Münchner Merkur 24./25. September 2022

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Münchner Merkur Nr. 221 Wochenende, |

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24/25.

September 2022

5 FRAGEN AN

Mareike Hasenbeck Biersommeliére

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Mareike Hasenbeck aus Aying im Kreis München hat es als einzige Frau bis ins Finale der Biersommelier-Weltmeisterschaft geschat. Im Interview spricht die 36-jährige Journalistin und Bloggerin über das perfekte Bier, die Rückkehr der Frauen in die Brauerbranche iind das größte Bierfest der Welt.

Was muss man tun, wenn man Biersommelier- Weltmeister werden will? Zehn internationale Biere blind erkennen. Einen Test über Rohstoffe, Brauprozesse und den Biermarkt bestehen.Und zehn Fehlaromen in Bieren herausschme— cken. Im Finale mussten wir dann ein zugelostes Bier charakterisieren. Ich habe ein California Common, ein sogenanntes Dampfbier, aus San Francisco gezogen. Ein erfrischendes, fruchtiges Bier — allerdings ein Bierstil, der in Deutschland eher unbekannt ist. _

VON DOMINIK GÖTTLER

die Hatten kommen in den Kindergarten“, sagt Walter König, zupft sei— nen ]anker zurecht und steigt in das neugebaute Kaltgewächshaus, in dem dicht an dicht unzählige Hopfenreben bis an die Decke wachsen. — Kindergarten“ so nennt König das Gewächshaus, weil hier die neuesten Kreuzungen aus dem vergangenen Jahr großgezogen werden. Bis Hüll

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Hallertau angebauten Hopfens sind Züchtungen aus Hüll. Und nachdem in der Hallertau auf rund 17 000 Hektar Fläche fast ein Drittel der weltweiten Hopfenproduktion erzeugt wird, kann man guten Gewissens sagen: In Hüll entscheidet sich die Zukunft unseres Bieres. Lässt man den Blick durchs

und klimatolerante Hopfen- wende hat sich der Temperasorten zu züchten, die mit tur-Mittelwert während der. wenig Panzenschutzmitteln Hauptwachsturnsmonate des auskommen und trotzdem Hopfens, wo die Panze bis viel Ertrag und gute Qualität zu zehn Zentimeter am Tag liefern. Damit in den Brau— in die Höhe schießt, nicht wekesseln der Welt der Nach- sentlich verändert. Doch seitschub nicht ausgeht. dem ist es in den SommermoUnd das wird mit jedem naten im Schnitt um zwei Jahr wichtiger. Denn den Idi- Grad wärmer geworden in mawandel spüren auch die Hüll im Herzen der Hallertau. Kindergarten“—GewächsHopfenbauern. Seit der Grün- In Extremjahren wie heuer haus streifen, fällt auf, dass dung steht in Hüll eine eige- oder 2018 sind es sogar fast etwa die Hälfte aller Hopfen- ne Wetterstation. Die Daten vier Grad. Umso wichtiger ist zur Jahrtau5eM—;;;»__gs, dass neue Panzensorten reben braun und verdorrt .

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auf den Markt kommen, die Wassermangel und Hitze besser wegstecken als die altbewährten Sorten. Aber bis Biergarten-Besucher diese neuen Sorten in ihrem Masskrug zu schmecken bekommen, vergehen viele, viele Jahre. Beispiel: Tango. Aromasorte der ZuEine kunft“, schwärmt König. Her— vorragende Brauqualität, klassische, schöne Pilsnote, Aromanoten von hopg bis süße Früchte. Und gleichzei-

tig hoher Ertrag, robust gegen Schädlinge und an die immer wärmeren klimatischen Bedingungen in Bayern angepasst. Seit vergange— nem Jahr verkauft die Gesell— schaft für Hopfenforschung die Lizenzen für den Anbau dieser Sorte — elf]ahre nachdem sie zum ersten Mal ge— kreuzt wurde. Die Forscher aus Hüll — und all die Brauer und Bauern, die auf sie vertrauen — brauchen einen langen Atem.

