Leseprobe SSM 2018

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Jahrgang 1 / Heft 1 / 2017

Schmerz und Schmerzmanagement

Herausgeberinnen und Herausgeber Andre Ewers Irmela Gnass Nadja Nestler Nadine SchĂźĂ&#x;ler Erika Sirsch

Themenschwerpunkt Schmerz in der Lebensspanne Verantwortliche Herausgeberin und Herausgeber Andre Ewers Erika Sirsch


Wie Schmerzpatienten zu mehr Lebensqualität finden

Monika Specht-Tomann / Andreas Sandner-Kiesling

Schmerz Ganzheitliche Wege zu mehr Lebensqualität 2. überarb. Aufl. 2014. 256 S., 31 Abb., 12 Tab., Kt € 19,95 / CHF 28.50 ISBN 978-3-456-85314-7 Auch als eBook erhältlich

Schmerzen – von der Geburt bis in den Tod begleiten sie unser Leben. Wer kennt nicht das bohrende, klopfende oder nagende Gefühl? Besonders chronischer Schmerz stellt eine enorme körperliche, aber auch psychische Belastung dar. Oft bringt er Gefühle wie Wut oder Traurigkeit mit sich. Die Psychologin Monika Specht-Tomann und der Intensivmediziner Andreas Sandner-Kiesling erklären in diesem Ratgeber in klarer, verständlicher Sprache das Phänomen aus interdisziplinärer Sicht. Sie beschreiben die verschiedenen Formen und die wichtigsten Ursachen von Schmerzen sowie insbesondere die neu-

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esten Therapien zu deren Behandlung. Einfühlsam geben sie Betroffenen wie auch Angehörigen in zahlreichen Fallbeispielen einen Überblick über die Möglichkeiten, im Alltag damit umzugehen. Wie lässt sich der Schmerz überhaupt mitteilen, wie kann man mit dem Arzt richtig darüber sprechen? Wie lässt sich die lähmende Wirkung von Schmerzen auflösen? Die Autoren klären auf über den richtigen Gebrauch und die Wirkung von Medikamenten und stellen wichtige Komplementärmaßnahmen zur Schulmedizin vor, wie z. B. Physiotherapie, Naturheilverfahren, Konzentrations- und Entspannungsübungen.


Schmerz und Schmerzmanagement

Jahrgang 1 / Heft 1 / Februar 2017

Themenschwerpunkt Schmerz in der Lebensspanne Verantwortliche Herausgeberin und Herausgeber Andre Ewers Erika Sirsch


Herausgeber/innen

Ass.-Prof. Dr. Andre Ewers, Salzburg Dr. Irmela Gnass, Salzburg Dr. Nadja Nestler, Salzburg Nadine Schüßler, Hamburg Jun.-Prof. Dr. Erika Sirsch, Vallendar

Redakteurin

Barbara Müller, Hogrefe AG, Bern Tel. +41 (0) 31 300 45 46 barbara.mueller@hogrefe.ch

Verlag

Hogrefe AG, Länggass-Strasse 76, 3000 Bern 9, Tel. +41 (0) 31 300 45 00 zeitschriften@hogrefe.com, www.hogrefe.ch

Herstellung

Reto Mastria Tel. +41 (0) 31 300 45 73 reto.mastria@hogrefe.ch

Anzeigenleitung

Josef Nietlispach, Tel. +41 (0) 31 300 45 69, inserate@hogrefe.com

Abonnements

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Satz

punktgenau gmbH, Bühl, Deutschland

Druck

Kraft Premium GmbH, Ettlingen, Deutschland

Bezugsbedingungen

Jahresabonnement Institute: € 145,–/CHF 160.– Private: € 69,–/CHF 75.– Lernende: € 49,–/CHF 54.– Porto und Versandgebühren: Europa € 8,–/Schweiz CHF 10.– Einzelheft: € 24,–/CHF 27.–

Erscheinungsweise

4 Hefte jährlich © 2017 Hogrefe AG ISSN-L 2504-1037 ISSN 2504-1037 (Print) ISSN 2504-1320 (online)

Elektronischer Volltext

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Inhalt Editorial

Schmerz in der Lebensspanne Andre Ewers, Erika Sirsch

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Schwerpunkt

Der Geburtsschmerz

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Lisa Kuch 11

Schmerz beim Frühgeborenen Anne Schmitt Schmerzmanagement in der Kinderkrankenpflege – Der Wissensstand von Pflegekräften

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Jens Riede Schmerzen im Alter – auch eine Frage des Schmerzassessments?

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Erika Sirsch, Irmela Gnass, Marjan Laekeman, Thomas Fischer Freie Beiträge

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Die „verwundete“ Persönlichkeit Diana Staudacher Mit Bildern den Schmerz fassbar machen – Dolografie

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Sabine Affolter Interview

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Schmerzassessment im Pflegeheim Prof. Dr. Thomas Fischer

Praxisbeispiel

Fremdeinschätzung von Schmerzen bei nicht auskunftsfähigen Bewohnenden der vollstationären Altenhilfe – ein Diskurs aus praktischer Sicht

35

Adina Spielvogel, Stephanie Gast Aktuelle Praxisfrage

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Angst vor Schmerzen bei Kindern vor einem chirurgischen Eingriff zu mindern?

38

Raimond Ehrentraut Journal Club

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Schmerz bei jungen Erwachsenen Andre Ewers

Schmerz medial

Schmerz. Ganzheitliche Wege zu mehr Lebensqualität

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Simon Krutter Rätsel/Vorschau

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Umfassend und aktuell – das komplette Wissen der Psychologie

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Der Dorsch bietet • rund 12000 Stichwörter von über 600 Fachautoren aus allen Bereichen der Psychologie • eine strukturierte Aufbereitung der Inhalte in 19 Teilgebiete, die von renommierten Gebietsexperten betreut werden • 1200 Topstichwörter für vertieftes Wissen und schnellen Zugang zu allen Teilgebieten der Psychologie • den Zugang zum Dorsch Lexikon Online, das fortdauernd aktualisiert und erweitert wird • das aktuelle Wissen der Psychologie, kompakt und zitierfähig.


Editorial

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Schmerz in der Lebensspanne Liebe Kolleginnen und Kollegen, die erste Ausgabe der Fachzeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement befasst sich mit dem Thema Schmerz in der Lebensspanne. Damit wird die Lebensspanne von der Geburt bis zum alten Menschen in den Fokus gerückt. Warum diese Hinwendung zur Lebensspanne? Nun – Schmerz ist nicht auf bestimmte Altersgruppen beschränkt. Mag auch die diagnostische und therapeutische Ausrichtung des Schmerzmanagements, die Wahl der medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapien bei frühgeborenen Säuglingen und alten Menschen unterschiedlich sein, die Einbindung der verschiedenen Akteure im Schmerzmanagement variieren, dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. Eine unzureichende Erfassung von Schmerz und die Auswirkungen können für alle großen und kleinen Menschen in ihren unterschiedlichen Lebensphasen gravierend sein. Schmerzen beeinflussen, verändern, ja: mitunter bestimmen sie sogar das Leben der betroffenen Personen und ihrer Angehörigen. Die vier Hauptartikel der vorliegenden Ausgabe beschäftigen sich zum einen mit dem Schmerz am Anfang des Lebens, dem Geburtsschmerz und dem Schmerz bei Frühgeborenen, ergänzend nimmt eine Befragung zum Schmerz bei Jugendlichen eine weitere Gruppe in den Fokus, die sonst eher seltener betrachtet wird. Abgerundet wird diese Betrachtung des Schmerzes in der Lebensspanne durch die Ausführungen zum Schmerzassessment bei alten Menschen. Lisa Kuch beschreibt als Hebamme Ursachen und die Bedeutung des Geburtsschmerzes. Sie erläutert in ihrem Artikel, dass Geburtsschmerz unterschiedliche Funktionen hat. Er hat sogar positive Aspekte, da er die geburtsförderlichen Hormone stimuliert und so Mutter und Kind sogar vor möglichen Verletzungen geschützt werden können. In diesem Artikel wird der Umgang mit Geburtsschmerz ebenso thematisiert wie physiologische Methoden zur Linderung von zu viel Geburtsschmerz. Im zweiten Artikel knüpft Anne Schmitt an die schwierige Situation von frühgeborenen Säuglingen an. Diese Kinder können ihren Schmerz nicht artikulieren, sie sind darauf angewiesen, das andere sich ihrer annehmen und den Schmerz erkennen. Anne Schmitt erläutert die besondere Situation von extrem unreifen frühgeborenen Kindern an der Grenze der Lebensfähigkeit. Sie wirft die Frage von

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Schmerzerfassung als moralischem Handeln auf und beschreibt die Anforderungen an Assessmentinstrumente. Einen Schritt hin zum Wissen von Pflegenden macht Jens Riede im dritten Artikel. In seiner Bachelorarbeit untersuchte er den Wissensstand zum Schmerzmanagement bei Pflegenden in der Kinderkrankenpflege. Er stellt Vergleiche zum Wissenstand von weitergebildeten und nicht weitergebildeten Pflegenden an, die er in diesem Artikel vorstellt. Der vierte Artikel schließt den Bogen in der Lebensspanne mit den Betrachtungen zum Schmerzassessment bei alten Menschen. Mitglieder der Steuergruppe der Leitlinie zum Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe fassen in ihrem Beitrag relevante Informationen zusammen. Ergänzt werden diese Beiträge durch eine Buchrezension zu ganzheitlichen Wegen zu mehr Lebensqualität bei Schmerzen und dem Beitrag aus dem Journal Club, in dem eine Studie zu Schmerz bei jungen Erwachsenen thematisiert wird. Für diese erste Ausgabe der Zeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement haben wir Themenbereiche ausgewählt, die nicht immer im Fokus der Betrachtungen stehen. Denn Schmerz geht alle an – ob jung oder alt. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre, Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Andre Ewers, Herausgeber der Fachzeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement

J Dr. Erika Sirsch, Herausgeberin der Fachzeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement

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Essentielles zur Palliativmedizin

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Handbuch Palliativmedizin 3., vollst. überarb. Aufl. 2015. 480 S., 29 Abb., 41 Tab., Gb € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85274-4 Auch als eBook erhältlich

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Das integrative Handbuch der Palliative Care

Das Wichtigste zur Ausbildung in Palliativmedizin

Dieses integrative Handbuch hilft, die neuesten Erkenntnisse der Palliativmedizin täglich in die Praxis umzusetzen. Es orientiert sich sowohl an den für die Lebensqualität entscheidenden Symptomen als auch an grundsätzlichen Herangehensweisen an die besonderen Situationen, in denen Palliativmedizin gefordert ist. Als dritte, vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage im Auftrag von Krebsliga Schweiz und palliative ch stellt das Handbuch die Summe der Erfahrungen der Schweizer Palliativmedizin dar.

Mut zur Kürze prägt die Palliativmedizin Essentials. Damit folgen wir einem Wunsch von Studierenden der Medizin, von Ärztinnen und Ärzten in der Grundversorgung und von vielen Pflegenden gleichermassen. Die Essentials sind ein Kondensat aus vielen Jahren der Praxis und des Lernens von schwerkranken und sterbenden Menschen. Das Buch bietet deshalb stichwortartige Information für die rasche Orientierung und verweist ansonsten auf den „grossen Bruder“, das „Handbuch Palliativmedizin“.

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Schwerpunkt

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Der Geburtsschmerz Lisa Kuch

Die meisten Abläufe in unserem Körper sind schmerzfrei: das Atmen, die Verdauung, das Gehen. Schmerzen bei solchen natürlichen Vorgängen sind Warnsignale des Körpers auf Verletzung oder Krankheit und weisen darauf hin, dass etwas nicht physiologisch abläuft. Während einer Geburt allerdings, einem völlig natürlichen und physiologischen Geschehen, empfinden die meisten Frauen ebenfalls Schmerzen. Welchen Sinn hat es, wenn bei einem schönen Erlebnis wie einer Geburt Schmerzen empfunden werden?

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ie Erklärung der Bibel legt nahe, dass Gott den Frauen nach Evas Sündenfall diese als Strafe auferlegt hat: „[…] du sollst mit Schmerzen Kinder gebären […]“ (1. Mose 3,16). So versuchten sich die Menschen des Alten Testaments die Ursache des Geburtsschmerzes zu erklären. Medizinisch gesehen hat der Schmerz während einer Geburt unterschiedliche Ursachen. Während der Eröffnungsphase führen vor allem die Wehen – regelmäßige Gebärmutterkontraktionen, die den Muttermund öffnen und das Kind hinausschieben – zu Schmerzen. Im weiteren Verlauf kann auch der Druck auf den Muttermund oder den Damm sowie die Spannung des Beckenbodens schmerzhaft sein. Die Geburt wird eingeteilt in Eröffnungs-, Austreibungsund Nachgeburtsphase. Den Geburtsbeginn zeigen meist regelmäßige Kontraktionen an. Die Gebärmutter besteht aus quer- und längsverlaufenden Muskelfasern, die sich während einer Wehe zusammenziehen. Infolge dieser Kontraktionen verkleinert sich der Uterusinnenraum und das untere Uterinsegment mit dem Gebärmutterhals zieht sich über dem Kind zurück. Dadurch wird auf den Muttermund Druck durch den kindlichen Kopf und Zug durch die Kontraktion ausgeübt, sodass dieser sich passiv öffnet. Durch die Druckerhöhung während der Wehe weicht außerdem das Kind nach unten, in Richtung des geringsten Widerstands hin, aus. Der Vorgang lässt sich vergleichen mit dem Anziehen eines Rollkragenpullovers (Bsp. Rosenberger, 2012, S.272). Während einer Wehe steigt der Druck an, erreicht eine kurze Wehenspitze und fällt wieder ab. Das charakteristischste Merkmal von Wehen ist ihr Rhythmus: Er besteht aus Schmerz und Pause, Zusammenziehen und Entspannung. Die Frequenz und Intensität nimmt mit fortschreitendem Geburtsverlauf zu (vgl. Schmid, © 2017 Hogrefe

2005a, S. 9). Dies bietet Mutter und Kind die Möglichkeit der allmählichen Anpassung an den Geburtsprozess. Die Dauer und Abstände der Wehen sind sehr individuell und stark abhängig von der Geburtsphase und der Verfassung von Mutter und Kind. Die Angabe der Kontraktionsfrequenz erfolgt meist in der Wehenanzahl in einer bestimmten Zeit, oder in Angabe der Wehenabstände, also des Zeitraums von Wehenbeginn zu Wehenbeginn, beziehungsweise von Wehenspitze zu Wehenspitze. In der Eröffnungsphase sind die Kontraktionen anfangs noch etwas unregelmäßig, etwa 2–3 Kontraktionen in 30 Minuten und werden manchmal durch physiologische Latenzphasen (Pausen von eventuell mehreren Stunden) unterbrochen. Mit zunehmender Öffnung des Muttermunds werden sie regelmäßiger und häufiger, bis sie eine Frequenz von etwa 3–5 in 10 Minuten erreichen (vgl. Rosenberger, 2012, S. 274). Der Geburtsverlauf hat allerdings bei allen Frauen eine sehr unterschiedliche und individuelle Dynamik. Die Wehenpausen ermöglichen eine Toleranz des Schmerzes, daher sollte in ihnen der Fokus auf größtmöglicher Entspannung liegen (vgl. Schmitt, 2005b, S. 2). In der Austreibungsphase, welche nach vollständiger Eröffnung des Muttermundes beginnt, sind die Schmerzen meist besser zu verarbeiten, da die Frau die uterinen Kräfte beim Mitschieben aktiv unterstützen kann. Auch hier tritt kurz vor Geburt des Kindes häufig nochmal eine Latenzphase ein. Diese sollte abgewartet werden, um Mutter und Kind die nötigen Kräfte sammeln zu lassen für die letzte anstrengende Phase (vgl. Rosenberger, 2012, S. 274). Die Stärke einer Wehe zu messen ist objektiv nur schwer möglich. Häufig legen Hebammen die Hände auf den Bauch der Frau, um durch den fühlbaren Druck die Stärke einschätzen zu können. Die externe Ableitung über ein Cardiotokogramm lässt keine exakte Aussage über die tatsächliche Wehenstärke zu. Sie wird zu sehr beeinflusst: von der Dicke der Bauchdecke, der Position des Aufnehmers und Atembewegungen der Mutter oder Kindsbewegungen. Zwar gibt es die Möglichkeit einer intrauterinen Wehenableitung, diese birgt allerdings die Gefahr von Infektionen und wird daher fast nie angewandt (vgl. Stiefel, 2012, S. 761 f.). Der Wehenschmerz ist in der Unterscheidung zu anderen Schmerzreizen ein Eingeweideschmerz (viszeraler Schmerz), welcher vor allem vom unteren Uterinsegment ausgeht, da sich hier die meisten Schmerzrezeptoren der Gebärmutter befinden (vgl. Schmitt, 2005a, S. 10). Dadurch wird er vorwiegend im Unterleib, seitlich über dem Darmbeinkamm und hinten im Kreuzbeinbereich wahrgenommen. Die Ursachen liegen vor allem in der Dehnung, dem lokalen minimalen Einreißen und einer Ischämie des Gebärmuttermuskels und des Muttermundes sowie an der Zerrung der Mutterbänder. Aber auch der Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Schwerpunkt

Druck, der auf die Nervenenden im Lendenwirbel- und Kreuzbeinbereich sowie auf die Beckengelenke ausgeübt wird, ist dafür verantwortlich. In der Austreibungsphase, wenn der Muttermund bereits ganz geöffnet ist und sich das Kind auf dem Weg durch das Becken befindet, öffnen und dehnen sich die Vulva und der Beckenboden. Die Schmerzintensität steht hierbei in engem Zusammenhang mit der An- oder Entspannung dieses Bereiches (vgl. Schmitt, 2005a, S. 12).

Bedeutung des Geburtsschmerzes Der Schmerz während einer Geburt hat mehrere Funktionen: Er stimuliert die geburtsförderlichen Hormone, beschützt Mutter und Kind vor Verletzungen und fördert durch sein Ausbleiben und dem damit einhergehenden Hochgefühl nach der Geburt die Bindung von Mutter und Kind. Oxytocin, Prostaglandin und Katecholamine sind die Hormone, welche die Geburt maßgeblich beeinflussen. Oxytocin wird auch als das Liebes- und Bindungshormon bezeichnet und spielt eine große Rolle beim Bonding zwischen Mutter und Kind, beim Sex und beim Stillen. Es bewirkt zum Beispiel die Euphorie und Offenheit, mit welcher Mütter ihre Kinder nach der Geburt begrüßen (vgl. Buckley, 2005, S. 10). Es verursacht aber auch die Gebärmutterkontraktionen und wird gegen Ende der Schwangerschaft vom Kind selbst produziert. Prostaglandin führt zum Weichwerden des Gebärmutterhalses und stimuliert ebenfalls Kontraktionen (vgl. Rosenberger, 2012, S. 269). Die beginnenden schmerzhaften Wehen lösen bei der Mutter Stress aus und führen so zu einer Ausschüttung von Katecholaminen (Adrenalin und Noradrenalin). Diese führen, sofern sie in Peaks ausgeschüttet werden, paradoxerweise zur Oxytocinund Endorphinausschüttung (vgl. Schmid, 2005b, S. 2). Diese sogenannten körpereigenen Morphine lösen wiederum ein Hochgefühl und eine erhöhte Schmerztoleranz aus. Außerdem sind die Endorphine in hohen Dosen im Fruchtwasser nachweisbar, was bedeutet, dass das Kind ebenfalls von dem mütterlichen Schmerzempfinden und den damit einhergehenden Hormonen vor Geburtstraumata beschützt wird (vgl. Schmid, 2005b, S. 3). Außerdem bewegt der Schmerz die Frauen dazu, geburtsförderliche Positionen einzunehmen, bei welchen das Kind gut nach unten hin ausweichen kann und der Druck auf Gelenke und Weichteile auszuhalten ist. So werden größere Verletzungen, besonders in der Austreibungsphase, verhindert. Daher wird der Geburtsschmerz von vielen Hebammen als Geburtshelfer und Beschützer von Mutter und Kind beschrieben (vgl. Schmid, 2005b, S. 1).

Umgang mit dem Geburtsschmerz Die Schmerztoleranz wird nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch durch die innere Haltung der Frau beeinflusst. Diese wirkt sich so auf das gesamte Geburtsgeschehen aus. Ist die Frau ängstlich, starr, bewegungslos und Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

In der Ruhe nach dem Sturm: das Neugeborene und seine professionellen Geburtshelferinnen. Foto: Martin Glauser

angespannt, führt dies zu einer verminderten Schmerztoleranz, manchmal bis hin zu einer Dystokie1 der Weichteile mit der Folge eines Geburtsstillstandes. Ein gutes Geburtserlebnis beschreiben häufig nicht die Frauen, die eine schmerzfreie Geburt erlebt haben, sondern die Frauen, die gut mit dem Geburtsschmerz umgehen konnten. Dazu ist es wichtig, die Wehen anzunehmen und sich treiben zu lassen. Eine Frau, die den Schmerz akzeptiert, um dessen Bedeutung weiß und motiviert ist, diesem zu begegnen, wird leichter in die Entspannung finden. Diese Entspannung bewirkt wiederum ein schnelleres Öffnen des Muttermunds und eine leichtere Austrittsphase. Manche Frauen geraten während der Geburtsarbeit in einen tranceähnlichen Zustand (vgl. Schmid, 2005b, S. 3). Das „Veratmen“ der Wehen und die Entspannung in den Wehenpausen führen zu einer Bewusstseinsveränderung, die sie die Zeit vergessen lassen und nach und nach zu ihrem Kind führen. Das Üben von mentalen Entspannungstechniken in der Geburtsvorbereitung kann hierbei hilfreich sein.

