HKB-Zeitung 5/2015

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HKB-Zeitung

N°5/2015 Aktuelles aus der Hochschule der Künste Bern HKB

November–Dezember 5 x jährlich

WIE VIEL KUNST DARF DIE REPORTAGE? Thema: Kunst und Reportage

HKB Innen – Aussen

3 Tom Kummer: Macht der Kunst

6 Urs Mannhart: Transnistrische Tischordnungen

15 Karin Späti: Wenn i mou aut bi …

26 Ausgezeichnet!

5 Interview mit Mats Staub und Daniel Puntas Bernet: Wirklichkeit – zwischen angereichert und konstruiert

11 Matthieu Ruf: La brèche – Un été au jardin du Sleep-In

22 Raphael Urweider: Reiselied 2015

27 Im Brennpunkt / BONE 18 – das HKBHighlight im Dezember

13 Christian Pauli: Re: aus Odessa

23 Die Reportagen auf der Landkarte

28 HKB-Agenda November–Dezember 2015

31 Ein HKB-Studiengang stellt sich vor / Une filière de la HKB se présente 32 Schaufenster – Arbeiten aus der HKB


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HKB -ZEITUNG

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WIE VIEL REPORTAGE WILL DIE KUNST?


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THEMA — Ein journalistisches Format, das sich durch gesuchte Nähe und persönliche Auseinandersetzung der Autorin oder des Autors mit dem Thema auszeichnet: Die Reportage ist die künstlerische Seite des Journalismus. Auf dem Feld Journalismus–Reportage–Kunst stellen sich viele Fragen: Wie viel Kunst darf Reportage? Wie viel Reportage will die Kunst? Was ist das Dokumentarische in der Kunst? Ist die Künstlerin eine Reporterin mit mehr Freiheiten? Diese HKBZeitung publiziert sechs sehr unterschiedliche Reportagen von Tom Kummer, Urs Mannhart, Matthieu Ruf, Christian Pauli, Karin Späti und Raphael Urweider. Im Interview erörtern Theaterregisseur Mats Staub und Reporter Daniel Puntas Bernet das Spannungsfeld. VON TOM KUMMER

MACHT DER KUNST Mein Name ist K9 – der letzte unabhängige Berichterstatter unserer Zeit. Ich nähere mich Bern im Tiefflug von Nordosten, blicke auf zerstörte Strassen, die sich bis ins östliche Mittelland ausbreiten. Das Land der endlosen Vorstadt ist zerfurcht, erodiert und öde. Hinter Schönbühl sehe ich lange Strecken mit niedergebrannten Reihenhäusern; Kaminschächte aus geschwärztem Ziegelstein thronen in der apokalyptischen Landschaft. Jenseits der Felder, Richtung Biel, hängt ein trüber Schleier über Erde und Himmel. Es ist das Jahr 2105. In Schönbühl laufen bedrohlich wirkende Menschenmengen zusammen. Ein bewaffneter Mob versucht, an die Grenzzäune unterhalb der Grauholz-Anhöhe vorzudringen – dorthin, wo man angeblich durch ein mysteriöses Loch auf die andere Seite der Erde, in Richtung Neuseeland blicken kann. Es ist das legendäre – mittlerweile mehr als einhundert Jahre alte – Werk des Berner Künstlers Carlo M. Lischetti, und immer noch provoziert es täglich Strassenschlachten. Wer nämlich in den tiefen Schacht hineinblickt, kann in einem 3D-Bild sehen, wie die Menschen der neuseeländischen Stadt Dunedin, auf der anderen Seite der Erde, ebenfalls verzweifelt ihr Gegenüber suchen. Die Lage ist kompliziert: Der Lebensüberdruss der Massen hat weltweit einen gnadenlosen Überlebenstrieb ausgelöst. Auch die Schweiz ist davon betroffen. Nur die innere Zone des Grossraums Bern, hinter dem Grauholz-Pass, scheint von der Apokalypse

verschont zu sein. Die alte Hauptstadt der Schweiz gilt zu diesem Zeitpunkt als lebenswertester Standort weltweit – und als Kunsthochburg. Abgeschnitten vom Rest der Welt, verwandelte sich Bern in ein Paradies der Effekte und Täuschungen. Die perfekte Zone eines virtualisierenden «In-der-Schwebe-Haltens» von Realität. Rund um die mächtige Hochschule der Künste der Stadt Bern ist ein dialektisches Umfeld entstanden, in dem das Wahrheit-Sagen durch Entfesselung von Fiktionen provoziert wird. In der Aussenwelt terrorisieren dagegen Faktennazis unsere Bevölkerung. Die Menschheit hat dadurch ein kollektiver Katastrophenwunsch erfasst: Selbstzerstörung. Die Landschaft sieht desolat aus. Viele Wege Richtung Deutschland und Frankreich, zwischen den endlosen Ghettos vor Zürich, sind teilweise in graue Schlacke aus geschmolzenem Glas getränkt. Richtung Osten liegen kilometerlange, blanke Stromleitungen in rostenden Strängen am Strassenrand. Familien campieren auf offenem Gelände zwischen ihren Habseligkeiten. Gleitflugzeuge der legendären Ingold-Airline – 1982 vom Berner Konzeptkünstler Res Ingold gegründet – werfen im Hinterland unablässig Hilfspakete ab. Ich überfliege jetzt den undurchdringbaren Grenzabschnitt «Sektor B». Die Stadtverwaltung hat dort kürzlich in Zusammenarbeit mit der Berner Kunsthochschule ein neues Grauholz-Denkmal eingeweiht. Ich gleite im Tiefflug auf das kolossale Monument zu und lasse meinen Gehirnbildschirm geheime Mo-

mentaufnahmen schiessen. Das Grauholz ist das Vorzeigestück eines inneren Ringes – ein Grenzwall gegen die Aussenwelt, von Frauenkappelen über Neuenegg bis Wichtrach –, der den Ruf von Bern als weltweit wichtigste Kunststandort besiegeln soll. Das Grauholz komplementiert den Plan der Stadtbernerinnen und -berner, die sogenannte Kunst-am-Bau-Revolution zu vollenden. Mein Auftrag lautet, herauszufinden, wo sich diese Revolution in Bern organisiert. Wer sind die Macherinnen und Hintermänner einer Entwicklung, die im Jahr 2006 begonnen hat? Als ich das neue Grauholz-Denkmal umkreise, reagiert der Decoder heftiger als sonst. Heisse Stürme peitschen aus dem Oberland über das Grauholz. Ich muss tiefer runter, näher heran. Ein auf alten Plänen von Berner Tunnelbauern basierender Anmarschweg führt von der 14-spurigen A1-Piste auf das Schlachtfeld, wo bernische Truppen am 5. März 1798 den Franzosen heroisch unterlagen und sich das Ancien Régime verabschiedete. Das gesamte Feld ist mit einer dicken, schwarzen Lackschicht überzogen. Darüber rotieren acht Drohnen, die das alte Denkmal aus dem Jahr 1886 – ein 12 Meter langer Säulenstumpf aus weissem Solothurner Kalkstein – über dem schwarzen Lackmeer schweben lassen. Immer wieder erklingen klagende Stimmen – womöglich die Stimmen toter Berner Soldaten, die man wiedererweckt hat. Das Werk ist ein grandioses Absolutum ohne Ausweg, Metapher für jede Weltordnung: Es gibt kein Entrinnen, nirgendwohin. Trotzdem schimmert beim genauen Betrachten ein goldener

Schein über der Schwärze. Womöglich versprachen sich die Macher einen kalkulierten Heiligenschein, eine Art «Opium für’s Volk». Die Kunst beherrscht dessen, Umwelt und Leben, gibt Energie, Halt und Vertrauen in einer ansonsten apokalyptischen Welt. Der Zugang zur alten Stadt Bern gilt mittlerweile als das letzte Privileg, das der Menschheit geblieben ist. Wer nicht in der Stadt Bern wohnt und keinen Passierschein vorweisen kann, wird unbarmherzig Richtung Sektor C, in die toten Felder des Seelands verwiesen, ins Grenzgebiet zwischen Moosseedorf und der letzten Aussenbastion des Friedens: Ziegelried. Dort, wo riesige, gerasterte Siedlungen mit konischen, papier­ dünnen Metallreihenhäusern entstanden sind – und die letzten gemässigten Menschen in der Isolation leben: Berner Pflanzensüchtige. Wer auch hier noch hofft, dem Druck der Verhältnisse und den Flüchtlingsströmen entkommen zu können, dem bleibt als Wohnsitz nichts anders als eine Aussenstation im Weltraum. Nach der Autobahnausfahrt Wankdorf beginnt Sektor A. Dort empfängt mich ein fast hundert Meter hoher Sprungturm, ein Projekt des Berner Kuratorenteams Marks Blond aus dem Jahr 2009. Er soll offenbar jedem lebensmüden Berner und jeder lebensmüden Bernerin die Möglichkeit bieten, sich in den Tod zu stürzen. Doch der Turm wird kaum benutzt. Von dort führt der Weg in eine UrbanScreen-Landschaft von Markus Raetz – man fährt durch seinen überdimensionalen Seemannsblick, fast so, als ob einen der Weg jetzt direkt ins weite Meer entlässt. Ein letzter

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Checkpoint im Wankdorf holt den Passagier, die Passagierin aus der Fiktion heraus. Gleich neben dem ehemaligen Stade de Suisse –Fussball wird hier längst nicht mehr gespielt – dominiert der mächtigste Grosskonzern der alten Schweiz: Magic Switzerland. Täglich werden bis zu 100 000 Bern-Besuchende durch eine unterirdische Swiss-Miniature-Landschaft geführt, ähnlich der Utopie, die sich vor über 150 Jahren schon ein Mann namens Walt Disney ausgedacht hatte. Den Zutritt zur alten Stadt und zu deren Kunsttempeln kann sich kaum jemand leisten. Wer als Touristin rein will, muss einen unverschämt hohen Preis zahlen – Tageskarten kosten gleich viel, wie ein durchschnittlicher Berner im Jahr verdient.

vorbestellen. Die Stimmung in diesen Räumen und Hallen gleicht der paradigmatisch­ sten aller Konzernzentralen aller Zeiten – der alten Spaceship-Apple-Zentrale in Cupertino, die im Jahr 2095 einem Raketenangriff zum Opfer gefallen ist.

Eine junge Hostess der Hochschule nimmt sich jetzt meiner an. Sie fragt nach, ob ich tatsächlich K9 sei. Ich weise mich höflich aus. Dann führt sie mich an der Hand durch einen Eingang zum Hörsaal, der mit der Neonschrift «SEX IN THE CITY» betitelt ist. Sie lächelt. Ich bin in diesem Moment nicht ganz sicher, ob die junge Frau artifiziell ist. Das junge Mädchen, das einer Retro-Version der Hostessen aus dem Kubrick-Film 2001 – A Mein letzter Anflugweg vor dem alten Bern Space Odyssey gleicht, will mich jetzt kurz interist der monumentale Boulevard namens viewen. Es ist ein Test, bevor ich in die HauptPapier­mühlestrasse. Dort, inmitten ehemaliger zentrale vordringen kann und mich mit den militärischer Verwaltungsgebäude und Ka- Chefs und Professorinnen unterhalten darf. sernen, vermute ich das Zentrum der Berner Sie setzt sich an einen ovalen Tisch und stellt Kunstrevolution. Genau dort nämlich, wo ich mir Fragen zu Bern. Die sind leicht zu beantjetzt den legendären RAISETHECLOUD er- worten. Zum Beispiel: Welches ist die älteste kenne – eine Wolke von Hunderten aufblasba- Apotheke von Bern. Easy Antwort. Natürlich rer, leuchtender Kugeln, die in etwa hundert die Rathaus-Apotheke. Erst später wird es schwieriger. Sie fragt Meter Höhe über der Hochschulzentrale schweben. Echtzeitinformationen aus der mich, was futuristische Literatur sei. Ich warte ganzen Welt sind auf den dreidimensionalen ab. Ich schaue der Hostess in die Augen, verDisplays visualisiert. Die meisten Meldungen suche dabei ihre Seele zu finden. Nichts. kommen aus Widerstandsnestern in den USA, Dann antworte ich ein bisschen unsicher: andere berichten vom Terror nahe Freiburg In der Science-Fiction-Literatur steigere sich alles Wirkliche – Umwelt und Handlung – ins und Basel. Ich gleite im Tiefflug über die Pracht­ Irreale und Monströse und bleibe dennoch strasse, flankiert von klassischen Formen der hautnah an der Wirklichkeit. Sie nickt und macht sich Notizen – dazu Medienarchitektur, wie sie besonders in den 50er Jahren des 21. Jahrhunderts populär bewegt sie bloss ihre feinen Finger etwas in waren: dynamisch veränderbare Leucht-Fas- der Luft. Das ist alles. saden, wo der Pixel noch eine zentrale PosiUnd wieso sei gerade dieses Motiv der tion einnimmt. Aber eben auch die endlose Sci-Fi-Literatur so wichtig, fragt sie mich jetzt Gestaltungsform der LED-Wände, die Filme ganz unschuldig. Ich antworte, sie wisse das oder Botschaften verbreiten. Gerade werden doch ganz genau, das sei ja auch Anliegen eiüber dem Eingang der Hochschule Bilder von ner Kunsthochschule: Erst in der Verzerrung einem Fries von Menschenköpfen gezeigt – zeige sich die wahre Wirklichkeit. womöglich prominente Schweizerinnen und Sie lächelt und nimmt mich jetzt an der Schweizer –, getrocknet und eingefallen, mit Hand. Und jetzt kann ich spüren, dass sie straffem Grinsen und tief eingesunkenen Au- nicht echt sein kann. Aber es ist mir egal. Es gen. Die nackten Schädel sind bemalt und auf turnt mich an. Sie fragt mich, was die Hauptder Stirn mit einem Krakel signiert. Dazu pur- gründe seien, wieso sich junge Menschen zeln runenhafte Slogans über die Leinwände: im Jahr 2105 massenhaft an der Hochschule Formen, die an Paul Klee erinnern, falsch der Künste Bern einschreiben würden. Ich geschriebene Glaubenssätze, die womög- schaue sie ein bisschen länger an, obwohl ich lich von Adolf Wölfli stammen. Einige dieser die Antwort längst kenne: weil man hier die Skulpturen basieren noch auf uralten Plänen aufregendsten Mädchen und Jungs findet, die von Thomas Hirschhorn – es ist grosse klassi- es auf der Welt gibt. Ganz im Sinne einer grossche Kunstverweigerungs-Kunst. sen Arbeit von Urs Lüthi. Ich spreche von Art is the better life. Es ist der Moment der Wahrheit und ich Sie lächelt mich fast ein bisschen verlestehe vor dem Akademie-Hochhaus – gut gen an. Dann greift sie sich meine Hand und dreihundert Meter hoch und eine Kopie des führt mich zu einem Aufzug, der mich zur berühmten Meret-Oppenheim-Brunnens am Spitze des 300 Meter hohen Turms befördern Waisenhausplatz. Die Fassade ist dick be- wird. Die Hostess schaut mich noch ein bisswachsen wie ein Dschungel, und es halten chen länger an. Erst jetzt merke ich, dass die sich exotische Tiere darin auf – Affen, Pa- artifizielle Bernerin mir beim Händegeben pageien, Schlangen –, unterlegt mit Bildern einen fiesen blutigen Stempeldruck auf der aus der Historienmalerei, den Aufstieg von Handfläche hinterlassen hat. Bern zur Kulturhauptstadt der Welt zeigend Aber es ist mir alles egal. Dieses Mädund tausend andere Referenzen aus unserer chen möchte ich nochmals sehen. Doch es Kulturgeschichte. Gerade erscheint Gerhard gibt vorerst Wichtigeres zu tun. Richters RAF-Zyklus. Dann Tierfotografien Der Aufzug fasst mindestens 200 Menvon Balthasar Burkhard. Hunderte Menschen schen. Gedrängt stehe ich jetzt unter Stusitzen konzentriert vor der Gebäudelein- dierenden im Inneren einer Glaskugel, die wand und starren in meditativer Stille auf die das rechte Auge von Harald Szeemann symLeuchtbotschaften: bolisiert. Es herrscht absolute Stille. Jeder «Kunst ohne Konflikt ist keine Kunst», Passagier, jede Passagierin streckt sich zur steht dort zum Beispiel geschrieben. Oder: Kugeldecke und umfasst je zwei an dieser «Nächster Halt: Mars». montierte Haltegriffe. Möglich, dass dadurch Es ist ein betörender Ort. Das Zentrum eine Verbindung zur Hochschulleitung herder Macht – alles ist hier immer in Bewegung, gestellt wird. Ich stehe im Gastbereich und immer vital, kinetisch und kinematografisch schliesse mich bloss mit einer Hand kurz. Die wie die alte Stadt selbst –, in dem das eigent- Bekleidung unter den Studierenden ist militälich Historische oder Politische nur noch risch, ganz im Sinn von Krieg bedeutet Frieden. wenig zählt, in dem dagegen jegliche Verän- Was paradox klingt, ist logisch: Mit Unschuld derung, ob sie auf neue Technologien oder behandelt diese Mode die Uniformierung und Medien zurückzuführen ist, eine lebensent- Kriegsbekleidung – und will damit das Unscheidende Rolle spielt. mögliche ermöglichen. Ich sehe Camouflage-­ Im Inneren der Hochschule öffnet sich Muster und Polizeihemden, Springerstiefel mir jetzt ein Tempel des Eskapismus. Lange und Navymäntel, natürlich total retro und perGänge führen zu Vortragsräumen und Aulas, vertiert. Es ist ein unschuldiger Umgang mit wo Studienkurse mit grellen Leuchtschriften den ständig präsenten Insignien von Gewalt betitelt sind: und Blutvergiessen und erzählt mehr über die Befreiung der Berner Gesellschaft als über «OBSESSIONEN», «LEBENSKUNST ALS die latente Aggressivität in der Aussenwelt. Es REAL LIFE», «NEUE ABSTRAKTION», «DIE herrscht ein militanter Mode-Impuls, doch ZUKUNFT DES KÖRPERS», «KUNST UND voller Ironie und Verantwortlichkeit. TrotzHUMOR», «ANALSEX», «POP UND POLI- dem irritiert mich etwas. TIK», «SIEG HEIL», «SUBJEKTE-­STARS-­ Eine Aufrüstung des menschlichen OrMORPHING», «DAS MEDIUM IST MAS- ganismus ist spürbar. Viele Studierende haSAGE», «MINOTAUREN ESSEN SEELEN ben sich längst gentechnisch manipulieren AUF», «FIKTION DER KUNST DER FIK- lassen, einige tragen Amputationen, MoniTION», «KUNST AM BAU», «TRANSGENE torlinsen funkeln auf Pupillen. Die meisten Frauen haben sich ihre Brüste entfernen KUNST» ... lassen. Dafür sind ihre Hinterteile runder. Ich erkenne jetzt vor mir eine 5-Sterne-­ Die Männer sind muskulös, haben extrem Lounge für Sammlerinnen und Kuratoren, schlanke Hüften und verbreiterte Schultern, die sich hier mit den Studierenden zu jeder kleine Köpfe. Ihre Genitalien sind deutlich Tageszeit über deren Fortschritte und Karri- gekennzeichnet und klären sofort über Ambiere unterhalten können – und meistens Werke tion und bevorzugte Spielart auf.

