaft sowie der UBS Kulturstiftung unterstützt. Zudem hat sie im April 2021 zu Ägyptisch Blau gemeinsam mit Thomas Schmid von der Humboldt Universität zu Berlin einen Artikel in der Zeitschrift Nature Research Journal Scientific Reports publiziert: nature.com (Stichwort: Medieval Egyptian) → Aurel Sieber, Doktorand im SNF-SinergiaProjekt Praktiken ästhetischen Denkens hat an der Universität Zürich zu Epistemiken des Essayistischen. Harun Farockis Praxis mit summa cum laude promoviert. → João Carlos Victor, SINTA-Doktorand, übernimmt 2022 die Nachfolge von Raphaella Smits als Professor für Gitarre an der LUCA Muziek School of Arts in Leuven (Belgien).
Duftdesigner in der Haute Parfumerie und Lehrbeauftragter an der HKB: Nicola Pozzani erzählt, wie er Menschen half, die ihren Geruchssinn verloren hatten, und welche Düfte er als besonders angenehm oder als besonders ätzend empfindet. Viele an Corona erkrankte Menschen haben ihren Geruchssinn verloren. Der Supergau für jeden Parfumeur, der mit seiner feinen Nase sein Geld verdient. Nicola Pozzani, Duftdesigner und Dozent, bestätigt, dass seine Angst vor der Krankheit gross ist. «Es war ein herausforderndes Jahr für mich», so der 1981 in Verona geborene Italiener. Der unter anderem an der Hochschule der Künste Bern als Dozent engagierte Duftdesigner lebt in London und hat dort einen harten ersten Lockdown erlebt. «Ich wollte meine Kunden treffen und hatte gleichzeitig Angst, mich anzustecken», erklärt er. Auch der OnlineUnterricht habe etwas Absurdes an sich gehabt. Wie soll man ohne olfaktorische Erlebnisse Duftdesign unterrichten? In seinen legendären Workshops konnte Pozzani schon vor Corona Menschen helfen, die den Geruchs- und den Geschmackssinn verloren hatten. Die sogenannte Anosmie kann verschiedene Ursachen haben, etwa Verletzungen im Gehirn. «Es war erstaunlich, aber unsere Geruchstrainings führten dazu, dass Studierende, die am Anfang des Kurses nichts mehr riechen konnten, plötzlich Düfte wieder wahrnahmen», so der Parfumeur. Pozzani richtet im November an der HKB die Toolbox Olfactory Art & Design. Heute setze man Duftexperten sogar in Spitälern ein, weil man beweisen konnte, dass man den Geruchssinn wie einen Muskel trainieren könne. Pozzani ist als Dozent nebst der HKB auch am London College of Fashion und an der Slade School of Fine Arts UCL tätig. Seinen Unterricht bezeichnet er als experimentell und ein bisschen verrückt. «Ich ermutige die Studierenden, Düfte zu erfahren und zu interpretieren.» Seine Klassen seien sehr heterogen und würden aus den unterschiedlichsten kreativen Menschen bestehen. «Bildende Künstler*innen, Designer*innen und Architekt*innen nehmen an meinen Workshops teil.» Sein Fach sei relativ jung, klar. Aber die Idee, Düfte beispielsweise in Bauten zu integrieren, gebe es schon eine ganze Ewigkeit. «Wenn man an Kirchen und deren Einsatz von Weihrauch denkt, merkt man, wie wichtig der Geruch für die dortige Erfahrung ist», so Pozzani. Inspiriert von Rimbaud Der erste Duft, an den er sich erinnern könne, sei jener seiner Mutter. «Sie roch nach einem französischen, orientalischen Parfum. Weich, warm und glamourös.» Pozzani ist der Sohn eines Unternehmers und einer Reisekauffrau. Er habe den Geschäftssinn und die Liebe zu fremden Kulturen wohl von seinen Eltern geerbt, sein eigener Berufswunsch mutete in seiner Familie aber eher exotisch an. In jungen Jahren wollte Pozzani in der Modebranche Fuss fassen. Ein «schöner Zufall» habe ihn schliesslich ins Reich der Düfte geführt. In Mailand entdeckte er an der einzigartigen Università dell’Immagine, die es heute nicht mehr gibt, einen Studiengang, bei dem er sich auf einen der fünf Sinne konzentrieren konnte. Der Parfumeur Jean-Claude Ellena wurde sein Lehrer und Mentor. «Durch diesen Meister aus der Parfumstadt Grasse wurde ich in die Parfumkunst eingeführt.» Ausserdem habe ihn Ellenas Art, zu unterrichten, stark geprägt. In seinem eigenen Unterricht erklärt Pozzani den Studierenden unter anderem, wie aus Rohmaterialien Duftnoten entstehen. Pozzani ist Synästhetiker, bei dem Sinnesreize verknüpft sind. Eine Sinneserfahrung, die bereits die französischen Dichter Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud umtrieb, die Buchstaben mit Farben assoziierten. Erst sechzehnjährig, schrieb Rimbaud das Gedicht Sensation (1870). Der Poet beschreibt in diesem Text einen Spaziergang während einer Sommernacht. Für Pozzani wurde das Gedicht zur Inspiration. «Es gibt zahlreiche Anspielungen auf Düfte darin.» Er selbst liebt Düfte, die überraschend daherkommen. «Sommerabende in Italien riechen besonders gut», verrät er. Als er in Sizilien zu einem Hochzeitsfest langjähriger Freunde eingeladen war, habe es auf der Terrasse etwa nach Orangenblüten und Jasmin gerochen, schwärmt er. Bei seinem ersten Job als Duft-designer sollte Pozzani die Ursprünge
des Parfums Aqua di Parma erforschen, das von Louis Vuitton aufgekauft worden war. Dabei tauchte er tief in die Kultur seiner Heimat Italien ein: Wie war die Badekultur in der Antike? Dass sich Parfumeure beim Entwickeln eines Duftes solche Fragen stellen würden, bleibe den Konsument*innen oft verborgen. Doch nicht nur die Duftnoten seien bei einem Parfum wichtig. «Name und Verpackung spielen ebenfalls eine grosse Rolle», so Pozzani. Düfte würden oft viel über die Zeit aussagen, in der sie kreiert wurden. Er selbst trägt ein individuelles Parfum, das aus verschiedenen Duftnoten besteht, die ihm befreundete Parfumeure zusammengestellt haben. In der sogenannten Haute Parfumerie geht es genau darum: für eine Persönlichkeit den perfekten Duft zu finden. Pozzani hat unter anderem für das legendäre Londoner Parfumhaus Floris gearbeitet. Die traditionsreiche Institution besteht bereits seit 1730. Bis zu 5000 Pfund könne ein individuelles Parfum kosten, das mit einem massgeschneiderten Anzug vergleichbar sei. An solchen Aufträgen liebt Pozzani den Kundenkontakt. «Du musst eine Person sehr gut kennenlernen, um herauszufinden, welcher Duft zu ihr passt.» Auch nach Saudi-Arabien hat es den viel reisenden Duftdesigner bereits verschlagen. «Ich habe dort viel über Düfte gelernt.» In der arabischen Kultur hätten Düfte einen hohen Stellenwert. «Während wir in Europa den Wein zelebrieren, der im Christentum eine wichtige Rolle spielt, ist es im arabischen Raum das Parfum, das man verehrt.» Der unangenehmste Duft seines Lebens stach ihm in einer Ledergerberei in Italien in die Nase: «Es roch nach toten Tieren und Chemikalien.» Yoga und Natur Aktuell arbeitet Pozzani an einem Projekt in Venedig. Viele Städte – zum Beispiel London – hätten ihren einzigartigen Duft verloren. Bei Venedig sei das anders, schwärmt er. Wenn er nach Bern komme, was er seit sieben Jahren jährlich tue, habe er immer wieder dasselbe Dufterlebnis. «Du fühlst dich durch die
Foto: Caroline Zissernig
frische Luft mit Sauerstoff angereichert.» Die Nähe zur Natur und zu den Bergen sei einzigartig. Wohlbefinden ist ein wichtiges Thema in Pozzanis Leben. Während des Lockdowns betätigte er sich als Yogalehrer und gab Online-Unterricht. «So, wie Dufterlebnisse dein Leben bereichern können, kann das auch Yoga tun», glaubt er. Pozzani ist Mitglied der British Society of Perfumers, die seit 1963 den Beruf des Parfumeurs fördert. Der berühmteste Parfumeur der Literaturgeschichte bleibt wohl die Figur des Grenouille aus Patrick Süsskinds Roman Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders. Der Romanheld hat ein besonderes Talent, wenn es um Düfte geht: Er riecht sogar, ob eine Raupe in einem Salatkopf steckt oder nicht. Schliesslich wird er zum Mörder, um den ultimativen Duft zu kreieren, dem alle erliegen. «Wir Parfumeure haben alle einen hoch entwickelten Geruchssinn», sagt Nicola Pozzani auf den Roman angesprochen. «Das ist aber das Einzige, was mich mit dieser abscheulichen Romanfigur verbindet», fügt er lachend an.
HKB-ZEITUNG
Alain Findelis Gesamtwerk geht online Alain Findeli gilt als einer der führenden Designtheoretiker unserer Zeit und als Begründer der Designforschung in frankofonen Ländern. Seine Schriften wurden in zahlreichen Büchern und Zeitschriften veröffentlicht, von denen einige nur schwer erhältlich sind. Daraus entstand die Idee, eine Online-Bibliothek zu entwickeln, die vom Institute of Design Research umgesetzt wurde. Nun ist das Gesamtwerk Findelis öffentlich zugänglich: → complete-works-alain-findeli.ch.
