HORIZONTE - Journal for Architectural Discourse No.3 – RE-DEFINITION

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Re–Definition

auSgabe

frühjahr 2011

8,50 € (D )

Zeitschrift für Architekturdiskurs



EDITORIAL part 1 RE-DEFINITION – Architektur auf der Suche nach neuen Wegen

Angefangen bei Vitruvs De Architectura Libri Decem und ihrer verkürzten, aber bis heute viel zitierten und seit Alberti gültigen Formel firmitas (Festigkeit), utilitas (Nutzbarkeit), venustas (Schönheit), lässt sich die Geschichte der Architektur anhand von Versuchen erzählen, sie mittels Kategorisierung und formalem Regelwerk zu einem eindeutig definierbaren Konstrukt zu machen. Einige dieser Definitionen haben wir dieser Ausgabe von HORIZONTE zur Orientierung beigeheftet. Darüber hinaus sollen sie den Unterschied zu einem neuen Verständnis verdeutlichen. Denn wir meinen heute, eine neue Bewegung entstehen zu sehen – eine leise Avantgarde – die für grundlegende Veränderungen in dieser Geschichte steht. Diese »kritischen Pragmatisten« besetzen durch unkonventionelle Strategien neue Nischen im etablierten System der Architekturproduktion am Beginn des 21. Jahrhunderts. Das klingt widersprüchlich, meint Pragmatismus doch zunächst scheinbar die Aufgabe der Kritik zugunsten der unbedingten Handlung, im griechischen Wortsinne die Beschäftigung mit den Dingen. Dazu gehört aber auch der Moment, an dem bestehende Wertegefüge und ästhetische Vorstellungen von ihren äußeren Umständen überholt werden und, so John Rajchman, eine entsprechende Bereitschaft zum Experiment verlangen, die wir Pragmatismus nennen. Wir meinen zudem, die Stärke einer neuen Generation von Architekten, Planern und Theoretikern darin auszumachen, auch das pragmatische Handeln nicht als Doktrin zu begreifen. Stattdessen stellen sie sich unabhängig von einschränkenden Manifesten den Herausforderungen dieses Experiments und hinterfragen dabei kritisch dessen Ziel und vor allem die Entwicklung auf dem Weg dahin, verstehen also auch die pragmatische Handlung als ›im Entstehen begriffenes Ding‹. Kennzeichnend

hierfür ist, so Anh-Linh Ngo, »ein illusionsloser Realismus, der, wenn er nicht in die Falle eines unbedarften Pragmatismus führt, den Blick für das Potential von Situationen öffnet.« So entsteht eine Architektur als Iteration von Planung, Verhandlung, Partizipation, die vielleicht am ehesten die vielfältigen singulären, häufig lokal begrenzten Tendenzen vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt abbilden kann. Bei Urs Füssler finden wir ein Verständnis von Stadt und dem Eingriff in ihr als einer fortwährenden Carambole – der eigene Stoß schafft, anders als beim Billard, keine Ausschließlichkeiten, sondern ist wiederum Teil des nächsten Spielzugs. »Wenn die Architekten sich mit den Werten des Veränderlichen [...], des gerade auf diese Weise ewig Lebendigen, vertraut machen könnten, wenn sie [...] mit Besessenheit der Erfüllung ihrer Aufgaben gegenüber der menschlichen Gemeinschaft und gegenüber dem Einzelnen dienten, könnte von dieser Bewegung eine neue Hochstufe der Kultur vorbereitet werden.«, schrieb Frei Otto 1962 in seinem Text Bauen für Morgen? Die Architektur auf der Suche nach neuen Wegen, den wir der Arbeit an dieser Ausgabe voran gestellt haben. Neben der schlichten Erkenntnis, dass sich Nutzergewohnheiten genauso wie äußere Umstände über die Nutzungsdauer eines Gebäudes ändern – also diejenige Architektur die nachhaltigste ist (jenseits von rein technischen Maßnahmen zur Energieoptimierung), welche adaptiv auf die Stadt als kontinuierlich ›im Entstehen begriffenes Ding‹ reagieren kann – interessiert uns vor allem die implizite Aufforderung, Architektur nicht als finales Objekt, sondern vielmehr als das zu begreifen, was sie ihrem Wesen nach sein kann: als gesellschaftlichen Prozess.

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INHALTSverzeichnis

markus miessen The Grand Narratives – Life After Bilbao

Ioanna Angelidou Nexus

geoff manaugh & nicola twilley Ideas Travel Across Disciplines

something fantastic Improvising Towards a Better Future

sandra schramke Strategien kreativer Problemlösung

jesko fezer Entwurfsproblem Wirklichkeit

nonconform Nach drei Tagen ist alles anders

joao azougado Luxury Low-Cost

mirko krause Die Unmöglichkeit des Neuen

05 13 18 33 41 47 51 59 67


76 81 89 94 103 108 121 126 141

Dreier Frenzel & PhilomEne Hoel People as a Star – Zu Gast bei urbanen Nomaden

kristian faschingeder Erfindung und Wi(e)dererfindung

Simon Scheithauer Für das Wohnen Denken

office KGDVS - David van Severen Of Positive Pollution and the Power of Restraint

Bernhard König Non Plus Ultra

Paisajes Emergentes - Luis Callejas The Symbiotic Network of Architecture, Landscape and Measurement

BeL + Studio UC Peter Grundmann Für konstrastierende Räume

BOOKS Further Reading, Reviews


IMPRESSUM HORIZONTE -

Druck und Bindung

Zeitschrift für Architekturdiskurs © horizonte | 2011

Universitätsdruckerei Bauhaus-Universität Weimar (Jörg von Stuckrad), Buchbinderei Weißpflug Großbreitenbach

ISSN 2190 - 5649

Schriften

2. Jahrgang – Ausgabe 01

Herausgeber Studentische Initiative horizonte Bauhaus-Universität Weimar Haus der Studierenden Marienstraße 18 D-99423 Weimar www.uni-weimar.de/horizonte/ horizonte@archit.uni-weimar.de

Redaktion Michael Kraus (V.i.S.d.P.) David Bauer, Dina Dorothea Dönch, Konrad Lubej, Jonas Malzahn, Marco Rüdel, Simon Scheithauer, Martin Schmidt Josefine Arnhold (Kommunikation), Ulrike Otto (Vertrieb), Martin Pohl (Kommunikation), Stella Simon (Kommunikation), Heike Stöhr (Vertrieb)

Korpus Regular/Italic - www.binnenland.ch mit freundlicher Genehmigung des Autors OL Franklin triple condensed Melbourne - www.foreverandcounting.com mit freundlicher Genehmigung des Autors

Preis Deutschland: 8,50 EUR Europa: 9,50 EUR Schweiz: 12,50 CHF Denmark: 70 DKK United Kingdom: 8,50 GBP USA: $13,50

Titelbilder © Office kgdvs

Auflage

700 Rechte

Design, Layout & Satz

(Museum Aan de Stroom, Antwerp, BE). Published in Oase (#81 / 07.2010, NL)

Die Redaktion behält sich alle Rechte, inklusive der Übersetzung und Kürzung vor. Das Verwertungsrecht der Beiträge verbleibt bei den Autoren. Ein auszugsweiser Nachdruck ist mit Genehmigung der Urheber und mit Quellenangabe gestattet. Ein Nachdruck von Photographien und anderen Abbildungen ist nicht gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Photographien wird keine Gewähr übernommen. Ein Autorenhonorar kann nicht gezahlt werden.

Contributors dieser Ausgabe

Danksagung

Ioanna Angelidou, João Azougado, Anne-Julchen Bernhardt, Luis Callejas, Yves Dreier, Kristian Faschingeder, Jesko Fezer, Eik Frenzel, Peter Grundmann, Philomène Hoel, Bernhard König, Mirko Krause, Jörg Leeser, Geoff Manaugh, Markus Miessen, Karl Nawrot, Klaus Overmeyer, Martin Pohl, Bas Princen, Sandra Schramke, Julian Schubert, Elena Schütz, David van Severen, Leonard Streich, Dietmar Tolleriam, Nicola Twilley, Walter Warton, Wolfgang Zeh

HORIZONTE dankt allen Autoren und Beteiligten für die Unterstützung bei der Arbeit an der dritten Ausgabe. Wir danken der Bauhaus-Universität Weimar und dem Studierendenkonvent StuKo. Besonderer Dank für die freundliche Unterstützung gilt der Jenacon Foundation (www.jenacon-foundation.de). Wir freuen uns über Anmerkungen und Kritik und vor allem über Einreichungen und Unterstützung für die vierte Ausgabe in schriftlicher, ideeller oder finanzieller Form.

Konrad Angermüller, Frédéric Krauser, Jelka Kretzschmar, Adrian Palko

Illustration S. 56-57 From Memory (Eingang und Dach) by Walter Warton. Extract from the series Pieces of MAS


La bellezza risulterà dalla bella forma, e dalla corrispondenza del tutto alle parti, delle parti fra loro, e di quelle al tutto : conciosiache gli edificij habbiano da parere vno intiero, e ben finito corpo: nel quale l‘vn membro all‘altro conuenga, & tutte le membra siano necessarie à quello, che si vuol fare.


– ANDREA PALLADIo –

Der anhaltende Einfluss von Andrea Palladio (1508-1580) auf spätere Generationen von Architekten beruht bemerkenswerterweise weniger auf seiner umfangreichen Bautätigkeit als vielmehr auf seinen Quattro libri dell’Architettura. Das Lehrstück aus dem Jahr 1570 gilt als einflussreichste Architekturschrift der Renaissance. Im Anfang beruft sich Palladio auf die architektonischen Tugenden nach Vitruv: „l‘vtile, ò commodità, la perpetuità, & la bellezza“, geht bei den wohlproportionierten Säulenordnungen dann jedoch eigene Wege. Auf insgesamt 330 Seiten mit 221 holzschnitten zeigt er Beobachtungen antiker Bauwerke, beschreibt eigene Enwürfe und gibt hinweise zu Material und Konstruktion. Die Erstausgabe der Quattro Libri ist heute, knapp 400 Jahre nach der Veröffentlichung, zu einem begehrten Sammelobjekt anvanciert. Unzählige Nachdrucke und übersetzungen verbreiteten Palladios Ideen und ließen im 18. Jahrhundert in England und Nordamerika den Palladianismus aufkommen. Thomas Jefferson als Anhänger dieser Bewegung, nannte die englische Ausgabe der Vier Bücher in seinem Besitz „die Bibel“. MS

Andrea Palladio‘s lasting influence on later generations of architects arises less from his extensive building activity, but, remarkably enough, from his Quattro Libri dell’Architettura. This textbook from 1570 is considered the most influential book on architecture from the Renaissance. In the beginning, Palladio cites the three virtues of Vitruv: „l‘vtile, ò commodità, la perpetuità, & la bellezza“, before laying out his own conceptions of the well-proportioned five orders. on altogether 330 pages with 221 woodcarvings he presents his observations on ancient Greek and Roman buildings, describes his own designs and gives advice towards material and construction. More than 400 years after its publication, the first edition of the Quattro Libri has become a treasured collectable. countless reprints and translations spread Palladio‘s ideas and inspired the Palladianism, coming up in England and North America in the 18th century. Thomas Jefferson as member of this movement referred to his copy of the Four Books as „the Bible“. MS

– I QUATTRo LIBRI DELL’ARchITETTURA, 1570 –


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markus miessen The audience is seated. Far behind the curtain, a voice: Let us start by assuming that there is life after Bilbao. Scene 1: Aristotle arrives at the Polis. Creatures of Habit – tamquam truncus stat. 1

Stoicism is founded on the interconnection of the universe, which is administered by absolute laws. From these laws, humans are to develop their reason and moral ethic by which they are to live. The practical ethics of Stoicism emphasize self-control, contentment, and living in harmony with nature. Assuming a context of political uncertainty, Stoicism suggests the need for permanence and stability propelled by commitment and virtue, which is to be achieved by living in moderation. According to this notion, the path to personal inner peace is through the eradication of the desire to affect things beyond ones control, and through the living of the present without hope for, or fear of, the future. But wait. Is it not the longing for such desires that allows for a critical reading of the present in order to project the future in supposedly better terms? One should review contemporary architectural practice by examining the position of the (practicing) individual within the larger cultural and political landscape. Arguably, the most dilettante reading of Stoicism tries to figure 1 out where the world is going and, as a result, to follow willingly. Latin phrase, translates: »He, the immovable institution«, (literally: [tree-] trunk/log), This, of course, raises a fundamental question: How does one lead translation by author. a life of moral agency if one accepts the notion that everything was right from the start? Looking inward as a therapeutic relationship with oneself also lays bare the tendency of suppressing issues of potential significance in favor of habit. Why is it that one consciously avoids reality? Are we holding on to things that are no longer worth holding on to? Scene 2: Demythologizing the impact of the architectural gods.

Propelled by formal experiment, within architecture one can trace a similarly permanent therapeutic relationship, where practice cocoons itself in banalities that – within the bigger picture – seem meaningless. For decades, formal debate has dominated a practice that essentially creates physical envelopes and a discourse that concentrates on the nurturing of the ego-cult rather than participating in the socio-political environment. By now, even representatives of a more conventional architectural practice – with an interest in architecture Marku s Mies s en -Es s ay


6 as purely built form – have started to point out that »in an age in which people communicate through various media in non-physical spaces, it is the architect’s responsibility to make actual space for physical and direct communication between people.«2 Yet, as reality proves, this is easier said than done. Scene 3: Beyond the logic of the Grand Narrative.

Stoicism suggests an absence of interference. In opposition, one could argue that friction, the suspension of pure logic, and the amateurish triggers from external influences often generate the most creative ideas and theories. One cannot – and should not – work in moral isolation; that is, within 2 the remit of a singular profession. Moreover – since one can trace Kazuyo Sejima: Face to Face; in: Jennifer Sigler (ed.): HUNCH, Berlage Institute Report a prevailing habit of architects claiming that their work struggles #6/7 [109 Provisional Attempts to Address for constant betterment in an ethical environment – rather than Six Simple and Hard Questions About What Architects Do Today and Where Their adopting a preconceived model of moral ethics, one that is based Profession Might Go Tomorrow]; Rotterdam, on truisms and absolute heritage, architects should frequently episode publishers, 2003, p. 407 3 question the very notion of what an ethical practice would actuNot to be mistaken with Classical architecture, but rather, the physical, ally imply. Today, as throughout history, one is impotent to predict formal object as architectural design. where all this is leading; one can feel only that it is leading, ever 4 Sanford Kwinter and Daniela Fabricius: and ever more rapidly. Meanwhile, small-minded warriors of limUrbanism: An Archivist’s Art?; in Rem Koolhaas, Stefano Boeri, Sanford Kwinter, Nadia ited vision have cried out: »The world is lost.« And in desperation, Tazi, and Hans Ulrich Obrist (eds.): Mutations; like shipwrecked sailors grasping at remaining wreckage, we Barcelona, Actar, 2001, p.495 5 clung to the past. As modus vitae, twentieth-century architects See Nicolas Bourriaud: Relational Aesthetics; Dijon, Les presses du reel, 1998 have often followed the grand narratives of architectural history, obeying the objects of their predecessors, while worshipping the classical architectural object as a generator for change.3 Strangely, this happened at a time when it was already evident that the city was being conditioned by forces that superseded the formal and aesthetic prerogatives of the architect: »The poverty of much urbanist thought can be reduced to a central fallacy: that the city, or Metropolis, expresses itself fully in its physical form, that as a finite concrete object alone it is amenable to analysis and intervention. The city, however, is not this, but rather a perpetually organizing field of forces in movement, each city a specific and unique combination of historical modalities in dynamic composition.«4 Rather than simply articulating a re-reading of its own history, today’s practice should attempt to describe new protocols that take as a starting point the existence beyond a single truth, beyond its own truth, in a radicality that challenges space rather than controls it: an emerging architectural sub-culture rendering a spatial understanding that suspends the traditional reading of architecture as the purely spatial manifestation of built matter – object bound. Such protocols would challenge society’s obedience to conventions and institutions that defy the very creation of architecture and its creators with their illusion of controlled virtue. In contrast to the self-referential object, which has been churned out by practitioners for centuries, some recent project-collaborations and collectives have attempted to illustrate and understand processes of uncertainty, of which the city, as the ultimately unplannable object, consists. This major change – moving from self-referential object lust to what one might call a »relational practice«5 – presents us with a reading of the world that is based on re-evaluated judgment according to specific situations rather than moral truism. In contrast to the »holding on to wreckage,« it introduces a world in need of an optimistic and critical rendering of situational truths as opposed to moral truism. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


7 Scene 4: Stoicism and Space – ad rem publicam accedere. 6

If one were to engage with Stoicism in the sense of spatial politics, one would realize that the Stoic is primarily interested in keeping his or her own house in order. Within that notion, there is a clear distinction between inside and outside. From the urban-stoic reading of Venturi’s Learning from Las Vegas, which essentially describes a philosophy of the marketplace,7 to the urbannostalgic rendering of Colin Rowe,8 the primary issue of interest seems to be the underlying question of how conversation – both in the literal and metaphoric sense – is being influenced by landscape. If one discusses the implications of Stoic philosophy in spatial terms, one would have to make sure not to mistake stoic strategies in architecture and a Stoic architecture. Stoic architecture – as in built form – does not exist. Rather, it is the framework in which practitioners seem to operate at times that could potentially be 6Latin phrase, translates: »Turning towards political«, translation by author. labeled ›Stoic‹. Although one can identify certain architectures of the 7 Robert Venturi, Steven Izenour, and Denise detachment, bridging the gap from a purely philosophical idea to Scott Brown (eds.): Learning from Las Vegas; the physical and aesthetic implications of built matter is not pos- Cambridge, Mass., The MIT Press, 1977 sible. Now, it also implies that one cannot lead an argument based 8Rowe, Colin and Fred Koetter: Collage City; Mass., The MIT Press, 1984 on the question of whether or not stoical space – in the sense of Cambridge, 9 Not necessarily »control« in the contempoethical space – exists. Within a contemporary political and spa- rary sense (i.e., CCTV surveillance and gated tial environment, such grand narratives are not viable any longer. communities), but rather the physical gesture aims to control movement, space-time Moreover, some would argue that there has at no point in history that relationships, etc. been a serious spatial attempt to outline ethical space, because 10An Architektur, »R wie Raum«; in Maria ethical space in its philosophical and ideological narratives can Hohmann and Stefan Rettich (eds.): Von A bis Z, 26 Essays zu Grundbegriffen der Architektur; only ever function as a theoretical construct. Köln, Verlag der Buchhandlung Walther However, one also has to acknowledge that what has – in recent König, 2004, p.110–111, trans. by author years – emerged as a serious pilot attempt in socio-political spa- 11Latin phrase, translates: »When the order started to crumble«, translation tial practice is a particular technique of understanding spatial ancient by author. situations as local microenvironments, which obey specific rules and mechanisms. What seems imperative here is to appreciate that the essential difference between a conventional or even conservative understanding of architecture – which implies that architecture is fundamentally a controlled space9 – is that some contemporary practitioners who follow such ideas of spatial politics are interested in mechanisms that are open and adaptable to change, systems that deal with particular organizational structures in site-specific ways: »Space is always many spaces, spaces opposing, spaces co-existing next to each other, spaces with different relationships. They are conditioned by the relationship between subject and object, between humans and their built environment. Those relationships and their vis-à-vis effects render what we call the socio-spatial construct. They are influenced by power and force, but also marginality and dissent. Therefore, space is entirely political.«10 Scene 5: Uncertainty revisited – cabente disciplina.11

Where the traditional Stoic philosopher understands the environment as a world beyond control, which can only be dealt with by leading an introverted life driven by virtue, the contemporary protagonist also appreciates the world as a place beyond control, but one that cannot be approached with the modernist instrument of the grand account. The fundamental difference is that in a contemporary sense, a world beyond control is understood as a quality. Today, these spaces of uncertainty are often understood as places where subtle interaction can generate self-organizational structures, which – in regards to the notion of what an ethical space can or cannot deliver – start to generate spatial change on a small, user-determined scale. Marku s Mies s en -Es s ay


8 Nevertheless, one could oppose the fact that the very act of pursuing such practice is in itself a re-writing of an expression of desire: the will to act upon situations and generate change according to one’s professional knowledge. It seems that today one no longer attempts to view the world through the image of the world, but rather the opposite: Instead of going with the flow – creating spaces of controlled physical matter, representation, and spectacle12 – one is being exposed to an emerging understanding of architecture based on the absent object, the very process of change as a time-based, critical transformation, an interest in process rather than physical structure. Rather than being particularly interested in the development of empty sites into 12 For example, the self-referential well-defined developed places – an ambition which essentially object in the landscape. implies that there is a future final product, a perfect and completed city that flourishes as a result of visionary planning – some contemporaries have developed their action around the notion of the city being an everyday environment, the action-field of architecture, which responds to differently scaled interventions through various modalities. This notion spans beyond the simple idea of the physical city as a never-ending cycle of growth and decay. It instigates thinking about a different urban practice: one of a realistic understanding of the existing that celebrates change. It is this pro-active philosophy that sets the contemporary apart from the Stoic, or even Buddhist, notion that implies an extinction of desire. Scene 6: When the gods lost sight.

Architecturally speaking, one could say that the difference in practice can be understood through the age-old technique of perspective drawing. Where conventional practice has always been able to translate its spatial desire through means of visual perspective, some contemporary projects can no longer be expressed using the same techniques. This is partially the case because a perspective is supposed to be an objective representation of space, allowing the outsider to understand how a particular space is outlined and The desire to supposedly functions; which is not possible for projects that are based on operational design rather than the alteration of physical build is suppor- space. Moreover, a lot of recent projects resist the notion of being ted by the desi- transformable into the representative medium of a perspective or otherwise, because their nature is in essence not one of the re for power. visually representable object. Traditionally, architects dreamed to build; rendered images of the new world signified their plans for a shiny future. As professionals standing on the frontline of society’s warfare against the existing, architects have always been the ones to direct and design the vision of tomorrow. The driving force of such an encounter is carried by a genuine faith in progress. But the projections of architects’ desires have also unraveled a distorted, hidden pleasure: The desire to build is supported by the desire for power. In their attempts to sell subjective dreams for tangible vehicles of progress, architects luxuriate in the power handed over to them by society, thereby legitimizing their social positions through means hiding this pleasure. Ethics are in this sense the means of doing so: Architects often understand their power as a positive tool in making the world into a better place. Patronizing, ironic, dogmatic, or cynical, the different modes of communicating the ethical message are all directed to support the architect’s legitimacy. Whereas the majority of traditional architectural projects are engaged with experience from the outside,13 some of the emerging, politically charged protagonists RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


9 are more concerned with experience from the inside; which is not to say spatial interior, but the inside of a particular, applied system. This experiential difference also points to a dissimilarity in the approach of formal reference: where the traditional architect is interested in sustaining a culture concerned with the self, an egomania regarding the creation of a signature style, more and more contemporaries refuse the self-referential typology as one detached from both place and culture. Although there are several historic reference points of site-specific practice,14 this emerging sub-culture is touching on territories, which – within the architectural community – have so 13 For example, formal aspects, plan arrangefar remained untouched. Opposing an approach of technological ment, spatial quality, materiality, line of sight, development and an image of universality advocated by the mod- light configurations, etc. ernism, it is not concerned with the colonization of territory, but 14Artists such as Robert Smithson, Dan or Gordon Matta-Clark; and the fading away of the object in favor of a holistic reading of the Graham, architects such as Alison and Peter Smithson, social, political, and spatial environment upon which differently Cedric Price, etc. 15 scaled mechanisms of change are being applied. »Information Bulletin of the French group Scene 8: Divinity was an illusion in the first place.

of the Lettriste International«, first published in 1954 16

A non-artistic group occurring in several

Although some of the ideological background can be traced all the modern capitalist countries united around notion of the end or the absence of art way back to the first issue of potlatch15 – a kind of laboratory of the and a bohemianism that explicitly no longer ideas for what would become the protagonists of the Situationist envisages any artistic production whatsoever. key term »situation« is based on the International16 – the current discourse is fundamentally different The existentialism of Jean-Paul Sartre, relating to because it is implemented in practice. With the early exception his theories concerned with freedom of choice responsibility: his »situation« describes of Constant,17 it had – so far – remained an entirely ephemeral and a self-consciousness of existence within a project. Where, based on a theory of economic exchange through specific environment; also Guy Debord: Report on the Consacrifice and excess, anthropologists and utopian literates were see struction of Situations and on the Terms of interested in the »enhancement of status through ceremonial Organization and Action of the International Tendency; in Tom McDonough gift-giving or festive destruction,«18 today’s spatial practice not Situationist (ed.): Guy Debord and the Situationist Interonly utilizes experimental behavior linked to conditions of urban national: Texts and Documents; Cambridge, society, but applies physical and non-physical structures in order Mass., The MIT Press, 2002, p.44 17 Constant Nieuwenhuys was an Abstract to change and alter specific settings. It presents both the devel- Expressionist painter who became a member oped notion of experimental techniques and the consequential of the Surrealist group in 1947, and later, the application of analytical thought, which transform everyday Cobra group. 18 Simon Ford: The Situationist International: A ephemera and physical conditions. While the difference might User’s Guide; London, Black Dog Publishing, still occur to be rather minute, its distinction is that of concrete 2005, p.33 impact. Taking such understanding into consideration, one also 19Michael Benedikt: Environmental Stoicism Place Machismo—A Polemic, in: Harvard has to rethink the methods in which a certain architectural dis- and Design Magazine, no. 16 (winter/spring 2002) course is being led in the academies. If we were – for a moment – to 20Ibid., p.1 pretend that a purely formal discourse was non-existent, even 21Ibid. most of the apparently phenomenologically, socially and politically motivated academic studios are still trading on the past: the faculties and their internalized discourse are rarely more than incestuous polemics. In his essay »Environmental Stoicism and Place Machismo,«19 Michael Benedikt describes the »ability to endure or tune out places that are cheap or neglected, depressing or demeaning, banal, uncomfortable, or controlling places to which people would normally react with despair« as a typology that in his architectural terminology could be labeled »environmental stoicism«20. Benedikt argues, »Whereas stoicism advises calm acceptance of what cannot be improved, machismo – less a philosophy than an attitude – recommends pride in the grim embrace of harsh realities.«21 Although his argument concerning the juxtaposition of these two strands is valid, his proposed model is one that betrays an existing practice, which is dealing with such issues of situational parMarku s Mies s en -Es s ay


10 ticularities and micro-politics in a holistic manner. Although he adds that »environmental stoicism is less common among architects than among the general population,«22 he does not acknowledge that there are specific projects, which deal with (urban) space differently than those practitioners he is describing. In fact, the model he describes as one, which takes as a starting point the notion that architects are essentially being trained to improve the built The highly environment, is one that – at least in architectural practice – has hardly any precedents. Apart from fairly recent theoretical arguromanticized ments, such as Margaret Crawford’s Everyday Urbanism 23 or Jonaideal of the than Hill’s The Illegal Architect,24 which critique current architectural institutions, the outlined phenomenon – today – is for architect is no the first time being appropriated in spatial, that is to say, physical, terms: projective rather than reactive. It lacks adequate models longer valid. and references in the sense that, historically, there has not been any architectural or urban attempt to deal with such matters. It is only within the realm of what one might call a contemporary politicized spatial enthusiasm that the issue of socio-political space with regards to spatial conflicts is being presented in a fashion that utilizes practical optimism fueled by opportunistic curiosity rather than theoretical pessimism. Scene 8: Who said the gods were brave?

The image of the architect has historically often been related to the male heroic protagonist, who introduces to the outside an established lifestyle that suggests a temperament »open to emotional novelty and breadth of sympathy […]. Rarely, however, do the architect’s professional aspirations and trials come to surface; more rarely still have they found a ready audience with the public.«25 It is precisely here where one can posit the turning point in practice: the neglect of egocentric narrative and self-referential ambition in favor of 22 Michael Benedikt: Environmental Stoicism catering to a particular, site-specific situation. Such altruistic and Place Machismo–A Polemic, in: Harvard Design Magazine, no. 16 (winter/spring 2002) appreciation of what architecture can possibly be opposes the 23 John Chase, Margaret Crawford, John individualism and development of the ego. It raises the fundaKaliski (eds): Everyday Urbanism; New York, mental question of whether or not architecture should be taken The Monacelli Press, 1999 24 forward as »an art practiced by and for the sake of individuals, or Jonathan Hill: The Illegal Architect; London, Black Dog, 1998 a commercial enterprise geared to the needs of the market and 25 Andrew Saint: The Image of the Architect; the generation of profit, or a communal undertaking dedicated to New Haven, Yale University Press, 1983, p.1 the service of society?«26 Neither of these is true. The interesting 26 Ibid., p.6. aspect that is currently being addressed is that there is no clear 27 Ibid. distinction any longer, but specific decision making with regards 28 Essentially, that of the star-architect. to whether or not a particular mechanism should be applied within an individual project. The highly romanticized ideal of the architect – »general progress in architecture according to a personal conception, usually of style, embodied in buildings and developed from architect to architect over the course of history,«27 which is essentially derived from Aristotelian idealism – is no longer valid. Today, one has to appreciate the difference between image-led practice and what one might call post-Bilbao architecture.28 The powers, attributes, and aims assumed by the architectural profession have often been at odds with reality. Today, more than ever, one is facing a situation in which it is insufficient to understand the ideological Vitruvian theories of architecture – expedience (utilitas), beauty (venustas), and stability (firmitas) – as the basis of what one is doing. Arguably, the most interesting aspect of the emerging practice is related RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


11 to the protagonists’ suspension of the exteriorized image: the image of oneself is being suspended and not part of the signature equation any longer. Scene 9: The tower of Bilbao – salva res est.29

The starting point for this shift from the architect who is concerned with image and the architect who is concerned with specific practice could roughly be located around the time when Frank Gehry’s Guggenheim Museum in Bilbao opened in 1997. As the tail end of twentieth-century architectural superstars,30 Gehry became the epitome of a generation that set out to be part of an avant-garde and ended up as highbrow, copy-paste establishment – trading on the past. One could argue that the moment when Bilbao was born, a new generation of architects started to critically engage with the lack of twentieth-century Western modernism and what the course of modernism, postmodernism, and supermodernism31 had avoided dealing with: »Modernism misunderstood the disastrous consequences of removing symbolism from the city. If you take away the typological qualities of the park, the marketplace, the high street, then people no longer understand them as the loci of social interaction. They become merely places to service a machinic existence … Here often the answer is brutal. Yes or no. There is no space for uncertainty. The power of some of these ›new projects‹ is often based on a powerful manipulation of archetypical situations.«32 In contrast to a process of pure image production and the deliberate groundwork for the red carpet of the star-architect, the new practitioners no longer operate on the -ism level. Although one could argue that even the creation of 29 Latin phrase, translates: »For now, an anti-image is an ideological position that attempts to create everything is still fine«, trans. by author an image, the difference here is the way in which the protago- 30 Among others, such as Zaha Hadid, nists see themselves, call and title themselves, and describe their Rem Koolhaas, Coop Himmelb(l)au, and practice. All of a sudden, peripheral areas have become impor- Daniel Libeskind, who all started as part of a self-proclaimed avant-garde, but tant and interesting. Over the course of the last decade, one can essentially followed the tradition of the trace a deliberate and amateurish (in the most positive sense) master-architect while using different mechanisms of producing images. over-specialization, which employs the notion that essentially 31 Term coined by Hans Ibelings; his every kind of aspect within the meta-discourse of architecture defence of placeless, context-free urban and spatial production is in need of a specialist, and consequently, gestures pretends that the world could be a cleaner, simpler space. He sees recent the »architect« is no longer the all-encompassing master of virtue. architectural developments as symptoms The recent invention of particular titles and names catering for of a cultural shift toward more global, neutral, and non-representational forms that change includes job descriptions such as ›spatial consultant‹, of art and exchange; ›urban researcher‹, ›architectural curator‹, ›spatial tactician‹ or see also Hans Ibelings: Supermodernism: Architecture in the Age of Globalisation; ›framework designer‹. And since nobody really knows what that Rotterdam, NAi Publishers, 1998 32 means, they have played their game quite successfully. Kieran Long: MUF: Children Dressed up as Horses Take on the Modernists; in: Unburdened by the weight of the twentieth century, most recent ICON, no. 22 (April 2005) practice has rediscovered a localism, which is based on the belief that certain problems need tailor-made solutions rather than philosophically charged meta-agendas. This belief is based on what one might call a ›real geography‹ of the world, which emerged with the introduction and evolution of the Internet. This specific kind of problem solving left behind an understanding of architecture for the sake of the ›stylized object‹ propelled by virtuous vision. Today, if one is working on a project dealing with the West Bank or Gaza, for example, the project will most likely concentrate on this very situation: It takes into consideration an open-source involvement with its cultural and political heritage. In contrast to the late twentieth-century projects of ›the diagram‹, which were purely modern in the sense that they attempted to deliver an almost scientific solution to a problem put forward by canceling out everything else, Marku s Mies s en -Es s ay


12 post-Bilbao has started to generate a discourse that acknowledges the political implications of space as something that urgently needs to be dealt with. There is no longer any sympathy with the stoic, self-referential, and rather masturbatory notion of the diagram, when everyone has realized that the rest of the world is burning. As so many other theories and practices in history, the diagram was a stoic cocoon. Rather than a simple fashion, it dwelt on the image of the architect as the master of virtue, the master who cannot fail. As a container of the heroic tradition supported by self-image, the diagram – in its purely modern sense that it played with the age-old, prevailing image of the architect 33 as impeccable master – was only an intellectual claim. The kind George Orwell: Why I Write; London, Penguin Books, 2004 of anti-stoic practice that is being described in this text operates 34 Ibid., p.4–5 under a different agenda, the primary one being the realization 35 Raoul Vaneigem: The Revolution of Everyday that architects are products of their times. Today, we work under Life, trans. Donald Nicholson-Smith; a different ideological system than the modern, one that is tempoLondon, Rebel Press, 1983, p.176 Raoul Vaneigem referring to Vasilij Vasil’e rary, contingent, informal, ephemeral, and that resists the notion Rozanov’s definition of nihilism. of pure object lust. Scene 10: Formalism defeated.