Die Liftfahrt soll fünf Sekunden dauern. Das sind 60 Meter pro Sekunde. Ich erkenne jetzt eine Gruppe manipulierter Riesenfrauen, die Charles-Ray-Skulpuren gleichen, zwei Meter gross, aber echt. Sie halten ihre Augen geschlossen, während der Countdown läuft. 3 ... 2 ... 1 ... Wir heben ab. Ein gewaltiger Druck geht durch mein Hirn. Ich spüre ein noch heftigeres Brennen in meinem Gedärm, die Augen schliessen sich automatisch, die Ohren schmerzen vom Überdruck. Ich höre eine innere Stimme. Es ist die Stimme jener Akademie-Professorin, mit der ich womöglich verabredet bin: «… Wir haben vernommen, dass Sie mehr über unser Studienfach Transgene Kunst wissen möchten …», spricht jetzt die innere Stimme, während meine Hirnschale leicht zu vibrieren beginnt. Die fünf Sekunden Liftfahrt scheinen eine Ewigkeit zu dauern. «… Transgene Kunst war eine Reaktion auf die zunehmend perfektionierte Gentechnologie, die Mitte des 21. Jahrhunderts populär wurde. Transgene Kunst ist eine Art der genetischen Kennzeichnung inner- und ausserhalb des Operationsbereichs der Molekularbiologie, als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Kultur. Transgene Kunst kann der Wissenschaft helfen, die Rolle von Beziehungs- und Kommunikationsfragen bei der Entwicklung von Organismen zu erkennen …» Der Schub drückt meinen Brustkorb jetzt nach oben, die Augenlider flattern, die Stimme ist klar zu hören und beantwortet Fragen, die ich noch nicht gestellt habe – aber stellen wollte. «… Richtig. Die meisten unserer Studierenden verfügen über einen nanotechnisch aufgerüsteten Körper. Chips unter der Haut haben das Notebook ersetzt …» Ich merke, dass dies das versprochene Gespräch mit der Hochschulleitung sein muss: ein Monolog (mit) einer Professorin, die offenbar genau weiss, was ich will, und auf dem Weg zur Aussichtsplattform Antworten liefert. Durch Audio-Kompression wird die Interviewzeit auf fünf Sekunden reduziert. Sehr praktisch. Erst jetzt erkenne ich beim kurzen Öffnen meiner Augen, wie die dichte Dschungel-Landschaft an der Fassade in Zeit­lupe an der Liftkugel vorbeischwebt. Es herrscht Schwerelosigkeit. Vielleicht ist es so eine Art Raum-Zeit-Kontinuum, das hier eingesetzt wird. Ich sehe Winde im Osten, sehe gekrümmte Bäume in der Ferne. Auf einer riesigen Bildwand erscheint der Berner Stadtrand bei Neuenegg, dort wo die Apokalypse angrenzt und trüber Nebel und Artilleriedunst über der Landschaft schweben: Viererreihen von Marschierenden sind zu erkennen, in Kleidern aller Art, alle mit rotgelb-schwarzem Halstuch. Bärtige, ihr Atem breitet sich wie Rauch vor ihren Mundschutzen aus, hinter sich Karren schleppend, mit Kriegsbeute beladen. Dann verschwindet das Bild im Dickicht der Fassadenlandschaft. «… Ja, wir unterrichten hier viel über die Funktion der Fiktion. Ein grosses Thema. Wie Fiktion dazu dient, den Realitätsgehalt der Wirklichkeit festzustellen. So haben die meisten unserer Studierenden längst ein fiktives Ego entworfen, ein eigenes Modell als fiktive Entität. Kunst wird zur Modellbildung. Und die schafft dann auch gleichzeitig die Kreation eines dazu passenden Künstlers. Also man ist quasi zwei Künstler. Wir unterrichten das schon sehr lange: Die Figur der Künstlerin behauptet den Vorrang gegenüber dem Werk. Darum dürfen unsere Kunststudierenden gottgleich oben auf der 300 Meter hohen Plattform mit Unterstützung von Windmaschinen und in ihren Basejumpanzügen über dem Berner Volk schweben, das dann dem Pontifex Maximus huldigt – als gefeierte Schöpfer neuer Welten!» Ich sehe jetzt, wie wir an wilden Tieren in der Fassadenlandschaft vorbeigleiten – die Tiere posieren wie in den legendären Portraits von Balthasar Burkhard. Es wird still. Die Reise ist vorbei. Das Glasauge von Szeemann öffnet sich. Als ich auf die riesige Plattform trete, erschüttert mich zuerst das Gefühl, gerade Millionen Bilder und Töne aufgenommen zu haben. Aber noch viel schmerzhafter: Ich merke, dass mir eine Meinung und Haltung zur Hochschule eingetrichtert wurde. In Bildern und Botschaften. Die Bilderfülle hat jede Dimension überschritten. Und ich kann nichts anderes dagegen tun, als dieses PR-Implantat jetzt in einer Endlosschlaufe in meinem Hirn ablaufen zu lassen. Also spricht eine Stimme in meinem Hirn einfach weiter, die mir womöglich von der Schulleitung eingepflanzt wurde: «… Es ist uns klar, dass an dieser Schule das Bild als Kunst keinen besonderen Stellenwert mehr hat. Das Bild in der Kunst hat seine Verpflichtung zur Repräsentation schon vor über hundert Jahren aufgegeben. Es hat bloss noch einen dekorativen Stellenwert, den wir auch respektieren. Doch der

Wert ist kraftlos und stellt keinen Wert dar. Sie wissen es bestimmt: Heute können sie echte Picassos an jeder Strassenecke von Bern für sehr wenig Geld bekommen. Es ist die Wissenschaft, welche die Kunst regiert. Sie hat hier ihre eigene Abteilung eingerichtet, und ihre repräsentativen Fähigkeiten ins Unendliche weiterentwickelt. Es ist ein Regime der Repräsentation in unendliche Makrowelten, Galaxien und Sternennebeln. Mikrowelten von molekularer und atomarer Struktur. Die Kunst der Abstraktion als Vermittlung von Wissen. Die Bilder der Wissenschaftskunst sind längst wichtiger für die Menschheit als die klassischen Bilder der Kunst. Kunst ist längst in den Sog des Wissens geraten. Das gemeinsame Merkmal von Kunst und Wissenschaft liegt in der Suche nach dem Neuen, dem Unentdeckten. Wir sind stolz darauf, dass wir hier an der Hochschule der Künste Bern nach über einhundert Jahren die Speerspitze dieser Bewegung repräsentieren …» Die Stimme bricht abrupt ab. Ein schrilles Summen holt mich in die Realität zurück. Ich stehe jetzt vor einem der gross angekündigten Kunstwerke der Stadt Bern. Die Absprung-Plattform mit Wasserfall von Thomas Hirschhorn (eine Rückfahrt im Lift ist nicht möglich). Der Wasserfall, der sich von der Plattformkante löst, ist höher als die Niagarafälle. Der Wassersturz aus 300 Metern soll völlig ungefährlich sein, er endet sanft in einem Becken des bernischen Kanalisationssystems, von wo die Reise in gläsernen Röhren weitergeht. Der Fall ist betäubend, verursacht einen Denkstau, oder besser: ein Denken in Assoziationsblöcken, wie es uns William S. Burroughs vor 150 Jahren in seiner Sprachkunst vermittelt hat. Ich werde jetzt Teil einer Luftblase, die mich durch das gläserne bernische Kanalisationssystem gleiten lässt, ich erkenne auf der Aussenschicht die projizierte Sternennacht von Vincent Van Gogh, uralte UV-Aufnahmen vom Hubble-Teleskop, Charles Darwins Evolutionsdiagramm von 1851, Galileo Galileis Mondphasen, ein unbekanntes Bern-Gemälde von Christian Lindow, Tissue Culture von Stelarc, Joseph Beuys Evolution, Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer, Marcel Duchamps Fountain ... Mehr kann ich nicht erkennen. Ich spüre, wie mein Körper massiert wird, es folgen Ejakulationen, Freudenschreie, Angstzustände. Die Wellenbewegung endet in einer unter­ irdischen Glasröhre, nahe der Schwellenmatte. Dort verlangsamt sich die Wellenreiterei, ich gleite sanft unter der Wasseroberfläche, kann das Münster erkennen, wo alle 20 Sekunden glänzendes, sich reflektierendes Wasser – ein sogenannter Andreani-Strahl – abgeschossen wird. Im Strahl spiegelt sich das geheime Stadtleben der Privilegierten. Ich sehe die Altstadt und das glückliche Leben der Bernerinnen und Berner, eine umfassende Idylle hat die alte Stadt erfasst, eine Ästhetik der Existenz. Das ist es, was die Kunstakademie über diese Stadt gebracht hat. Gesteigerte Sensibilität. Ethik der Selbsterfindung. Existenz ohne Moral. Persönliche Lebenskunst. So glitzert Bern, von unten betrachtet, unter der Oberfläche der Aare, aus gläsernen Abwasserröhren betrachtet, im reflektierenden Münsterwasser. Das ist alles, woran ich mich erinnern kann.

Tom Kummer, bekannt als Bad Boy des Schweizer Journalismus, schreibt regelmässig für das Magazin Reportagen und exklusiv für diese Nummer der HKB-Zeitung. Kummer wurde 1963 in Bern geboren und lebt heute in Los Angeles.


INTERVIEW: CHRISTIAN PAULI

WIRKLICHKEIT – ZWISCHEN ANGEREICHERT UND KONSTRUIERT

Die NZZ veröffentlichte kürzlich die Reportage «Unterwegs in der Hölle»1, die aus der syrischen Stadt Tall Abyad berichtet. Dort verkauft ein Junge auf dem Platz Gemüse, wo IS-Schergen seinen Vater vor seinen Augen köpften. Eine Reportage, die zu lesen einem unter die Haut geht. Was soll eine Reportage bewirken? DP Genau das. Eine gute Reportage hallt nach. Das Lesen soll ein emotionales Erlebnis sein und weit mehr als Vermittlung oder Berichterstattung. Eine Reportage garantiert, dass man einen Moment lang in eine andere Welt abtauchen kann. Im besten Fall identifiziert sich die Leserin, der Leser mit dieser anderen Welt und ihren Protagonistinnen und Protagonisten. Erzeugen extreme Wirklichkeiten bessere Reportagen? Ist die Kriegsreportage die Königsdisziplin? DP Nein. Reportagen behandeln menschliche Dramen. Dramen sind absolut, man kann das eine nicht über das andere Drama stellen. Die Geschichte einer 17-Jährigen die an Leukämie erkrankt ist, geht genau so unter die Haut wie der erwähnte Kriegsbericht. Im Gegenteil suchen wir in Reportagen auch schöne Geschichten zu bringen, die es im gängigen Nachrichtenstrom schwer haben. In der Schweiz gab es mal ein Magazin, das sich Der Alltag nannte, und unter dem Slogan «Die Sensationen des Gewöhnlichen» Reportagen veröffentlichte. Verfolgt Reportagen diese Linie weiter? DP Je länger desto mehr. Wir suchen nach solchen Themen und wissen auch, dass sie bei den Leserinnen und Lesern gut ankommen. Wir wollen nicht nur aus Syrien, über die Finanzkatastrophe und das Grönlandeis berichten, sondern uns auch fragen: Was passiert beispielsweise in Dulliken? Es gibt Autorinnen und Autoren, die aus ganz gewöhnlichen Welten grossartige Geschichten schreiben. Mats Staub, Sie sind ein Künstler, der mit echten Menschen arbeitet, sich dem sozialen Alltag stellt, und derart von Realität(en) berichtet. Empfinden Sie sich auch als Reporter? MS Nun, ich habe früher als Journalist gearbeitet, aber ich suchte vermehrt nach Formen und Raum für Geschichten, die sich nicht nach Prominenz richten. Dieses Feld fand ich in der Kunst. Die Methoden, die ich heute anwende, sind der Reportage verwandt geblieben. Wie der Reporter nehme ich mir viel Zeit bei der Recherche und bei Gesprächen mit Menschen. Ich höre zu, wenn Herr oder Frau Müller ganz lange von ihren Grosseltern erzählten. Als Künstler kann ich aber das Format selber bestimmen und muss mich nicht an die engen Vorgaben eines Pressemediums halten. MS

Die Kunst bietet mehr Möglichkeiten.

Das Medium Kunst ist also das bessere Medium für Ihren Zugang zur Wirklichkeit? MS Die Kunst bietet mehr Möglichkeiten. Ich kann in Räumen arbeiten, nicht nur auf Papier. Ich habe mehr Platz als 20 000 Zeichen. Die Menschen sind vor Ort, wenn sie meine Projekte besuchen. Und sie nehmen sich Zeit, stundenlang hinzuhören. Das sind ganz andere Voraussetzungen, als wenn Leserinnen und Leser daheim auf dem Sofa sitzen. Wie eine Reporterin stellen Sie sich als Künstler den Realitäten. Muss sich Kunst mit der Wirklichkeit befassen? MS Ich glaube, sie muss gar nichts. Ich kann nur von meiner Praxis sprechen, und das ist

Wie sieht das in Ihrer Arbeit aus, Daniel Puntas Bernet? DP Ganz ähnlich. Wenn ich eine Reportage schreibe über einen Bauern aus Dulliken, muss ich seine Aussagen nicht unbedingt einem Faktencheck unterziehen. Die von ihm geschilderte Realität ist Wirklichkeit genug. Aber natürlich ist die Kunst freier, weil sie auch fiktional sein darf. Mit dem Wahrheitsbegriff im Journalismus ist es aber auch so eine Sache. Reporter beanspruchen in der Regel eine ganz spezifische, subjektive Wahrheit für sich – trotzdem sind sie in meinen Augen einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung verpflichtet. Mats Staub, wie sehen Sie Ihre Rolle als Autor? MS Auch ich bin den Menschen verpflichtet, die ich porträtiere. Ich muss ihnen gerecht werden, sonst funktioniert die Arbeit nicht. In «21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden» lasse ich Menschen eine Stunde lang erzählen, was sie im Alter von 21 Jahren erlebt haben. Dabei mache ich eine Tonaufnahme. Drei Monate später spiele ich ihnen ein Kondensat von zirka 12 Minuten vor – und filme sie dabei. Sie reagieren also auf ihre eigene, von ihnen erzählte Geschichte. Wenn hier jemand das Veto einlegt, wird der Film natürlich nicht veröffentlicht. DP Das Selbst- und das Fremdbild von por­ traitierten Personen liegen oft weit auseinander. Meine Erfahrungen zeigen, dass Pro­tagonistinnen und Protagonisten einer Reportage mit Aussagen und Beschreibungen manchmal Mühe bekunden, während Freundinnen oder Bekannte der Porträtierten diese Beschreibungen als durchaus treffend erachten können. Wie viel an Ihrem Projekt «21» ist inszenierte Wirklichkeit? Menschen sind ja in der Regel nicht derart mit dem konfrontiert, was sie vor drei Monaten erzählt haben. MS Es gibt in der Tat Aspekte, die ich inszeniere. Ich schaffe Ausnahmesituationen, die aber aus dem Alltag hervorgehen, der nicht inszeniert ist. DP Reportagen sind grundsätzlich nicht inszeniert. Es stellen sich aber immer wieder Abgrenzungsfragen. Einer der besten Texte, den ich in den letzten Jahren gelesen habe, war «Hofmanns Blick auf die Welt». Henning Sussebach berichtet darin von einem Pfandflaschensammler, der mit seiner ureigenen Sprache unerhörte Dinge über die Welt sagt. Sussebach wurde für diesen Text mehrfach ausgezeichnet. Erst danach wurde bekannt, dass der Autor seinen Protagonisten mit einem Casting unter zahlreichen Obdachlosen gesucht hat. Das ist eine Art Inszenierung. MS Um der Wirklichkeit nahe zu kommen, muss man konstruieren. Erwin Koch hat beim Text über die erwähnte 17-Jährige mit Leukämie eine Erzählsituation konstruiert, als ob er beim ganzen Verlauf dabei gewesen wäre. DP In diesem Fall trifft das zu. Kochs Ausgangspunkt war die Todesanzeige. Er hat die junge Frau gar nicht gekannt. Aber er führte sehr lange Gespräche, zum Beispiel mit ihren Eltern, und hat das Tagebuch von Sarah gelesen. Aus diesem Material hat er eine Geschichte rekonstruiert. Ich würde aber eher von produktivem Anreichern sprechen und nicht von inszenierter Wirklichkeit. In der Kunst ist die Sehnsucht nach Wirklichkeit gewachsen. Das zeitgenössische Theater bringt echte Menschen auf die Bühne. Wie weit sollen wir gehen? Ein Beispiel: In «The Cradle Of Humankind» tanzt der als Drag Queen auftretende südafrikanische Performer Steven Cohen mit der 90 Jahre alten Nomsa Dhlamini im Baströckchen. Die schwarze Dhlamini war die Nanny des kleinen, weissen Jünglings Cohen. Diese Performance stellt irritierende Fragen an unsere Vorstellung von Kunst

und Wirklichkeit. Mats Staub, wie weit gehen Sie? MS Der künstlerische Anspruch setzt eine Grenze. Laien auf der Bühne sind zu Beginn unschlagbar authentisch. Wenn sie aber wiederholt auftreten, werden sie oft zu schlechten Profis – und der ganze Zauber ist dahin. Eine andere Grenze wird durch den Schutz der Protagonistinnen und Protagonisten gesetzt: Ich darf und will keine Menschen vorführen. Ein Gefälle ist per se gegeben: Ein Profi, der über das Funktionieren eines Formates sehr gut Bescheid weiss, spricht mit Laiinnen und Laien, die nicht so genau wissen, was passiert. Wie steht es um die Verantwortung des Reporters gegenüber seinen Protagonistinnen. DP Die ist hoch. Ein guter Reporter will sich nicht profilieren, sondern geht von seinem Interesse und seiner Empathie Menschen gegenüber aus. Eine Reporterin will Menschen gern haben, sonst kommt sie gar nicht so nah heran, wie sie will. MS Darum sind wir in unserer Arbeitsweise recht nahe: Wir haben beide einen nicht-konfrontativen Zugang zu den Menschen. In Gay Taleses berühmter Reportage «Frank Sinatra ist erkältet»2 ist der Autor dem Protagonisten gegenüber nicht sehr empathisch eingestellt. Im Gegenteil, hier reisst einer dem anderen die Maske vom Gesicht. DP Diese Reportage, vom Magazin Esquire zur besten Geschichte aller Zeiten gekürt, ist deshalb so gut, weil sie meisterhaft literarisches Geschichtenerzählen mit rigoroser Faktentreue kombiniert. Sie handelt davon, dass Gay Talese Frank Sinatra ein halbes Jahr hinterher reist, ohne ihn treffen zu können. Also schrieb Talese ein ausuferndes Porträt ohne einen einzigen Satz mit seinem Protagonisten gewechselt zu haben. DP

Es gibt diese Sätze, in denen alles drin steckt.

Was wollen Sie mit Ihrer Kunst zeigen: das Spezifische der Menschen oder das Verbindende? MS Das Universelle kann ich nur zeigen, wenn ich mich auf das Individuelle einlasse. Ich mag die spezifischen Details. Wie verschieden die Leute nur schon reden! Wenn 100 Menschen das Erwachsensein beschreiben, ergeben sich 100 Definitionen. Im Spezifischen das Allgemeine suchen – trifft dies auch auf Reportagen zu? DP Absolut. Es gibt diese Sätze, in denen alles drin steckt. Solche Sätze höre ich auch bei Pedro Lenz, etwa in «Dr Goalie bin ig». Warum funktioniert das? Weil Pedro Lenz die Gabe hat, gut hinzuhören. MS Und weil er so gut kondensiert und konstruiert. Das ist ein interessantes Bespiel: «Dr Goalie bin ig» hört sich ja wie eine gute Reportage an. Die Figuren sind so berührend, weil die Protagonisten so normal und authentisch sind, wie sie eben in Dulliken sein könnten. DP Pedro Lenz ist ein guter Romancier. Wir Journalistinnen und Journalisten sind ja nur Kopisten der Belletristinnen, indem wir versuchen, mit literarischen Formen der Wahrheit nahezukommen. Journalistinnen und Journalisten haben aber noch eine ganz andere Qualität: sie spitzen zu. DP Das klingt mir zu negativ. Eigentlich ist eine gute Reportage das Gegenteil: Sie verdichtet. Sie benennt Interessantes und Relevantes und trifft eine gute Auswahl. MS Auswahl und Verdichtung sind auch für mich entscheidend, mir stehen aber andere dramaturgische Mittel zur Verfügung: Ich kann 15 Monitore nebeneinander in einem Raum laufen lassen, mit einer Vielzahl von Portraits arbeiten, welche die Betrachterinnen und Betrachter individuell kombinieren können. Sie haben die Wahl, jene Geschichten zu hören, die am persönlichsten zu ihnen sprechen.