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Gestörter Geburtsverlauf bei erhöhtem Wiederstand der Weichteile (Anm. der Red.) © 2017 Hogrefe


Schwerpunkt

Den Fehler zu machen, eine schmerzfreie Geburt zu versprechen, bewirkt mangelnde Akzeptanz und fehlendes Verständnis für den Geburtsschmerz, wodurch der Teufelskreis von Angst-Spannung-Schmerz betreten wird. Dieser Ansatz stammt aus den 1930er Jahren von Dr. Grantly Dick-Read und beschreibt, dass Angst und Anspannung Schmerz erzeugt, der wiederum zu Angst vor dem Schmerz führt (vgl. Krauss-Lembcke, 2012, S. 204). Diesen zu durchbrechen ist häufig nur durch die kurzfristige Gabe von Schmerzmitteln möglich, was wiederum in den natürlichen Geburtsverlauf eingreift. Dadurch wird eventuell die physiologische Hormonausschüttung gehemmt. Daraus kann der Geburtsprozess ins Stocken geraten. Daher sollten Hebammen in der Geburtsvorbereitung eine realistische Erwartung wecken, ohne allerdings Angst zu erzeugen. Information über die Bedeutung und den Umgang mit dem Geburtsschmerz kann den Gebärenden helfen, eine positive Einstellung dem Schmerz gegenüber zu bewahren. Auch die Einstellung der Geburtshelfer und der bei der Geburt anwesenden Personen beeinflusst die Fähigkeit der Frauen, dem Schmerz zu begegnen. Der Gebärenden sollte zu jeder Zeit Zuversicht entgegengebracht und Mut zugesprochen werden. Ein aufrichtiges: „Du schaffst das!“, kann enorme Kräfte freisetzen. Dieses Vertrauen in sie und ihr Kind ist bereits der Schwangeren entgegenzubringen. Was kann den Frauen zusätzlich helfen den beschriebenen tranceähnlichen Zustand zu erreichen und gut mit dem Geburtsschmerz umzugehen? Wie kann die Entspannung gefördert werden?

„Um ein Kind zu bekommen, ist die gleiche Atmosphäre notwendig, wie um ein Kind zu machen.“ Dieses geflügelte Wort unter Hebammen beschreibt sehr schön, was Frauen brauchen, um in Ruhe und Entspannung gebären zu können. Ein Raum, der die Möglichkeit hat, das Licht zu dimmen, schöne Musik aufzulegen und in dem die Frau keine Angst haben muss, dass die Tür plötzlich aufgeht, führt zu einer Atmosphäre, in der sie sich fallen lassen kann, sich traut auch mal laut zu sein und so in den gewünschten tranceähnlichen Zustand finden kann (vgl. Schmid, 2005a, S. 60). Solche Aspekte werden in der Gestaltung von modernen Kreißsälen heutzutage auch meist beachtet. Die Geburt in Geborgenheit und Privatsphäre sowie die geringstmögliche Störung der Familie ist beispielsweise ein großer Vorteil der Hausgeburt. Die vertrauensvolle Beziehung zwischen Hebamme und Gebärender sowie zwischen Gebärender und ihrem Partner ist ebenso wichtig, damit eine Frau keine Scham empfindet und in vertrauter Zwischenmenschlichkeit ihr Kind gebären kann. Die Zuwendung durch die Anwesenden hilft den werdenden Müttern, Sicherheit und Geborgenheit zu empfinden und sich fallen zu lassen. Dies verringert Ängste und somit den Bedarf an Analgetika (vgl. Harder et al., 2012, S. 355). © 2017 Hogrefe

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Physiologische Methoden der Schmerzlinderung In der Geburtsvorbereitung werden meist Atemübungen mit den Frauen gemacht, sodass diese während der Wehenarbeit vorbereitet sind und in der Atemtechnik geübt. Da die Konzentration auf der Ausatmung liegen sollte, um Hyperventilation zu vermeiden, kann auch laut werden und tönen den Geburtsschmerz enorm erleichtern (vgl. Rosenberger et al., 2012, S. 352). Eine selbstgewählte Haltung und Bewegung können ebenfalls den Geburtsschmerz lindern. In einigen Kulturen gibt es sogar rituelle Tänze zur Geburt. Bewegung lenkt vom Schmerz ab und hilft, die Muskulatur zu lockern (vgl. Harder et al., 2012, S. 353). Die Fähigkeit einer Frau, in die notwendige Entspannung während der Geburt zu finden, verändert sich im Laufe des Geburtsvorgangs. Auch wenn es ihr anfangs noch leichtfällt, die Wehen gut zu „veratmen“, kann es sein, dass es im Laufe der Geburt, mit zunehmender Intensität, immer schwerer wird, die Wehen anzunehmen und zu akzeptieren. Für diese Situationen haben Geburtshelfer im Laufe der Jahrtausende viele Möglichkeiten entwickelt, um die Frauen zu unterstützen. Grundsätzlich sind alle Maßnahmen zu begrüßen, die eine größtmögliche Entspannung fördern. Die bekanntesten physiologischen Methoden zur Schmerzlinderung während der Wehenarbeit sind vor allem Wärmeanwendungen und Massagen wie beispielsweise ein Kirschkernkissen auf dem Kreuzbein, ein warmes Bad oder eine Massage in der Lendenwirbelgegend. Aber auch das Auflegen einer warmen Hand auf das Kreuzbein oder den Unterbauch kann schon helfen, den AngstSpannungs-Schmerz-Kreislauf zu durchbrechen (vgl. Harder et al., 2012, S. 345). Viele Hebammen haben außerdem Fortbildungen in Homöopathie, Akupunktur oder Aromatherapie und können auch auf diese Weisen Schmerzen lindern. Auch einfache Dinge wie Essen und Trinken und regelmäßige Leerung der Harnblase werden manchmal während der Geburtsarbeit vergessen, können jedoch zu größerem Wohlbefinden führen (vgl. Harder et al., 2012, S. 353).

Medikamentöse Methoden der Schmerzlinderung Neben den bereits genannten Möglichkeiten bietet die Schulmedizin noch eine ganze Palette an Medikamenten an, die auch während der Geburt verwendet werden können: Intravenöse oder intramuskuläre Gaben von Spasmolytka (z. B. Butylscopolamin) und Analgetika (z. B. Pethidin oder Tramadol) können unter strenger Indikation während der Geburt verabreicht werden (vgl. Harder et al., 2012, S. 356 ff). Auch der Einsatz von Lachgas, welches bereits in den 1980er Jahren weit verbreitet war, ist in manchen Kreißsälen wieder im Kommen (vgl. ebd.). Die effektivsten und verbreitetsten Analgesien sind allerdings Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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rückenmarksnahe Leitungsanästhesien wie PDA (Periduralanästhesie), SPA (Spinalanästhesie) oder CSE (combined spinal epidural anesthesia), welche bis hin zur völligen Schmerzausschaltung wirken können (vgl. ebd.). Bei allen Eingriffen in die Geburt ist immer der Einfluss auf das natürliche Geschehen wie die eventuell gehemmte Hormonproduktion zu beachten. Einige geburtshilfliche Situationen indizieren allerdings den Einsatz von Schmerzmitteln oder Leitungsanästhesien.

Fazit Der Schmerz während einer Geburt beschützt Mutter und Kind vor Verletzungen und sorgt für die nötigen Hormone, um den Geburtsvorgang voranzutreiben. Außerdem schüttet der Körper gleichzeitig mit dem Entstehen des Schmerzes Endorphine aus, die diesen erträglich machen. Entspannung ist enorm wichtig, um Schmerzen zu tolerieren. Hierbei spielen eine angenehme Atmosphäre und Vertrauen der Gebärenden in sich und ihr Kind eine große Rolle. Durch physiologische Methoden, wie Bewegung, Wärmeanwendungen und Massagen, kann dies unterstützt werden. Aber auch die Schulmedizin hat einige Schmerzmittel anzubieten, welche Frauen durch den Geburtsprozess begleiten können. Geburtsvorbereitung und Information der Schwangeren über all diese Vorgänge und Zusammenhänge können außerdem helfen, dass der Teufelskreis aus Angst, Spannung und Schmerz gar nicht erst in Bewegung gerät.

Schwerpunkt

Literatur Buckley, S. (2010). Geburt: „Deine Hormone helfen dir!“. In: Hebamme.ch. (4), S. 10–11 Krauss-Lembcke, S. (2012). Geburtsvorbereitung. Methoden der Geburtsvorbereitung. In: Stiefel, A. (Hg.): Hebammenkunde. (S. 204–206) Rosenberger, C. (2012): Der Geburtsvorgang. Wehenphysiologie. In: Stiefel, A. (Hg.). Hebammenkunde. (S. 268–275) Harder, U./ Lübke, M./ Rosenberger, C. /Steffen, G. (2012). Schmerzerleichterung während der Geburt. In: Stiefel, A. (Hg.). Hebammenkunde. (S. 349–362) Schmid, V. (2005a). Der Geburtsschmerz. Bedeutung und natürliche Methoden der Schmerzlinderung. In: Schmid, M. (Hg.). Stuttgart: Hippokrates-Verlag (Edition Hebamme) Schmid, V. (2005b): Der Schmerz als Geburtshelfer. Online verfügbar unter: http://verenaschmid.eu/de/artikel/der-schmerz-alsgeburtshelfer (letzter Zugriff am 17.10.2016) Stiefel, A. (Hg.) (2012). Hebammenkunde. Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. (5. Auflage). Stuttgart: Hippokrates Verlag. Stiefel, A. (2012). Überwachung von Schwangerschaft und Geburt. Tokographie. In: Stiefel, A. (Hg.). Hebammenkunde. (S. 761–762)

Lisa Kuch, Hebamme, BSc Hebammenkunde. Sie ist freiberuflich in der Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung tätig sowie angestellt im Kreißsaal des St. Elisabeth Krankenhauses Neuwied. Zur Zeit studiert sie im Masterstudiengang Pflegewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Lisa.Kuch@gmx.de

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Schwerpunkt

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Schmerz beim Frühgeborenen Anne Schmitt

Die Interpretation von Schmerz ist subjektiv (AAP, 2000) und ein komplexes mehrdimensionales Phänomen. Da es Säuglingen unmöglich ist, den subjektiven Schmerz zu artikulieren (Stevens et al., 1996), wird die Schmerzerfassung beim Neugeborenen als „subjektives Assessment“ angesehen (Pokela, 1994). Jede Person bildet sich ihre eigene Vorstellung von Schmerz. Wie Früh- und Neugeborene ihre Schmerzen beschreiben würden, kann nicht anhand persönlicher Berichte überprüft werden (AAP, 2000). Diese Kinder leiden im Stillen und haben ein erhöhtes Risiko, dass ihre Schmerzen nicht diagnostiziert werden. Auch wenn Anzeichen für Schmerzen nicht offensichtlich sind, heißt das nicht, dass sie keine Schmer-

Foto: Martin Glauser

zen haben (Fowler Byers & Thornley K., 2004). Die IASP erweitert ihre Definition von Schmerz deshalb durch: „Die Unfähigkeit, verbal zu kommunizieren, negiert nicht die Möglichkeit, dass ein Individuum Schmerzen erlebt und eine entsprechende schmerzlindernde Behandlung benötigt“ (IASP, 1994).

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ie körperlichen Auswirkungen und Spätfolgen des Schmerzes in der Früh- und Neugeborenenphase sind durch Studien belegt (Ambuel et al., 1992; AAP, 2000; Stevens & Franck, 2001; Mathew & Mathew, 2003). Sich wiederholende schmerzhafte Prozeduren rufen eine erhöhte primäre und sekundäre Schmerzempfindlichkeit bis zur Allodynie1 hervor. Diese Veränderungen gehen vom zentralen Nervensystem aus und führen zu dessen struktureller und funktionaler Reorganisation. Überschießende Stressreaktionen durch große Schmerzen, z. B. hervorgerufen durch Operationen ohne Analgesie, führten ehemals zu ernsten Komplikationen und auch zum Tod zu früh geborener Kinder. Diese Komplikationen können auch heute noch bei extrem unreifen Frühgeborenen und sehr kranken Neugeborenen besorgniserregende Folgen haben, da sie deren physiologische Stabilität äußerst kritisch beeinflussen. Selbst nach einzelnen schmerzhaften Ereignissen während der Neonatalperiode wurde von Änderungen im Schlaf/Wachrhythmus, im Trinkverhalten und der Mutter-Kind-Interaktionen berichtet (Stevens, 2001). Im Allgemeinen wird festgestellt, dass der Fokus des therapeutischen Teams eher auf der Schmerzbehandlung als auf der © 2017 Hogrefe

systematischen Prävention des Schmerzes liegt (Simons et al., 2003). Der Schmerz wird erst behandelt, wenn er auftritt (vgl. AAP, 2000). Die Angst vor Nebenwirkungen und toxischen Effekten ist auch heute noch Grund für eine inadäquate medikamentöse Schmerzbehandlung bei Frühund Neugeborenen.

Schmerzbesonderheiten bei extrem unreifen Frühgeborenen Es wird traditionell angenommen, dass extrem unreife Frühgeborene weniger in der Lage sind, Schmerz zu erleben und zu interpretieren als ältere Kinder oder Erwachsene. Diese Annahme ist jedoch falsch. Die physiologischen und biochemischen Voraussetzungen der Nociceptoren sind bereits im Uterus vorhanden, so dass ab der Geburt das Neugeborene in der Lage ist, physiologische und verhaltensbedingte Reaktionen auf Schmerzen zu zeigen (RCN, 2009). Auf den neonatologischen Intensivstationen in Deutschland werden immer mehr Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit behandelt, die in etwa bei der 22. SSW liegt. Die Schmerzreaktionen extrem unreifer Frühgeborener sind gekennzeichnet durch ihre geringen energetischen Ressourcen und ihre fehlenden Reaktionsmöglichkeiten („non reactive“, „emotional black

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Schmerz durch einen Stimulus, der normalerweise nicht schmerzhaft ist. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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box“, „a blank face“ und „pausity of movements“). Faktoren wie das Gestationsalter, die Schwere der Erkrankung oder die medikamentöse Therapie beeinflussen Schmerzreaktionen bei Frühgeborenen und müssen folglich beachtet werden (Schmitt, 2011).

Schmerzerfassung als moralisches Handeln Es liegt also nach wie vor eine Neigung des ärztlichen und pflegerischen Personals vor, Schmerzen bei Frühgeborenen als unwahrscheinlicher einzustufen. Diese Patientengruppe ist aber davon abhängig, dass Andere ihren Schmerz erkennen. Das Pflegefachpersonal kann neonatalen Schmerz diagnostizieren, indem sie die Früh- und Neugeborenen in Bezug auf Veränderungen in ihrem Verhalten, des Aussehens, der Aktivität und der Vitalparameter hin beobachten (AAP, 2000; RCN, 2009). Aus dem Erkennen, Auslegen (Hermeneutik) und Verstehen der individuellen (Schmerz-) Situation kleiner Früh- und kranker Neugeborener muss durch entsprechende Diagnosekonzepte pflegerisches Handeln als moralisches Erfordernis erfolgen (vgl. Schrems, 2003; Streyl, 2000). Bartholomeyczik und Hunstein (2006) bezeichnen dies als „pflegerische Diagnostik mit Folgen“. Das Royal College of Nursing (RCN) hat reliable und valide Instrumente zur Erfassung der Schmerzintensität bei Neugeborenen identifiziert und evidenz-basierte Leitlinien zur Erfassung von Schmerzen bei Kindern entwickelt (RCN, 2009). Gefordert werden: 1. Wachsam sein, um Schmerzen zu erkennen; bei Neugeborenen und Kindern sollte jederzeit mit Schmerzen gerechnet werden 2. Verwendung geeigneter Schmerzerfassungsinstrumente bei Kindern, die nicht selbst ihre Schmerzen mitteilen können 3. Werden Schmerzen vermutet oder erwartet, muss ein validiertes Schmerzassessment zur Anwendung kommen. Es muss mehrdimensional gemessen werden (Veränderungen im Verhalten, des Aussehens, der Aktivität und der Vitalzeichen), Indikatoren einer Dimension alleine sind zur Schmerzerfassung bei Früh- und Neugeborenen nicht ausreichend. Kein einzelnes Instrument kann für die Schmerzerfassung bei allen Kindern und in jedem Kontext empfohlen werden. 4. Schmerzen sollen in regelmäßigen Abständen erfasst, berichtet und neu bewertet werden; die Häufigkeit der Erfassung sollte in Abhängigkeit zu den individuellen Bedürfnissen des Kindes und des Settings festgelegt sein. Sprache, ethnische Zugehörigkeit und kulturelle Faktoren können das Ausdrücken und Erkennen von Schmerzen beeinflussen.

Anforderungen an Assessmentinstrumente Die kritische Bewertung von Assessmentinstrumenten richtet sich auf die inhaltlich-theoretische Fundierung: Das Instrument muss pflegerelevant, praxistauglich und Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

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handlungsleitend sein und vor allem als „Werk mit Zahlen“ hinterfragt werden (Bartholomeyczik, 2006). Für ein Schmerzerfassungsinstrument, das in der klinischen Praxis verwendet wird, müssen die psychometrischen Eigenschaften Reliabilität, Validität, Durchführbarkeit bzw. Machbarkeit (Feasibility) und der klinische Nutzen (clinical utility) (Gibbins Stevens & Asztalos, 2003) überprüft sein. Die Darstellung der Interrater-Reliabilität oder auch Beobachterüberstimmung ist vor allem dann notwendig, wenn eine Fremdbeurteilung durchgeführt wird (Müller, 2011). Es sollte eine Überprüfung der Reliabilität erfolgen in Bezug auf die „Angemessenheit von Übereinstimmungsparametern“ und die Art und die Begründung, warum ein bestimmter Reliabilitätstest durchgeführt wurde (vgl. Bartholomeyczik, 2006). Ein Instrument darf je nach Anwender nicht zu unterschiedlichen Patienteneinschätzungen führen (Mayer, Brandenburg & Panfil, 2013). Bewerten zwei voneinander unabhängige Beobachterinnen ein Phänomen übereinstimmend, so misst das Instrument wahrscheinlich genau und zuverlässig, also reliabel (Polit, Beck & Hungler, 2004; Mayer & Panfil, 2013). Somit ist gerade die Interrater-Reliabilität aus diagnostischer Sicht von größter Bedeutung, da unterschiedliche diagnostische Urteile durch Pflegende eher als selbstverständlich angesehen werden. Das wäre in Ordnung, wenn die Unterschiede inhaltlich begründet werden. Davor steht das einheitliche Verständnis der in den Instrumenten verwendeten Begriffe, deshalb müssen englischsprachige Skalen auch deutschsprachig getestet werden (Bartholomeyczik, 2007). Assessmentinstrumente, die für reife Neugeborene validiert wurden, müssen nicht auch für Frühgeborene geeignet sein (RCN, 2009). So existiert kein Goldstandard zur Schmerzerfassung bei (beatmeten) Frühgeborenen, also ein Instrument, das eindeutig anderen überlegen ist (Anand, 2007; Blount et al., 2009; Cignacco et al., 2008; AWMF-Leitlinie, 2015). Es fehlt im deutschsprachigen Raum überhaupt an geeigneten und ausreichend evaluierten Instrumenten der Schmerzerfassung für die besonders vulnerable Patientengruppe der (beatmeten) sehr kleinen Früh- und kritisch kranken Neugeborenen. Für die Patientengruppe ab der 22. SSW steht auch im englischsprachigen Raum kein ausreichend valides und zuverlässiges Schmerzerfassungsinstrument zur Verfügung. Daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert (Schmitt, 2011, Schmitt, 2014; AWMF-Leitlinie, 2015). Wenn kein geeignetes Assessment zur Verfügung steht, tendiert man heute eher dazu, gut validierte Instrumente bei Bedarf in die eigene Sprache zu übersetzen als ein neues Instrument zu entwickeln (Mahler et al., 2009). Bis 2014 war keines der im angloamerikanischen Raum benutzten Schmerzerfassungsinstrumente für Früh- und Neugeborene für den deutschsprachigen Raum testtheoretisch fundiert in Bezug auf Kultur und Sprache (vgl. Schmitt, 2011). Nur wenige Instrumente wurden bisher überhaupt testtheoretisch in eine andere Sprache übersetzt und anschließend validiert. Ausnahmen sind das Premature Infant Pain Profile (PIPP) und der COMFORT Scale, die als besonders robust angesehen werden und © 2017 Hogrefe


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deshalb für Übersetzungen geeignet (RCN, 2009; Schmitt, 2011). Das PIPP wurde aus dem Englischen ins Isländische, Norwegische und Deutsche übersetzt (Jonsdottir & Kristjansdottir, 2005; Vederhus, Eide & Natvig, 2006; Schmitt, 2014) und der CONFORT Scale soll in der niederländischen Sprache validiert sein. Für die meisten Schmerzerfassungsinstrumente ist die translinguale bzw. kulturelle Gültigkeit jedoch unklar (RCN, 2009). Als Ergebnis von Literaturanalysen wurde für die Schmerzerfassung auch bei sehr unreifen Frühgeborenen der Berner Schmerzscore für Neugeborene (BSN), der COMFORT neo Scale und das PIPP favorisiert (Schmitt, 2011), wobei der BSN in deutscher Sprache entwickelt und validiert wurde (Cignacco, Mueller & Gessler, 2004). Einschränkend wurde festgestellt, dass der Einfluss kontextueller Faktoren wie das Gestationsalter und die damit verbundene Unreife des Zentralen Nervensystems, sowie der Einfluss der Schwere der Erkrankung und der Bewusstseinslage auf die Ausdrucksfähigkeit (expression) von Schmerzen nicht umfassend geklärt ist. Das PIPP erfasst das Gestationsalter, der BSN und COMFORT neo nicht (Schmitt, 2011). In der AWMF S3 Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin werden ebenfalls die Instrumente BSN, COMFORT neo und das PIPP im Zusammenhang mit der Erfassung von Sediertiefe und Schmerz bei Früh- und Neugeborenen aufgeführt (AWMFLeitlinie, 2015). Den BSN hat das RCN in seiner Überprüfung von Schmerzinstrumenten für die Neonatologie letztendlich ausgeschlossen, weil sich die Validierungsstudie von Cignaccio et al (2004) auf Videoaufnahmen beziehe (RCN, 2009). Trotzdem gilt der BSN als gut testtheoretisch überprüftes Instrument für den deutschsprachigen Raum (Schmitt, 2014; AWMF-Leitlinie, 2015). Für das COMFORT neo gilt, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass die Skala für den deutschen Sprachraum testtheoretisch in Bezug auf Sprache und Kultur validiert ist. Es wurden auch keine Hinweise gefunden, ob das COMFORT neo Score an die niederländische Sprache und Kultur testtheoretisch validiert ist (Ambuel et al., 1992; Blauer & Gerstmann, 1998; van Dijk et al., 2000; van Dijk et al., 2009). Auf der Grundlage von Literaturanalysen konnte festgestellt werden, dass das englischsprachige Premature infant pain profile (PIPP) ein reliables und valides Schmerzerfassungsinstrument für Früh- und Neugeborene ist, das in zahlreichen Studien überprüft wurde. Aus diesem Grund wurde das PIPP in die deutsche Sprache übersetzt und in einem Pretest einer ersten Validierung unterzogen. Ergebnis des Übersetzungs- und Adaptationsprozesses ist das G-PIPP (German-PIPP) (Schmitt, 2014). Mit dem G-PIPP steht ein Schmerzerfassungsinstrument für den deutschen Sprachraum zur Verfügung, das Schmerzen bei beatmeten und kranken Früh- und Neugeborenen valide und reliabel misst. Die Ergebnisse müssen jedoch an einer größeren Stichprobe überprüft werden. Eine kritische Reflexion zeigte auch, dass der BSN, das PIPP und das G-PIPP Schwächen in der Durchführbarkeit zeigen, was auch auf andere Instrument in der Neonatolo© 2017 Hogrefe

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gie zutrifft (vgl. Schmitt, 2014). Aus diesem Grund haben die Entwickler des PIPP eine überarbeitete Version, das PIPP-R (PIPP-Revised), zur Verfügung gestellt (Gibbins et al., 2014; Stevens et al., 2014). Das PIPP, PIPP-R und GPIPP sind aber wahrscheinlich nicht in der Lage, die Schmerzen in der Patientengruppe der Frühgeborenen an der Grenze der Lebensfähigkeit valide zu messen. Es muss weitere Forschung erfolgen, wie Schmerzen in dieser Patientengruppe gemessen werden können. Da eine objektive und valide Schmerzmessung bei Früh- und kranken Neugeborenen so schwierig ist, ist die Patientengruppe darauf angewiesen, dass „Andere“ ihre Schmerzen erkennen. Diese Schmerzerfassung hat subjektiven Charakter und erfordert die Expertise und das Engagement derjenigen, die für die pflegerische und medizinische Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe verantwortlich sind.