Returning to the beginning of this interlude, it was assumed that there is life after Bilbao. And there is. In his essay Why I Write,33 George Orwell outlines his account of what a writer’s ambitions are to follow his discipline with pride. Orwell distinguishes between four major atmospheres in which the writer is living: sheer egoism, aesthetic enthusiasm, historical impulse, and political purpose.34 As history is written by the victorious, such atmospheres retrospectively occur to be evident in the work of many writers and architects. Since we are arguably at a turning point in the history of spatial practice, the junction where egotistic ambition is being separated from ambitious vision, we should actively engage with the current optimism toward society as both a human and spatial construct. As pointed out, Stoicism’s absolute laws constitute a particular way of thinking and living within tumultuous external political and social conditions. Nowadays, we are in a luxurious position, where people are genuinely interested in changing specific situations according to their ethical beliefs. It is not the glorious virtue of the dead, but the eradication of the desire to be remembered that ambitiously sets the ground for change. They live in the present with both hope and fear for the future. »The show is over. The audience gets up to leave their seats. Time to collect their coats and go home. They turn around … No more coats and no more home.«35

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– Marc-Antoine Laugier –

In seinem Essai sur l’Architecture (1753) begibt sich der omni-gelehrte Marc-Antoine Laugier auf das Feld der Architektur. Er konstatiert darin, dass die meisten Traktate in „vitruvianischer“ Sprache verfasst seien und erkennt folglich den Mangel einer vermittelnden Schrift zur Architektur, die deren Geist durchdringt und Regeln aufstellt, die es ermöglichen, „Talente“ anzuleiten und einen Architekturgeschmack auszubilden. Im Geiste Rousseaus stehend, formuliert er in seinem Traktat grundlegende Prinzipien und Regularien, die den wahren Geist der Architektur zum Ausdruck bringen sollen. Ausgehend von den Gegebenheiten der Natur und dem Grundbedürfnis des menschlichen Wesens nach einer wirklichen Behausung, betrachtet er die Urhütte als Ausgangspunkt und Grundlage aller Architektur. MR

With his seminal Essai sur l’Architecture (1753), Abbé Marc-Antoine Laugier, a Jesuit priest and polymath, delivered one of the most influential writings on architecture of the 18th century, claiming that architecture was no longer limited to a mere observation of ‘style codes’ but could be part of a much larger philosophical discourse about nature, mankind and society. According to Laugier, architecture should always be based in reason, which was to be accomplished with the formulation of ever-lasting principles, similar to natural laws which, just like they determine the building’s structure should also determine its outer appearance. In that way architectural verity would be possible. The premaster of this belief was found in the primitive hut: four wooden sticks above a rectangular ground figure, holding up four wooden beams on which the roof is rested. MK

– Essai sur l’architecture, 1753 –


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IOANNA ANGELIDOU Metabolism, Metapolis, Metamodern

In Tokyo, where reconstruction and catastrophe have long been interchanging, phenomena of duality and shifting identity constitute more a recurrence than singular events, »spaces and episodes clearly organized on the basis of similarities and peculiarities«1. It is no peculiarity, however, that such a condition of flow should be relevant to Japan in general and Tokyo in particular. This article constitutes part of an extended project entitled MicroTactics: Four Inoue Mitsuo argues that, contrary to Europe where architec- research Platforms for an Elastic Modernity, underture seems to be characterized by geometrical space, in Japan it is taken over 2009-10 during a work/research in Japan. It aims to set Tokyo as a organized as movement space, thus allowing for re-appropriation period platform of observation for elastic moder2 through habitation . The concept of space as container of flow nity that responds to crisis through creative bears similarity to the state of osmosis, in other words the idea re-appropriation of a permeable wall. Rather than being intact and self-contained, the two conditions organized on either side of this boundary 1 Toyo Ito: Three Transparencies; in Andrea (ed.): Toyo Ito: Works, Projects, Writings; intertwine and hybridize, rendering the threshold obsolete and Maffei Milano, Electa Architecture, 2002, p.346-347 creating a state of immersion. 2 Mitsuo Inoue first presents this idea in the The horror vacui that every megalopolis suffers from has proven to untranslated text of 1969 From Geometric to Space in Movement: The World as be a source of renewal for the building stock and spatial by-prod- Space Flow. Fragments can be traced in the collected ucts of Tokyo. Tiny lots and constant replacement reduce architec- edition Space in Japanese Architecture; New ture’s responsibilities and allow for the most indulgent and often York, Weatherhill, 1995 3 Rem Koolhaas: Delirious New York; New perverse designs, their only attachment to the city’s past being an York, Monacelli Press, 2004, p.23 equivalent sense of fragmentation and impermanence. If the contemporary city is indeed constructed through a series of accidents3, then Tokyo, with its architecture of self-standing completeness, entailing both part-to-part and part-to-whole relationships, is the epitome of such a condition. During the 25 years after the collapse of the bubble economy in Japan the construction industry was greatly shaken and, consequently, Japanese architecture met with a combination of financial and conceptual crisis. The period of introspection that followed, nurtured new ideas and approaches, engagement in observation of the urban quotidian and re-appropriation of the domestic ordinary. This proved a blessing in disguise – particularly for the architecture scene of Tokyo – that reinforced the change in perception regarding the differentiation between private, urban and domestic from young architects and simultaneously nurtured a lively vernacular of emerging contemporaneity.

Ioanna A ngelidou - Es s ay


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(Fig. 1) Cat Street behind Omotesando Dori in Kita-Aoyama, Shibuya Ward © Ioanna Angelidou

The Urban InformÉ

The significance of detail and scale in everyday contemporary Tokyo is connected with urban rituals that exercise influence through informal repetition as well as subsequent hybridization and superimposition of information networks upon urban structures. This is a spatiotemporal reaction that offers steThe period of reoscopic views of the urban landscape. Navigating the Japanese capital unprepared can prove quite haphazard. Generally, street introspection names in Tokyo are an anomaly and the address system does not that followed provide adequate access information. The streets and the extended areas around them gain their names in relation to whether they after the are main commercial thoroughfares or small and intimate streets with distinct character which earn them a nickname, such as collapse of Namiki Dori in Ginza or Cat Street (Kyu Shibuya-gawa) behind the bubble eco- Omotesando. Namiki is an avenue of facades and neon signs, Cat Street is an urban playground. Thus, accessing places and wannomy in Japan dering in the city is like switching back and forth in scale. The recent electronic navigational devices seem to have been designed nurtured new precisely with Tokyo in mind; as Akira Suzuki remarks, there is ideas and a mutual interrelation and interaction between people roaming the urbanscape and the gradual growth of accustomed navigation approaches. within the double structure of real and virtual4. (Fig. 1) RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


15 Urban wandering has been used in Japan as early as the 1920s, by Kon Wajiro and Yoshida Kenkichi, to study public behaviour and the streetscapes of a rapidly changing Tokyo. They called this Modernology (kogenkaku). Much later, in 1986, architect and historian Terunobu Fujimori published Street Observation Science, a collection of findings unveiled through explorations and mapping with a group of colleagues that referred to themselves as Architecture Detective Unit (kenchiku tanteidan) or Roadway Observation Society. More recently, Momoyo Kaijima and Yoshiharu Tsukamoto of Atelier Bow-Wow – assisted by their laboratories at Tokyo Institute The urban of Technology and University of Tsukuba respectively – have used cataloguing and diagramming to capture the essence of urban landscape is accidents, namely hybrid structures and small scale (pet size) essentially architecture in Tokyo5. On the other hand, Yasutaka Yoshimura has worked with a group of architecture students to produce an constructed illustrated guidebook that presents a series of super-legal buildings, architecture that paradoxically adopts strategies of acqui- through obserescence rather than resistance to the building regulations, yet vation which unintentionally results in visually bizarre and disorientating spatial conditions6. This kind of architecture could not be acceptable transforms the anywhere else in the world. No matter how bizarre the appearance, it suits the context perfectly7 and examples have been way the contemselected through a similar process of stumbling upon. If indeed porary city is »footsteps weave places together and intertwined paths give their shape to spaces«8, then the urban landscape does not exist perceived as such, it is essentially constructed through observation which 4 Akira Suzuki: Do Android Crows Fly Over transforms the way the contemporary city is perceived. (Fig. 2) the Streets of an Electronic Tokyo?; London, Architectural Association Publications, 2000, p.14 5 Momoyo Kaijima, Kesaharu Imai and Yoshiharu Tsukamoto (eds): Pet Architecture Guide Book: Living Spheres Vol.2; Tokyo, World Photo Press, 2002 6 Yasutaka Yoshimura: Super Legal Building Illustrated Guidebook; Tokyo, Shokokusha, 2006 7 Robert Venturi and Denise Scott Brown: Two Naifs in Japan; in Robert Venturi (ed.): Iconography and Electronics Upon a Generic Architecture: A View from the Drafting Room, Cambridge, Mass., The MIT Press, 1996, p.114 8 Michel De Certeau: The Practice of Everyday Life; Berkeley, University of California Press, 1984, p.97 9

(Fig. 2) Small urban guerilla garden in Kagurazaka, Shinjuku Ward © Ioanna Angelidou

Critic and publisher of Telescope magazine Akira Suzuki coined this term for the generation of young Japanese architects now in their mid-40s, which, driven from a lack of substantial commissions and their interest in the ever-changing Tokyo urbanscape, developed design tactics to engage the latter as found

Domesticated Porosity The Bow Wow Generation9 engaged in a counter-intuitive exploitation of the existing landscape. This was far from a choice of plain artistic experimentation; rather, some degree of adaptive re-use became inevitable when faced with reality. Deployment of contextual relationships in the design process and strategic occupancy of the urban surroundings were not developments entirely Ioanna A ngelidou - Es s ay


16 without precedents. Modernist standards imported during the reconstruction frenzy that followed World War II inspired a number of local architectural visions, such as Metabolism. For Metabolist mentor Kenzo Tange, infrastructure was the solution to most problems and it ought to sprout like mushrooms. In Kiyonori Kikutake’s work the main concept was the symbiosis with the industrial system. Arata Isozaki focused on merging art and architecture with life. Much later, Tadao Ando’s concentration weighed on materiality. A younger Evidently, Japanese architecture for more than 30 years treated the lively aspect of the city with either negation or indifference. architectural This is probably relevant to the fact that the Japanese city practigeneration cally did not exist until then, it was just a system of domestic and commercial hubs infiltrated with agricultural land and connected started to with trains and highways extended based on need rather than master plan logic. materialize This was not the case for the architects who found themselves domestic space struggling for an opportunity to design in the early 1990s. They had grown with the city as pre-existing condition and thus their by integrating ability to observe and engage this context was already developed. But already from the 1960s Kazuo Shinohara, at the same time the immediate that the Metabolists dreamed of organically growing megastrucenvironment as tures, was skeptical about the involvement of people and the10 human scale. He perceived architecture as space for thought found element and believed that the design of detached houses in particular should be deeply connected to both the way people live and the instead of try- contemporary city that surrounds them. A younger architectural ing to modify it. generation, almost 30 years later, started to materialize domestic space by integrating the immediate environment as found 10 Kazuo Shinohara: Une Théorie de l’ Archielement instead of trying to modify it. In other words, they tecture Résidentielle; in Yann Nussaume (ed.): Anthologie Critique de la Théorie Architecturale enabled a rapport with the city through structural and conceptual Japonais: le Regard de Milieu; Brussels, OUSIA, permeability that highlighted the domestic everyday. 2004, p.326 Such formal responses to nesting in the city can be roughly divided 11 Thomas Daniell: After the Crash: Architecture in Post-bubble Japan; New York, Princeton into several different modes11. One embraces the sense of retreat Architectural Press, 2008, p.28-30 with blank walls, solitude and openness to the sky such as the Cell Brick House of Atelier Tekuto or TEM by Makoto Yokomizo. Another is more similar to reflection, which is expressed by mimicking the fragmentation and white noise produced by the city. A very distinctive example of this approach is the Moriyama House by Ryue Nishizawa. An approach where the urban chaos and domestic inhabitation become one by mutually dissolving into a ludic intertwinement could perhaps be paralleled to blending. Kazuyo Sejima’s Okurayama Apartments Complex is such a case, its ambiguous outline offering a particularly good example of playful erasure between private and domestic. Quasi-isolation that enables connection with aspects of nature such as light or air and the combination of formal solidarity with peripatetic flow as connecting matter are transcendental conditions. In that sense, they essentially redefine stereotypes of spatial inhabitation as private practice and the collective formation of notions of identity as the latter refers to place. How to inhabit Thresholds The navigational map of Tokyo comprises of overlapping information layers: consumption, production and analysis of phenomena. This data universe is both material and inhabited. Should one choose this city to live in, they would be RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


17 faced with extreme density and spatial scarcity. But a room in Tokyo is not a home, only a nest. The urbanscape attains the role of spread domesticity and becomes a prosthetic habitat. The chains of convenience stores (conbini) and

Wandering in the city of Tokyo is like switching back and forth in scale. 12

Kyoichi Tsuzuki: Tokyo Style; Kyoto, Kyoto Shoin, 1993 13

Toyo Ito: Towards a Post-ephemeral Architecture; in Sophie Roulet and Sophie Soulie (eds.): Toyo Ito; Paris, Editions Moniteur, 1991, p.10 (Fig. 3) Assortment of vending machines behind the JR Shinjuku Station © Heath West

the vending machines on every street corner or placed outside most building entrances distribute a variety of products ready to be consumed as well as information through semiotic commercial statistics. Looking at the photographs of four-and-a-half tatami (7 sqm) apartments taken by Kyoichi Tsuzuki12 the only discernible similarity is smallness. In reality, a fluid group without distinct ideology inhabits these tiny apartments. Not quite a community and without networks limited to specific regions, their activities are connected unwittingly through small infrastructure relevant to consumption for basic everyday needs. In this chaotic taxonomy it is still through the physical body that one informally connects with the city. (Fig. 3) Design tactics that treat the city as an »artificial forrest«13 are boundary blurs representative of societal and perceptional changes. The way the individual inscribes oneself within an urban condition fluid and ever-changing transcends conventional definitions of space based on dualities such as inside-outside or private-public, which are in turn adapted or reconsidered altogether through quotidian practice. Contemporary Japanese architecture draws references from the multiplicity of the past: pre-war practical poetics, modern reconstruction semantics and their erratic clash. Traditionally prone to re-appropriation and personalization, it adopts external influences only to filter them through the reality of its own vernacular producing a novel condition, depleted of direct associations. The post-bubble crash provided an additional incentive for reconsideration of priorities and ideals as the prolonged economic crisis only allowed modest commissions and pointillist reconstruction, a condition that nevertheless offered ground for experimentation. Heading towards the third decade of recession, with a greatly shaken economy constantly struggling to recover, the architecture of Japan – and Tokyo as the cauldron and testing ground of all relevant changes – engages in a balancing act that utilizes austerity with the benefit of play.

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Nicola Twilley & GEOFF MANAUGH Ideas Travel Across Disciplines

David Bauer and Michael Kraus in conversation with Geoff Manaugh and Nicola Twilley; Interview via Skype; Weimar & Los Angeles; January 20, 2011


20 You both use writing a blog – Geoff with BLDGBLOG and Nicky with Edible Geography – as a means of observing and criticizing the built environment. For our readers who are not familiar with them, could you tell us what your initial ambitions and goals where when starting the blogs? Geoff: I’d say that, as a writer, a blog is a very powerful tool to have: it gives you the ability to write for a much larger audience, as opposed to just putting thoughts into a notebook or sending emails to friends. To have an opportunity to put something online for ten or fifteen other people, or a hundred other people, or a thousand

At the very least I’d say that a rise in the visual criticism of images is underway, something that wasn’t at all prominent a few years ago. other people, or even hundreds of thousands, is a fantastic opportunity. Not every generation has these sorts of tools and I think we should take advantage of them while they are here. But, more specifically, the reason I started an architecture blog is that I

noticed all the things I found interesting about architecture – all the things I thought should be covered and the things I wanted to read about – simply weren’t showing up in the architectural press, which, at the time, still had a very academic focus. It was very theoretical writing about a particular group of architects, and I always thought that there was so much more about architecture to cover. Of course, I think it’s more common today to see these types of topics discussed – things like architecture and video games, architecture and science fiction, architecture and film, architecture and the military, and others. But, at the time, when I started writing BLDGBLOG, those things just weren’t really covered in any sort of extended way, at least not in the popular press. So, basically, I tried to combine those two things: the ability to publish things online for free and the ability to explore architecture in a different way, across multiple disciplines. That’s why I started BLDGBLOG. Nicola: I started Edible Geography about five years after Geoff established BLDGBLOG , partly as a result of seeing how great a format it was for getting ideas out there. I was increasingly seeing a lot of interest in food – things like Fast Food Nation 1 and Michael Pollan were becoming popular, and so on – but it was all coming from quite a »foodie« point of view. It was about appreciating organic, artisanal food, and writing only about that, rather than writing about how food, when you use it to look at landscape or architecture or any number of different spatial questions, can give you quite unexpected insights. I figured if people were spending all this time thinking about food, there was an extra dimension that I could add to the conversation. Do you know how many architects, and more importantly non-architects, follow both your blogs? I don’t know the exact percentage of my readers who are non-architects but, based on comments and emails, I’m pretty comfortable saying that the majority of my readers are non-architects – something like 60 to 65 percent. The rest are not necessarily registered architects, but they work in architecture at least in some capacity – they might be students or they might work at a press for architecture or in other areas related to the field. I would say that the vast majority of people who follow my blog are not in architecture. But within that small group of architects who are interested in thinking about

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Eric Schlosser: Fast Food Nation: The Dark Side of the All American Meal ; Houghton Mifflin, Boston, 2001; The book was later adapted into a movie by Richard Linklater (2006)

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Landscapes of Quarantine – a group exhibition »exploring the spatial implications of Quarantine« at the Storefront for Art and Architecture © Emiliano Granado

food and in designing in a way that incorporates food or is shaped by food, I have quite a few readers. The fact that you are addressing architectural topics yet your audience is mainly non-architects is an interesting point and we will come back to that. For now, let’s stick a little bit to the topic of the medium: blogging. Since you both grew your reputation through writing blogs, how do you think the new media and with it the accessibility of information has changed the architectural production at large? For example, with Google Streetview, where billboards are now being used as blue screens for customized adds; or with iPhoneapps that tell you where to turn in order to find the next supermarket so that we no longer have to look up to read the signs on the buildings. Or, more dramatically, if facebook went down, it’d be as if the status of a community as large as the European Union was shockfrozen in that very moment – a sort of data-Pompeji. Now, how does all that change the way we perceive the city or public space in general? I think those are great examples of possible answers to the question. On the most basic level, one of the most profound changes has simply been in social networking: the simple fact that you can be in contact with

other architects, writers, and students who are interested in the same things you are. You then realize that what you once thought was a fringe interest or something way out there on the periphery actually turns out to be shared by thousands of people. It’s not on the periphery at all. Architecture students, for instance, can now expose certain architectural ideas or urban scenarios – even new building forms – in a way that would not have been possible even ten years ago. But I would also say that with all the things you’ve mentioned – how iPhones have altered our relationship to the city, and so on – we’re only at the very beginning of those changes. We’re finding ever more intense ways for our computers and phones to communicate – for me to walk into a room and instantly learn through my telephone who else is in that room and what they are interested in or what Nic ola Twilley & Geoff Manau gh - Inter view


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Š Emiliano Granado

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23 films they’ve seen and we can swap photographs – and, with all that, we will start interacting differently. We will also start using spaces differently. I sense that we will soon go to different spaces in a new way, because, for instance, certain rooms will foster digital information exchange and telephone-based wifiinteraction in a way that other rooms simply don’t. So I think we will also see a shift in what parts of architecture – literally, what types of spaces – are most often used by our generation. To me, a couple of things are particularly interesting about new media. One is that the ease of getting in touch with people allows for new forms of discussion; it’s almost like a new conference format. My first experience with this was something that Geoff tried in February of 2010 called Glacier / Island / Storm 2. He got a bunch of other bloggers to post during the same week about whatever interested them based on the same source material. That was followed in September 2010 with a month of posts about Cyborgs, on the occasion of the 50th anniversary of the coining of the term Cyborg 3, which was organized by Tim Maly. Tim runs a blog called Quiet Babylon . Fifty other bloggers, all on their own sites, wrote something about cyborgs and about how they understood the term from within their own work or context. I’m doing something similar this week with my Food for Thinkers week 4. I think it’s a really interesting model to have the conversation as distributed as that, with all the people involved posting on their own blogs, and yet everyone is responding to the same theme and it’s all tied together through, say, a twitter hashtag that everyone is using so that you can follow all the different threads along. I think that’s an interesting example of how a blog, which is essentially just an instant publishing platform, through the fact that it exists in an ecosystem of other blogs, allows for different conversational formats. Another interesting example of the sorts of things that iPhones and other smartphones are making possible in terms of the landscape of food is that they are reshaping

distribution chains. For example, a startup called Group Meat (http://www. groupme.at) lets people who don’t know each other, who live in different parts of the city, to collaboratively order a whole animal, so that it makes sense for the farmer to slaughter it, knowing that he or she has customers waiting for each piece. That is reconfiguring how food gets from farm to consumer in a really interesting way.

I do think that architects are more willing Now to consider the political consequences of their designs. An interesting example indeed. However, I think you were focusing on the functional aspects of the new media, which I think are promising, and I would agree with Geoff there when he said that we’re only at the beginning. But when we look at new media and the computer and how it has shaped architecture itself then maybe right now there seems to be a movement that steps back a little bit from the

2

» Glacier / Island / Storm« was an architecture design studio Geoff Manaugh taught at Columbia University in spring 2010 that explored »the architecture of large-scale natural processes«. For the studio description, see: http://bldgblog.blogspot.com/2010/01/glacier-island-storm.html. Besides the debates in the classroom, it was also a series of linked posts and conversations on different architecture, design and technology blogs. For the full list of participants see: http://bldgblog.blogspot.com/2010/02/glacier-island-storm-online.html 3

For the 50th anniversary of the coining of the term »Cyborg«, Tim Maly brought together different bloggers to write a total of 50 posts on the subject, »celebrating 50 years of one of the 20th Century’s more enduring concepts«. For all articles, see: http://50cyborgs.tumblr.com/ 4

»Food for Thinkers: An Online Festival of Food and Writing« was a week-long online debate spread over more than 40 blogs and curated by Nicola Twilley for GOOD Magazine’s food hub. It aimed at bringing together people from as diverse a background as possible, »from science bloggers and human rights reporters to design critics and food columnists«, to share their insights into food-writing. For the full list of contributors, see: http:// www.good.is/post/food-for-thinkers-an-online-festival-of-food-and-writing/

Nic ola Twilley & Geoff Manau gh - Inter view


24 dominance of new media and calls for a more conscious use of computers. It seems that we’re finally not just overwhelmed anymore by the sheer amount of possibilities that it gives us. Some have already called that movement Post-Digitality, a term inspired by Nicholas Negroponte’s Being Digital 5 that refers to works that reject the hype of the digital revolution and that has been around for some time now in North-American art theory and in electronic music.

Signature megaprojects are not the best way to change the city; instead, it’s the peripheral, everyday spaces of human culture that we should focus on. So what I’m asking is this: Besides the ever-growing functional advantages of new media, can we see a growing tendency toward a critical analysis of the computer-empowered belief of never-ending progress? I think there are at least two approaches. On one side you see a willfully positive embrace of these technologies by people like Patrick Schumacher,

for instance, writing his parametric manifesto and saying that the best days of digital design are yet to come. But, then, on the other side, you’ve got a more critical approach, especially now that we’re in a recession and a lot of these projects, no matter how popular their renderings were on architecture blogs, are never going to be built. And this seems like a more realistic approach to a situation where you can just whip up a few beautiful images and suddenly become a famous architect. Two or three years ago, those images absolutely dominated the architectural blogosphere; they were the only things people talked about and everyone seemed to take them at face value. At the very least, then, I’d say that a rise in the visual criticism of images is underway, something that wasn’t at all prominent a few years ago. In other words, people have perhaps realized that all these images are not architecture in any real way; they’re just marketing material. I would add that, when technology is new – and this goes for any technology – the most common reaction is to imagine that it will replace everything that exists already. And, for the most part, that just doesn’t happen. Instead, new technologies open up different sets of possibilities: different ways of using space, for example, or of inhabiting space or of designing space. So the backlashes that inevitably occur have at least partially to do with these false expectations at the start, before you arrive at a more reasoned position. It’s a classic cycle. It is. And maybe we are right at the tipping point now. Or have been around it for a little while now. Let’s try and make a connection here to a broader discussion. It seems that the digital architecture we mentioned before often leaves out issues of social relevance for favoring functional or maybe performance issues in a design. And maybe sometimes it’s just about the image. In any case, many of the architects that are frequently quoted on BLDGBLOG, say, for example, Peter Cook and Archigram, Lebbeus Woods or even the early Rem Koolhaas, regard architecture as a political act, think of it as social critique. Also, it seems that right now there is a lot of rereading of influential writing from the past. Are we witnessing a re-politicization of architecture? It’s a hard question to answer, because the question is whether or not there is a real tendency for politics. Instead, I am sensing that emerging firms and architecture students today are more likely to use political narratives in their project descriptions simply as a

5

Nicholas Negroponte: Being Digital; Vintage Books, 1996

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Landscapes of Quarantine – a group exhibition »exploring the spatial implications of Quarantine« at the Storefront for Art and Architecture © Nicola Twilley

way to make their work sound more necessary than it would otherwise be. In the worst case scenario, I sense that we’re seeing less of a true turn to politics and more of a kind of political stage craft: a way to make architecture projects sound more engaged than they actually are.Having said that, I do think that – especially in the last decade, at least in the U.S., since 9/11 and even Hurricane Katrina – architects are more willing to consider the political consequences of their designs. There is a much larger clientele of people out there who need architectural services – people in disadvantaged communities, people in favelas, people in developing countries, people in cities or towns that have economically collapsed, entire classes of people who would otherwise be cut out of the architectural process. On that 6

level, I do think that there is a growing awareness of how architecture could take on a more openly political role, and it’s this kind of political activity that I would like to see more of. So you wouldn’t necessarily say that it could be read as a new kind of »avantgarde« in the sense how Archigram were avant-garde at the time, when they called for social responsibility in architecture? I guess I’m hesitant to call it a new avant-garde. There is always an avantgarde – a group of people who want their work to have an impact socially and economically and politically and environmentally. So I wouldn’t say that it’s new. Obviously, like Geoff said, the last ten years or so were dominated by fancy images and by – a phrase we’ve grown tired to hear – »starchitecture«… [Nicola laughs] We agree: it’s an irritating term. Well, Stéphane Malka was our guest at horizonte 6 this week and he quipped that »neither operas, museums or Olympic stadiums will save the future of our cities.« Instead, he accepts the Status Quo of our cities to be largely dominated by infrastructure and so he focuses on the neglected spaces in between, revealing their »untapped potential«. It is quite the opposite from the Supermodernism 7 we’ve witnessed over the past decade or so. For the sake of the title of this publication, »Re-Definition – Architecture in Search for New Paths«: is »starchitecture« finally over? »Starchitecture« will have a complicated afterlife, I’m afraid, and it will haunt us for several years. But, yes, I hope, both functionally and conceptually, and in the popular imagination of architecture, that »starchitecture«

http://m18.uni-weimar.de/horizonte/vortrag/redefinition/werkbericht-10/

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We are referring here to the term as it is coined by Hans Ibelings in his essay of the same title. See Hans Ibelings: Supermodernism – Architecture in the Age of Globalization ; NAi Publishers, Rotterdam, originally published 1998; The term itself, however, was first introduced through Marc Augé’s Non-places: Introduction to an anthropology of supermodernity; Verso, London, New York, 1995

Nic ola Twilley & Geoff Manau gh - Inter view


26 has lost its appeal and is dead. I agree with Stéphane Malka, then, in the sense that these signature megaprojects – like opera houses and museums and concert halls – are not the best way to change the city; instead, it’s the peripheral, everyday spaces of human culture that we should focus on. A good example of that would be in New York City, where the woman in charge of the city’s transportation infrastructure has taken on the task of redesigning the streetscape and changing the order of parking and bike lanes; that kind of thing. Simply by reorganizing things, and by putting different spaces next to each other in a way that they weren’t before, has really fundamentally altered the way the city feels. So that’s like an official version of Stéphane Malka’s projects: take an overlooked space, which is the street and the sidewalk, and redesign it in a way that makes it central to the very idea of a popular experience of the city. I think that’s an important direction for design right now, when we can’t economically support, at least in the west, these huge, Dubai-scale projects. I think you are touching an interesting point there, especially in regards to the discussion of this issue. At HORIZONTE, we tend to regard architecture not so much as an object but rather as a process, something that has a cultural relevance and in return itself is an expression of the cultural values of a society. With that and with the infrastructural aspects that Geoff pointed out, which are something that you deal a lot with in your blog, Nicola, at Edible Geography, let’s try to make a link here. In societies that don’t value their daily bread, and Germany would serve as a pretty good example here, it seems that any other cultural efforts can’t flourish. It’s like, if we don’t start appreciating the most basic things, how then could something like architecture become something that

HORIZONTE in conversation with Nicola Twilley and Geoff Manaugh

is really culturally relevant? In that sense, and I’m sure you’ll agree with that, food is an excellent indicator for the cultural values of a society. Could you explain why food is such an excellent indicator? I do agree – absolutely! I also think that food is particularly interesting in that it catalyzes a lot of spatial relationships and spatial interactions, and it is absolutely essential at the same time. It’s not an optional part of daily life; most of us interact with food three or four times a day. Food has the very useful quality of being central, which means that if you want to think about how things flow in and out of your city and how people use spaces in the city, then a large number of those interactions are going to be around food. Food is a great and very basic place to start with rethinking our everyday spatial relations. The other thing about it, of course, is that it spills out, as you say, into culture. There is an interesting post that just went up on the blog Deconcrete, for example, about food as a catalyst for public space – using food to re-enliven and re-imagine public space – and how, in many ways, food is a more effective tool than a fountain or a public park. So, how is food culturally relevant? It has a huge relevance to health, for example, which is increasingly important as western societies manage to kill themselves through food-related illnesses, including heart disease and obesity.

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27 said that food is practically unavoidable, that one can’t live without food: Though one could technically live without architecture, in our everyday live it is, too, practically unavoidable. And yet it seems that it hasn’t entered the sphere of general education.

Ideas travel across disciplines. They become richer the more they travel. Basically, food helps to make sure you’re focused on some very crucial issues. If you design a food-scheme that doesn’t work, you’re going to find out really quickly, because food isn’t something that can not work – you have riots when food doesn’t work! So it’s one of the quickest ways to do a litmus test on the question of whether we haven’t really thought something through. Something that comes to my mind in regards to that is that when I was in Japan, I’ve basically had some of the best food I’ve ever eaten. However, public space in Japan is pretty much reduced to consumption, shopping malls and things like that. So there is great food, but public space isn’t really promoted at all! That’s really interesting. I mean, I think there is the question of whether food tastes good, but then there is also the question of whether the experience of eating is optimized. The dining experience is a relational act: there is the growing, the distribution, and the consumption, and these are all different sets of spatial relationships. Food can taste great but still not be good in those other aspects. Sure, I didn’t mean to make such a plain link. Still, the relation between how good their food is and then how their city centers are almost the worst in the world, strikes me as interesting. Picking up at where you

With your own research base Future Plural 8, you are nonetheless aiming also at reaching people from outside the profession, as we’ve discussed at the beginning of this conversation. How do you think architecture has to change its modes of operation in order to reach a broader public? First, as Andreas Ruby claims in our last issue, by leaving its »ivory tower« and being open to outer influences? I’d say, from my own experience, that a few things can happen. One is covering architecture in a way that is actually relevant to a larger audience. This means covering architecture as it appears in different forms. If all you ever write about is the newest building by Peter Eisenman or the newest concert hall by Diller, Scofidio + Renfro; if all you ever write about is these kind of »starchitect«-projects, to use that word again, or skyscrapers in Dubai; then you miss out on a large audience that really does want to talk about architecture. That’s one of the things that I have tried to do with BLDGBLOG: I’ve tried to cover

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Future Plural was founded in 2009 by Geoff Manaugh and Nicola Twilley as »an independent curatorial unit, research lab, and umbrella for creative collaboration«. For more information, go to: http://futureplural.com/ or http://pruned.blogspot.com/p/future-plural.html

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28 the idea of architecture as it pops up in very different fields, in things like videogames and novels and films and even in the police, firefighting and the military, in robotics design and that sort of thing. I think there really is a huge audience for those things, and if you put an architectural spin on it, and if you point out how it’s relevant to architecture, you can reach a much larger audience and therefore introduce more people to architectural ideas. I think it’d be fantastic for the field of architecture to broaden its appeal – even its customer base and clientele – and the people who talk about it. But another thing I think that architects can do, as practitioners, is that you needn’t always wait for a private client to come along and hire you to produce, say, a single family house or a condominium tower or a bank or that sort of thing. There are other ways of being more proactive about how you put a design out there. Volume Magazine called it Unsolicited Architecture 9, and I think that’s part of it, but I also think it’s about creating architecture for other circumstances and being willing to work in film set design, for instance, or even as an urban developer. Those are ways to open up the field of architecture and get more people interested in hiring an architect or even becoming an architect themselves. I would say, if you are interested in ideas: Ideas travel across disciplines. They become richer the more they travel. That’s the interest for me: bringing in as many contacts and

perspectives as I can, rather than staying within the limits of one particular field. That’s a great line: »Ideas travel across disciplines!« That’s what we did, for example, with our »Landscapes of Quarantine« 10 studio: we said that the concept of quarantine will be equally fascinating if you’re a games designer, trying to think about how multiplayer-interactions work in a quarantine environment, or a cartographer, or a product designer, or an architect. Certain ideas can only be teased out by bringing together people from different perspectives. If I may, I’d call you »architecture critics«. And architecture critics have, I think, a role also in the production of architecture. For example, when we asked Mark Smout, what his and Laura’s influences were, he said that he particularly enjoys talking to you11. So, how would you describe the possibilities for you to not only criticize and describe architecture, but to actively change its ways? Or, more generally speaking, what impact can theory have on practice? In some ways, this goes back to our earlier conversation about the media. I think that, by introducing new ideas and influences into the conversation, you can make architects realize that it’s possible to design in a certain way or to use certain ideas that they might otherwise have thought it was impossible to convince their clients to accept. But I also think that even just highlighting a problem – because, at the end of the day, architecture is not just about designing new forms, it’s about solving specific spatial problems – I think that if you can point out the existence of other problems that architects aren’t paying attention to, then that’s a good way to change the direction of the discipline, but also to make people realize that there might be a spatial solution to some aspect of the city that has not been dealt with so far. You know, Nicky’s writing on food has revealed all sorts of good examples of this. For instance, the delivery of food to poor urban areas or the delivery of food throughout an entire region are social and economic issues, but they also have a spatial dimension that architects can explore.

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Rem Koolhaas; Mark Wigley; Ole Bouman (eds.): Volume 14: Unsolicited Architecture; Archis Foundation, Amsterdam, February 1, 2008; For a screen preview of the »12 Steps to Unsolicited Architecture«, go to: http://issuu.com/archis/docs/unsolicitedarchitecture

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Landscapes of Quarantine was a group exhibition »exploring the spatial implications of Quarantine« at the Storefront for Art and Architecture in New York City, on display from March 10 through April 17, 2010 and curated by Geoff Manaugh and Nicola Twilley. It began with an independent design studio, from October to December 2009 that brought together »a multi-disciplinary group of studio participants to discuss the spatial implications of quarantine and develop their own creative response«. 11

See: Neo-Nature – A Talk with architect Mark Smout; in: HORIZONTE No.2 – How to Architecture?; Weimar, November 2010

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The Foodprint Project is an ongoing series of multi-disciplinary events in different cities, founded by Nicola Twilley and Sarah Rich. It is »an exploration of the ways food and cities give shape to one another.« For more information, visit: www.foodprintproject.com

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29 There’s also the Foodprint Project , which I run in collaboration with Sarah Rich12. For the Foodprint Project , we go to a city and bring together a group of people who are working with food every day in completely different areas and are not necessarily talking to each other. For example, we’ll bring the CEO of the largest supermarket chain together with a government policy person, together with an architect who has studied the city’s central market, together with someone who is, say, an activist, trying to bring food access to low income people. You bring all those people together in a conversation and what is exciting is not just the conversation that happens at the event but the conversations that continue afterwards. So if there is anything I would feel excited about having helped make happen or is my contribution to promote change in the world is, I would say, that simply by putting people and ideas together you sow the seeds of change that plays out physically. So while neither Geoff nor I are building buildings, I believe that many of those conversations will have physical outcomes.

For instance, there’s the famous case of Judge Schreber, who had a habit of sketching floor plans in his diary of the hospitals he was incarcerated in. That was his way of making himself feel that he could understand and control his everyday environment. Things like that, to me, show that architecture is constantly popping up in different contexts; it is constantly relevant to fields that you might not think are spatial. When I say that everything is relevant to architecture, I mean that you can talk about the neuro-sciences and still bring it back to a discussion of space and architecture. You can talk about politics and law and even things like bank robberies – which are a much more intense use of architecture than visiting a new concert hall – in terms of the built environment.

[with that, Nicola has to leave for work] Geoff, »Everything has to do with architecture!« seems to be a credo or conviction of yours. With regards to your fascination with the radical architecture of the sixties, do you see a difference to Hans Hollein’s »Everything is Architecture!«? I do, actually. I think there is a similar spirit animating those two statements, but I think one key difference is that Hans Hollein is really saying that you can critique everything as if it’s architecture – you can critique an aircraft carrier using the same attention to design that you would use to look at a building by Frank Lloyd Wright or Mies van der Rohe. In other words, you can treat things like battleships, industrial landscapes, et cetera, as aesthetic objects that are subject to design criticism. So everything is architecture simply in the sense that I could also say »everything is poetry« and then I could read the menu of a Chinese restaurant as if it was a poem, applying literary criticism to the way that menu is written. That’s how I understand Hans Hollein’s approach. But my intention is not to say that you should treat everything as if it’s an aesthetic object, but that you can find ideas that are of relevance to the architectural project in everything from astronomy, plate tectonics, every aspect of the planetary sciences, anthropology, archaeology, war, the way human beings use the landscape, and even things like psychiatric disorders.