Die Reportage ist ein Zwitter zwischen Literatur und Journalismus. Im Gegensatz zum Faktenjournalismus will die Reportage eine Geschichte erzählen, die erst beim Lesen entsteht. Die Leserin, der Leser interpretiert einen Text immer vor ihrer respektive seiner eigenen Biografie. Sie messen sich an den Figuren, die erzählt werden. Erst so werden diese zum Leben erweckt. Ich möchte nochmals auf die Methode des Verdichtens zurückkommen. Als Reporter sammle ich Material: Notizen, Gespräche, Beobachtungen. Für das Schreiben verwende ich davon vielleicht nur zehn Prozent. Die restlichen 90 Prozent aber schwingen mit in den zehn Prozent, die ich im Text konkret verwende. MS Das ist bei mir ähnlich. Ich rede mit den Menschen eine Stunde lang, und weiss oft schon beim Zuhören, was ich nicht verwenden werde. Die 90 Prozent sind aber wichtig, um zu den wesentlichen zehn Prozent vorzudringen. DP

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Auswahl und Verdichtung sind auch für mich ent­ scheidend.

Für die Schlussrunde dieses Gespräches möchte ich nochmals auf den Unterschied zwischen der journalistischen und der künstlerischen Reportage zurückkommen. Journalistinnen und Journalisten arbeiten transparenter als Kunstschaffende. Reporterinnen und Reporter reflektieren ihre Postition und Perspektive im Text. DP Für mich geht es eher um Vertrauen. Der Leser geht davon aus, dass die Reporterin wahrheitsgetreu berichtet. Im Moment, wo ich als Reporter Falsches berichte, habe ich verloren. Das Vertrauen muss die Autorin, der Autor permanent erzeugen. Das kann mit Quellenangaben erreicht werden oder indem auch das eigene Versagen thematisiert wird. Diese Signale an die Leserinnen und Leser sind sehr wichtig.

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meist das Zuhören auf Augenhöhe. Die Menschen, die ich zu ihren Erinnerungen befrage, konstruieren sich ihre ureigenen Wirklichkeiten. Es kann durchaus sein, dass diese nicht mit den tatsächlichen Geschehnissen übereinstimmen, aber gerade diese Konstruktion interessiert mich.

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Beide schreiben sie Reportagen: der Künstler Mats Staub (MS) und der Journalist Daniel Puntas Bernet (DP). Was ihre Arbeit zwischen Kunst und Journalismus unterscheidet, erläutern Staub und Puntas Bernet im Gespräch mit der HKB-Zeitung.

Mats Staub, wie sehen Sie den Unterschied? MS Ich bin freier als der Journalist, ich muss keine Medien-Gesetze einhalten. Mein Werk muss erst mal «nur» in sich stimmen, seinen eigenen Gesetzen folgen. Es findet aber natürlich nicht in völliger Freiheit statt, sondern muss im Rahmen funktionieren, der mir gesetzt wird: Ich bespiele einen bestimmten Ort an einem bestimmten Festival für ein bestimmtes Publikum. Da bin ich den Regularien des Kulturbetriebs unterworfen.

1 http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/ unterwegs-in-der-hoelle-ld.1972 2 http://www.esquire.com/news-politics/a638/ esq1003-oct-sinatra-rev/

Daniel Puntas Bernet Der Berner Daniel Puntas Bernet, ehemals Reporter für die NZZ am Sonntag, lancierte im Oktober 2011 zusammen mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern Reportagen. Heute ist Puntas Bernet Chefredaktor des Magazins, das als gebundenes Buch im Ta­schen­format sechsmal jährlich Geschichten aus aller Welt präsentiert, ge­ schrieben von Journalistinnen und Schriftstellern. Diese Ausgabe der HKB-­Zeitung ist in Ko­operation mit Reportagen entstanden. www.reportagen.com

Mats Staub Mats Staub, ebenfalls aus der Region Bern stammend und heute in Olten lebend, ist als «Reisender in Sachen Erinnerung» bekannt geworden. Seine Installationsprojekte be­inhalten Langzeitstudien mit Menschen. Der ehemalige Journalist und Dramaturg am Theater Neumarkt in Zürich arbeitet seit 2004 im Spannungsfeld zwischen Theater und Ausstellung, Journalismus und Wissenschaft. www.matsstaub.com

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TRANSNISTRISCHE TISCHORDNUNGEN

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VON URS MANNHART

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Urs Mannhart ist Schriftsteller und Reporter und schreibt unter anderem für das Magazin Reportagen. Sein jüngster Roman Bergsteigen im Flachland ist 2014 erschienen. Für die HKB-Zeitung reiste Mannhart nach Transnistrien. Seinen Reisebericht tippte er unterwegs auf einer Schreibmaschine. Das Typoskript drucken wir geringfügig verkleinert, ansonsten jedoch 1:1 ab.

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«ICH BIN NICHT GANZ SICHER, OB DIE JUNGE FRAU ARTIFIZIELL IST.» Tom Kummer, Macht der Kunst, Seite 4

VON MATTHIEU RUF

LA BRÈCHE UN ÉTÉ AU JARDIN DU SLEEP-IN « Rien ne doit plus inciter à la méfiance que les aventures réussies » Eric Chauvier 1er jour, 13 juillet. 11 heures du matin. J’avance dans la chaleur, des tongs aux pieds. J’ai dans ma sacoche un bloc-notes vierge, dans mes bras deux grosses briques de jus de fruits et de thé froid. Je marche à la suite de Mathias, un autre enseignant bénévole, sur le chemin de l’Usine à gaz, dans le quartier de Malley, à la frontière ouest de Lausanne. Nous longeons une barrière derrière laquelle, par-delà les feuillages, des silhouettes et des voix émergent. Je n’ose pas encore vraiment regarder. Nos semelles crissent dans le gravier de la cour d’entrée d’une belle maison aux murs jaune pâle, mais ce n’est pas elle que je vois : je vois des conteneurs, le long du mur parallèle à la route, et juste à côté, quelques marches, un porche et une porte fermée, sur laquelle est placardée une feuille qui dit, en anglais : Interdit de dormir devant les portes. Devant la porte, sur des cartons dépliés sur le perron, un homme est étendu dans un sac de couchage kaki. Nous entrons dans le jardin. Il est grand, ponctué de deux petits arbres aux feuillages inégaux, parsemé d’objets en tous genres, de quelques détritus. Des hommes dorment sous deux avant-toits construits contre le mur, et une dizaine d’entre eux forment un vague demi-cercle dans le coin, au fond, contre la barrière qui longe le trottoir. Certains sont debout, d’autres assis sur des chaises ou sur des canapés défoncés, à l’ombre d’un grand pin planté sur la propriété voisine, l’ancienne coopérative d’achat des maîtres bouchers. Ils

nous attendent. Sous leurs yeux, je dépose mes briques de jus et de thé sur une table de pique-nique. Le « cours de français » peut commencer. Le Sleep-In, dans l’ouest lausannois, est un lieu d’accueil pour les gens qui n’ont nulle part où dormir. Contre cinq francs, ils y ont droit à un lit, un petit-déjeuner, une douche. Depuis des années, ses 24 places officielles sont complètes presque toutes les nuits, comme c’est le cas dans les rares lieux similaires de la ville. Face à cette saturation, des gens se sont mis à occuper le jardin de la maison du Sleep-In, n’ayant pas d’autre endroit où dormir. En 2015, ils ont été jusqu’à 80 personnes, presque tous des hommes originaires de différents pays d’Afrique, à y camper chaque nuit. En été, un collectif s’est créé pour leur apporter du soutien, des fruits, des avant-toits en tôle, des cours de français ; les médias ont braqué leurs projecteurs sur cette situation ; les autorités des villes de Lausanne et Renens les ont sommés de s’en aller, puis rencontrés, puis à nouveau sommés de s’en aller. Le 30 août, en très grande partie, le jardin s’est vidé. En 2013, j’ai parcouru l’Amérique du Sud pour réaliser différents reportages : dans une mine d’or péruvienne, dans un village de l’Amazonie équatorienne, dans la maison isolée d’une indigène chilienne. J’en suis revenu avec un malaise, celui du voleur de vie, qui recueille une histoire et s’enfuit. Tout écrivain est une sorte de vampire, mais face à des gens qui m’accueillaient avec largesse dans des conditions souvent précaires, il y avait quelque chose d’indécent à prendre sans rien donner en retour qu’une écoute non sollicitée. Au jardin, j’ai voulu écrire, mais pas comme ça. Avant d’y avoir mis les pieds, je me suis porté volontaire pour participer aux ateliers de français que l’association Franc Parler, dont je suis l’un des nombreux bénévoles, a décidé de mettre en place deux

fois par semaine sur la pelouse, en signe de soutien. J’ai voulu ainsi me placer dans la position inconfortable de l’observateur impliqué ; aller vers ces sansabri encore mystérieux, en leur proposant une aide, aussi dérisoire fût-elle. J’ai voulu, aussi, me libérer des formatages journalistiques et de l’obligation de livrer des résultats. Rester, revenir, prendre le risque de voir émerger des contradictions dans les récits, les situations, les comportements ; prendre le risque de former des liens. Cette démarche a eu pour conséquence l’échec de plusieurs de mes desseins. L’enquête, d’abord : comment est-ce possible que ces 80 types dorment dans ce jardin ? L’acte de solidarité, ensuite : leur montrer que leur sort me préoccupe. L’acte militant, enfin : témoigner de leur existence, là, sous nos yeux, faire entendre leur voix. Toutes ces intentions, que j’avais l’illusion d’embrasser conjointement à mon envie d’écrire, ont eu un effet pour le moins incertain. Pourtant, de ce multiple échec est né le texte que vous avez commencé à lire. Un documentaire, mais qui restitue la fabrication du reportage, au gré des errances, des incompréhensions, des imprécisions, des malaises qui l’ont ponctué. En fin de compte, le seul texte honnête possible pour un auteur qui a tenté de se faire non le porte-parole, mais le porte-chaussettes d’un type de citoyen : le Suisse instruit, mais peu au fait des réalités matérielles de 95% des habitants de la planète ; confronté dans sa ville ou dans son village aux vagues de migration contemporaines ; empreint de valeurs difficiles à assumer dans un monde globalisé, si ce n’est sous la forme d’une mauvaise conscience. Entre les expériences du réel, entre l’exilé africain qui dort dehors et l’Européen qui n’a jamais connu que le confort : vivre et dire la brèche, pour la rendre réelle, et commencer – peut-être – à la combler.

2e jour, 17 juillet. L’avenue du Chablais, sa Coop où les mecs « Dujardin » viennent acheter des bières, son trafic, sa Brasserie des Abattoirs, ses machines de démolition, qui ont commencé la « revalorisation » postindustrielle du quartier. C’est un couloir urbain qui mène vers le centre commercial Malley Lumières et la nouvelle gare de Prilly-Malley. C’est de là que part le chemin de l’Usine à gaz, qui atténue le bruit, retrouve un peu de verdure. En marchant sous le soleil qui tape, mes deux paquets de gaufres dans les bras, je pense à toutes les fois où j’ai emprunté cette rue qui s’incurve vers la droite, derrière le chantier des anciens abattoirs, sans savoir qu’elle menait au Sleep-In. Je flippais à l’idée de me retrouver seul, mais Muriel, une autre bénévole, attend sur un banc au fond du jardin. L’apprentissage de la langue de Voltaire ne passionne pas les foules, aujourd’hui. Muriel fume et parle à un long type à barbiche, bien calé dans le grand sofa, à l’ombre. On cause un peu, on ouvre la brique de jus, on les regarde, on leur sourit, on attend. Finalement, ils arrivent. On déplace un vieux canapé dont l’un des coussins n’arrête pas de glisser par terre. On essaie des dialogues, le vocabulaire de la météo. Les mecs portent les cheveux longs ou rasés, des barbes ou le menton nu, des casquettes ou non, des colliers ou rien. Très attentifs, stylo en main. De l’autre côté de la clôture, les camions à ordures défilent en trombe : au bout du chemin, il y a la plus grande déchetterie de l’agglomération. JOHN Mercredi 5 août au matin, je pose une question à un petit groupe assis à l’ombre dans

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le coin « salle de classe » du jardin. Ils me disent : regarde avec le chef, « Epav », celui qui a le tee-shirt mauve, là-bas. Je suis troublé par le nom qu’ils m’ont indiqué. L’homme au t-shirt mauve et au bouc bien taillé, je l’ai vu prendre la parole à de nombreuses reprises, lors des réunions hebdomadaires entre les sympathisants du collectif et les occupants du jardin. Pas très grand, il peut se tenir debout sous l’avant-toit, la casquette frôlant la tôle. Je m’approche, m’accroupis et lui demande comment il s’appelle, déjà. Il me donne un large sourire. You can call me John. Ah, c’est bien ce qui me semblait. Mais les gars, là-bas, t’ont appelé Epa. Il ouvre grand les yeux : Epa ? No, it’s him ! Et il me montre celui qui m’a dit s’appeler King, assis sur un vieux matelas juste à côté. John, c’est une énigme, et donc une très bonne leçon. J’ai compris que les noms, dans ce jardin, n’ont pas autant de valeur que dehors. J’ai compris qu’à chaque fois que l’un d’entre eux me raconte, avec plus ou moins de détails (plutôt moins que plus d’ailleurs) d’où il vient, depuis combien de temps il est en Suisse, l’âge qu’il a, etc., tout n’est pas toujours à prendre au pied de la lettre. Parfois, on sent un flottement, comme un grésillement, lorsqu’on leur pose une question et qu’ils ne savent pas exactement quelle personne – au sens latin de « masque d’acteur », « rôle » – présenter, hésitant entre leurs différents intérêts et envies. Maintenir le récit construit, de façon à augmenter leurs chances face aux autorités, ou risquer plus de franchise ? John me dira qu’en déposant sa demande d’asile en Suisse, qui a été rejetée, il a utilisé un autre nom. Sans doute n’est-il pas le seul. Or John et ses secrets m’aident à comprendre qu’il ne s’agit pas tant de mensonge que de survie. Leur nom est devenu aussi fragile, incertain, aléatoire que leur condition. John a, semble-t-il, trouvé un lieu où loger, une chambre. Je l’ai revu le 15 septembre, dans la rue ; on s’est fait un salut amical mais très bref. − Ça va, mieux qu’avant ? − Yes, mieux qu’avant. Good to see you. C’est tout, et c’est un autre enseignement du jardin : si je n’ai cessé, surtout au début, de vouloir leur poser des questions, eux n’ont presque jamais tenté d’en savoir plus sur ma vie. John est reparti à sa vie suisse, et à son mystère. PRINCE Prince attend devant la Salle de spectacles de Renens, appuyé contre une poubelle hermétique, ce lundi 3 août. Il a une casquette de cuir noir, un pull noir à capuche, des chaussures et des pantalons noirs. Des regards coulés, attentifs. La longue séance officielle, à laquelle les autorités de Lausanne et de Renens avaient convoqué les veilleurs du Sleep-In pour les sommer de faire évacuer le « camping sauvage » du jardin, est terminée. C’est la première fois qu’aucun d’eux ne me parle de sa vie. Tous les autres sont partis, nous retournons les deux à pied au Sleep-In. Prince est né il y une quarantaine d’années, et il en a déjà passé une quinzaine hors du Nigeria. Pourquoi est-il parti, vers 2001, pour la Libye ? Parce qu’il était en danger, à cause de son militantisme pour l’indépendance du Biafra ? « Non, pas en danger dans le sens que je me serais fait tuer ... ». Ce n’est pas clair. Il est parti ; peut-être faut-il renoncer à comprendre pourquoi. En Libye, il était installateur électricien, un métier appris au Nigeria. Il ne songeait pas à s’en aller pour gagner l’Europe. Mais quand « le monde occidental » a envahi la Libye, en 2011, il a rejoint l’Italie. Prince a vécu à Vérone, y a obtenu un permis, qu’il renouvelle périodiquement depuis. Il me montre son permesso di soggiorno, sa tessera d’identità, sa carte européenne d’assurance maladie, sa carte de contribuable. Il a travaillé un temps à Malte, puis a traversé toute l’Europe : France, Espagne, Hollande, Danemark, Suède, Allemagne, énumèrent les doigts de ses mains en gestes souples devant mes yeux. Son permis italien lui permet de voyager durant trois mois dans l’espace Schengen, je vais bientôt comprendre que la plupart des gars du jardin sont dans cette situation. Passé en Suisse à Saint-Gall, Prince s’est fait contrôler par des policiers. Ils m’ont agrippé à la gorge – il mime plusieurs fois le geste – et ils m’ont pris 400 euros que j’avais sur moi. « La population de la Suisse est très amicale et ouverte. Le problème, c’est le gouvernement et la police. Le monde occidental est venu faire la guerre, a pris nos richesses. Et maintenant que je viens chez eux, je suis traité comme ça. Je n’ai jamais dormi dehors, en Afrique, mais ici, en Suisse, le pays des droits humains, je dors dehors. Dans mon dialecte,

on dit : vivre comme le poisson dans la mer. Nous sommes tous nés sur la même planète. Un poisson peut passer de la rivière à l’océan librement. Nous pas. » Prince avance le long de ces rues de l’ouest lausannois, son grand corps chaloupe, sa voix qu’il n’élève jamais sort de sa longue mâchoire que dessine une barbe taillée. Je ne sais pas si tout ce que je viens d’écrire est ce qu’il a voulu me dire, si je l’ai bien compris. Je ne sais pas comment il survit financièrement, ici, même avec si peu de dépenses, en dehors des commissions qu’il me raconte prélever sur des envois d’argent au Nigeria qu’il effectue pour d’autres, via Western Union. Aux incompréhensions linguistiques, aux références implicites différentes s’ajoute la faillibilité de ma prise de notes en différé pour ce qui est des paroles prononcées, méthode que j’ai maintenue, à quelques exceptions près, durant mes six semaines au jardin. Un choix forcément critiquable, qui m’a pourtant paru être la condition d’une présence pleine et entière, attentive à l’autre. En revanche, je crois saisir ce qu’il me dit sur le trottoir, lorsque nous attendons que le feu passe au vert, puis lorsque nous traversons la rue sur le passage piéton : il souhaiterait gagner un peu d’argent, 5000, 6000 francs, puis retourner dans son pays, I go back to Africa, répète-t-il plusieurs fois, avec un geste de ras-le-bol de la main, retourner en Afrique pour se battre pour son peuple opprimé, les Ibo du Biafra. J’y pense tout le temps, day and night, il traverse le passage piéton, je suis en retard sur son pas décidé, il se répète, avec un calme effrayant. Day and night. 6e jour, 3 août, 10 h du matin. La salle de réunion, au premier étage, est pleine à craquer. Ils attendaient huit personnes, nous sommes plusieurs dizaines. Séance avec les autorités municipales, qui veulent en savoir plus sur le statut des occupants du jardin et qui rappellent au passage que l’aide d’urgence – un hébergement en foyer et de la nourriture – est aussi accessible aux personnes « en situation illégale » . Une jeune femme blonde, membre d’une association de défense des sans-papiers, prend la parole. « Dans les collectifs, nous redirigeons déjà les gens vers les autorités compétentes. Mais ceux qui sont dans cette salle ne sont pas des requérants et ils n’ont pas droit à l’aide d’urgence, car ils ont des permis européens. » Tout est dit. Les 60 ou 70 hommes du jardin ne sont pas des vieillards poussés hors de leurs maisons par des bombardements, pas des familles syriennes qui fuient la guerre en bravant les barbelés de l’Europe de l’Est. Ce ne sont pas des Érythréens, qu’aucun Etat européen ne renvoie dans leur pays. Ils n’ont pour eux ni la force des images, ni la loi. Et le mot débouté n’a pas prise sur eux. J’assiste, dans cet ouest lausannois qui m’a vu grandir, à une énième lame de fond du tsunami financier de 2008. L’effondrement économique des pays du sud de l’Europe a touché les membres les plus fragiles de la société. Ces hommes, King, John, Wilson, Leo, ces Nigérians, Gambiens ou Sénégalais, sont en réalité des immigrés d’Espagne et d’Italie. Mais l’Espagne et l’Italie ne peuvent plus les nourrir, même à coups de petits jobs au noir. Ou, si ces pays le peuvent encore, peut-être ces exilés en ont-ils assez. Et ils errent désormais à travers le continent, en quête d’une vie différente. En Suisse, ils peuvent légalement rester trois mois, mais n’ont pas droit à l’asile politique, n’ont à peu près aucune chance d’obtenir un permis de travail. Ils n’ont pas le bon âge, le bon sexe, la bonne nationalité, la bonne attitude. Ce sont des gens qui ne devraient pas être là. Or ils sont là. LEO How’s the writing ? Vers 18 heures, je suis assis sur ma chaise dans le jardin, le bloc-notes posé sur une cuisse. Leo s’assied à côté de moi, long et mince, torse nu, en jean. Je lui demande ce qu’il a pensé de la réunion. « Je n’étais pas surpris. Ce sont des politiciens, qu’est-ce qu’on peut attendre d’eux ? Ils doivent préserver le système. Ils n’allaient pas nous dire : pas de problème, vous pouvez rester ... En un sens, je comprends leur position. » Leo est un « Espagnol » comme tant d’autres : il se méfie des politiciens ; et il a perdu son appartement, après huit ans passés dans le pays, parce qu’il n’est pas parvenu à rembourser ses emprunts. J’ignore, par contre, la proportion de Sévillans qui ont déjà visité la Suisse, en touristes. « Je suis déjà venu à Lausanne, tu sais ? En 2007. Trois nuits, pour voir des amis. J’ai logé à l’hôtel ! Je voyais des gens dans la rue, je pensais : pourquoi ils sont là ? Et aujourd’hui, c’est moi qui suis dans la rue. » La parabole, sur le moment, me semble