SEPTEMBER 2021
Nicola Pozzani
Text: Helen Lagger
Student*in im Fokus
Absolvent*in im Fokus
Florian Jakober
Belia Winnewisser
SEPTEMBER 2021
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Foto: Alex Anderfuhren
HKB-ZEITUNG
Nachhaltige Einkaufskultur fördern: Im Rahmen seines Masterstudiums Design in der Vertiefung Design Entrepreneurship entwickelt Florian Jakober ein Starterkit, mit dem man in der eigenen Nachbarschaft ohne grossen Aufwand eine Foodcoop starten kann. Bevor Florian Jakober von sich und seinem Masterprojekt erzählt, spricht er erst lange über die grundlegenden Fragen. Er erklärt, weshalb er als Designer ein besseres Verständnis für Wertschöpfungsketten hat als ein Managementstudienabgänger. Er spricht von seiner Überzeugung, dass eine nachhaltige Wirtschaft nur über Negativwachstum erreichbar ist. Und irgendwann beginnt er dann doch noch von sich zu erzählen. Jakober schliesst 2009 an der ZHdK seinen Bachelor in Grafikdesign ab und gründet mit einem Freund aus dem Studium ein Grafikdesignstudio in Zürich. 2011 beginnt er einen Master in Grafikdesign an der HKB, bricht jedoch wieder ab, um sich auf die Projekte für seine Kunden zu konzentrieren. Er weiss aber: Sollte er ein sinnvolles Projekt finden, das ihn wirklich packt, schliesst er seinen Master irgendwann ab. An die HKB kommt Jakober zunächst als Dozent zurück. Im neuen MA Design in der Vertiefung Design Entrepreneurship gibt er ab 2015 in einem Basismodul seine Erfahrung aus der Praxis weiter, zeigt etwa, wie man ein Budget aufstellt oder Stundensätze berechnet. Bei seiner Arbeit im Studio hat der unternehmerische Aspekt über die Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. Doch erst mit der Dozententätigkeit beginnt bei dem gebürtigen Innerschweizer eine vertiefte Reflexion darüber, was eigentlich nachhaltiges und sozial verträgliches Unternehmertum bedeutet. «Es kann nicht darum gehen, noch ein weiteres nachhaltig produziertes Produkt auf den Markt zu bringen», ist Jakober überzeugt. Er will vielmehr neue Organisationsmodelle für eine kleinräumigere Bedarfswirtschaft finden. Brot verteilen im Quartier Das ist die eine Komponente seines Masterprojekts. Die andere ist Essen, das in Jakobers Alltag eine grosse Rolle spielt. Er und sein Geschäftspartner kochen jeden Tag im Studio, Jakober holt regelmässig kiloweise überschüssiges Brot in Bäckereien ab und verteilt es im Quartier. Als er schliesslich 2019 zwei Wochen bei einer Freundin in Schweden auf einem Permakulturhof mithilft, fragt er sich, ob man wirklich Selbstversorger werden muss, um sich konsequent nachhaltig zu ernähren. Beim Selbstversuch in Zürich merkt Jakober schnell, dass er sich Produkte wie Schweizer Bioquinoa nicht leisten kann. Und er lernt: «Die Hälfte des Kaufpreises geht an den Detailhandel und in die Konfektionierung der Produkte, also das Verpacken in kleine Mengen.» Die Lösung dafür seien selbst organisierte Lebensmittelkooperativen, auch Foodcoops genannt, in denen mehrere Haushalte gemeinsam grössere Mengen direkt bei Produzent*innen einkaufen und unter sich verteilen. Doch in der Schweiz sind Foodkooperativen wenig verbreitet, weil sie nur im kleinen Rahmen funktionieren, ihr Aufbau aber aufwendig ist.