What we consider a “building” is usually not designed by architects AT all! For the last few questions, we want to look at the field of teaching. You said earlier during this interview that often times, things are looked at only in the academic sphere of architecture and that it’s not how it should be. You talked about how students now are influenced, for example, by the new media, how they open up the architectural field to other related fields of interest, such as game engineering, set design and so on. In 2003, Log did an interview with Bernhard Tschumi, »The Exit Interview«, on the occasion of his retiring from being dean at Columbia University 13. In that Nic ola Twilley & Geoff Manau gh - Inter view


30 interview, he took much pride in the fact that, at least for a certain period, the graduates from Columbia weren’t working as architects any longer, that rather they actually became game engineers, set designers and so on. Of course he also said that that has settled down after the hype, but we are wondering: at a certain point,

Whenever a discipline loses its focus, and you’re not sure what it is anymore, that tends to be the moment when really exciting anddifferent things can happen. if architecture students are not becoming architects anymore, then who does architecture today? Well, I don’t think that architects aren’t doing architecture anymore; I just think that there are so many architects today that they are also now doing architecture in other fields, such as film and game design. So, of course, there still are architects designing buildings, but a huge number of them have the training and the skills to work in different fields. For instance, the guy who directed

Tron: Legacy studied as an architect. But I do think your question »Who is making architecture?« is an important one because, especially in the United States and in other countries that are rapidly building suburbia, what we consider a »building« is usually not designed by architects at all! It’s designed by developers; sometimes houses in the suburbs are even »designed« based on the dimensions of wood and other mass-produced housing parts that are used by contracting services. The construction process itself affects the form of the building more than an architect ever will. Similarly, you see tension emerging between people like Rem Koolhaas and Cecil Balmond: the idea that, on the one hand, there is Rem, the architect, and on the other there is Cecil, the engineer, but there is this growing idea that engineers will be the future of architecture; that architects are going to become irrelevant. I don’t think that’s necessarily the case, but I do think the idea that not architects but engineers will define the future of human space is worth discussing. I guess what I want to point out is that, although more and more architects are leaving the field of architecture to do things like video game design, this doesn’t mean that suddenly there are no people designing buildings any more. I think this just shows how architects today are successfully finding new markets for their ideas. I would agree to that. Part of what we were going for with the question was what you pointed out half way through your last answer: that there are so many obvious parts within the realm of architecture that are not worked on by architects any more, like, for example, suburbia. So in a sense, we are giving these potential tasks away from the profession so that, on the other end, we have to focus on other related fields rather than turning back to those parts of architecture that might not be glamorous but still relevant nonetheless, the »everyday spaces« if you will. Isn’t there enough within the, for lack of a better word, »traditional« sense of architecture that architecture students could turn to? Yes, I do think there is. But it’s not only student initiative: educational institutions need to change the kinds of courses that they offer and to open themselves up to new forms of collaboration. If you really want to give students a new skill set – so that they can be engineers as well as architects, or even game designers as well as architects – then you need to teach whole new types of

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Cynthia Davidson (ed.): Bernhard Tschumi: The Exit Interview; in: Log. Observations on architecture and the contemporary city, No. 1, Fall 2003; Anyone Corporation, New York, p.141-147

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Foodprint Toronto – The Foodprint Project is an ongoing series of multi-disciplinary events in different cities, founded by Nicola Twilley and Sarah Rich © Stacy Lewis

classes and you need to establish different collaborations between the architecture department and other professions. And, if this is not happening today, then I think the important thing is for students to take the initiative and to make these things happen. Students have the ability to organize these kinds of things, if their school isn’t offering them. Similar to what you guys are doing in Weimar with your »horizonte« lecture series, I think that you can put together the kinds of things that you think are important for your own education – whether that’s learning a new tool set from an engineering firm or whether it’s learning how to market an iPhone app. You can take the initiative and bring that into your department – or start a new group outside school altogether. With that you almost took away the next question which would be: How should architecture be taught today? Do we still need an architectural education as such or would it rather be an education that combines knowledge from different fields, so that it may not even be called »architecture studies« anymore but something like »studies of the built environment«? Yeah, that’s a fascinating question! My short answer is that we definitely still need architectural education. But as far as what it should be called and what it should consist of, yes, the question is: could you take something like »studies of the built environment« or could you take something like »spatial design« or even »spatial anthropology« and make that a new discipline to replace architecture as we know it? But I don’t think this is a crisis. Quite the opposite: I think this is exactly why it is exciting to be involved in architecture today. Whenever a discipline loses its focus, and you’re not

sure what it is anymore, that tends to be the moment when really exciting and different things can happen. And I think that we genuinely could, within our generation, change fundamentally what it means to write, study and produce architecture at all. And that’s a huge task! But I feel that we really have a great generation of people working right now, with a huge skill set that even just 20 years ago architects simply didn’t have. I think there are some great opportunities here to really change what it means to be an architect. More specifically, it would great to see a school somewhere that was willing to experiment pretty radically with its curriculum and to offer different types of teachers, as well as different types of spatial experiences for things like site visits and trips. There are examples of this all over the place, of course, but it would be great to try to put them all in one school – or maybe, who knows, start a school and see what happens! Are you planning anything like that? Is that the big scoop for our next issue? [Geoff laughs] Well, I would if I could – but ask me that in another year or two and we’ll see what happens.

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32 That’s not that far away … Since you pointed out that there are a couple of schools that are willing to take risks in that area: you have taught at various schools yourself, for example at the University of Technology Sydney or at Columbia and were also a researcher at the Canadian Center for Architecture in Montréal. Going back one last time to the academic vs. non-academic argument; when you were here in Weimar, Nicola said that sometimes she gets mad about people accusing you of unacademic or even unprofessional methods. Now that you are getting more and more involved with the academic circles, how do you deal with that accusation? Do you regard your academically non-rigorous approach as an advantage?

It can get frustrating, of course, when you hear people say things about you that simply seem regressive or xenophobic, as if we need to return to the architectural culture that existed before blogs. That can be disappointing. But if it makes me question what I’m doing, then it’s a good thing. On that same token: Didier Faustino was our guest last year and he said: »Only fiction can save the world!« You call your own writing »architectural criticism as a kind of literary form«. So does innovation need speculation beforehand? I’d say yes – but I would also say that it works both ways. Of course, the very idea of thinking about the future – thinking about the next step in a design project – is, by definition, speculation. But an interesting example, maybe, comes from this design workshop that I’ve been involved with over the last ten days here in Los Angeles. At one point last week, we all went up to Pasadena to visit the head of the robotics lab at CALTECH 14. He is the guy in charge of designing robots for future missions to Mars, where they’ll take samples of the ground and maybe even send rocks back to Earth. What was interesting was talking to him about his design method: he has a very physical approach to this stuff. He goes into the lab and he builds things to see if they’ll work, and he actually described his own method as »physical speculation.« In other words, you put things together in a way that you wouldn’t have done yesterday, or you use a different sized wheel or you try a different kind of motor… But it was interesting to hear I do think it’s an advantage. But I also him refer to the physical design of things as a kind of think that the instant I started teach- speculation. ing, for many people my work went In any case, thinking about how different ideas and from being just a random architecture objects can be recombined or turned into something blog to being something almost like a new in the future is always important. In that sense, I threat to the academy’s integrity – in would say that it’s much more useful to be speculative other words, something that they now than it is to be nostalgic. feel a need to challenge or contest. But, As a final question we usually ask for a good piece of personally, I think that’s a good thing. advice to students or recent graduates. But when you It makes me question what I’m doing, were here, Nicola said »I read fast, Geoff writes fast« so this time we will ask: is that the key to your success? and whether or not the things I write [Geoff laughs] Possibly, yeah. Whether it’s absolutely about are actually useful in a classroom situation – though it also makes central is a whole other thing – but, for me, yes, I enjoy being able to write and speak very quickly. [laughs] me think that architecture school is more conservative than I had been thinking, as a writer! But that sort of conflict is actually productive, and I don’t mind it.

It is much more useful to be speculative than it is to be nostalgic.

14

see http://robotics.caltech.edu/wiki/index.php/Main_Page

RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


la disposition seule doit s’occuper un architecte,

la disposition la plus convenable et la plus ĂŠconomique.


– Jean-Nicolas-Louis Durand –

Précis des Leçons d‘Architecture (1802-1805) von Jean-Nicolas-Louis Durand avancierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch seine starke Verbreitung zu einem der einflußreichsten Traktate der Architektur. Getragen vom revolutionären Geist der französischen Revolution, propagierte Durand eine Architektur der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Eine rasterbezogene, egalitäre Enwurfsweise sollte allen Individuen gleichermaßen und zu jeder Zeit in selbem Maße gerecht werden. Das Durandsche Rastersystem wurde in der Folge auch von einflussreichen deutschen Architekten wie Karl Friedrich Schinkel und im besonderen durch Leo von Klenze angewandt. MR

Durand’s treatise (1802-1805), the written edition of a course of lectures he gave in Paris, is an astounding attempt to think of architectural design as a scheme of standardized methods. His guiding principle is architecture’s social utility. According to the egalitarian ideals of the French Revolution, Durand developed a radically systemized, economic design system, based on a square planning grid which could be expanded according to the demands of the specific project. Focusing solely on economic means and such of rationality, architectonic traditions, symbolism or topographic singularities were no longer important to the design process and did not inflict any more with the ultimate goal of societal utility. MK

– Précis des leçons d’architecture, 1802-1805 –


33 Something Fantastic

improvising towards a better future

1 Improvisation is a technique for architectural design. 1.1 Designing means to plan and this can extend only so far into the future. 1.1.1 Planning requires an idea of a certain situation that potentially does not exist yet. A plan is made to implement this idea, to bring it into reality. We see planning as the projection of an idea into a situation. But the situation itself can only be a projection, as the complexity of the real situation has to be abstracted, summarised and condensed in order for it to be understood. 1.1.1.1 It’s true, what everybody writes in their introductions: the world is complex and difficult to understand. 1.1.1.1.1 In the African country Malawi for example, one-hundred and fifty kilograms of wood is burnt to dry one kilogram of tobacco and the carbon footprint of a rose, transported from Kenya to Europe, is smaller than the carbon footprint of a rose imported from the Netherlands. 1.1.1.1.2 Architecture, and thus the architect, has to deal with complexity because the production of space is influenced by an infinite number of interests and parameters. 1.1.2 Planning is the projection of a project. 1.1.2.1 In his book Improvisations on Urbanity the musician and founder of the Institute for Improvisation Technology Christopher Dell1 stated: Planning assumes that there are ideal forms and objects which can be projected into an existing terrain. Projection and project get confused. Conceptualised in a supposed neutral space of rationality, planning takes these urban spaces as neutral space as well. This is wrong. Urban spaces are political, objects of hegemonic structures, interests and controversies. An object such as a lot or a city block will never be neutral.

Something Fantas tic - P rojekt


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1.2 Improvisation is the real parametric design. 1.2.1 Parameters never stop changing, even when the building process has begun. 1.2.2 The parameters are: the happiness of the client, the budget, the building regulations, the site, the neighbouring buildings, the zeitgeist, the embodied energy of the materials, the vernacular of place, energy consumption etc. 1.3 The awareness of the fact that there is no such thing as a con- scious and objective reaction to all parameters is paradoxically the first step towards fulfilling the goal of objective planning. Improvisation is to accept the impossibility of objective reac- tion to parameters and thereby getting closer to that ideal. 1.3.1 Improvisation is not the easiest way. One has to be well versed in one’s field to be able to improvise. 1.4 Still, improvisation in most cases is derived from a state of deficiency. 1.4.1 If improvisation is referred to in an architectural context, one usually has to improvise because planning has failed. 1.4.1.1 The reasons are varied: Bad weather, a strike of the construc- tion workers, shortage of building materials, limited finances. 1.4.2 However, since the financial crisis started in 2008, limited budgets have become the norm. 1.4.2.1 Since the beginning of the financial crisis, the price level of real estate in Spain has dropped by about 20%. 1.4.3 In the future, with a broader perspective in mind, the over consumption of resources will make the easy availability of products a parameter of our times. 1.4.4 We are too enlightened to ignore the deficiencies we face. 1.5 To improvise is to interact with a situation. 1.5.1 The difference between situation and context is that the situation is much more fluid. Situations change and are con- stantly changing. Context is the summary, context is formal. 1.5.2 Improvising musicians take their situation into account when they are playing. Nevertheless the themes of their play are well known motifs. 1.5.3 The themes of the architect are beauty and happiness. 1.6 Improvisation is not an ideological approach. 1.6.1 It is a progressive technique that is able to give answers not only to what now lies before us, but also to what may come. It is the reaction to the fact that our world is changing and that it can be changed.

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A HOUSE ON A HILLSIDE

by H Arquitectes is a built example of what we mean by talking about improvisation in architecture.

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The house 205 by H Arquitectes is situated in the hilly hinterlands of Barcelona, close to the Catalan national mountain Montserrat. When the client for the project showed the plot of land he was going to buy to the architects, the most obvious feature of the site appeared to be the extreme slope that descended from the edge of a paved road at a 50 degree angle. It made the edge of the road look like the end of the world. The verticality of the site seemed to be a metaphor for the situation in Spain: the financial crisis. A large number of building projects in various stages of development and construction were on hold. Common ways to build on such sites could be studied by looking at the opposing hillsides that frame the valley: massive brick or concrete walls create small terraces on which one can build under regular conditions. Apart from the uninspiring reality that such an approach implies, one that destroys the natural topography and removes many trees, the main reason not to treat the plot similarly was simply cost-related: The small budget did not allow for more than half of it to be spent on the creation of a ›straight condition‚. Large quantities of earth would need to be moved and a concrete dam would need to be constructed; All of this in a situation where heavy machinery would not be able to leave the street above the plot and hence could only operate from outside the actual construction site. Leaving behind the standard approach to building in the valley, two massive stone banks that extended deep into the ground of the plot were tested for their ability to serve as natural foundations. They proved strong enough to carry a house the size the client asked for. The problem was, they were only 8 meters apart from each other and therefore the house had to exceed the footprint provided by the foundation. Only a generous cantilever on both sides of the foundation would allow the house to reach a total length of 18 meters. With a 4-metre depth, the house has a total of 132 square meters over two floors, with bedrooms for the couple and their two children on the first floor and the more communal rooms on the ground floor. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


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A feasible approach to minimising the weight of the cantilevered structure and neutralising difficult access to the construction site was found in working with wood. Austrian, Swiss and German wood-construction-suppliers have developed ways to prefabricate cost-effective solid-wood plate systems. Walls and floors can be pre-fabricated and brought to the site on a truck and put in place in one piece with a crane. These construction techniques have been in use for some years in Central Europe but are uncommon in Spain. But the fact, that these systems and their static attributes could turn the two 18-meter-long walls into beams that hold the floors and the roof of the house, brought this imported building technique into focus and eventually made it seem the most logical one. After two concrete walls were anchored on the natural stone foundations, the wooden structure of the house was assembled within a day. On the outside of this wooden layer insulation was constructed. This is uncommon in Spain although quite sensible in winter. It was then clad with a layer of untreated larch wood. Inside the house, white rooms and wood rooms alternate, on the ground floor in a beautiful enfilade. Again the reason is born out of cost effectiveness coupled with a will to not give in to the most standard solution. The alternation of white and wood rooms is an effective way of saving space and cost used by the installation of plumbing and electric cables: Hidden behind the gypsum cladding of the white rooms, cables can reach adjacent wood walls and allow for recessed outlets there, too. The most fantastic interior space is a 5-metre-high combined library, work and living room, which has a spatial quality akin to a church plus spectacular views across the valley. The library is built from spare wood panels that are the leftovers from where the windows were cut out. They were also used to build a small terrace adjacent to the kitchen. During construction, the vegetation and topography surrounding the house has remained intact and natural. Even though the house is only two years old, it appears as if it has been there forever, since most of the trees were left untouched and only the ground underneath the actual building was affected by the construction. On first inspection, the cantilevered house appears to be a formal gesture, enabled by many compromises and an unlimited budget. Yet in truth, it is the result of a careful balance between a small budget, low impact building techniques, maximum space and beautiful form that makes this project so successful. A testament to the fact that improvisation can be a most marvelous thing. The most urgent question now, both metaphorically and physically, is: How will they build on normal terrain?

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all images © H Arquitectes

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Postscript: On the way to visit the site of the project, Roger Tudó Galí of H Arquitectes emphasized that his office was a very purposeful one, interested in technology and its use for architecture. Surprisingly after this introduction, we found a very sensitively composed, very aesthetically appealing house that was carefully fit between the trees surrounding it. Obviously, being able to react spontaneously and openly to what tasks come up during a planning and building process, reconciling a tight budget with an unusual topography in a beautiful landscape is a matter of course to these young Catalan architects. They just seem to have perfected the technique of improvisation as a way towards a new, smart, simple, sustainable and touching architecture.

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Christopher Dell was one of our teachers at the Berlin University of Arts. Most of our thoughts on improvisation are inspired by him.

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sandra schramke Der in der Architektur immer häufiger verwendete Begriff der kreativen Problemlösung bezeichnet einen Neologismus, da er Genau an der ursprünglich getrennte Denksysteme zu einem neuen Ansatz vereint. Der Begriff Kreativität ist der Vorstellung der schöpferischen Schwelle zwiTätigkeit einer Einzelleistung entlehnt, während die Problemlö- schen Entwicksung einen Begriff aus der Informatik darstellt, die Rechengrößen in einem Schaltkreis verhandelt. Die Informatik selbst arbeitet lung und Entmit Kreativitätstechniken der Problemlösung, die der Logik der Kalkulierbarkeit unterstehen. Dagegen stellt die kreative scheidung liegt Problemlösung ein Verfahren dar, das das Verhältnis zwischen das Potenzial Einzelleistung und Automatisierungsprozess neu auslotet. Diese Methode ist weniger einem Kalkül zuzuschreiben als der Bereit- kreativer Probschaft, beim Gestaltungsprozess energetisches Potenzial oder auch Größen wie den Zufall zu nutzen. Ein zentrales Merkmal lemlösungen. dieser Strategie ist das Fehlen der Garantie für den Erfolg eines Projekts, das sich auf keine etablierten Methoden mehr beziehen kann. Ganz im Gegenteil werden die Möglichkeitsstrukturen im Entwurfsprozess offen gelegt, die hinter den jeweiligen Entscheidungsfindungen liegen. Genau an der Schwelle zwischen Entwicklung und Entscheidung liegt das Potenzial kreativer Problemlösungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage produktiven Handelns neu. Wie können Hierarchien und wie Entscheidungskriterien für gestalterisches Handeln in Bezug auf globale Fragestellungen neu verhandelt werden? Wie können epistemische Wissensformen anhand von Bildern oder Objekten wie Karten, Diagrammen oder Artefakten sinnstiftende Transfers in die Architektur leisten? Welche Vorbilder eignen sich insbesondere für diese Übertragungen? Wie müssen Wissensstrukturen organisiert und kommuniziert werden, um sie nutzbar zu machen? Wie wäre außerdem das System der Steuerung neu zu denken ohne einer eindimensionalen Betrachtung zum Opfer zu fallen? Strukturalismus

Die Ursprünge der Suche nach neuen experimentellen Entwurfsmethoden nach 1945 gehen u.a. auf die Architekten Frei Otto, Alison und Peter Smithson sowie Charles und Ray Eames zurück. Der Zweite Weltkrieg hatte mit seinen fatalen Folgen für die Gesellschaft den Nährboden für den Wunsch nach neuen Lösungen vorbereitet, die eine gewisse Offenheit anstelle des Diktats setzten. Sandra Sc hram ke - Es s ay


42 In diesem Kontext steht Frei Otto in der Geschichte der Architektur für die bestimmende Geisteshaltung der Nachkriegszeit, die mit funktionalistischen Lösungsansätzen den Menschen und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Neben Frei Otto machte sich eine neue Architektengeneration zur Aufgabe, den großen Bedarf an Wohnungen für Menschen zu decken, die im Krieg heimatlos geworden waren, indem sie die Entwicklung technologisch adäquater und schnell umsetzbarer Lösungen vorantrieben. In der Tradition elementierten Bauens der klassischen Moderne schufen sie unter Einsatz der Technik der Prefabrikation temporäre Gebäude, die schnelle Auf- und Abbaubarkeit versprachen. Zudem gründete Frei Otto zusammen mit Yona Friedman, Die neue genera- Paul Maymont, Eckard Schultze-Fielitz, Werner Ruhnau und David Georges Emmerich die Groupe d´Éétudes d´Architecture tion brach mit Mobile (GEAM), eine kritische Plattform der Stadtentwicklung. der Programma- Die Gruppe verfasste unter Friedman zwei Manifeste zu den Themen L’Architecture mobile und La Ville spatiale, die beide 1958 tik absoluter veröffentlicht wurden.1 Zwar ist die Geschichte der Technik der Architektur genuin nicht Wahrheiten. erst seit der Moderne schon immer eingeschrieben, jedoch macht 1 die Nachkriegsarchitektur in neuen Dimensionen davon Gebrauch. Yona Friedman: L´Architecture mobile, in: Cahiers du Centre d’études architecturales; Zur Erinnerung: Der letzte CIAM -Kongress (Congrès internationaux Bruxelles, 1968 und ders.: L´architecture d´architecture moderne) 1959 in Otterlo bringt den Strukturalismus de survie, in: Collection Synthèses contemporaines; Casterman, 1978 in der Architektur hervor. Ihre Protagonisten, die so genannten 2 Leon Battista Alberti: Vom Hauswesen; jungen Rebellen, unter dem Namen Team X bekannt, kritisierten Zürich, Artemis-Verlag, 1962 und ders.: De Re insbesondere die Funktionstrennung des Städtebaus, die 1933 in Aedificatoria; München, Prestel, 1975 3 der Charta von Athen auf dem vierten CIAM -Kongress beschlossen Jonathan Crary: Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur; Frankfurt/Main, wurde. Zwei Jahre später gründete sich die Gruppe GEAM. Suhrkamp, 2002 und ders.: Techniken des Beide Bewegungen sind als Reaktionen einer vom Faschismus Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert; Dresden, Verlag der Kunst, 1996 traumatisierten Gesellschaft zu bewerten. Die neue Architektengeneration brach mit der Programmatik absoluter Wahrheiten, um sie durch eine multiperspektivisch angelegte Vielfalt insbesondere in Bezug auf den menschlichen Maßstab zu ersetzen. Den Menschen und die Gemeinschaft im Blickpunkt, schlossen sie unter anderen Vorzeichen an eine Philosophie an, die schon Alberti darlegte. In seinen Schriften Della Famiglia und De Re Aedificatoria stellte er das Wohl des einzelnen Menschen und das der Gemeinschaft ins Zentrum seiner Überlegungen.2 So wie es Alberti neben Aneignungsfragen auch um die Wahrnehmung von Architektur ging, wird die räumliche Erfahrung erst mit den modernern Wissenschaften – allen voran der modernen Physik – etwa 300 Jahre später quantifizierbar.3 Die auf den neuen Techniken basierenden Möglichkeiten rücken den Menschen ins Zentrum und machen ihn gleichzeitig berechenbar. Vor diesem Hintergrund entwickeln Charles und Ray Eames von 1959 bis 1965 ihre Ausstellungsarchitekturen, die den Menschen selbst ins Zentrum und die Wahrnehmung des Betrachters mit dem Raumentwurf in Beziehung setzen. Dazu machten die Eames von der praktischen Umsetzung kybernetischen Informationstransports Gebrauch, um sowohl die Raumproduktion als auch die Rezipientensituation zu steuern. Zu diesem Zweck verwandten sie einerseits spezifische Medientechniken und berücksichtigten andererseits ausgewählte Erkenntnisse aus der Wahrnehmungsphysiologie und -psychologie sowie den Kognitionswissenschaften. Eames’ Einsatz neuer Architekturpraktiken unter neuen Technikbedingungen war nicht zufällig, sondern entstand unter der Auftragssituation der amerikaniRE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


43 schen Regierung während des Sputnik-Schocks zu Zeiten des Kalten Krieges und von IBM, die damals den Markt auf dem Gebiet der Computertechnologie anführten. Die Eames, die in ihrem Land für ihren kreativen Umgang mit Architektur und Design bekannt waren, verknüpften aktuelles Wissen aus der Natur- und den Humanwissenschaften sowie der Technologie nach der Maßgabe einer strukturalistischen Entwurfsmethodik zu neuen Gesamtzusammenhängen. Eames’ Architektenfreunde Alison und Peter Smithson erprobten zeitgleich andere Experimente mit dem Raum. Die Smithsons verzichteten beispielsweise bei ihrem 1954 fertig gestellten Gebäude der Hunstanton Secondary School ganz auf Verkleidungen oder Putz und führten die Installationen sichtbar auf den Wänden und Decken.4 Damit etablierten sie einen neuen Umgang mit Gebäudestrukturen, der als architektonischer Strukturalismus 4Alison und Peter Smithson: Alison + Peter London, Acad. Ed., 1982 bekannt wurde. Vorbild ist die Strömung des Strukturalismus, der Smithson; 5 Winfried Nerdinger: Frei Otto. Das Gesamtin der Geisteswissenschaft vom Genfer Sprachwissenschaftler werk; Basel, Birkhäuser, 2005 Ferdinand de Saussure begründet wird. Dieser wird von Archi- 6siehe auch die Bewegungen um Constant tekten wie den Smithsons in der Nachkriegszeit in eine Stil und den Situationismus prägende Architektursprache übersetzt. Anleihen der Bewegung 7Multiscreen projection, an Eames innoin: E, LOC, M D, Box 22, Folder 4, des Strukturalismus finden sich auch in den Naturwissenschaf- vation, Publicity, 1964 ten und anderen Disziplinen wieder. In diesem Kontext wird auch Frei Ottos ausdrückliche Offenheit nicht nur gegenüber seinem Umgang mit Tragstrukturen, mit der er sich trotz jeder Bemühung der Optimierung von Architekten wie Buckminster Fuller abgrenzte, der geradezu dogmatisch die Ausschließlichkeit seiner Dreigelenkverbindungen vertrat, sondern auch seinen Interessen an den Natur- und Lebenswissenschaften wie etwa der Biologie, Naturphilosophie und Morphologie bedeutsam.5 Hier versprach der Strukturalismus den freien Umgang innerhalb eines vorgegebenen Rasters. So wie die Sprachwissenschaft zwischen langue und parole unterscheidet, also zwischen der Grammatik einer Sprache und ihrem Gebrauch beim Sprechen, so suchten die Architekten unter Berücksichtigung des menschlichen Maßes nach Strukturen, innerhalb derer sie mit Möglichkeitsstrukturen im Hinblick auf ausgewählte Elemente experimentierten, um möglichst vielfältige Aneignungsprozesse von Seiten ihrer Benutzer zu ermöglichen. Der Architekt Herman Hertzberger, der ebenfalls der Strömung des Strukturalismus angehörte, forderte daher Räume, die soziale Kontakte fördern und als beheimatende Orte auf Zeit dienen.6 Prozessuale Techniken. Neue Methoden der Identitätsstiftung

Zwar präsentiert sich hier die Avantgarde noch in Form von Einzelakteuren bzw. Gruppen, die ihre Ansichten in Form von Manifesten um zukünftige Lebensformen verbreiten und neue Gebäudetypologien umsetzen. Doch werden hier weniger Einzelideen repräsentiert, sondern Vorschläge einer neuen Experimentierfreude gemacht, die die Kultur vorheriger Dogmen konterkariert. Ein neuer Funktionalismus tritt in Erscheinung, der sich Kenntnisse aus anderen Fachbereichen aneignet und sie nicht nur für Raumentwürfe nutzbar macht, sondern ebenso für die eigenen Arbeitsweisen. So setzten sich beispielsweise Charles und Ray Eames mit der semiotischen Frage der Bildproduktion der Film- und Kameratechnik unter Anleitung ihrer Mitarbeiterin und Logikerin Jehane Burns auseinander, um daraus eine alltägliche Übung zu machen.7 Sie produzierten täglich mehrere dutzend Fotos und in ihrem Leben insgesamt über 80 Filme. Auf diese Weise übten sie einerseits selbst neue Sehweisen ein, die sie für ihre Möbel- und Architekturentwürfe produktiv machten. Ihre Case-Study-Houses variieren in der Oberflächenbeschaffenheit ihrer Elemente in Sandra Sc hram ke - Es s ay


44 der Art, dass sie von vornherein Multiperspektiven ermöglichen.8 Mit Deleuze gesprochen, tritt hier an die Stelle einer klaren hierarchischen Struktur der beliebige Raum, deren Ordnungsprinzip die Serie darstellt. Die Elemente stellen betrachterabhängig lose Kopplungen von Elementen im System dar.9 Diese Elemente in neue sinnfällige Zusammenhänge zu bringen, obliegt dem Betrachter. Auch bei ihrer Möbelentwicklung folgten die Eames dem Prinzip der Multiperspektive: Sie stellten die Stühle am Abend, wenn sie das Büro Gestaltungs- verließen, auf den Kopf, um am nächsten Morgen einen neuen Blick auf die eigenen Produkte zu gewinnen, die ohne Hierarchien von und Wahrneh- oben und unten den eigenen strengen ästhetischen Urteilen stand halten mussten. mungsprozesse Die Protagonisten der architektonischen Strukturalismusbewetraten an die gung Alison und Peter Smithson begründeten zusammen mit dem Künstler Eduardo Paolozzi und dem Fotographen Nigel Henderson Stelle Fest- die Independent Group, unter deren Namen sie Bilderausstellungen organisierten, die unter dem Begriff As-found. Die Entdeckung des gelegter und Gewöhnlichen bekannt wurden.10 Ihre aus den verschiedensten vorgefertigter Kontexten zusammen getragenen Bilder wie Kinderzeichnungen, Zeitungsmaterial und Röntgenaufnahmen stellten sie ohne hieEntwurfsver- rarchische Bildordnung aus. Ihre Art der Präsentation war von darauf angelegt, den Betrachter die Bezüge selbst fahren. vornherein herstellen zu lassen. Die Interpretation des Gesehenen spielte 8 bei Ihnen eine ebenso große Rolle wie sie vorgefundene materiMarilyn Neuhart: Eames house; Berlin, Ernst, 1994 ale Reste in ihren Entwurfsprozess integrierten. So griffen die 9 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2; Smithsons in einem ihrer Entwürfe eine Hofmauer auf, um diese Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1997 zum Ausgangspunkt ihres Entwurfs zu erklären. Gestaltungs- und 10 Claude Lichtenstein: As-found. Die Wahrnehmungsprozesse traten hier an die Stelle festgelegter und Entdeckung des Gewöhnlichen; Zürich, Museum für Gestaltung, 2001 vorgefertigter Entwurfsverfahren und Methoden. 11 Frank Dietrich: Visual Intelligence: The Die Thematisierung von Wahrnehmungsprozessen in Gestalfirst Decade of Computer Art (1965-1975); tungsfragen, die den Betrachter aktiv einbeziehen, sind im Strukin: Leonardo, Vol. 19, No 2; MIT Press, 1986 turalismus angelegt, haben jedoch noch einen zweiten, weiter reichenden technikgeschichtlichen Hintergrund, der in der Erfindung des Computers liegt und gegen die Offenheit des Umgangs wie im As-found beschrieben, mit geschlossenen Regelkreisen operiert. Dennoch versprach sein Einsatz in Kunst und Design Demokratisierung und stieß nach 1945 bei Architekten gerade deshalb auf große Zustimmung. Vom Wunsch der Nachvollziehbarkeit von Gestaltungsfragen getragen, entwickelten Max Bense, Abraham A. Moles und Rul Gunzenhäuser die Informationsästhetik und stellten sich mit den anderen Architekten und Designern in den 1950er Jahren an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm die Aufgabe, Ästhetik in den Stand einer Wissenschaft zu heben und allgemeingültige Regeln für die Optimierung von Schönheit aufzustellen.11 Denn die Methode der statistischen Berechenbarkeit von Ästhetik sollte ihre universale Gültigkeit garantieren. Die Architekten Charles und Ray Eames führten in ihren Ausstellungsarchitekturen den Wunsch der Stärkung der Betrachterposition und das digitale Wissen der Computertechnologie zusammen. Sie projizierten in ihren Architekturen, die sich durch gekrümmte Oberflächen auszeichneten und dadurch einen Panoramablick gewährten, fragmentierte bewegte Bilder simultan auf jeweils maximal sieben Leinwände, der Obergrenze gleichzeitig wahrnehmbarer Bilder, deren Gesamtzusammenhänge der Betrachter in der Vorführung durch Interpretation herstellen musste. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


45 Die Eames folgten wie auch die Smithsons dem aus heutiger Sicht typischsten Anliegen der Nachkriegsarchitektur, das sich der Neueinführung des menschlichen Maßstabs in Entwurfsprozesse widmete. Während die Eames auf der Grundlage der Betrachterwahrnehmung den mental gemachten Raum etablierten, widmeten sich die Smithsons neuen am menschlichen Maßstab orientierten Raumstrukturen, indem sie die klassisch modernen Zonierungen von Arbeiten, Wohnen, Erholung und Verkehr durch die Begriffe Straße, Gasse und Plätze ersetzten. Und obwohl sich die Orientierungsgröße des menschlichen Maßstabs von der Automation auf den ersten Blick stark voneinander unterscheiden, macht Norbert Wiener in seiner Schrift Cybernetics or control and communication in the animal and the machine die Gleichsetzung von Automat und Mensch möglich.12 Poststrukturalismus

Die Avantgarden der Vor- und Nachkriegszeit, die sich durch eine klare Haltung gegen das Bestehende auszeichnen und diese oftmals in Form von Manifesten verbreiten, finden Anfang der 1970er Jahre ihr Ende. Der Poststrukturalismus, der danach entsteht, vereint neue vielfältige analytische Denkrichtungen. Innerhalb dieser stellen vor allem die Diskurse der Wissensordnungen, die Foucault in Überwachen und Strafen am Beispiel des Panopticons vorführt, neue Möglichkeiten dar, Wissensordnungen im Kontext gesellschaftlicher und kultureller Bedingungen unter formalen Aspekten zu Die Avantgarden untersuchen und für die Architektur zugänglich zu machen.13 Die epistemischen Wissensstrukturen, die sich in der Wechselwir- der Vor- und kung zwischen der Raumkonstellation und ihrer Rückwirkung Nachkriegszeit auf die Gesellschaft einstellen, geben den Architekten einen Fragenkatalog an die Hand, der sich zwischen Humanismus, Tech- finden Anfang nikgeschichte und materialen Wissensstrukturen bewegt. Die Beschäftigung mit diesen Strukturen muss Architekten interes- der 1970er Jahre sieren, da die Raumkonstellationen, die beim Entwurf entstehen, ihr Ende. die Gesellschaft und die Akteure selbst beeinflussen. Denn es seien gerade nicht die Gefängnisse und Anstalten, die hauptsäch- 12Norbert Wiener: Cybernetics or Control and in the Animal and the Machine; lich disziplinierend wirken, sondern die »strengen Schulen und Communication MIT Press Paperback Edition, 1965 [1948] Hochschulen der Neuzeit, [...] Werkstätten der Handwerker, [...] 13Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses; Frankfurt/Main, Ateliers der Künstler [...].«14 1994 Das heute nicht mehr so klar definierte Berufsfeld von Archi- Suhrkamp, 14 Peter Sloterdijk: Du musst dein Leben tekten, Designern und Künstlern bedient sich zunehmend der ändern; Frankfurt/Main, Suhrkamp, 2009 Methoden kreativer Problemlösung. Einzelne Akteure erarbeiten vermehrt in Gruppen Strategien der Problemlösung unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte und unter Einsatz der Wissensproduktionen anderer Professionen mit dem Ziel der Optimierung. Ein prominentes Beispiel ist der Architekt, Designer und Künstler Thomas Heatherwick, der für den britischen Pavillon auf der Expo Shanghai 2010 die Goldmedaille gewann. Im Zusammendenken von Technik und Wirkung löste Heatherwick Elemente aus ihrem gewohnten Zusammenhang, um sie neu zusammen zu setzen. Er baute aus 60.000, je 7,50 Meter langen Stäben einen Pavillon, die er an einem Ende mit den Samen bedrohter Pflanzen bestückte und die tagsüber vom Sonnenlicht angestrahlt wurden und einerseits die Funktion eines Display erfüllten und von Energie aufgeladen nachts als Leuchtkörper nach außen strahlten. Ein anderes Beispiel stellen heute mit Solarzellen bedruckte Dächer für heimatlos gewordene Menschen in Krisengebieten dar, die die Aufbereitung Sandra Sc hram ke - Es s ay


46 von Trinkwasser garantieren sollen. Dabei wird die Virtuv’ sche Definition einfachster Behausung mit neuem Sinn aufgeladen. Problemlösungen stellen ein mathematisches Problem dar, das schon Charles und Ray Eames in ihren Ausstellungsarchitekturen in Bildern und in der Technik ihrer Projektionen thematisierten. Problemlösungen bilden auch einen Teil der Kognitionstheorie. Danach laufen Lösungsstrategien nach bestimmten Mustern ab. Verfolgt man dieses Verfahren für heutige Entwurfsprozesse weiter, dann stellt die notwendige Bestimmung der Elemente, die im System verhandelt und neu verknüpft werden sollen, selbst ein Problem dar, da die Herauslösung der Elemente aus ihren Kontexten das Ganze zerstören (kann). 15 Gerhard Vinnai: Die Austreibung der Vernunft aus der Wissenschaft; Frankfurt/M., Campus-Verlag, 1993 und Rudolf zur Lippe: Neue Betrachtung der Wirklichkeit. Wahnsystem Realität; Hamburg, Europäische Verlagsanstalt, 1997

Komplexität gegen Eindimensionalität

Die Verhinderung eindimensionaler Gestaltprozesse durch einen universalen Technikglauben ist nicht zu garantieren, sondern kann nur durch eine Annäherung mit einer größtmöglichen Berücksichtigung der an der Architekturproduktion beteiligten Prozesse gegen die Reduktion funktionalistischer Technikargumentation erreicht werden. Das jüngste Reaktorunglück in Japan führt uns erneut die Unmöglichkeit der Beherrschung von Technik vor Augen und spricht gegen die Durchsetzung von Optimierungsversuchen um jeden Preis. Zur Architekturproduktion gehören neben Größen wie der Funktionalität die Disfunktionalität sowie alle Bedingungen von Aneignungsprozessen vor dem Hintergrund individueller wie auch kultureller Erfahrungen und individuell eingeübter Praktiken des Einzelnen. Während Architekten der Nachkriegszeit Spezialwissen noch in einem überschaubaren Arbeitskreis vereinen konnten, so stellt sich heute die Frage nach der Wissensorganisation und ihrer Nutzbarmachung neu. Auch die Darstellbarkeit komplexer Sachverhalte zugunsten der Kommunikation stellt eine große Herausforderung dar und kommt ohne Interpretationen einzelner Protagonisten nicht aus. Weil wir seit dem Strukturalismus wissen, dass das Ganze mehr darstellt als die Summe seiner Teile und das makroästhetische Ganze und die mikroästhetische Betrachtung seiner Elemente einer Grammatik folgen und in der Anwendung in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen, die den Betrachter aktiv einbeziehen, spielt unter informatorischen Gesichtspunkten die sinnvolle Zusammensetzung der Elemente eine ebenso große Rolle wie von vornherein schon ihre virtuellen Bedeutungsebenen. Denn allein die Qualität der Information stellt nach der Informationstheorie ein so genanntes virtuelles Möglichkeitsdispositiv dar, das die materiale Umsetzung schon immer mitdenkt. Daran anknüpfend möchte ich mit einem philosophischen Streit schließen, der im Anschluss an die Frankfurter Schule die Kalkulierbarkeit und Quantifizierbarkeit von Automatisierungsprozessen mit der freiheitlichen Entscheidung des Einzelnen, unter die auch die Kreativität fällt, konterkariert, da sie weder die psychologischen und kulturellen Bedingungen des Menschen noch ethische Grundsatzdebatten berücksichtigt.15 Da jede Automation darauf angelegt ist, wertefrei zu operieren, ist der Verfälschung der Welt durch reduktionistische Methoden nur dadurch entgegen zu wirken, dass das Scheitern des Experiments nicht nur aufgrund funktionalistischer Argumentation, sondern vielmehr in der Tradition der europäischen Moralphilosophie zugelassen wird. Die Bewegungen des Strukturalismus wie auch des Poststrukturalismus bieten uns dabei Anhaltspunkte, die die Komplexität aktueller Entwurfsverfahren erahnen lassen.