trop belle. Pas ce que Leo me dit juste après. − Mais ça m’a rendu meilleur, humainement, de vivre ça. − Vraiment ? Pourquoi ? − Si je m’habille bien, dans la rue, les passants ne se rendent pas compte que je dors dehors. On n’a aucune idée de ce que les gens endurent, you don’t know what people are going through. Maintenant, si quelqu’un me parle mal, je me dis, O.K., il a un mauvais jour, et je n’y fais plus attention. 6e jour, 3 août, en fin de journée. Je suis revenu au jardin avec un gros paquet d’abricots, qui sont partis en une minute. J’ai choisi de m’installer sur une chaise côté route : d’ici, je vois, par terre, des schlappes orphelines, des cannettes de bière vides, beaucoup de mégots et de bouts de papier, des fourchettes en plastique. À ma gauche, la façade sud de la maison, le long de laquelle sont installés les deux avant-toits qui abritent la plupart des occupants nigérians, tandis que les Gambiens sont plutôt réunis au fond à gauche, entre la façade est et la clôture. À ma droite, le terrain est délimité par un grillage, puis par la paroi ocre de l’ancienne coopérative des bouchers. Sur le rebord du toit sont entreposés des sacs poubelle noirs, qui contiennent leurs effets personnels. Devant le grillage qui sert de porte-habits, quelques-uns ont un débat en pidgin qui m’échappe, et, derrière eux, juste à côté d’une tente, un grand matelas double accueille une famille rom au grand complet. Un vélo d’appartement trône au milieu de la pelouse, près du deuxième arbre, au pied duquel le collectif de soutien a installé une arrivée d’eau. C’est entre le robinet et la paroi de tôle ocre, je l’ai remarqué les dernières fois, que les gens se brossent les dents et crachent. À ma gauche, de l’autre côté du portail, deux cabines de toilettes chimiques ont été installées. Il m’en parvient une discrète mais persistante odeur de pisse. 3 août, minuit. Les fenêtres de la maison, où les 24 lits ont trouvé preneur, s’éteignent progressivement. Dehors, dans la nuit poudrée d’une lueur de lampadaires, je distingue encore quelques écrans de portables allumés. Rien mangé depuis 14 heures. Parlé à King, Leo, Manuel, Arinze, Prince, la famille rom et à un SDF espagnol à l’accent vaudois, qui dort à l’intérieur. En face de moi, sous le premier des deux petits arbres, quatre hommes ont installé leurs couches, matelas usés ou cartons, en étoile autour du tronc. L’un d’entre eux semble, depuis un petit moment, pris d’un accès de colère, de désespoir ou d’empoisonnement à l’alcool, ou peut-être d’un mélange de tout cela. Il vocifère à la cantonade, assis dans son sac de couchage. Je le regarde, mon bloc-notes toujours sur la cuisse, mon téléphone qui me sert d’éclairage dans la main gauche, j’essaie d’imaginer ce qu’il dit. Mais si les mots m’échappent, je perçois que le destinataire de ces cris n’est pas forcément de ce monde, que les reproches, l’injustice ressentie, sont trop grands. Les autres tentent de le calmer, à coups de brother, de chief, lancés doucement depuis les couches voisines. Malgré la déréliction de cet homme, malgré ces lits en morceaux, ces êtres qui dorment sur du carton sale, je puise dans l’instant une étrange sérénité. Cet instant calme, de voix basses, de bruissements des sacs de couchage qu’on déplie, je ne me sens ni en reportage, ni en mission solidaire, mais pris d’une sorte de bonheur de l’insignifiance, celle, sans doute, de n’importe quel humain assis dans la nuit. 4 août, 5 heures du matin. Me suis endormi vers 1h30, malgré l’inconfort. Mais à 5h, il fait trop froid, j’abandonne. Personne ne remue. Je pisse dans un bas-côté de la route, sous la lune gibbeuse. En partant, j’ai l’impression de les trahir un peu. Et eux, le froid, alors ? Je me dis que j’étais mal préparé : un sac de couchage léger, pas de pantalon, pas de chaussettes dignes de ce nom, pas de matelas pour me protéger de l’humidité du sol – n’importe quel SDF met au moins des cartons sous lui. Mais je ne suis pas un SDF : juste un mec qui fait semblant de partager leur expérience. A quelle vitesse la brèche se referme-t-elle ? Par ce reportage, je découvre une couche méconnue de ma propre ville : une population, des lieux, des habitudes, des odeurs, des regards qui me sont en général invisibles, ou, pour être plus précis, que je ne regardais pas auparavant. Désormais, je remarque ces hommes en ville, j’en salue certains. Prince à la place du Tunnel, le Gambien aux yeux doux à la rue du Valentin, le jeune rom devant la librairie, le sans-abri à l’accent vaudois sur la place de la

Riponne. J’ai même fini par reconnaître, devant le McDo de la gare, à force de passer devant tous les soirs, un visage du jardin parmi les petits dealers d’herbe ou de cocaïne. Ce jardin est une brèche, mais aussi une verrue. Dès qu’on y prête attention, à cette ville-là, ses fantômes se révèlent au grand jour. Si j’étais travailleur social, je maintiendrais peut-être le lien ténu établi avec eux. Mais je ne le suis pas : tôt ou tard, je vais retourner à ma vie habituelle, à mon milieu, à « ma » ville. À quelques mètres à peine de ses franges ignorées, quelques minuscules mètres qui changent tout. WILSON C’est l’avant-dernière fois que je vois Wilson, ce mercredi 5 août. Je n’ai pas vraiment eu le temps de parler avec lui, seulement de me prendre de sympathie pour cet immense gars souriant, de sentir peut-être, comme avec Leo, une forme de proximité culturelle. Réunion hebdomadaire, à peu près à l’endroit où j’ai dormi. John a longuement pris la parole ; c’est au tour de Wilson. Il remercie, une fois de plus, tous ceux qui viennent les aider. Je l’entends dire you are amazing, puis mon attention dévie vers je ne sais quoi, un reflet métallique dans l’herbe, le geste d’un homme ou d’une femme du cercle, un oiseau, avant de revenir d’un coup à lui lorsque j’entends ... this man, et le vois me pointer du doigt avec un sourire. J’ouvre grand mes oreilles, et Wilson se met à parler des journalistes. « Ils viennent, et ce qui les intéresse, c’est de trouver des histoires pour gagner de l’argent. Pas de nous aider ! Je ne veux plus raconter mon histoire, ma vie, j’en ai assez. S’ils veulent nous aider, ils doivent venir passer plus de temps ici ... Nous sommes là ! They have eyes ! » Cette phrase, que Wilson lâche avec un accent traînant sur le mot eyes, résonne dans ma tête comme si quelqu’un y avait frappé trois fois sur un vibraphone. Cette phrase m’embrume, et je rate à nouveau plusieurs de ses paroles, pour ne comprendre à peu près que cela : − ... like this man, our French teacher. − [Moi :] One of them ! − Yes, one of the teachers. He stayed here until, I believe, 5 in the morning. Quelques heures plus tard, le choc passé, j’accepterai que cette marque de reconnaissance, à laquelle je n’ai rien su répondre, m’a touché, et qu’elle a justifié temporairement mon action. Une justification trompeuse pourtant. Est-ce que je les aide, ou est-ce que je veux « gagner de l’argent » ? Je n’en sais rien. Mais les trois phrases de Wilson n’ont cessé de résonner en moi. J’en ai assez de raconter mon histoire. Nous sommes là. Ils ont des yeux. 8e jour, 6 août. Ce matin, en arrivant dans le jardin humide pour la réunion « communiqué de presse », à voir ces mecs avec leurs bières et leurs joints et pas grand monde de motivé à part Wilson et John, je me disais : mais qu’est-ce qu’ils foutent là, à glander ? Si vraiment ils veulent s’installer dans ce pays, si vraiment ils veulent trouver un travail, pourquoi restent-ils ici, à boire des bières ? La réaction basique. Et je me dis qu’on ne se rend pas compte de l’effet de l’exil, de la précarité et des errances sur la psyché. Pour ceux qui y croient, dans ce jardin, qui prennent les choses en main, il y a tous ceux qui se laissent aller. Kuru m’a dit, à propos de ses neuf mois en Calabre, dans un camp : Je n’ai rien fait, rien du tout. Et pas mal de ces mecs semblent faire exactement cela : rien. Rien du tout. Brèche entre la frénésie de travail du Suisse lambda et les êtres qui errent d’un pays à l’autre, d’un trottoir à l’autre. Si je ne peux pas le comprendre, car je n’ai jamais vécu ne serait-ce qu’un seul jour dans la rue, je peux au moins en avoir conscience. Et réserver mon jugement. Qu’est-ce que je cherche, dans ce jardin ? À témoigner pour ces gars ? Pas seulement. À consolider mon ego, genre « moi, j’ai dormi une nuit avec eux » ? Ou simplement à lever temporairement ce malaise, ce bourdonnement qui nous saisit lorsque nos regards passent sur les mendiants et les désespérés, à le lever par le fait d’agir, sans que l’action n’ait de but autre que son existence même ? Je pense à ce que j’aurais encore envie de voir, de vivre : le Point d’Eau, où les Dujardin peuvent se doucher pour un franc, le bureau de réservation communal par lequel il faut officiellement passer pour obtenir un lit d’urgence, peut-être Mamma Africa, ce restaurant à bas prix où Prince va manger ... Où s’arrêtent l’enquête, le reportage ? Quand pourrai-je considérer que j’ai été assez « immergé  » ? Quand j’aurai passé deux, cinq, dix nuits là-bas ? Quand l’un d’entre eux me racontera des choses qu’il ne raconte à personne d’autre ?


ne sont pas de son pouvoir. Il peut trouver des logements ? Oui, je dis, ça, il pourrait. Je suis mal à l’aise, je ne voudrais pas dire de connerie, susciter de faux espoirs chez John ou, au contraire, doucher ceux qui lui restent. Sans réfléchir, je lui pose une question très directe. − Ton rêve, ce serait quoi ? Si tu peux avoir ce que tu veux ? − Un logement. C’est le premier pas. Je serais moins distrait pour chercher du travail et le reste. Après, mon rêve, c’est d’avoir un travail, to get a job, that’s my dream. − Je te demande ça, parce qu’un autre gars du jardin m’a dit : moi, je veux gagner des sous pendant quelques mois, puis retourner en Afrique. − Non, je veux rester ici. J’ai quitté l’Afrique, il n’y a rien là-bas pour moi. Ici, on peut avoir une bonne vie. « Les bonnes solutions, il n’y en a pas. Dans le fond, il s’agirait de leur donner des papiers et un travail. » Sarah Hefhaf, directrice du foyer d’accueil d’urgence La Marmotte, 24 heures, 17.08.2015 Post-scriptum. Ce texte est extrait d’un récit en chantier. Tous les dialogues ont eu lieu en anglais, je les ai en partie traduits par commodité. Certains noms ont en outre été changés. Le 30 août, jour où la majorité de ses occupants ont évacué le jardin, plusieurs dizaines d’entre eux, aidés par le collectif en partie renouvelé, ont occupé un bâtiment communal, puis, trois semaines plus tard, une ancienne usine appartenant à l’État

de Vaud, dans le but de gagner en visibilité et de négocier avec les autorités l’ouverture de lieux d’hébergement supplémentaires. Le gouvernement vaudois a condamné l’occupation, en déplorant le refus des personnes présentes « de communiquer leur nom et de se soumettre à la législation vaudoise et suisse ». Au moment de mettre sous presse, mi-octobre, le collectif avait évacué l’usine et réparti ses occupants dans différents « refuges » temporaires. Certaines personnes rencontrées au jardin ont quitté Lausanne, remplacées par d’autres, d’autres encore sont toujours là, et continuent de vivre dans les rues de ma ville.

1 L’Association du Sleep-In est mandatée pour gérer un lieu d’hébergement d’urgence par la Ville de Lausanne, mais la maison qui l’abrite est sur le territoire de la commune voisine de Renens. 2 Art. 49 de la loi vaudoise sur l’aide aux requérants d’asile et à certaines catégories d’étrangers.

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Lausanne ne modifieront pas leur position. Mais en cet instant dans la petite salle de réunion, où le conseiller municipal nous reçoit en compagnie du chef du Service social, un ange passe. Ces regards qui s’échangent de part et d’autre – Claire et moi, en retrait de chaque côté de la table, restons dans le rôle de traducteurs –, cette douceur dans les gestes des mains qui donnent et reçoivent l’enveloppe, cette attention très respectueuse. Et cette réponse à la fois belle et involontairement ironique de John à la secrétaire, qui lui demandait s’il voulait son verre d’eau avec ou sans gaz : Je crois que je n’ai besoin de rien. Merci. Dehors, le temps que je dise au revoir à Claire, ils sont partis d’un pas leste et je ne les rattrape qu’à l’arrêt « Boston » du bus 17. King, Kevin et John discutent en pidgin, ils sourient, dégagent une énergie contenue mais affirmée. King se tourne vers moi et répète ce qu’il vient visiblement de dire, en anglais : Ce serait bien, dit-il. Si on pouvait avoir un de ces jobs, dans le nettoyage. Et il mime le geste d’un employé de voirie qui guiderait le tuyau d’un de ces très gros aspirateurs blancs qu’on voit passer sur les trottoirs. Je m’imagine un bref instant croiser King dans cette combinaison jaune et rouge, aux commandes d’un de ces « Glutton », mais je n’ai pas le temps de rêvasser plus, le bus arrive, je monte aux côtés de John. Qu’est-ce que tu penses qu’il peut faire ? me demande John en parlant d’Oscar Tosato. Je lui réponds qu’il ne faut pas trop en attendre, qu’il va sans doute rappeler que beaucoup de choses, comme délivrer un permis de travail,

Matthieu Ruf a appris son métier de journaliste auprès du magazine L’Hebdo, avant de travailler à son compte. En 2015, il a terminé ses études en Contemporary Arts Practice à la HKB. Il est actuellement à la recherche d’un éditeur pour son premier roman.

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9e jour, 14 août. Place Chauderon 9. Nous sommes au quatrième étage de ce grand bâtiment blanc aux vitres ocre, étrange et désuet navire amiral de l’administration communale, trois gars du jardin, Claire, qui donne beaucoup de son temps en soutien aux Dujardin, et moi. Assis autour de la petite table ronde au milieu du palier, au passage des gens qui sortent des deux ascenseurs, sous les regards qui viennent des guichets qui se font face et où nous avons annoncé notre présence. Nous attendons d’être appelés. Sur la table, une enveloppe. John, King et Kevin parlent du nom qui y figure. − John : T-osato : si on enlève le T, « Osato », c’est un nom au Nigeria. − Claire : C’est italien, comme nom. − John : Peut-être que l’un de ses parents est originaire d’Italie ? − King : Ou d’Afrique ... On rigole doucement, tous les cinq assis autour de la table. Puis King dit, et les deux autres acquiescent : C’est un bon nom, Osato. Bref silence. Une ou deux minutes passent, un mouvement attire notre attention derrière l’un des guichets, et Oscar Tosato arrive, nous regarde, lance à sa secrétaire : Elle est libre, la petite salle ? Les trois émissaires sont venus lui remettre une lettre, une invitation à venir discuter avec eux au jardin. C’est ce qu’il fera, dix jours plus tard, sous une pluie battante, avec son homologue de Renens, Didier Divorne, à l’abri d’une toile de tente. Finalement, cela ne changera rien, les communes de Renens et de

VON CHRISTIAN PAULI

RE: AUS ODESSA 01

Von: Pauli Christian Gesendet: Donnerstag, 1. Oktober 2015 um 21:03 An: Kirill Zwegintsow

Lieber Kirill Ich bin also in Odessa gelandet. Das Hotel, in dem Autorinnen und Autoren sowie Entourage des Literaturfestivals untergebracht sind, ist eine Legende: Londonskaya. Gegründet 1826. Wenige Meter von der weltberühmten Treppe entfernt, die von der Altstadt zum Hafen runter führt. An den Wänden hängen Bilder der Berühmtheiten, die hier nächtigten: Anton Tschechow, Sergej Eisenstein, Marcello Mastroianni. Heute Abend findet hier die Eröffnungsveranstaltung des Literaturfestivals Odessa statt. Da ich den Co-Veranstalter Hans Ruprecht kenne, hat es mich hierher verschlagen. Was reichlich absurd ist: zwei Tage in Odessa, am Sonntagmorgen früh geht’s schon wieder zurück. Und am selbigen Mittag werde ich wieder in Bern sein. Wegen Meldungen aus dem Internet habe ich die Reise mit gemischten Gefühlen angetreten. Am vergangenen Sonntagmorgen ist beim Büro des Sicherheitsrats der Ukraine in Odessa eine Bombe hochgegangen. Und Leute des Rechten Sektors hielten offenbar eine griechische Delegation in einem Hotel in Odessa fest, die für eine Konferenz angereist sind. Ich kann diese Meldungen nicht einordnen, kenne die Websites nicht, die es vermeldet haben. Irgendwo habe ich gelesen, dass der geografische Mittelpunkt Europas in der Ukraine liege, je nach Vermessung. Weit weg ist Odessa nicht, knapp drei Stunden im Flieger von Zürich nach Kiew, dann eine weitere nach Odessa. Etwa wie nach Stockholm oder Lissabon. Odessa, Potemkin, Schwarzes Meer, mitten in Europa. Kirill, sag mir, wie Du das siehst? Du sprichst sechs Sprachen. Ich gehe davon aus, dass Du Dich als Europäer verstehst. Aber spielt das für Dich überhaupt eine Rolle? Was bedeutet Dir das Land, in dem Du aufgewachsen bist und in das Du nicht mehr

zurück kannst? Ist die Ukraine im Westen oder im Osten? Mehr Russland oder Europa? Freue mich auf Deine Antworten und schicke Dir schöne Grüsse aus Odessa Christian 02

Von: Kirill Zwegintsow Gesendet: Freitag, 2. Oktober 2015 um 04:31 An: Pauli Christian

Lieber Christian! Herzlich willkommen in meinem Heimatland! Wir haben in der Schule erfahren, dass die Ukraine geografisch gesehen im Herzen Europas liegt. Ich habe schon ein paar Mal zum hören bekommen «in der Ukraine war ich noch nie, war aber schon einmal in Prag». Ich habe ein Ritual entwickelt, wenn ich grosse Städte besuche: immer mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt fahren, am Stadtrand aussteigen und weiter mit der U-Bahn. Das weckt die Illusion, dass ich diese Stadt gar nie verlassen hatte. Ich versuche es, immer bei Freunden zu übernachten. Ich glaube, ich war in meinem Leben nur in zwei Hotels in der Ukraine, einmal ausgerechnet in Odessa. Dieses Hotel war in Arkadia, nicht weit von der Meeresküste. Odessa war schon immer ein spezieller Ort, es gibt sehr viele Musiker, die dort geboren sind. Es ist auch eine Stadt, die von der jüdischen Gemeinschaft geprägt ist. In der russischen Sprache, die übrigens meine Muttersprache ist, gibt es einen speziellen Begriff vom «odessischen» Humor. Auch die Art der Wegbeschreibung ist dort recht eigenartig – man findet die gewünschte Adresse so gut wie nie (das habe ich selber erlebt). Da ich gerade sehr unregelmässig Nachrichten lese, musste ich ein bisschen recherchieren. Die griechische Delegation wurde von einer Demonstration vor dem Hotel blockiert. Die Separatisten befürchteten, dass die Griechen die separatistischen Bewegungen in Bessarabien, also in der Region von