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Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

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Anne Schmitt, Kinderkrankenschwester, Medizinische Dokumentationsassistentin, Weiterbildung zur Pflegedienstleitung, Bachelor (B.A.) in Pflegeexpertise und Pflegewissenschaft, Master (M.Sc.) in Advanced Nursing Practice. Sie arbeitet als Gesundheits- und Kinderkrankenschwester in der klinischen Pflegepraxis einer Kinderintensivstation, als Lehrbeauftrage für besondere Aufgaben an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Fakultät Sozialwissenschaften, Department Gesundheit und Pflege AnneHelga.Schmitt@t-online.de

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Schmerzmanagement in der Kinderkrankenpflege – Der Wissensstand von Pflegekräften Jens Riede

Ein adäquates Schmerzmanagement gehört zu den Hauptaufgaben von Pflegekräften in der Pädiatrie. Dennoch kommt es hier immer wieder zu einer Unterversorgung. Als Grund hierfür wird auch mangelndes Wissen genannt. Der vorliegende Artikel basiert auf einer Untersuchung des Wissensstands von Pflegekräften, mit der deutschen Version des PNKAS-Sr 20021. Die Studienergebnisse zeigen, dass Alter, Berufserfahrung und Fachweiterbildung einen Einfluss auf den Wissensstand haben. Gleichwohl bedarf es Verbesserungen in der Aus- und Fortbildung, um ein gutes Schmerzmanagement zu gewährleisten.

S

chmerz ist ein individuelles Stress- und Gefühlserlebnis. Ist er auch ein Warnsignal, kann er auch Auswirkungen auf das physische, psychische und soziale Befinden haben (DGSS, 2007; DNQP, 2011). Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen können wiederholte Schmerzreize oder länger anhaltende Schmerzen zu Entwicklungsstörungen, psychosozialen Belastungen sowie chronischen Schmerzen führen (ebd.). Dass Schmerzen im Kindes- und Jugendalter ein häufiges Phänomen sind und zu einer erhöhten Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung führen, zeigt das Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) mit dem Fragebogenteil Schmerzen. In der Befragung gaben 71,1 % der 3- bis 17-Jährigen an, in den letzten drei Monaten vor der Befragung Schmerzen gehabt zu haben. Ob dabei die professionellen Dienste des Gesundheitssystems in Anspruch genommen wurden, gaben 54,1 % der Eltern von 3- bis 10-jährigen Kindern und 35,9 % der 11- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen an. Sie hatten aufgrund von Schmerzen einen Arzt aufgesucht (Ellert, Neuhauser & Roth-Isigkeit, 2007). Pflege bedingt einen kontinuierlichen und engen Patientenkontakt. So gehört das Schmerzmanagement im Krankenhaus mit zu den Hauptaufgaben von Pflegekräften (DNQP, 2011; Menke, Hechler & Zernikow, 2011). Besonders in der Pädiatrie nehmen Kinderkrankenpflegekräfte eine zentrale Rolle im Schmerzmanagement ein.

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Foto: Martin Glauser

Dem Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen zufolge setzt ein adäquates Schmerzmanagement voraus: „dass insbesondere Einschätzungsverfahren, Interventionen und Patienteninformationsund Schulungsinhalte der jeweiligen Schmerzform und dem individuellen Schmerzerleben des Patienten/Bewohners angepasst sind“ (DNQP, 2011, S. 58). „Trotz vorhandener Standards, gesetzlicher Vorgaben und Leitlinien zu unterschiedlichen Schmerzphänomenen bzw. für spezifische Personengruppen zeigt sich, dass weiterhin eine Unterversorgung von Schmerzen in allen Versorgungsbereichen vorzufinden ist“ (DNQP, 2011, S. 47). Als Gründe hierfür werden u. a. mangelndes Wissen und eine fehlende systematische Schmerzeinschätzung genannt (ebd.). Vor diesem Hintergrund wurde der Frage nachgegangen, wie der Wissensstand von Pflegekräften in der Kinderkrankenpflege hinsichtlich des Schmerzmanagements ist. Untersucht wurde, ob das Alter, die Berufserfahrung und die Absolvierung einer Fachweiterbildung einen Einfluss auf den Wissensstand haben.

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Pediatric Nurses‘ Knowledge and Attitudes Survey Regarding Pain Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Stand der Literatur Ausgehend von der Fragestellung wurden Lehr- und Fachbüchern sowie Fachzeitschriften gesichtet und ausgewertet sowie eine systematische Datenbankrecherche zur Erfassung des aktuellen Forschungsstandes durchgeführt. Insgesamt wurden neun Studien gefunden, hiervon ein Literaturreview und acht Querschnittsstudien, die den Wissensstand von Kinderkrankenpflegekräften hinsichtlich des Schmerzmanagements untersuchten. Einzelne Studien untersuchten dabei mögliche Einflussfaktoren auf den Wissensstand. So zeigte die Studie von Riemann und Gordon (2007), dass Pflegekräfte, deren Abschluss 10–15 Jahre zurücklag, ein besseres Testergebnis hatten als ihre Kollegen, deren Abschluss höchstens zwei Jahre zurücklag. Ein weiterer Unterschied lag darin, ob die Pflegekräfte in Pflegeverbänden oder -organisationen Mitglieder waren. Diejenigen, die partizipierten, hatten signifikant bessere Testergebnisse. Auch die Studie von Stanley und Pollard (2013) zeigte für organisierte Pflegekräfte bessere Ergebnisse. Die Studie von Lützau et al. (2011) zeigte, dass Pflegende mit einer Fachweiterbildung bessere Ergebnisse hatten als Pflegende ohne Fachweiterbildung. Ebenso spielte die Berufserfahrung eine Rolle. Pflegende mit einer sechs- bis zehnjährigen Berufserfahrung hatten ebenfalls bessere Ergebnisse als diejenigen mit weniger als sechs Jahren und mehr als 15 Jahren Berufserfahrung. Einschränkungen erfährt die Literaturübersicht dadurch, dass ein direkter Vergleich der Studien aufgrund der Nutzung unterschiedlicher Fragebögen und teils fehlender statistischer Angaben nicht möglich war. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass das Wissen, ein adäquates pflegerisches Schmerzmanagement durchzuführen, nicht ausreichend ist. Die Wissensdefizite zeigen sich insbesondere in den Bereichen Pharmakologie, nichtpharmakologische Interventionen und Nebenwirkungen.

Studienmethodik und Studiendesign Die Querschnitts-Studie ist deskriptiv-komparativ (beschreibend und vergleichend) angelegt. Zur Ermittlung des Wissensstands und Überprüfung der Einflussgrößen wurde neben einem Fragebogen zur Erhebung der soziodemografischen Daten der Studienteilnehmenden die modifizierte deutsche Version des PNKAS-Sr 2002 (Lützau et al., 2010) benutzt. Hierbei handelt es sich um einen Fragebogen mit insgesamt 29 Items, hiervon 20 Richtig/Falsch-Fragen, sieben Multiple-Choice-Fragen und zwei Fallbeispielen. „Die 29 Items des Fragebogens lassen sich, angelehnt an den Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege, in die Kategorien pharmakologische Interventionen, nichtpharmakologische Interventionen, Schmerzerfassung, Nebenwirkung sowie Schulung und Beratung zuordnen“ (Lützau, et al., 2011, 423). Stichprobe: Durchgeführt wurde die Studie an zwei Krankenhäusern im Ruhrgebiet mit pädiatrischen, chirurgischen Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

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und neonatologischen Stationen. Von 115 verteilten Fragebögen kamen 34 ausgefüllte Bögen zurück, was einer Rücklaufquote von 29,57 % entspricht. Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmenden betrug 33,75 Jahre. 30 der Teilnehmenden hatten eine abgeschlossene Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger (GKKP) bzw. Kinderkrankenpfleger. Vier Teilnehmende befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung noch in der Ausbildung zum GKKP. Elf der 30 ausgebildeten GKKP hatten eine Fachweiterbildung. Die Berufserfahrung inklusive Ausbildungszeit lag durchschnittlich bei 14,24 Jahren. Bei den fachweitergebildeten Teilnehmenden lag das Mittel der Berufserfahrung seit Abschluss der Fachweiterbildung bei 7,41 Jahren. Datenanalyse: Die Analyse der Daten erfolgte mittels Microsoft Excel 2013® und IBM® SPSS® Statistics 22.0. Für die deskriptive Analyse der soziodemografischen Daten und des Gesamtergebnisses des Fragebogens sowie der einzelnen Kategorien wurden Häufigkeiten, Mittelwert, Standardabweichung und Spannweite berechnet.

Ergebnisse Im Durchschnitt beantworteten die Studienteilnehmenden 20,35 von insgesamt 29 Fragen korrekt (70,18 %). (Minimum 48,28 % [n = 1], Maximum 89,66 % [n = 1]. Betrachtet man die einzelnen Kategorien, die der Fragebogen abbildet, zeigt sich, dass das beste Ergebnis im Bereich Schulung und Beratung (78,82 %) und das schlechteste Ergebnis im Bereich der Nebenwirkungen (46,08 %) erzielt wurde. Einen detaillierten Überblick über die Ergebnisse pro Kategorie und das Gesamtergebnis liefert Tabelle 1. Einflussgröße Alter: Die Auswertung der Altersgruppen ergab, dass die Gruppe der 36- bis 45-jährigen Studienteilnehmenden (n = 9) mit einem Mittelwert von 75,86 % richtigen Antworten das beste Gesamtergebnis erzielte. Am schlechtesten schnitt die Gruppe der 46- bis 67-Jährigen (n = 5) mit durchschnittlich 64,83 % ab. Eine Übersicht der richtigen Antworten nach Kategorie und Altersgruppe zeigt Tabelle 2. Einflussgröße Berufserfahrung: Betrachtet man die Berufserfahrung der Studienteilnehmenden, dann zeigt sich, dass diejenigen mit 10–15 Jahren Berufserfahrung (n = 2) das beste Ergebnis zeigten: sowohl insgesamt (75,86 %) als auch in den Kategorien Schulung & Beratung (100,00 %), Nebenwirkungen (66,67 %) und Nichtpharmakologische Interventionen (75,00 %). Das niedrigste Ergebnis hatte die Gruppe mit 0–6 Jahren Berufserfahrung (n = 10) (67,24 %), ebenso wie in der Kategorie Schmerzerfassung (67,50 %). Die Teilnehmenden mit 6–10 Jahren Berufserfahrung (n = 6) hatte in der Kategorie Schmerzerfassung (83,33 %) das höchste und bei den Fragen zu den Nebenwirkungen das niedrigste Ergebnis (27,78 %). Im Bereich Pharmakologische Interventionen erzielte die Gruppe mit mehr als © 2017 Hogrefe


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15 Jahren Berufserfahrung (n = 16) mit 84,03 % das höchste Testergebnis.

wissenschaftlichen Erkenntnisse und des seit 2005 vorliegenden Expertenstandards zeigen die Studienergebnisse, dass sich der Wissensstand im Schmerzmanagement bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren nicht verbessert hat und pädiatrische Pflegekräfte über ein teilweise nur unzureichendes Wissen in diesem Bereich verfügen.

Einflussgröße Fachweiterbildung: Bei der Betrachtung, inwieweit eine abgeschlossene Fachweiterbildung den Wissensstand beeinflusst, wurden diejenigen Studienteilnehmenden, die sich noch in der Ausbildung befanden (n = 4), mit zu den GKKP ohne Fachweiterbildung gerechnet. Eine alternative Analyse bezog die Auszubildenden nicht mit ein. Hier zeigten sich nur veränderte Prozentzahlen, nicht jedoch ein anderes Ergebnis. Mit Ausnahme der Kategorie Nichtpharmakologische Interventionen erreichte die Gruppe mit Fachweiterbildung (n = 11) die besten Ergebnisse sowohl insgesamt als auch in den anderen vier Kategorien.

Während die durchschnittlichen Ergebnisse für die Kategorien Schmerzerfassung (70,96 %), Schulung & Beratung (78,82 %) sowie Pharmakologische Interventionen (76,80 %) auf einen relativ guten Basiswissensstand bei den Pflegekräften hindeuten, weisen sie für die Kategorie Nichtpharmakologische Interventionen (61,03 %) und insbesondere für die Nebenwirkungen (46,08 %) große Wissensdefizite auf und korrespondieren diesbezüglich mit den Quellen der Literaturrecherche. Mit Ausnahme der Kategorie Nichtpharmakologische Interventionen erzielten die Pflegekräfte mit Fachweiterbildung bessere Ergebnisse als ihre Kollegen ohne Fachweiterbildung. In der Kategorie Pharmakologische Interventionen ist dieser Unterschied signifikant. Ein Grund für dieses Ergebnis könnte sein, dass die Fachweiterbildung die Inhalte der Anästhesie und der prä-, intra- und postoperativen Pflege vertieft. Dies erklärt aber nicht das unterdurchschnittliche Ergebnis in der Kategorie Nebenwirkungen als Teil der Pharmakologie, so dass

Diskussion Der vorliegende Artikel geht der Frage nach dem Wissensstand von Pflegekräften hinsichtlich des Schmerzmanagements in der Kinderkrankenpflege nach. Mit durchschnittlich 70,18 % richtig beantworteter Fragen ähneln die Ergebnisse dieser Studie denen in der Literatur gefundenen Ergebnissen von Lützau et al. (2011), Riemann und Gordon (2007) und Stanley und Pollard (2013). Trotz der bisherigen

Tabelle 1. Ergebnisse insgesamt und nach Kategorien Kategorie

M (%)

Min (%)

Max (%)

Schmerzerfassung (n = 8)

70.96

25.00 (n = 1)

100.00 (n = 5)

Schulung und Beratung (n = 5)

78.82

40.00 (n = 1)

100.00 (n = 9)

Pharmakologische Interventionen (n = 9)

76.80

55.56 (n = 3)

100.00 (n = 3)

Nebenwirkungen (n = 3)

46.08

0.00 (n = 5)

100.00 (n = 5)

Nichtpharmakologische Interventionen (n = 4)

61.03

25.00 (n = 3)

100.00 (n = 4)

Insgesamt (n = 29)

70.18

48.28 (n = 1)

89.66 (n = 1)

Min: Minimum richtige Antworten

Max: Maximum richtige Antworten

Tabelle 2. Ergebnisse nach Altersgruppen Kategorie

19–25 Jahre (n = 8) M %

26–35 Jahre (n = 10) M %

36–45 Jahre (n = 9) M %

46–67 Jahre (n = 5) M %

Insgesamt

67.67

71.72

75.86

64.83

Schmerzerfassung

73.44

75.00

75.00

65.00

Schulung & Beratung

72.50

92.00

77.78

68.00

Pharmakologische Intervention

75.00

68.89

86.42

80.00

Nebenwirkungen

37.55

40.00

55.56

46.67

Nichtpharmakologische Interventionen

56.25

70.00

66.67

40.00

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diesbezüglich weiterer Forschungsbedarf besteht. Betrachtet man das Alter als Einflussgröße auf das Testergebnis, so zeigt sich, dass die Gruppen der 26- bis 35-jährigen (n = 10) und 36- bis 45-jährigen Teilnehmenden (n = 9) grundsätzlich die besten Ergebnisse haben. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass in diesen beiden Gruppen (n = 19) 8 Pflegekräfte über eine Fachweiterbildung verfügen. Signifikant sind die Unterschiede in den Kategorien Schulung & Beratung, Pharmakologische sowie Nichtpharmakologische Interventionen. In der Kategorie Schulung & Beratung zeigte die Gruppe der 26- bis 35-jährigen Teilnehmenden ein besseres Ergebnis als die Gruppe der 19- bis 25-jährigen (n = 8) und die der 46- bis 67-jährigen Teilnehmenden (n = 5). Möglicherweise konnten die Teilnehmenden aus der Gruppe der Jüngsten ein Defizit in der Ausbildung noch nicht durch die praktische Erfahrung kompensieren – im Gegensatz zu ihren älteren Kollegen. Der Unterschied zwischen den 26- bis 35- jährigen Teilnehmenden und der ältesten Gruppe könnte daran liegen, dass die jüngeren Kollegen mehr Wissen über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse haben als ihre älteren Kollegen, insbesondere durch Fachweiterbildungen, da in dieser Gruppe mehr fachweitergebildete Pflegekräfte sind. In der Kategorie Pharmakologische Interventionen hat die Gruppe der 36- bis 45-jährigen Teilnehmenden bessere Ergebnisse als ihre Kollegen im Alter zwischen 26 und 35 Jahren. Die 26- bis 35-jährigen Teilnehmenden zeigten gegenüber ihren Kollegen im Alter zwischen 46 und 67 Jahren in der Kategorie Nichtpharmakologische Interventionen mehr Wissen auf, möglicherweise durch die zeitliche Nähe zu der Ausbildung. Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass die Mehrheit der Pflegekräfte den Kindern und Jugendlichen die Kompetenz abspricht, ihr Schmerzempfinden richtig einzuschätzen. Stattdessen trifft die Pflegekraft selbst die Entscheidung, ob das Kind Schmerzen hat oder nicht. Diese Problematik wird auch im Expertenstandard (DNQP, 2011) angesprochen. Die Studie liefert keine Daten zu den Ursachen der Ergebnisse. Das weist auf weiteren Forschungsbedarf hin, die Gründe zu hinterfragen und entsprechende Interventionen zu entwickeln. Die Ergebnisse der Literaturrecherche und dieser Studie sowie die Tatsache, dass Schmerzen ein häufiges Phänomen im Kindes- und Jugendalter sind und zu Einschränkungen in der Lebensqualität führen können, führen zu der Schlussfolgerung, dass es zwingend an Nachbesserungen in der Aus- und Weiterbildung der Pflegeberufe bedarf.

Kritische Würdigung Der Forscher und Autor dieses Beitrages ist auf drei der teilnehmenden Stationen bekannt. Möglicherweise kann es dadurch zu einer ungewollten Einflussnahme an der Teilnahme zur Studie gekommen sein, was die Studienergebnisse einschränkt. Auch kann nicht beurteilt werden,

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ob Hilfsmittel genutzt wurden oder die Teilnehmenden sich untereinander ausgetauscht haben, wodurch es möglicherweise zu einer Verzerrung der Ergebnisse gekommen ist. Das Studienergebnis deutet jedoch nicht darauf hin. Des Weiteren sind die Studienergebnisse nicht auf die Gesamtheit der in Deutschland tätigen Pflegekräfte übertragbar, weil die Auswahl der Studienpopulation selektiv erfolgte. Zudem war die Teilnahme an der Studie freiwillig. Dies spiegelt sich möglicherweise in der Rücklaufquote (29,57 %) wider. Ein Grund für die niedrige Rücklaufquote könnte darin liegen, dass der Autor die Studie nicht ausreichend auf den einzelnen Stationen bekannt gemacht hatte bzw. diejenigen Pflegekräfte, die bei der Vorstellung nicht anwesend waren, keine Kenntnis von der Studie erlangten. Möglicherweise erschien das Ausfüllen des Fragebogens zu aufwendig oder der Fragebogen wurde als zu schwer empfunden, weshalb eine Studienteilnahme nicht erfolgte. Hinzu kommt eine Ungleichverteilung in den betrachteten Gruppen, so dass statistische Auswertungen nur beschränkt möglich waren.

Literatur Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e. V. (DGSS). (Hrsg.). (2007). Ethik-Charta der DGSS. Köln: Deutscher Schmerzverlag. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). (Hrsg.). (2011). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen (1. Aktualisierung 2011). Osnabrück. Ellert, U., Neuhauser, H. & Roth-Isigkeit, A. (2007). Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Prävalenz und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Bundesgesundheitsblatt 2007 (50), 711–717. Lützau, P. von, Hechler, T., Herzog, S., Menke, A. & Zernikow, B. (2011). Pädiatrische Schmerztherapie. Wie ist der Wissensstand von Pflegekräften? Der Schmerz, 25 (4), 423–433. Lützau, P. von, Herzog, S., Hechler, T. & Zernikow, B. (2010, Oktober). Kenntnisse im pflegerischen Schmerzmanagement bei Kindern – Übersetzung und Überprüfung des PNKAS-Sr 2002 (Poster). Deutscher Schmerzkongress 2010. Congress Center Rosengarten. 06.-09.10.2010. Mannheim. Menke, A., Hechler, T. & Zernikow, B. (2011). Schmerzen bei Frühgeborenen, Kindern und Jugendlichen. In M. Thomm (Hrsg.), Schmerzmanagement in der Pflege (S. 201–215). Berlin, Heidelberg: Springer. Rieman, M. T. & Gordon, M. (2007). Pain Management Competency Evidenced By a Survey of Pediatric Nurses’ Knowledge and Attitudes. Pediatric Nursing, 33 (4), 307–312. Stanley, M. & Pollard, D. (2013). Relationship Between Knowledge, Attitudes, and Self-Efficacy of Nurses In the Management of Pediatric Pain. Pediatric Nursing, 39 (4), 165–171. Jens Riede, BSc, LL.B., Gesundheitsund Kinderkrankenpfleger, Student Masterstudiengang Evidence-based Health Care an der hsg Bochum jriede@hs-gesundheit.de

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Schmerzen im Alter – auch eine Frage des Schmerzassessments? Erika Sirsch, Irmela Gnass, Marjan Laekeman, Thomas Fischer

Schmerzen sind in allen Lebensphasen für die betroffenen Personen beeinträchtigend. Besonders im Alter hat Schmerz Einfluss auf die Mobilität und viele andere Dinge, die Menschen zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben wichtig sind. Umso wichtiger ist für diese Personengruppe die Erfassung und Einschätzung von Schmerz sowie die daran anschließende angemessene und der Situation der betroffenen Person angepasste Behandlung des Schmerzes.