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– Gottfried Semper –

Gottfried Sempers Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik erschien 1860 -1863 und besteht aus zwei Bänden. Die Grundaussage Sempers darin ist die Hervorhebung der textilen Kunst als Urform aller anderen Künste, da diese bei der Entwicklung der Formen und Symbolsprache der Kunst eine wegbereitende Rolle spiele. Dekoration ist für Semper Grundprinzip menschlicher Kunstäußerung. Sie ist notwendig, um „die Form als bedeutungsvolles Symbol“ und eigenständige Kreation des Menschen sichtbar zu machen. Semper nimmt an, dass nicht der Plan eines Gebäudes, sondern die Gestaltung seiner Fassade Bedeutung vermittelt. Der Wand als der Gebäudebestandteil, welcher seinen Urspung in der textilen Kunst hat, als Raumtrenner aus Stoff gefertigt wird und somit keinem anderen Zweck dient, außer dem, der Bedeutung eines Gebäudes Ausdruck zu verleihen, fällt somit eine primäre Stellung in der Architektur zu. Daher ist für Semper die Qualität einer Fassade von äußerster Wichtigkeit. Er stellt schon in seinem früher erschienen Werk Die vier Elemente der Baukunst dar, dass die Schönheit von Architektur ihre Grundlage in den Anfängen menschlichen Zusammenlebens hat und aufgrund dessen die vier Grundelemente der Architektur der Herd, das Dach, die Einfriedung und der Erdwall seien. JM

Gottfried Semper´s opus Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik, published in 1860 -1863, consists of two volumes. Its main statement is the emphasis on textile art as the archetype of all arts, since it played a major role in developing the formal and symbolic language of the arts. As Semper points out, decoration is the fundamental principle of human art-articulation. Decoration is needed to uncover that „the form as meaningful symbol“ is an autonomous human creation. Semper argues that not the plan of a building, but the design of its facade mediates the meaning. The wall, being the part of a building which has its origin in the textile art, as a textile spatial divider, and therefore has no other use than to give utterance to the meaning of the building, gains a primary status in architecture. As a result, the quality of a facade is highly important for Semper. In his previous book, Die vier Elemente der Baukunst, Semper argues that the beauty of architecture has its bases in the beginnings of human society. Hence, he identifies the primary elements in architecture: the hearth, the roof, the enclosure and the mound. JM

– Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik, 1860-1863 –


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jesko fezer Architektur hat viele Probleme. Ihr größtes ist die Unfähigkeit, sich auf die Wirklichkeit konkret zu beziehen und mit ihr umzugehen. Sag ich mal so. Wirklichkeit ist natürlich ein großes Wort und sie zu relativieren eine leichte Übung. Vielleicht wird der Begriff handhabbarer, wenn man ihn im Vergleich zur »Realität« beschreibt. Im Gegensatz zu dieser – eher an der Substanz der Dinge und damit an der Idealität orientiert – kommt »Wirklichkeit« von »wirken« und betont den Kausalcharakter und damit die Prozesshaftigkeit der Welt. Sie meint die Gesamtheit dessen, was Bedeutung und Auswirkungen hat und verweist damit auch auf Möglichkeiten, diese Gründe und Effekte zu verhandeln. Wenn man nun Architektur als ein Verfahren zur Problemlösung begreift – eine gewiss sehr problematische aber ich finde vielleicht für den Moment ganz liebenswerte modernistische Beschreibung – dann wäre die Wirklichkeit der Raum, der die Probleme aufstellt. Hier wirken sie, erlangen sie Bedeutung und werden sie auch verhandelt. Sie ist der maßgebliche Bezugspunkt des Entwerfens. Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit Architektur hat aber ist mit mindestens drei miteinander in Konflikt stehenden viele Probleme. Wirklichkeitsdimensionen konfrontiert. Zunächst umfasst Wirklichkeit alle faktischen Gegebenheiten. Sag ich mal so. Die Umstände und Bedingungen, die sogenannten Tatsachen. Leider sind diese Gegebenheiten trotz anhaltender Bemühungen sie zu beschreiben sehr unzugänglich, kaum erfassbar und sie bleiben vage. Sie sind nicht nur verwirrend komplex in ihren strukturellen Abhängigkeiten voneinander. Sie verändern sich überdies stetig und entwickeln sich aus widersprüchlichen Interpretationen. Weiterhin kann man den Bereich der Werte, Intentionen und Vorstellungen benennen – die Bedürfnisse und Wünsche. Sie sind auch Teil der Wirklichkeit und mindestens so geheimnisvoll. Wie die Umstände und Tatsachen sozial konstruiert, bewegen sich die Wünsche auf Fluchtlinien auseinander, werden verbogen und verschoben. Sie sind vergänglich und akkumulieren an unerwarteten Stellen zu kollektiven und individuellen Begehren. So wenig man über ihr Wesen und ihre Richtung sagen kann, so sicher kann man wohl sein, dass sie in einem komplizierten, wenn nicht höchst konfliktreichen Verhältnis zu den Gegebenheiten stehen. In Anlehnung an Henri Lefèbvres triadisches Modell des Raums, könnte eine dritte Dimension in den sozialen Praxen, die die Wirklichkeiten erschaffen, Jes ko Fezer - Es s ay


48 gesehen werden. Handlungen finden ständig überall statt – in unterschiedlichen Dimensionen, durch unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Ansprüchen. Sie sind Reaktionen auf oder Anpassungen an tatsächlich bestehende Situationen und gleichzeitig Annäherungen an und Verweigerungen von Begehren. Die verwirrende Vielfalt und Gleichzeitigkeit sozialer Handlungen in Form von Aneignungen, Veränderungen, Eingriffen, Projektionen oder Protesten finden genau innerhalb der konfliktträchtigen Beziehung der beiden anderen Wirklichkeitsdimensionen – der Umstände und Begehren – statt. Sie transformieren deren Stellungen und bringen ihre Verhältnisse in Bewegung ohne Entwurfspro- auch nur einen der Widersprüche dabei zu lösen. Die erste Dimension der Wirklichkeit bestimmt das Setting von bleme bilden dem aus Architektur handelt – die Welt, wie sie ist. Die zweite besich im Bezugs- gründet und befeuert unserer Eingriffe in diese wahrgenommenen Umstände – sie handelt von der Welt, wie sie sein könnte. Die system dreier dritte – die soziale Praxis – bezeichnet ein Feld des Handelns, als dessen integraler Bestandteil Architektur im besten Falle wirkt. sehr unzuver- Die Bedürfnisse und Handlungen sind strukturiert, geschaffen lässiger und aber auch begrenzt durch die Kräfte der gesellschaftlichen Tatsächlichkeiten, wie es auch unsere Entwurfsanliegen und archiunzugänglicher tektonischen Handlungsoptionen sind. Aber auch andersrum: Die Umstände erreichen uns über unser Handeln und Begehren GröSSen her- (das Entwerfen), sie werden genau in dem Moment wahrgeaus – zwischen nommen und damit wirkmächtig – also wirklich – da sie über Handlungen mit dem Alltag oder durch Begehren mit der Politik Umständen, verbunden oder davon abgetrennt werden. Die wechselseitige Beziehung, bzw. das Missverhältnis zwiBegehren und schen Zuständen und Wertvorstellungen – oder auch zwischen Handlungen. Umständen und Begehren – wurde in den frühen 1970er Jahren vom Mathematiker und Entwurfsmethodiker Horst Rittel sehr grundsätzlich als (Entwurfs-)Problem definiert. Entwurfsmethodisch betrachtet, seien solche Probleme »bösartig«, da wir sehr wenig über ihre Struktur wüssten und es prinzipiell sehr unwahrscheinlich sei, überhaupt brauchbare Lösungen für sie zu finden. Wenn wir aber die Dimension der Praxis, der sozialen Handlung zu diesem dialektischen Modell hinzufügen, wird die Sache noch viel schlimmer. Dann kann man es ja völlig vergessen, das Lösen. Was wäre die Steigerung von bösartig? Man könnte jetzt also zusammenfassen: Entwurfsprobleme bilden sich im Bezugssystem dreier sehr unzuverlässiger und unzugänglicher Größen heraus – zwischen Umständen, Begehren und Handlungen. Wir haben kein verlässliches Wissen über die vagen Umstände der Wirklichkeit, kaum eine Ahnung von den wirklichen Begehren und weniger als sehr begrenzten Einfluss auf die heterogenen Handlungen, die Tag für Tag stattfinden und den gesellschaftlichen Raum verändern. Insbesondere können wir uns auf Vermutungen über Tatsachen, Wünsche und Praktiken deshalb nicht verlassen, da sie keinen homogenen und stabilen Kontext ausbilden. Sie sind widersprüchlich in sich selbst und tendieren dazu, sich in Bezug aufeinander dauernd zu verändern. Für eine Architektur mit einer Problemlösenden Grundhaltung besteht daher im Problemlösen – wie es auch Lucius Burckhardt ausführte – die große Gefahr, die wirklichen Probleme schlichtweg zu übersehen, massenweise neue zu produzieren oder sie lediglich in ein andere Dimension der RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


49 Wirklichkeit zu verlagern. Und im Widerspruch zu meiner anfänglich noch geäußerten Sympathie, Architektur als Problem-orientierte Praxis zu definieren (da sie sich wenigstens dem Problem, ein Problem zu haben, stellt), macht es dieses Dilemma der Wirklichkeit relativ sinnlos, in Lösungen zu denken – was natürlich der modernistische Impetus in Bezug auf Wirklichkeit war. Und er scheiterte in mancher Hinsicht – vielleicht. Aber haben wir eine andere Wahl, als mit diesen drei Dimensionen der Wirklichkeit zu arbeiten, wenn wir ein Entwurfsproblem angehen wollen? Und dann: wie beziehen wir uns auf die gesellschaftlichen Umstände, das Alltagshandeln sowie die individuellen und kollektiven Bedürfnisse? Wirklichkeit ist auf jeden Fall konfliktbeladen. Wir müssen zunächst die grundlegende Dynamik und die unaufhebbaren Widersprüche zwischen Umständen, Begehren und Handlungen anerkennen. Wir müssen uns damit anfreunden, dass Architektur und Planung in einer solch unübersichtlichen Problemlage, wie sie unsere Gegenwart darstellt, ein homogenisieren- Entwerfen des, schlichtendes, dauerhaftes, optimales oder auch nur zufrieden stellendes Ergebnis nicht liefern können. Architektur ist nicht kann als ein in der Lage, Probleme zu lösen, die durch politische und soziale kulturelles Widersprüche in der Beziehung zwischen Umständen, Begehren und Handlungen immer wieder hergestellt werden. Verfahren verEntscheidend ist aber möglicherweise viel mehr ihr Potential, Konflikte zu bezeichnen, zu transformieren und so verhandelbar standen werden, zu machen. Entwerfen kann eine Möglichkeit zur räumlichen Ver- in dessen Praxis handlung der Diskurse über die Wirklichkeit eröffnen. Das betrifft das Politische ebenso wie das Alltägliche. Beide können als kompli- Machtstruktuzierte Übergänge zwischen Umständen und Begehren durch Handlungen beschrieben werden. Sie erschaffen und verhandeln indi- ren und soziale viduell oder kollektiv diese sich in Konflikt befindenden Ebenen. Beziehungen Architektur stellt eher Mittel zur Verhandlung bereit denn zur Lösungsfindung. Entwerfen kann als ein kulturelles Verfahren räumlich ververstanden werden, in dessen Praxis Machtstrukturen und soziale Beziehungen räumlich verhandelt werden. Dies kann jedoch handelt werden. nur dann ein produktiver Prozess werden, wenn Entwerfen lernt, Konflikte als Produktivkraft städtischen Raums anzuerkennen, und Gebäude als Kreuzungspunkte von widersprüchlichen Diskursen der Wirklichkeit zu schätzen. In diesem Sinne wäre Entwerfen weniger ein Werkzeug um eine abschließende Lösung zu erarbeiten, als eine detaillierte Artikulation eines Problems, das Raum für einen kollektiven Prozess der Verhandlung eröffnet.

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50 Von: horizonte A n : j e S ko B e t r e f f: e n t W u r f S Po r B L e M W i r k L i c h k e i t DAV i D : Noch eine Frage zur Maßstäblichkeit. Wenn du, wie hier zusammengefasst, den Entwurfsprozess nicht mehr als Lösungsfindung sehen willst, sondern als Artikulation von Problemen, dann stellt sich mir die Frage, in wie weit das z.B. für das Einfamilienhaus eines Nachbarn oder den neuen Busbahnhof in Jena Gültigkeit hat. Ich begreife das als Ansatz für Großprojekte (siehe Stuttgart 21), städtebauliche Masterpläne oder generell Projekte, die eine große und heterogene Gruppe von Menschen (als Stadtbewohner etc.) pauschalisieren. Aber ist dies in allen Maßstäben gleich? Können nicht kleinere Projekte mit einer komplexen aber überschaubaren Aufgabenstellung realisiert werden und am Ende »halblebenslange« Zufriedenheit hervorrufen? j e S ko : Zufriedenheit und dann auch noch halblebenslang, hmmm? Ich denke, das kann Architektur – auch von allem Gesagten abgesehen – sowieso nicht. Aber klar, es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass für bestimmte Problemstellungen wie ein Dach über dem Kopf, einen kleinen Busbahnhof oder eine Kaffeetasse einigermaßen brauchbare Lösungen zu finden sind, wenn man das denn will. Da gibt es ja genug Beispiele. Und richtig ist auch, dass der Maßstab eines Projektes und der Problemkonstellation auf die es bezogen ist, zumindest quantitativ von Bedeutung ist und das Problemlösen in größeren Maßstäben zu irreren Effekten führt. Dennoch möchte ich das Dilemma des lösungsorientierten Entwerfens mit Wirklichkeitsbezug als ein strukturell grundsätzliches verstehen. Ein Dach über dem Kopf, betrachtet in Bezug auf die politischen Rahmenbedingungen, die dies beispielsweise verunmöglichen oder auf die subjektiven Begehren, die diesem Dach soziale Bedeutungen zuweisen, sowie vielleicht auf die ökonomisch und handwerklich begrenzten Möglichkeiten, es herzustellen, ist nur unter Ausklammerung wesentlicher Wirklichkeitsdimensionen zu entwerfen. Ein Bahnhof, der beispielsweise die Frage des Fahrplans und der Ticketpreise sowie dessen Potentialität als überdachter informeller Schlafplatz oder das Begehren, ihn als Shoppingmall zu betreiben, übersieht, reduziert das Problem auf das entwerferisch Machbare. Die Produktionsbedingungen, die ökologischen Folgen von Materialwahl und Transportaufwand, ihr Preis, die platzsparende Lagermöglichkeit, die Spülmaschinenfestigkeit, der dekorative Effekt, schnell wandelnde Trends von Café au Lait, Latte Macchiato über Galão hin zu Slow Drip Coffee oder auch die gesundheitlichen Folgen übermäßigen Kaffekonsums sind unter Umständen Teil des entwerferischen Problems Kaffeetasse und doch recht widersprüchlich angelegt. Klar muss man es mit der Problematisierung nicht übertreiben und man kann mit vielem recht zufrieden leben, wenn das Einkommen stimmt, die Kinder gesund sind oder wenigstens die Sonne scheint. In dieser Hinsicht sollte man die Möglichkeiten (professionellen) Entwerfens eh nicht überschätzen. Auch kann die Eskalation einer Problembetrachtung (letztendlich problematisch ist natürlich der Kapitalismus!) oder ihre Implosion (zumindest die Türklinke ist jetzt mal unter Berücksichtigung aller Dimensionen ihrer Wirklichkeit echt korrekt gelöst) recht unproduktiv sein. Eine produktive Problemorientierung meint aber eben nicht das verzweifelte Lösen sondern das Arbeiten mit Widersprüchen und Konflikten auf unterschiedlichen Ebenen. Dies schließt ihr Benennen, sie zu übergehen, sie zuzuspitzen ebenso wie ihre (lösungsorientierte) Transformation mit ein. r e- D e f i n i t i on - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


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Architektur vor Ort

Nach drei Tagen ist alles anders!

»Wie unterscheidet man sich von den 500 anderen guten Architekturbüros in Österreich, damit man nicht immer als 392. oder 350. Platz aus den Wettbewerben rausgeht?«, ruft Roland Gruber in die Menge. Dienstag Abend – 19.00 Uhr - horizonte. »Man muss die Lücke finden.« Und wie stellt man das an? Gruber ist Mitbegründer und Partner des Wiener Architekturbüros nonconform – architektur vor ort, dass er 1999, kurz nach Studienabschluss, zusammen mit Peter Nageler eröffnete. 2003 wurde non:conform, damals noch mit Doppelpunkt, in seiner heutigen Konstellation mit Caren Ohrhallinger komplettiert. Nur kurz nach der Gründung stellte sich mit dem Gewinn eines nationalen Wettbewerbes auch umgehend der große Erfolg ein. In der kleinen Stadt Haag in Niederösterreich prämierte die Gemeinde den Entwurf einer Theaterbühne für den kürzlich ins Leben gerufenen Haager Theatersommer. »Als klar war, dass es diese Konstruktion wird, war auch klar, dass das die Einzigartigkeit des Sommertheaters wird. Dafür werden uns alle für verrückt erklären oder lieben«, erinnert sich Elke Hinterholzer, heute Managerin des mittlerweile gut etablierten Kulturevents. Die stechend rote Farbe und die extravagante Form des Holzkolosses sollten dem Spielort ein einmaliges und unverkennbares Profil verleihen. Der Entwurf trug letztlich nicht nur durch die Masse an überregionalen Auszeichnungen kräftig zur Reputation des strukturschwachen Städtchens bei. Die Tribüne verdoppelte durch ihre waghalsig auskragenden Ränge die Anzahl der möglichen Sitzplätze auf dem innerstädtischen Hauptplatz und förderte so auch die Wirtschaftlichkeit der Theaterveranstaltungen. Ortsansässige Betriebe wurden in die Ausführung und den zyklischen Aufbau der neuen Attraktion einbezogen. Jedes Jahr im Sommer inszeniert sich die Wiedererrichtung der Ränge selbst als Event, bei dem Jung und Alt mit anpacken. Die als Wettbewerb inszenierte Errichtung der beiden Stiegentürme, welche gleichsam mit dem Ende der Aufbauarbeiten gebührend gefeiert wird, versinnbildlicht das neu gewachsene Gemeinschaftsgefühl in Ort und Region. Wo vor zwölf Jahren Leerstand und Abwanderung die Stadt Haag an den Rand der Misswirtschaft brachte, floriert heute städtisches Leben und Geschäftigkeit. »In den letzten Jahren sind 300 Leute ins Innere der Stadt gezogen. Viele junge Leute sind angesichts der Entwicklung wieder aus den großen Städten zurückgekehrt«, erklärt Gruber.


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Stadt: Theater: Haag

vor ort Ideenwerkstatt

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Aufgrund des beachtlichen ersten Erfolges scheint es verwunderlich, dass nach der medialen Aufmerksamkeit für die Theaterbühne in Haag weitere große Aufträge für nonconform ausblieben. Während des »Hypes« habe sich keine nachhaltige Bürostruktur entwickelt, erzählt Gruber einsichtig. Für den ambitionierten Studenten spendet das wenig Trost, da scheinbar auch der lauteste Aufschlag mitsamt dem Echo verhallt. nonc onform - Projekt


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Hauptplatz Haag; Š Dietmar Tollerian

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»Wir haben uns nach neuen Anlaufversuchen irgendwann einen Wirtschaftsberater aus den Creative Industries genommen, der uns ein Jahr lang beobachtete und die Stärken, Schwächen und Interessen des Teams analysierte.« Konkret bedeutete das dann: Neue Arbeitsmethode, neues Auftragsfeld und neuer Name. Aus non:conform wurde nonconform – architektur vor ort, aus internationalen Wettbewerben die direkte Suche nach Aufträgen in den ländlich geprägten Gebieten Österreichs. Denn da gab es keine große Konkurrenz. »Wir sind Landeier. Wir kommen aus der Provinz, haben in der Stadt studiert und sind wieder in die Provinz zurückgekehrt!«, fügt Gruber lächelnd hinzu. Mit den Schlagworten entwickeln – bauen – veranstalten verbalisierten sich jene neuen Chancen, die das Büro durch den Abstand von internationalen Wettbewerben wieder auf Kurs bringen sollten. Es entstand das Prinzip vor ort Ideenwerkstatt – eine dreitägige Veranstaltung, in der durch gezielte Bürgerbeteiligung und Analyse die Grundlagen für verschiedene Entwurfskonzepte erarbeitet werden. Am Ende stimmt die Bevölkerung dann über ihren Favoriten ab. Für das Büro steht das neugewonnene Verständnis des Architekten als Mediator, Filter und Brücke im Vordergrund: »Wir graben nur aus, was ohnehin schon da ist«, verdeutlicht Gruber. Nach drei Tagen, einigen Mittagessen und jeder Menge Aufregung werde dann »auch die letzte Leiche aus den Kellern und auf den Beamer geholt!« Dabei sollen nicht nur Analysen, Befragungen und offene Stammtische sondern auch Bebauungsstudien und Beratungen für die Projektpartnersuche am Ende als Resultate vorzeigbar aufgearbeitet sein. Durch die Aktivierung sowohl der interessierten Bewohner wie auch der medialen Öffentlichkeit, trägt das Büro zur Konzeption und Organisation sowie der zweckdienlichen PR bestehender Projekte bei. Das wiederum ist Grundlage für eine breit angelegte »Allround-Betreuung« nonconforms, die auch einige Jahre danach noch fruchtbare Resultate produzieren soll. 2007 begann man so mit der Umgestaltung des Hauptplatzes in Haag. Während der Festspiele als Aufführungsort genutzt, sollte er zugleich das Parkproblem innerhalb der Stadt lösen und ihr ein neues Gesicht verleihen. Das Büro erarbeitete auf Wunsch der Bürger ein Bodenmuster, das in einem Perspektivspiel von bestimmten Punkten des Platzes aus Parkmarkierungen erkennen lässt, die sich aber aus der Vogelperspektive als wildes Durcheinander erweisen. Die indirekte Beleuchtung der umliegenden Gebäude am Abend verstärkt diese Tiefenwirkung zusätzlich. Mit der Neuausrichtung kam auch der mediale Erfolg zurück. Und die Preise. Für die Neugestaltung des Haager Hauptplatzes erhielt man den Otto Wagner Städtebaupreis. »Im Haager Stadtzentrum gibt es nur noch eine Immobilienleiche!«, betont Roland Gruber zum Abschluss. Und die habe man bereits fixiert. Denn darin liege letztendlich auch die Aufgabe der Architekten. Durch ihre Analyse werden die Probleme sichtbar – öffentlich benannt – und damit die Möglichkeit geschaffen, gemeinsam über den zukünftigen Weg zu entscheiden. Im Falle Haags hat man sich für ein Hotel im Ortskern entschieden. Das baut aber nicht nonconform. Aber da lag auch nicht ihre Aufgabe. von David Bauer und Martin Pohl nonc onform - Projekt


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Luxury Low-Cost: Santa Vitória The 2001 project – located in Santa Vitória/Beja and designed by the Portuguese architect Rui Mendes – is situated in a countryside context whose back and front street hierarchy composes an urban fabric with narrow and long constructed plots. At the front boundary of the client’s plot, there was a small house; the rest was just a long backyard where farming devices were stored. The client’s requirements focused on his limited funds, the desire for keeping the original house, increasing the roof-covered area of the plot and, finally, the wish to use the house on a permanent and/or on a weekend basis. There was a high cultural capital aim but the economic capital available for a great investment was scarce. The project permits to critically focus on value changes, technological advances and information access as well as on political and economical affirmation. Moreover, it allows perceiving the real conditions of a time after the credit boom and the constant search for acquisition. Post-Modernism has come to an end and the desire of newness, popularity and massive recognition is replaced by the possibility of a new path – a personal, flexible and moderate recognition. The reality is the base of a hyperreality1, focusing on its limitations, desires, needs and weaknesses. The project’s invisible structure is based on three equal elements that reciprocally influence each other: localisation, budget and programme. The articulation of these three elements reveals what Anne Lacaton calls »opportunity«.2 The architect keeps and refurbishes the existing house and proposes two more volumes for extension. Synthetically, the project is developed in 6 volumes, 3 built ones and three voids, defining a spatial continuity alternating between covered and uncovered spaces. The architect saw the opportunity to construct a new spatiality while studying the existing apartment. Mendes used only a few and common rude materials like concrete and cinder blocks. Nevertheless, the plasticity coined in all details – as in the sequence of the joints or in the chromatic adjustment between screeds and the non covered concrete blocks – lets cheap, simple and common materials acquire an important role in the configuration of ambience according to Lipovetsky: 1

»The tie that linked luxury to the vigour and excess was not broken; the difference is that now it is replaced by more hyper-realistic and emotional actions rather than symbolic.« (Freely translated) in Gilles Lipovetsky; Elyette Roux: El Lujo Eterno – De la era de lo sagrado al tiempo de las marcas; Coleccion Argumentos, Barcelona, Editorial Anagrama, 1st edition, 2004, pp. 70 2 »There is, in each situation, an opportunity to make luxury which is not directly linked to the price« (Freely translated) in Frederic Druot; Anne Lacaton; Jean-Philippe Vassal: Plus – La Vivienda Colectiva, Territorio de Excepcion; Barcelona, GG, 2007, pp. 42


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»the development of equality eliminated the ostentatious signs of dissimilarity, legitimised the new non- noble materials«.3 The material choice had a budgetary purpose, but also an adequacy sense, ensuring that it would contribute to the desired ambience, that it would fit the local context and that the builders would know how to apply them. Materials are a very important component in the concept of luxury and, consequently, the development of a concept of low-cost. Luxury emerges from the concept of quality 4. For Mendes, this means to consider that »the material is neither noble nor poor«.5 »Luxury should not be a question of language« 6, it exceeds this spectrum. Mendes, when talking about luxury, refers to the concept of perception7. He stresses the impact of small interventions, the little details that do not draw attention upon them, but are essential to the production of a particular spatial feeling. The details conform to the differentiation of the used materials. Concrete derivates are exclusively used because of their specific conceptual and physical attributes, interpreting the potentialities of the material. Referring to perception, Mendes clearly points out that the details, like the concrete derivations, which do not explain themselves at first sight, contribute to the unity of the space. As the project appears effortless, it is strangely natural and integrated.8 The project assumes an anonymous character. By exploring the interior volume and surface, the visual relations of the interior, the paths and the visibility/ invisibility of the projected programmatic valences, become stronger. Bourdieu’s understanding of capital is the basis of the luxury and low-cost consumption logics. Domestic architecture assumes an extreme relevance, once the house reveals the interests, the wishes and the private needs of an agent or a group. It takes on the signifying role within their own identity. The question of quality and price is understood not just in association with the practical value, but also with the recognition of a life style.

3

(Freely translated) in Gilles Lipovetsky: O Império do Efémero – A moda e o seu destino nas sociedades modernas; Lisbon, Publicações Dom Quixote, 1st edition, Fevereiro 1989, pp. 229 4

»The perpetually normalised and parameterised ›quality‹ in the end is an economic and administrative logic tool used in every case. It is a word that is leading the dangers of the building, always deviates the architecture debate and the service application focus according to the momentary wish.« (Freely translated) Frederic Druot, Anne Lacaton, Jean-Philippe Vassal: Plus – La Vivienda Colectiva, Territorio de Excepcion; Barcelona, GG, 2007, pp. 40 5

Excerpts from an interview with the architect Mendes conducted by the author in 2009

6

ibid.

7

ibid.

8

»We draw, but what we do not want is the drawing to appear. To us it is not the main question in spite of knowing that the architect’s job means drawing – but we do not want to show it. (…) The real bricks are the situations. We can make different things, combine, change, transform. This is the materiality that we want to work with« (Freely translated) in José Adrião, Ricardo Carvalho: Persona – Lacaton & Vassal; in: AAVV, Jornal dos Arquitectos – Escassez, n.º 223, April-June 2006, pp. 53

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The project can be understood as a current adequate intervention, inquiring functional and spatial needs as well as techniques and materials restricted to the reduced budget and the demand for a high coherence level. The misleading interpretation of luxury as an extension of baroque leads the way to interpretations centred on ostentation, wealth and show-off. Here instead, the design decisions are no longer symbolic, promoting an instantaneous status in a class hierarchy, but contrarily follow a path of attention concerning the reality where they are located in an individual dynamic.9 The excess and the fake do not deny their role in the luxury definition but they are rationalised, used as a strategy whose basis are no longer the same as two centuries ago. Concrete derivates are used and what at first may seem like a vapid material application, gains its interest by the distinctive details. There is to be found: concrete covered with a fine whitewash (frequently used to protect the exterior walls in the traditional houses in Alentejo), exposed concrete as well as prefabricated bricks that all give the opportunity to feel different textures and relations to the light. The job is subtle and its goal is to be noticed as little as possible, integrated in the building´s context, without highlighting its position or profuseness. The sensibility is presented by the intelligent choice of material that emerges naturally without being obvious. This project clearly expresses what Lacaton & Vassal stated in 2006: »There is neither space nor white canvas anymore. When we arrive there is always something already built and that is why our role is always to transform, mix and add.«10 It is the capacity to know what was already imprinted in the territory that can be recognised in Mendes’ project. Volumes are added and references are mixed conferring a new quality without rejecting the project’s surroundings. The project is conceived with an apparent pragmatism, but the smallest decisions influence the overall project. It is pertinent to note that it allows for plural interpretations, fitting in specific capital combinations; moreover, it reflects a democratic maturity as opposed to the traditional principles of architecture – being stuck to the power and its representation interests.11

»Individualisation, emotionalisation, democratisation, these are the processes that reorganise the contemporary luxury culture.«12

9 »The luxury universe does not work exclusively according to the classic opposition between the richer and the less rich, the dominant and the dominated (…)«, ibid.: pp. 61 10

(Freely translated) in José Adrião, Ricardo Carvalho: Persona – Lacaton & Vassal; in: AAVV, Jornal dos Arquitectos – Escassez, n.º 223, April-June 2006, pp. 53

11

»It is recently the question of what can be the attitude of an architect that works in democracy. We have all the history where the architect worked with different political systems. (…) In fact, the client paradigm has changed: it is not the prince nor the cardinal.« (Freely translated) in José Adrião, Ricardo Carvalho: Persona – Lacaton & Vassal; in: AAVV, Jornal dos Arquitectos – Escassez, n.º 223, April-June 2006, pp. 53

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ŠRiu Mendes arquitecto

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Besides being located in a rural setting, the building proposes an intervention that reveals »a kind of specific relocation in the city-countryside sense, notorious cultural contamination«13, expressing its contemporaneousness. When the functions are separated into different volumes, covering the private areas with nothing more than diaphanous light curtains, the presence of contrasts is presumed: lightness/heaviness, opacity/transparency, covered/uncovered, interior/exterior. The poetry is not segregated by the function, but it appears as a way of stressing intentions and habits of living. One could think that the concrete staples confining the lot limits would be freely penetrated by light coming from the patios. Instead, the opaque or semitransparent succession of window planes filters the light. Moreover, the gravel covered patios help to light up a space that was thought to keep its outside ambience. This intention could easily be forgotten because of the visual relations between the 3 covered volumes, but is immediately brought back to memory by the sound of each step on the loose gravel whose characteristics contrast with the plain texture of the interior screeds. Mendes decided to design a marble kitchen module where all the machinery would be set in addition to all necessary household items. The marble choice is contextualised by geographical reasons and it is completely in line with the thought about the stone in its different facets. The recognition of a language and a traditional southern way of living, with the kitchen furniture covered by light fabrics, transformed here by the use of plastic stripes, as well as the detection of a cultural and geographical context that is adding both cultural and conceptual value on the subtle evocation, turns this project into a simultaneously erudite and easily contextualised piece. It is the project’s clearly recognised dynamic that can be called luxury low-cost. In this case, ›poverty‹ is apparently praised because of the urban context. The rawness of the material and the spatial constellation are intellectualised. What in the common denotation of luxury would be restricted to the acquisitive value, in Beja assumes selectiveness by comprehension. Here, an image of poverty was desired that is slick and depurated in order to be extreme and address the notion of luxury in other terms. If the luxury comprehension leads to individualisation, to rarity, to opulence, where do we fit this project? Is it just an inconsistent luxury stereotype? The project assumes a pretended refuse of accepting something.14 When the opulence is denied by the materials, the project becomes exclusive from an intellectual perspective. The recognition takes place in the concept of 12

Gilles Lipovetsky, Elyette Roux: El Lujo Eterno – De la era de lo sagrado al tiempo de las marcas; Coleccion Argumentos, Barcelona, Editorial Anagrama, 1st edition, 2004, pp. 56

13

Ricardo Bak Gordon: Casa em Santa Vitória, Beja; in: AAVV, Jornal dos Arquitectos – Escassez, n.º223, AprilJune 2006, pp. 94

14

LUXURY (from the latin Luxu), s. m. ostentation or magnificence; ornament; pompous decoration; luxuriance; vigor; splendor; whimsically; extravagance; (fig.) (Brazil) dengue; umbrage; pretended refuse of someone to accept or do something; affectation; (Freely translated) in: Dicionário Universal de Lingua Portuguesa; Lisbon, Texto Editora; 7th edition, February 2001, pp. 949

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capitalisation and in the project´s materialisation. That means that a certain subject frames its aware decisions in its own capital spectrum. However, every concept oscillates between boundaries and the luxury one is not an exception. Nevertheless, luxury tends to be exceptional in a constant reality. What is provided by the low-cost dynamics is an assumed access to an image that originally cannot be used or acquired. Even though the luxury concept has an inherent natural range, the low-cost dynamics fit in a competition for the maximum quality reflecting the minimum cost without losing the image value. The way these differences are articulated, however, make them closer than further. In the concept of luxury, hierarchy is related first to economic value and to social and cultural values second. When the luxury low-cost concept is proposed, a new dynamic is found. In Low-cost dynamics, the notion of hierarchy is annulled based on a generalised access to things and products. In extremis, this concept provides the access of every agent to every service or product, in contrast with the luxury ideology where one agent only accedes exclusively to the same product or service. If in luxury per se the distinction is influenced by a pyramid – with the economic value on top and supported by the social and cultural values – in luxury low-cost the distinction stands first to social and cultural values supported by economical values. The inversion of the way the recognition is made and developed after the use or possession of a certain good or service is the major cut between luxury and luxury low-cost. If the inversion were not made, luxury low-cost would not be possible as the economical and financial values are crucial to recognise luxury in its opulent, magnificent and ostentatious role. The project represents a new dynamic where the client, aware of his limits, desires the best and nothing less than that and demands from the designers a knowledge and recognition of contemporary times. More than a sign or bourgeois socio-economic reference, directed to extravagance and kitsch humour, the project confronts contemporary needs, creating an original language which marks the link between the now and the pre-existing. Nevertheless, humour reminiscences are noted. It’s the interpretation of scarcity in a materialised solution that paradoxically reveals a too radical anti-traditional feeling for example. The project’s singularity frames itself in an eccentric perspective. It may be said that, without the radicalisation, this language would lose strength and syntactic coherence. If Mies van der Rohe, in his own architecture interpretation, immortalised the well-known Less is more, the 21st century’s beginning could be clearly marked by a variant, With less do more, highlighting the opportunity for a cultural valorisation and diminishing the preponderance of economical power. The understanding of luxury as a cultural process is the advantage of Mendes’ project, as it proposes the perception of a reality where scarcity takes an important role in contrast to excess.