Foto: Alex Anderfuhren
Hier setzt das Projekt an, mit dem Jakober 2020 seinen Master startet: Er will mit einem Starterkit den Aufbau kleiner Nachbarschaftskooperativen erleichtern. In einem Handbuch soll das nötige Wissen dafür zusammengefasst werden, zudem entwickelt er eine Webplattform, auf der verschiedene Kooperativen ihre Informationen zu Produzent*innen teilen können. Der Scheiss im Supermarkt Mit einer Pilotkooperative werden erst in seinem Wohnzimmer und dann in einem Gemeinschaftsraum im Quartier Haferflocken, Leinsamen, Hülsenfrüchte aus der Region und weitere Lagerlebensmittel in Beutel, Behälter und Flaschen abgefüllt. «Man füllt lediglich alle zwei Monate ab, statt ständig im Supermarkt Schlange zu stehen», erklärt Jakober und rechnet vor, dass hochwertige lokale Bioprodukte damit nur noch so viel kosten wie der «importierte Scheiss im Supermarkt». Im Gespräch zeigt sich, dass der 37-Jährige nicht einfach engagierter Foodaktivist ist, sondern auch Unternehmer. Für die Entwicklung des Starterkits konnte er verschiedene Förderbeiträge einholen und damit ein Einkommen generieren, auf das er als junger Vater auch während des Studiums nicht verzichten konnte. Längerfristig möchte er als Designer Beratungen für selbst organisierte nachhaltige Organisationsformen anbieten. Und das Ziel des Starterkits? «Ein schweizweites Netzwerk mit 500 Foodkooperativen bis 2030», sagt Jakober. Nach seinen Schätzungen würde das gerade einmal ein Prozent Marktanteil im Lebensmittelhandel ausmachen. Trotzdem scheut er den grossen Vergleich nicht und sagt: «Ich trete in Gottlieb Duttweilers Fussstapfen – was er damals vor 100 Jahren mit Lastwagen gemacht hat, mache ich heute mit Internet und DIY-Kultur.»
Text: Melanie Keim
Belia Winnewisser studierte an der HKB Musik und Medienkunst und machte den Master in Contemporary Arts Practice. Seither hat sie als Elektronik-Musikerin zwei Soloalben veröffentlicht. Die Luzernerin ist keine Abstraktpuristin, sondern hat ein grosses Herz für Pop. Bevor Belia Winnewisser ihr Studium an der HKB begann, musizierte sie in ersten Bands und jobbte als Gastromitarbeiterin im Jugendkulturhaus Treibhaus in Luzern. Nach einem Auftritt mit dem Musiker und Produzenten Tom Kuhn im Kulturzentrum Südpol fragte sie eine Kollegin, ob sie schon vom Studiengang Musik und Medienkunst an der HKB gehört habe, um anzufügen: «Du würdest dort sehr gut reinpassen.» Belia kannte die Ausbildung nicht. Aber sie schrieb sich für einen Abendkurs ein, um den Studiengang kennenzulernen. Die Luzernerin, die mit ihren zeichnerischen und musikalischen Talenten schon länger hin- und hergerissen war, ob sie sich nun ausbildungsmässig für Kunst oder für Musik entscheiden sollte, war von diesem Schnuppereinstieg begeistert. Sie absolvierte erfolgreich die Aufnahmeprüfung für die HKB und begann 2012 mit dem Studium. «Ich musste mich nicht mehr zwischen Kunst und Musik entscheiden, sondern konnte meine Kreativität frei einfliessen lassen.» An das Bachelorstudium schloss sie den Master Contemporary Arts Practice an, um noch vertiefter und umfassender ihre Vorlieben entdecken zu können. «Am Anfang wollte ich alles machen. Vieles sprach mich an, die Lust zur Horizonterweiterung war gross. Aber dann begann ich mich ganz auf die elektronische Musik zu fokussieren.» Das wurde ihr während des Erasmus-Austauschsemesters an der Universität Bergen in Norwegen klar. «Dort hatte ich weder eine Band noch einen Proberaum. Ich wurde auf mich und den Computer zurückgeworfen.» Während des Masterstudiums entstand ihr erstes Album Radikale Akzeptanz (Präsens Editionen), auf dem sie erstmals ihr Konglomerat aus abstrakter Elektronik und popaffinen Einflüssen vorstellte. Prägend ist auch die Stimme, die oft in entrückten Bögen eine sakral klingende Tonspur zieht. Jahrelang sang Belia Winnewisser in der Mädchenkantorei Luzern. Der chorale Gesang im Hallraum einer Kirche brannte sich bei ihr ein. Zum Gesamteindruck des Albums gehören die träumerisch-melancholischen Stimmungen oder das Oszillieren flächiger Texturen im Kontrast zu unregelmässigen und von Sound-details gezeichneten Beats und rhythmischen Akzenten. Was ist ihr vom Studium geblieben, was möchte sie nicht missen? «Ich habe gelernt, differenziert zu hören», hält sie als Erstes fest. «Ich lernte auch, über Musik zu reden, und bekam allgemein ein Verständnis für die Musik im Gesamten. Davon habe ich am meisten profitiert.» Leider blieb dann doch ein grosser Wermutstropfen, der ihr den Abgang von der HKB ziemlich vermieste. Ihr Debütalbum war gleichzeitig ihr Masterprojekt. Bei der Präsentation wurde sie von einem Experten lieblos abgekanzelt. «Was du da vorlegst, bringt niemandem etwas, auch dir selbst nicht», lautete das Verdikt. Man kann da nur vermuten, dass sich im hehren Kunststudium zu viel Pop nur schlecht mit einem toxischen Avantgardeverständnis verträgt.