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ennoch kommt es bei vielen alten Menschen zu schmerzhaften Zuständen, die sie in ihrer Lebensqualität beeinträchtigen. Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass bis zu 80 Prozent der in Einrichtungen der stationären Altenhilfe lebenden Menschen an Schmerzen leiden (Takai, Yamamoto-Mitani et al. 2010, Osterbrink, Hufnagel et al. 2012). In der Charta der Rechte der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen ist auch das Recht auf Schmerzmanagement bei alten Menschen verankert (Bundesministerium für Familie 2014). Dort heißt es in Artikel 4: Pflege, Betreuung und Behandlung: „Sowohl Ihre akuten als auch Ihre chronischen Schmerzen und belastenden Symptome wie beispielsweise Atemnot und Übelkeit müssen fachgerecht behandelt und soweit wie möglich gelindert werden. Dazu gehört, dass im Rahmen Ihrer Pflege und Behandlung Anzeichen von Schmerzen sowie belastende Symptome erkannt und adäquate Therapien koordiniert bzw. durchgeführt werden.“ Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Es existieren viele Mythen, die die Erfassung und Behandlung von Schmerz bei alten Menschen beeinflussen und erschweren. So werden Schmerzen von den betroffenen alten Menschen, aber auch von Pflegenden und Ärzten, häufig als zum Alter gehörend betrachtet, Schmerzen gehören „einfach zum Alter dazu“. Zudem berichten alte Menschen ihre Schmerzen oft nicht, weil sie Pflegenden nicht zur Last fallen wollen, sie möchten nicht als „Störer“ gelten und glauben, Pflegende müssten schon wissen, wann sie Schmerzen haben. Alte Menschen können © 2017 Hogrefe

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Angst haben, dass sie von Schmerzmedikamenten abhängig werden oder wissen nicht, wie Medikamente sachgerecht eingenommen werden sollten (Schreier, Stering et al. 2015). Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Schmerzdimensionen Schmerz wird in einem bio-psycho-sozialen Modell verstanden. Damit ist gemeint, dass sowohl körperliche Gründe, wie kariöse Zähne, Schmerz verursachen können. Aber auch psychische oder soziale Ursachen, wie Belastung oder Distress (negativer Stress), können Schmerz auslösen oder beeinflussen. Umgekehrt kann sich Schmerz über unterschiedliche Dimensionen äußern (Sirsch, Gnass et al. 2015). Die Forschungsarbeiten von Melzack und Wall (1996) betonen drei Dimensionen: • die sensorisch-diskriminative, • die affektiv-motivationale und • die kognitiv-evaluative Dimension. Arbeiten von Snow und anderen (Snow, O’Malley K et al. 2004) lassen darauf schließen, das zu diesen drei noch eine vierte Dimension eine Rolle spielt: die behaviorale Dimension (Verhaltensdimension). Schmerzäußerungen der sensorisch-diskriminativen Dimension beziehen sich insbesondere auf die Angabe zu Schmerzorten (Lokalisation) und der Schmerzstärke (Schmerzintensität) und der Schmerzqualität. Dies sind Äußerungen, die meist über eine Selbstauskunft erfasst werden können. Dazu stehen Instrumente zur Verfügung, beispielsweise die Numerische Rangskala (NRS), auf der die Schmerzintensität mit einer Zahl von 0 bis 10 angegeben wird. Bei der Verbalen Rang Skala wird eine Angabe der Schmerzintensität (z. B. von 0 bis 5) erfasst, aber auch das Erleben des Schmerzes (z. B. kein Schmerz, leichte Schmerzen, mäßige Schmerzen, starke Schmerzen, sehr starke Schmerzen, stärkste vorstellbare Schmerzen) zur Beschreibung genutzt (DNQP1 2011, 2015). Schmerzäußerungen der affektiv-motivationalen Dimension betreffen das „gefühlte“ Schmerzerleben. Über diese Dimension wird berichtet, ob der Schmerz beispielsweise als belastend oder zerstörend wahrgenommen wird. Einflüsse, die die Psyche beeinflussen, wirken sich im Schmerzerleben in dieser Dimension besonders aus. Mittels der kognitiv-evaluierenden Dimension wird die bewusste Beschäftigung mit Schmerz gesteuert und der Schmerz bewertet. Manche älteren Personen bagatellisieren ihre Schmerzen, andere wiederum katastrophisieren in der Schmerzbewertung – sie nehmen negative Aspekte in einem übertriebenen Maße wahr. Über die behaviorale Dimension können Einflüsse des Schmerzes auf das Verhalten, beispielsweise auf individuelle Verhaltensmerkmale wie Körperhaltung oder Bewegung, ausgedrückt und beobachtet werden. Diese Dimension des Schmerzes ist bei der systematischen Fremdeinschätzung besonders relevant, lässt aber keine Schlussfolgerungen auf die Schmerzintensität zu. Die Erfassung und Beschreibung der Schmerzintensität über die sensorisch-diskriminative Dimension oder die bewusste Einschätzung über die kognitiv-evaluierende Dimension kann insbesondere bei alten Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen schwierig zu erlangen sein. Das bedeutet, dass Schmerzen von Pflegenden und Therapeuten Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

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erkannt werden müssen, wenn sie durch die betroffenen alten Menschen nicht verbal (sprachlich) geäußert werden können. Dann sind Pflegende und Angehörige anderer Berufe, z. B. ÄrztInnen und PhysiotherapeutInnen auf nonverbale (nicht sprachliche) Äußerungen angewiesen, die über die affektiv-motivationale Dimension das Gefühl oder über die behaviorale Dimension das Verhalten der betroffenen Person im Blick haben. Problematisch wird es dann, wenn Menschen ihren Schmerz nicht berichten und dieser nicht erkannt und damit nicht behandelt wird. Dann kann sich aus nicht ausreichend intensiv oder ausreichend lange behandeltem akuten Schmerz ein chronifizierter Schmerz entwickeln (Hadjistavropoulos, Herr et al. 2014). Aus einem akuten Schmerz entsteht dann ein chronischer Schmerz, der auch andauert, wenn die eigentliche Schmerzursache nicht mehr vorhanden ist. Eine zentrale Aufgabe im Schmerzmanagement bei alten Menschen ist es, Schmerz zu identifizieren, systematisch zu erfassen und in der jeweiligen Situation angemessene Handlungen einzuleiten (DNQP 2015).

Regelwissen zum Schmerzassessment Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) widmet dem Schmerz gleich zwei Expertenstandards, in denen das Schmerzmanagement bei alten Menschen jeweils eine zentrale Position einnimmt. Jeweils für akuten und chronischen Schmerz wurde ein eigener Standard entwickelt (DNQP 2011, 2015). Ergänzend dazu wurde eine multiprofessionelle Leitlinie zum Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe erarbeitet (AWMF2 2016). Dem Schmerzassessment wird darin ein großer Stellenwert eingeräumt, denn nur wenn Schmerz erkannt wird, kann er auch behandelt werden. Im Unterschied zu den monodisziplinären (das bedeutet nur für die Pflege geltenden) Expertenstandards arbeiteten bei dieser Leitlinie AltenpflegerInnen, ÄrztInnen, ErgotherapeutInnen, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, LogopädInnen, PsychologInnen, PhysiotherapeutInnen, VertreterInnen von Betroffenen und weitere an der Versorgung von älteren Menschen beteiligten Personen während der Entwicklung zusammen. Die von 38 Fachgesellschaften und Interessengruppen zur Mitarbeit delegierten Personen erarbeiteten und konsentierten alle Empfehlungen in einem mehrstufigen Prozess (Sirsch, Schuler et al. 2012). Zum Abschluss wurde die Leitlinie durch die Präsidien und Vorstände der beteiligten Gruppen zur Veröffentlichung freigegeben. In dieser multiprofessionellen Leitlinie soll mit der Ausweisung von Empfehlungen zum Schmerzassessment ein multiprofessionelles Vorgehen vorgezeichnet werden. Ein zentrales Anliegen war es, durch die Beteiligung sehr un-

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terschiedlicher Akteure für das schnittstellenübergreifende Schmerzassessment Handlungsoptionen aufzuzeigen. Die einzelnen Empfehlungen basieren auf einer umfangreichen Literaturrecherche und -bewertung. Für jede der systematisch ausgewählten Literaturquellen liegt eine Bewertung der Evidenz vor. Die daraus abgeleiteten graduierten Empfehlungen werden in der Leitlinie als positive, neutrale oder negative Empfehlungen wie folgt differenziert (siehe Tabelle 1). Insgesamt werden in dieser Leitlinie 62 Empfehlungen zum Schmerzassessment ausgesprochen, die sich in fünf Bereiche gliedern: • Deutungskontext von Schmerz • Herausforderung beim Schmerzassessment bei kognitiven Beeinträchtigungen • Schmerzscreening • Schmerzassessment • Verlaufserfassung im Schmerzassessment

Herausforderungen bei kognitiver Beeinträchtigung Ältere Menschen drücken ihren Schmerz nicht immer über Sprache aus. Wenn sie es tun, dann erfolgt das möglicherweise nicht immer in der erwarteten Form. Dem gilt es Rechnung zu tragen, indem z. B. der kognitive Status bei der Auswahl der genutzten Assessmentinstrumente berücksichtigt werden sollte. So lautet die starke 5. Empfehlung für eine Maßnahme: 5. Empfehlung: Die Auswirkungen von Erkrankungen, die die Auskunftsfähigkeit der BewohnerInnen zu Schmerzen beeinflussen, sollen beim Assessment berücksichtigt werden.

Schmerzscreening Zu diesen Bereichen werden nachfolgend einige Empfehlungen der Leitlinie beispielhaft vorgestellt. Die knapp gehaltenen Empfehlungen werden in der Originalleitlinie in nachfolgenden Erläuterungen differenziert erklärt und liefern die Begründung für die ausgesprochenen Empfehlungen.

7. Empfehlung: Ein Screening soll nur das Vorhandensein oder nicht Vorhandensein von Schmerzen erfassen.

Deutungskontext von Schmerz Die kulturellen ethnischen Prägungen sowie die Wertvorstellungen der betroffenen älteren Menschen, aber auch der einschätzenden Person, müssen gekannt und berücksichtigt werden. Zudem gilt es, vor dem Einschätzen von Schmerz herauszufinden, ob die betroffene Person überhaupt in der Lage ist, eine verbale Auskunft zu Schmerz zu geben: Liegt gegebenenfalls ein dementielles Syndrom, ein Delir, eine Intelligenzminderung oder eine andere Erkrankung vor, die den Schmerzausdruck zur Schmerzintensität, der Lokalisation oder der Qualität beeinflussen kann? Die 1. Empfehlung dieser Leitlinie lautet demnach auch: 1. Empfehlung: Die Prägungen und Überzeugungen von Bewohnerinnen und deren Angehörigen, z. B. kulturell, ethnisch und spirituell, sollten bei der Interpretation des Schmerzassessments berücksichtigt werden.

Tabelle 1. Empfehlungen der Leitlinie Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe Starke Empfehlung für eine Maßnahme

soll

Empfehlung für eine Maßnahme

sollte

Offene Empfehlung

kann

Empfehlung gegen eine Maßnahme

sollte nicht

Starke Empfehlung gegen eine Maßnahme

soll nicht

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Durch das Screening von Schmerz soll vor einem umfangreichen Assessment festgestellt werden, ob Schmerz vorhanden ist oder nicht. Daran orientiert sich das weitere Vorgehen. So lautet denn die starke 7. Empfehlung:

Schmerzäußerungen über die unterschiedliche Dimensionen, wie sie oben beschrieben wurden, sollen berücksichtigt werden, konsequenterweise heißt es in der starken 8. Empfehlung: 8. Empfehlung: Ein anlassbezogenes Screening soll durchgeführt werden, z. B. beim Auftreten von ungewöhnlichem Verhalten, Veränderung der Vitalzeichen, veränderten Verhaltensmerkmalen und/oder schmerzund altersbezogenen Erkrankungen.

Beim Schmerzscreening ist es von Bedeutung, dass Hilfsmittel für die älteren Menschen genutzt werden. Ohne die gewohnte Brille oder das Hörgerät kann die Frage gegebenenfalls überhaupt nicht verstanden werden. Zudem ist es erforderlich, dass die Personen ausreichend Zeit zur Antwort zur Verfügung haben. Diesem Umstand wird in der starken 13. Empfehlung Rechnung getragen. 13. Empfehlung: Zur Befragung nach Schmerz sollen notwendige Hilfsmittel (z. B. Hörgeräte, Brille) genutzt werden und ausreichend Zeit zur Verfügung stehen.

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Schmerzassessment Bei identifizierten Schmerzen (positivem Screening) soll ein umfassendes Schmerzassessment erfolgen. Dazu soll einerseits die Schmerzintensität erfasst werden. Zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass alte Menschen auch alternative Worte zur Beschreibung ihres Schmerzes nutzen, beispielsweise „Das tut mir weh“. So soll neben der direkten Frage nach Schmerz auch Fragen zum Befinden gestellt werden. In der starken 27. Empfehlung wird dies aufgenommen. 27. Empfehlung: Für das Schmerzassessment sollen neben der direkten Frage nach Schmerz auch Schmerzsynonyme wie „aua“, „weh“ oder die BewohnerInneneigene Worte verwendet werden.

Ergänzend sollen Informationen zu verändertem Verhalten und zum Mobilitätsstatus erhoben werden, wie in der starken 30. Empfehlung formuliert. 30. Empfehlung: Bekannte oder veränderte Verhaltensweisen sowie der Mobilitätsstatus sollen erhoben werden.

Die Erfassung von Schmerz soll bei den Betroffenen durch systematische Einschätzungen vorgenommen werden. Das gilt auch für kognitiv beeinträchtigten Personen, dazu wird in der starken 40. Empfehlung beschrieben:

40. Empfehlung: Zum Schmerzassessment sollen bei BewohnerInnen mit kognitiven Beeinträchtigungen Instrumente zur systematischen Fremdeinschätzung von Schmerz genutzt werden.

49. Empfehlung: Alle relevanten Informationen des Schmerzassessments sollen an einer eindeutig definierten Stelle, für alle Mitarbeitenden des multiprofessionellen Teams zugänglich, in der Dokumentation der BewohnerIn, dokumentiert werden.

Verlaufserfassung von Schmerz Dieser multidisziplinäre Zugang gilt auch für die Verlaufserfassung, auch diese muss für alle beteiligten Personen zugänglich sein. Dies ist in der starken 60. Empfehlung für eine Maßnahme beschrieben. 60. Empfehlung: Die Verlaufserfassung soll bewohnerInnenbezogen in standardisierter Weise so dokumentiert werden, dass sie für alle an der Versorgung Beteiligten zugänglich ist.

In der letzten 62. Empfehlung wird dieser Gedanke wieder aufgenommen, wenn empfohlen wird, dass die Ergebnisse der Verlaufserfassung fallbezogen, multiprofessionell betrachtet werden sollten. Dazu werden unbedingt das multiprofessionelle Team, die Betroffenen und gegebenenfalls ihre Angehörigen, BetreuerInnen und/oder Vorsorgebevollmächtigen einbezogen. 62. Empfehlung: Ergebnisse der Verlaufserfassung sollten Gegenstand der Beratungen mit der BewohnerIn und im multiprofessionellen Team sein.

Schlussfolgerung Dazu werden in der Leitlinie Assessmentinstrumente vorgestellt, die auch in den beiden Expertenstandards des DNQP beschrieben wurden. Zur Fremdeinschätzung von Schmerz bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, z. B. aufgrund einer Demenz, können im deutschsprachigen Raum folgende Instrumente genutzt werden: • Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) • Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz (BISAD) • Zurich Observation Pain Assessment (ZOPA). Besonderes Augenmerk wurde auf multiprofessionelles Vorgehen gelegt, so ist es unabdingbar, dass alle am Schmerzassessment beteiligten Personen Zugang zu den Informationen haben. Dies gilt für Pflegende, MedizinerInnen und für Angehörige therapeutischer Berufe, wie es in der starken 49. Empfehlung für eine Maßnahme beschrieben ist. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

Das Schmerzassessment bei alten Menschen ist ein hochkomplexer Vorgang, der weit über die Erfassung der Schmerzintensität hinausgeht, zumal die Erfassung der Schmerzintensität nur bei auskunftsfähigen älteren Menschen Anwendung finden kann. Für Menschen mit starken kognitiven oder kommunikativen Einschränkungen müssen verstärkt Instrumente der Fremdbeobachtung eingesetzt werden und Auskünfte von Angehörigen und/ oder Vorsorgebevollmächtigten bzw. BetreuerInnen eingeholt werden. Das dem Schmerz zugrunde liegende bio-psycho-soziale Modell und die unterschiedlichen Schmerzdimensionen sollen in der Schmerzerfassung Berücksichtigung finden. Zu diesen komplexen Zusammenhängen des Schmerzes steht Pflegenden, MedizinerInnen und Angehörigen therapeutischer Berufe Regelwissen in Form von Standards zu akuten wie chronischen Schmerzen und Leitlinien zur Verfügung. Dieses Regelwissen muss in die Aus- und Weiterbildungen der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen einfließen. Zur Sicher© 2017 Hogrefe


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stellung eines gelingenden Schmerzassessments gehört es, dass dieses Regelwissen im Kontext der jeweiligen Situation und des individuellen Falles angewendet wird. Schmerz ist individuell und es bedarf daher eines an die betroffene Person angepassten Schmerzassessments und einer am Stand des Wissens orientierten Schmerzbehandlung.

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Menschen in der vollstationären Altenhilfe. Methodenpapier zur S3-Leitlinie. Der Schmerz 26(4): 410–416. Snow, A. L., J. O’Malley K, M. Cody, M. E. Kunik, C. M. Ashton, C. Beck, E. Bruera and D. Novy (2004). A conceptual model of pain assessment for noncommunicative persons with dementia. Gerontologist 44(6): 807–817. Takai, Y., N. Yamamoto-Mitani, Y. Okamoto, K. Koyama and A. Honda (2010). Literature review of pain prevalence among older residents of nursing homes. Pain Manag Nurs 11(4): 209–223.

Dank Ein besonderer Dank geht an die Mitglieder der Steuergruppe, die maßgeblich an der Entwicklung der S3 Leitlinie Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe beteiligt waren: Dr. cand. Esther Berkemer, Dr. Klaus-Heinrich Bründel, Dr. Corinna Drebenstedt, Jan Dreyer, Prof. Patience Higman, Prof. Dr. Kirsten Kopke, Dr. Corinna Leonhardt, PD Dr. Albert Lukas, PD Dr. Matthias Schuler und an alle Delegierte.

Korrespondierende Autorin: JProf. Dr. Erika Sirsch, BScN, MScN Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar, PTHV Fakultät für Pflegewissenschaft Lehrstuhl für Akutpflege Pallottistraße 3 56179 Vallendar esirsch@pthv.de

Literatur Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF). (2016). Leitlinien. Retrieved 07.12.2016, from http://www.awmf.org/awmf-online-das-portal-der-wissenschaftlichen-medizin/awmf-aktuell.html. Bundesministerium für Familie, S., Frauen & Jugend (BMFSFJ) & Bundesministerium für Gesundheit (BMG), (2014). Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. . Berlin. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2011). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen. Deutsches Netzwerk für Qualtitäsentwicklung in der Pflege (DNQP). Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2015). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen. http://www.dnqp.de. Osnabrück, Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Hadjistavropoulos, T., K. Herr, K. M. Prkachin, K. D. Craig, S. J. Gibson, A. Lukas and J. H. Smith (2014). Pain assessment in elderly adults with dementia. The Lancet Neurology 13(12): 1216–1227. Melzack, R. and P. Wall (1996). The Challange of Pain. London, Penguin Books. Osterbrink, J., M. Hufnagel, P. Kutschar, B. Mitterlehner, C. Krüger, Z. Bauer, W. Aschauer, M. Weichbold, E. Sirsch, C. Drebenstedt, K. M. Perrar and A. Ewers (2012). „Die Schmerzsituation von Bewohnern in der stationären Altenhilfe.“ Der Schmerz 26(1): 27–35. Schreier, M. M., U. Stering, S. Pitzer, B. Iglseder and J. Osterbrink (2015). Schmerz und Schmerzerfassung in Altenpflegeheimen: Ergebnisse der OSiA-Studie. Der Schmerz 29(2): 203–210. Sirsch, E., I. Gnass and T. Fischer (2015). Diagnostik von Schmerzen im Alter : Perspektiven auf ein multidimensionales Phänomen. Schmerz 29(4): 339–348. Sirsch, E., M. Schuler, T. Fischer, I. Gnass, M. Laekeman, C. Leonhardt, E. Berkemer, C. Drebenstedt, E. Löseke, G. Schwarzmann, K. Kopke and A. Lukas (2012). Schmerzassessment bei älteren

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MitautorInnen: Dr. rer. medic. Irmela Gnass, BScN, MScN, wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Pflegewissenschaft und -praxis Paracelsus Medizinische Privatuniversität irmela.gnass@pmu.ac.at

Marjan Laekeman, BScPhys., MSc Phys. Gegradueerde in de Kinesitherapie Referentin „Spezielle Schmerzphysiotherapie“ PhD Studentin Universität Witten/ Herdecke Wiss. Mitarbeiterin Physiologische Psychologie, Universität Bamberg marjan.laekeman@t-online.de

Prof. Dr. rer. cur. Thomas Fischer, MPH Evangelische Hochschule Dresden (ehs) Dürerstraße 25 01307 Dresden thomas.fischer@ehs-dresden.de

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Eine Information von: Mundipharma Deutschland GmbH & Co. KG, Mundipharmastraße 6, 65549 Limburg, www.mundipharma.de

Mundipharma Pain Care Award 2016 Außerordentliche und nachahmenswerte Projekte ausgezeichnet Zum vierten Mal wurde der Mundipharma Pain Care Award 2016 (ehemals „Pain Nurse des Jahres“) für außerordentliche Leistungen in der Betreuung von Patienten mit Schmerzen verliehen. Die Ehrung der drei Gewinnerprojekte auf dem Deutschen Schmerzkongress 2016 in Mannheim zeigt, dass pflegerische Schmerzexperten mit großem Engagement wegweisende Projekte im Pflegealltag entwickeln, die zur Verbesserung der Situation von Schmerzpatienten beitragen.