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A

ER

der mensch unserer zeit, der aus innerem drange die w채nde mit erot (i) schen symbolen beschmiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter.


– Adolf Loos –

Adolf Loos‘ Streitschrift Ornament und Verbrechen (1908; erschienen 1930 in trotzdem. 19001930) wendet sich gegen historistisch-eklektizistische Neo-Architekturströmungen des frühen 20. Jahrhunderts. Ornamentales Dekor entlarvt Loos als unmoralisch und nicht zeitgemäß, da es nicht Ausdruck der „modernen“ Zeit sei. Das Ornament könne nicht mehr Ausdruck der Kultur sein; sei vergeudete Arbeitskraft und Material und sei demzufolge unnütz und im volkswirtschaftlichen Sinne sogar hochgradig verschwenderisch. Folglich sieht Loos in bloßen Verzierungen sogar ein verbrecherisches, kriminelles Potential und fordert daher die Überwindung des Ornamentes, worauf eine bessere Zeit folgen soll. Die geforderte Ornamentlo(o)sigkeit soll die Architektur wieder auf ihre zweckdienliche Rolle zurückführen. Die Architektur gehört nicht in den Bereich der Kunst, diese findet sich allein in den bildenden Künsten. MR

In his polemic pamphlet Ornament und Verbrechen (1908; published 1930 in trotzdem. 19001930), Loos argues that “the evolution of culture is synonymous with the removal of ornament from objects of daily use”. Loos links his observations to economic arguments on the one side, claiming that ornamentation would be a waste of craft and time and therefore money, and to the example of the Papuan on the other, who tattoos his body and almost all of his possessions, like boats and spears, in an innocent and naïve act of ornamentation – “He is no criminal”. According to Loos, the Papuan had not evolved into a civilized state of society; he was still dependent on ornamentation as a means of symbolism. So in return, for Loos, “the modern man who tattoos himself is a criminal or a degenerate”. For in a civilized society there is no need for decoration and the abstinence from ornamentation would be a sign of intellectual strength. MK

– Ornament und Verbrechen, 1908 –


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mirko krause Quer durch disparate Positionen und konträre Lager – Eisenman bis Eberle, Lootsma bis Lampugnani – innerhalb wie außerhalb der Disziplin erscheint, bei aller Vielfalt, zumindest der große epistemologische Erkenntnisstand auf Konsenskurs: das reich zitierte, oft angefragte und noch mehr 1 vgl. auch ähnliche, in der Historie immer gesuchte ›Neue‹ in der Architektur kann es zurzeit nicht geben.1 wieder eine Rolle spielende Überlegungen bei Folgt man hierzu einem bald 10 Jahre alten, aber bis heute aus- Arthur Schopenhauer, Theodor W. Adorno, Edward Said bis Oswald Spengler gesprochen dichten und aufschlussreichen, zum Ende eines 2 Günter Bock: Architekturtheoretische Vermubewegten Lebens aufgesetzten Grundsatztext des deutschen tungen eines alten Praktikers; Frankfurt/M., Architekturtheoretikers Günter Bock,2 dem ehemaligen Leiter Stiftung Städelschule für Baukunst, 2003 3 der Architekturklasse der Städelschule in Frankfurt/Main, durch- in der Genese im Barock beispielsweise augenfällig gegeben durch das Bewegungsrilaufen wir in einiger Regelmäßigkeit bestimmte Phasen der Kon- tual – das Hofzeremoniell sensfindung, also des kulturell wie gesellschaftlich Etablierten, als 4Elia Zenghelis benennt Architektur ähnlich, da wären: Aufstieg, Entfaltung und die abschließende Apotheose als »die an die Ideale ihrer Zeit gebundene Technologie«. vgl.: ›Die Ästhetik der Gegen(Verherrlichung) des jeweils gegenwärtigen, gesellschaftlichen wart‹; in Thomas Kesseler (Hrsg.): Architektur, Wertesystems. Der Rahmen erlaubt nicht, in gebührender Tiefe Kunstakademie Düsseldorf 1977-1992; Düsseldorf, Kunstakademie Düsseldorf, 1993 darauf einzugehen, doch soviel: nach Bock reagiert Architektur, in 5 Fritz Neumeyer: Mies van der Rohe. Das kunder Art eines Seismographen, über alle Maßen sensibel auf gesell- stlose Wort – Gedanken zur Baukunst; Berlin, Siedler Vlg., 1986, S. 398 schaftliche Befindlichkeiten. Sie verkörpert demnach geradezu 6 3 Werner Blaser: Mies van der Rohe. Die Kunst eine gewisse »Zeitwahrheit«. Es mag auf den ersten Blick kulturder Struktur. (The Art of Structure); Stuttgart, pessimistisch klingen, aber für Bock beginnt erst in dieser späten DVA, 1981, S. 5 Phase die gesellschaftlich relevante Funktion von Architektur, indem sie das allgemein Akzeptierte – physisch konkretisierend – »verewigt und verherrlicht«.4 Diese Ansicht findet sich im Übrigen quer durch die Historie an etlichen Stellen. Im Wortlaut von Mies van der Rohe klingt das etwa so: »Das Sichtbare ist nur die letzte Stufe einer geschichtlichen Form. Ihre Enthüllung. Ihre wirkliche Erfüllung. Dann bricht sie ab. Und eine neue Welt steigt herauf.«5 An anderer Stelle hat er Baukunst auch als den »Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst«,6 bezeichnet. Die konkrete Manifestation des gesellschaftlichen Wertesystems oder gar der Staatsidee, in der jeweiligen Spätphase, setzt also deren abgeschlossene Etablierung voraus. Architektur, die eine dauerhafte Relevanz, bei Bock gar »Verherrlichung«, erfährt, erscheint demnach hier wie da – und das ist elementar – lediglich als der abschließende Teil längerer kulturell-gesellschaftlicher Vorgänge. Mirko Krau s e - Es s ay


68 Der jeweilige Phasenbeginn, also die Zeit bis zum Einsetzen eines Paradigmas,7 ist durch Beobachtung, Analyse, Relevanzentstehung, Fraktionsbildung, Debatte und Dialog gekennzeichnet. Wie für Adorno feststand, dass Beethovens ›Spätstil‹ aufgrund äußerer Rahmenbedingungen schlichtweg mit der Unmöglichkeit des Neuartigen hantierte, so sehen uns die oben genannten Protagonisten heute in ähnlichen Verlegenheiten. Nach Bock oder auch Eisenman ist der Dekonstruktivismus die besagte Spätphase oder der »late style of capital«. Bock erläutert – auch anhand der Metapher der Welle – dass die „Man kann nicht Apotheose eines gesellschaftlichen Wertesystems sich architektonisch in einer »Oberflächen-Vergrößerung manifestiert, die jeden Montag- so wenig zu unterdrücken ist, wie die Schaumkrone auf einer morgen eine Brandungswelle. Dass die ›Schaumgekrönte‹ alsbald bricht, lässt sich nicht nur am Meeresstrand beobachten, sondern auch in neue Baukunst der Geschichte: auf die Hochgotik folgt die Reformation, auf das Barock die Französische Revolution [... ].« erfinden.“ Hier wird der Dekonstruktivismus mit der ihm eigenen, ausLudwig Mies van der Rohe schweifenden Gestik als die Apotheose von Industriegesellschaft und Moderne verstanden. Schaumkrone und Theorie-Abstinenz gelten Bock zusätzlich als Indiz dafür, dass die Dekonstruktion die Auseinandersetzung mit dem Neuen erst gar nicht sucht, geschweige denn darstellt. Ob es nun der Dekonstruktivismus oder etwas Anderes ist,8 was die Moderne abschließt, fest steht, dass wir in einer Zeit großer Umbrüche leben und alle erdenklichen Ausblicke auf Zukünftiges wohl einzig dem Reich der puren Spekulation zuzuschreiben sind. 7 Wenn es jedoch stimmt, dass es Zeiten gibt, in denen die ArchiKuhn spricht im Zusammenhang von einsetzenden (wiss.) Erkenntnissen, die in der Folge tektur schlichtweg nicht in der Lage ist, aus gegebenen VerhältAllgemeingültigkeit erlangen und fortan ohne nissen auszubrechen, um an einer eigenen Grundsatztheorie zu weitere Erläuterung im jeweiligen Kontext als gegeben vorausgesetzt werden können, von arbeiten,9 eröffnet dies vielleicht Möglichkeiten der Erforschung Paradigmen (wechseln). Bei Foucault hingebenachbarter, ebenso faszinierender Gebiete. gen heißen ähnliche Phänomene Episteme. 8

Nach Peter Eisenman ist selbst die gesamte Sustainability-Bewegung nur ein letzter Todeshauch des Kapitalismus. Die Aussage, so polemisch sie klingen mag, lässt sich im Übrigen durch die Schriften Kuhns stützen. vgl. Thomas S. Kuhn: Die Entstehung des Neuen: Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte; Frankfurt/M., Suhrkamp, 1978

Einsteins Relativitätstheorie vs. Continuous Space

Theo van Doesburg, Gründungsmitglied der Künstlerbewegung De Stijl, veröffentlichte in der gleichnamigen Zeitschrift, im März 1922, als Dozent in Privatkursen über architektonische Gestaltung am Weimarer Bauhaus lehrend, einen zuvor in Berlin 9 Nach Eisenman besteht die Möglichkeit des gehaltenen Vortrag mit dem Titel »Der Wille zum Stil« (NeugestalNeuen zyklisch, nur etwa alle 30 Jahre, zuletzt tung von Leben, Kunst und Technik)10. Eine der ersten, aufgrund des im New York der 1970er Jahre. 10 zu erwartenden allgemeinen Paradigmenwechsels durch das AufTheo van Doesburg: »Der Wille zum Stil« (Neugestaltung von Leben, Kunst und stellen von Einsteins Relativitätstheorie im Jahr 1916 versuchten Technik), De Stijl, 5. Jahrgang, Nr. 3 (März Übertragungen in einen fremden Kontext. Das umgehend ange1922): S. 33-41 11 regte Echo in der Kunst war groß. Van Doesburgs Interesse galt Sigfried Giedion: Space, Time & Architecture: the growth of a new tradition, 1941 (dt. allerdings weniger Einsteins komplexer Theorie, als vielmehr Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung ihren Ergebnissen; zentral etwa der proklamierten Einheit von einer neuen Tradition); Harvard University Press, 5th edition, 2003 Raum und Zeit. Als knapp 20 Jahre später, nicht minder beein12 Joachim Krausse: Vom Einsteinturm flusst von Einsteins Überlegungen, der Architekturhistoriker zum Zeiss-Planetarium. Wissenschaftliches und Wölfflin-Schüler, Sigfried Giedion, sein Opus Magnum11 verWeltbild und Architektur; in: Der Einsteinturm in Potsdam: Architektur und Astrophysik; ARS öffentlicht und die Schrift zum viel gelesenen wie reich zitierten Berlin, Nicolai, 1995, S.106 Werk avanciert, platzt Albert Einstein der Kragen: »Klugscheißerei ohne jede vernünftige Basis.«12 Einsteins verstimmte Aussage hat Giedions Abhandlung jedoch wenig geschadet, denn die Publikation wird bis heute erfolgreich über die Harvard University Press verlegt. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


69 Die Vermutung, dass Einsteins Naturwissenschaft in eine dichte Beziehung zur modernen Kunst gesetzt werden könne, verschaffte der Avantgarde nach 1945 wichtige Akzeptanz. Seit 1983 jedoch gilt Einsteins Absage an die den Vergleich zur Physik suchende Avantgarde, durch die mehrfach preisgekrönte Publikation13 der US-amerikanischen Kunsthistorikerin Linda D. Henderson, auch wissenschaftlich als bewiesen. Auch wenn weitere 20 Jahre später die Untersuchungen14 des Jenaer Kunsthistorikers Ulrich Müller die Erkenntnis zu Tage förderten, dass sowohl van Doesburg als auch Walter Gropius und Mies, in bewusstem Bezug auf Einsteins Relativitätstheorie, die zeitliche Dimension in die “Eisenman Architektur zu integrieren versuchten und so in der Folge eine neue Bautheorie entstand, wird niemand ernsthaft annehmen, die doesn’t undrei hätten die komplexe Physik Einsteins durchdrungen.15 derstand most Jede Analogie zwischen Relativitätstheorie und künstlerischer Avantgarde hat Einstein zeitlebens vehement zurückgewiesen. of the stuff Nichtsdestotrotz haben die fragmentarischen und völlig unzulänglichen Verständnisversuche ausgesprochen inspirativ auf he spouts. He das künstlerische Schaffen der Architektur gewirkt und den topos really is the einer dynamischen, fließenden Architektur zu einer der folgenreichsten Errungenschaften der Architekturgeschichte des 20. most tremenJahrhunderts gemacht. In diesem Zusammenhang und angesichts der Hochkomplexität der Primärtheorie, derer sich die Architek- dous bullshittur hier in einverleibender Weise bedient hat, gewinnt Mies’ Aus- ter.” Philipp Johnson sage, »man kann nicht jeden Montagmorgen eine neue Baukunst erfinden«,16 gleich einen völlig anderen Denkhorizont. 13 Linda D. Henderson: The Fourth Dimension Eisenman – extra muros

and Non-Euclidean Geometry in Modern Art; Princeton University Press, 1983; new ed., MIT Press, 2011

Anfang der 1960er Jahre kommt der Amerikaner Peter Eisenman 14Ulrich Müller: Raum, Bewegung und Zeit im ins englische Cambridge, um bei Colin Rowe seine Doktorarbeit Werk von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe; Berlin, 2004 zu verfassen. 15 hier zusammengefassten AusführunEisenmans Formal Basis of Modern Architecture (1963) war das genDie stammen von Horst Bredekamp: Wie erklärte Ziel, aus der Geschichte der modernen Architektur Einsteins Relativitätstheorie die Kunst der inspirierte; in: Die Zeit, Nr.9, auf dem Wege der Dissertation eine zeitgenössische Theorie zu Avantgarde Feb. 2005 gewinnen. Colin Rowe und dessen Lehrer Rudolf Wittkower 16Jean-Louis Cohen: Ludwig Mies van der sind die Bezugspunkte seiner programmatischen Denkrichtung Rohe; Basel, Birkhäuser, 2007, S.166 und Orientierung. Eisenman bezeichnet sie als 2 seiner 3 Lehrer: 17Rowe bezeichnete sich selbst gern als »armanqué« (»verfehlter Architekt«) Rudolf Wittkower, Kunsthistoriker und ebenso Wölfflin-Schüler, chitect vgl. Colin Rowe: As I Was Saying: Recollections dank der Bestimmung architektonischer ›principles‹, sowie der and Miscellaneous Essays; The MIT Press, Herausarbeitung von ›Palladio’s geometry‹, und Rowe, als Archi- 1995 tekt,17 wegen seiner radikalen Anwendung dieser Prinzipien auf Le Corbusiers Villen. Darüber hinaus vermutete Eisenman bereits hier die Möglichkeit, Architektur beim Erforschen der ihr ontologisch zu Grunde liegenden ›formal basics‹ – verstanden als absolut essentielle Anlagen – als ›Sprache‹ begreifen und beschreiben zu können, also noch lange bevor ihm, in seinen späteren Projekten, Chomsky oder Derrida manche Analogie dazu lieferten. Bei der Benennung der Unterscheidung seines individuellen Zugangs zu dem seiner Lehrer und Mentoren, spielt das Wort ›kritisch‹ eine entscheidende Rolle. Insbesondere bei seiner konzeptionell und inhaltlich stark an seine Dissertation erinnernden Terragni-Analyse, dem Vergleich der Casa del Fascio mit der Casa Giuliani-Frigerio von 2003, wird dies deutlich. Eisenman bezieht sich hier auf niemand Geringeren als Immanuel Kant und dessen ›kritische Philosophie‹. Mirko Krau s e - Es s ay


70 »Wieweit Eisenman Kant begriffen und vertieft hat, kann man offenlassen«, so der Architekturtheoretiker und Eisenman Freund, Werner Oechslin, immerhin in seinem Vorwort zur deutschsprachigen Übersetzung Eisenmans Dissertationsschrift.18 Kaum ein zweiter Architekt oder Theoretiker hat in den vergangenen Jahrzehnten die Auseinandersetzung einer ganzen Disziplin mit Philosophie, Literatur, Sprach- oder Naturwissenschaft so vorangetrieben wie Peter Wissen ist in den Eisenman. Sein Wissenshintergrund ist der über alles entscheidende Fakt – vollends ungeachtet der Tatsache ob Eisenman nun allerwenigsten ein Philosophie und Intellekt vorschützender Scharlatan ist, wie Formen materi- viele ihn sehen wollen, oder ob er doch aufgrund seiner Erfahrung in Umgang, Anwendung und Verpflanzung etlicher disparater alisierbar. Es Theorien und Erkenntnismodelle ins architektonische Milieu, wichtige Beiträge für das progressive Fortbestehen einer ganzen ist vielmehr das Disziplin geleistet hat. Wesen des Wis- Ungeachtet der häufigen Paradigmenwechsel gibt es einen klar erkennbaren roten Faden, der sich durch Eisenmans gesamtes sens, flüchtig Werk zieht. Das bestimmende Phänomen ist seit jeher das Verhältnis von Theorie zu Form, seine durch Arbeitsmethodik inspirierte zu sein, sich an Forschung. Schon im Zusammenhang mit den frühen Cardboard Kontexte oder Houses wird klar, dass eine spätere Umsetzung seiner Projekte, entgegen dem eigentlichen Selbstverständnis der Profession, keiFelder anzudo- nen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bedeutet. Eigentlich ist Peter Eisenman der klassische ›academic intellectual‹, der zufällig in cken und enorm einem Metier zu Hause ist, in dem er am Ende auch noch bauen anpassungsfä- muss. Nach eigener Aussage ist Eisenmans dritter Lehrer Jacques Derrida. hig zu agieren. Den, um seine post-strukturalistischen Theorien beliehenen, französischen Philosophen und theoretischen Ideengeber der Dekon18 vgl. Werner Oechslin (Hrsg.): Peter Eisenstruktion, verband eine Freundschaft zu Eisenman, die 1988 in man: Die formale Grundlegung der modernen der gemeinsamen Teilnahme am Wettbewerb für den Parc de La Architektur; Vorwort, Zürich, gta Verlag, 2005 19 Villette in Paris mündete. Um den kulturellen Status der Architekhier rezitiert nach: Andri Gerberm, Tina Unruh, Dieter Geissbühler (Hrsg.): tur zur Jahrtausendwende neu zu bestimmen, lancierte Eisenman Forschende Architektur. Hochschule Luzern zwischen 1991und 2000 die 10 legendären ANY Conferences, deren - Technik & Architektur, Luzern, Quart Vlg., 2010, S. 45-54 theoretisches Programm radikal war. Die Architektur, so die These, war entgegen den andere Kunstformen intellektuell noch gar nicht in der Moderne angekommen, hatte sich also nie wirklich mit den geistigen Herausforderungen des metaphysikkritischen Denkens seit Nietzsche auseinandergesetzt. Philipp Johnson, zeitlebens der wohl wichtigste Mentor Eisenmans, wird bezeichnender Weise an einer Stelle mit den Worten zitiert: »he doesn’t really understand Nietzsche. He doesn’t understand most of the stuff he spouts. He really is the most tremendous bullshitter. But, and here’s the point, he’s better than a theorist. He’s an artist. But he requires theory to make his art […] It’s terribly hard to do design. We all need our crutches. And Peter’s is his mind.«19 Einen ähnlichen Eindruck gewann alsbald auch Derrida. Er erklärte in einem von Eisenman selbst in der Folge veröffentlichten Briefwechsel kurzerhand, dass der Architekt den Philosophen wohl an der einen oder anderen Stelle während des gemeinsamen Projekts in Paris, das durch Derridas Schrift Chôra über Platons Dialog Timaios programmatisch vorangetrieben wurde, missverstanden hätte. Es wäre gar im Ganzen zweifelhaft, ob er dem Architekten wirklich helfen könne.20 RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


71 Jeff Kipnis – Gencode Transfer

Wissen ist in den allerwenigsten Formen materialisierbar. Es ist vielmehr das Wesen des Wissens, flüchtig zu sein, sich an Kontexte oder Felder anzudocken und enorm anpassungsfähig zu agieren. Gerade darin liegt eben sein großes Potential. Auch im Metier der Architektur selbst ist die Übertragung von Etabliertem in andere, diesem originär nicht angestammte Felder, Teil der Architekturgeschichte. Jeffrey Kipnis, selbst Physiker, also jemand der über keinen vordergründig architekturrelevanten Abschluss verfügt,21 hat unter einer ähnlichen Agenda zu Beginn der 1990er Jahre an der Architectural Association (AA) in London ein Programm lanciert, dass heute durchaus als Vorläufer für Entwick- 20 Jeffrey Kipnis, Thomas Leeser (Hrsg.): lungen an weiteren Schulen wie u.a. der Universität für Angewandte Chora L Works. Jacques Derrida and Peter EisenKunst in Wien (Prix / Lynn / Hadid) oder der Städelschule in Frank- man; The Monacelli Press, 1997 (insbesondere dort S.161ff: Jacques Derrida. Letter to Peter furt (van Berkel) gesehen werden kann. Eisenman. October 12, 1989) Kipnis verkörpert den Begriff des ›Grenzwissenschaftlers‹ in 21Seit 2006 hält Kipnis zudem ein Ehrendipnahezu prototypischer Form. Dies geschah insbesondere im lom der Architectural Association (AA), das ihm aufgrund seiner langjährigen Tätigkeiten Europa der frühen 1990 Jahre; eine Zeit, in der die Architektur als Lehrer, Kritiker und Theoretiker sowie zunehmend bemüht war die Disziplin unter dem aus Nord-Ame- seiner Verdienste um die Disziplin als solcher verliehen wurde. rika importierten Signet »Architecture and Complexity« auch hierzulande mit mehr Komplexität anzureichern. An den US-amerikanischen Ivy League-Universitäten war man zu dem Zeitpunkt schon seit gut 20 Jahren damit beschäftigt, an den verschiedensten Fronten und über individuelle Forschung hinweg, Erkenntnisse aus Natur-, Bio- oder Geisteswissenschaften, sowie der frühen Computertechnologie, heruntergebrochen auf ein Maß der kontextfremden Verständlichkeit, für das Feld der Architektur erschließbar zu machen. Einblicke oder gar Wissen dieser Art waren zuvor, wenn überhaupt, aufgrund ihrer enormen Komplexität, ausschließlich außerhalb der Disziplin wahrgenommen worden. Nachdem Kipnis 1981 seinen Master in Physics an der Georgia State University erhält, kommt er Ende der 1980er Jahre als Assistent zu Peter Eisenman an die Ohio State University. Man darf in der Retrospektive mit Gewissheit attestieren, dass die nun folgende Zusammenarbeit für beide Seiten ausgesprochen erkenntniserweiternd verlief. Nachdem Alvin Boyarsky über nahezu 20 Jahre, bis zu seinem Tode 1990, die Geschicke der AA lenkte und ›Bedford Square‹, in dieser wohl einzigartigen wie legendär verlaufenden Legislaturperiode, in eine der international meist geachteten Architekturausbildungsstätten verwandelte, kommt auch Jeff Kipnis 1992 nach London. Kipnis macht alsbald an der AA regen Gebrauch seines multi-disziplinären Ansatzes, der sich mit intellektueller Freiheit an die gegenwärtigen Entwicklungen der Geistes-, vor allem aber der Naturwissenschaften anlehnt und installiert das postgraduierten AAGDG-Programm (Graduate Design Group), den Vorläufer des heutigen AADRL (Design Research Laboratory). Es ist die Zeit (1993-2000) in der u.a. auch Alejandro Zaera Polo und Farshid Moussavi (FOA) Unit Masters an der AA sind. Ihre Diploma Unit 5 repräsentiert in diesen Tagen, wie kaum eine zweite Klasse, den experimentellen Forschungsbereich der Schule. Kipnis’ Agenda ist geleitet von der Kritik gegenüber einer Profession, die, wie er meint, um ihr eigenes Werk zu legitimieren, zu vertieft in das Beleihen der Ideen anderer Disziplinen ist. Beim Versuch, genrefremdes Gedankengut und Theorien auf die eine oder andere Art in zentrale Elemente der architektonischen Projekte zu überführen, hätte die Architektur, gesamtgesellschaftlich gesehen, Mirko Krau s e - Es s ay


72 ihren originären Stellenwert eingebüßt. Sie fände sich derzeit folglich auf dem Status Angewandter Kunst angelangt, der die aktive Einflussnahme auf größere, externe Kontexte unmöglich mache. Sowohl die Lehre durch, als auch die Kritik an Eisenman scheint durch diese Agenda hindurch. Kipnis selbst vermutet in jedem Fall die für die Architekturentwicklung relevanten Elemente innerhalb der Disziplin selbst. Sein viel beachteter Essay Toward a New Architecture,22 stellt eine Art kritischen Dialog mit Corbusiers kanonisiertem Manifest Vers une architecture23 von 1922 dar. Er postuliert darin, dass die Suche des Neuen in der Moderne einem aufklärerisch getriebenen, progressiven Projekt entsprochen hätte. Kipnis stellt den durch externe, im Fall Corbusiers primär technische, Errungenschaften vorangetriebenen Entwicklungen eine Vorstellung von immanenter Evolution innerhalb der Architektur selbst entgegen. Seiner These weiter folgend, können die Determinanten einer Architekturentwicklung nur in der Morphogenese, dem Generieren neuer Formen liegen. Eines der Schlüsselworte seiner Lehrausrichtung ist der nicht immer unproblematische Begriff »Kohärenz« (lat. cohaerere »zusammenhängen«).24 Die Arch+ weist mit Blick auf die relativ bald erschienene, deutschsprachige Übersetzung des Textes im Editorial ihres Heftes allerdings schon kontextmahnend und kritisch darauf hin, »dass es sich hierbei um eine Mode von hauptsächlich amerikanischen Architekten handelt, die, weil sie selten oder nie bauen, die sozialen, ethischen oder politischen Dimensionen ihrer Profession nicht zu berücksichtigen brauchen.«25 Kipnis’ Graduate Design Program befasste sich zum Großteil mit bestimmten Phänomenen originär kontextfremden (Fach)wissens, die hier unter seiner profunden, eben externen Kontexten entstammenden Kenntnis, erfasst und säkularisiert, also zugänglich gemacht wurden. Das Phänomen als solches 22 Jeffrey Kipnis: Toward a New Architecture; wurde genommen und mit Wissen um einen offenen Ausgang in in: AD (Architectural Design) Profile No. 102: Folding and Pliancy. (dt. »InFormation den Architekturdiskurs überführt. In ihrem ursprünglich oft / DeFormation« Arch+ 131, Berlin, 1996), komplexen, nun aber breiter diskutablen Verständnis, wurde London, Academy Editions, 1993 so der diesen Phänomenen innewohnende, ontologische Gehalt 23 Le Corbusier: Vers une architecture; Paris 1922 (dt. Ausblick auf eine Architektur. aufgespürt und in einem Folgeschritt versucht, die gewonnenen Frankfurt/M., Bauwelt Fundamente, Bd.12, Qualitäten unmittelbar im architektonischen Projekt selbst abzu1963) bilden. 24 So steht »Kohärenz« in der Philosophie beispielsweise für die Widerspruchsfreiheit [sic] einer wissenschaftlichen Aussage. 25 InFormation. Faltung in der Architektur (Editorial), Joachim Krausse im Gespräch mit Nikolaus Kuhnert und Angelika Schnell; in: Arch+ 131, Berlin, 1996, S.12

Unsicherheit und Nichtwissen

Anschließend an die berühmte Aussage des Orakels von Delphi, die der Athener Zeitgenosse Chairephon auf die Frage erhielt, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe, respektive dessen 26 Nach eigener Aussage traf Popper übrigens Beharren auf die heute zum topos gewordene Sentenz: »ich weiß auf die Frage nach der Rationalität in der wissenschaftlichen Methode durch Einsteins dass ich nicht weiß«, hat bereits Karl Popper im Sinne seiner Relativitätstheorie [...]vgl. Paul Arthur Methode der Falsifikation26 gefolgert, dass jede Theorie der mögSchilpp (Hrsg.): The philosophy of Karl Popper; Karl Popper: Autobiography, Abschnitt 8, lichen Fehlerhaftigkeit unterliegt. Es sei schlichtweg unmöglich, Open Court Publ., La Salle, Illinois, 1974 auf dem Gebiet der empirischen Wissenschaften die Wahrheit 27 vgl. Karl Popper: Auf der Suche nach einer einer Theorie zu beweisen.27 So hat sich Popper auch zeitlebens besseren Welt; München, 1984, S. 44 über die Träume anderer Wissenschaftler von ›Sicherem Wissen‹ amüsiert. Ein sicheres Wissen findet man, so Popper, grundsätzlich nicht. Deshalb kann man von seinen Ansichten stets nur vorläufig überzeugt sein. Utopien enthüllt Popper als leere Heilsversprechen und den Anspruch auf Sicherheit als Größenwahn.

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73 Mit der noch originalgetreueren Übersetzung aus Platons Apologie: »Ich weiß als Nicht-Wissender«, die immerhin die Verteidigungsrede Sokrates’ zur Anklage u.a. des Missbrauchs seines Lehramtes war, geht plötzlich das allgemeine Zeitgeistgefühl mit den finalen Weisheiten des wohl größten Philosophen der abendländischen Kulturgeschichte so getreu wie selten Hand in Hand. Egal ob Chomsky, Derrida oder Einstein. Ob Dekonstruktion, Philosophie, Psychologie, Chaos-Theorie oder allgemeine Relativitätstheorie. So grundverschieden wie die Disziplinen und ihre Protagonisten zueinander stehen, ist doch allen eines gemeinsam, zumindest ab dem Moment, in dem die Architektur als programmatischer Antagonist die Aufzählung erweitert: Aus vorbereiteter Sichtweise kann, wie sonst selten bis nie, der Fall 28Halbwertzeiten; Gelegenheit zur Erreichen der Serienreife; des systemimmanenten Trägheitseffekts des Mediums Architek- Kontemplation; Qualitätsstabilisation; Marktforschung / tur gar als Vorteil gewertet werden. Andere Disziplinen haben in Akzeptanz; Möglichkeit der Übersichtsgewinin Bezug auf Nullserien, Konzeptstuder Regel einen Entwicklungsvorsprung, der zumeist erst – wenn nung dien, White Labels, Samples, Prototypen, überhaupt – mit zeitlicher Verzögerung auf die Architektur wirkt. Erlkönige etc. Schafft man es jedoch, sich das inhärente Potential der spezifischen Langsamkeit28 de facto zu Nutze zu machen, kann man den vermeintlichen Nachteil gar zum Vorteil wenden. Insbesondere Architekten, die es zur Methodik machten, sich fachfremder Theorien und externer Denkansätze zur Generierung ihrer architektonischen Projekte zu bedienen, wurden ein ums andere Mal zur augenscheinlichen Zielscheibe von internen wie externen Anfeindungen. Die Bandbreite solcherart motivierter Agitation ist facettenreich und reicht vom Vorwurf des Bluffs oder der bewussten Irreführung, über Borniertheit, zur Rüge der Spekulation, bis hin zu Häme oder Missgunst. Dem gegenüber steht, vor allem aus Sicht von Lehre und Forschung, eine ausgesprochen wichtige Spektrumserweiterung der potentiell zur Verfügung stehenden Forschungsbereiche. Der Umfang experimenteller, operativer Methodik kann gerade in Bezug auf Wissenschaftsprämissen nicht groß genug sein. Nicht minder wichtig erscheint in diesem Zusammenhang allerdings der absolut essentielle Verweis auf eine finale stets in der Disziplin selbst argumentativ geerdete Position. Die Beweisführung muss unabwendbar, will sie sich abseits, aber auch innerhalb der Disziplin behaupten und Relevanz einfordern, aus dem originär angestammten Feld heraus erfolgenden. Erst das Sicherstellen der eigenen Kernkompetenz, über die argumentative Position fest im vertrauten Gepräge verankert, kann das Potential entwickeln, einen relevanzträchtigen, vor allem aber genuinen Wissensansatz hervorzubringen, der im Optimalfall sogar über die Grenzen des Metiers hinaus Bestand hat oder Wirksamkeit entfaltet. Unbekannte Territorien und der Wert von Ideen

Die Gefahr beim Betreten unbekannter Territorien oder auswärtiger Denkräume ist so unkalkulierbar wie naheliegend. Nehmen wir trotzdem einmal an, die mögliche Entdeckung blühender Landschaften rechtfertige die Gefahr. Mit Popper haben wir gesehen, dass selbst innerhalb abgesteckter Areale von Sicherheit, sicherem Wissen, gar Wahrheiten, keine Rede sein kann. Addiert man zu dieser Erkenntnis den Fakt, dass Popper die zentralen Theorien zur Falsifikation bereits in seinem Werk Logik der Forschung im Jahr 1934 aufstellte, erkennen wir umso deutlicher das wahre Ausmaß unseres heutigen Nichtwissens. Anstatt jedoch in erstarrende Resignation angesichts der vermeintlichen eigenen Unzulänglichkeit zu verfallen, sollte man sich einen entscheidenden Fakt vergegenwärtigen. Die Disziplin der Architektur kann einzig und allein Mirko Krau s e - Es s ay