Von SRF zur Seifenfabrik Nach ihrem Debütalbum machte Belia ein dreimonatiges Praktikum in der Abteilung AudioLayout bei Radio SRF. Dort arbeitete sie ganz praktisch-kreativ an Jingles und andern musikalischen Designs. «Das hat mir sehr gefallen, aber ich wusste auch, dass ich nicht 100 Prozent so weiterfunktionieren wollte. Mir fehlte schlicht die Zeit, meine eigene kreative Arbeit weiterzutreiben.» Durch einen Kollegen fand sie einen neuen Job in einer Seifenfabrik. Dort arbeitet sie nun schon seit drei Jahren im Versand, zwei Tage die Woche. In der restlichen Zeit verfolgt sie ihre eigenen Projekte in ihrem Atelier in Zürich, wo sie seit zwei Jahren lebt. Ihr Atelier befindet sich in einer grossen Wohnung, wo noch andere visuell und grafisch tätige Leute an ihren Produktionen arbeiten. Belia konzentriert sich weiterhin auf die Musik. Sie ist auch eine exzellente DJ. Erst in der Coronazeit realisierte sie, wie ihr die Live-Gigs fehlten. Sie grinst. «Vorher habe ich es mir nie eingestanden, dass mir die Auftritte wichtig sind, weil sie mir eben auch eine Bestätigung und Wertschätzung geben.» Langsam bekommt sie wieder Lust, mit anderen Musiker*innen und Kunstschaffenden zu arbeiten. Früher hatte sie in der Band Evje gespielt, dann wurde sie Mitglied von Silver Firs, die in verschiedenen Besetzungen immer mal wieder in Erscheinung treten. Mit ihrem HKB-Studienkollegen Rolf Laureijs realisierte sie das Future R&B-Duo «α=f/m», ein explizites und reizvolles Popprojekt, das auch bei SRF3 auf der Playlist war. Seit ihrem Studium hat sich Belia auf ihre Solotätigkeit konzentriert. Auch ihr zweites Album Soda, das diesen Frühling erschienen ist, hat sie alleine eingespielt. Die Kombination stimmt Irgendwo zwischen modernem Popsong und abstrakter Elektronik ist Soda trotzdem nicht der übliche Elektropop, der sich stromlinienförmig knackig behaupten muss. Die Stücke sind abstrakter und unvorhersehbarer, orientieren sich aber klar an einfachen Melodielinien und emotionalen Stimmungen. Auch die choralen Stimmen und ein gelegentliches Pathos bekommen ihren Platz. Einige Teile von Soda sind in einem abgelegenen Haus in Norwegen entstanden, wo es die Musikerin ab und zu hinzieht. «Das ist wie eine zweite Heimat für mich. Ein Energieort.» Belia Winnewisser ist zufrieden, wie es gerade läuft. Die Kombination von all dem, was sie muss und was sie interessiert, ist ziemlich perfekt. Sie hat in der Seifenfabrik mit wenig zeitlichem Aufwand ein Grundeinkommen und ein gutes Arbeitsumfeld. Und sie hat Zeit und Raum für sich, wo sie ihre Kreativität fliessen lassen kann, wie es ihr behagt. «Das erste Mal fühle ich mich an einem Punkt im Leben, wo alles gut aufgeht. Es stimmt gerade recht gut für mich.»
Text: Pirmin Bosshart
Rückblick
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Die Abbildungen im Uhrzeigersinn
SEPTEMBER 2021
CAP-Diplomfestival Pièces Jointes
Mélanie Meystre archetypal outfit(s) for performance artist(s) – process, 2021 Long durational performance Levent Pinarci The Scanners (1921), 2021 MP4, 16:9, two-channel videoloop, 3'05'', stereo Alexander Anderfuhren Unprecedented, 2021 Inkjetprints Sandra De los Santos EKEKO EKEKA, Performance Literaturlesungen im Le Singe, Biel mit Thomas Binggeli, Colin Bottinelli, Elia Fonti, Noëlle Gogniat, Laura Paloma, Anina Schärer, Anja Schmitter, Noemi Somalvico
HKB-ZEITUNG
Yannick Mosimann I Have not Been Afraid of Going Blind for a Long Time, 2021 single-channel video, 134', ProRes 422, 16:9, stereo
Fotos: Ruben Wyttenbach
Heiss war es Mitte Juni in Biel, als der Masterstudiengang Contemporary Arts Practice (CAP) sein diesjähriges Diplomfestival feierte. Der Titel Pièces Jointes – von den Studierenden selbst gewählt – verweist auf das Teilen von Daten im digitalen Raum und beschreibt zugleich das kollaborative Umfeld, in dem sich die 21 Positionen über zwei bis drei Jahre entwickelten.