Was macht ein gutes Bier aus? Ein gutes Bier muss immer dazu anregen, dass man noch ein zweites davon trinken möchte. Wichtig sind eine schöne Farbe und ein _

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Mehltau—Bestäubung überlebt haben. Wer hier besteht,

und, wie jetzt bei dem Besuch Mitte September, schöne, große Hopfendolden gebildet hat, der hat eine Chance, Zur Hopfensorte der Zukunft zu werden — und in zehn, fünfzehn Jahren in den Braukes— seln der Bierproduzenten von München über Tokio bis New York zu landen. Der Kindergarten“ ist Teil des Hopfenforschungszentrums in Hüll, einem kleinen Kirchdorf mit ein paar Dutzend Einwohnern bei Wöln— zach im LandkreisPfaffenho fen. Hier, umzingelt von den

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Hopfengä1ten d'er Hallertau, dem größten Hopfenanbaugebiet der Erde, tüfteln Wissenschaftler für Brauereien auf der ganzen Welt am Hopfen der Zukunft. Walter Kö— nig, gelernter Brauer und Geschäft$ihrer beim bayerischen Brauerbund und der Gesellschaft für Hopfenfor— schung, die das Zentrum in Hüll betreibt__neigt eigentlich nicht zu Ubertreibungen. Aber er sagt: Ohne uns wäre die Hallertau nicht wettbe— werbsfa'hig.“ Um zu verstehen, welchen Einuss die Forscher in Hüll auf den Inhalt der Bierfa'sser haben, die in Bayern angezapft werden, hilft ein Blick in die Statistik. Vor 50 Jahren wurden in der Hallertau im Wesentlichen vier Hopfen— sorten angebaut: Hallertauer, Hersbrucker, Brewers Gold und Northern Brewer. Mittlerweile sind sie fast vollständig von Sorten mit klangvollen Namen wie Herkules, Magnum, Tradition und Perle abgelöst. Alle wurden in Hüll entwickelt. Walter König hat das mal ausrechnen lassen: Etwa 87 Prozent des in der

autueu, Iaut aut, Class dung steht in nun eme erge- OCIEI‘ 2018 "sind es sogar rast MaSSISCI'IE, SCHUHE 1'115n0te, etwa die Hälfte aller Hopfen- ne Wetterstation. Die Daten vier Grad. Umso wichtigerist Aromanoten von hopg bis reben braun und verdorrt zeigen: Bis zur Jahrtausend- es, dass neue Panzensorten süße Früchte. Und gleichzeisind. War da etwa jemand nicht hart genug? Nein, das ist Absicht. Das sind die männlichen Panzen, die haben wir alle — schnipp — kastriert“, sagt König und zwickt Zeige— und Mittelnger zu— sammen. Vom Kindergarten“ bis in den Hopfengarten der Bauern schaen es nur weibliche Panzen. Weil sonst die Blütenstände besamt würden. Aber mit Sa— menkörnern in der Dolde kann der Brauer nichts anfan— gen. Also herrscht im Hopfenkindergarten ein striktes Matriarchat: Männer werden gnadenlos ausgesiebt. In einer Halle neben dem Kindergarten“ läuft gerade die Ernte. Der würzige Hopfenduft steigt sofort in die Nase. Zwei Mitarbeiterinnen — “ '.“ "47“3 Q./.Ü ” \ während der Ernte absolvieren hier regelmäßig StudenDer Hopfenspezialist: Walter König, Geschäftsführer der Gesellschaft für Hopfenforten ihre Praktika — ziehen die schung, im Gewächshaus des Forschungszentrums Hüll — Spitzname: Kindergarten". einzelnen Hopfenreben, eine Versuchssorte nach der andem 3..; in ren, vom Anhänger und bugsieren sie in einen ratternden Koloss, der die Dolden von der Rebe trennt. Danach wird die Ernte beschriftet, verpackt und getrocknet. Auf dem Speicher liegt er dann säckeweise, der Hopfen der Zukunft. Und wartet auf die Spürnasen der Brauer, die hier regelmäßig vorbeischauIm Labor wird geprüft, wie hoch der en, auf die laboruntersuWertvolles Gut: Im Speicher lagert die Ernchung, den Brauversuch und Alphasäuregehalt —also die Bitterkeit — te der verschiedenen neuen Kreuzundie Verkostung. des Hopfens ist. gen. Fotos: MARCUS SCHLAF Gegründet wurde das Hopfenzentrum vor fast hundert Jahren. Damals raffte eine neue Pilzkrankheit, der Fal— sche Mehltau, mehrere Hopfenernten, dahin. Ohne Hopfen kein Bier. Da schrillten bei Bayerns Brauern verständlicherweise die Alarm— gloCken lauter als jeder Kirch' turm. Also schufen sie in Hüll auf einem alten Hopfengut eine zentrale Beratungsstelle, wo die Hopfenbauern sich sonntags nach der Kirche erkundigen konnten, wie man sich gegen den esen Pilz >‘ «*.am‘r' ,...-..»f'. ==='rS—:>a __. . wappnet. Bis heute hat sich das Forschungszentrum dem Erntezeit: Zwei Mitarbeiterinnen wuchten die Hopfenpflanzen potenzieller ZukunftsZiel verschrieben, gesunde sorten vom Anhänger in die Pflückmaschine, die die Dolden von der Rebe trennt. aus

gen aus dem vergangenen Jahr großgezogen werden. Bis hierhin schaffen es nur die Panzen, die ein hartes Auswahlverfahren inklusive