74 als metaphorischer Schwamm verstanden werden. Die Qualität des Ressorts bemisst sich oftmals gerade erst am Faktor ihrer Durchlässigkeit. Wie kaum ein anderes Metier muss die Architektur den fortwährenden Einfluss und Umgang mit etlichen Bezugsfeldern verhandeln. War der Architekt in grauer Vorzeit als Universalgelehrter charakterisierbar, findet man heute nicht selten – in Anbetracht gesunder Selbsteinschätzung und de facto Kontextmultiplizität – noch immer eine zumindest zeitgemäße Begriffsjustierung in Richtung einer engagiert profunden Amateurhaftigkeit. Auch heute noch zollt also der Jargon der feldübergreifenden Einsatzkompatibilität Rechnung. Die Vertreter des Genres sind seit jeher damit vertraut, binnen kürzester Zeit, zum Experten auf dem Gebiet des gerade zum Projekt ausgerufenen thematischen Neulands zu avancieren. Schutzraum und Pufferzone vor der Enthüllung des - ob der Kontextfülle gut fundierten Halbwissens bilden oft genug lediglich Titel und Leumund des Protagonisten. Anfang der 1960er Jahre löste der renommierte Wissenschaftshistoriker und Popper-Schüler, Thomas S. Kuhn, eine anhaltende Diskussion in der Forschung aus. Was er, in der Abgrenzung zur sogenannten ›Normalwissenschaft‹, mit dem Terminus der ›außergewöhnlichen Forschung‹ betitelte, war ein eher unkonventionelles, nicht selten von wissenschaftlichen Grenzgängern betriebenes Vorgehen, dass die Qualität besaß, die obligatorische, wohlgeordnete Abfolge von Fragen und Antworten zu durchbrechen und eine wissenschaftliche Revolutionen – einen Paradigmenwechsel – auszulösen.29 Hier wird also gerade Forschern, die in einem ihnen originär nicht vertrauten Feld operieren, Qualifikation und Natur zugesprochen, aufgrund ihrer vor Ort unkonventionellen Methodik, Außergewöhnliches zu vollbringen. Pädagogik und Soziologie zielen heute mit ihren Proklamationen von ›soft skills‹ oder ›transferable skills‹ gezielt auf Erkenntnisse und Erfahrungen wie diese ab. Entscheidend für eine gelingende Zukunft, so erscheint es heute, wird vor allem die Fähigkeit des künftigen Ertragen-Könnens von Ambivalenzen und Unsicherheit, sowie ein bewusster und fehlerfreundlicher Umgang mit dem Nichtwissen sein. Die moderne Welt zwingt uns heute geradezu zur Kompensation des steigenden Unwissens durch gleichsam steigendes 29 Thomas S. Kuhn: Die Struktur wisVertrauen in uns selbst. Nur wenn es dem Individuum senschaftlicher Revolutionen; SuhrkampTaschenbuch - Wissenschaft 25, Frankfurt/M., gelingt, genug Gelassenheit gegenüber der stetig lauSuhrkamp, 1991 ernden Gefahr des Überforderungsaffronts aufzubringen, ist konstruktives Handeln möglich. Die Kontrollinstanz in uns muss also das Gewusste ungleich höher dem bewusst Ungewussten einzuschätzen lernen. Wenn diese Schilderung aber eine Gesamtphänomenologie, einen Querschnitt durch sämtliche Wissenschaftsfelder und Handlungsareale darstellt, so ist die Architektur, aufgrund ihrer eingangs dargelegten Anamnese, mit etlichen der sich am allgemeinen Erkenntnishorizont progressiv abzeichnenden Probleme, bereits ex ovo vertraut und trainiert. Warum sich also nicht diesen gewissen, wenn man so will, genetischen Wettbewerbsvorteil entscheidend zu Nutze machen? Ob eine Entwurfsstrategie als Rückkoppelung auf paradigmatische Erkenntnisse der Naturwissenschaften verläuft und so ein vollends neuartiges Raumverständnis entsteht oder ob erst die philosophische Fehldeutung Kants, Nietzsches, Derridas oder Valérys zu architektonisch genuinen Methodikansätzen führt, die Geschichte der Architektur scheint voll von derart produktiven Missverständnissen zu sein. Man erinnere sich beispielsweise an die sogenannte Erfindung des Porzellans (»Weißes Gold«), das sich als Abfallprodukt bei dem Versuch RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


75 der Herstellung von Gold entwickelte. Bruchstückhaft zu Tage geförderte Fragmente, entnommen aus komplexen Theoriekompendien, die nun, wo sie für sich alleine stehen und nicht mehr länger der alsbaldigen Relativierbarkeit oder Falsifikation unterliegen, scheinen veritable Türöffner zu prozesshaftem Werden zu sein. Vielleicht liefert unter potentiell unendlich vielen denkbaren Ansätzen und Theorien eine bestimmte, andernorts bereits erprobte, alsbald eine Grundlage nun folgender, genuiner Prozesse. Vielleicht ist das philosophische Werk, dem immer auch ein ontologischer Gehalt innewohnt, die abstrakte aber Werte vermittelnde Leitfigur, die einen Anfang, einen Eingang in den Projektverlauf darstellt. Eine Universität, wie eine Disziplin als solche, die nach Relevanz, einer Vordenkerrolle, Sichtbarkeit und nach Signalwirkung fragt, die sich aber auch in die Position geraten sieht, ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft neu verhandeln zu müssen, muss sich vice versa auch dafür in Anspruch nehmen lassen, Aussagen über die Zukunft einer Gesellschaft machen zu 30vgl. dazu: Paul Hurst: Education and the Production of New Ideas; in AA files, Number können. Einer Gesellschaft, der sie unweigerlich angehört und in 29, Annals of the Architectural Association der sie den ihr, in ihren Augen zustehenden, prominenten Platz School of Architecture, London, 1995, s.44-49 anhaltend einfordert. Insbesondere wenn diese Gesellschaft ihren Glauben an kulturellen Wandel, Werte, Phantasie, Vorstellungskraft, gar Hoffnung zusehends schwinden sieht. Eine funktionierende Universität sollte sich auch heute noch in allererster Linie als eine Plattform für das Entstehen neuer Ideen begreifen. Die Kompetenz seitens einer Institution, nämlich innovativ, kritisch, und kreativ zu lehren, ist der Nährboden, der schöpferisches Gedankengut und Ideen auf einem gewissen Niveau erst entstehen lässt. Ideengut wiederum ist das Rüstzeug, das Individuen dazu befähigt kulturpolitische Vorstellungskraft zu entwickeln, das alsbald die Gesellschaft als solche, aus sich selbst heraus, nach Wandel streben lässt. »If universities have a vital social function, it is to form intellectuals. If intellectuals have a function, it is to generate ideas.«30

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76 Philomène Hoel / Eik Frenzel / Yves Dreier

“People as a star” Zu Gast bei urbanen Nomaden

Architekten in der Schweiz arbeiten heute wieder oft an Wohnbauten im urbanen Umfeld. Dies war nicht immer der Fall. Der Trend zum privaten Einfamlienhaus in der Peripherie oder auf dem Land und die endlose Repetition spekulationsorientierter Wohntypologien machten dieses Feld zeitweise unattraktiv. Viele Städte haben versäumt, kontinuierlich Wohnbauprojekte voran zu treiben. Ausserdem haben sie häufig die soziale Verantwortung durch den massiven Verkauf öffentlicher Baugrundstücke an Investoren und Spekulanten abgegeben. Dies hat dazu beigetragen, dass der städtische soziale Wohnungsbau und das Prinzip der Wohngenossenschaften an Bedeutung und Qualität verloren haben. Der Wohnungsbau ist jedoch wieder in den Fokus der schweizer Architekten gerückt. Offene Wettbewerbe, lanciert nach akkutem Wohnungsmangel in den Grosstädten der Schweiz, sorgten für zahlreiche Projekte mit neuen und unkonventionellen architektonischen Lösungen. Durch unsere eigene Tätigkeit als Architekten, nehmen wir auch regelmäßig an Wohnbauwettbewerben teil. Dabei ist uns aufgefallen wie durch die Wiederentdeckung alter Wohnbau-Prinzipien immer wieder neue Typologien entstehen können. Durch eine vorurteilsfreie Rückbesinnung stehen unzählige »Muster«-Typologien zur Verfügung, die der Wohnungsbau seit dem 19. Jh. hervorgebracht hat. Emanzipiert von den grossen Strömungen der Moderne und Postmoderne können wir frei aus diesem Fundus schöpfen und neue Lösungen entwickeln. So könnten wir zum Beispiel das Streben der Moderne nach Hygiene und räumlicher Kontinuität mit den praktischen und multifunktionalen Typologien der Gründerzeit kombinieren, um das kreative Potential der jeweiligen Typologien neu auszuschöpfen. So wird die Arbeit am Grundriss endlich wieder zum Entwurf einer Raumstimmung, welche nicht auf die Typologie beschränkt ist, sondern übergeordnete Ideen atmosphärisch umsetzt. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


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Die junge Mieter-Generation, geprägt durch WG-Leben und regelmässige Umzüge seit dem Auszug aus dem Elternhaus, ist die anpassungsfähigste und flexibelste bisher. Sie lebt genauso gut in Gründerzeithäusern wie in Siedlungen der 70er Jahre. Diese Anpassungsfähigkeit hat mit ihrer Mobilität zu tun. Der nächste Umzug bleibt immer in gedanklicher und zeitlicher Reichweite, was sie zu urbanen Nomaden macht. Dies unterscheidet sie von ihrer Elterngeneration, welche normalerweise über Jahrzehnte dem gleichen Lebensraum treu geblieben sind. So könnte man heute zeitgemässes Wohnen als temporäre Besetzung eines beliebigen Leerraumes bezeichnen. Dabei ist die Neutralität der eigentlichen Räume wichtig. Die Kategorien Wohnzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Korridor usw. werden durch jeden Nutzer neu definiert oder gar offen gelassen. Eine Besetzung der Wohnräume funktioniert am besten an Stellen der Mehrdeutigkeit. Unfälle und Zufälligkeiten im Grundriss können dabei sogar förderlich auf Kreativität und Ausmass der Aneignung wirken. Für »People as a Star« haben wir eine architektonisch-dokumentarische sowie künstlerische Annäherung an das Thema der Aneignung und Besetzung gewählt. Als geladene »Gäste« betraten wir Wohnungen, und haben die Beziehungen zwischen Bewohnern und ihren Lebensräumen in ihrer Vielschichtigkeit untersucht. Dabei hat sich der Empfang immer wieder neu und unterschiedlich gestaltet. Diese erste Begegnung zwischen Gast und Gastgeber ist ein fragiler Moment der Repräsentation. Die Bewohner werden zu Protagonisten und öffnen theatralisch ihre privatesten Rückzugsbereiche für eine temporäre Öffentlichkeit. »People as a Star« ist ein Beweis dafür, dass neue Raumtypologien für die soziale Interaktion und für die private Aneignung entwickelt werden müssen. Phi lomène Hoel / Eik Frenzel / Yves Dreier - P hotoes s ay


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In Die Welt von Gestern erzählt Stefan Zweig von jenem ungewöhnlichen, beinahe sportlichen Eifer, der ihn und seine Freunde stundenlang im Kaffeehaus festhielt um sämtliche zur Verfügung stehenden Zeitungen (und davon gab es in einem guten Wiener Kaffeehaus viele) nach bemerkenswerten Neuigkeiten zu durchforsten. Im Eifer des Entdeckens versuchte jeder, den anderen mit dem ›Neuesten und Allerneuesten‹ zu überbieten. »Wir fanden das Neue, weil wir das Neue wollten, weil wir hungerten nach etwas, das uns und nur uns gehörte – nicht der Welt unserer Väter, unserer Umwelt.« Auf diese Weise, sagt Zweig, habe er in kurzer Zeit unglaublich viel gelernt. Selbst später, schreibt er, war er noch erstaunt, wie viel sie damals alle gewusst hätten; besonders aber darüber, »wie frühzeitig wir uns unsere kritische Unterscheidungsfähigkeit durch dies ununterbrochene Diskutieren und Zerfasern angeeignet haben«.1 Das Wissen, das Zweig sich hier angeeignet hat, ist weit von einer passiven Rezeption entfernt. Vielmehr bildet es das Prärequisit Die utopischen für seine meisterhaften narrativen Fähigkeiten, die er ein letztes Mal 1941, im Angesicht der Barbarei, die Europa in den Abgrund Erwartungen reißt, unter Beweis stellt, wenn er seine Erinnerungen aus dem des ModernisGedächtnis erzählt. Februar 1990: Von der ›Welt von Gestern‹ bleibt nicht viel; beson- mus scheinen so ders hier nicht, am Leipziger Platz. Und dennoch erscheint dieser einsame Ort niemals schöner als jetzt, kurz nach der Wende, weit diskreals er erstmals wieder betreten werden kann. Eigentlich ist ditiert, dass von einem Platz nicht viel zu sehen. Schließlich ist er, im Todesstreifen zwischen Ost und West liegend, dem Erdboden gleichge- deren Rettung macht worden. Trotzdem: hier in dieser Einsamkeit bekommt die wechselvolle und einzigartige Geschichte Berlins eine unglaub- nur mehr in der liche Präsenz. Das ist kein Wunder, denn so kahl, wie er auf den Wiederherstelersten Blick erscheint, ist dieser Platz nicht: Mitten in der Ödnis befinden sich die alten U-Bahn-Eingänge, an denen die Spuren lung eines älteder Ereignisse zu erkennen sind und die Geschichte nachvollziehbar, erlebbar machen. Es sind Reminiszenzen, die den Zweiten ren Stadtbildes Weltkrieg überstanden haben, den Nazismus, den Kommunismus, gesehen wird. auch den Aufstand von 1953 und die Teilung der Stadt. Der Platz 1 Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerlässt Geschichte lebendig werden und hat damit etwas zutiefst ungen eines Europäers; Frankfurt a. M., 1993 Authentisches. Wenn man genauer schaut, findet man sie leicht, [1944], S. 59f. Kris tian Fas c hingeder - Es s ay


82 die alten Straßenbahnschienen, das Kopfsteinpflaster, und mit ein bisschen Suchen lassen sich denn auch die Umrisslinien jener Gebäude ausmachen, die den Platz einst gesäumt haben. Da vorne stand doch das Kaufhaus Wertheim, dessen Fassade den Krieg überstanden hatte? Auf einem alten Foto, das die Aufstände 1953 dokumentiert, ist es noch zu sehen – erst der Mauer musste es weichen. So wie dieser Platz war die gesamte Stadt mit ihrer Geschichte ein Ort voller Potential. Im Unterschied zu anderen Städten bot sich Raum für die hoffnungsvollen Zukunftsvisionen einer jungen Architektengeneration. Berlin, das war Anfang der 1990er Jahre das architektonische Eldorado. Hier gab es Aufträge, angesagte Büros und die in Europa einmalige Chance, eine neue Hauptstadt zu bauen. Geschichte und Zukunft, das gehörte hier irgendwie zusammen. Eine Metropole wie Wien hatte damals nur Geschichte, Berlin hingegen hatte beides. Zwanzig Jahre später, der Leipziger Platz steht wieder. Die histori2 Matthias Alexander: Appell an Frankfurts schen Konturen des Platzes wurden nachgezeichnet, die Gebäude Rathauschefin: Altstadtfreunde wollen mehr als 17 Häuser rekonstruieren.; FAZ.net, in Stein und Glas gekleidet und nicht zu hoch. Und dennoch: ein 23.02.2011. (http://www.faz.net/s/RubFAOrt, an dem einem die Luft wegbleibt. Bonjour Tristesse, wie es E83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/ Doc~E9A400054075E41229C116458D1383 so schön auf dem Gebäude von Alvaro Siza heißt. Das Werk, das 8DE~ATpl~Ecommon~Scontent.html) der Krieg begonnen und die DDR auf ihre eigene Art fortgeführt 3 17 Altstadthäuser reichen Investoren nicht; hatte, scheint nun vollendet zu sein. Jedes überlieferte Stück Verin: FAZ, 28.02.2011, Nr. 49, S. 44 gangenheit wurde ausradiert. Die Geschichte ist verschwunden, die Zukunft verbaut; die Gebäude, die kaum voneinander zu unterscheiden sind, erinnern bald an Plattenbauten. Das Problem des Platzes ist nicht seine Wiederherstellung per se, sondern das architektonische Erscheinungsbild bzw. der Umstand, dass dieser Ort – angesichts seiner Form und Größe – differenziertere Einzelbauten verträgt. Bestand nicht auch die viel zitierte Gründerzeitstadt aus Bauten, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten, womit sie ihren Anteil zu der heute so vermissten urbanen Vielfalt und Vitalität beitrugen? Schnitt. Wenn Dieter Bartetzko in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sich für die Wiederherstellung der Schönheit Frankfurts starkmacht, dann meint er die »alte, historische« Schönheit, von der sich doch annehmen lässt, dass sie unwiederbringlich verloren gegangen sei. »Zwischen Dom und Römer [soll] künftig ein neues Altstadtviertel die verlorene Schönheit, Vielfalt und Vitalität wiederbringen«, schreibt er. Über 17 Häuser sollen rekonstruiert werden,2 der Abriss des Technischen Rathauses aus den 1970er Jahren gilt als »Geschenk an die Bürger«. 3 Die Vorstellung, man könne ein ›Altstadtviertel‹, dessen Name doch die Kontinuität eines Ensembles impliziert, einfach wiederherstellen, als wäre nichts gewesen, mag ob ihrer Naivität verblüffen. Die Ergebnisse, würde man meinen, könnten doch höchstens einer künstlichen Version des ›authentischen‹, weil historischen Frankfurt entsprechen. Ein Widerspruch in sich also, und – man vergegenwärtige sich die Berliner ›Rekonstruktionen‹ – bereits in seinem Anspruch zum Scheitern verurteilt. Aber der Reihe nach: Wie sollen mit einer rekonstruierten Altstadt ›Vielfalt und Vitalität‹ zurückgeholt werden? Hängen nicht Letztere auch mit Aktivitäten zusammen, die heute nicht mehr der gelebten ›Alltagspraxis‹ entsprechen? Oder soll die Rekonstruktion doch anderen Zielen dienen? Geht es um die Herstellung einer ›wahren‹ Identität Frankfurts oder doch lediglich um eine Touristenattraktion? Eine wiederentdeckte und ausgestellte Sammlung von Fotos des alten Frankfurt nimmt Bartetzko jedenfalls zum Anlass, die Notwendigkeit einer solchen Rekonstruktion zu betonen: »Die Zuversicht, ein winziges Stück Stadtschönheit zurückholen zu können, wirkt angesichts dieser Ausstellung bitter nötig. Denn jedes ihrer Bilder macht RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


83 deutlich, wie brachial der Wiederaufbau vonstattenging, wie brutal die Nachkriegsmoderne beseitigte, was ihr im Wege stand.«4 Hier kann man ihm nur zustimmen: Vieles von dem wenigen, das den Krieg so überstanden hatte, dass es noch hätte gerettet werden können, beseitigte der Wiederaufbau der Nachkriegszeit in seinem uneingeschränkten Glauben an eine bessere Zukunft, wofür nicht nur neue, adäquate städtebauliche Ausdrucksformen reklamiert wurden, sondern auch breitere Straßen. Also weg mit dem Alten, mit dem man auch eine autoritäre, überladene und endlich überwundene Lebensweise verband. Bartetzko nun artikuliert jene Sehnsucht, die im Neuen nicht den Weg zu besseren Lebensbedingungen, zu mehr Gleichheit und mehr Freiheit sieht. Die utopischen Erwartungen des Modernismus, der Begriff des Fortschritts, das Neue selbst, nach dem Zweig noch so hungrig 4 Dieter Bartetzko: Frankfurter Stadtgegriff, scheinen in Bezug auf die Stadt mittlerweile so weit diskredi- schichte: Jeder Zweite trägt Uniform; FAZ.net, tiert, dass deren Rettung nur mehr in der Wiederherstellung eines 14.02.2011. (http://www.faz.net/s/Rub117Cgründerzeitlichen oder noch älteren Stadtbildes gesehen wird.5 535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~ E611C1AF6FAE948C5AE4B0EBF9BBA5A Dennoch stellt sich die Frage, ob solche Maßnahmen, die nun 4E~ATpl~Ecommon~Scontent.html – Zugr. ihrerseits die Bauten der Nachkriegsmoderne aufs Korn nehmen, 16.02.11) 5 Andreas Huyssen: The Voids of Berlin; nicht abermals zu drastisch sind. Zudem muss geklärt werden, ob in:Vgl.Critical Inquiry Bd. 24, Nr. 1, Oktober 1997, sich durch solche Maßnahmen tatsächlich die ursprüngliche städ- S. 57-81, hier S. 69 tische Vitalität wiederherstellen lässt; denn diese ist ja das ultima- 6Vgl. Jennifer Burris: The »Urban Photogéof Architainment; in: The Journal of tive Ziel der Sehnsucht nach dem Verlorenen, für die das bauliche nie« Aesthetics and Art Criticism Bd. 69, Nr. 1, Ungeschehenmachen nur das am nächsten liegende Mittel ist. Feb. 2011, S. 93-103. Wie sehr die ›kritische mit Imagebildung, New Bartezko ist mit seinem Wunsch nicht alleine. Vielmehr entstand Rekonstruktion‹ Urbanism und Themenparks zu tun hat, zeigt in den 1990er Jahren – zu jener Zeit, als Berlins ›kritische Rekon- der aufschlussreiche Text von Andreas HuysThe Voids of Berlin, in: Critical Inquiry Bd. struktion‹ beschlossen wurde – eine Bewegung, die die Entwick- sen: 24, Nr. 1, Okt. 1997, S. 57-81 lung der Städte des späten 20. Jahrhunderts als inkohärent anprangerte und ihren unmenschlichen Maßstab kritisierte. In den USA entstand so der ›New Urbanism‹. Die Kritik war nicht neu, doch sollte Abhilfe nun nicht durch innovative architektonische Formen geschaffen werden, sondern durch die Verwirklichung einer idealisierten Vorstellung der historischen Stadt. Eine solche Vorstellung impliziert eine nostalgische Sehnsucht nach dem Verlorengegangenen und den Glauben daran, dass sich dieses wiederherstellen lässt. Verbunden damit ist eine bewusste Gleichgültigkeit bei der Unterscheidung zwischen dem Original und dem Nachgebauten bzw. Simulierten. Das entspricht auch dem Prinzip der ›Themed Environments‹, d. h. ausgesprochen buchstäblichen Evozierungen, die aufgrund ihres Dekorums auf andere Orte verweisen. Der New Urbanism vermarktet auf diese Weise Identität anhand von Kulissenarchitektur und begleitet dies mit einem eigens konstruierten historischen Narrativ.6 In der europäischen Spielart bedeutet das, dass viele Städte ihre eigene Geschichte mystifizieren, indem sie an eine länger zurückliegende Vergangenheit appellieren und entfernen, was dazwischen liegt. Geschichts- und Identitätskonstruktionen dieser Art sind nicht neu: Wien begann bereits in der Zwischenkriegszeit, an seiner Selbstdarstellung als ehemalige Hauptstadt eines Vielvölkerstaates und als christliches Bollwerk gegen den Osten zu arbeiten, um der jungen Republik, welcher Ressourcen, Industrie und vieles andere verloren gegangen waren, eine historische Dimension zu verleihen. Zum einen sollte damit der Tourismus angekurbelt, zum anderen aber der neu geschaffenen Republik eine Identität gegeben werden, um der Tendenz entgegenzuwirken, sich mit Deutschland zu vereinigen. Zu diesem Zweck wurde ab 1934 eine Aussichtsstraße errichtet, auch bekannt als ›Wiener Höhenstraße‹. Anhand von Inschriften, Denkmälern und Blickbeziehungen sollte eine idealisierte Geschichte, alternierend zwischen Kris tian Fas c hingeder - Es s ay


84 Türkenbelagerung und Habsburger-Mythos, erlebbar gemacht werden. Diese Identitätskonstruktion war langfristig so erfolgreich, dass sie tatsächlich zum Selbstverständnis der Einwohner Wiens beitrug. Mitte der 1990er Jahre begann Wien, sich im internationalen Städtewettbewerb als Stadt mit Tradition und nunmehr als ›Eventstadt‹ zu vermarkten. Im Zuge dieses Prozesses wurden die Bauten aus den 1950er bis 1970er Jahren zu begehrten Immobilien, weil sie nicht zum Bild der Stadt gezählt wurden und die Abrisserlaubnis leicht zu erhalten war. Heute scheint es, als wäre die architektonische Moderne, genauso wenig wie die Türken, jemals bis nach Wien gekommen.7 Bartetzko äußert auch jene unter Architekten so populäre Wir können Annahme, dass die architektonische Umgebung die Gesellschaft und das menschliche Verhalten entscheidend prägt. Die ›Archiunsere Vergan- tektur des Ereignisses‹ greift diesen Wunsch auf, weil es darum genheit auch geht,8»vom Ding weg zum Komplexen und zum Ereignis zu führen«, also die Architektur noch vor konstruktiven oder formalen dadurch ehren, Fragen als Teil eines Prozesses zu sehen, der von ihr mitbestimmt wird. Man findet diese Idee auch in Gernot Böhmes Atmosphädass wir mit ren-Theorie wieder, der zufolge Räume fähig sind, eine Stimmung Blick auf unsere auf den Menschen zu übertragen. Atmosphären werden hier als »quasi objektive Gefühle« bestimmt. Entspricht meine Stimmung Zukunft bauen. nicht der wahrgenommenen Atmosphäre, dann tritt gar eine Diskrepanzerfahrung auf, die dazu führt, dass der Wahrnehmende 7 Vgl. Georg Rigele: Die Wiener Höhenstrasse: sich in gewisser Weise selbst fremd wird.9 Georges Bataille hätte Autos, Landschaft und Politik in den dreissiger dieser Sichtweise wohl zugestimmt, war er doch der Ansicht, Jahren; Wien 1993 u. Kristian Faschingeder: »… da keine Großstadt der Welt eine ähnliche die Architektur diene nur dazu, die Menschen einzuschüchtern, Aussichtsstraße aufzuweisen vermag.« Zum weshalb Monumente auch die wahren Herrscher über die Massen achtzigjährigen Bestehen der Wiener Höhenstraße; in: Sinnhaft, H. 21, 2008, S. 108–123 seien.10 Vielleicht steht ja auch eine solche Überzeugung hinter 8 Nikolaus Kuhnert, Gunnar Tausch: Die dem Wunsch, in Berlin das nicht mehr existierende Schloss eines Architektur des Ereignisses; in: Arch+, Nr. nicht mehr existierenden Herrschers neu zu errichten. Eine solche 119/120, Dez. 1993, S. 30 9 Maßnahme betont die ästhetische Bedeutung des Stadtraums als Vgl. Gernot Böhme: Aisthetik; München, 2001, S. 47f. ›Stadtbild‹. Dafür ist von Bedeutung, wie das einzelne Gebäude 10 Vgl. Georges Bataille: Œoeuvres complètes I. den Stadtraum im Verband mit der umgebenden Bebauung ko(Gesammelte Werke, Bd. 1); Paris 1970, konstituiert. Für dieses Programm hat die Fassade eines Gebäudes S. 171 11 weniger mit dem zu tun, was in seinem Inneren passiert, als mit der Vgl. Niklas Maak: Humboldt-Forum: Das Berliner Schloss in Nöten; FAZ.net, 01.07. umgebenden Bebauung. Auf das Berliner Stadtschloss umgelegt 2009. (http://www.faz.net/s/RubCF3AEBbedeutet dies, dass es in erster Linie darum geht, ein als lücken154CE64960822FA5429A182360/Doc~E 7495536356014479BF2808DD7AD11C9 haft empfundenes, historisches Stadtbild zu vervollständigen, F~ATpl~Ecommon~Scontent.html – Zugr. wohingegen die eigentliche Nutzung lediglich sekundär zu sein 02.03.2011) 12 scheint.11 Eine solche Auffassung beruht somit auf der KonzepVgl. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, hg. v. Rolf Tiedemann; Frankfurt a. M., 2005, tion des städtischen Raums als Bild, Bühne und Spektakel. Wobei S. 51 u. 57 nicht nur zwischen Fassade und Gebäude, sondern auch zwischen 13 Hermann von Helmholtz-Zentrum für der Stadt und ihren Bewohnern eine Diskrepanz geschaffen wird. Kulturtechnik: Das Humboldt-Forum (http:// www2.hu-berlin.de/humboldt-forum/main/ – Schon die urbanistischen Maßnahmen Haussmanns in Paris Zugr. 02.03.2011) beruhten auf diesem Prinzip einer Dichotomie zwischen Szene und Publikum. Sie zielten darauf ab, die Bevölkerung auf Distanz zu halten, indem sie auf die passive Rolle eines Betrachters beschränkt wurde.12 Es darf also bezweifelt werden, ob die zahlreichen Rekonstruktionen wirklich jene vermeintlich verloren gegangene Identität wiederbringen können. In Berlin soll das Simulakrum eines Schlosses als »Freistätte für Kunst und Wissenschaft« dienen,13 doch eine solche Form der Präsentation impliziert eher eine Ehrfurcht gebietende Distanz zum Wissen, als dessen explorativen Erwerb zu befördern. RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


85 Hinsichtlich des Faktors Aktivität, die in einer Stadt ihren Ausdruck finden soll, unterscheidet sich die ›Rekonstruktion‹ am deutlichsten von einer ›zeitgenössischen‹ Architektur. Auch dort wird die Ansicht vertreten, dass Architektur performativ ist; allerdings manifestiert sich hier ein unterschiedliches Verständnis von Aktivität: Je jünger und ›avantgardistischer‹, desto mehr wird die Bedeutung jener Prozesse betont, die Architektur hervorzurufen imstande sein soll, während die Bedeutung des eigentlichen Objekts von sekundärer Bedeutung ist. In der von Kazuyo Sejima kuratierten Biennale von Venedig 2010 etwa, deren Motto People Meet in Architecture lautete, sollte Architektur nicht als Selbstzweck verstanden werden, sondern als Kommunikationsmedium.14 Bei diesem Ansatz geht es um Aktivitäten, Rauminterventionen, Nachhaltigkeit und Ethik. Stéphane Malka spricht diesbezüglich Tradition aber, von einer ›widerständigen Praxis‹: »We must give other answers than those raised within the scope of a commission. I look at so das bekannte architecture as an act of social and cultural resistance«,15 womit Diktum Gustav impliziert ist, dass die formale Gestaltung im Sinne bestimmter ästhetischer Vorstellungen höchstens zweitrangig ist. Und wenn Mahlers, bedeues um Ästhetik geht, dann nicht darum, tradierte Erfahrungen im Sinne von Schönheit und Harmonie zu replizieren, sondern tet nicht die vielmehr darum, das Ungewöhnliche zu ermöglichen. So schreibt Anbetung der etwa Lebbeus Woods über den Light Pavilion: »[It] is designed to be an experimental space, that is, one that gives us the opportu- Asche, sondern nity to experience a type of space we haven’t experienced before. Whether it will be a pleasant or unpleasant experience; exciting das Weitertraor dull; uplifting or merely frightening; inspiring or depressing; gen des Feuers. worthwhile or a waste of time, is not determined in advance by the fulfilment of our familiar expectations, because we can have none, 14Helen Chang: Changing Spaces; in: Frieze Magazine, 20.08.10 (http://www.frieze.com/ never having encountered such a space before. We shall simply issue/print_article/changing-spaces/ – Zugr. have to go into the space and pass through it, perhaps more than 16.09.2010) once. That is the most crucial aspect of its experimental nature, 15Stéphane Malka: Werkbericht (http://m18. uni-weimar.de/horizonte/vortrag/redefinitiand we – its transient inhabitants – are experimentalists in full on/werkbericht-10/ – Zugr. 23.02.2011) partnership with the space’s designers. Each of our experiences 16 Lebbeus Woods: A space of light. in: Lebbeus Woods » Instant Cities, 15.02.2011. will be unique, personal.«16 (http://lebbeuswoods.wordpress. Während die Kritik also hinsichtlich des Alten die ästhetischen com/2011/02/15/a-space-of-light-2/ – Zugr. und künstlerischen Kriterien diskutiert, werden bei neuen 01.03.2011) Bauten die praktischen und funktionalen Vorzüge betont, so 17Vgl. Glenn Parsons: Fact and Function in Architectural Criticism, in: The Journal of ungewöhnlich sie auch aussehen mögen.17 Neue Bauten müssen Aesthetics and Art Criticism, Bd. 69, Nr. 1, Feb. sich ihren Status als Kunstwerk, das keine ›Funktion‹ hat, erst 2011, S. 21-29 erwerben. Niemand würde aber kritisieren, daß eine der Ikonen 18Oliver Hamm: Sie haben sogar an die Muckibude gedacht; in: FAZ, 23.02.2011 Nr. des Funktionalismus, die Villa Savoye, keine Funktion mehr hat. 45, S. 34 Diese Differenzierung unterscheidet aber auch die Bauten der ›Rekonstruktion‹ von der ›neuen‹ Architektur. Und so lobt, um bei derselben Tageszeitung zu bleiben, abermals die FAZ das visuell auffällige neue Haus der Jugend, das vom Berliner Büro Kersten+Kopp Architekten auf der Elbinsel Wilhelmsburg errichtet wurde, als gelungenen Bestandteil einer »umfassenden Bildungslandschaft«. Es wird betont, dass das Gebäude »Räume für Spiel, Sport und Weiterbildung« biete, sich »dabei als offenes Haus in Szene« setze und »sowohl im Inneren als auch in Beziehung zur Nachbarschaft Ein- und Ausblicke gewährt«. Damit nicht genug: Der Baukörper »bildet ein Tor zum Park und korrespondiert mit seiner heterogenen Umgebung«.18 Die Kritik geht also nicht auf die ästhetischen Aspekte des Gebäudes ein, sondern unterstreicht dessen Kris tian Fas c hingeder - Es s ay


86 soziale Funktionen. In die Sprache des jüngeren Architekturdiskurses übersetzt, bildet dieses Gebäude ein ›Hybrid‹, d. h. jene Form von Architektur, die aus der Kombination vielfältiger, heterogener Funktionen neue Ereignisse erzeugen soll. Es fungiert als sozialer Anziehungspunkt und schafft auf vielfältige Weise Bezüge zu seiner Umgebung. Somit ist es kontextuell und betont dennoch durch den ausgewiesenen Zeichencharakter selbstbewusst seine Eigenständigkeit und künstlerische Autonomie. Größer könnte der Gegensatz zum Berliner Schloss gar nicht sein, bei dem vor allem der städtebauliche Zusammenhang zählt, die Fassade jedoch – so der Vorschlag des Bundesministeriums – auch erst später hinzugefügt werden könnte.19 Gerade in dieser GegensätzlichBildung ist auch keit erscheint das Haus der Jugend als die bessere Alternative: ein Gebäude, das mit seinen Benutzer/innen interagiert. ein Mittel der Handelt es sich damit um ein genuines Stück AvantgardearchiErmächtigung. tektur? Nein, denn hier wurde das Formenvokabular der zeitgenössischen Architektur zusammengetragen, ohne selbst Neues zu Operationales thematisieren. Während also die Replikation des Schlosses ausdrücklich einen Vorgängerbau zitiert, kann von diesem Gebäude Wissen ist das, behauptet werden, dass es fast wörtlich Versatzstücke zeitgenöswas die archi- sischer Vorbilder zitiert.20 Natürlich ist auch die Idee, ein Gebäude so zu gestalten, dass es seiner Umgebung gegenüber offen ist und tektonische Dis- seinen Benutzer/innen einen alternativen Umgang mit dem Raum ermöglicht, so alt wie die architektonische Moderne selbst: ziplin zu mehr so alt wie Wrights ›demolition of the box‹ und Giedions ›Durchbefähigt als dringung‹. Aber diese Idee birgt weiterhin Potential, wenn damit bestimmte Funktionen verbunden sind. Das neue Museum Aan zur sachgemäs- de Strom etwa, das Neutelings Riedijk Architekten nahe dem historischen Zentrum von Antwerpen errichtet haben, besteht sen Erledigung aus einem Turm, der jene Stadt überragt, deren Geschichte er von Bauauf- gewidmet ist. Seine Größe und Form sollen das Thema der Monumentalität, das in der Moderne in Misskredit geraten war, neu gaben. interpretieren. Der Aufstieg führt abwechselnd durch geschlossene Bereiche, in denen verschiedene Aspekte der Vergangenheit 19 Vgl. Laura Weissmüller: Im HauptstadtAntwerpens thematisiert werden, und durch offene Bereiche, die Wahn; Sueddeutsche.de, 07.06.2010. (http:// www.sueddeutsche.de/kultur/stadtschlossauf unterschiedlichen Höhen Ausblicke auf die Stadt eröffnen. wiederaufbau-gestoppt-denkpause-fuerDamit würden, wie Aaron Betsky festhält, Leben und Tod dieser ein-umstrittenes-mammutprojekt-1.955071 – Zugr. 23.02.2011) Stadt miteinander verflochten. Für ihn beweist dieses Gebäude, 20 Vgl. Rolf J. Goebel: Berlin’s Architectural dass wir unsere Vergangenheit auch dadurch ehren können, dass Citations: Reconstruction, Simulation, and wir mit Blick auf unsere Zukunft bauen.21 the Problem of Historical Authenticity; in: PMLA, Bd. 118, Nr. 5, Oktober, 2003, S. Verglichen dazu mag das Haus der Jugend als Projekt eines Mus1268-1289. Mit ›wörtlichem Zitat‹ ist nicht terschülers anmuten, der zwar gute Arbeit leistet, generell aber gemeint, dass Gebäude wie Texte ›gelesen‹ werden können. Vgl. hierzu: Remei Capdevilazu brav ist, um aus der Reihe zu tanzen. Projekte dieser Art finWerning: Can Buildings Quote?; in: The den sich zahlreiche in Deutschland, und wenn man diese und die Journal of Aesthetics and Art Criticism, Bd. 69, Nr. 1, Feb. 2011, S. 115-124 unglückseligen Rekonstruktionsdebatten zusammennimmt, dann 21 Aaron Betsky: Beyond Buildings: The ergibt sich das Bild eines in architektonischen Dingen erstaunlich Rebirth of Monumentality; in: Architect, Jan. risikoscheuen Landes. Es gibt keine Projekte, die etwa spielerisch 2011, S. 116 das Thema der historischen Fassade und des Ornaments aufgreifen, wie dies etwa Edouard François beim Pariser Hotel Fouquet vorexerziert hat. Trotz des Primats von Einfachheit und Reduktion entstehen in Deutschland kaum Projekte, die es mit dem ›Minimalismus‹ schweizerischer oder auch spanischer Prägung aufnehmen könnten. Stattdessen gibt es eine Reihe von Bauvorhaben, die sich an einem wie auch immer gearteten Klassizismus RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