Vielleicht könnte man es als offenes Beziehungsnetz beschreiben, das die Diplomarbeiten über insgesamt drei Orte in Biel spannten: In der Association Usinesonore wurde im Schatten eines Klangbaums improvisiert. Auf der Bühne des Le Singe kulminierten Lesungen in einer kollektiven Schlussszene, während die Literatur im Kunsthaus Pasquart mitunter an den Wänden hing, zum Bild oder zur Installation wurde.
Wesentliche Vorgänge und Auseinandersetzungen waren zu bezeugen: Sehr langsam wurde das Brot geschnitten, beharrlich an archetypischen Outfits geschneidert, immer wieder kam jemand an und packte aus, packte dann wieder ein und reiste ab. Das Sehen an sich wurde filmisch untersucht, der Alltag an der Peripherie in einer Fotoserie. Und natürlich durften wir das Subjekt erleben, wie es in
endlosen Datenreihen verschwindet oder hervortritt, sich in Fragmenten verliert oder neu zusammensetzt. Das Festival wurde sorgfältig dokumentiert und kann deshalb auch nach dessen Ende besichtigt werden, etwa im Rahmen einer virtuellen Tour durch das Kunsthaus Pasquart (15 Min.): cap-diplomfestival.ch/archive
HKB-ZEITUNG
SEPTEMBER 2021
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W.z.k. Wir zelebrieren kurz. 25. Internationale Kurzfilmtage Winterthur The Short Film Festival of Switzerland 9.–14. November 2021, kurzfilmtage.ch Hauptsponsorin
MedienpartnerInnen
Ein HKB-Studiengang stellt sich vor
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HKB-ZEITUNG
Der CAS Kulturelle Bildung ist in der Schweiz einzigartig. 2013 als Pilotvorhaben lanciert, ist die berufsbegleitende Weiterbildung aufgrund ihrer Zielgruppenorientierung und ihres mittlerweile breiten Wirkungsgrades eine Erfolgsge-schichte. Es ist gelungen, mit der aus dem CAS heraus entwickelten Publikation Ästhetische Bildung und Kulturelle Teilhabe – von Anfang an (HKB und Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz, 2017) die gesellschaftliche Relevanz frühkindlicher ästhetisch-kultureller Bildung zu thematisieren. Obwohl das Recht auf Teilhabe am kulturellen und künstlerischen Leben sowie das Recht auf freies Spiel in Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention expliziert ist, sind wir von seiner flächendeckenden Einlösung noch weit entfernt. Der Kulturbereich hat Kinder von null bis vier Jahren selten auf dem Radar, genauso wenig wie die Auseinandersetzung mit und der Zugang zu Kunst und Kultur selbstverständlicher Bestandteil frühkindlicher Einrichtungen oder alltäglicher Lebenswelten junger Kinder ist. In der Schweiz gibt es im Vorschulbereich weder etablierte Strukturen noch Fördermittel, weil Bildung offiziell erst mit dem Kindergarteneintritt beginnt. Der CAS Kulturelle Bildung füllt diese Lücke mit einer Innovation: Er richtet sich gleichzeitig an Fachpersonen aus Bildung, Kultur und Sozialem, um sie für die gemeinsame Pionierarbeit an den zu schaffenden Schnittstellen zu qualifizieren und sie füreinander fruchtbar zu machen. Basierend auf den kunstpädagogischen Bausteinen und politischen Forderungen der erwähnten Publikation, hat die HKB 2018 – in gemeinsamer Trägerschaft mit der Abteilung Soziales des Migros-Kulturprozent – die nationale Initiative Lapurla ins Leben gerufen. Diese ist curricular mit dem CAS Kulturelle Bildung verknüpft. Lapurla hat seither anhand von 22 Modellprojekten aufgezeigt, dass Kinder unter vier Jahren in hohem Masse kulturell teilhaben können und wollen, sofern die Settings ihren spezifischen Bedürfnissen gerecht werden. Die Erfahrungen und Erkenntnisse der Pilotphase 2018 – 2021 wurden im Rahmen der ersten nationalen Tagung von Lapurla im Mai 2021 präsentiert. Als wesentlich