Der Akutschmerzdienst als Siegerprojekt Die Pain Nurse und Pain Care Assistent Tamara Kasten von der DIAKOVERE Henriettenstift gGmbH Hannover überzeugte mit der eindrucksvollen Gesamtdurchführung ihres Projekts „Akutschmerzdienst“ den wissenschaftlichen Beirat des Pain Care Awards. Der „Akutschmerzdienst“, bei dem es um die Schmerzversorgung von Sectio-Patientinnen geht, zeigt nicht nur ein akribisches Qualitätsmanagement, das Fragebögen, Schmerzdokumentationen, Ziel- und Maßnahmenpläne sowie Informationsflyer auf Basis von interdisziplinärer Zusammenarbeit umfasst. Das Projekt überzeugte auch durch das Aufsetzen einer Benchmark im Vergleich zu einem anderen Krankenhaus sowie durch die aufwendige Auswertung des Fragebogens. Seit der Einführung des Akutschmerzdienstes und eines festgelegten Schmerztherapieschemas verbesserten sich nicht nur die NSR-Werte der Patienten, sondern auch die Patientenzufriedenheit liegt seitdem auf hohem Niveau. Ebenso profitieren die Pflegekräfte von dem Projekt, denn die frühe eigenständige Mobilität und Schmerzarmut der Patientinnen sparen Zeit und erleichtern ihre tägliche Arbeit. Die Auseinandersetzung mit den Fragebögen führt zudem zu einer gesteigerten Wahrnehmung im Umgang mit Schmerzen.

Die Fortbildungsveranstaltung dient insbesondere der Sensibilisierung für Schmerzen bei alten Menschen und der korrekten Durchführung der „Verfahrensanweisung Schmerzmanagement in der Seniorenhilfe“, die nach dem „Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ erarbeitet wurde. Von der verbesserten Kommunikation zwischen Krankenhaus und Altenheim profitieren vor allem die Patienten, da eine schnelle und adäquate Versorgung möglich ist. Das Projekt der Pain Nurse Elisabeth Münchow zeichnet sich durch die Einrichtung eines Akutschmerzdienstes, die Abhaltung von Audits und die Ausbildung von Schmerzmentoren aus. Ziel ist, akute Schmerzen frühzeitig und adäquat zu therapieren und damit das Risiko zu minimieren, dass Schmerzen chronisch werden. Das Projekt lebt durch das EngageBirgitta Pieper überreicht der Gewinnerin Tamara ment der Mitarbeiter und hat Kasten den Pokal. seit seiner Einführung 2007 dazu geführt, dass sich die Zufriedenheit der Patienten und Mitarbeiter stetig gesteigert hat. Mittels einer systematischen und standardisierten Schmerzeinschätzung sowie der Anwendung unterschiedlicher Schmerzschemata ist – durch eine stetige interdisziplinäre Kommunikation z. B. abgestimmt auf Vorerkrankungen – das Bewusstsein für die Auswirkungen von Schmerzen geschaffen worden.

Dynamik in der Schmerzversorgung Die drei finalen Projekte des Pain Care Awards 2016 zeigen exzellente Arbeit weit über den eigenen Wirkungsbereich hinaus. „Am Anfang stand die Pain Nurse, doch heute gibt es eine Reihe von Weiterbildungen und Studienangeboten, die dabei helfen, einer optimalen Schmerzversorgung näher zu kommen. Der Pain Care Award und die eingereichten Projekte sind der Beleg für eine Dynamik in der Schmerzversorgung, die wir uns vor zehn Jahren noch nicht erträumt hätten“, kommentierte Professor Dr. Dr. h. c. Jürgen Osterbrink, Salzburg, seitens des wissenschaftlichen Beirats das Gesamtergebnis des Pain Care Awards. „Mit dem Mundipharma Pain Care Award können wir den wertvollen Beitrag, den Pain Nurses, Pain Care Assistants und algesiologisches Fachpersonal täglich für das Schmerzmanagement leisten, würdigen“, fügte Dr. Ingrid Spohr, Leiterin Medizin von Mundipharma, hinzu.

Der Pain Care Award

Birgitta Pieper (Beirat), Prof. Dr. Malte Silomon (Beirat), Elisabeth Münchow (Finalistin), Petra Schirk (Finalistin), Tamara Kasten (Gewinnerin), Dr. Ingrid Spohr (Beirat), Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Osterbrink (Beirat) (v.l.n.r.)

Sensibilisierung für Schmerzen bei Senioren – Initiierung eines Akutschmerzdienstes Nominiert für den Pain Care Award 2016 waren zudem Petra Schirk, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss, und Elisabeth Münchow, Gemeinschaftskrankenhaus Bonn. Die Pain Nurse und Pain Care Assistant Petra Schirk initiierte eine Kooperation zwischen dem Schmerzdienst im Krankenhaus und der Seniorenhilfe. Ein Teil der Kooperation ist die ganztägige Fortbildungsveranstaltung für Altenpflegekräfte zum Thema „Schmerz bei alten Menschen – Behandlungsmöglichkeiten“.

Mit dem Mundipharma Pain Care Award für außerordentliche Leistungen in der Betreuung von Patienten mit Schmerzen werden Projekte ausgezeichnet, die als Anreiz und Vorbild dienen können. Das Ziel des Pain Care Awards ist es, durch den interdisziplinären Austausch zwischen Ärzten, Pflege- und Fachpersonal (Pain Nurses, Pain Care Assistants, algesiologisches Fachpersonal) sowie Patienten einer optimalen Schmerzversorgung in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen und im ambulanten Bereich näherzukommen. Der wissenschaftliche Beirat, bestehend aus Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Osterbrink, Birgitta Pieper, Prof. Dr. Malte Silomon und Dr. Ingrid Spohr, bewertete anhand von standardisierten Bewertungskriterien die eingereichten Projekte. Der Fokus liegt dabei auf den schmerzmedizinischen Projektleistungen, dem Engagement für die Patienten, der interdisziplinären Zusammenarbeit sowie der fachlichen Qualifikation.


Freie Beiträge

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Die „verwundete“ Persönlichkeit Wie Schmerzerleben die Identität und Selbstintegrität beeinflusst Diana Staudacher

Als „Kränkung“ des innersten Selbst und als „Angriff“ auf das Personsein beschreiben Betroffene ihr Schmerzerleben. Es fällt ihnen schwer, sich als „Mensch im Schmerz“ anzunehmen. Ihre tiefe Scham und ihr leidvoll verändertes Selbstverhältnis erfordern Aufmerksamkeit. Ein schmerzsensibles Menschenbild und eine therapeutische Kultur der „Dualisierung“ des Schmerzes erweisen sich als bedeutsam.

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enn wir Schmerzen haben, so leiden wir, und wenn wir leiden, so ist etwas an und in uns, was nicht sein soll, was einer gebotenen „Ordnung widerstrebt. […]. So ist das Leiden älter als der Schmerz, an dem wir leiden, der Schmerz älter als das Gefühl des Schmerzen-Habens, das Gefühl älter als sein empfindungsartiger Inhalt, wie ihn die Psychologie und Physiologie schließlich abstrahiert haben“, schrieb Viktor von Weizsäcker im Jahr 1926. Seine Worte verdienen noch heute Beachtung. Schmerz ist mehr als eine Körperempfindung – er ist auch eine Verletzung des Selbst und der Identität eines Menschen (Smith/Osborne, 2007). „Wie ein Fremder im eigenen Körper“ greift chronischer Schmerz die Persönlichkeit an. Er verfolgt die Betroffenen auf Schritt und Tritt, unterwandert und durchdringt ihr gesamtes Selbstempfinden. Sie fühlen sich „gefangen im Schmerz“, dem sie nicht entkommen. Der Versuch, mit dem Schmerz zu ringen, um ihr „früheres Selbst“ zu erhalten, führt zur Erschöpfung: „Ich habe alle meine Kraft verloren“, (Smith/Osborne, 2007). Das Gefangensein im Schmerz und die Unmöglichkeit, ihm etwas entgegenzusetzen, erleben Betroffene als entmächtigend, entwürdigend und erniedrigend (Aldrich/ Eccleston, 2000). Sich als „Mensch im Schmerz“ anzunehmen, fällt unendlich schwer: „Das bin ich nicht, das macht der Schmerz aus mir.“ Betroffene beschreiben einen verzweifelten Kampf um das frühere Selbst. Das „Selbst im Schmerz“ ist unvereinbar mit dem früheren, schmerzfrei-unversehrten Selbstbild (Morley, 2005). Somit hat Schmerz einen dramatischen Effekt auf das Selbstempfinden und die Identi© 2017 Hogrefe

Foto: Jean-Claude Poffet

tät der Betroffenen: „Früher war ich niemals so. Ich hasse das. Es treibt mich zur Verzweiflung“ (Smith/Osborne, 2007). Nicht der physische Schmerz ist für Betroffene das Schlimmste, „sondern das, was der Schmerz mit ihrem Selbst und mit ihrer Persönlichkeit macht“ (Smith/Osborne, 2007). Chronisches Schmerzerleben kann zu SelbstVerlust führen und immense Trauer auslösen. Somit wirkt Schmerz wie eine Verwundung des Selbstwertgefühls und eine tiefe Kränkung der gesamten Persönlichkeit. Die weitreichendste Folge des chronischen Schmerzes besteht für Betroffene darin, sich selbst zu verlieren und „eine andere Person zu werden“ (Risdon et al., 2005). Dieser Aspekt verdient besondere Aufmerksamkeit. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Scham – schlimmer als Schmerz „Im Zentrum jeder Persönlichkeit gibt es ein unerreichbares Element, das unversehrt bleiben muss und höchsten Schutz erfordert“ (Winnicott, 1992). Dieses Kern-Selbst scheint jedoch durch starkes, dauerhaftes Schmerzerleben fundamental erschüttert zu werden. Als „Angriff “ auf das Selbst und als permanente Bedrohung nehmen viele Betroffene den Schmerz wahr. „Schmerz ist ein archetypisches Warnzeichen, um den Organismus vor Gefahr zu warnen – er stellt eine Unterbrechung dar, um die Aufmerksamkeit auf Gefahr und Bedrohung zu lenken. Chronischer Schmerz bedeutet eine ständige Unterbrechung der momentanen Aufmerksamkeit“ (Eccleston/ Crombez, 2007). Dadurch befindet sich der gesamte Organismus „in einem kontinuierlichen Alarmzustand und ständiger Handlungsbereitschaft“ (Eccleston/Crombez, 2007). Somit gehört es zum Wesen des Schmerzes, die Kontinuität des Selbsterlebens ständig zu stören und den Organismus in Unruhe zu versetzen. Dies führt zu einem fragmentierten Selbstempfinden. Ständig signalisiert der Schmerz, dass die Unversehrtheit des Körpers in Gefahr ist. Wie bedeutsam Selbstintegrität für die menschliche Psyche ist, lässt sich nicht hoch genug veranschlagen (Sherman/Cohen, 2006). Bedrohte oder verletzte Selbstintegrität wirkt seelisch traumatisierend. Leiden beginnt, wenn die Unversehrtheit des Menschen gefährdet ist oder zerstört zu werden droht (Cassell, 2011). Ist die Schutzhülle der Selbstintegrität versehrt, setzt enorme Verletzlichkeit ein. Überwältigendes Schamerleben ist die Folge: „Die Scham […] ist manchmal unerträglicher als der Schmerz“ (Smith/Osborne, 2007). Scham gilt als „Wächterin, die den Kern unserer Persönlichkeit schützt“ (Wurmser, 1986). Sie bewahrt das „innerste Selbst“ davor, verletzt und zerstört zu werden. Wer sich als Mensch im Schmerz tief gekränkt fühlt, sich selbst abwertet und ablehnt, möchte sich dem Blick der Anderen entziehen. Betroffene befürchten, dass andere in ihnen eine „bemitleidenswerte, jammervolle Person“ sehen (Smith/Osborne, 2007). Die Scham schmerzbetroffener Menschen kann so intensiv sein, dass sie nicht mehr weitersprechen möchten, wenn es um sie selbst geht (Smith/Osborne, 2007). Im Zusammensein mit anderen Menschen nicht mehr so sein zu können, wie sie einmal waren, ist beschämend für sie. Sie fühlen sich dazu gezwungen, keinen Schmerz zu zeigen, da dies als gesellschaftlich unerwünscht gilt: „Ich spiele den Schmerz hauptsächlich herunter und sage: ‚Es ist alles in Ordnung‘ − auch wenn es furchtbar wehtut“ (Aldrich/Eccleston, 2000). Sozialer Rückzug wirkt befreiend: „Ich wäre gerne auf einer einsamen Insel. Es wäre ein Glück, nicht jemand sein zu müssen, der ich nicht bin“ (Osborne/Smith, 2007). Schmerzbezogene Scham ist somit auch ein soziales Phänomen (Hellström, 2010): „Wenn du Schmerzen hast, ist es besser so zu tun, als wäre alles gut, besonders in bestimmten sozialen Situationen. […]. Es macht mich krank, dass man wertlos ist, wenn man Schmerz oder die Angst vor Schmerz zeigen möchte“ (Aldrich/Eccleston, 2000). Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

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Verschmelzung zwischen Selbst und Schmerz „Wenn du Schmerzen hast, kannst du an nichts anderes denken. Der Schmerz überwältigt dich völlig“ (Aldrich/ Eccleston, 2000). Chronisches Schmerzerleben kann dazu führen, dass das Selbstbild mit dem Bild des Schmerzes verschmilzt (Self-Pain-Enmeshment; Morley, 2010). Je weniger Betroffene sich mit dem Schmerz annehmen können, desto intensiver erleben sie ihre schmerzbezogenen Symptome und desto stärker sind sie depressionsgefährdet (Morley et al., 2005). Ist das erhoffte und angestrebte Selbst auch in Anwesenheit des Schmerzes erreichbar? Lässt sich das Selbstwertgefühl nur bei Schmerzfreiheit aufrechterhalten? Diese Fragen erweisen sich als zentral, um einzuschätzen, wie ein Mensch chronischen Schmerz bewältigen wird (Morley et al., 2005). Vieles weist darauf hin, dass die Verschmelzung zwischen Selbst und Schmerz am Beginn eines Teufelskreises steht. Wer sich selbst ablehnt, wehrt auch den Schmerz ab. Vermeidungsverhalten und starke Fixierung auf den Schmerz führen zu einem Phänomen, das die Forschung als „Katastrophisieren“ des Schmerzes bezeichnet. Dabei handelt es sich um „eine hochgradig negative kognitiv-affektive Reaktion auf antizipierten oder tatsächlichen Schmerz“ (Quartana et al., 2009). Es fällt auf, dass hierbei Gehirngebiete aktiviert sind, die mit dem Selbstempfinden verbunden sind (z. B. Insula). Hinter dem Phänomen des „Katastrophisierens“ verbirgt sich möglicherweise eine panische Abwehrreaktion des gesamten Organismus – mit dem Ziel, sich gegen die Bedrohung der Selbstintegrität durch dauerhaften Schmerz zur Wehr zu setzen. Die Abwehrreaktion „Katastrophisieren“ umfasst vielfältige physiologische Aspekte: • Überaktivität des Immunsystems sowie der kardiovaskulären und endokrinen Systeme, wodurch sich Schmerzempfindlichkeit erhöht (Broschot et al., 2006) • Gesteigerte Aktivität des Nervensystems und verstärkte Freisetzung von Stresshormonen (Gracely, 2004) • Vermehrte Entzündungsreaktionen durch Anstieg proinflammatorischer Zytokine (Edwards et al., 2008). Dadurch steigert sich die Empfindlichkeit des Nervensystems, ebenso die Weiterleitung des Schmerzes. Selbst geringfügige Schmerzeindrücke wirken intensiv. • Inaktivität der Gehirngebiete, die zur Modulation des Schmerzes dienen. Sich vom Schmerz zu distanzieren ist nicht mehr möglich. • Ausbleiben schmerzhemmender Prozesse (Seminowicz/Davis, 2006; Goodin et al., 2009). Auf welchen Wegen das schmerzbedingt veränderte Selbsterleben die Physiologie beeinflusst und zu höherer Schmerzintensität beiträgt, wird weitere Forschung detaillierter beschreiben können. Dies wäre eine Grundlage, um besser zu verstehen, wie sich seelisches Leiden am Schmerz auf die Physiologie des Schmerzes auswirkt.

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Die Kraft, Schmerz anzunehmen

Ein schmerzsensibles Menschenbild

„Ich bin ich – trotz des Schmerzes“; „Ich sehe den Schmerz nicht als Bedrohung meiner Existenz an“; „Ich bin eine Person, die Schmerzen hat, aber nicht mit ihrem Schmerz identisch ist“ – diese Formen der Selbstannahme ermöglichen Betroffenen, mit dem Schmerz zu leben, ohne sich selbst abzulehnen (Risdon et al., 2003). Eine Haltung des Annehmens erweist sich als zuverlässigste Vorhersagevariable in Bezug auf das Bewältigen des Schmerzes (McCracken et al., 2004). Bedeutend geringere Schmerzintensität, selteneres „Katastrophisieren“ und ein sinkendes Depressionsrisiko sind die Folgen (McCracken, 2004). Annehmen bedeutet keineswegs Resignieren, sondern eine andere Haltung zum Schmerz einnehmen. Betroffene betonen, dass „Grenzen oder Beeinträchtigungen annehmen“. Dennoch können sie von sich sagen: „Ich bin eine starke Persönlichkeit“ (Risdon et al., 2003). Sie widersprechen allen Behauptungen, wonach Schmerz eine persönliche Schwäche ist. Realistisch zu sein ist ihnen wichtig. Sie möchten nicht mehr „etwas bekämpfen, das sich nicht ändern lässt“. Vergebliche Versuche, vor dem Schmerz „wegzurennen“, haben sie aufgegeben. Stattdessen „anerkennen sie den Schmerz, lassen sich aber nicht durch ihn definieren“ (Risdon et al., 2003). Diese Aussagen machen deutlich, wie stark das Verhältnis zum eigenen Selbst mit dem Annehmen oder Abwehren des Schmerzes verbunden ist. Auch im Konzept der Achtsamkeit ist Selbstannahme ein bedeutsamer Faktor (Carson/Langer, 2006). Je achtsamer Menschen sind, desto besser gelingt es ihnen, Schmerz zu bewältigen, ohne sich auf ihn zu fixieren oder in Panik zu geraten (Schütze et al., 2010). Eine achtsame Haltung ist mit einem nicht-wertenden Annehmen der Wahrnehmungseindrücke verbunden. Auf diese Weise lässt sich ein Furcht-Vermeidungs-Zyklus durchbrechen. Wie Studien belegen, sind bei achtsamen Personen Gehirnbereiche inaktiv, die sich auf das Bewerten von Sinneseindrücken beziehen (Zeidan, 2012). Zugleich setzt das Gehirn körpereigene Schmerzmittel frei: „Achtsamkeit moduliert den Schmerz durch endogene Opioide“ (Sharon et al., 2016). Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Selbstakzeptanz und eine annehmende, nichtwertende Haltung unverzichtbar für die Gesundheit sind – und das Schmerzerleben bedeutend beeinflussen (Carson/Langer, 2006). In einer Kultur, die Autonomie, Stärke, Unabhängigkeit und Gesundheit als Höchstwerte definiert, stellt eine annehmende Haltung gegenüber Schmerz eine seltene Ausnahme dar. Für die Schmerztherapie ist es jedoch unverzichtbar, sich auf ein Menschenbild zu beziehen, das auch das „Sein im Schmerz“ als eine „Weise des Menschseins“ berücksichtigt (Weizsäcker, 1987).

Menschsein bedeutet, „verwundbar zu sein, einen Körper zu haben, der dem Schmerz, der Verletzung, der Krankheit und dem Alter ausgesetzt ist“, schreibt der Philosoph Emmanuel Lévinas (Lévinas, 2004). Er erinnert daran, dass ein realistisches Menschenbild von der Verletzlichkeit ausgehen sollte: „Das Ich ist vom Scheitel bis zur Sohle, bis in das Mark seiner Knochen Verwundbarkeit.“ (Lévinas, 1989) Anhaltender Schmerz und schwere Krankheit bedeuten immer auch „verwundetes Menschsein“ (Pellegrino, 1981). Nicht nur der verletzte oder erkrankte Körper sollte im Zentrum des therapeutischen Handelns stehen, sondern das „verwundete Menschsein“ (Johna/Rahman, 2011). Dies gilt in besonderer Weise für die Schmerztherapie. Zu den wichtigsten Aufgaben zählt es dann, die verletzte Selbstintegrität des schmerzleidenden Menschen zu schützen, seinem Schamerleben sensibel zu begegnen und sein negatives Selbstbild behutsam zu positivieren. Schmerz als Verletzung des Selbst zu betrachten, hat bedeutsame Folgen für die therapeutische Begegnung (Aldrich/Eccleston, 2000). Hier setzt die Achtsamkeit des Krankheitserlebens an, die Gaetano Benedetti1 beschrieben hat, um der Einzigartigkeit des Patienten gerecht zu werden: • Schmerz gilt es nicht nur zu behandeln, sondern auch teilnehmend durch „existenzielles Mitsein“ zu erleben. Dadurch entstehen Nähe und „geteiltes Menschsein“ mitten im Schmerz. Das Trennende zwischen Therapeut und Patient lässt sich überwinden. Es wird möglich, die seelische und emotionale Isolation des Patienten zu durchbrechen. • Scham- und Entwertungserleben lassen nach, wenn der Therapeut seine eigene Persönlichkeit zur Verfügung stellt, um Emotionen und Vorstellungen anzunehmen, die der Patient in sich selbst nicht aufbewahren und aushalten kann. Der Therapeut entlastet den Patienten von seinem negativen Selbstbild, um ihm seine Würde und ein positives Selbstbild zurückzugeben (Benedetti, 1989 & 1992). Somit stellt Schmerztherapie für die beteiligten Fachpersonen immer auch eine existenzielle Herausforderung im Sinne Gaetano Benedettis dar (1992). Den eigenen Schmerz mit einem anderen Menschen teilen zu können, erweist sich als stärkstes Bedürfnis der Betroffenen: „Der einzige positive Aspekt des Schmerzes ist das […] Miteinanderteilen des Leidens“ (Aldrich/Eccleston, 2000). Solidarität im Schmerz ist somit die unverzichtbare menschliche Grundlage der Schmerztherapie: „Fragen wir uns, welche Person uns im Leben am meisten bedeutet hat, dann ist es häufig diejenige, die unseren Schmerz geteilt hat“ (Nouwen, 2004).