87 oder an einer nicht mehr gar so neuen ›Neuen Sachlichkeit‹ orientieren. Man beruft sich auf Vorhandenes und Bekanntes; Tradition aber, so das bekannte Diktum Gustav Mahlers, bedeutet nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen des Feuers. Wo ist also die Innovationskraft, die Deutschland im industriellen Bereich so kompetitiv macht? Und – auf die Kultur umgemünzt – wo sind die Ansätze, die mit architektonischen Topoi derart umgehen, dass sie diese neu thematisieren? Denn in dieser Hinsicht ließe sich – mit aller gebotenen Vorsicht – von einer Architektur sprechen, die auch Identität stiftet: Gebäude, die einen kulturellen Beitrag leisten, weil sie eine Form von fachlichem oder öffentlichem Diskurs entfachen, der auch ein Bewusstsein dafür schafft, was in der Architektur möglich ist. Dieser Prozess kann, Es geht um eine wenn Traditionsbewusstsein ein Thema ist, auf ein Gebäude wie das Loos-Haus in Wien hinauslaufen, das der Habsburger- Form von Wissen, Residenz eine kahle Fassade mit dem Argument entgegensetzte, die Geschichte an sensibler Stelle ein ortsspezifisches und traditionsbewusstes Wiener Bürgerhaus errichtet zu haben.22 Der ehemalige Standort nicht als Archiv, des Berliner Palasts der Republik – ein geschichtsträchtiger Ort in einer geschichtsträchtigen Stadt – böte eine Chance, Tradition sondern als neu zu interpretieren, anstatt sie zu petrifizieren. Um das ehrgei- Werkzeug zige Ziel eines ›Centre Pompidou des 21. Jahrhunderts‹ zu erfüllen, müsste vorab der aktuelle Stellenwert von Wissenschafts- und begreift. Kulturvermittlung diskutiert und eine entsprechende architek- 22 Adolf Loos: Zwei Aufsätze und eine Zutonische Form gesucht werden.23 Welches Gebäude auch immer schrift über das Haus auf dem Michaelerplatz an diesem Standort errichtet wird: es steht als Symbol dafür, wem (1910); in: Ders.: Trotzdem; Wien, 1982, S. 108–115, hier S. 114f. die Stadt gehört. 23 Niklas Maak: Humboldt-Forum: Eine Debatte zum Stellenwert avantgardistischer Architektur DasVgl.Berliner Schloss in Nöten; FAZ.net, lässt sich leicht in eine Debatte über die Bedeutung und den Wert 01.07.2009. (http://www.faz.net/s/RubCF3Avon Bildung ummünzen, bedenkt man, dass ›Bildungsarmut‹ EB154CE64960822FA5429A182360/Doc~ E7495536356014479BF2808DD7AD11C fast zwangsläufig in sozialem Abstieg mündet. Der Wertverlust 9F~ATpl~Ecommon~Scontent.html – Zugr. von Bildung hat mitunter damit zu tun, dass ihr operationaler 02.03.2011). 24 Vgl. John Berger u. a. (Hg.): Ways of seeing; Charakter nicht jene Bedeutung erhält, die ihm zukommen sollte: London et al., 1972, S. 11 Bildung, viel zu oft primär als Distinktionsmerkmal gesehen, ist auch ein Mittel der Ermächtigung. Operationales Wissen ist auch das, was die architektonische Disziplin zu mehr befähigt als zur sachgemäßen Erledigung von Bauaufgaben. Es ist das, was die architektonische Ausbildung erst zu einer akademischen Disziplin macht; zu einer reflexiven und selbstkritischen Disziplin, die ihre Grenzen begreift und fähig ist, diese zu erweitern. Dazu gehört auch jene »kritische Unterscheidungsfähigkeit«, die Zweig sich so spielerisch aneignete. Wenn im komplexen und gewachsenen Bestand Europas ›weitergebaut‹ werden soll, dann ist historisches Bewusstsein unabdingbar. Dies kann jedoch nicht bedeuten, zu reinen Sachwaltern eines kulturellen Erbes zu werden, sondern vielmehr, daraus das Potential für Neues zu schöpfen. Einrichtungen wie das Humboldt-Forum tragen in der gegenwärtigen Form dazu bei, einen künstlichen Abstand zur Kultur zu schaffen, diese zu mystifizieren und dem aktualisierenden Zugriff der Gegenwart zu entziehen – so zumindest die Einschätzung John Bergers, der in Ways of Seeing dafür argumentiert, dass die klassische Malerei jene darstellerischen Konventionen geprägt hat, auf die heute die Werbung und die Massenmedien zurückgreifen.24 Damit vergleichbar betrachtet Douglas Graf die Architekturgeschichte dezidiert ahistorisch und zeigt, wie anhand eines relativ restringierten Grundvokabulars sehr unterschiedliche Lösungen geschaffen werden können. So zeigt er z. B., dass die beiden Pylone, Kris tian Fas c hingeder - Es s ay


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die bei einem ägyptischen Tempel eine charakteristische Eingangssituation bilden, ein zentrales Motiv der Fassade von Venturis Haus für seine Mutter bilden. Dessen modulare Transformationen bilden wiederum eine Art Narrativ, das Parallelen mit jener Strategie aufweist, die Le Corbusier an 25 Vgl. Douglas Graf: Form’s fallow Function, in: Architecture In The Age Of Empire / Die der Fassade der Villa Besnus vollzogen hat. Es geht also nicht um Architektur der neuen Weltordnung, hg. v. historische oder stilistische Kategorisierungen, sondern darum, d. Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur, Bauhaus-Universität wie sich mittels formaler Operationen stringente Grundrisse und Weimar, Weimar, 2011, S. 174–199, hier S. Fassaden produzieren lassen.25 Graf propagiert damit eine Form 182–186 von Wissen, die Geschichte nicht als Archiv, sondern als Werkzeug begreift. Ein solches Wissen ermöglicht Architekten nicht nur zu verstehen, was manche Bauten zu Meisterwerken macht, sondern gibt ihnen auch die Möglichkeit in die Hand, selbst welche zu schaffen. Inwiefern solche außerhalb formaler Strategien möglich sind und über die Belange der Architektur hinausgehen können, bleibt zu hinterfragen.

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– le corbusier –

Le Corbusier – der Apostel der Moderne. Vers une Architecture ist sein Evangelium. Das Traktat formuliert den radikalen Bruch mit der eklektizistischen Baukunst und den Stildebatten des frühen 20. Jahrhunderts. Getrieben von der rationalen Logik des Fortschritts, erörtert Corbusier in schlagkräftigen Thesen und provokanten Bildvergleichen den unbedingten Kurs, den die Baukunst nur durch ökonomische Vernunft im Stande ist zu beschreiten. Der Ingenieur wird zum Leitbild erkoren, beflügelt in seiner schöpferischen Leistung durch die kompromisslose Adaption an die rasante technische Entwicklung und die industrielle Fertigung. Maschinen, Autos, Flugzeuge, Schiffe bieten die Vorlagen für eine Schaffung von „Typen“ und „Standards“ in der Architektur. Durch Vers une Architecture wird das Haus zum Produkt, der Mensch zum Nutzer und Architektur zur Lösung für Alles gemacht. DB

Le Corbusier – the apostle of Modernism. Vers une Architecture is his gospel. The treatise, a pamphlet that brings the author overnight success, provokes the radical diremption within the “style debates” of the early 20th century. Driven by the rational logic of progress, Corbusier elaborates with his punchy theses and daring image comparisons the necessary path towards an upcoming architecture. The engineer, guided by his persistent adaption to the rapid changes of technical development and industrial fabrication, becomes the model for the architect – machines, cars, airplanes and ocean liners the basis for the construction of “building types” and “standards”. Vers une Architecture turns the house into a product, the inhabitants into users and architecture into the solution for everything. DB

– Vers une Architecture, 1923 –


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Die Idee des Kollektivs Dogma erinnert an die großen Visionen vergangen geglaubter Zeiten: Eine Stadt für 500.000 Einwohner, konzentriert in acht Hochhausscheiben, die sich entlang der dreieinhalb Kilometer messenden Kanten eines Quadrats gruppieren.1 Während der Titel des Entwurfs, Stop-City, auf das konstituierende Projekt der italienischen Gruppe Archizoom, die NoStop-City, 2 deutet, scheinen die Grafiken, die Pier Vittorio Aureli und Martino Tattara dazu anfertigten, auf eine noch weiter zurückliegende Zeit zu verweisen. Die Luftaufnahme, die sich bei genauerer 1 Pier Vittorio Aureli und Martino Tattara: as Framework: The Project of Betrachtung als Collage entpuppt, ruft Le Corbusiers Plan einer Architecture the City and the Crisis of Neoliberalism; in: Ville Contemporaine 3 für drei Millionen Einwohner in Erinnerung, New Geographies, Nr. 1, 2009, S. 39-51 auch: Pier Vittorio Aureli: More and More wie auch der Kern des Projekts – eine Planstadt – an Ideen des Vgl. About Less and Less: Notes Toward a History Großmeisters der Moderne denken lässt. Die Collage selbst, die of Nonfigurative Architecture; in: Log, Nr. 16, sich als aus repetierten Versatzstücken zusammengesetzt präsen- 2009, S. 7-18 2 Archizoom Associati: Residential Parkings. tiert, zeigt einen quadratischen Wald, die umgebende Landschaft Climatic universal System; in: Domus, Nr. 496, und die an dessen Kanten platzierten Baukörper – und zeigt sie 1971, S. 49-55 doch nicht. Was zunächst selbstverständlich als Hochhausscheibe 3 Le Corbusier (1887-1965) stellte den Plan Ville Contemporaine erstmals 1922 auf erscheint, ist eigentlich kaum mehr als perspektivisch verzerr- der dem Pariser Salon d’Automne vor. Die Ideen ter Weißraum. Die Gebäude selbst sind ausgespart. Diese, wie der funktionalen Zonierung der Stadt, wie 1933 auf dem 4. Congrès International die wiederholenden Landflecken verdeutlichen, dass es sich hier sie d’Architecture Moderne (CIAM) diskutiert nicht um die Darstellung eines Projekts im Sinne eines Entwurfs wurden, finden sich bereits hier. handelt. Die Abbildung verweist vielmehr auf etwas außerhalb des 4 Ludwig Hilbersheimer (1885-1967) war Architekt, Theoretiker und Autor. 1926 gehörter eigentlich Dargestellten. er zu den Gründern der ArchitektenvereiniDie historische Entwicklungslinie, in die Aureli und Tattara sich gung Der Ring, ab 1929 lehrte er am Bauhaus Dessau. Das Projekt einer vertikal organisiselbst stellen, reicht von Archizooms No-Stop-City über Ludwig in erten Hochhausstadt stellt sich als Alternative 4 Hilbersheimers Groszstadtarchitektur der 1920er Jahre bis zu zur horizontalen Organisation der Stadtvision Ildefons Cerdàs Stadterweiterung für das Barcelona des 19. Jahr- beispielsweise Le Corbusiers dar. 5 Ildefons Cerdà (1815-1876) plante um hunderts.5 Cerdàs Planung hatte nicht die Form eines architek- 1859 die Eixampel genannte Stadterweiterung tonischen Entwurfs, sondern eines abstrakteren Schemas, das Barcelonas. Ein von zwei Diagonalen durchzoorthogonales Straßenraster bildet den ohne die formale Gestaltung von Gebäuden auskommt. Ebenso ist genes Grundstock der, vor allem durch quadratische Hilbersheimers Projekt einer Hochhausstadt (1924-30) weniger Häuserblocks mit abgeschrägten Ecken Morphologie des Stadtbezirks. Planung als grundsätzliche Überlegung zur räumlichen Organi- geprägten, Cerdàs Planungen waren, ähnlich denen sation einer Stadt; jenseits architektonischer Gestaltung. Archi- Baron Haussmanns in Paris, in erster Linie Reaktion auf die mitunter katastrophazooms No-Stop-City hingegen ist in erster Linie als die räumliche eine len hygienischen Bedingungen zeitgenösÜbersetzung eines Gesellschaftssystems zu verstehen. Indem die sischer Wohnviertel.


90 Morphologie der Stadt dem Funktionieren der Gesellschaft entspricht, werden deren grundlegende Bedingungen offenbart. Die No-Stop-City zeigt sich als ein isotroper Raum mit in gleichmäßigem Abstand positionierten Stützen, Vertikalerschließungen, technischen Installationen, Betten, Tischen und dergleichen. Die hier willkürlich ausgewählte Abbildung erscheint als ein wiederum ebenso willkürlich begrenzter Ausschnitt einer Weite ohne Ende oder Ziel. Diese ›Stadt‹ ist ein endloser, vollständig künstlich belichteter und klimatisierter Innenraum. Ebenso wie das Raster der vordefinierten Elemente hier die aderförmigen Verästelungen eines Flusses ignoriert, überzöge es jede topographische Gegebenheit in gleichförmiger Sturheit. Indem die räumlichen Strukturen der Stadt nun den Funktionsweisen der Gesellschaft entsprechend gestaltet sind, wird die Metropole vom Ort (place) zur Bedingung (condition), mit Fabrik und Supermarkt als ihren räumlichen Prototypen. Die Stadt repräsentiert das gesellschaftliche System nicht mehr nur, sondern wird selbst zum System. Ideologische Gesellschaftskonflikte wurden nach Überzeugung der Archizoom-Architekten obsolet. Sie erwarteten das Auftreten von Konflikten in Zukunft nur mehr in der »dialektischen Aushandlung« quantitativer Verhältnisse zwischen den Klassen, weshalb die einzig mögliche Utopie demzufolge eine quantitative sei: unbegrenztes Wachstum.6 Es ist dieser Punkt, an dem die Stop-City mit ihrer Tradition bricht. Vom regelmäßigen Straßenraster Cerdàs über Hilbersheimers Hochhausstadt bis zum isotropen Raum der No-Stop-City: allen ist die potentielle Endlosigkeit ihrer grundlegenden Konzeption gemein. Dem stellen DOGMA die räumliche Determiniertheit ihrer Stadtvision entgegen. Während ihre formale Sprache deutlich den genannten historischen Vorbildern entspricht, begeben sie sich gleichzeitig in fundamentale Opposition gegenüber deren Stadtauffassungen. Indem sie den »residential-woods« Archizooms einen tatsächlichen, ›wirklichen‹ Wald im Zentrum ihrer Stop-City gegenüberstellen, führen sie die Möglichkeit eines Limits, einer Grenze und somit einer Endlichkeit potentiellen bebau6 Vgl. Archizoom Associati, s. Anm. 2. baren Raumes ein. Im Wald, den die Architekten ein »vegetatives 7 Hypostyl bezeichnet in der antiken, Hypostyl«7 nennen, sehen sie gleichzeitig die eigentliche Form der vor allem ägyptischen Architektur, Stadt. Die Gebäude grenzten diesen Bereich lediglich ein. Man eine Säulenhalle. mag sich an Martin Heidegger erinnert fühlen, der in seinem 1951 8 Vgl. Martin Heidegger: Bauen Wohnen Denken; in: Mensch und Raum. Das Darmstädter in Darmstadt gehaltenen Vortrag Bauen, Wohnen, Denken erklärte: Gespräch 1951; Neuausg., Braunschweig 1991, »Die Grenze ist nicht das, wobei etwas aufhört, sondern […] die S. 88-102 Grenze ist jenes, von woher etwas sein Wesen beginnt. […] Raum ist wesenhaft das Eingeräumte, in seine Grenzen Eingelassene.«8 Raum entsteht nach Heidegger erst durch (Ein-)Grenzen in Form von Dingen, die durch das Schaffen eines Ortes den Raum einräumten. Dinge seien sowohl ursprüngliche, gewachsene und im ihrem Wesen belassene Dinge, als auch errichtete Dinge. Heidegger nimmt eine Brücke zum Beispiel eines errichteten Dinges: Erst durch das Bauen einer Brücke träten die Ufer eines Flusses als solche in Erscheinung; erst so werde die Stelle zum Ort. Der Ort wiederum sei als Bezugspunkt Voraussetzung eines Raumes, den er zwischen sich und einem in bestimmter Entfernung befindlichen Platz aufspanne. Diesen von einem Ort eingeräumten Zwischenraum (spatium) unterscheidet er vom rein geometrischen Raum (extensio). Letzterer sei pure Ausdehnung und enthalte weder Orte noch Plätze, die letztlich über das Wesen des Raumes entschieden, sondern sei reiner, mathematisch messbarer Raum. Der von einem Ort eingeräumte Raum umfasst im Gegensatz dazu sowohl den Raum als Zwischenraum, als auch den Raum als mathematische (und messbare) Ausdehnung. Stop-City kann vor diesem Hintergrund auch als ein Versuch der Reetablierung des spatiums gegenüber einer RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


91 Wirklichkeit gewordenen extensio Archizooms gelesen werden. Aber indem DOGMA die Projektion Archizooms als »treffende und sarkastische Analyse« unserer heutigen Realität erkennen, geht die Kritik notwendigerweise darüber hinaus: Wenn die Stadt das System ist, ist Kritik an ihr zwangsläufig Kritik am System. Folgt man Aureli und Tattara, hat die Ausbildung der post-fordistischen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten die Stadt zur ›Fabrik‹ unserer Zeit und deren Bewohner zur neuen ›Arbeiterklasse‹ gemacht. Gleichzeitig findet die ›Produktion‹ innerhalb dieser Fabrik jedoch tatsächlich nicht mehr ausschließlich innerhalb klassischer Arbeitssituation sondern einer Vielzahl sozialer Aktivitäten und Beziehungen statt. Dass der Mensch nun jedoch – um es grob zu vereinfachen – nicht mehr entweder arbeitet oder nicht arbeitet, hat eine extreme Multiplikation sozialer Identitäten und Subjektivitäten zur Folge. Diese 9 Vgl. Oxford Advanced Learner’s Dictionary, Vielzahl werde – so Aureli und Tattara – gemeinhin als Triumph 5. Auflage 1995, S. 277: »cus·tom·ize, -ise […] der Vielfalt gefeiert. Man dürfe jedoch nicht verschweigen, dass to make or alter sth according to the buyer’s or owner’s wishes.« – Der Begriff ließe sich das Eindringen der Produktion, also der Arbeit, in praktisch alle am ehesten mit ›individualisieren‹ übersetzen, sozialen Beziehungen auch zunehmende Beliebigkeit, Entwur- gemeint ist hier aber vor allem die Modifizierung von Gegenständen innerhalb eines zelung und Entfremdung (»increasing generic, uprootedness and bestimmten Rahmens; bspw. das Auswählen abstraction«) zur Folge habe. Stadttheorien, die diese Tatsache einer ›inviduellen‹, d.h. einer von bestimmten, zur Auswahl gestellten, Farben beim Kauf übersähen, zeigten die Stadt als Ort »wertfreier Verdichtung, eines Ipods. Freizeit, Spektakel und Konsum« (»value-free congestion, leisure, 10 Dennis L. Meadows, Donnella Meadows, spectacle, and consuption«). In der Tat erscheint das Ideal des Indi- Erich P. Milling: Die Grenzen des Wachstums: Bericht des Club of Rome zur Lage der viduellen unserer Tage in der Realität nur zu oft als eine allgemeine Menschheit; Dt. von Hans-Dieter Heck, 9 Art ›customized‹ Gleichförmigkeit. Gleichwohl bemüht sich vom Stuttgart, 1972. – Die Publikation enthält die Ergebnisse einer unter Leitung des ÖkoIndividuum bis zur Nation alles und jeder um Alleinstellungsmerk- nomen Dennis L. Meadows am MIT erstellten male zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Die im Studie zu den Grenzen des Wachstums der Weltwirtschaft. Die Arbeit ist in der Folge Falle der Stadt bzw. Städte als vermeintliches Erfordernis eines stark diskutiert und bisweilen scharf kritisiert individuellen ›brandings‹ errichteten ikonischen Architekturen worden. Spätere Aktualisierungen, weitere Untersuchen sowie Überprüfungen der 1972 und architektonischen Ikonen aber erscheinen nicht oder nur publizierten Thesen bestätigen diese jedoch. kaum mehr als Orte in dem Sinne, dass sie Bezugspunkt eines Zwi- Vgl. auch: Graham Turner: A Comparison of The Limits to Growth with Thirty Years of schenraums wären; sie markieren allein Stellen einer endlos aus- Reality, in: Socio-Economics and the Environgedehnten extensio. Das Wesen des Raums aber wird, wie bereits ment in Discussion, Nr. 19, 2008, (http://www. csiro.au/files/files/plje.pdf, aufgerufen am 2. erwähnt, durch den ihn einräumenden Ort und die ihn begrenzen- März 2011) den Dinge geprägt. Neben, oder sogar vor den errichteten, gebauten Dinge – wie der Brücke – unterscheidet Heidegger die in ihrem Wesen belassenen »wachstümlichen« Dinge. Das Errichten steht für ihn in dialektischer Verbindung zur Pflege, zum Schonen der wachstümlichen Dinge. Nur Dinge, die nicht von sich aus wüchsen, gelte es eigens zu errichten. Im ›urban sprawl‹ der wuchernden Dinge markiert der einzelne Bau keine Grenze und keinen Ort mehr, verändert darüber hinaus gar das Wesen der wachstümlichen Dinge, der »wachstümlichen« Topographie. Indem Heidegger nun die etymologische Identität von Bauen und Wohnen mit dem Sein aufzeigt, verdeutlicht er die Bedeutung, die das Errichten von Dingen, das Bauen für den Raum hat, in dem wir sind. Die vom Club of Rome vor knapp 40 Jahren begonnen Diskussion der Grenzen des Wachstums ist so heute nur dringender geworden.10 Die allgemeine Anerkennung ihrer Notwendigkeit scheint zuzunehmen, das Bewusstsein dafür, wie grundlegend, wie radikal diese Auseinandersetzung sein muss hingegen nicht. Die Aussparung der Dinge, der Bauten mit denen Aureli und Tattara in ihrer Stadt den Ort markieren, ihr einen Raum einräumen, fokussiert im Gegensatz dazu auf das Grundsätzliche. Hier geht es nicht um die Erfindung einer neuen architektonischen Form, eines neuen Stils, nicht um eine neue Art zu konstruieren sondern Sim on Sc heithau er - Es s ay


92 um die Diskussion einer anderen Art zu bauen, zu wohnen, zu sein. Heidegger sagte, die Sterblichen wohnten, indem sie die Erde retteten, indem sie die wachstümlichen Dinge schonten. Dieses Retten jedoch sei mehr als sie auszunutzen oder gar abzumühen: »Das Retten der Erde meistert die Erde nicht und macht sich die Erde nicht untertan, von wo es nur ein Schritt ist zur schrankenlosen Ausbeutung.« Die letzten sechzig Jahre haben uns mehr als nur einen Schritt ›vorangebracht‹. Die existenziellen Probleme, vor denen wir heute stehen, kann Architektur (allein) selbstverständlich nicht lösen. Als a priori generalistische Disziplin kommt ihr mit besonderen Möglichkeiten gleichwohl 11 Das öknomische Leitbild des Laissez-faire eine besondere Pflicht zu. (franz. »lasst machen«) bezeichnet ein marktwirtschaftliches System mit einem Kritik am Zustand der Stadt ist Kritik am System, neue archiMinimum an staatlicher Intervention. tektonische Visionen sind Visionen einer neuen Gesellschaft. Das Prinzip des informellen Urbanismus geht von einem vergleichbaren, auf die Dabei geht es nicht um eine Renaissance des totalen Entwurfs oder positiven Ergebnisse eines dynamischen, Städtebau auf dem Reißbrett, nicht um ein Begreifen der Stadt nur durch einzelne Maßnahmen beeinflussten Prozesses aus. als Tabula Rasa oder ›den‹ Plan als der Weisheit letzten Schluss. 12 vgl. Elia Zenghelis: The "immeubleSehr wohl aber aber geht es um eine Abkehr vom Laissez-faire cité". a strategy for architecture; in: 3rd des informellen Urbanismus wie der neoliberalen WachstumsInternational Architecture Biennale Rotterdam: Power Notes #06 (http://www.iabr.nl/2007/ dogmatik im Allgemeinen.11 Die Stop-City ist in den offenen PowerNotes_06/top/140. abgerufen am 6. Strukturen der immeubles cités12 flexibel, in ihrer Gesamtheit aber April 2011) dennoch begrenzt. Ohne die Realität der heutigen Gesellschaft zu negieren, führt sie die Notwendigkeit und die Möglichkeit (!) eines Regulativs, einer vordefinierten Grenze des Wachstums ein. Der Diskurs wird so auf eine grundlegende Ebene zurückgeführt, während die Praxis sich größtenteils noch mit reinen Oberflächlichkeiten befasst. Energieeinsparverordnungen, Photovoltaik-Fassaden, Wärmepumpen und dergleichen sind vor einem Hintergrund immensen Flächenverbrauchs, riesiger infrastruktureller Netze und endloser Vorstädte letzten Endes eine Farce, reine Symptombekämpfung. Die Dialektik von Bauen und Sein aber fordert eine grundlegende Diskussion darüber wie wir wohnen – über die Architektur hinaus und bis in die Architektur hinein. In der Auseinandersetzung ist es Aufgabe der Architekten durch Vorschläge im Bauen Alternativen für das Sein aufzuzeigen. Mit Heidegger: »Sie vollbringen dies, wenn sie aus dem Wohnen bauen und für das Wohnen denken«.

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Abb. 1: Ausschnit der »Residential-Woods«-Ebene, No-Stop-City, Archizoom Associati in: Domus, Nr. 49, 1971, S. 54

Abb. 2: Luftaufnahme (Photomontage), Stop-City, Dogma. in: New Geographies, Nr. 1, 2009, S.48

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david van severen office kgdvs Of Positive Pollution and the Power of REstraint

David Bauer and Michael Kraus in conversation with David van Severen, Weimar, January 25, 2011


96 David, when we met at the Biennale last year, you and Kersten explained the initial intentions of the Garden Pavilion you recently reactivated at the back of the Arsenale. Actually it has three titles. We call it Garden Pavilion and Seven Rooms or 21 Perspectives. You described it as an experiment, in order to explore what it needs to turn a building into a piece of architecture. This of course evokes the question where you draw the line between building and architecture – or rather: how would you define architecture? Take a look at the Van de Velde building here in Weimar, for instance: Today, I saw it for the first time and immediately felt the generosity of its spaces and the amount of care and devotion that was used to plan these rooms. The huge ateliers, the immense roof lights – from far away the building looks like a very banal, mediocre building. But when you come closer, you suddenly see the true amount of care that has been applied to the actual spatial elements. I think that’s what architecture is about at its core. One can see a very clear and explicit idea of what this space should provide, why it is like that and furthermore why it is not different. So when a building is able to disclose its initial intentions, then it is architecture? If it is able to explain itself in one sentence or let us put it briefly: through its space – then I think it is architecture indeed. Therefore the goal is to create a space that communicates itself. For example, what we did with the Garden Pavilion at the Biennale was essentially not necessary. The building was given and we were asked to make an exhibition in it. There was neither a lot of time, nor a precise demand note given to us by the curators. What we tried to do apart from the exhibition was to turn this hidden and ruinous army storage building at the end of the Arsenale into a substantial part of the area.

After the Party: The Belgian pavilion at the 11th International Architecture Exhibition Venice © BAS PRINCEN

Visually as well as spatially, and in this way we turned it into a piece of architecture. To give you an impression of our ideas at that time, let me draw a parallel to the Belgian Pavilion we designed two years before. Initially, we asked ourselves if there was still enough room for architecture within the context of the Biennale. This of course is a strange question, since the Biennale should be about architecture in the first place. We were seriously puzzled by that thought, because a lot of contemporary architecture is about representation and not about the space itself. So we wondered where and foremost how we could really create a spatial experience. In the case of the Garden Pavilion – which seemed to be a very poisoned gift at first – this abandoned place finally turned out in our favour because there were already a lot of ingredients at hand. Hence, there had not necessarily much to be done to turn it into a piece of architecture that could be read as such. I can and will not give you a precise explanation of what architecture is because this is almost a metaphysical question. All I can say is what Kersten and I are interested in about architecture: Our work is about scale, it is about space, about its measurements, about generosity more than just about a functional approach.

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97 Adding something – or modifying the existing – rather than introducing the completely new, appears to be part of your method. The recently finished XPO site seems to be another good example for this. In that sense you are not opposing the existing but rather taking parts from it, commenting on it and therefore adding value to it or pinpoint its inherent potentials. Could one generalize your methods in this way? I think you are right in the sense that our projects are often misunderstood as being very hermetic, de-contextualized or even abstract. Our actual concern lies within the idea of the abstract; in bringing back to sight what is underlying and provoking a hidden conflict. So you could name it positive pollution or ›Frame a Content‹. This terminology is interesting because it suggests that by definition there is a confrontation of »what you make« with »what there is«. All of the architectures we make – no matter whether built or paper-projects – they all deal with the idea of having a certain context on the one hand – surrounding or infill – and its opposite on the other, which is the architecture. How they relate is essentially what the projects are about and the Garden Pavilion illustrates this quite well. We did the exposition together with Bas Princen. Kersten and I really admire him for being able to capture almost everything I just tried to explain instantaneously in one single picture. What you can see in the pictures he took of the Garden Pavilion is basically nature being cut away. The question turns out to be: when can architecture be (only) a collage, when can it be (only) an image, when can it be reduced to a set of intentions on how space could perform. That is what lies in a lot of our projects. Although your work gives the impression of a formally very understated and contemplative visual communication, these collages are very polarizing in a world dominated by eye-pleasing renderings. Like young Koolhaas, who was more inclined by Russian Constructivism than by the then much hipper Situationist movement or the Archigram and Architettura Radicale generation, you seem to work against all the trends right now and retreat to a visually quite conservative position. I would not want to be compared to young Koolhaas but what I think is impressive about him is that he made a lot of thoughts with very simple means. I mean, Archigram constructed new worlds out of great and new inventions as well as science fiction. The new worlds Koolhaas created on the other hand were constructed out of existing elements. He was able to make a project of architecture without reinventing the whole world. He understands the dose of reality that the dream of a

project needs very well. But to come back to your question, I would say that our imagery is not against anything. The question should rather be: What do you want? I would like to say I am FOR something because it is really not a reaction against the way of visualization today. Sure we do not like all these renderings because they do not show a difference between projection and reality. In our practice, we try to work with the idea of the restraint: how to make an image? In photography one also chooses a frame, chooses what to show, chooses what to abandon. To make a very contrasting comparison: compare Bas Princen’s way of photography to any random guy with a digital camera, shooting a thousand snapshots of

If it is able to explain itself in one sentence, or through its space — then I think it is architecture indeed. everything around him. In my opinion these random shots do not choose to show anything specific and are more of a documentation you could say. Bas’ pictures on the other hand are about constructing a reality that is not necessarily there. He takes pictures of reality, deletes things from it, adds things to it and then frames it. All these decisions finally generate the space in his images. We construct our collages pretty much David van Severen - Inter view


98 the same way. We compose an image out of our intentions. With a limited set of tools we work towards the product – because the final goal is always the product – not necessarily towards the particular explanation of the project. But the ›limited set of tools‹ you are talking about is not limited per se, but rather a decision made in favour of self-restriction, isn’t it? Why do you think one should limit oneself to THESE particular tools and not to others? What I find kind of funny in retrospect is that our buildings – since we realized a few – look pretty much like the collages we have made of them in the beginning. More than any rendering

What the projects are about is how architecture relates to its context and vice versa. would before its realization. So in a way there is something more realistic in opening the image up for interpretation. In that sense, a precise amount of collages – not thousands but three or four – work very well for a project. What we do with it is almost storytelling. And the story, the idea and the interpretations behind it are just as important as the appearance of the final result. In a way, any form of architecture is a cultural product, whether it is wanted or claimed (or not) and there is a responsibility within that notion. Therefore you have to choose the methods you will use to deal with the

things you want to be busy with, and secondly to use these methods to go further and further to make architecture. This must not be misunderstood in the sense that it would only limit the projects. We do believe though, that there is not so much freedom. As an architect, you have a set of quite restricted tools. Even though we evolved into a computer-age era of design, these tools stay the same. We therefore try to communicate them through the perspective, the plan, the model or the text. A good example would be a project we did for the Rotterdam Biennale in the context of »Hidden Cities«. The project Cité de Réfuge deals with the city of Ceuta. It is quite hidden in a literal sense because it is actually a part of Europe glued to the African continent. The city was built on the rock opposite to Gibraltar, where it forms an exclave of Spain. Two years ago the site became quite well-known because of the violent riots – although there where riots since the Middle Ages due to its strategic military value. Where once used to be the Mediterranean World, is now Europe and Africa. These two worlds have become much polarised and fortress Europe has built a fence around itself, which materialises in a double razor-wire fence guarded by armed patrols day and night. Together with Bas and the political-philosopher Lieven De Cauter we went there to witness the harsh situation. The border is immense and comparable to the TexanMexican border. Because border areas have their own intrinsic logic, we decided not to search for a solution of an almost unsolvable political issue. The proposal left Ceuta untouched and defined another project exactly on the border. But we confined ourselves very much to collages and plans and also a text – basically to the tools an architect has in his hands. Funnily enough: just by making an architectural project in that area, you could pinpoint the political situation. It seemed obvious that even though one could design a project that is not more expensive than the entire sum invested to build the fortification, it would never be built. This was paper architecture per definition, but without showing the harsh situation of refugees trying to climb the fence. There are a lot of possibilities to expose something without actually showing it. So the tools are not political per se but you use them to identify political issues? The Tex-Mex border proposal you did, illustrates the ethical dimensions even better I would say. Architecture is per definition also political – but we really try not to put any political weight into it. Of course we have a responsibility but that is very personal

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A Grammar for the City: A new city for 500.000 inhabitants in South Corea © OFFICE KGDVS

and I would not like to get this mixed up with the work. More than being political, the work tends to look at situations where one can still make architecture with the things to be found. I mean, a border is a very interesting example because there is this absurd notion of the no man’s land or the neutral territory in between two countries. It is politically defined but also spatially. Gordon Matta-Clark once made a beautiful work called Fake-Estate on the leftover spaces between real-estate developments in New York. If you look at the map of New York, there are all these thin edges between the buildings, fire lanes which belong to nobody, almost like the no man’s land between two countries. Matta-Clark started to buy these pieces of land which were useless. And simply by buying them he suddenly made them visible and described them in a document. On a border you have a similar situation and we asked the question whether one could make a real space out of it. Both projects deal with that and actually they still tell more about architecture and where to find it these days than about politics. Considering the DOGMA/OFFICE project you did in collaboration with Pier Vittorio Aureli and Martino Tattara – A Grammar for the City – one wonders about the possibility to communicate your ideas just by collages and perspectives. Is the project also just about showing

the hidden potentials of space – paper architecture in that way – or is it rather a real proposal for a master plan? No, the plan for the new South-Korean capital is indeed a real proposal. What we actually try is NOT to explain what is obvious. It should be understood in the way you or any other spectator understands the project in his own way. The funny thing is that in our almost naïve way of thinking we tried to present something really radical and at the end we were understood as really realistic in Korea – and that is why we won. The building typology we projected was almost the same typology they use to expand their cities right now. In South Korea, areas for 20.000 people are built in a day. The typology consists of blocks of 10 to 12 floors of height, just put into an empty plot of land. All we did was to rearrange these blocks to finally make a city out of them. The strange thing is that within the margins of the absurd idea of building a whole city, there is still a David van Severen - Inter view


100 kind of reality to it. Within the margins of today’s society one can still make proposals that are not at all cynical or theoretical but that are thoughts on how one could also do it. Haussmann for example made, on the one hand, quite radical decisions in city planning but, on the other hand, one has to admit that he really understood how to design a good city, too.