hat sich die transdisziplinäre Zusammenarbeit von elementarpädagogischen Fachpersonen, Kunstschaffenden und Kulturvermittelnden erwiesen. Dazu gehört nebst der gemeinsamen Entwicklung von Settings auch die Begleitung der Kinder. Deshalb richtet sich der CAS Kulturelle Bildung – 2020 von der BFH für den CS Award for Best Teaching nominiert – auch weiterhin ausdrücklich an pädagogische Fachpersonen aus dem Frühbereich. Diese Berufsgruppe gehört sonst nicht zu den Adressaten von Kunsthochschulen und hat erst wenig Qualifikationsmöglichkeiten auf Tertiärstufe. Und er richtet sich ebenso dezidiert an Kunstschaffende, Kultur- und Musikvermittelnde, die sich der Zielgruppe Kinder 0 bis 4 zuwenden wollen. Diese Altersgruppe erweist sich als regelrechte Inspirationsquelle und macht deutlich, wie viel wir von den Jüngsten noch lernen können. Sie bietet nicht nur vielfältigste Inspiration für die Auseinandersetzung mit der Welt, sondern eröffnet neue Wege partizipativer Kunst- und Kulturvermittlung, auch für den schulischen Bereich. Es ist darum kein Zufall, dass vermehrt Lehrpersonen den CAS Kulturelle Bildung absolvieren – weil es im Kern um eine Grundhaltung geht, die Gültigkeit für alle Altersstufen hat. Um künftig als wichtige Inkubator- und Multiplikator*innen in der Praxis wirken zu können, erarbeiten sich die Studierenden ein wissenschaftlich fundiertes Argumentarium. Individuelle Biografiearbeit im Kontext gesellschaftlicher Konventionen, das Reflektieren eigener ästhetischer Erfahrungen und kreativer Prozesse sind wichtige Bausteine des auch praktisch transdisziplinär ausgerichteten Studiums. Anfang September 2021 startet bereits der 8. Lehrgang, eingebettet ins neu gegründete Netzwerk Lapurla. Karin Kraus, Studienleiterin und Dozentin CAS Kulturelle Bildung, Co-Leiterin Lapurla
SEPTEMBER 2021
Certificate of Advanced Studies Kulturelle Bildung
Foto: Karin Kraus
In der berufsbegleitenden Weiterbildung CAS Kulturelle Bildung – Kreativität ermöglichen ab der frühen Kindheit erarbeiten Sie sich die kulturpädagogische Qualifikation für Ihre Arbeit im Frühbereich. Durch das Reflektieren der eigenen kreativen Prozesse lernen Sie, wie Sie ästhetische Erfahrungen von Kindern in und durch die Künste anregen und begleiten können. Sie erfahren, wie kreative Lernprozesse die Sprachentwicklung unterstützen, und erleben, wie Kulturelle Teilhabe durch Ko-Konstruktion gelingt.
Informationen Steckbrief
Was der Studiengang bietet
→ Titel/Abschluss: Certificate of Advanced Studies (CAS) in Kulturelle Bildung – Kreativität ermöglichen ab der frühen Kindheit → Studienform: Teilzeit (überwiegend Fr und Sa) Intensivwoche im Januar, eigenes Praxisprojekt → Dauer und Umfang: 2 Semester, 12 ECTS-Credits → Unterrichtssprache: Deutsch → Studienort: Bern, Biel und Zürich → Nächster Studienbeginn: Herbstsemester 2022
→ Sie verfügen über transdisziplinäre künstlerische Ausdrucksformen und können diese durch vielfältige Methoden, Materialien, Mittel und Medien in Ihr elementarpädagogisches Handeln integrieren. → Sie sind sensibilisiert auf kreativitätsfördernde und -hemmende Faktoren. → Durch gezieltes Beobachten und Dokumentieren kreativer Prozesse können Sie wichtige Lern- und Entwicklungsschritte der Kinder gegenüber Eltern, Teammitgliedern, andern Fachpersonen und Vorgesetzten nachvollziehbar machen. → Basierend auf Ihren neuen Erkenntnissen und Erfahrungen sind Sie fähig, in Ihrem Umfeld durch kompetentes Argumentieren eine breite Akzeptanz für ein umfassendes Bildungsverständnis im Sinne kultureller Teilhabe zu schaffen. → Sie können neue Freiräume für ästhetische Erfahrungen schaffen und erschliessen.