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und Bauern, Ole 311I 516 vertrauen brauchen einen langen Atem. Auch eine Öko-Abteilung gibt es im Forschungszentrum. Bio-Bier ist zwar immer noch eine Nische. Aber sie wird langsam größer. Brauereien wie Lammsbräu oder Riedenburger waren Vorrei— ter. Doch so langsam ziehen die Großen nach. Seit Kurzem schenkt Spaten Bio-Helles in den Bordbistros der Deutschen Bahn aus. Beim Anbau von Oko-Hopfen liegt die Crux vor allem bei der Schädlings- und Krankheitsbekärnpfung. Ein Feind der Hopfenbauern ist die Spinnmilbe. Sie befällt die Hopfenblätter und lässt die Panze austrocknen. In Hüll wird nach der Maxime Der Feind meines Feindes ist __

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Die Bio-Methode: Eine Milbe frisst die andere mein Freund“ geforscht. Der Feind der Spinnmilbe ist die Raubmilbe. Denn die saugt statt an den Hopfenblättern an der Spinnmilbe und deren Eiern. Deswegen wird sie ge— zielt eingesetzt und im Hopfengarten sogar gefüttert, um der Spinnmilben-Plage Herr zu werden. Ganz schön viel Aufwand, der da betrieben wird für un— ser Bier. Und das liegt gar nicht so sehr am Craft-BierTrend und der Lust auf neue Biere aus kleinen Brauereien die mit wuchtigen Geschmacksnoten von Mango bis Kaffee daherkommen. für die CraftHopfensorten Beer-Industrie zu züchten, ist leicht“, sagt König. Die dürfen ja nach allem schmecken.“ Je extremer, desto besser für die Experimente in den Kesseln der Kellerbrauereien. Nein, die wahre KÖnigsdisziplin und gleichzeitig größte Herausforderung der Hopfenforscher sind die Sorten, die den Charakter eines Bieres nicht verändern. Da'mit das Augustiner auch in fünfzig Jahren noch nach Augustiner schmeckt.

ein zweites davon trinken möchte. Wichtig sind eine schöne Farbe und ein toller Schaum. Ich rieche an jedem Bier, bevor ich es trinke und prüfe die Aromatik. Wenn der erste Schluck diesen Duft widerspiegelt — dann ist das Bier gelungen. HOCI1

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Ihr Lieblingsbier? Ich tendiere zu den eher hopgen Bieren. Aber jedes Bier hat seine Zeit. Im Sommer passt ein leichteres Bier mit Fruchtaromatik oder ein erfrischendes Sauerbier rnit viel Kohlensäure. Im Herbst oder Winter darf es auch mal was Kräftiges sein, das die Seele wärmt. Zum Beispiel ein Imperial Stout mit mehr als zehn Prozent Alkohol, das man wie einen guten'Rotwein fast bei Zirnmertemperatur trinkt. Da reicht dann aber eins. ,

Männer trinken Bier, Frauen Wein. Ist dieses Klischee überholt? Ja. Durch die moderne Bierbewegung kommen immer mehr Frauen zurück in die Branche. Ich sage zurück, weil es wohl die Frauen waren, die das Bier überhaupt erfunden haben. Während die Männer auf der Jagd waren, müssen es die Frauen gewesen sein, die das Bier als Nebenprodukt beim Brotbacken zufällig entdeckt haben. Erst die Mönche haben die Frauen weit-' gehend von den Sudkesseln vertrieben. Jetzt kommen sie wieder.

Was sagt eine Biersommeliére zum Wiesnbier? Am Oktoberfest gilt ja eher: Wirkungsü‘inken statt Ge— nussuinkeu. Das hat alles seine Berechtigung, die Festbiere, die dort ausgeschenkt werden, sind alle keine schlechten Biere. Aber ich bin kein Fan davon, literweise Bier in mich hineinzuschütten. Ich bleibe lieber beikleineren Mengen — und probiere dair mehr aus; Interview: Dominik Göttler

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