Odessa, unterstützen würden. Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, dass es solche Bewegungen in Bessarabien gibt. Die Nachricht über die Bombe wurde in einem sehr sachlichen Ton verfasst, als stünden Bombenexplosionen an der Tagesordnung. Da ich mit dir jetzt die Ukraine neu entdecke, ist es mir zu früh, grundlegende Überlegungen über die Lage der Ukraine im politischen und kulturellen Raum zu machen. Erzähle mir stattdessen, welche Entdeckungen Du am Literaturfestival gemacht hast. Ich wollte schon lange in mein E-Book ein Paar ukrainische Bücher laden. Herzliche Grüsse aus Bremgarten bei Bern, Kirill 03

Von: Pauli Christian Gesendet: Freitag, 2. Oktober 2015 um 18:35 An: Kirill Zwegintsow

Lieber Kirill Vielen Dank für Deine Zeilen. Ich hoffe, Du hast trotzdem genügend Zeit zum Schlafen gefunden? Über die politische Lage in der Ukraine habe ich in den Medien viel gelesen. Der Osten Europas hat mich immer sehr interessiert. Mich faszinierte das andere Leben hinter dem eisernen Vorhang. Und ich empfinde es als Glück, Polen und die DDR noch gesehen zu haben, bevor der Vorhang gefallen ist. Was mich heute beschäftigt: Der Vorhang ist noch immer da! Ich bin in einer fremden Welt gelandet, obwohl die Reise nicht wirklich weit weg ging. Online ein Ticket buchen, ruckzuck, kein Visum, und schon ist man hier. Die Unterschiede zwischen Dir und mir sind eklatant: Wir beide arbeiten an der gleichen Kunsthochschule, treffen uns zum Kaffee im Kornhaus, interessieren uns für die gleiche Musik, schreiben uns SMS mit den gleichen elektronischen Geräten, teilen die Leidenschaft, in den Bergen zu wandern. Aber Du, der Du von hier kommst, kannst hier nicht mehr

hin. So rasant die Welt zusammen wächst, so wenig ändert sich etwas an den Unterschieden, die sich aus Deinem und meinem Pass ergeben. Das Leben und die Menschen hier kommen mir ähnlich fremd vor wie neulich in Beirut, wo ich über Ostern weilte. Mir fällt es zunehmend schwer, die Distanzen und die Nähe zwischen Orten und Realitäten auf dieser Welt zu begreifen. Ich finde das alles sehr irritierend. Jetzt habe ich lange geschrieben, ohne Dir was vom Festival zu schreiben. Es gibt da ein Problem. Ich kann nur Lesungen besuchen, deren Sprache ich verstehe. Denn die Übersetzung ins Ukrainische hilft mir nichts. So sass ich heute in der kurzen Lesung von Lukas Bärfuss, den ich ein bisschen kenne. Der Essay, den er vorgelesen hat und der dann auf eine viele dramatischere Weise auf ukrainisch vorgetragen wurde, behandelt eine Begegnung, die der Autor in den Bergen gemacht haben will. Er sah eine junge Frau in der Reihe am Skilift stehen und war überrascht, weil ihre Skiausrüstung altmodisch, aber sehr gepflegt, stilvoll aussah – quasi voll vintage. Bärfuss war – stilistisch gesehen – sehr beeindruckt. Per Zufall kam er später mit der Frau ins Gespräch und fand heraus, dass sie einfach kein Geld hat und darum den Skidress ihrer Mutter trug. Es war ein kleiner Schock für ihn. Die Moral hat über den Stil gesiegt. Wie ist das für Dich? Wie ist das für die Menschen hier? Der Stil nicht so wichtig, sagt ein Schweizer Autor, auf die Moral kommt’s an. Verstehst Du überhaupt meine Frage? Übrigens, der andere Autor, der mit Bärfuss las, heisst Eliot Weinberger. Er schreibt ausgezeichnete, sehr lyrische Essays. Weinbergers Grosseltern stammen aus Odessa, sie sind 1901 nach New York ausgewandert. Eliot Weinberger war noch nie in Odessa. Wie ist das, in einem Land aufzuwachsen, aus dem so viele Menschen auswandern? Und in einem Land heimisch zu werden, wo die Menschen so sesshaft sind wie in der Schweiz? Das sind jetzt zwei Fragen: Stil und Migration. Nimmt mich wunder, was Du sagst. Viele Grüsse von heute, Christian

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«ES IST NICHT EIN IMAGINÄRER RÖSTI­GRABEN, DER UNS VON EUROPA TRENNT» Kirill Zwegintsow, Re: aus Odessa, Seite 14

PS. Spektakulär war die Abendstimmung eben unten am Hafen! 04

Von: Kirill Zwegintsow Gesendet: Samstag, 3. Oktober 2015 um 04:50 An: Pauli Christian

Lieber Christian! Danke für deinen Bericht und für die spannenden Fragen! Ich musste schmunzeln, weil ich zurzeit ein Buch von Orhan Pamuk lese, in dem eine wichtige Drehscheibe eben die Frage des Stiles ist. Die Geschichte spielt sich im Osmanischen Reich am Ende des 16. Jahrhunderts ab. Damals war es gewöhnlich, die Bilder so zu malen, wie sie die alten Meister gemalt hatten, das heisst ohne eine Signatur drauf zu setzen oder sonst zu versuchen, durch persönliche Malweise aufzufallen. Stil wurde als Fehler angesehen, «der uns dazu bringt, einen Hinweis auf unsere Person zu hinterlassen». Betrachtet man aus diesem Winkel den Skidress der Frau, relativiert sich die Gegenüberstellung vom Inneren und Äusseren, oder von Moral und Stil. Sie gehören dazu wie die Ursache und die Wirkung, das eine führt zu dem anderen. Ich habe übrigens noch nie auf den Ski gestanden, die Liebe zu den Bergen hin oder her. Ich hoffe, dass ich es einmal wage. Was Deine zweite Frage betrifft, ich würde eher meinen, dass die Menschen in der Schweiz mobiler sind als in der Ukraine. Die Situation, welche Du gerade beschrieben hast – in ein Flugzeug einzusteigen und in ein fremdes Land zu fliegen – ist für viele meiner Landsleute eine Horrorvorstellung. Es ist schon so, dass die jüngeren Ukrainer heutzutage mehr Reiselust haben, aber nur wenige davon wollen sich wirklich in einem fremden Land niederlassen. Meine Eindrücke decken sich übrigens nicht mit der Tatsache, dass heute schätzungsweise 10–13 Millionen Ukrainer im Ausland leben. Die Zahl der Auslandschweizer ist übrigens nicht so gross, aber auch beachtlich – es leben zirka 700 000 Schweizer im Ausland.

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Auch meine Familie hat einen Migrationshintergrund – meine Urgrosseltern haben nach dem Ersten Weltkrieg Russland verlassen, und kamen nach 1920 nach Paris. Meine Grosseltern, die in Paris aufgewachsen waren, wollten schon immer zurückkehren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sie freiwillig die französischen Pässe gegen sowjetische getauscht und waren zurückgekommen. Für mich verbindet diese Geschichte auf eine seltsame Weise Deine beiden Fragen.

rasch wie möglich an ihrer neuen Heimat beteiligen (müssen). Europa sei nur auf der Zusammenarbeit von Bürokratie und Ökonomie gebaut, denke die Migration darum grundsätzlich falsch.

Mir gefällt sehr der Vergleich von Odessa und Beirut (ist übrigens eine Stadt, die ich unbedingt besuchen möchte). Empfindet man diese Art von Befremdung nicht in allen Ländern, deren Sprache man nicht spricht? Du schreibst, dass der Vorhang noch da ist. Wo merkt man das? Ausser bei den Visaangelegenheiten, natürlich.

Du hast meine Frage, ob Du Dich als Europäer verstehst, noch nicht explizit beantwortet. Und hat sich Deine Einstellung geändert angesichts der drohenden Ausweisung aus der Schweiz?

Herzlich, Kirill

05 Von: Pauli Christian Gesendet: Samstag, 3. Oktober 2015 um 19:21 An: Kirill Zwegintsow

Lieber Kirill Ich vermute, das Empfinden von Fremdheit ist zunächst eine Projektion des Eigenen und sehr davon abhängig, in welcher Verfassung und Situation man sich selber gerade befindet. Das Fremde und das Eigene sind am hiesigen Literaturfestival übrigens ein grosses Thema – das europäische Unvermögen angesichts der enormen Flüchtlingsströme provoziert die Literatinnen und Literaten. Es gibt Autorinnen und Autoren, die versuchen, die schwierige Situation als eine Chance für die europäische Idee zu deuten. «Wir können den Potentaten danken, dass sie uns die Flüchtlinge schicken», sagte der österreichische Autor Robert Schindel in einer verzweifelt anmutenden Umdrehung (sein Vater wurde von den Nazis vergast). Für ihn ist «Europa ein Turm zu Babel, der ständig versucht, das Fremde zum Eigenen zu machen». Eine Aussage, die Widerspruch erzeugte. Aufklärung, Vielsprachigkeit, die Überwindung der nationalen Grenzen, die europäische Idee? Das zu postulieren, stösst auch sauer auf. Nicht nur bei Michel Houellebecq, der Europa auf grandiose Weise als etwas vorführt, das vollkommen inhaltlos, kulturlos geworden ist. Für John Ralston Saul, den kanadischen Autoren und Präsidenten von PEN international, der das Festival in Odessa eröffnet hat, ist das Versagen Europas auf einer anderen Ebene total. Er erläutert die Einwanderungspolitik Kanadas: Hier wolle man Immigranten möglichst rasch einbürgern, damit sie sich so

Wünsche Dir einen schönen Samstagabend in Bern, beste Grüsse aus Odessa Christian

meiner Grosseltern, die ab und zu Dampf rauslassen konnten, ohne dass die Kinder sie verstanden. Und trotzdem hatte mein Vater an einem Schulunterricht die sowjetische Floskel «wir-werden-die-USA-nachholen-undüber­holen» spöttisch mit «barfuss» ergänzt, was eine Schulsitzung mit den Eltern zur Folge hatte. Mein Vater arbeitet jetzt als Agrochemiker in einem Naturschutzgebiet im Süden der Ukraine, er war bei mir im Sommer zu Besuch. Er hat stets die gepflegten Schweizer Felder, Rasen und im Allgemeinen den liebevollen Umgang mit der Erde und Natur gelobt. Ich glaube, dass ihm seine europäischen Wurzeln auch wichtig sind.

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Dies ist also meine letzte Mail. Ich wollte noch vorschlagen, dass du nicht allzu viel korrigierst und ein Paar lustige Schreib- und Tippfehler in den Text mitnimmst. Ich wünsche dir gute Heimreise!

Von: Kirill Zwegintsow Gesendet: Sonntag, 4. Oktober 2015 um 04:57 An: Pauli Christian

Lieber Christian! Ich weiss nicht, ob ich Russe oder Ukrainer bin. Und diese Frage, über welche jetzt so viel diskutiert wird, hat mich nie besonders interessiert. Ich glaube schon, dass ich mich auch als Europäer fühle. Ich glaube, dass es viele Russen und Ukrainer gibt, denen es ähnlich geht. Wir sind mit Winnie-the-Pooh, Karlsson vom Dach und Prinzessin auf der Erbse aufgewachsen. Die klassizistischen Züge von Palladio sieht man an jedem administrativen sowjetischen Gebäude, wir essen gerne Teigwaren und Pizza. Sogar am Eurovision fiebern wir mit. Der Brand «Europa» ist bei uns ein Qualitätssiegel. Oft findet man es in den absurden Zusammenhängen, wie zum Beispiel die sogenannte «Euro-Renovation», die seit den 90er-Jahren in den postsowjetischen Wohnungen grassiert. (Dabei wird die Wohnung mit Kunststoff-Fenstern und grauweissem Plastik ausgestattet). Wie du selber siehst, es ist nicht ein imaginärer Röstigraben, der uns von Europa trennt, sondern die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Bei mir ist alles einfach, ich fühle mich in der Schweiz wohl und zuhause. Es wäre viel interessanter zu erfahren, wie mein Vater diese Frage beantworten würde. Um diese späte Zeit kann ich ihn nicht anrufen, ich kann also nur rätseln. Er ist 1944 in Paris geboren, und kam drei Jahre später mit seiner Familie in die UdSSR. Zuhause wurde fast ausschliesslich Russisch gesprochen, Französisch wurde zur Geheimsprache

Herzlich, Kirill

Dieser elektronische Briefwechsel mit dem ukrainischen Pianisten Kirill Zwegintsow, der hier nur leicht modifiziert wiedergegeben wird, entstand während eines Besuchs des 1. Internationalen Literatur­ festivals in Odessa. Zwegintsow studierte an der HKB bei Tomasz Herbut, schloss 2011 mit dem Master of Specialized Music Performance ab und hat es mit seiner Karriere weit gebracht, unter anderem zu einem umjubelten Solokonzert mit dem Berner Symphonie­ orchester im Juni 2015. Zwegintsow lebt seit zehn Jahren in der Schweiz – das Berndeutsche so geläufig, dass die Unterschiede zu einem hier Gebürtigen minim sind. Nun aber droht Zwegintsow die Ausweisung. Die Aufenthaltsbewilligung, die er in den letzten Jahren im Kanton Basel erhielt, war nicht legal. Zwegintsow hat alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft. In der Ukraine droht ihm der Einzug ins Militär. Jetzt kann er nur noch auf eine Härtefallbewilligung des Staatssekretariats für Migration hoffen.

PAKT – das neue musik netzwerk bern veranstaltet am 11. Dezember 2015 in der Dampfzentrale ein Konzert, das die Situation von «Musikausländern» wie Kirill Zwegintsow thematisiert (siehe auch HKB-Agenda auf S. 28/29). Studierende und Dozierende der HKB spielen Louis Andriessens «Workers Union» (1975) und denken über die Auswirkungen der schweizerischen Migrationspolitik auf den Musikmarkt nach; moderiert wird das Konzert von Christian Pauli.


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VON KARIN SPÄTI

U nächär hani no blöd ghürote. Dä het gäng angeri gha! Das isch es auts Übu. Mi het eifach nüt dörfe säge, aber ig säges haut jetz glich. U ig bi eleierziehend gsi u has fertig brocht. Loset, das isch jo nid vo eim Dag uf en anger cho. Es het sech eis ufs angere ergäh. Und mi gseht jo nid vorus was chund. Ig ha mir natürlech nid vorgstöut, dasi e settige Maa verwütsche! — Loset, lueget dass der säubständig sit. Es ma cho was wott, dass der nech uf euch ou chöit verloh. Öb der e guete oder e schlächte Dag heit. Es isch e Rüggedeckig im schlimmschte Fau. — Z fride? Z fride? Ähh, wie muessi säge … ig muess z fride si mit däm wo usecho isch u wasi gmacht ha. Eigentlech ischs mer ganz wou. Z Ässe hani gäng guet gha. Immer. I ha z Oute im Spitau sehr guet gässe, woni acht Johr gschaffet ha. U nächär hani haut deheim säuber guet kochet.

Ähh, nenei. Ig ha mängs Johr gnue Auerlei gmacht. Jetz loni die Lüt lo mache. U ig läbe, ehrlechgseit, ig läbe chlei i Dag ine. Jetze hani Zyt zum d Zytig uswändig lehre. Au Dag Chrüz­worträtsu. Jo, au Dag Chrüzworträtsu. Do hani no es ganzes Heftli. Ig ha gärn mi Ruei afang. Mou, ig bi früecher vüu i Synphoniekonzärt u is Stadttheater und so gange, aber jetze hani gärn mi Ruei. — Momou, klar. Dört isch mi Brueder, dr eint, e zytlang zomene Meitschi z Bsuech. Är het se nid ghürote, leider. Es wär sehr e Gueti gsi, aber nid grad so ne Hübschi wie ner nächär verwütschd het. Dä Löffu! Aber, äs isch hübscher gsi. Jää u nächär ischs e Schueukameradin vo üsere Schwöschter gsi. De hei si nang chli vüu droffe u die angeri isch haut chlei wiit ewäg gsi. Wies haut so isch bi dene cheibe Manne! — A: Darfi vo euch es Foto mache zum mole? B: De muessi aber d Brüue alegge. U jetz sötti dänk no chli strähle. Jooo, jooo würkli en auti Frou. – Momou i bi ne auti Frou, lueget dr Johrgang a. Jo düet mi haut mole, aber chöit mi jo de chli schöner mache.

Als Seelsorgerin han ich jo vil Lüt vorem Tod begleitet. Stärbe macht mir nid Angscht, will ich han so vili Mensche gseh heimgoh, übere­ goh und wie denn das schön isch. Dr Körper wehrt sech no, chrämpfet no, aber d Seel wet eigentlech scho goh.

A: Jojo … Mou, früecher si mer scho no im Züg ume greiset, momou. Schwarzwaud, u wo si mer aunen Orte gsi? Z Brasilie si mer ou gsi. B: Jo, denn hani äbe dr Oskar so lang eleini glo. Das mane no jetz, gäu? A: Nei, z Brasilie si mer säubscht ds Zwöit gsi. B: Jo, aber i bi ender gange. A: Jo weisch, i ha de glich müesse Fahrschueu gäh. Und de ischs aube wägem Telefon e Seich gsi. D Fahrschüeuer hei aube gseit: Es heig niemer abgnoh. Und weiss nid was aues no isch gsi. Do hani z Obe gäng müesse choche, dasi z Mittag öbbis z Ässe ha gha. Es het nüt angers gäh, süsch wäri jo verhungeret!

A: S Karin het das Babyphone jetz usgschaute. B: Jo, das isch unheimlech, das duet de aube wie verruckt. A: U de weiss är äbe nid wasi mache. B: Ei Obe hani dänkt, jetz het die do mitzt ir Nacht s Dings gläärt, weisch d Abwäschmaschine. Das het grad dönt, wie du do Gschiir usrumsch. Nächti isch ou wider öbbis eso gsi, und das isch unheimlech, weisch ig wott ou schlofe! I dät ihns jetz scho ghöre. A: U ig cha jo jetz säuber uf Duallette. Ig bruche jo das Babyphone gar nümm. — A: D Cecile isch mit em chlinscht Bueb cho. Dä hani scho lang nümme gseh. Zersch hets em nid eso basst. Es het ne chli ahrig dunkt. Ig ha grad d Chrömlibüchse füregno. Aber dä kennt se nonig, disi Ching hei se de aube könnt. U är cha äbe noni so lang redt. B: Das gits haut. A: Jäh, das isch haut verschide. Jetz üses Greti, das het chönne rede, bevors het chönne loufe. Do bini aube go spaziere, u nächär het die scho ganzi Sätz glaferet. D Lüt hei aube is Wägeli gluegt wär do red.

A: Jetz si die do überau am boue. B: Jo, das isch gloub fürs Natel, oder Internet, oder öbbis eso. Das isch e chli e Krach gsi do ums Huus ume. Ämu denn, wosi do zuebetoniert hei. Läck mir, hei do die Maschine glärmet. Weisch, wenn si do drin umestampfe. Gopferdeli, het dä Cheib e Lärm gmacht!

A: Si s Jäggis äch wider is Leukerbad? Süsch hei si aube z Obe am Dach zwöi Liechtli. Jetz hinech si keni. B: Ah, jetz ischs grad agange. A: Das isch ihri Duallette dört. C: Geschter hei si Visite gha. Es isch es Outo vou furtgfahre. A: Aber de hei si jetz eifach die Dachlampe nonig agschaute. Wöu voruss hei si aube süsch ou Liecht gha. — Und denn hani äbe no chönne go studiere im höche Alter. Jo, ig bi 42i gsi, woni nomou uf d Schueubank zrügg bi. — Hüt hei mer Pommfrit gha. Das hani gärn gha u nächär … was isch ou das für Fleisch gsi … ah, ig weiss nid so gnau. Uf jede Fau eis, woni nid ha chönne bisse. Ig ha gseit, är söus wider zrugg näh, är chas äbe no besser bisse.