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Prof. Gaetano Benedetti (1920–2013) entwickelte dieses Konzept im psychiatrischen Bereich. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Dr. phil. Diana Staudacher ist freie Publizistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Universitätsspitals Zürich und der Fachhochschule St. Gallen. diana.staudacher@gmail.com

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Mit Bildern den Schmerz fassbar machen Dolografie – Die visuelle Kommunikationshilfe für die Schmerztherapie Sabine Affolter

Mit der „Dolografie“ erscheint ein Kommunikationstool auf dem Markt, das auf außergewöhnliche Art die Schmerztherapie unterstützt. Unter Zuhilfenahme von Bildern soll ein präzises und differenziertes Sprechen über die unterschiedlichen Komponenten von Schmerz ermöglicht und dadurch die Kommunikation zwischen behandelnder Fachperson und Patient/Patientin verbessert werden. Das Kommunikationstool umfasst 34 Bildkarten, wurde von den Kommunikationsdesignerinnen Sabine Affolter und Katja Rüfenacht entwickelt und unter anderem am Inselspital Bern in Zusammenarbeit

Die Dolografie besteht aus einem Set mit 34 Bildkarten.

mit Dr. med. Niklaus Egloff getestet.

© 2016 Affolter/Rüfenacht, Bern, Schweiz

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ie Schwierigkeit, Schmerz in Worte zu fassen, stellt die Schmerztherapie bekanntlich vor eine große Hürde. Sowohl für Betroffene als auch für Behandelnde schlagen verbale Schilderungen eine Brücke zwischen dem amorphen Sinneseindruck und der Person, die diesen empfindet. Doch entzieht sich eben diese den Beteiligten: Das Vokabular gelangt schnell an seine Grenzen, unterschiedliche Eindrücke können schlecht auseinandergehalten werden, eine konzise Darstellung bleibt schließlich aus. In der Behandlung fallen diese Umstände deshalb ins Gewicht, da – aufgrund der ausbleibenden Objektivierbarkeit der Schmerzen – die Beschreibung der behandelnden Fachperson wichtige Hinweise liefert. Gerade bei einer multimodalen Behandlung chronischer Schmerzen geht die verbale Kommunikation weit über das anamnestische Gespräch hinaus. Eruiert wird das Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Umso stärker hängt hier der Erfolg einer Behandlung von der Qualität des Gespräches ab. Wo es also gelingt, mit Hilfsmitteln den Gesprächsverlauf zu unterstützen, kann dadurch die Therapie verbessert werden. © 2017 Hogrefe

Mit Bildern den Schmerz externalisieren Hier setzt die Dolografie an. Anhand von Bildern beschreiben Schmerzpatienten/-patientinnen ihr Empfinden; so kann es nach außen sichtbar werden. Durch die Bildkarten wird der Schmerz externalisiert und das Problem greifbar und überschaubar gemacht. Versuche am Inselspital Bern/ Schweiz und Erfahrungsberichte aus der Praxis zeigen, dass die betroffenen Personen dank der Dolografie ihre Empfindungen präziser und differenzierter beschreiben können. Neben somatischen Aspekten werden oft auch emotionale und kognitive Anteile der Schmerzempfindung beschrieben. „Die Dolografie liefert Informationen über das subjektive Schmerzerleben, wie es konventionelle bildgebende Techniken nicht vermögen. Die Schmerzanamnese wird damit um eine spannende Dimension erweitert“, sagt Dr. med. Niklaus Egloff, Leiter Psychosomatische Medizin am Inselspital Bern. Indem der Schmerz ins Feld des Sichtbaren geführt wird, wird er nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gegenüber besser erkenn- und verhandelbar. Dadurch wird einerseits die Schmerzanamnese unterstützt und andererseits eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die betroffene Person verstanden fühlt und das VerSchmerz und Schmerzmanagement 1/17


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trauen in die Behandlung gestärkt wird. Die Dolografie kann entsprechend in zweierlei Hinsicht zu einer gesteigerten Wahrnehmung führen, wie es auch Corinne Braunschweig, Fach- und Notfallpsychologin FSP/NNPN1, beschreibt. Braunschweig arbeitet mit der Dolografie in einer Praxis für Psychotherapie und Psychiatrie in Olten, Schweiz: „Erstens nehmen die Patienten den Schmerz besser wahr – wo genau er ‚sitzt‘ und wie sich dieser anfühlt. Zweitens haben sie den Eindruck, dass sie vom Gegenüber ernst genommen werden.“ Das Instrument unterstützt nicht nur die Wahrnehmung der Betroffenen, sie werden dadurch auch von ihrem Gegenüber besser wahrgenommen, was sich wiederum positiv auf den Genesungsprozess auswirkt. Denn: „Je weniger die Schmerzleidenden wahrgenommen werden, desto gestresster sind sie und entsprechend mehr Schmerzen haben sie“, meint Braunschweig.

Formulierung des Schmerznarrativs Braunschweig streicht einen weiteren Aspekt heraus: die Dolografie bildet eine Brücke zwischen unterschiedlichen Sprachen. „Fremdsprachige Patienten können, ohne große Worte zu verwenden, sagen: ‚Das ist es, so fühlt es sich an.‘“ Durch die Bildkarten wird eine gemeinsame prälinguale Grundlage geschaffen, die das Sprechen initiiert und leitet. Dies bestätigt auch Barbara Meyer, diplomierte Pflegefachfrau HF2 und Erwachsenenbildnerin. Sie erteilt Sprachkurse für Ärzten und Ärztinnen sowie Pflegefachleute: „Bereits in der eigenen Sprache fällt es schwer, Worte für den Schmerz zu finden. In einer Fremdsprache jedoch wird es umso schwieriger.“ Insofern unterstützen die Bilder der Dolografie die Artikulation des persönlichen Schmerznarrativs, welches dann Schritt für Schritt umgeschrieben werden kann. „Die Patienten können damit etwas konkret anvisieren. Denn es gilt zu lernen, wie der Schmerz gesteuert werden kann“, bekräftigt Meyer.

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Anwendung des Bildersets Die betroffene Person erhält die Dolografie-Bildkarten in zufälliger Reihenfolge vorgelegt. Sie wird aufgefordert, diejenigen Bilder auszuwählen, die ihrer Schmerzempfindung am genauesten entsprechen. Danach wird sie gebeten, ihre Wahl entsprechend zu erläutern. Abhängig von der Therapiesituation kann das Vorgehen angepasst werden. Einzeln oder kombiniert lässt sich die Dolografie in verschiedenen Bereichen der Schmerztherapie verwenden: Als Hilfestellung bei der Schmerzanamnese, als kommunikationsförderndes Instrument in der Schmerztherapie, in Kombination mit anderen schmerztherapeutischen Verfahren, in der Ausbildung, zur Patientenschulung oder auch für Einzel- und Gruppentherapien.

Offene Bildsprache für eine Kommunikation auf Augenhöhe „Ich denke, eine Qualität der Dolografie liegt darin, dass die Bilder so offen sind“, sagt Meyer. So würden sie durch ihre Offenheit überhaupt erst dazu einladen, beschrieben zu werden. Dem stimmt auch Katharina Haas zu, Fachärztin FMH3 für Psychiatrie und Psychotherapie: „Die Bilder der Dolografie entziehen sich – ähnlich der Schmerzempfindung – einer semantischen Eindeutigkeit und fordern dadurch zu sprachlicher Ergänzung auf.“ Tatsächlich war dies die Absicht der Herstellerinnen. Die Bilder entziehen sich einer definitiven Deutung und vermeiden damit auch ungünstige Hierarchien zwischen Patient/Patientin und Therapeut/Therapeutin. Bisherige Rückmeldungen durch Schmerzpatienten/-patientinnen stimmen positiv: „Die Bilder lösen bei mir eine Wohltat aus, wie wenn man von jemandem sehr gut verstanden wird und man sagen kann: ‚Ja, genau so meine ich es.‘“ (M. G.)4 Sabine Affolter, Kommunikationsdesignerin, MA Communication Design (Hochschule der Künste Bern). Seit mehreren Jahren widmet sich Affolter der Entwicklung der „Dolografie“, u. a. innerhalb eines Praktikums bei der Forschungsgruppe Psychosomatik am Inselspital Bern, Schweiz. Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Design Preis Schweiz in der Kategorie research. In Bern betreibt sie das Grafikbüro Affolter/Savolainen. info@dolografie.com

Entwicklung der Dolografie Die Bilder der Dolografie wurden von den Kommunikationsdesignerinnen Sabine Affolter und Katja Rüfenacht entwickelt. In Zusammenarbeit mit Dr. med. Niklaus Egloff am Inselspital Bern, erprobten sie die Bildkarten in schmerztherapeutischen Gesprächssituationen bezüglich ihrer Eignung zur Beschreibung von Schmerzempfinden. Affolter und Rüfenacht bedienten sich explorativer Gestaltungsmethoden, um, ausgehend von schmerzbeschreibenden Aspekten, ein breites Spektrum unterschiedlicher Bildtypen zu entwickeln. In einem alternierenden Prozess zwischen Bildherstellung und Befragung von Schmerzpatienten/-patientinnen wurden die Bilder getestet und entsprechend überarbeitet und weiter spezifiziert.

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Die Dolografie ist als Set mit 34 Dolografie-Bildkarten im Postkartenformat erhältlich unter: www.dolografie.com

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Zusatzqualifikation in Notfallpsychologie resp. Zertifizierung als Fachperson Nationales Netzwerk für psychologische Nothilfe (NNPN) der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) Höhere Fachschule (HF): Institut der höheren Berufsbildung in der Schweiz Swiss Medical Association Die Zitate stammen von Schmerzpatienten/-patientinnen, die mit Hilfe der Dolografie am Inselspital Bern, ihren Schmerz beschrieben haben. Ihre Initialen wurden geändert. © 2017 Hogrefe


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Ein dumpfer, diffuser Schmerz unter der Stirn, der leicht nach

Das ist der Schmerz im Rücken: Ein ziehender Schmerz, der vom

oben ausstrahlt. (Patientin M. R.)

Nacken bis ins Steißbein ausstrahlt. (Patientin S. G.)

Das linke Bild zeigt die ständige Unruhe in meinem Körper. Das rechte Bild zeigt das Körpergefühl, das ich gerne hätte: Harmonisch und ausgeglichen. (Patient A. F.) © 2017 Hogrefe

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Überblick über die moderne Schmerzbehandlung

Lesley A. Colvin / Marie Fallon (Hrsg.)

Schmerzmedizin Übersetzt von Ute Villwock. 2013. 215 S., 110 Abb., 50 Tab., Gb € 39,95 / CHF 53.90 ISBN 978-3-456-85321-5

Schmerzen machen den entscheidenden Teil der gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus, und jeder Patient hat Anrecht auf eine effektive Schmerzbehandlung. Die Schmerztherapie entwickelt sich rasant weiter, mit neuen Ansätzen bei Assessment-Techniken, verbesserten Erkenntnissen der Pathophysiologie und Entwicklungen sowohl in pharmakologischen als auch nicht-pharmakologischen Behandlungsstrategien. Dieses Buch konzentriert sich auf die in der Praxis häufigsten Formen des chronischen Schmerzes wie Rückenschmerzen, muskuloskelettale und neuropathische Schmer-

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zen, behandelt dort aber mit ausführlicher Begründung und anschaulichen Illustrationen die evidenzbasierten Konzepte, die eine moderne Schmerzbehandlung ausmachen. Besondere Kapitel gehen auf viszerale, postoperative, Kopf- und Tumorschmerzen ein sowie auf die Besonderheiten der Schmerztherapie bei Schwangeren, Kindern, alten und drogenabhängigen Patienten. Ausführlich und differenziert wird das Zusammenspiel von psychischen Einflussfaktoren, medikamentöser Schmerzbehandlung, invasiven Maßnahmen, Nervenstimulation, Physiotherapie und komplementären Methoden behandelt.


Interview

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Schmerzassessment im Pflegeheim Ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Fischer

Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung in der Versorgung von Schmerzpatienten mit einer Demenz? Ich finde es am schwierigsten, zu entscheiden, inwieweit ich der Selbstauskunft einer PatientIn mit fortgeschrittener Demenz folgen kann. Oftmals gibt es da ja Situationen, in denen BewohnerInnen etwas über mögliche Schmerzen äußern, aber ich mir nicht sicher sein kann, inwieweit dies eine akkurate Reflexion ihres tatsächlichen Erlebens darstellt. Wenn die Äußerung nicht zum klinischen Gesamtbild passt, dann beginnt eine schwierige – aber auch spannende – Detektivarbeit. Und letztlich muss ich akzeptieren, mit einer gewissen Unsicherheit zurechtzukommen. Das bedeutet auch, immer wieder das eigene Urteil in Frage zu stellen und zu einer Neubewertung bereit zu sein. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation zum Schmerzassessment bei PflegeheimbewohnerInnen? Über die Jahre hat sich eine Menge getan: In vielen Pflegeeinrichtungen werden Schmerzen bei den BewohnerInnen systematisch erfasst. Standardisierte Skalen sind bekannt und zumindest die NRS gehört vielerorts zur Routine. Da haben die Expertenstandards zum Schmerzmanagement in der Pflege wirklich große, positive Veränderungen bewirkt. Kritischer sehe ich allerdings, dass es über die NRS hinaus oftmals an Handwerkszeug fehlt. In Fortbildungen erlebe ich regelmäßig, dass Verbale Rangskalen (VRS) nicht bekannt sind, obwohl sie für die Selbstauskunft bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen am besten geeignet sind. Nach meiner Wahrnehmung hat das unter anderem damit zu tun, dass Einrichtungen in ihren internen Regelungen die Benutzung einer bestimmten Skala vorschreiben. Das halte ich für falsch: Die Entscheidung, welche Skala beim individuellen Bewohner angemessen ist, trifft die Fachkraft mit dem Bewohner zusammen. Wir müssen den Fachkräften in der Praxis zutrauen und zumuten, begründete klinische Entscheidungen zu treffen und ihnen dafür Spielraum geben. Gleichzeitig sollten wir sie von Vorschriften befreien, die starr – unabhängig von der Situation des Bewohners oder der Einschätzung der Fachkraft – zum Beispiel vorschreiben, dass in bestimmten Zeitabständen das gesamte Schmerzassessment wiederholt wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass das sinnvoll ist. Darüber hinaus klappt gerade die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Schmerzarten und insbesondere zwischen akuten und chronischen Schmerzen noch nicht gut. Dafür fehlt es allerdings generell auch an Methoden und Instrumenten, die für die Arbeit mit älteren Menschen geeignet sind. Das ist ein Auftrag an die Forschung. © 2017 Hogrefe

Wie erleben Sie derzeit die interprofessionelle Zusammenarbeit im Bereich des Schmerzmanagements bei PflegeheimbewohnerInnen? Die Herausforderungen bei der interprofessionellen Zusammenarbeit in stationären Pflegeeinrichtungen sind nicht auf das Schmerzmanagement beschränkt. Es fängt damit an, dass weder die Versorgung mit Allgemeinmedizinern noch mit Fachärzten, einschließlich Schmerzmedizinern oder Palliativmedizinern, überall gewährleistet ist. PflegedienstleiterInnen ringen in vielen Regionen darum, Ärzte dazu zu bewegen, sich der BewohnerInnen anzu-

Prof. Dr. Thomas Fischer ist gemeinsam mit Dr. Corinna Drebenstedt und PD Dr. Albert Lukas Sprecher des Arbeitskreises (AK) Schmerz und Alter der Deutschen Schmerzgesellschaft. Seit 2011 ist er Professor für Pflegewissenschaft mit dem Schwerpunkt Altenpflege an der Evangelischen Hochschule Dresden. Er war als Mitglied der Steuergruppe an der Entwicklung der S3Leitlinie Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe beteiligt. Seine Arbeitsschwerpunkt sind: • Schmerzassessment und Schmerzmanagement bei älteren Menschen, insbesondere bei Menschen mit Demenz oder Delir • Weiterentwicklung des Versorgungsangebots in der Pflege alter Menschen, insbesondere neue Wohnformen wie zum Beispiel Wohngemeinschaften Thomas.Fischer@ehs-dresden.de, Twitter: @ProfessorPflege

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Interview

nehmen. Auch bei den Therapeuten ist es teilweise eng. Psychotherapie – wie sie zum Management chronischer Schmerzen eigentlich dazu gehört – ist so gut wie nicht mehr zu bekommen, wenn ein Mensch erstmal in einer stationären Einrichtung lebt. Das ist weder fachlich noch leistungsrechtlich akzeptabel. Bei der Zusammenarbeit wäre es äußert hilfreich, wenn sich die Beteiligten tatsächlich als interprofessionelles Team verstünden. Dazu würden mindestens auch gemeinsame Team- und Fallbesprechungen gehören. Wie viele Einrichtungen kennen Sie, in

denen Pflegende, Ärzte und Therapeuten regelmäßig gemeinsam bewohnerbezogene, strukturierte Besprechungen abhalten? Die gibt es fast nur im Rahmen spezieller Modelle und nicht flächendeckend. Hier lässt die gegenwärtige Versorgungsstruktur die BewohnerInnen stationärer Einrichtungen im Stich, denn das Problem ist nicht durch das Engagement Einzelner zu beheben, sondern muss grundsätzlich angegangen werden. Das Interview führte Prof. Dr. Andre Ewers

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Praxisbeispiel

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Fremdeinschätzung von Schmerzen bei nicht auskunftsfähigen Bewohnenden der vollstationären Altenhilfe – ein Diskurs aus praktischer Sicht Adina Spielvogel, Stephanie Gast

Im folgenden Artikel wird über die Überarbeitung des Schmerzmanagements und dessen EDV-gestützte Dokumentation eines großen Altenhilfeträgers berichtet. Ein Qualitätszirkel hat hier die Diskussionen auf dem Weg der Überarbeitung zusammengefasst und die Qual der Wahl des „richtigen“ Fremdeinschätzungsinstruments beleuchtet.

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chmerz ist das, was der Patient als solchen empfindet (Ciceley Saunders). Ciceley Saunders bringt es mit dieser Definition von Schmerzen auf den Punkt. Aber genau da liegt die Crux in der Erfassung von Schmerzen. Insbesondere bei nicht auskunftsfähigen Bewohnenden bleibt die eigenständige Meldung über Schmerzen aus. Oft liegt der Irrglaube vor, dass nicht auskunftsfähige Menschen weniger Schmerzen haben als Gesunde. Jeder Mensch fühlt und artikuliert Schmerzen auf seine eigene Art und Weise. Dies ist abhängig von der Erziehung, wenn sie von Sprüchen geprägt ist wie: „Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz“, oder: „Männer weinen nicht“. Weitere Einflussfaktoren sind Herkunft, psychisches Erleben und viele weitere. Genau das macht es für das Pflegepersonal so schwierig, das tatsächliche Erleben von Schmerzen einzuschätzen. – „Was maße ich mir an, deinen Schmerz einzuschätzen!“ – Für eine bestmögliche pflegerische Versorgung des Leidens am Schmerz haben nicht auskunftsfähige Bewohnende keine andere Wahl, als sich auf die Einschätzung einer fremden Person zu verlassen. Die Expertenstandards zum Management bei akuten und chronischen Schmerzen erwarten ein „systematisches Einschätzen“, also ein planmäßiges und konsequentes Vorgehen. Grundlage dafür ist ein einheitliches System und damit auch ein einheitliches Fremdeinschätzungsinstrument.

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Foto: Martin Glauser

Fremdeinschätzung von Schmerzen in der vollstationären Altenhilfe Welches Instrument zur Fremdeinschätzung eignet sich für die vollstationäre Altenhilfe? Die Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen und Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen verweisen auf drei Instrumente, die in deutschsprachiger Version zur Verfügung stehen: • Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) • Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz (BISAD) • Zürich Observation Pain Assessment (ZOPA). An dieser Stelle schließt sich nun aus Sicht der Praxis der Diskurs um die Entscheidung für ein Instrument an. Die krankheitsbedingten Ursachen für den Verlust der Auskunftsfähigkeit, die eine Fremdeinschätzung von Schmerzen bedingen, sind vielfältig. In der Praxis finden sich ursächlich Krankheitsbilder wie Demenzsyndrom, Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Parkinsonsydrom, Multiple Sklerose oder Schlaganfall, aber auch Menschen im Koma oder Wachkoma. Betrachtet man die beispielhaft ausgewählten Krankheitsbilder, kann der Verlust der Auskunftsfähigkeit durch Einschränkungen der kognitiven, sprachlichen oder mimisch-gestischen Fähigkeiten, vor allem im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf, begründet sein. Folgt man den Ausführungen des Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen, so eignen sich am besten „bei älteren Patienten mit schwerer Demenz […] BESD, BISAD oder ZOPA“. Der Bezug auf andere Krankheitsbilder über die Demenz hinaus bleibt weitestgehend aus. Welches Instrument eignet sich für Bewohnende mit Erkrankungen, die mit Lähmungen der mimischen Muskulatur oder des Körpers einhergehen? Diese Krankheitsbilder führen zu reduzierten oder fehlenden körpersprachlichen und mimischen Äußerungen. Es scheint, als greife für diese Krankheitsbilder eine Schmerzeinschätzung aufgrund von Verhaltensmerkmalen zu kurz. Darüber hinaus nehmen die Instrumente BESD, BISAD und ZOPA den Schmerz als Auslöser für herausfordernde Verhaltensweisen durch die kognitiven Beeinträchtigungen zu wenig in den Blick. Ergänzt man noch die Veränderungen von Atmung, Puls, Blutdruck als möglichen Hinweis auf Schmerzen, so wird an dieser Stelle deutlich, dass es nicht zielführend sein kann, ein Instrument „abzuarbeiten“. Wie kann man im Pflegealltag diesen komplexen Anforderungen an eine systematische Fremdeinschätzung gerecht werden? Die Diskussion zeigt, dass es nicht die wesentliche Frage ist, sich für das eine oder für das andere Fremdeinschätzungsinstrument aus dem Expertenstandard zu entscheiden. Bei konsequenter Anwendung bewirken die Instrumente, dass manche Schmerzsituationen bei Bewohnenden festgestellt und deren Verlauf eingeschätzt werden kann. Allerdings muss aus der Sicht der Praxis ein umfassender Ansatz geschaffen werden, der mehr Kriterien einschließt als die Kriterien der beschriebenen Instrumente. Wie kann eine Fremdeinschätzung von Schmerzen gelingen? – Durch eine einfühlende Beobachtung im Alltag, durch eine Sensibilisierung aller Beteiligter an der Pflege und Betreuung, auch der Angehörigen. Alle Veränderungen der Bewohnenden im Alltag können auf Schmerzen hinweisen. Diese Veränderungen sensibel wahrzunehmen und zu beobachten gelingt insbesondere jenen Personen, welche die Bewohnenden gut kennen. Natürlich müssen solche Kompetenzen entwickelt werden; dies erfordert Schulungen des Pflegepersonals durch ausgebildete Fachkräfte wie Algesiologische Fachassistenten oder Pain Nurses. Dabei kann die Verantwortung nicht allein nur bei den Pflegekräften verbleiben. Alle Beteiligten an der Pflege und Betreuung sollten ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Schmerzen sind, wie sie entstehen und wie sie sich äußern können. Ein klar definiertes Assessment kann hierbei unterstützend wirken. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

Praxisbeispiel

Beim Schmerzmanagement im Pflegeprozess handelt es sich um Glieder einer Kette, deren Zugbelastung nicht höher sein kann als die des schwächsten Glieds.