Aufbau Kontakt Sekretariat HKB Weiterbildung Fellerstrasse 11, 3027 Bern +41 31 848 38 15 weiterbildung@hkb.bfh.ch → hkb.bfh.ch/cas-kulturelle-bildung → lapurla.ch/impulse/cas-kulturelle-bildung
→ Modul 1: Theoriebasierte Grundlagen → Modul 2: Praktische Grundlagen → Modul 3: Netzwerken Austausch und Reflexion → Modul 4: Praxistransfer → Öffentliche Präsentation der Learnings Praxisprojekt
In seinem Grusswort an der ersten nationalen Tagung Lapurla vom 17. und 18. Mai 2021 hat HKB Direktor Thomas Beck Aspekte zu den Anliegen und Zielen der nationalen Initiative Lapurla ausgeführt. Über 400 Teilnehmende aus der ganzen Schweiz und dem umliegenden Ausland haben an der dreisprachigen virtuellen Veranstaltung teilgenommen. «Kinder zwischen null und vier Jahren sind darauf angewiesen, dass Strukturen geschaffen werden, die ihnen und ihren Familien einen niederschwelligen Zugang zu kulturellen Angeboten ermöglichen, unabhängig von ihrer sozialen oder ökonomischen Lebenssituation. Lapurla setzt sich darum nicht nur dafür ein, dass sozusagen ‹bottom-up› qualitativ gute Angebote entstehen, die frühkindlichen Bedürfnissen gerecht werden, sondern auch dafür, dass diese künftig von der öffentlichen Hand und von der Zivilgesellschaft getragen werden, damit sie nachhaltig weiterentwickelt und verstetigt werden können. Denn Chancengerechtigkeit beginnt vor dem Kindergarteneintritt. Die HKB hat sich in ihrer Strategie explizit ihre gesellschaftliche Verantwortung, die nachhaltige Entwicklung und vor allen Dingen auch die besondere Förderung der Kunstund Kulturvermittlung im Sinne einer breiten kulturellen Teilhabe auf die Fahne geschrieben. Lapurla gehört deshalb zu den wichtigen
Entwicklungsfeldern unserer Hochschule und konnte dank des Engagements der Co-Projektleiterinnen Jessica Schnelle und Karin Kraus bereits in der Pilotphase ein starkes Netzwerk weit über die Landesgrenzen hinaus aufbauen. Ganz zuvorderst aber ist Lapurla eine starke Stimme für diejenigen, die nicht von sich aus das Recht auf Teilhabe einfordern können. 2017 machte die aus dem CAS Kulturelle Bildung entstandene Fokuspublikation Ästhetische Bildung und Kulturelle Teilhabe – von Anfang an auf sich aufmerksam. Heute, fast genau vier Jahre später, sind viele Botschaften dieser Publikation gehört worden und angekommen. Sie werden zusammen mit vielen engagierten Personen in der Praxis erprobt und evaluiert. Aus Theorie ist Praxis geworden. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis wiederum fliessen laufend zurück in die Lehre. Aus Sicht einer Hochschule ist dies ein sehr gutes Beispiel für praxisbezogene Innovation und bildungspolitisch relevante Expertise. Wir hoffen, dass dieses erfolgreiche Zusammenwirken von Bildung, Kultur und Sozialem gemeinsam mit dem Migros-Kulturprozent und weiteren Partner*innen auch über die Pilotphase hinaus Früchte tragen wird, genährt und getragen vom gemeinsamen Spirit des an der nationalen Tagung offizialisierten Netzwerks Lapurla. Kinder haben noch kein Bewusstsein für Sparten und Fächer. Kinder sind von Natur aus
transdisziplinär. Machen wir es ihnen nach und gehen wir offen und neugierig aufeinander zu, lernen mit- und voneinander, über Disziplinen hinweg. Der Schlüssel zur Welt sind ästhetische Erfahrungen, nicht nur für die Jüngsten, aber für sie unabdingbar. Kunst und Kultur bieten ein besonderes Potenzial an ganzheitlichen und selbstwirksamen Erfahrungsräumen und Entfaltungsmöglichkeiten für Kreativität – die Kernkompetenz der Zukunft. Nach über einem Jahr Corona und der Erfahrung ‹kultureller Mangelernährung› müssen wir uns das kaum mehr erklären, denn wir sind alle hungrig darauf, endlich wieder ‹Kultur zu dürfen›. Vergessen wir dabei die Jüngsten nicht, denn sie haben einen schier unstillbaren Entdeckungshunger. Und sie verkümmern, wenn sie nicht dürfen.» Prof. Dr. Thomas Beck, Direktor HKB
Die Beiträge der Tagung sind umfassend dokumentiert: lapurla.ch/anlaesse/nationale-tagung-2021/ dokumentation
HKB-ZEITUNG
SEPTEMBER 2021
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Schaufenster – Arbeiten aus der HKB: Satin Sensation oder FORCE SUPREME? In ihrer Diplomarbeit softPOWER untersucht Lynn Birrer, Absolventin des Bachelor Visuelle Kommunikation, den Einsatz reduktiver Gender-Stereotype im Design von Pflegeprodukten. Rosa, seidig und blumig kommt er daher, der Einwegrasierer für die Dame, während das fast identische und einiges günstigere Produkt aus der Herrenabteilung nur so strotzt vor hartem Stahl und dunklen Tönen. Birrer dekonstruiert diese Formensprache und kombiniert die einzelnen Bestandteile zu einer Art non-binärem «Drag-Design», das sich den gängigen Klischees radikal entgegenstellt.