A: Jo, sit i die Tablette nime mit Joghurt, hani s Joghurt plötzlech eso gärn. Jetz längt mer so nes chlises Äbbeeri-Joghurt bau nume no für zwöi mou. Weisch, ig muess se am Morge und z Obe näh. Wöus chaut isch, hanis aube nid so bsungers gärn gha. Aber zum Tablette schlücke geit das am beschte. Jetz het mir s Trudi gseit: «Dr Heinz, dä muess ou mit Joghurt Tablette schlücke. Dä chas ou nid angers». B: Und du nimschs gäng is Müesli, Oskar? C: Jo, genau. A: Aber Natürjoghurt wot är. Und är duet aube Gonfitüre dri. Aube hani jo ou gäng vo däm gno, när hani einisch gseh, dass är no schnouset u d Höufti wider zrügg göiferet i dä Bächer. När vo dört ewäg hani chlini gno. Das wär büuiger, die mit Gonfitüre, aber minetwäge.

Jo du, isch haut de chli lang gange. Ig due haut aube mit em Dokter, wenn är Zyt het, gärn ou chli lafere, auerlei. Das isch so ne gäbige, dä Dokter Blaser. — I dr Letschti dueni Ortschafte ou gäng vergässe. Es chunnt mer de wider einisch i Sinn. Aber das macht mer jetz ou afe chli Gedanke, wöui ir Letschti hie und do Näme und Ortschafte vergisse. Jo, wenn mes de nümm chrampfhaft suecht, de chunds eim aube de wider z Sinn. — Weisch, die Tablette si bstöut gsi bim Dokter. Und das wäre die, wo ner de s Gedächnis no chli lenger guet hätt. Für die, wo äbe Demänz hei. — Jo, und ig bi ou froh, dass är si Salat säuber macht. Das isch scho vüu wärt. Jetze ir Letschti macht är no vüu z Obe Salat und nächär het är gseit: «Jo, das het dir äuä aube ou no vüu z diö gäh, für die ganzi Familie das Züg z mache.» Aube het är no gäng gmeint, do chönnt me no aues zum Ermu usschüttle.

Ig isse ou wider gnue jetze. Es Zytli hani nümm Appetit gha, aber jetz hani wider. Öbbe e Tomate sötti ässe. Aber ig ha se aube gässe wie ne Öpfu, aber das chani jetz nümm. — Ig ha ou no es Jäggli drüber agleit. Das isch es gäbigs. Afe es auts, aber wüus äbe läng isch, hanis gärn. Die angere aui si chürzer. Das hani scho 20 Johr, aber ig has haut eifach gärn. Mir bassts drum eifach guet wöus die Längi het. Weni drum gäng Westli a ha, de frürts mi äbe. — A: Hüt am Morge si äuä öbbe 200 Stare cho. Läck doch mir! B: Jo, die Cheibe chöme aube. A: Jetz hani Ruei gha, woni do das gäube Bang häre do ha. Aber usgrächnet hüt dä Morge … das isch grad schwarz gsi ir Stube vorem Fäischter. B: Jo und wenn de grad jede e Pick nimmt, de hesch de scho grad es baar Beeri weniger.

Dä het jo ou nümm guet chönne loufe, dä Wauter. I bi denn ou no im Männerchor gsi, wo dä aube ou cho isch. U dört hani scho dänkt: «Läck mir, du!» Weisch, dört z Hersiwiu i däm aute Schueuhus, a dere Stäge isch jo ke Handlouf oder süsch öbbis! De hani de däm Wauter aube no ghuufe. Jo und dä isch jetz glich aut gsi wie dr Löiebärger Fredu … ämu dr glich Johrgang, 28 gloube ni. Aber dr Wauter het mi scho denn gäng duret, wenn är isch cho singe. Dä het jo scho denn Müei gha. Aber jetz, jetz weissi de ou afe wie das isch, wenn me nümm so guet cha loufe … — A: Wosch nid inecho, Heidi? B: Die ghört nüt! Chum doch ine! A: Das huere Döri geit nid uf. Karin, geisch ere schnäu go ufdue? C: Weisch, i hocke do ufem Rollator, ig ha dr Stueu gäng bi mer. Das isch äbe gäbig.

A: Die ghört nüt, weisch! B: Ig ha drum es urauts Hörapperätli. S angere het dr Röbu mitgno für id Reperatur. Sit letscht Wuche ghöri trotz Hörapperat nid guet. Drum mööggi gäng wie lüter. Wenn aube d Lüt so lut däte rede wie nig, säge ni aube, de brüchti kei Hörapperat. De däti aues verstoh. A: Bisch du froh, dass s Hörapperät git!

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Ig ha ammel ghört wie ne Muus, jetz hani nid­ emou meh Chatzeohre. Mängsmol röits eim eifach; wenn me vorhär sehr guet ghört het, ischs eifach es Öpferli. — Die Dümmschdi bini ou nid grad gsi. Sicher, ohni z blagiere, aber mir hei nüt dörfe lehre. I bi vo föifne s Öutischte gsi i der gröschte Kriise­zyt. Drum hani ke Lehr gmacht u bi eifach sugsessiv id Arbeit igarbeitet worde. Wüsset dr, für gwüssi Sache si jo Maschinezeichner verantwortlech gsi. Ig bi nume fürs Administrative zueständig gsi.

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WENN I MOU AUT BI ...

A: Maschs bisse? B: Si si scho chli loos, die Zäng. Hesch das grad gmerkt? A: Söui der chli go Saubi hole? B: Nenei, ig dues langsam ässe. Und weisch no Karin? Einisch us chlises Meitschi hesch zuegluegt, do deheim im Badzimmer. Und nächär womer im Tearoom si gsi hesch ganz lut gseit: «Gäu Grosi, jetz chasch du ou ässe! Jetz hesch d Zäng jo akleipet.» C: Jo das söue die Lüt nume ou wüsse. B: Aber si hei nidemou so verruckt glachet. Ob sis äch nid verstange hei? — Armuet, das isch jo ou es Gelübde wo mir ablege. Und mir hei die Armuet ou bi de Chleider, dass mer bescheidnegi Chleider hei. Mir hei gnue Chleider und mir hei vorallem suberi Chleider. Ig cha ou es gflickts Chleid träge, das macht mer nüt, aber es subers muess es si.

Karin Späti, gelernte Hochbauzeichnerin, studierte an der HKB von 2012 bis 2015 Visuelle Kommunikation. Späti wohnt im kleinen Bauerndorf Heinrichswil (SO) und hat für diese Reportage Geschichten und Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern eines Altersheims sowie mit ihren Grosseltern verarbeitet. Späti schreibt zu ihrer illustrativen Reportage: «Wir alle werden einmal alt und sind vielleicht angewiesen auf fremde Hilfe. Viele sehen die alten Menschen als diejenigen, die sie heute sind. Für einen würdevollen Umgang im Alltag und auch in der Pflege ist es aber wichtig, den ganzen Menschen zu erkennen und dazu gehört an erster Stelle seine Lebensgeschichte. Oft vergessen wir, dass auch diese Menschen einmal jung waren.»

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«SICHER, OHNI Z BLAGIERE, ABER MIR HEI NÜT DÖRFE LEHRE»

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Karin Späti, Wenn i mou aut bi …, Seite 21

VON RAPHAEL URWEIDER

REISELIED 2015 Wo bin i aacho? Wär hett mi ufgnoh? Wo hetts wie aagfange? Jetz bin i da gstrandet …

Es Telefon kouft mit em Gäut i mim Gurt bis uf Istanbul ime ne Güeterzug uf Maps mini Optione studiert im richtige Stadtteil wart i uf e Kurier

I mim Land hett mi öpper uf ene Lischte gsetzt mini Asichte hei irgendöpper verletzt Si si zu mir hei cho, si hei mi gsuecht zum Glück han i denn grad e Fründ vo mir bsuecht

Ha für e Notfall deheime cash hinterleit keim ussert mim ängschte Vertroute gseit Jetz sitzen i da vor dr Metrostation Jede Tag, jedi Nacht, bi Sunne und Mond

Si hei de mi Vatter verhaftet i has bis zum Flughafe gschafft Doch mi Pass isch ke Freiheitsbrief me gsi Misstroue im Blick u: Please wait here …

Nach es paar Wuche het dr Transfer klappt ha viu meh aus für ne Flug berappt ds Verspräche, i chöm witer als Bulgarie isch leider nid mau zur Häufti wahr gsi

I bi Richtig Toilette dür e Notusgang gschliche ha mi chönne rette süsch wär i jetz ir Chischte … A dr türkische Gränze han i eine bestoche mi ungerer e Plache vom ne Laschtwage verchroche ha Gäut i mim Gurt gha, Gäut i de Schue bi elei gsi, verwundbar, z’viu Zit, doch ke Rueh Has irgendwie vo Adana gschafft bis nach Ankara praktisch nümme angers gha aus das won i jetz anne ha

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I bi ertappt worde, gschnappt worde registriert und versorget chancelos, hätt i mi no süsch irgendwo beworbe S’intressiert niemer, das i ir Schwiz Verwandti ha Bisch mau feschtgno worde am Rand vo Europa chasch nume no witer völlig illegal über Stacheldraht, Serbie, dür d’Herzegowina Jetz versteck i mi hie i dr Schwiz im ne Schrank füehle mi weder gsund no richtig chrank ha d’Freiheit verlore, se nie wider gfunde bi Flüchtling gsi, jetz bini ganz verschwunde Reiselieder sind meistens anonym. Die Reise, Ortschaften, das Aufbrechen, das Heimweh werden besungen, aber nicht, wer reist. Für das Theaterprojekt HOTEL KOSMOS, das am 8. 11. 2015 Premiere im Schlachthaus Theater Bern hat, hat der Dichter Raphael Urweider mit Menschen gesprochen, die unterwegs sind, die nirgendwo bleiben können, nirgendwo hin zurückgehen können. Auf Grund dieser Recherche ist dieses Reiselied entstanden.


DIE REPORTAGEN AUF DER LANDKARTE 3

MACHT DER KUNST

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WENN I MOU AUT BI ... Karin Späti

INTERVIEW MIT MATS STAUB UND DANIEL PUNTAS BERNET

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Europa / Schweiz / Solothurn

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Tom Kummer Europa / Schweiz / Bern

Christian Pauli Europa / Schweiz /Olten

A

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ASIEN

Nordatlantik

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EUROPA

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Mittelmeer 4

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AFRIKA A

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C

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F

RE: AUS ODESSA

LA BRÈCHE – UN ÉTÉ AU JARDIN DU SLEEP-IN

Christian Pauli

Matthieu Ruf

Europa / Ukraine / Odessa

Europa / Schweiz / Lausanne

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TRANSNISTRISCHE TISCHORDNUNGEN Urs Mannhart Europa / Transnistrien / Tiraspol

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REISELIED 2015 Raphael Urweider Asien / Syrien

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Weltgeschehen im Kleinformat.

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www.reportagen.com/hkb

3 Ausgaben für CHF 35 (statt CHF 50) – das Kennenlern-Abo von Reportagen für die HKB.

Impressum HKB-Zeitung Aktuelles aus der Hochschule der Künste Bern HKB N°5/2015

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Herausgeberin: Berner Fachhochschule BFH Hochschule der Künste Bern HKB

Korrektorat: Verena Fré Rothen, Irène MinderJeanneret, Sara Cattaneo

Redaktion: Christian Pauli (Leitung), Maria Beglerbegovic, Regina Dürig, Peter Kraut, Yeboaa Ofosu, Markus Reichenbach, Andi Schoon, Raffael von Niederhäusern

Gestaltungskonzept und Layout: Atelier HKB, Markus Reichenbach (Leitung), Moana Bischof, Christoph Miler, Renate Salzmann Druck: DZB Druckzentrum Bern

Auflage: 10 000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 x jährlich © Hochschule der Künste Bern HKB. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitung darf ohne schriftliche Genehmigung der HKB reproduziert werden.

Berner Fachhochschule Hochschule der Künste Bern HKB Fellerstrasse 11, CH-3027 Bern www.hkb.bfh.ch www.facebook.com/hkb.bern


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zieren. Verdon fotografierte die Ge­­bäude in der blauen Stunde. In dieser Nummer: der HKB-Standort Fellerstrasse 11, 3027 Bern.

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HKB Innen – Aussen

In dieser und den nächsten drei Ausgaben der HKB-Zeitung wird ein Bild des Fotografen Sebastien Verdon von einem HKB-Standort das Titelblatt des zweiten Bunds

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Ausgezeichnet! NOVE MB E R– D E Z E MB E R 201 5

Anne-Sophie Subilia, sie hat diesen Sommer den MA Contemporary Arts Practice abgeschlossen, erhält von der Stiftung Leenaards ein Kulturstipendium von 50 000 Franken. Die diesjährigen Tschumi-Preis-Gewinner sind Ilya Lekhanov (Klavier, Klasse von Tomasz Herbut) und Hugo Miguel Dores de Queiros (Bassklarinette, Klasse von Ernesto Molinari). Die HKB-Studentin So Jung Yeon, sie studiert im MA Specialized Music Performance Klavier in der Klasse von Patricia Pagny, ist an der 13. International Music Competition Premio Città’ di Padova mit dem 2. Preis ausgezeichnet worden.

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Am Concours Nicati 2015, dem renommiertesten Interpretationswettbewerb für zeit­genössische Musik der Schweiz, der im Rahmen des Musikfestivals Bern 2015 stattfand, wurden ausgezeichnet: 1. Preis: Sofiia Suldina (Violine); 2. Preis: Estelle Costanzo (Harfe); 3. Preis: Eunoia Quintett. Die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger, die am Schweizerischen Literaturinstitut studiert hat, erhält den Erich-Fried-Preis 2015. Die mit 15 000 Euro dotierte Auszeichnung wurde ihr am 11. Oktober im Literaturhaus Wien vom österreichischen Kulturminister Josef Ostermayer überreicht. Zwei ehemalige HKB-Studierende werden mit einem Kulturförderpreis der Stadt Thun in der Höhe von 10 000 Franken ausgezeichnet: Die bildende Künstlerin Tanja Schwarz und der klassische Saxofonist Jonas Tschanz. Julian Koechlin und Tabea Buser haben ein Migros-Kulturprozent-Stipendium gewonnen. Der Mitspielpreis geht an Lara-Marian Patzak (alle HKB Theater). Die ECHO-Preise 2015 im Bereich Klassik sind vergeben: Gleich vier Dozierende aus dem Fachbereich Musik der HKB durften am 18. Oktober einen ECHO entgegen nehmen: Tianwa Yang (Violine) in der Kategorie Instrumentalistin des Jahres sowie Bartek Niziol, Denis Severin und Tatiana Korsunskaya für die Kammermusikeinspielung des Jahres (Mu­ sik 19.  Jahrhundert | Gemischtes Ensemble).

save the date

Die Fachbereichsleiterin Musik der HKB, die Pianistin und Dirigentin Graziella Contratto, ist vom Stiftungsrat der Innerschweizer Kulturstiftung mit dem Innerschweizer Kulturpreis 2015 in der Höhe von 25 000 Franken ausgezeichnet worden.

Michael Buchanan Why did you come all the way to Bern to start a master’s degree programme at the Bern University of the Arts? Well the answer to that is quite simple really: the HKB has Ian Bousfield as its trombone professor. He is, in both my opinion and the opinions of many others, the world’s greatest trombone player, as well as the best teacher. Ian possesses that incredibly rare quality of both an absolute understanding on a theoretical level of the processes of playing, as well as the ability to demonstrate how it should sound to students in a breathtakingly perfect manner on the instrument. The HKB has a fantastically strong trombone class because of him, so for me it was an easy choice to try and audition to get in here. What is the main source of inspiration for your musical work? And what is your motivation? I completely adore classical music – both when I perform and when I just listen – and my inspiration on the trombone has always derived from my inabilities to do justice to what I think a particular work deserves. That’s what drives me. And when you are standing on a stage, fighting your instrument technically and feeling that you’re not giving the audience the musical performance of a piece in the manner it should exist, I swear there is nothing more motivating to make you get back in the practice room the next day and continue working until you can. What do the two prizes that you won at the «64. Internationaler Musikwettbewerb der ARD 2015» mean to you? For me, they feel like some of the nicest evidence I’ve ever had that show I’m treading the right path in my efforts with playing. I think like lots of musicians, I find it really easy to get totally obsessed with the work that needs to be done and the things I’m not yet happy with in my playing. Winning the competition felt like coming up for air briefly and having the opportunity to just stop and enjoy where my playing is at this moment. Sure, there are still many areas I am not yet happy with, but I was given the chance to just take the time to appreciate how far I’d come with my playing. That was lovely. Der Posaunist und HKB-Student im MA Specialized Music Performance Klassik (Klasse von Ian Bousfield) Michael Buchanan gewinnt am 64. Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2015 den ersten Preis sowie den Publikumspreis.

Der Schweizerische Nationalfonds hat die folgenden Projekte bewilligt: «Ecoute élargie» von Roman Brotbeck mit Dorothea Schürch und Gaudenz Badrutt; «Glokale Sounds» von Thomas Burkhalter; «Neapolitan Canon» von Claudio Bacciagaluppi, Claire Gervais u. a.; sowie «Traditional Marrocan Music – Paul Bowles» von Gilles Aubry und Andi Schoon. Die Violinistin und HKB-Studentin Simone Meyer ist mit einem Preis der Stiftung für junge Musiktalente Meggen 2016/2017 ausgezeichnet worden. «L’Œil de l’espadon» (Zoé, 2015) heisst der kürzlich erschienene zweite Roman von Arthur Brügger, Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts. Beim Valiant-Wettbewerb für junge Musiker­ innen und Musiker, der im Rahmen des Murten-Classics-Festivals zu Ende ging, gewannen Daria Korotkova den 1. und Natalia Shaposhnyk den 2. Preis. Beide Pianistinnen sind Studierende der Klavierklasse von Tomasz Herbut. Gian Leander Bättig und Nico Herzig, beide Theater-Studenten der HKB, haben ein Stipendium der Friedl-Wald-Stiftung gewonnen. Die HKB-Studentin Jana Markovic aus der Gesangsklasse von Brigitte Wohlfarth hat am Internationalen Wettbewerb für Piano und Gesang in Enna (Italien) den zweiten Preis gewonnen. Der Forschungsdozent Stephan Zirwes hat an der Universität Bern mit der Dissertation «Die Lehre von der Ausweichung in den deutsch­­sprachigen theoretischen Schriften des 18. Jahrhunderts» erfolgreich promoviert. Der mit 10 000 Franken dotierte Kulturvermittlungspreis des Kantons Bern geht an Daniel Rothenbühler, Mitinitiator des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel so­wie heute vielfältig in der Schweizer Literaturszene en­ gagierter Übersetzer, Literaturkritiker und Herausgeber.

Michael Buchanan aus der südenglischen Kleinstadt Newbury ist 22 Jahre alt und studiert im 3. Semester im MA Specialized Music Performance Klassik (Klasse von Ian Bousfield) an der HKB.

December 1–6, 2015 Performance Art Festival Bern Connectivity – Relatedness – Networks of Performance Art A coproduction with Schlachthaus Theater Bern In cooperation with Progr_Zentrum für Kulturproduktion Stadtgalerie Bern and Kunstmuseum Bern @Progr – Fenster zur Gegenwart Zentrum Paul Klee Botanischer Garten der Universität Bern BOGA BärenPark Bern Galerie DuflonRacz Bern Hochschule der Künste Bern HKB Program online November 15, 2015 www.bone-performance.com www.facebook.com/boneperformance

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Claudia Auf der Maur (Sopran), Studentin im MA Specialized Music Performance in der Klasse von Christian Hilz, hat einen ABA Award 2015 der Austria Barock Akademie gewonnen und erhält damit die Möglichkeit zu einem Konzert bei den Schwetzinger WinterFestspielen 2017.