Das Schmerzmanagement im Pflegeprozess beinhaltet sowohl das Screening, die tiefergehende Einschätzung, die Verlaufserfassung als auch die Evaluation. Damit diese Kette wirken kann, ist allerdings auch die „Alltagstauglichkeit“ entscheidend. Alltagstauglichkeit hängt wesentlich davon ab, ob die folgenden Kriterien erfüllt sind: • Das Schmerzassessment macht innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen Sinn und wird als hilfreich erlebt. • Die gewünschten Handlungsschritte werden intuitiv erfasst. • Die Instrumente und ihre Zusammenhänge sind effizient und verständlich. • Aus den Ergebnissen resultieren weitere Schritte und diese sind naheliegend. Zusammenhänge werden beispielsweise undurchsichtig, wenn Instrumente ineinander „verschachtelt“ sind oder ohne logische Verbindung an unterschiedlichen Stellen zu dokumentieren sind. So sollte ein positives Ergebnis eines Screenings die folgenden Schritte verbinden: Schmerzbeschreibung, Verlaufserfassung und deren Evaluation. Das heißt, dass diese Handlungskette ausgelöst werden muss und sich daran die weiteren Schritte intuitiv anschließen. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass allein die Beschreibung der Zusammenhänge in einem Qualitätsstandard nicht ausreichend war und in der Dokumentation häufig unvollständige Handlungsketten zu finden waren.

Fazit Ob nun BESD, BISAD oder ZOPA als Fremdeinschätzungsinstrument zur Erkennung von Schmerzen angewandt wird, festzuhalten bleibt, dass ein reines „Abarbeiten“ des Instrumentes alleine zu kurz greift. Standardisierte Instrumente unterstützen positiv, Schmerzen zu erkennen. Wesentliche Hinweise liefern allerdings die Beobachtungen durch alle an der Pflege beteiligten Personen, auch die Angehörigen, eben durch ihre gewohnte Nähe zu den Bewohnenden. Sie erkennen die Veränderungen im Verhalten, die auf Schmerzen hindeuten können. Das heißt: Fremdeinschätzung muss im Alltag stattfinden, über die Anwendung eines Instrumentes hinausgehen. Werden Veränderungen in Verhaltensweisen erkannt und dadurch Schmerzen vermutet, muss eine Handlungskette festgelegt sein, die für alle an der Pflege Beteiligten praxistauglich ist und durch das Dokumentationssystem unterstützt wird. Die Aufgabe des Managements liegt darin, das Bewusstsein und Verantwortungsbewusstsein des Teams zu fördern und © 2017 Hogrefe


Praxisbeispiel

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zu fordern. So werden die Pflegenden und Angehörigen sensibilisiert, Schmerzen zu erkennen und einzuschätzen. Das Schmerzassessment mit einem System bleibt eine Momentaufnahme – die Anzeichen von Schmerzen jedoch werden im Alltag wahrgenommen und beobachtet. So kann zeitnah zum Wohle der Bewohner reagiert werden.

Adina Spielvogel, Krankenschwester, Diplom Pflegewirtin (FH), Referentin für Pflege in der Evangelischen Heimstiftung GmbH a.spielvogel@ev-heimstiftung.de

Stephanie Gast, Krankenschwester, Algesiologische Fachassistentin, Gerontopsychiatrische Fachkraft, Pflegedienstleitung des „Karl-GerokStift der Evangelischen Heimstiftung GmbH“ in Vaihingen/Enz.

Literatur DNQP (Hrsg.) (2011). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen. 1.Akutalisierung 2011. Osnabrück: DNQP DNQP (Hrsg.) (2015). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen. Entwicklung, Konsentierung, Implementierung. Osnabrück: DNQP

s.gast@ev-heimstiftung.de

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Aktiv mit chronischen Schmerzen umgehen Michael Nicholas et al.

Den Schmerz in den Griff bekommen Die Strategie des aktiven Umgangs mit chronischen Schmerzen 2., überarb. und erw. Aufl. 2014. 368 S., 27 farbige Abb., 15 farbige Tab., Kt € 19,95 / CHF 28.50 ISBN 978-3-456-85402-1 Chronischer Schmerz kann allzu oft nicht durch Medikamente beseitigt werden. Aber es gibt Hilfen durch eine Kombination verschiedener Ansätze, die in diesem auf dem weltweit erfolgreichen australischen ADAPT-Programm beruhenden Buch beschrieben werden. Dadurch kann der Einfluss

der Schmerzen auf den Alltag so gering wie möglich gehalten werden. Anstatt dem Schmerz hilflos ausgeliefert zu sein, kann man ihn dorthin drängen, wo er hingehört: in den Hintergrund des Lebens.

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Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


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Aktuelle Praxisfrage

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Angst vor Schmerzen bei Kindern vor einem chirurgischen Eingriff zu mindern? Raimond Ehrentraut

A

ngst ist zweifellos ein Schmerzverstärker im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells. Darum liegt es auf der Hand, diesen Sachverhalt auch bei der Behandlung von akuten Schmerzen zu berücksichtigen. Für Ärzte und Pflegekräfte ist eine Operation ein alltäglicher Routine-Eingriff, aber für Kinder ein Ereignis, das insbesondere diffuse Angst wecken kann. Kinder erleben einen Krankenhausaufenthalt eher auf der Ebene ihrer Gefühle und deutlich weniger rational als Erwachsene. So zeigen sie im Vergleich häufig stärkere Reaktionen auf schmerzauslösende Situationen. Für sie ist nicht nur die Operation ein unbekanntes und bedrohliches Ereignis, sondern auch die von Hektik geprägte Atmosphäre im Krankenhaus. Das „worst case scenario“ tritt immer dann ein, wenn übermäßig besorgte Eltern eigene Ängste auf ihr Kind übertragen, mit der Folge einer prä- oder/und postoperativen Agitiertheit, die nur noch mit Beruhigungsmitteln gelöst werden kann. Ein Patentrezept, diesen Angstursachen und Mechanismen zu begegnen, gibt es nicht. Jede Klinik, in der Kinder operativ versorgt werden, sollte neben den leitliniengerechten chirurgischen und anästhesiologischen Methoden auch die prozeduralen Faktoren in angemessenem Umfang berücksichtigen. Dazu zählen die kind- und elterngerechte Patientenedukation, die familienfreundliche Unterbringung (Rooming in) und klientelspezifisch geschultes Personal. Eltern sollten ihr Kind möglichst mit in den OP bis zur Narkoseeinleitung begleiten dürfen, um Trennungs- bzw. Verlustängste zu vermeiden. Untersuchungen konnten aufzeigen, dass die Anwesenheit von Eltern im OP bei der Narkoseeinleitung zu einer Mandel-OP weniger Ängste bei den Kindern auslösen1. Dass Ängste vor einer Operation bei Kindern ein Problem darstellen, sollte jedem Mitarbeiter bewusst sein, ebenso mit welcher Einstellung und Haltung man ihr im klinischen Alltag begegnen kann. Folgende Maßnahmen tragen zu einer individuellen Betreuung bei und fördern eine vertrauensvolle Beziehung: freundlich und offen informieren, kommunizieren und auch vermeintlich „kleine Probleme“ ernst nehmen sowie „machbare“ Wünsche erfüllen. Vertrauen reduziert Angst. Genau an diesem Punkt setzt das Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

DOLORES2-Konzept an. Bei diesem Konzept handelt es sich um eine Art emotionalem Schutzschild, der Kinder und Eltern vor, während und nach dem Klinikaufenthalt

1

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MedicalNewsToday, Euroanaesthesiea 2014 (Stockholm), European Journal of Anaesthesiology, Volume 31, Supplement 52, 2014 – ABSTRACT 1AP7–9, S. 24 (Download-Link, letzter Zugriff am 08.12.2016) DOLORES steht für DOLOR (Schmerz) und RESistance (Widerstandskraft) © 2017 Hogrefe


Aktuelle Praxisfrage

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begleitet. Rund um die Figur „Schnobbl“, ein kleiner und überaus fröhlicher Kobold, der Kindern im perioperativen Setting zur Seite steht, spinnt sich ein schlüssiges Ineinandergreifen verschiedener Module. Dazu gehört ein Krankenhaushörspiel mit stimmigen Kinderliedern, Broschüren für die Eltern, der kuscheligen Plüschfigur Schnobbl, ein im Schnobbl-Design gehaltenes Wegeleitsystem u. v. m. DOLORES wendet sich auch an die beteiligten Mitarbeiter, die Schnobbl immer dann, wenn es sinnvoll erscheint, spielerisch in das Geschehen miteinbinden. Die Botschaft lautet: „Schnobbls wohnen im Krankenhaus und passen auf alle Kinder auf.“ So lässt sich mit relativ wenig Aufwand das Imaginationsvermögen der jungen Patienten gezielt triggern, um positive Emotionen wie Fröhlichkeit, Neugier und Vertrauen zu fördern. In der Summe, zusammen mit schmerzvermeidenden bzw. schmerzarmen Prozeduren und einem schlüssigen medikamentösen Regime, ergibt sich ein ganzheitliches, qualitativ hochwertiges pädiatrisches Gesamtkonzept. Dass Heiterkeit und Humor Ängste vertreiben können, beweisen schon seit vielen Jahren die Klinikclowns. So lässt sich durchaus nachweisen, dass mittels Humor und Freude, der Oxytocin-Blutspiegel der beteiligten Kinder um bis zu 30 % erhöht ist3. Ein weiterer vertrauensfördernder An-

satz ist die Broschüre „Schäfchen zählen mit Fred und Paula“, in der die Etappen rund um den Operationstag mit Hilfe eines männlichen und eines weiblichen Schafes kindgerecht mit vielen Bildern und wenig Text erklärt werden. Fred und Paula tauchen im Verlauf als Plüschfiguren auf und begleiten die Kinder mit in den OP. Mein Fazit: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um Kindern den Klinikaufenthalt zu erleichtern und ihnen Ängste zu nehmen. Man muss es nur tun!

Raimond Ehrentraut, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin, Pain Nurse I und II (cekib, Nürnberg), Stabsstelle Schmerz- und Palliative Care Management (Pflege) und Pain Nurse im St. Joseph-Stift Bremen. Nebenberuflich ist er Visitor Schmerzzertifizierung (paincert GmbH / Certom e. V.) und Pflegeunternehmer HumanCareConcepts UG

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Lachen hilft bei der Heilung, Ärztezeitung 02.02.2016

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Schlafen Sie gut? Christian Ehrig / Ulrich Voderholzer

Der gute und erholsame Schlaf Was Sie darüber wissen sollten 2014. 188 S., 10 Abb., 16 Tab., Kt, € 19,95 / CHF 28.50 ISBN 978-3-456-85391-8 Auch als eBook erhältlich

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Schmerz und Schmerzmanagement 1/17


PHILOSOPHISCH-THEOLOGISCHE HOCHSCHULE VALLENDAR Kirchlich und staatlich anerkannte Wissenschaftliche Hochschule in freier Trägerschaft Institut für Wissenschaftliche Weiterbildung (IWW)

Das Phänomen Schmerz in der Versorgung alter Menschen aus der Reihe

PROFESSION, QUALITÄT & INNOVATION IN DER GERONTOLOGISCHEN PFLEGE 30.-31. MÄRZ 2017

WER WIR SIND Das Institut für Wissenschaftliche Weiterbildung (IWW) ist eine Einrichtung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar der Pallottiner, einer kirchlich und staatlich anerkannten Hochschule in Trägerschaft der PTHV gGmbH. Die Philosophisch-Theologische Hochschule ist eine Katholische Hochschule in freier Trägerschaft im Rang einer Universität. An zwei Fakultäten, Theologie und Pflegewissenschaft, studieren Frauen und Männer aus der ganzen Welt. Sie werden in ihrer wissenschaftlichen, spirituellen und persönlichen Entwicklung individuell begleitet durch ausgewiesene Wissenschaftler. Die Atmosphäre unseres Hauses ermöglicht eine zwanglose Begegnung zwischen Studierenden und Dozierenden. Dazu bieten wir ein vielgestaltiges und aktives Hochschulleben. Wir schaffen Raum für innovatives Forschen, Lehren und Studieren. Wir greifen gesellschaftliche und ethische Herausforderungen auf und befähigen unsere Absolventen, sich wissenschaftlich kompetent Glaubensfragen und dem Dienst am Menschen zu stellen. ANSCHRIFT Institut für Wissenschaftliche Weiterbildung (IWW) Pallottistraße 3 · 56179 Vallendar MEHR INFOS AUCH UNTER www.pthv.de/institute/iww

PROFESSION, QUALITÄT & INNOVATION IN DER GERONTOLOGISCHEN PFLEGE Hintergründe, Praxisinstrumente & Reflexionsimpulse Schmerz ist im Alter ein zentrales Phänomen und hat starke Auswirkungen auf die Teilhabe am Alltag. Ob in der Akutpflege, wie auch in der palliativen Versorgung stellt der Umgang mit diesem Phänomen alle Betroffenen vor große Herausforderungen. Schmerzassessment und schmerzreduzierende Maßnahmen sind zudem ein großer „Posten“ in der Versorgung alter Menschen. In dieser Veranstaltung werden das Phänomen Schmerz und der Umgang damit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Welche ethischen Implikationen hat z. B. der Schmerz in der letzten Lebensphase und welche Aufgaben haben unterschiedliche Akteure im multidisziplinären Team. Während der Veranstaltung werden theoretische Grundlagen, Konzeptionen ebenso wie die Vernetzung in die Versorgungspraxis behandelt. Ziel der Veranstaltung ist es, die aktuellen Herausforderungen und Lösungsvorschläge gemeinsam zu diskutieren und im Anschluss an die Veranstaltung die Beiträge in der Buchreihe „Gerontologische Pflege. Innovationen für die Praxis“ beim Kohlhammer-Verlag zu publizie-J ren. Vor diesem Hintergrund wird ein moderierter Dialog zwischen Vortragenden und Publikum angestoßen. Davon profitieren die Vortragenden, denn sie erhalten eine Rückmeldung zu ihren Überlegungen und den Präsentationen. Und auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erweist sich diese Konzeption als sinnvoll, denn so kann ein direkter und persönlicher Dialog zu Perspektiven von Praxis und Wissenschaft entstehen, der seinen Niederschlag in der sich anschließenden Publikation findet.

Zielgruppe VON OBEN NACH UNTEN Prof. Dr. Paul Rheinbay SAC Prof. Dr. Hermann Brandenburg Prof. Dr. Alfred Schuchart SAC

Angesprochen werden alle Mitarbeitende des Gesundheitswesens (z.B. in leitender Funktion, im Management tätige Pflegekräfte, Pflegewissenschaftler/innen, Mediziner/innen, Mitarbeitende therapeutischer Berufe, pflegerische Experten) die sich für das Phänomen Schmerz und das Schmerzmanagement in der Versorgung älterer und alter Menschen interessieren.

PROGRAMM VON OBEN NACH UNTEN Prof. Dr. Paul Rheinbay SAC Prof. Dr. Hermann Brandenburg Prof. Dr. Alfred Schuchart SAC

MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG DER

Donnerstag, 30. März 2017 19:00 – 19:10 Uhr Begrüßung und Einführung (JProf. Erika Sirsch, MScN) 19:10 – 20:00 Uhr Über die Bedürfnisse am Lebensende von Menschen mit schwerer Demenz (Dr. Klaus Maria Perrar) Es gibt überraschend differenzierte Bedürfnisse bei Menschen mit Demenz am Lebensende. Wie können Menschen an die Betreuung herangeführt werden und was ist in der Betreuung ethisch geboten.


Freitag, 31. März 2017

ANMELDUNG

09:00 Uhr Das Phänomen Schmerz als pflegerische Aufgabe (Dr. Irmela Gnass, MScN)

bitte schriftlich per Anmeldeformular an das IWW

Schmerz ist ein multidimensionales Phänomen, dazu ist die Erfassung und Fokussierung auf die Schmerzintensität nicht ausreichend. Welche Konzepte und Strategien sind erforderlich um diesem Phänomen aus pflegerischer Perspektive zu begegnen. 10:00 Uhr Das Phänomen Schmerz im Alter aus physiotherapeutischer Perspektive (Marjan Laekeman, MScPhys) Schmerz ist untrennbar mit Bewegung verbunden. Welche Bedeutung hat das für die Versorgung und wie kann Unterstützung durch Physiotherapie aussehen. 11:00 – 11:20 Uhr

Kaffeepause

11:20 – 12:20 Uhr Das Phänomen Schmerz aus Sicht der Versorgungseinrichtung Krankenhaus (Ass.- Prof. Dr. Andre Ewers, MScN) Alle handelnden Personen, einschließlich der betroffenen älteren und alten Menschen, sind aufgefordert gemeinsame Strategien in der Prävention und der Behandlung von Schmerz zu finden. 12:30 – 13:30 Uhr

Mittagspause

13:30 – 14:30 Uhr Das Phänomen Schmerz aus Sicht der Versorgungseinrichtung stationäre Altenhilfe (Dr. Nada Ralic, MPH) Gemeinsame Strategien zu entwickeln ist insbesondere in den Einrichtungen der Langzeitversorgung von zentraler Bedeutung. Welche Herausforderungen stellen sich dabei in der stationären Altenhilfe. 14:30 – 15:00 Uhr

Kaffeepause

15:00 – 16:00 Uhr Das Phänomen Schmerz im Kontext der Langzeit versorgung (Prof. Dr. Thomas Fischer, MPH) Um einen gelingenden Umgang mit dem Phänomen Schmerz zu ermöglichen, reichen weder einzelne Maßnahmen noch abgesichertes Wissen aus. In den pflegerischen Institutionen müssen vielmehr Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein gelingendes Schmerzmanagement ermöglichen.

VERANSTALTER Institut für Wissenschaftliche Weiterbildung Pallottistraße 3 56179 Vallendar Tel. 0261 6402-255 Fax 0261 6402-350 E-Mail: iww@pthv.de www.pthv.de LEITUNG JProf. Dr. Erika Sirsch ANSPRECHPARTNERIN Frau Stefanie Fein ANMELDUNG UND ZAHLUNGSMODALITÄTEN Für Ihre Anmeldung benutzen Sie bitte das anhängende Anmeldeformular. Mit der Anmeldebestätigung erhalten Sie eine Rechnung. Bei Rücktritt bis 4 Wochen vor Seminarbeginn erfolgt die Rückzahlung abzüglich einer Verwaltungsgebühr von € 50,00. Im Übrigen gelten die Geschäftsbedingungen des Forums Vinzenz Pallotti. KOSTEN • Tagungskosten inkl. Verpflegung: 150 Euro •

Unterkunft s. Anmeldekarte

ALS TEILNEHMENDE unserer Veranstaltungen können Sie den •

„Prämiengutschein“ (www.bildungsprämie.info)

„Qualischeck“ (www.qualischeck.rlp. de)

in Anspuch nehmen.

16:00 – 16:30 Uhr Zusammenfassung der Ergebnisse aus Vorträgen und Diskussionen, Ausblick auf die Publikation. (J Prof. Erika Sirsch, MScN) 16.30 Uhr

Ende der Veranstaltung

ANMELDEKARTE Bitte senden Sie diesen Abschnitt an uns zurück

REFERENT/INNEN JProf. Dr. Erika Sirsch, MScN Lehrstuhl Akutpflege Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar (PTHV) Dr. Klaus-Maria Perrar Zentrum für Palliativmedizin Universitätsklinikum Köln Dr. Irmela Gnass , MScN Institut für Pflegewissenschaft Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg Marjan Laekeman, MScPhys Stellvertretende Sprecherin des Arbeitskreises Schmerz und Bewegung der Deutschen Schmerzgesellschaft Universität Witten/Herdecke Ass.- Prof. Dr. Andre Ewers, MScN Leitung Fachentwicklung Pflege SALK Gemeinnützige Salzburger Landeskliniken Betriebsges. mbH Universitätsklinikum der PMU Landeskrankenhaus Salzburg Dr. Nada Ralic, MPH Qualitätsmanagementbeauftragte Diakonie Düsseldorf Prof. Dr. Thomas Fischer, MPH Professor für Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Altenpflege Sprecher des Arbeitskreises Schmerz und Alter der Deutschen Schmerzgesellschaft Evangelische Hochschule Dresden

Name: ...................................................................................................................................... Vorname: ................................................................................................................................. Straße: ..................................................................................................................................... PLZ / Wohnort: ........................................................................................................................ E-Mail: ...................................................................................................................................... Hiermit melde ich mich an zur Weiterbildungsreihe: Profession, Qualität und Innovation in der Gerontologischen Pflege am 30./31.März 2017. Tagungskosten inkl. Verpflegung:

150,00 Euro

Ich wünsche eine Übernachtung:

45,40 Euro

Anstatt Normalkost wünsche ich: Vegetarische Kost Mit der Aufnahme meines Namens und meiner Anschrift in die Teilnehmerliste und deren Weitergabe an die anderen Teilnehmer/innen bin ich einverstanden. .................................................................................................................................................. Datum Unterschrift

WEITERE INFORMATIONEN Bitte senden Sie mir das aktuelle Halbjahresprogramm des IWW des Forum Vinzenz Pallotti


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Journal Club

Schmerz bei jungen Erwachsenen Geue et al. (2016). Junge Erwachsene mit Krebs – Schmerzerleben und Lebenszufriedenheit Andre Ewers

D

er aktuelle Artikel Junge Erwachsene mit Krebs – Schmerzerleben und Lebenszufriedenheit zeigt, dass das Thema Krebs und Schmerz auch in jungen und mittleren Lebensjahren von großer Bedeutung ist. Etwa 3 % der Krebserkrankungen in Deutschland betrifft nach den Angaben von Geue et al. (2016) die Altersgruppe der 15–39-Jährigen, die als „adolescent and young adult patients (AYA)“ bezeichnet werden. Neben der Behandlung der Krebserkrankung nimmt die Sorge um eine bestehende oder potenzielle Schmerzsymptomatik auch in dieser Altersgruppe einen wichtigen Raum ein. Die Autoren berichten, dass in der Altersgruppe der 15–39-Jährigen bei Auftreten einer malignen Erkrankung vor allem Brustkrebs, Hodentumoren, Melanome und hämatologische Neoplasien diagnostiziert werden. Die 10-Jahres-Überlebensrate liegt bei Erkrankungen in diesem Lebensalter bei etwa 80 %. Einigkeit besteht nach Auffassung der Autoren in der Literatur darüber, dass diese Rate aufgrund neuer medizinischer Ansätze mittelund langfristig weiter zunimmt. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass die Patienten, gestützt auf wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen aus den Jahren 2009–2013, nach Abschluss der medizinischen Behandlung sowohl gegenüber älteren Krebspatienten wie auch gegenüber der Allgemeinbevölkerung eine schlechtere Lebensqualität angeben. Aufgrund der von den Autoren dargestellten unzureichenden Studienlage war das Ziel der Studie, sich differenzierter mit dem Schmerzerleben auseinanderzusetzen. Dies vor allem deshalb, weil die jungen Menschen vor ihrer Krebserkrankung in der Regel als gesund und schmerzfrei angesehen werden können. Folgende Fragestellungen liegen der Studie zugrunde: • Wie hoch ist der Anteil der AYA, die unter Schmerzen leiden bzw. Angst vor Schmerzen haben? • Wie hoch ist der Unterstützungsbedarf bezüglich Schmerzen? • Wie ist die Lebenszufriedenheit der AYA ausgeprägt? • Welche Zusammenhänge lassen sich bezüglich des Schmerzerlebens und der Lebenszufriedenheit sowie weiterer Faktoren nachweisen?

Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

Methodisches Vorgehen Die Studie richtete sich an Patienten, die zum Befragungszeitpunkt folgende Kriterien aufwiesen: • Alter zwischen 18 und 39 Jahren • Auftreten der malignen Erkrankung in den letzten fünf Jahren • Die primäre Krebsbehandlung ist abgeschlossen. • Die Patienten befinden sich derzeit in ambulanter Nachsorge. Zwischen September 2011 und April 2012 nahmen insgesamt 117 Patienten aus der Universitätsklinik Leipzig, einem Berliner Brustzentrum und mehreren Rehabilitationskliniken in Deutschland an der Befragung teil. Die Patienten wurden entweder postalisch oder persönlich über die Studie informiert und bestätigten die Studienteilnahme durch eine schriftliche Einverständniserklärung. Die Ethikkommisssion der Universität Leipzig stimmte der Studie nach eingehender Prüfung zu. Insgesamt wurden vier verschiedene Instrumente zur Datenerhebung herangezogen, die an dieser Stelle kurz beschrieben werden sollen. Beim EORTC QLQ-C30 (European Organisation for the Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire-Core 30) handelt es sich um einen Fragebogen für Tumorpatienten zur Erhebung der Lebensqualität. Dabei wird das Phänomen Schmerz als Symptom in diesem Fragebogen für diese Studie mit zwei Fragen erfasst (Kasten 1). Der FBK (Fragebogen zur Belastung von Krebskranken) umfasst Fragen, die besonders alltags- und erlebnisnah formuliert sind (Kasten 2). Beim SCNS-SF34 (Supportive Care Needs Survey-Short Form) handelt es sich um einen Fragebogen, der die Unterstützungsbedürfnisse von Krebspatienten erfragt. Im Rahmen dieser Studie wurde nur eine Frage des Fragebogens genutzt (Kasten 3). Die Einschätzung der allgemeinen Lebenszufriedenheit wurde in der vorliegenden Studie mit dem FLZM Fragebogen untersucht. In den weiteren Ausführungen soll bei diesem Fragebogen nur auf die Ergebnisse der Fragen eingegangen werden, die einen Bezug zur Angst und zur Beschwerde- und Schmerzfreiheit der Patienten herstellen (Kasten 4). © 2017 Hogrefe


Journal Club

Frage 1: Hatten Sie Schmerzen? Frage 2: Fühlten Sie sich durch Schmerzen in ihrem alltägflichen Leben beeinträchtigt? Antwortmöglichkeit: überhaupt nicht/wenig/mäßig/sehr Kasten 1. Fragen zum Schmerz aus dem EORTC QLQ-C30

Aussage 1: Ich leide unter Wund- und Narbenschmerzen Aussage 2: Ich leide unter ungeklärten körperlichen Beschwerden Aussage 3: Ich habe Angst davor, Schmerzen bekommen zu können. Antwortmöglichkeit • Erste Antwortmöglichkeit: trifft nicht zu / trifft zu • Wenn Antwort ‚trifft zu’ dann: 1: belastet mich kaum bis 5: belastet mich sehr stark Kasten 2. Fragen zum Schmerzerleben aus dem FBK

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Frage: Wie groß war ihr Unterstützungsbedarf im Hinblick auf Schmerzen im letzten Monat? Antwortmöglichkeit: habe hier kein Problem / werde bereits unterstützt / geringes Unterstützungsbedürfnis / mittleres Unterstützungsbedürfnis / hohes Unterstützungsbedürfnis Kasten 3. Frage zum Unterstützungsbedürfnis Schmerzerleben aus dem FBK

Wie zufrieden sind Sie mit der Gesundheit in Bezug auf: • Angstfreiheit • Beschwerde- und Schmerzfreiheit Kasten 4. Auszug aus dem Fragebogen FLMZ

18–24 Jahre: 17 Patienten 25–32 Jahre: 46 Patienten 33–39 Jahre: 54 Patienten Kasten 5. Verteilung der Altersklassen

Ergebnisse Von den 149 angefragten Patienten haben 117 Patienten die Fragen beantwortet. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer lag bei 31 Jahren. Kasten 5 zeigt die Verteilung der Patienten in den sogenannte Altersklassen: Zwei Drittel der Patienten waren Frauen. Bei den Männern überwog die Diagnose einer hämatologischen Neoplasie (55 %), gefolgt von der Diagnose Hodenkrebs (27,5 %). Bei den Frauen überwog die Diagnose Mammakarzinom (53,2 %), gefolgt von der Diagnose einer hämatologischen Neoplasie (26 %). Die Feststellung der Diagnose lag zum Befragungszeitpunkt durchschnittlich 29 Monate zurück. Die überwiegende Mehrheit der Patienten erhielt eine Chemotherapie, über die Hälfte der Patienten mussten sich einer Operation oder einer Radiotherapie unterziehen. Schmerzerleben, Angst vor Schmerzen und Unterstützungsbedürfnis: Von den befragten 117 Patienten gaben 45 Patienten an, in der Woche vor der Befragung an Schmerzen gelitten zu haben. Jeder vierte Patient berichtete über mäßige bis starke Schmerzen. Von den 45 Patienten, die Schmerzen angaben, fühlten sich 32 Patienten im Alltag beeinträchtigt. Die Hälfte der operierten Patienten klagte über Wund- und Narbenschmerzen, jeder Zehnte dieser Patienten war davon stark betroffen. 46 der 117 Patienten gaben ungeklärte körperliche Beschwerden an, 19 dieser Patienten litten stark darunter. Etwa die Hälfte der Patienten hatte Angst vor Schmerzen, jeder Dritte gab an, dass ihn diese Angst belastet. 21 der 117 Patienten fragten eine Unterstützung bezüglich der Schmerzproblematik an. Lebenszufriedenheit: Fast 90 % der Patienten gaben an, dass sie trotz der Schwere der Erkrankung mit ihrem Leben insgesamt zufrieden sind. Mit der Beschwerde- und Schmerzfreiheit waren 18 der 117 Patienten unzufrieden. © 2017 Hogrefe

Zusammenhang des Schmerzerlebens und der allgemeinen Lebenszufriedenheit: Das Schmerzerleben der Patienten hatte keinen Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit. Allerdings sinkt die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit bei einem stärkeren Schmerzerleben und ungeklärten Schmerzen und auch in einem jüngeren Alter.

Kommentar zum Artikel Der Artikel beantwortet insgesamt nachvollziehbar die gestellten Forschungsfragen. Wie in nahezu jeder wissenschaftlichen Arbeit werden in der Diskussion weitere Fragen aufgeworfen und Empfehlungen für zukünftige Forschungsansätze skizziert. Mit der Empfehlung der Autoren, das Schmerzerleben von Patienten der hier untersuchten Altersgruppen mit gesunden gleichaltrigen Menschen zu vergleichen, um spezifische Unterschiede feststellen zu können, wird eine wichtige Empfehlung am Ende des Artikels angesprochen.

Literatur Geue, K., Schmidt, R., Sender, A., Friedrich, M. (2016). Junge Erwachsene mit Krebs – Schmerzerleben und Lebenszufriedenheit. Der Schmerz. http://doi.org/10.1007/s00482–016–0125–6.

Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Andre Ewers, Herausgeber der Fachzeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement andre.ewers@pmu.ac.at Schmerz und Schmerzmanagement 1/17




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Schmerz medial

Schmerz. Ganzheitliche Wege zu mehr Lebensqualität Simon Krutter

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anz dem Titel entsprechend, widmet sich dieses Fachbuch dem Thema Schmerz aus einer ganzheitlichen Perspektive und zeigt für Betroffene Wege auf, Schmerzen zu verstehen, mitzuteilen und zu lindern, um dadurch mehr Lebensqualität zu erfahren. Dabei wird das Buch von der Grundhaltung getragen, Schmerz, im Sinne des biopsychosozialen Modells, als Zusammenspiel verschiedenster Schmerzaspekte und Schmerzdimensionen zu sehen. Daraus erwächst auch der interdisziplinäre Zugang des Buches zum Thema Schmerz. Ein interdisziplinärer Zugang, der sich auch in den verschiedenen Professionen des Autorenpaares wiederspiegelt. Die Psychologin Monika Specht-Tomann und der Intensivmediziner Andreas Sandner-Kiesling vertreten dabei die zentrale These, Schmerzen, insbesondere chronische Schmerzen, aus einer körperlichen, emotionalen, sozialen und spirituellen Sichtweise zu betrachten. Konsequent zu Ende gedacht, wird diese zentrale These mit der Botschaft an die Leser, Schmerzen als etwas Individuelles und Subjektives zu begreifen. Die Bedeutsamkeit, das je eigene Schmerzerleben für andere umfassend zum Ausdruck zu bringen und der Versuch, zur Linderung der Schmerzen verschiedene, wie auch eigene Wege zu gehen, sind daran anknüpfende weitere wichtige Botschaften des Buches.

Bei diesen Botschaften bleibt das Buch aber nicht stehen, sondern es gibt von Schmerz Betroffenen auch entsprechendes Wissen, lebensnahe Beispiele, Ratschläge, Instrumente und praktische Anleitungen an die Hand, um auch für sich selbst eine Linderung der Schmerzen herbeiführen zu können. Ermutigen sowie befähigen will das Buch die Betroffenen aber auch dahingehend, eine aktive und mitgestaltende Rolle in der Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Gesundheitsberufe, sowohl im Assessment als auch in der Therapie der Schmerzen, einzunehmen. In diesem Sinne dient das Buch letztendlich auch der Health literacy der Schmerzpatienten, da es deren Gesundheitskompetenz erhöht und sie dazu ermächtigt, im eigenen Alltag wie auch im Austausch mit Angehörigen der Gesundheitsberufe, für eine Verbesserung ihrer Schmerzsituation Sorge leisten zu können. Zu tragen kommt das insbesondere in jenen Abschnitten des Buches, wo den Lesern Mittel und Wege aufgezeigt werden, Schmerzen selbst zu erfassen, Fragen der Ärzte im Assessmentgespräch richtig zu verstehen und die eigenen Schmerzen für andere verständlich zum Ausdruck zu bringen. Schmerz und Schmerzmanagement 1/17

Specht-Tomann, M. & Sandner-Kiesling, A. (2014). Schmerz. Ganzheitliche Wege zu mehr Lebensqualität (2., überarbeitete Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG.

Cover Co C ov ve er IS IISBN: SB BN N: 9783456853147 9783 8345 568 85314 47

Eine weitere zentrale These des Buches ist ferner, dass ein Erleben chronischer Schmerzen oftmals mit einem Verlust von Bewegungsmöglichkeiten und Lebensqualität einhergeht und sich bei den Betroffenen dahingehend auch als Verlusterleben, als Trauer niederschlagen kann. Dass bei chronisch oder progredient verlaufenden Erkrankungen die Trauerbegleitung integraler Bestandteil einer Schmerztherapie darstellen sollte, ist daran anknüpfend eine weitere wichtige Botschaft des Buches. Nicht nur für die Betroffenen und deren Angehörige, sondern auch für die Health Professionals. Inhaltlich gliedert sich das Buch in drei Abschnitte in denen den Lesern wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Schmerz- und Trauerforschung nähergebracht werden. Ergänzt werden die theoretischen Inhalte jeweils mit praktischen Beispielen und lebensnahen Fallbeispielen. Der erste Abschnitt, der die Überschrift „Schmerzen verstehen“ trägt, beginnt mit einem historischen Abriss, der den Wandel der Auffassung dessen, was unter Schmerz zu verstehen ist, schön ersichtlich macht. Vorgestellt werden in einem nächsten Schritt aktuelle Modelle und Mechanismen zur Beschreibung von Schmerzen. Erörtert werden dabei die Entstehung von Schmerzen, die Schmerztypen und das Schmerzerleben. Näher erläutert werden auch die Funktionen des Schmerzes. Schön dargestellt wird dabei der Umstand, dass die mit dem Akutschmerz einhergehenden Hinweis-, Warn- und Aufforderungsbotschaften beim chronischen Schmerz ihren Sinn verlieren und sogar zu einer Verstärkung der Belastungssituation führen können. © 2017 Hogrefe


Schmerz medial

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„Schmerzen mitteilen“ lautet der Titel des zweiten Abschnittes. In diesem erfahren die Leser mehr über das Schmerzassessment, es werden gängige Erfassungsinstrumente vorgestellt und auf wichtige Aspekte der Kommunikation, dem Sprechen über den Schmerz, eingegangen. Vorgestellt werden dabei auch moderne computergestützte Kommunikationsmittel, wie etwa elektronische Schmerztagebücher in Form von Apps. Im dritten Abschnitt zum Thema „Schmerz lindern“ wird umfassend auf die Schmerztherapie eingegangen. Unter dem Stichwort „Säulen der Schmerztherapie“ werden dabei medikamentöse, komplementäre, physiotherapeutische, psychotherapeutische und invasive Therapiemaßnahmen besprochen. Zum Thema Berührung, Bewegung und Entspannung werden den Lesern zahlreiche Maßnahmen vorgestellt, die sie selbst anwenden und dabei herausfinden können, welche der Maßnahmen ihrem Schmerz positiv entgegenwirken. In den Erörterungen zum Thema Sucht und Abhängigkeit wird viel Aufklärungsarbeit getätigt, um die Angst vor Opioiden zu nehmen. Tipps, um einer Suchtgefährdung zu entgehen, werden den Lesern dabei ebenso vermittelt. Insgesamt hätte dem sensiblen Thema Nebenwirkungen von Analgetika und Co-Analgetika jedoch mehr Aufmerksamkeit gewid-

met werden können. Vor dem Hintergrund bestehender Sorgen, Ängste und dem Unwissen vieler Patienten, hätte dieses wichtige Thema noch zielgruppengerechter aufbereitet und dargestellt werden können. Das Buch richtet sich an von Schmerzen Betroffene und deren Angehörige. In gut verständlicher Weise geschrieben und mit vielen lebensnahen Beispielen unterlegt, verhilft die Lektüre des Buches den Lesern nicht nur zu mehr Einsicht, Erkenntnis und Wissen rund ums Thema Schmerz, sondern es soll auch Mut machen und dazu befähigen, gemeinsam mit den Angehörigen der Gesundheitsberufe aktiv an der Verbesserung der eigenen Schmerzsituation mitzuwirken. Nicht zuletzt aus dem Grund ist das Buch Betroffenen und Angehörigen auch von Seiten der Health Professionals zu empfehlen.

MMag. Simon Krutter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg simon.krutter@pmu.ac.at

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Wir sind selbst verantwortlich für unsere Gesundheit! Claudia Clos

Gesund im Job So stärken Sie Ihre körperliche und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz 2016. 208 S., 21 Abb., 2 Tab., Kt, € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85578-3 Auch als eBook erhältlich

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Rätsel/Vorschau

Rätsel:

Vorschau 02/2017

Folgende Aussage ist richtig:

Akuter Schmerz

a) Die körpereigenen Morphine Oxytocin und Endorphin verringen die Schmerztoleranz. b) Schmerzerfassung beim Neugeborenen wird als „subjektives Assessment“ angesehen. c) ZOPA ist die Abkürzung für: Zürcher operatives Protokoll für Algesiologie

Einsendeschluss ist der 01.04.2017. Auflösung und Bekanntgabe der Gewinner in der nächsten Ausgabe von Schmerz und Schmerzmanagement. Unter den Gewinnern verlosen wir folgende Buchpreise: 1.–3. Preis: Specht-Tomann, M. & Sandner-Kiesling, A. (2014). Schmerz. Ganzheitliche Wege zu mehr Lebensqualität (2., überarbeitete Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG. ISBN: 9783456853147 Bitte schreiben Sie die Lösung per Karte oder Mail an: Hogrefe AG Zeitschriftenabteilung Länggassstr. 76 3000 Bern 9 Schweiz zeitschriften@hogrefe.ch

Verantwortliche Herausgeberinnen Dr. Erika Sirsch, Dr. Nadja Nestler

Themen • Möglichkeit der Optimierung in der pflegerischen Akutschmerzversorgung • Pflegerische Schmerzerfassung auf Intensivstationen – Anspruch und Wirklichkeit • Umsetzung eines Akutschmerzkonzeptes in einer Klinik der Maximalversorgung • See Pain • ZOPA • Becher-PCA – Geht das?

Änderungen vorbehalten

SSM: Feuertaufe auf dem Schmerzkongress 2016 Pflegekräfte optimieren die Versorgung von Patienten mit Schmerzen – dies zeigte sich in den Veranstaltungen des diesjährigen Kongress der deutschen Schmerzgesellschaft in Nürnberg. Und mittendrin – der Hogrefe Verlag mit einem Stand zur Lancierung der neuen Fachzeitschrift Schmerz und Schmerzmanagement (SSM) und einige der Herausgeberinnen, hier Dr. Irmela Gnass mit Kolleg/innen.

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Diagnostik, Klinik, Behandlung und Begutachtung

Pierre-André Fauchère

Somatoformer Schmerz Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung: Diagnostik, Klinik, Behandlung und Begutachtung Übersetzt von Alexandra Kopp. 2008. 304 S., 3 Abb., 24 Tab., Kt € 34,95 / CHF 59.00 ISBN 978-3-456-84540-1

Dieses Buch ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit „medizinisch nicht erklärbarem Schmerz“. Besprochen werden umstrittene Krankheitseinheiten wie die gewöhnliche Lumbalgie, die Fibromyalgie, das chronische Fatigue-Syndrom, Spätfolgen nach HWS-Schleudertrauma und das merkwürdige Phänomen soziogener Massenerkrankungen. Das Buch erklärt das Konzept der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie ihren Zusammenhang zu Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Angst, Substanzmissbrauch und weiteren psychischen Leiden, die beim nicht objektivierbaren chronischen Schmerz vorkommen. Es gibt

www.hogrefe.com

Behandlungsregeln für Situationen, in denen es nicht mehr um Heilung geht, sondern um Hilfe und Unterstützung. Und schliesslich befasst es sich mit der Anerkennung von somatoformem Schmerz durch die Sozialversicherungen, da der Gesetzgeber ebenso wie der Arzt Mühe damit hat, zwischen einer „Krankheit“, für die Leistungsansprüche bestehen, und einem „Leiden“, auf das dies nicht unbedingt zutrifft, zu unterscheiden. In erster Linie für Ärzte und Ärztinnen in der Grundversorgung gedacht, ist dieses Buch auch für Schmerzbetroffene und deren Umfeld, sowie für Psychologen, Juristen, und Versicherungsfachleute geeignet.


Die neue Fachzeitschrift Jetzt en nier abon

Nullnummer / 2016

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Schmerz und Schmerzmanagement

Die Fachzeitschrift thematisiert in verschiedenen Rubriken die Pflege und Versorgung von Menschen mit akuten und chronischen Schmerzen. Sie verbindet Theorie mit Praxis und beruft sich dabei auf die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Schmerz ist ein multidimensionales Phänomen. Es betrifft Menschen aller Altersstufen mit verschiedensten Erkrankungen. Neben den körperbezogenen Faktoren rücken zunehmend psychosoziale Faktoren wie die individuelle Biografie des Patienten und die Geschichte seines Schmerzerlebens in den Fokus der Schmerzexperten.

Herausgeber André Ewers Irmela Gnass Nadja Nestler Nadine Schüßler Erika Sirsch

Schmerz und Schmerzmanagement trägt dem Rechnung und verknüpft die fachwissenschaftlichen Perspektiven von Pflegewissenschaft, Medizin, Psychologie und Pädagogik mit den Erkenntnissen der Pflegepraxis in unterschiedlichen Settings des Schmerzmanagements, ambulant wie stationär. Somit trägt Schmerz und Schmerzmanagement zur Stärkung der Rolle der Schmerzexperten in der Pflege und den Gesundheitsfachberufen bei und fördert die Entwicklung und den Ausbau der Kompetenzen im professionellen Umgang mit Schmerzpatienten und ihren Zu- und Angehörigen.

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Ja, ich bestelle 1 Jahresabonnement (= 4 Hefte) Schmerz und Schmerzmanagement für Private (€ 69,00 / CHF 75.00 + Porto und Versandgebühren) für Institutionen (€ 145.00 / CHF 160.00 + Porto und Versandgebühren) für Lernende (€ 49.00 / CHF 54.00 + Porto und Versandgebühren) Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn nicht 8 Wochen vor Ende der Laufzeit des Abonnements gekündigt wird.

Bestellschein Tel. +41 31 300 45 00 Fax +41 31 300 45 91 zeitschriften@hogrefe.ch www.hogrefe.ch Zu beziehen über

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