Ariane Andereggen (CH) with Nils Torpus (CH), Herwig Ursin (CH), David Imhoof (CH), Kurt Grünenfelder (CH), Elisabeth Rölli (CH), Philippe Nauer (CH), Simon Grossenbacher (CH) / Jelili Atiku (NG) * / Black Market International – 30 years anniversary: Jürgen Fritz (DE), Myriam Laplante (CA), Alastair MacLennan (NI), Helge Mayer (DE), Boris Nieslony (DE), Marco Taubner (DE), Elvira Santamaria Torres (MX), Jacques Van Poppel (NL), Lee Wen (SG) / Agnes Meyer-Brandis (DE) / Jürgen Bogle (DE/CH) / Jörn J. Burmester (DE) / Kollektiv Chrieg F., Christine Hasler (CH) and Roger Fähndrich (CH) / Michel Collet (FR) / Pepe Dayaw (PH) / Vlasta Delimar (HR) / Arnold Dreyblatt (US/DE) / Florian Feigl (DE) / Omar Ghayatt (CH) / Marie-Caroline Hominal (CH) / Anja Ibsch (DE) / Res Ingold (CH) / Manuela Imperatori (CH) / San Keller (CH) / Gabriele Knapstein (DE) / Maya Minder (CH) / Patricia Murawski (CH) / Jen Morris (CN) / Ernestyna Orlowska (CH) / Kollektiv Phantomschmerz (CH/ IT) / Dani Ploeger (DE/GB) * / Anne Rochat and Anne Sylvie Henchoz (CH) / Christoph Studer-Harper (CH) / Ann Liv Young (US) with students Bern University of Arts / MA Scenic Arts Practice Changes reserved / * requested

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von Christian Pauli

Vor zwei Jahren haben wir uns in ein publizistisches Abenteuer gestürzt: alle zwei Monate von Grund auf eine Zeitung zu produzieren, ohne dass hier an der HKB ein einziges Stellenprozent extra geschaffen wurde. Nun, das Abenteuer hat sich gelohnt. Wir sind noch immer da. Nur besser. Die neue HKB-Zeitung kommt mit mehr Umfang, renovierter Architektur und höherer Auflage daher. Der erste Bund widmet sich einem Schwerpunktthema. In dieser Ausgabe: die künstlerische Reportage. Im zweiten Bund HKB Innen-Aussen berichten wir aus der und über die HKB. In festen Rubriken stellen wir Angebote, Menschen und Projekte der HKB vor. Diese Unterscheidung ist uns wichtig. Die Redaktion, die sich aus Mit­ arbeitenden und Studierenden der HKB zusammensetzt, arbeitet autonom. Eine journalistisch von Marketing unabhängig gedachte Publikation einer Institution wie der HKB ist ein Unikum. Die vielen positiven Reaktionen auf unsere Zeitung zeigen uns: Es war die richtige Idee und wir sind glücklich damit. Ich kann hier offen sagen, dass wir auch nicht anders könnten. Was nicht anders können? Alle zwei Monate hält die Redaktionsgruppe einen feuchten Finger in die Luft. Was steht an? Wo drückt der Schuh? Was wird in unserem Umfeld diskutiert? Ist das Thema gesetzt, sind umgehend auch Autorinnen und Autoren da. Und die Themen sind uns noch nie ausgegangen. Die HKB ist unerschöpflich. A propos Themen: Diese Nummer ist zusammen mit dem Magazin Reportagen entstanden. Darauf sind wir echt ein bisschen stolz. Aber noch wichtiger: Die Zusammenarbeit hat uns herausge­ fordert. Was ist eine gute Geschichte? Wie stellen wir sie dar? Was hat sie mit der HKB zu tun? Urteilen Sie selbst. Lesen Sie die neue HKB-Zeitung und las­sen Sie uns Ihre Meinung via publikationen@hkb.bfh.ch zukommen. Die Redaktionsgruppe dankt Ihnen. Danken möchte ich auch allen, die an dieser Zeitung mitgearbeitet haben, insbesondere natürlich allen Autorinnen und Autoren, die für die HKB-Zeitung geschrieben haben.

Christian Pauli ist Leiter Kommunikation der HKB und ihrer Publikationen sowie Chefredaktor der HKB-Zeitung.

Eräugt, in Augenschein genommen

NOVE MB E R– D E Z E MB E R 201 5

Wir können nicht anders

BONE 18 – das HKB-Highlight im Dezember

HKB -ZEITUNG

Im Brennpunkt

Boris Nieslony, Ma, Moltkerei Werkstatt Köln 1993 (Foto: Peter Farkas).

Die Performance Art im Spannungsfeld von realer Handlung, «Faction» und «Fiction», Dokumentarischem Theater, «Staged Authenticity» und künstlerischer Reportage.

ater die «reale Handlung» entdeckt hat, wurde erst vor Kurzem anlässlich des Symposiums Future Aesthetics of Performing Arts am Theater Gessnerallee in Zürich eine De-Professionalisierung in der Theaterausbildung gefordert; auswendig rezitierte Texte seien nun wirklich altbackenes Theater und nicht mehr geeignet als Gegenstand einer Theaterausbildung, viel «authentischer» sei doch das Lesen der Dialoge ab Blatt, mit all den möglichen Stolpervon Valerian Maly steinen ... «Failure is always possible». «Performance Art is now» / «Performance «Performance Art is now»: So beginnt das Art is real» / «Performance Art requires risk» / Manifesto – THIS Is Performance Art der US-­ «Performance Art is not an investment obamerikanischen Künstlerin Marilyn Arsem, ject» / «Performance Art is ephemeral» – so das sie anlässlich des Festivals Infr’Action lauten die fünf Zwischentitel der kompakVenezia 2011 verfasst hat. In der Präambel ten, durchaus konzisen, 28 Sätze umfassenerwähnt Arsem, dass dieses Manifest zu einer den Streitschrift zur Performance Art von Zeit verfasst wurde, «when peformance art’s Marilyn Arsem. Diese Statements könnte man true and instrinsic qualities are being con- durchaus als Leitfaden für eine Reportage anfused by notions of live art and re-enact- wenden. Der Performance Art wie auch der ment, and is drowing in the unclear matter Reportage gemein ist die Einmaligkeit der of its opposite: the staged, the theatrical, Ereignisse: Beide handeln im, mit und von the spectacle». Damit begründet Arsem ein dem «echten Leben» – was auch immer das im Unbehagen, das viele der Performance Art Zeitalter von staged authenticity zu sein meint. zugewandten Künstlerinnen und Zuschauer befällt. Marylin Arsem, seit über 30 Jahren die BONE 18 «Kunst der (realen) Handlung» praktizierende Performance Art Festival Bern Künstlerin, war bis vor kurzem Professorin an 1. bis 6. Dezember 2015 der School of the Museum of Fine Arts Boston und versuchte, Phänomene der Performance Art durch die Lehre zu ergründen und Ein Ereignis (von althochdeutsch irougen, zu erfassen. Dass sie nun ein Manifest verfasst neuhochdeutsch eräugen = vor Augen stellen, hat und gegen die Vereinnahmung durch das zeigen) ist das Auftreten eines beobachtbaren «staged», das «theatrical», das «spectacle» an- Geschehens; beobachtbar, weil es sich um schreibt, mag zuerst kontrovers erscheinen, ein Geschehen handelt, das im ursprünglifasst sie doch selbst die der Performance Art chen Sinne des Wortes vor Augen tritt, eräugt zugrunde liegenden Phänomene sehr eng, die werden kann. Unvorhersehbare, einmalige nie frei auch von Spektakel und Schaulust wa- Ereignisse sind Gegenstand von Reportagen ren. Ein Manifest aber ist eine Erklärung von ebenso wie sie zentrales Thema in den expeZielen und Absichten – im Kunstkontext wer- rimentellen Künsten sind. Eräugen – als bisden Manifeste oft als ästhetische Programme her einzige Kunstform zieht die Performance verwendet – und sind in ihrer Wirkung im Art das Publikum als Zeuginnen und Zeugen wortwörtlichen Sinne «handgreiflich». Arsem explizit mit ein, macht sie zur Bedingung des geht es – es mag paradox erscheinen – um Ereignisses: «Witnessing a performance chaleine Abgrenzung der einst selbst als «gren- lenges an audience’s own sense of self». Diente der Authentizitätsbegriff bisher züberschreitende», als die Genres erweiternd beschriebene Kunstrichtung Performance als Abgrenzungsbegriff von Kunst vs. NichtArt, gegenüber den klassischen «Performing kunst geraten heute Begriffe wie Wahrheit, Arts» – den darstellenden Künsten, die im Objektivität und Realität ins Wanken: «Der Begriff sind, sich performative Strategien an- dauerhafte Zweifel, die nagende Unsicherheit zueignen. Nachdem das postdramatische The- darüber, ob das, was wir sehen, wahr, reali-

tätsgetreu oder faktisch ist, begleiten doku­ mentarische Bilder wie ihr Schatten.» Mit dem Anspruch der Gegenwartskunst auf Realität und gesellschaftspolitische Bedeutung werden Dokumentarisches, Archivalien und Zeugenberichte zunehmend integrale Bestandteile von Kunstwerken. Dies war an der diesjährigen Biennale in Venedig mit dem Titel All the World’s Futures augenfällig. Nicht nur der Titel spricht von verschiedenen Entwürfen und Zukünften, vielmehr erzählen die Exponate von mehrschichtigen Sichtweisen und Multiperspektiven. Multiperspektivisch sind – im Gegensatz zur klassischen Reportage und zum Narrativ beispielsweise des klassischen Theaters – dann doch die «künstlerischen Reportagen», für die beispielsweise auch Werke der Performance Art stehen können. Die Performance Art als eine in der Zeit basierte Kunst – «Performance Art is now» – formuliert sich weniger mit den Mitteln der Sprache als vielmehr mit Zuständen, Ereignissen, mit «Bilder-­hinterden-Bildern» erzeugenden Aufmerksamkeitsenergien, die den «Zuschauer zum Zeugen machen». Einen eindrücklichen Report, eine vielschichtige, empathische Annäherung an den Begriff «tot» lieferte Boris Nieslony 1993 mit seiner Performance Ma anlässlich des Kolloquiums Erinnerung in der Moltkerei Werkstatt Köln. Schwarz gekleidet trat Nieslony hinter Bilder von Getöteten, die er sich an eine Leine hängt, sodass sich sein Gesicht auf gleicher Höhe mit den Fotos befindet. «Es ist eine Lampe direkt auf das Bild des Toten gerichtet, hinter das ich mich begebe. Das Bild ist so gross wie ein Gesicht, 1:1. So kann ich durch das Foto das Bild sehen. Wenn ich durch das Licht durch das Foto durchschaue, dann ist es ein Gefühl, als ob es sich über meine Haut legt. Das ist eine Kontaktaufnahme.»

Valerian Maly, Dozent im MA Contemporary Arts Practice an der HKB und Co-­Leiter des BONE Performance Art Festivals Bern, tummelt sich stets an Orten, an denen Kunst «expanded» gedacht wird. 27


November–Dezember 2015

Di

1 Offenes Haus 7 La Prairie

Solistische und kammermusikalische Perlen im Gemeindehaus der Dreifaltigkeitspfarrei. Ein abwechslungs­ reiches Programm für alle, die Klassik im ungezwungenen Rahmen mögen. Eintritt frei, Kollekte zu Gunsten der La Prairie. 20.00 Uhr La Prairie

HKB-Agenda NOVE MB E R– D E Z E MB E R 201 5

Mi

N O V Mo

Jazz am Montag

2 Kilian Brock Trio / Scaffolders HKB -ZEITUNG

KILIAN BROCK TRIO Kilian Brock (p), Johannes Schauer (b), Felix Wolf (dr) SCAFFOLDERS Oscar Holliger (g), Louis Laury (p), Afiwa Kuzeawu (b), Arthur Holliger (dr) 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kultur­ produktion, Sonarraum U64

Mo Vortrag

2 Kultur­ förderung heute

Vortrag von Hedy Graber, Direktorin Kultur und Soziales bei der Migros, aus dem Programm der HKBWeiterbildung Eintritt für Externe: CHF 25.– 18.30 Uhr HKB Fellerstrasse, Auditorium

Mi

Forschungs-Mittwoch

4 Musikalität und Musik­alisierung – Dispositive und Strate­gien des Theaters

Forschungs-Mittwoch aus dem Forschungsschwerpunkt Intermedialität Gast: David Roesner, Professor für Theaterwissenschaft an der LudwigMaximilians-Universität München 17.00–19.00 Uhr HKB Zikadenweg

Do

Klassisches Konzert

5 Halt auf Verlangen

Die neue Konzertserie im Zentrum der Stadt präsentiert den Pianisten Bugra Yüksel (Klasse Tomasz Herbut) mit Werken von Bach, Chopin, Ravel und Bartök sowie Barockmusik mit dem Ensemble Gran Teatro: Miriam Jorde (Oboe), Natalie Carducci (Violine), Marie Delprat (Blockflöte), Julio Caballero (Cembalo) und Bruno Hurtado (Viola da Gamba). 18.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspittel

28

Fr

Theater

So

Oper

6 Präsentationen 1 En chemin – von MA5 Auf dem Weg 7 Studierenden und Sa

Am Burg-Konzert Biel/Bienne stellen sich die neuen Studierenden des MA Oper sängerisch, musikalisch und darstellerisch vor – in kleinen Handlungen und interessanten, lebendigen Konstellationen von verschiedenen Figuren, Werken, Stilepochen und Komponisten. 11.00 Uhr HKB Burg Biel, Grosser Saal Oper

Abschlusspräsentation des Workshops mit Hans-Werner Kroesinger 20.00 Uhr HKB Zikadenweg

So

Klassisches Konzert

8 HKB-Kammer­ orchester

Das HKB-Kammerorchester spielt unter der Leitung von Monika Urbaniak (Violine) Werke von Arthur Furer, Peter I. Tschaikowsky und ein Solo­ konzert, das aus dem internen Wett­ bewerb hervorgehen wird. 17.00 Uhr Konservatorium Bern

Mo

SOUNDSCAPES Afiwa Kuzeawu (b), Billy Utermann (pi), Baptiste Maier (dr) BRONKO BRONKOVIC Nicola Habegger (tp), Luka Mandic (g), Johanna Pärli (b) 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kultur­ produktion, Sonarraum U64

Di

Konzert

1 Pop & Rock 0 Night

Studierende des Weiterbildungs­ studiengangs MAS Pop & Rock präsentieren Klassiker und Neues aus Pop und Rock. 20.00 Uhr Bistro Prima Luna

Mo

1 Crowd­funding 6 und Public-­ Private Partnership

Vortrag von Rea Eggli, Geschäfts­ leitung wemakeit, aus dem Programm der HKB-Weiterbildung Eintritt für Externe: CHF 25.– 18.30 Uhr HKB Fellerstrasse, Auditorium

Mo

BASIC ENSEMBLE III Leonie Altherr (voc), Judith Cormier (ts), Sarah Belz (as), Julius Windisch (p), Fabian Kraus (eb), Nicolas Bianco (dr) – Leitung: Immanuel Brockhaus JAZZ SONGS & BALLADS / BRAZIL Gabriel Wenger (ts), Stefan Bernhard (tp), Slawek Plizga (g), Lukas Gernet (p), Daniel Schmid (eb), Nicolas Bianco (dr) – Leitung: Thomas Dürst 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kultur­ produktion, Sonarraum U64

Do

bis Mi

2 5

Mo

Interner Meisterkurs Violine mit Benjamin Schmid, Professor am Mozarteum Salzburg. Schmids solistische Qualität, die ausserordentliche Bandbreite seines Repertoires und insbesondere auch seine improvisatorischen Fähigkeiten im Jazz machen ihn zu einem Geiger mit unvergleichlichem Profil. HKB Papiermühlestrasse 13h Veress Saal

Jazz am Montag

CONTEMPORARY GUITAR PLAYERS ENSEMBLE Michael Gilsenan (ts), Oscar Holliger (g), Sebastian Bättig (g), César Gonin (eb), Philipp Leibundgut (dr) – Leitung: Tomas Sauter THE MUSIC OF THELONIOUS MONK Timothée Giddey (ts), Lukas Andrae (as), Dimitri Howald (g), Louis Laury (p), Lisa Hoppe (b), Philipp Leib­undgut (dr) – Leitung: Ronny Graupe 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kultur­ produktion, Sonarraum U64

Klassisches Konzert

1 Halt auf 9 Verlangen

Die neue Konzertserie im Zentrum der Stadt präsentiert den Oboisten Bruno Lucas Perez (Klasse Jaime González) und die Sopranistin Angélique Boudeville (Klasse Christian Hilz) mit Werken von Berg, Poulenc und Dutilleux. 18.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspittel

Do

Di

1 «Please Enter» 9

von Liem Tong Vernissage: Do, 19.11., 18.00 Uhr Ausstellung: Fr, 20.11 – Do, 3.12.2015 Öffnungszeiten: täglich 17.00–22.00 Uhr Cabane B

Theater

2 Präsentationen 4 von MAStudierenden

Abschlusspräsentation des Workshops mit Ted Stoffler 20.00 Uhr HKB Zikadenweg

Vernissage/Ausstellung

Mi

Forschungs-Mittwoch

2 Vitezslava 5 Kapralova

Zum 100. Geburts- und 75. Todestag der tschechischen Komponistin ein Gastvortrag von Volker Timmermann, Bremen. Im Anschluss (20.00 Uhr) ein Konzert mit dem ARIA-Quartett (Basel/Bern) mit Werken von Mendelssohn, Kapralova und Martinu 19.00 Uhr Konservatorium Bern

Mi

MA Communication Design Keynote

2 Vom Architek5 ten zum Geschäftsführer

Forschung & Design

Vortrag von Tobias Lutz (Founder & Managing Director of Architonic AG, Zürich) und anschliessendes Gespräch mit Studiengangsleiter Robert Lzicar 19.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula

9 Design Research 1 Methods 1 Festival bis Mi

Over the course of six half-day workshops by researchers and experts from various fields, students of the HKB/ MA Communication Design and guests will be given an introduction to theories and practices that are relevant to design and design research. Mo, 9.30–13.00: «Research through design» by Jonas Berthod 14.00–17.30: «Design-driven inno­ vation» by Claus Noppeney Di, 9.30–13.00: «Visual rhetoric» by Annina Schneller and Simon Küffer 14.00–17.30: «Visual analysis» by Christine Zimmermann Mi, 9.30–13.00: «Discourse analysis – textual, visual, relational» by Robert Lzicar 14.00–17.30: «Re-enactment as method» by Davide Fornari HKB Fellerstrasse, Grosse Aula

HKB Musik

2 Meisterkurs 3 Violine

Der Studienbereich bietet eine praxisorientierte Ausbildung, die sich mit dem Schwerpunkt Musik an zeitgenössischer Kunst orientiert. Mögliche Tätigkeitsfelder der Absolventinnen und Absolventen sind z.B. Klanginstal­ lationen und Soundscapes, die Mitwirkung als musikalische Gestalter/ innen in multimedialen Projekten, die Konzeption und Realisation live-elektronischer Musik, musikalische Gestaltung in den Bereichen Vertonung, Bühnenmusik, Radio. 18.30–21.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Multifunktionsraum

Jazz am Montag

1 Basic 6 Ensemble III / Jazz Songs & Ballads / Brazil

Infoabend

Mo

1 Studien­bereich 2 Contem­po­rary 8 Musik und 3 Guitar Players Medienkunst Ensemble / The Music of Thelonious Monk

Mo Vortrag

Jazz am Montag

9 Soundscapes / Bronko Bronkovic

Klassisches Konzert

Do

DESIGN METHODS RESEARCH FESTIVAL

Klassisches Konzert

2 Henryk 6 Wieniawski zum 180. Geburtstag

Der Versuch einer historischen Annäherung an Spielweise und Ästhetik des großen Virtuosen. Violine-Studierende spielen Wieniawskis Capriccios und andere Stücke aus den Erstausgaben. – Leitung: Prof. Monika Urbaniak / Einführung und Moderation: Johannes Gebauer 17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d Konzertsaal


Symposium

2 10 Jahre 7 Musik­ management

3 Halt auf Verlangen

Die neue Konzertserie im Zentrum der Stadt präsentiert alte und neue Musik nebeneinander, gespielt von den besten HKB-Kammer­ musikensembles. 18.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspittel

Das Symposium «10 Jahre Musik­ management – Schlaglichter und Perspektiven» steht ganz im Zeichen des Musikmanagements mit seiner ganzen Bandbreite vom einzelnen Musiker, von der einzelnen Musikerin über die Musikschule bis zum Musik­­ markt. Mit Fachvorträgen und Workshops bietet dieser Tag neue Inputs, Einblick in verschiedene Tätigkeits­ bereiche innerhalb der Musik sowie Gelegenheit zum Austausch unter den Teilnehmenden. 9.00–17.30 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d Grosser Konzertsaal

So

Mi

9 Kommuni­kationsdesign und Materialität

Das bulgarische Grafikkollektiv Poststudio gibt Einblick in seine Arbeitsweise und präsentiert ausgewählte Perlen aus seinem Schaffen. Poststudio wurde 2009 von den beiden Grafikerinnen Magdalina Stancheva und Velina Stoykova und dem Grafiker Andrean Nechev gegründet. Zusammengeführt hat sie das Festival One Design Week in Sofia. Seitdem erforscht und dokumentiert das Kollektiv kulturelle Phänomene, initiiert Projekte und organisiert Workshops und Ausstellungen zu Fragestellungen des Kommunikationsdesigns. www.poststudio.bg 18.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula

Im Rahmen der «Balade de Noël» in der Bieler Altstadt spielen Bachelor-­ Studierende in Musik und Bewegung (Rhythmik) aus der Klavierklasse von Aki Hoffmann. 16.00 Uhr HKB Burg Biel, Saal 0-01

Jazz am Montag

Konzert

1 Neue-Musik1 Markt

Der Konzertabend zum Thema «Musikausländer» stellt, unter vielfältiger Beteiligung von Studierenden und Dozierenden der HKB, PAKT – das neue musik netzwerk bern vor. Abwechslungsreiches Programm ab 18.00 Uhr bis tief in die Nacht, u.a. mit: «AUSLÄNDER» Louis Andriessen: «Workers Union» (1975) Moderiertes musikalisches Nachdenken über die Auswirkungen der Schweizer Migrationspolitik auf den Musikmarkt, mit E-Gitarren, Violoncello, Akkordeon, E-Piano und Klarinette. 18.00 Uhr Dampfzentrale Bern

Typoclub Afterwork Lecture

1 #10.6. – 0 Poststudio: MagaM u MAgAM

Konzert

Sa

Forschungs-Mittwoch aus den Forschungsschwerpunkten Kom­muni­ kationsdesign und Materialität in Kunst und Kultur. 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Raum 110

Do

2 Impro 9 Cocktail

Mo

Forschungs-Mittwoch

Di

Singers’ Night

1 Géraldine 5 Schnyder / Mirjam Hässig Trio GÉRALDINE SCHNYDER MIRJAM HÄSSIG TRIO Mirjam Hässig (voc), Daniel Mcalavey (p), Michael Cina (dr) 20.15 Uhr ONO Das Kulturlokal

Di

Klassisches Konzert

1 Audition 3 R&M 5 0 Fantasies / The Music of John Zorn 5 Präsentationen 1 Vortragsabend von MA0 Klavier Studierenden 1 4 Sa

Präsentation der Abschlussarbeiten der Kompositionsklasse Jazz im Fach Rhythmik & Metrik unter der Leitung von Klaus König und anschliessend das John-Zorn-Programm «News For Lulu». 20.30 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d Grosser Konzertsaal

Abschlusspräsentation des Workshops mit Ann Liv Young, im Rahmen des BONE Performance Art Festivals Bern. 20.00 Uhr Schlachthaus Theater

D E Z Di

bis So

6

Mi

Die 18. Ausgabe des internationalen Performance Art Festivals BONE (s. auch den Artikel auf S. 27) hält auch dieses Jahr wieder ein viel­fältiges Programm bereit. Details ab 15.11.2015 unter www.bone-performance.com und www.facebook.com/boneperformance Verschiedene Orte in der Stadt Bern

Theater

3 Artwork!

Studierende zeigen Szenen aus dem Darstellungsunterricht. 20.00 Uhr HKB Zikadenweg

und Es spielen Bachelor-Studierende in Mo Musik und Bewegung (Rhythmik) aus den Klassen von Manuel Bärtsch, Riccardo Bovino und Iris Haefely. 19.00 Uhr HKB Burg Biel, Saal 0-01

Auf dem kontrastreichen Programm stehen zeitgenössische Musik und Werke alter Musik in historisch informierter Aufführungspraxis. Eintritt frei, Kollekte zu Gunsten des HKB-­ Stipendienfonds. Informationen: www.onobern.ch 20.00 Uhr ONO Das Kulturlokal

Verzeichnis Veranstaltungsorte Bistro Prima Luna Effingerstrasse 92, 3008 Bern Cabane B Bahnhof Bümpliz Nord, Mühledorfstrasse 18, 3018 Bern Dampfzentrale Bern Marzilistrasse 47, 3005 Bern HKB Burg Biel Jakob-Rosius-Strasse 16, 2502 Biel/ Bienne HKB Fellerstrasse Fellerstrasse 11, 3027 Bern HKB Papiermühlestrasse Papiermühlestrasse 13 a/d/h, 3014 Bern HKB Schwabstrasse Schwabstrasse 10, 3018 Bern HKB Zikadenweg Zikadenweg 35, 3006 Bern Konservatorium Bern Kramgasse 36, 3011 Bern La Prairie Sulgeneckstrasse 7, 3007 Bern ONO Das Kulturlokal Kramgasse 6, 3011 Bern PROGR Zentrum für Kultur­produktion Speichergasse 4, 3011 Bern Schlachthaus Theater Rathausgasse 20/22, 3011 Bern Spittelkapelle im Burgerspittel Bahnhofplatz 2, 3001 Bern

Auch dieses Jahr organisiert die Direktorenkonferenz Schweizer Jazz­ schulen in der ganzen Schweiz die DKSJ Exchange Nights, an denen die besten Bachelorprojekte der fünf Jazzabteilungen an Schweizer Hochschulen zu hören sind. In Bern: Mo

District Five Quartet / Woodoism

7

DISTRICT FIVE QUARTET Tapiwa Svosve (as), Vojko Huter (g/comp), Xaver Rüegg (b), Paul Amereller (dr) WOODOISM Linus Amstad (as), Florian Weiss (tb/comp), Valentin von Fischer (b), Philipp Leibundgut (dr)

Mo

Aloïs Trio / Michael Heidepriem Quintet

1 4

2 Blechblas­ ensemble

Do

Konzert

1 Hybridium 8

DKSJ Exchange Nights

Klassisches Konzert

Im Rahmen des Workshops mit Eric Crees, dem langjährigen Soloposaunisten des London Symphony Orchestra. 20.00 Uhr Konservatorium Bern

Do

Konzert

Jazz-Konzert

Festival

1 BONE 18

Theater

Audition mit Studierenden in Interpretation Zeitgenössische Musik und Historische Aufführungspraxis. Ein bunter Fächer an Stilen und Aus­ drucksarten, nach dem Prinzip Alt trifft Neu. Eintritt frei, Kollekte zu Gunsten des HKB-Stipendienfonds. 19.30 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal

Fr

NOVE MB E R– D E Z E MB E R 201 5

Fr

Klassisches Konzert

HKB -ZEITUNG

Do

ALOÏS TRIO Martin Schenker (g), Pascal Eugster (eb), Florian Schneider (dr) MICHAEL HEIDEPRIEM QUINTET Raphael Rossé (tb), Luca Pusch (g), Kristinn Smári Kristinsson (g), Lisa Hoppe (b), Michael Heidepriem (dr)

Woodoism (BE, v.l.n.r.): Philipp Leibundgut (dr), Florian Weiss (tb), Valentin von Fischer (b), Linus Amstad (as) (Foto: zvg)

Je 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kultur­ produktion, Sonarraum U64

Di

Singers’ Night

8 Nina Blank / Oh My Dear NINA BLANK OH MY DEAR Jessanna Niemitz (voc), Batiste Maier (dr) 20.15 Uhr ONO Das Kulturlokal

Fr

HKB Musik

1 Meister­kurs 1 Violine bis So

1 3

Interner Meisterkurs Violine mit Mayumi Seiler. Seiler ist Solistin und Kammermusikerin sowie künstlerische Direktorin von Via Salzburg Kammermusik. HKB Papiermühlestrasse 13h, Veress Saal

Do

Klassisches Konzert

1 Halt auf 7 Verlangen

Die neue Konzertserie im Zentrum der Stadt präsentiert Juwelen aus dem Kammermusikrepertoire der besten HKB-Ensembles. 18.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspittel 29


HKB -ZEITUNG

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HKB-Zeitung_138x105.25.indd 1

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Bachelor of Arts Literarisches Schreiben Écriture littéraire Stimmen aus dem Studiengang Voix de la filière d’études Was muss man mitbringen, um am Literaturinstitut zu studieren? Sicher gibt es Grundvoraussetzungen, die gegeben sein müssen und nicht erlernt werden können. Das schreibende Subjekt muss schon da sein, bevor es das Schreiben sich aneignet. Es braucht den Hunger, das Dürsten danach. Alles drängt zum Schreiben und mündet darin. Zu diesem Hunger gesellt sich ein anderer Hunger: das Lesen. Schreiben ereignet sich nicht ohne Lesen. Angefangen schon beim Lesen im eigenen Fundus der Geschichten. Mitzubringen ist: Liebe zur Sprache, Sprachkraft, Radikalität und ein Schreib-Anlass. —Francesco Micieli (Dozent)

Wie läuft die Zusammenarbeit im Mentorat ab? Zwei Menschen begegnen sich in einem Raum. Bis dahin nichts Aussergewöhnliches. Aber in diesem Fall treffen zwei Schreibende aufeinander – die eine mit etwas mehr, die andere mit etwas weniger Erfahrung. Was passiert? Gespräche über die vielen Ebenen des Schreibens setzen sich in Gang. Intuitive Arbeitsweisen treffen auf erprobte, Fragen stossen auf Widerstand, Unfälle erhalten Nothilfe… Diese Gespräche sind so verschieden wie die beteiligten Menschen an diesen Treffen selbst. Nichts ist vorgegeben, ausser die Beschäftigung mit dem Schreiben. —Urs Richle (Dozent)

Comment peut-on se préparer pour les études à l’Institut littéraire ? Lire d’avantage que les dix auteur-e-s obligatoires du bac. Chaque année sont publiés des centaines de romans, sans parler des traductions. Il faut donc se frotter avec la littérature vivante en allant parfois dans un salon du livre, ou en assistant à la lecture d’un-e écrivain-e. On peut aussi se poser la question: « Y a-t-il un écrivain, une écrivaine vivant dans ma propre ville que je connais? » En somme, essayer de se rapprocher de la littérature en train de se faire. —Eugène (enseignant)

Wie genau begleiten die Mentorinnen und Mentoren die Texte ihrer Mentees? Zuhören, was der Text sagen will, wohin er will, wie er sich ausdrücken will, was er nicht will, warum er überhaupt sein will und wem er ähneln möchte, wem er gefallen möchte, welche Fragen er hat, welchen Geruch, welchen Rhythmus, welche Verwandtschaften er sucht und meidet, was er nicht wissen darf und will, wie er klingt, wie schnell er ist, wie langsam, wie lang, wie kurz, welche Texte unter ihm liegen, nebenan, seine Möglichkeitsräume erkunden, wovon er sich ernährt, welche Umgebung er braucht und welches Klima. So? Das Klima des Begleitens möge inspirierend, nährend, kritisch, wechselhaft, zuverlässig, vorsichtig, mutig und vertrauensvoll sein. So? —Birgit Kempker (Dozentin)

Was macht das Studium am Schweizerischen Literaturinstitut besonders? a) Das Mentorat: Austausch, individuelle Gespräche über die eigenen Texte, das Schreiben, das Nicht-Schreiben, den Stoff. b) Die Freiheit: Kein «Stundenplan-Studium», sondern viel Zeit, mit der es umzugehen gilt; viele Fragen, die sich zur eigenen Arbeit, zum eigenen «Schaffen» stellen. c) Biel, der Bielersee: Die Villa, in der Studierende, Dozierende, Schreibende, Lesende einund ausgehen; die Vernetzung, die sich hierbei ergibt; die Räume, die belebt werden können. —Laura Vogt (Absolventin) Wie ist es, wenn man plötzlich drei Jahre Zeit zum Schreiben hat? Es scheint, man habe nun endlich genug Zeit. Und zum Schreiben braucht man Zeit, reichlich Zeit zum Verschwenden. Man muss sich fragen, was einem ein freier Sonntag wert ist, ob man den Stift überhaupt noch absetzt oder ob das Schreiben erst dann gelingt, wenn man gleichzeitig drei Jobs, Hund und Katze hat und die Texte zwischen fünf und halb sieben Uhr morgens in benommener Müdigkeit hinrattert. Drei Jahre, um sich dem Schreiben zu stellen, es herauszufordern, sich mit Zweifeln zu konfrontieren und diese im richtigen Moment auch wieder ziehen zu lassen. —Noemi Somalvico (Studentin) Que se passe-t-il lorsqu’on n’arrive rien à écrire pendant un certain temps ? D’abord on s’en veut. Et puis on doute. On détourne le problème : on se met à écrire sur ce qui nous entoure, le vide, l’absence, le creux. On lit, beaucoup. On fuit dans des activités futiles, on traîne sur internet, on culpabilise encore. On a le sentiment d’être immobile, on contemple le misérable paragraphe qu’on a produit en une semaine. On prend des notes. Et puis un jour, ça revient. Et on s’étonne de voir à quel point ce vide nous a en fait permis d’avancer. —Arthur Brügger (diplômé)

Les retours sur tes textes sont-ils toujours utiles ? Un avis porté sur un de mes textes est généralement juste quand il ne va pas, en premier lieu, dans mon sens. Le mentor est moins un professeur qu’un lecteur très attentif, dont l’avis m’aide à déplacer mon regard sur le travail en cours, à radicaliser ma position, à arrêter d’être indulgent pour commencer, et continuer, à écrire. —Thomas Flahaut (diplômé) Verändert das Studium die eigene Schreibpraxis? Ich schreibe seit der Zeit am Institut in mehr Richtungen, probiere formal mehr aus, interessiere mich für randständigere Dinge. Auf das von Zwängen frei produzierte Material schaue ich jetzt aber auch – in einem zweiten Schritt – genauer. Ich kann besser sehen, was gut und wichtig ist, und wie man daraus etwas Eigenständiges herausarbeiten kann. Insgesamt bin ich mir meiner selbst und der Sprache sicherer und unsicherer geworden, und beides ist für die Schriftstellerei entscheidend. —Matthias Nawrat (Absolvent) Et comment ça se passe après les études ? Après les études, je connais plus de personnes qui écrivent autour de moi. Après les études, je ne me pose pas moins de questions pour la suite, mais je sais que je veux continuer à écrire. Après les études, je me suis un peu endurcie à être à contre-courant de l’étudiant-e pressé-e qui fait des choix fonctionnels. Après les études, je regrette le confort inédit de l’Institut littéraire, qui m’offrait le temps de penser, mais je pense : à d’autres études, par exemple. Et j’ai plus d’assurance dans ce que conçoit comme mon rythme de vie et de travail idéal. —Leïla Pellet (diplômée)

Einzigartig

Der Studiengang BA in Literarischem Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut der HKB bietet die schweizweit einzigartige Möglichkeit, sich auf Hochschulniveau mit der Entwicklung der eigenen Schreibpraxis zu befassen.

Zweisprachig

Jedes Jahr werden 15 Studierende für das dreijährige Studium aufgenommen, das auf Deutsch und auf Französisch angeboten wird – die Studierenden schreiben jeweils in ihrer Muttersprache.

Vollzeit

Der Bachelorzyklus beginnt jeweils im Herbstsemester, ein Teilzeitstudium ist nicht möglich.

Bewerbung

HKB -ZEITUNG

«Schreiben. Lernen. Eigenwillig werden.» So hat eine Absolventin des Bachelors in Literarischem Schreiben das Studium rückblickend zusammengefasst und treffender kann man das in gleicher Kürze beim besten Willen nicht. Schreiben – im zweisprachigen Bachelorstu­diengang, den es schweizweit nur in Biel gibt, dreht sich alles um die Entwicklung der eigenen literarischen Stimme. Entweder auf Deutsch oder Französisch, je nach Muttersprache, aber auch das Schreiben in der Nachbarsprache ist möglich. Wer hier studiert, hat drei Jahre Zeit, um zu experimentieren, zu hinterfragen, hinterfragt zu werden, neue Anregungen zu bekommen oder Etabliertes zu vertiefen. Lernen – über die Hälfte der Arbeitszeit widmen die Studierenden ihren individuellen Schreibprojekten. Begleitet werden sie dabei von ihrer Mentorin, ihrem Mentor: Das sind erfahrene Autorinnen und Autoren, die die Texte der Studierenden alle zwei Wochen lesen und in einem persönlichen Gespräch kommentieren. Das Mentorat ist gewissermassen die Spezialität des Schweizerischen Literaturinstituts – nirgendwo sonst wird ihm im Rahmen eines Studiums so viel Raum gegeben. Ergänzt wird das Lehrangebot durch Schreibateliers, in denen Texte zu verschiedenen Themen in der Gruppe besprochen werden, durch Theoriekurse und praktisch ausgerichteten Projekte. Eigenwillig werden – das Eigene, die Stärkung des Eigenen ist das, was im Zentrum des Studiums am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel steht. Was bedeutet das konkret? Im Folgenden beschreiben aktuelle Studierende und Ehemalige sowie Dozierende den Studiengang und seine Eigenheiten aus ihrer Perspektive.

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Ein HKB-Studiengang stellt sich vor Une filière de la HKB se présente

Bis Mitte März muss die Bewerbung, die aus der Online-Anmeldung, dem Motivationsschreiben und dem Textdossier besteht, abgeschickt werden. Auf der Grundlage des Textdossiers findet die Eignungsabklärung statt.

Mehr

Alle Informationen zu den Studieninhalten und zur Anmeldung finden sich unter www.literaturinstitut.ch

Online-Literaturmentorat

Für alle, die sich ein produktives Feedback zu den eigenen Texten wünschen, ohne ein ganzes Bachelorstudium zu absolvieren: Das Online-Literaturmentorat begleitet interessierte Schreibende ein halbes Jahr lang in der Arbeit an einem Text. In dieser Zeit erhalten die Teilnehmer/innen viermal ein individuelles schriftliches Feedback, das von Absolventinnen und Absolventen des BA in Literarischem Schreiben verfasst wird: www.literaturmentorat.ch

Unique

La filière BA en écriture littéraire de l’Institut littéraire à la HKB est le seul cursus de niveau Haute Ecole en Suisse qui permette de développer sa propre pratique d’écriture.

Bilingue

Chaque année, 15 étudiant-e-s sont admis au cycle d’études de trois ans qui est proposé en français et en allemand. Chaque étudiant-e-s écrit dans sa langue maternelle.

Plein temps

Le cycle d’études débute au semestre d’automne, des études à temps partiel ne sont pas possibles.

Candidature

Le délai d’inscription est fixé à la mi-mars. La candidature est composée de l’inscription en ligne, d’une lettre de motivation et d’un dossier de textes. Le dossier de textes constitue l’élément central de la procédure d’admission.

Plus

Toutes les informations sur les études et l’inscription sont disponibles sous www.institutlitteraire.ch

Mentorat littéraire en ligne

Si l’on cherche des retours productifs sur un travail d’écriture personnel en dehors d’un cursus complet de Bachelor, on peut désormais participer au programme de mentorat en ligne. Sur une durée de six mois, des mentors et mentas – tous/toutes diplômé-e-s de l’Institut littéraire suisse – donnent par écrit quatre feedbacks individuels sur des travaux littéraires en cours : www.mentoratlitteraire.ch

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Schaufenster — Arbeiten aus der HKB

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Anne Sauvageot (links) und Jasmin Kiranoglu, beide Theater-Studentinnen der HKB aus dem dritten Bachelor-Jahr, im Juni 2015 am HKB-Standort Zikadenweg 35: Das Bild zeigt eines von mehreren Motiven, die für die Bebilderung der neuen Studiengangsbroschüre zum BA Theater fotografiert wurden (Foto: Ben Zurbriggen).


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