There are a lot of possibilities to expose something without actually showing it. But especially this project seems to have a very theoretical imprint and could be read as a blueprint for a further development of the city. It looks like its grid could be endlessly extended and applied like the Roman limitatio or the Jeffersonian grid in America. Well, I would disagree on that. It is only expandable inside itself. The whole city is planned as a form that is not extendable at all. This is the whole point of the project because it is a major counterpoint to city development nowadays. Of course there are relations, to Ildefons Cerdà for example. But our proposal differs from its predecessors in the point that where the streets used to be, are now the buildings and vice versa. We call it the infill – the »city rooms« – and the actual buildings become the city walls. You can talk about the city in basic architectural words and they also make you understand it as a house.

Does this not limit your idea of the City to one significant interpretation? It is a grid and I think it is inherent to a grid that it could be easily extended. How does that go along with your statement that every interpretation of the spectator is valuable and a benefit to the proposal itself? How does that openness to all possible interpretations affect your designing process? Is it even possible to plan openness like that? Any project should be able to have that capacity. Of course it cannot be limited to the interpretation of the creator. When you finally give it to the audience, most of your influence is gone and the project is open to confrontation. I do think that there are basic ideas that are clear and can be understood by almost everyone. I will illustrate that on the Grammar for the City project. This grid – which you claim is endlessly expandable – is surrounded by a rigid setting of mountains. It only fits in the valley with its river, nowhere else. These things are easy to perceive and no source for interpretation. What we suggest with that projection within the collages we made for it, is an idea of the spatial quality or the phenomenological effect of such a city. By removing from the collages exactly what we are designing – the buildings – it is almost like what John Anthony Baldessari did with his series of works called Two Crowds (with Shape of Reason Missing): he cuts out the subject of the picture, the reason for the people to form a crowd, and suddenly other things come into the foreground, which would not get any prominence in the first place. In our case, the architecture itself becomes the background and is reduced to being the walls of the »city rooms«. The infill then becomes essential to the project, without defining it! That is exactly how I would see that openness to interpretation. By walking through the rooms, the spectator perceives totally different interiors. It is almost like a collapse of the bigger unit into the smaller unit – the bigger one being public space and the smaller one being your private apartment. You do not believe in a hierarchy of the city anymore? There is a hierarchy. Not in terms of periphery and centre but still there is one. The question of the competition was very precise: They wanted something different from present day Seoul. This is a perspicuous desire because today we are facing all these Asian cities, having a population of more than 20 million people and expanding every day. So how does one control, or rather, how does one deal with such an enormous mass of people? Our idea was to make another city, one that cannot be expanded all the time and is confined to half a million people. Of course, planning for half a million people is an absurd mathematical endeavour, but one

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10 1 Seven Rooms: An exhibition and garden pavilion at the 12th International Architecture Exhibition Venice Š Bas Princen


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Cité de Réfuge: A refugee city in the no-man’s-land between Ceuta and Tangier, Europe and Africa © OFFICE KGDVS

could assume that the average Asian apartment has 35 square meters plus a bit of infrastructure. Then you add the church or the concert hall and you can work out an approximate and

manageable sum. We then defined only 50 percent of this volume (which we expected) to provide a basic and vital structure for the city. The walls are limited because they have a certain height and a certain thickness – which made them not suitable for everything – so that bigger programs, by consequence, would not fit into them. These things become the »furniture« of the room which we did not define explicitly – just like in a house. Is that why seven rooms is called »half modernist, half something else« in your book? [laughs]. I never related the title of the text by Moritz Küng to that project, but it fits. What you see in Brasilia for example is 100 percent modernist, because in that case, the belief in defining the whole city as a formula for life was valued very high. The big problem of functionalist modernism is that it believes too hard in this formula. We believe in positive pollution. Life does not have a formula and can only occupy the space surrounding it, in its full exuberance.

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I am for messy vitality over obvious unity. I am for richness of meaning rather than clarity of meaning; for the implicit function as well as the explicit function. I prefer

to “either or�, black and white, and sometimes gray, to black or white.


– Robert Venturi –

Robert Venturis Traktat Complexity and Contradiction überführte als erstes wortgewandtes Manifest die aufkommenden Denkansätze postmoderner Philosophie, Literatur und Kunst in eine architektonische Theorie. Er formuliert eine fundamentale Gegenposition zur vorherrschenden Funktions- und Abstraktionsdoktrin modernistischer Architektur, die, so Venturi, ihre gewünschte Simplifizierung der Form nur durch eine Simplifizierung der Welt und ihrer Probleme erreichen konnte. Der Verzicht auf Mehrdeutigkeit, symbolische Repräsentanz und Kontextualität, wie ihn die „orthodoxe“ Moderne forcierte, habe zur Dichotomie von Architektur und ihrer Alltäglichkeit geführt. Venturi postuliert, dass, auch wenn es keine festen Regeln in der Architektur gibt, erst durch die Wahl eines Bezugssystems die Möglichkeit des Widerspruchs existiere, den es zu provozieren gilt und der das Gebäude zur Abbildung der Komplexität des „Ganzen“ macht. DB

Robert Venturi’s treatise Complexity and Contradiction was the first felicitous manifest that transferred the emerging thoughts of postmodern literature, philosophy and art into an architectural theory. Against the modernist doctrine of functionalism and abstraction within architecture, it postulates a fundamental contraposition, claiming that the simplification of the building could only be achieved by simplifying the world and its problems. The rejection of ambiguity, iconographic representation and contextualization has therefore provoked a radical separation of architecture and its users. Since Venturi sees no fixed rules in architecture, but only referential systems, it is important for the architect to break with these within the same building, in order to gain vitality, deeper meaning and appropriate representation of a complex whole. DB

– Complexity and Contradiction in Architecture, 1966 –


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Die Weltgeschichte der Moderne war bis vor kurzem die Geschichte der Unternehmungen. Sie bestand aus kühnen Storys, aus Projekten und Erzählungen. Und je nach Qualität der Erzählungen, konnte sie ganze Revolutionen heraufbeschwören. Große Utopien waren möglich. Erst wurden die Meere erobert, andere Kontinente, dann der gesamte Globus und anschließend 1 Vgl. das Vorhaben der 10. Architektur-Biins All aufgebrochen. Solche Revolutionen hatten stets den ennale von Venedig: Richard Burdett, Miguel Vorteil, dass ihr Zweck alle Mittel heiligte. Es waren immer Hel- Kanai: City Building in an Age of Global Urban Transformation; in: Cities Architecture dentaten und die Heroen hatten ihre Überzeugten, Anhänger, and Society, Katalog zur 10. Architektur-Biennale von Venedig, Venedig, 2006, S. 3 ff Gleichgeschalteten. 2 Das sichere Weltbild im Kopf und wahlweise Bibel, Manifest oder Gegen Ende des Mittelalters wurde u.a. begonnen, das Brachenjahr des einfachen Parteibuch in der Hand, wurde die Welt erobert. Komme was wolle. Dreifelderzyklus (erstes Jahr: Wintergetreide, Und bis heute scheinen wir die großen Erzähler zu brauchen, um zweites Jahr: Sommergetreide, drittes Jahr: Brache) durch eine weitere Anbauphase (erst für unsere Zukunft zu Felde zu ziehen. Wir glauben, dass die gro- Rüben, später Kartoffeln) zu ersetzen und den ßen Aufgaben nach großen Lösungen verlangen. Entweder folgen Ertrag somit deutlich zu steigern. 3 z.B. konnten bei der Waldhufenstruktur beliwir ihnen, berauscht von deren Verheißungen, oder wir freuen uns ebig viele Parzellen entlang dem Tal ergänzt an der Gewissheit, selber nichts ausrichten zu können. werden und dabei dennoch jede einzelne So erzählt uns Rem Koolhaas seit »Delirious New York« die große Parzelle nach Bedarf in die Länge wachsen. So konnten Berg- und Hügellandschaften urbar Geschichte der »metropolitanen« Kultur. Und in seinem Schatten gemacht werden. folgen Generationen von Architekten der Gewissheit, dass wir – wenn schon heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt – uns um die Städte, am Besten um die ganz Großen kümmern müssen1. Dann wird man schon alles richtig machen. Angesagt ist es allemal. Erde und Welt

Die spätmittelalterlichen Blütezeiten in Europa waren eng mit den Entwicklungen auf dem Land verbunden. Die Landwirtschaft wurde intensiviert, indem z.B. die Dreifelderwirtschaft weiterentwickelt wurde2 oder effizientere Werkzeuge zum Einsatz kamen. Andernorts wurden Täler urbar gemacht und Flurformen eingeführt, die additiv erweitert werden konnten und nicht mehr nur durch erbrechtliche Teilung verkleinert werden mussten3. Ein deutliches Bevölkerungswachstum war die Folge. Mit dem Fall der Säulen des Herakles wurde schließlich das Mittelalter beendet. Bis dahin markierten die Säulen das Ende der bekannten Welt und trugen dies als Mahnung auf einem Spruchband: »Non Plus Ultra«.

Bernhard Kö nig - Es s ay


104 Als es Kolumbus gelang sie zu überwinden und er begann, Amerika zu entdecken und zu unterwerfen, verlor die Weisung ihre Gültigkeit. »Plus Ultra«, bzw. »Immer weiter«, war seither der ideelle Rückenwind jeglicher Modernisierungsabsichten4. Der gesamte Globus wurde erobert, vermessen und erschlossen. Ganze Kontinente wurden unterworfen und ausgebeutet, um zu Hause Wohlstand zu schaffen, den man dort sonst nicht erreichen konnte. Gleichzeitig wurde begonnen, unliebsame Landsleute einfach nach Übersee zu verschiffen5 und sie so außer Sicht- und Reichweite zu bringen. Später sollten Containerladungen von Müll folgen. Auch wenn der »Westen« längst global agierte, wurde die Wahrnehmung des »Non Plus Ultra« stets aufrecht erhalten. Ein Innenraum

mit dem fall der säulen des herakles wurde "non plus ultra" zu "plus ultra" – "immer weiter" wurde der ideelle rückenwind jeglicher modernisierung. 4 u.a. sind die Säulen des Herakles mit dem Spruchband »Plus Ultra« seit Karl V. Bestandteil des Spanischen Wappens. 5

z.B. wurden bis in der erste Hälfte des 18. Jahrhunderts britische Sträflinge hauptsächlich in die nordamerikanischen Kolonien und zwischen 1787 und 1868 über 150 000 von ihnen nach Australien deportiert. 6

In den USA werden noch immer ca. 150 Brandregionen gezählt, in Westeuropa ebenso viele, in Indien und China dürften die Zahlen jedoch wesentlich höher sein. Dabei werden über Jahrzehnte unaufhaltsam ganze Landstriche und ihre Ortschaften verödet (bekanntes Beispiel ist Centralia (PA)). 7

So beim Tagebau, insbesondere zur Gewinnung von Braunkohle

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vgl. insbes. Andrew Barry: Visible Invisibility; in: New Geographies, Vol. 2, Landscapes of Energy, Cambridge, Mass., 2009, S. 67 ff

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Bei CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage) wird mit zusätzlichem Energieaufwand das CO2 besonders aus den Abgasen von Kohlekraftwerken abgeschieden und in tiefer liegenden Erdschichten irreversibel verpresst gelagert. Dabei geht in Deutschland 30 Jahre nach Schließung der Lagerstätte, diese in die Haftung des Bundes über!

Öl: Santa Cruz / Teneriffa © Bernhard König

wurde konstruiert und inszeniert, zur Not als Bühne mit Kulisse. Man denke an die Bahnhofsstädte im Westen der USA, die als bloße Kulisse für den Reisenden aufgestellt wurden. Später sollten Hochhausgruppen folgen, die wie in Detroit längst verfallenen Geistersiedlungen zu Weltstadtflair verhelfen sollen. Dabei bot schon die Eisenbahn das Potential, eigentlich jeden Ort »treffen« zu können. Genauso wie im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung plötzlich an vermeintlich jedem Ort der Erde Öl, Gold oder andere Rohstoffe gefunden werden konnten. So konnte jeder Ort unverhofft zu Reichtum gelangen – und war plötzlich auf der Weltbühne. Dass die Mehrheit der plötzlich auserwählten Orte nur zum Ziel von Ausbeutung und Unterdrückung werden sollten und immer häufiger sogar ganz real verschwanden, wird uns heute erst langsam bewusst. Erst stürzten nur Minen ein, später brannte und »brennt« bis heute die Erde (bzw. ein unterirdischer Kohleflöz).6 Noch etwas später wurden gar ganze Landschaften weggebaggert, der Grundwasserspiegel gesenkt und das Umland praktisch verödet.7 Das moderne »Plus Ultra«, bzw. »immer weiter«, wendete sich schnell in ein »Schlimmer geht immer!« Mehr und mehr wird uns bewusst, dass nicht nur die Rohstoff-, bzw. Energiegewinnung unserer Umwelt zusetzt, sondern auch deren Verarbeitung und Transport. Abgesehen von dem Öl in unseren Ozeanen, versickern allerorten giftige Flüssigkeiten und sind deshalb noch lange nicht aus der Welt.8 CO2 und andere giftige

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10 5 Gase sind nicht weg, wenn sie unter der Erde gebunkert werden.9 Und eigentlich wissen wir das alles längst. Unsere Reaktion fällt entsprechend pragmatisch aus: Wir kümmern uns um die Großstädte! Wenn wir jedoch die selben Prognosen, die wir unseren Metropolen prophezeien, auf die längst urbanisierte Landschaft anwenden, dann stellt sich uns unweigerlich die Frage, wie wir die bald erwarteten neun bis zehn Milliarden Erdenbürger mit Nahrung und Energie versorgen werden, wenn wir sie nicht in Armut unterdrücken wollen? Al Gores prophetischer Schatten vor der Projektion der Erdkugel ist medial allgegenwärtig. Jeder Großkonzern, der etwas auf sich hält, propagiert eine 10

Allen voran: BP – »beyond petroleum«!

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1941, während des 2. Weltkrieges, stellte Henry Ford das Soybean Car vor. Es hatte bereits eine faserverstärkte Karosserie aus Soja, Weizen, Hanf und Flachs und sollte der Prototyp für ein Auto sein, das komplett aus landwirtschaftlichen Rohstoffen produziert und betrieben werden kann. Das Projekt wurde wohl auf Druck der Öl-Industrie eingestellt. 12 AMO, Palindrom und vermeintliches Gegenstück des OMA – Office for Metropolitan Architecture – beschäftigt sich im Gegensatz zu diesem mit Architekturprojekten abseits des Bauens, neuerdings mit Studien zur Energiewende.

Öl: Santa Cruz / Teneriffa © Bernhard König

nachhaltige Systemwende,10 je größer, umso besser. Auch können wir uns mit gutem Gewissen weiterhin auf unsere modernen Heroen verlassen. Hatte nicht schon Henry Ford mit seinem Soja-Auto-Projekt an nachwachsende Rohstoffe gedacht?11 Und auch auf Buckminster Fullers Dymaxion-Projekte für eine bessere Welt, mit denen er schon in den 1930er Jahren den späteren Nachhaltigkeitsdiskurs vorwegnahm, kann man sich heute mit trügerischer Gewissheit stützen. Heroen

Buckminster Fullers »World Game«-Karte der Energiesysteme, erfährt gerade in letzter Zeit eine ungeheure Renaissance. Sie dient als Vorlage allerlei Projekte für die Lösung postfossiler, globaler Energieprobleme. Auch Rem Koolhaas’ AMO12 zitieren sie auffallend oft, während sie uns die erneuerbare Energielösung für den Globus erklären. In zwei Studien – der »Roadmap 2050« und »The Energy Report / 100% Renewable Energy by 2050« – widmen sich AMO dem Klimawandel und betreiben Lobbyarbeit für ECF (European Climate Foundation) und WWF (World Wide Fund for Nature). Leider werden sie dabei, trotz ihrer – wie immer – überzeugenden großen Erzählung, vom Rückenwind ihrer Geld- und Informationsgeber erdrückt. Die Botschaft ist, dass wir nichts ändern brauchen, außer jährlich ein marginales Häppchen unseres allgegenwärtigen Luxus abzugeben (eine Geländewagen-Tankfüllung oder einen halben PradaSchuh), um unsere Zukunft in den Griff zu bekommen. Diese besteht aus der Insel (!) Europa, die mittels Desertec,13 Atomkraft und hauptsächlich Geothermie und Wasserkraft versorgt werden soll. Den Nachweis über entsprechende Bernhard Kö nig - Es s ay


106 umweltverträgliche Ressourcen bleibt die Studie schuldig. Ihre Daten kommen u.a. von McKinsey&Co., Oxford Economics und dem WWF. AMOs Vorschlag zur Einleitung der Energiewende besteht aus einem »Macht weiter so wie bisher, den Rest macht die Technik«, bzw. gesteigertem Hedonismus im Sinne der Großkonzerne, die für die jetzige Energieversorgung zuständig sind.14 Plus Ultra – Alles andere wird schon!

Unsere zukünftige Landschaft muss eine integrierte werden, ein vernetzter Rurbanismus, in dem die alten Kernstädte nur noch funktionale Knoten sind.

Kohle: Nochten / Lausitz © Bernhard König

Rurbanismus

Auch unter Architekten ist die Tendenz nicht zu bestreiten, sich gern große Illusionen einzureden, um sich anschließend in deren Geborgenheit einzurichten. Seit die Revolutionen langsam aus dem Blickfeld geraten, leuchtet dort das Display silbern-glänzender Rechner mit Obst-Logo als sicheres Zeichen, einer vermeintlich fortschrittlichen Klasse anzugehören, in Berlin, London, Zürich, New York, Tokyo, Istanbul und Sao Paulo. War urbanes Leben einmal herausragendes Merkmal der (großen) Städte, so findet dieses heute längst an den unterschiedlichsten Orten der Erde statt 13 Desertec ist ein Projekt der 20 größten Europäischen Energie-Konzerne, die – viele Stunden entfernt von den Kernstädten. Haben wir dafür 400 Milliarden EUR in Solaranlagen und noch in den 1990er Jahren die Zwischenstädte diskutiert, so steentsprechende Transmissionsinfrastruktur in hen wir mittlerweile immer häufiger in urbanisierten Landschaften. Nordafrika investieren wollen, um 13% des Kontinentaleuropäischen Energiebedarfs zu Ehemaliges Agrarland zwischen Großstädten wird immer dichter decken. Außerdem soll der rasant wachsende besiedelt oder zumindest bebaut. Gleichzeitig schrumpfen ehemaEnergiehunger in Nordafrika zukünftig durch das Projekt gedeckt werden. Zuschüsse seitens lige westliche Industriestädte mit fast derselben Geschwindigkeit der EU wurden dafür in Aussicht gestellt. zu fragmentierten »Stadtfolgelandschaften«. Detroit gilt heute als 14 Eine ausführliche Rezension zur »Road»größte urbane Farm« der Welt.15 map 2050« erscheint demnächst in GAM.07 »Zero Landscape« Unter dem Vorzeichen einer weiterhin wachsenden Weltbevölke15 Jörg Häntzschel: Die größte städtische rung, insbesondere auch einer wachsenden Anzahl derer, die die Farm der Welt. Die Zukunft der alten AutoArmut überwinden, entsteht heute schon eine neue Konkurrenz bauerstadt Detroit liegt nun in der Rückkehr zum Ackerbau; in: Süddeutsche Zeitung, Nr. zwischen Konsum, Nahrungsproduktion und Energieerzeugung. 252, 30.11.2010, S.14 Es wird immer wichtiger, ob und wie weit wir Produkte transportieren können. Nahrungsmittel, aber auch Energie, bzw. Energieträger werden im postfossilen Zeitalter nicht mehr so einfach und billig um die Welt geschickt werden, wie heute noch üblich. Der Transport selbst wird zunehmend teurer und insbesondere die Energieträger werden andere werden. Ihre Transportdichte RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


10 7 unterscheidet sich deutlich von denen fossiler Energieträger. Der Transport von Biomasse z.B. im Gegensatz zum Erdöl, das via Pipeline, Schiff und Tanklaster um die halbe Erde geschickt wird, macht nur regional Sinn.16 Gleichzeitig verschärft sich die räumliche Konkurrenz zwischen Nahrungsproduktion und Energiegewinnung. Eine Mehrfachnutzung des Bodens wird wahrscheinlich. Dafür werden wir Architekturen und Landschaftssysteme entwickeln müssen.

16 Die Transportdichte von Holzpellets ist z.B. etwa 30 mal geringer, als die von Öl. D.h. um etwa einen LKW voll Öl zu ersetzen, braucht man ca. 30 LKW voll Pellets.

Kohle: Nochten / Lausitz © Bernhard König

Möglicherweise werden schon bald mehretagige Gewächshäuser an Stelle mancher Lagerhalle »auf der Grünen Wiese« treten. Gleichzeitig werden wir aber auch vorhandene Ressourcen effizienter nutzen müssen. Heutige Verbrennungsabgase enthalten z.B. oft noch sehr viel Abwärme und CO2, die zur Heizung oder für die biologische oder chemische Weiterverarbeitung (wie Algenproduktion) genutzt werden können. Es sieht alles danach aus, als ob wir unsere Ressourcen zukünftig wesentlich häufiger öffentlich verhandeln müssen – Stuttgart 21 oder die Waldschlösschenbrücke waren wohl erst der Anfang. Wirtschaftlich tragbare Systeme werden dabei immer weniger als milliardenschwere Großinvestitionen in der Landschaft landen. Sie werden vielmehr auf ganz urbane Lösungen angewiesen sein, auf kleinteiliges, flexibles und kreatives Nebeneinander, möglicherweise auch auf informelle Eingriffe. Sich ständig ändernde regionale Prozess- und Akteursnetzwerke werden immer wichtiger. Unsere zukünftige Landschaft muss eine integrierte werden, ein vernetzter Rurbanismus in dem die alten Kernstädte nur noch funktionale Knoten sind. Wenn wir unseren Umgang mit der Umwelt zunehmend offen verhandeln, werden die aufwendig gepflegten Dualismen in unseren Köpfen endlich verschwinden. Es zeichnet sich ab, dass Stadt und Land oder gar Metropole, »Werkbank« und Hinterland bald als eine einzige integrierte Landschaft verwoben werden. Für uns Architekten bietet diese Landschaft ein vielversprechendes Potential. Es ist an uns, zu Agenten unserer Umwelt zu werden und das Abwarten der nächsten großen Unternehmung endlich in Skepsis zu begraben. Non Plus Ultra!

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A dinnertalk with

Luis Callejas Paisajes Emergentes The symbiotic network of architecture, landscape and measurement

David Bauer, Michael Kraus, Konrad Lubej, Marco R端del and Simon Scheithauer in conversation with Luis Callejas and Clara Arango, Weimar, December 13th 2010


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T

o see through the sector of Latin American architecture from a European point of view is in the figurative sense nearly as hard as to cross the rain forest. One must consider the divergence of those different spheres: What are the preconditions of architecture to arise – in economical, socio-political or geographical terms? The young Medellín-based office Paisajes Emergentes (Luis Callejas, Edgar Mazo and Sebastian Mejia) started with small-scale projects and diverse competitions. In 2008 they won the competition for the Aquatic Complex in Medellín that has been opened in 2010 and was their first big commission. With regard to their philosophy to approach architectural tasks, Paisajes Emergentes seem to pose the right questions to come up with the necessary answers. With the Aquatic Complex, the office has generated a new type of public space in Medellín, where the public doesn’t ask for space although it is urgently needed. In the sense of a Re-Definition, that approach should be considered in wider terms, not locally limited. Could that strategy serve as a model for other places as well? HORIZONTE scrutinizes the role that Paisajes Emergentes plays within this discourse.

The corridor of Michael’s apartment is crowded. Several people take off their shoes and jackets, putting them all over the place. The entrance door is just closed, as suddenly the door bell rings again. A few seconds later a person stands in the doorway, wrapped in a large winter coat, in his hands a few bottles of wine. His glasses get steamed immediately. There must be a temperature difference of nearly 30°C between inside and outside. Luis Callejas seems to be frozen but thankfully he is alive. Slowly he takes off his outer layer, revealing a second person standing behind him. Still at the doorstep, Luis cleans his glasses to put them on again. After a short moment of acclimatization, he carefully enters the living room, introducing his friend from Colombia, Clara, who studies in Milan and who came over to Weimar to meet him. Luis appears to be a little bit reserved; or maybe it is just his being tired after a long journey. A careful observer, he takes in the ongoing movements between kitchen and dining table. A few minutes later everyone finds a seat. There is bread, salad, and various spreads arranged on the table. It smells of soup – good warm soup!

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The »Golden Mile«, an inner city strip of high rises built during the 80's and 90's, cuts the dense city structure. In Medellín an average of about 5000 people live on one square kilometer. © Tess Walraven


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112 Luis, let’s talk about Re-Definition – do you have any good idea about the theme? LUIS: About Re-Definition? No! [everybody laughs] Why is it called like that?

Colombia is a very diverse country in terms of landscape but not in terms of architecture. Important is the hyphen. What we have in mind is RE-DEFINITION instead of redefinition, because we suspect a verbalization of the new, emanating from existing conditions. Architecture once in a while is renewing itself by responding to new issues coming up in society. And more often than not, this calls for an undogmatic approach to architecture; let’s consider the important role of public space for example or, in other words, a sort of architecture that correlates institutional buildings and the public sphere, like your Aquatic Complex does. That’s the kind of thing that we are looking for with RE-DEFINITION. Of course, for us it is challenging to invite somebody from the other end of the world to talk about this. In Germany, we can pinpoint pretty much what

this RE-DEFINITION is, the way it manifests itself; we can name a couple of offices that are relevant for this discourse. But as a matter of course this issue is not just pertinent to Germany. Though different in approach and emphasis this is a matter related to societal changes going on here and elsewhere. One could name Eyal Weizman in Israel and his Decolonizing Architecture project1 for example as something that would apply to this RE-DEFINITION. Perhaps your kind of architecture that deals with a new Colombia, so to speak, could apply to it too. Ahaaa … In March 2010 the Aquatic Complex [from here onwards also referred to as Pools] in Medellín has been opened. It was one of the venues for the South American Games that took place in Medellín in 2010. Do you think the complex is a success? Fortunately, yes. The weather was nice. Everyone was a little bit afraid before the opening because it is a Sports Complex for swimming without a roof. The competition asked for a closed building, but we did it open-air. That’s a brave decision regarding the fact that Colombia is situated in the tropics including several rain periods during the year. Has there not been any sort of doubt about the feasibility of that decision, particularly with regards to the sports competitions? Sebastian, one of my partners, he is a swimmer. When we were working on the competition he was telling us that they quite like it when it is raining, they even prefer it. It is more important to guarantee a constant water temperature that is approved worldwide. So, if you want to break a record it requires a standardized temperature, no matter where on the globe. And now, Medellín is one of the few cities where that can happen open-air, all year. Basically, that was the most important decision when we did the competition. Did you know that in the design phase already? We started thinking about it right in the beginning because we knew that the use for the Games would be only 5% of the year. We wanted it to eventually become a park that, under an ideal administration, would be accessible for the public. Finally you have managed to create a public space instead of an enclosed Sports Complex! That’s right. The Games were more of an excuse really.

1

DAAR (Decolonizing Architecture Art Residency) is an art and architecture collective and a residency programme based in Beit Sahour, Palestine. DAAR’s work combines discourse, spatial intervention, education, collective learning, public meetings and legal challenges. DAAR’s practice is centred on one of the most difficult dilemmas of political practice: how to act both propositionally and critically within an environment in which the political force field is so dramatically distorted. It proposes the subversion, reuse, profanation and recycling of the existing infrastructure of a colonial occupation. Quod vide: http://www.decolonizing.ps/site

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The Aquatic Complex is more then just an arrangement of outdoor pools. The circulation area connects the different pools on the one hand, on the other hand it works as public space. © Paisajes Emergentes

Of course the project was started because of the Games, but in the end the occasion itself was the least important thing. From the brief it was clear that one was not allowed to do it open-air. We have done the opposite! We just did some images showing the Pools roofed, so that the jury knew it would be easy to cover it, if that would be necessary. To get an idea of what the architecture situation is in your home country: In February 2010 we had Alejandro Aravena2 here in Weimar and he told us that Chile luckily missed out Postmodernism. What about Colombia? Oh, we didn’t. [laughs] It was really strong in Colombia because in the 80’s it got mixed with drug dealing business. So it was a very strange, uninformed and tightened sort of Postmodernism. In Medellín for example we have a street called »Golden Mile«, a street mainly defined by banks and hotels that were built in the 80’s; and a lot of these constructions were supposedly financed by drug money. At this time the clients asked for a kind of neoclassical, eclectic or iconic architecture. One could call it bank architecture – dwellings, hotels, whatever, it looks like a bank. The funny thing is that some of these buildings had been exclusively designed by really good Colombian architects, who later became our teachers. I even remember them laughing about their own buildings designed for these strange clients.

How did all this effect the architectural education at the Colombian universities? Are there any movements that can be regarded as important or influential? I have studied at the Universidad Nacional de Colombia3. It is mainly influenced by the Bauhaus – the early one. What we were taught is a kind of international Modernism. Recently, our schools received a lot of influence from Spain, nevertheless, Colombia is a very enclosed country. Actually, it is still extremely difficult for foreigners to go there pursuing a profession. I didn’t have any foreign teachers during my years of study. So what have been your personal influences then, in the face of Colombia’s isolation? Looking at your work at least it seems you are not so much affected by, let’s say, local architecture. We are much more influenced by nature or better by the non-built environment then by contemporaries or architectural tradition. That’s our focus!

2 http://www.alejandroaravena.com; quod vide the report on an evening with Aravena in: HORIZONTE No. 1 – Design | Response | Ability, Weimar, July 2010 3

The Universidad Nacional de Colombia (UNAL) is a public, national research university, located primarily in Bogotá, Medellín, Manizales and Palmira. It is the largest and most important higher education institution of Colombia with about 44000 students.

Lu is Callejas - Inter view


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The Aquatic Complex is more then just an arrangement of outdoor pools. The circulation area connects the different pools on the one hand, on the other hand it works as public space. Š Paisajes Emergentes

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115 But isn’t that kind of paradox? Your office is operating mainly in cities! No. That’s why our office is this kind of mixture of landscape design studio and architecture studio. Colombia is a very diverse country in terms of landscape but not in terms of architecture. We are trying to do architecture in the cities as a means to bring those landscapes back to the city. I have heard that about 90% of the buildings in Colombia have not been done or designed by architects. On the other hand we have a very powerful non-built environment. Architecture can serve as infrastructure to artificially relocate what is now lost because of the dense process of urbanization. How does the landscape then reflect in your work? A clear example for this strategy would be the Pools. Everything that is architectural or technical – bathrooms, dressing rooms, etc – is hidden under the gardens, and these gardens pretend to be very similar to the non-built environment around our city. These are very wild, unpredictable and non-geometrically controlled gardens. When speaking of landscape in Germany, one always has to consider an artificial nature. The forests around Weimar for instance were planted maybe 100 years ago. Or let’s take the Ilmpark here in Weimar: It’s a prime example for organized landscape – the seemingly-natural – in the tradition of the English landscape gardens. Are you focusing on the image of nature or the way nature itself organizes things; the interface between nature and architecture so to speak? We are interested in landscape not in scenery – the smart relationships that emerge between what is built or planned and what is not. We like to think about what can be extracted from a situation found in a completely wild environment and put it in an urban context. Therefore we need architecture. Both as a way to artificially sustain that condition inside a city and also to find an excuse for doing it in the first place. It is about enriching architecture by landscape design operations and, on the other side, to use architecture as an excuse to allow landscape design interventions to happen when nobody is asking for it. Here, the conversation is interrupted by the humming noise of a blender. Michael is giving the soup the final touch. Last ingredients are added; again and again the blender drowns all conversation out until the fluid reaches the required consistency to be called soup. Ready!

So basically you scratch something off the urban pattern and to bring back what always has been there? Yes! For example the commission for the Pools requested a building for aquatic competitions. We responded with a roofless building. Finally, our design even expanded horizontally and covered the rest of the site with gardens that nobody asked for. These were then covered by endemic plants embedded in water – a situation we like to refer to as The Wetlands. At the end the building costs were the same, which is why the client allowed us to carry out our plans. In one

We are interested in landscape not in scenery — the smart relationships that emerge between what is built or planned and what is not. word, we just invested the money and resources for the roof to instead design a big garden. But the interesting situation is that an architecture commission could be responded with a landscape design answer. For us, these are not two separate disciplines. How far do you go back then? Which state of »landscape« do you want to reconstruct? I don’t think it is about reconstruction. I feel we are always trying to do gardens even when nobody asked for it. We believe that is what it takes to change the relationship with the Lu is Callejas - Inter view


116 non-built environment in Colombia. It is a fact that people are afraid and distrustful of big green areas because of the recent history of crime and violence. So people even stopped asking for this kind of environment in the Colombian cities. For example when there is an actual competition for planning a park, usually an over-designed, hard and flat project finally gets the commission.

We are much more influenced by nature or by the non-built environment than by contemporaries or architectural tradition. In the end these are places that can easily be kept under surveillance, right? Yes, places without too much vegetation, without shadows. In a democratic society, one might argue, the city at large depends on how public space works. So the first question would be what kind of public space does exist and how does it work. And once one knows that, one can go ahead and decide what to do to make a public sphere happening in order to make the city happening. Could you describe the amount or appearance of public space in Medellín? There are no such parks like the Ilmpark here in Weimar or Tiergarten in Berlin. We don’t have this kind of public areas – like a central park – in

Medellín. In Bogotá for example, you can find a couple of big ones. In Medellin we don’t have parks that are just parks. That is why we think we should use architecture commissions as an excuse for making open public space. Is there such a thing as functioning public space in Colombia? Do places like public squares really work for the public? Not like they should. In Medellín the weather is perfect to stay in the streets all year. But everybody dreams of getting a car when they can afford it. The city isn’t easily walkable from one side to the other. Not because it’s too big, there are simply no proper connections for walking and previously nobody was asking for it. And in the 80’s and 90’s the malls – like the American shopping malls – became the public space for the people that happenend to have the power to take the desitions. Now it is different. Some public interventions happened and the public just wants more. It is inertia. CLARA: During the late 80’s, I remember that we had to drive with the inside light on so that police could see who was inside the car. So I think there was a kind of fear of the public space and the open street. That’s the important point then. How does this fear influence the public space, its production and utilization? The malls became a suitable alternative because people felt save in this maintained semi-private space. There have also been some occasions to make public parks but all of them happend designed with with a big percentage of hard surfaces. As a result these areas don’t look dangerous because whatever appears dangerous is not possible to put into action. So now we are trying to do the opposite in our work. We are doing a park when no one is asking for it because we think it is needed and of course it is fun too. You are »fooling« the public so to say! Is that an attempt to change the perception of what is suitable or not? I don’t think so. We never thought about it like this or that it is the thing we have to do. It always arises without too much thinking! When we were designing a library for a competition for instance, we decided to have a street in the middle to break the program in two, so that people could enter the building even when it’s closed on Sundays for example. Or, we have also designed a scientific center and we have separated all the laboratories from a big gallery, so they can be closed while the gallery could be opened. Maybe all this started as a very naive reaction to our own needs and desires to walk the city in a different way.

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117 Now we take it very seriously. I think, we actually got fooled by a lot of politicians in the 80’s and 90’s that were not doing proper open public space on the grounds in order not to generate »dangerous« areas within the city. It seems to be about the interlocking of programs in terms of the public sphere or, in other words, the blurring of straight borders. You have denoted that the public doesn’t ask for certain necessities, but you do. Is that a general attempt to change things or is it the believe that there must be a new way of public thinking in Medellín or Colombia? It is about building porous limits between what is built and what is not, between architecture and landscape, the weather and the open space. We think by those porous areas the public experience can be very rich, especially in the tropics, where we have this wonderful weather all year around. This might be a bit speculative, but what role does the price for real estate play in Medellín? Usually, public space has to be paid for by the city. And if the city doesn’t have a lot of funding they might say: OK, a park is a nice idea but actually we need a shopping mall here to get some tax money or whatever. Exactly! That is the hard part. Because when you are doing a competition for, say, 20000 square meters that are not public, you have to look at which part of the program could eventually become public or open and put it in the right place in a smart way. For example, in the Aquatic Complex we placed the main circulation area right in the center, crossing the whole area. This circulation can be easily used as public space, provided that the owner wants to do so and fortunately that is what is happening now in the weekends. In the end, it always depends on the people administrating the building but before architects have to provide the stimulating preconditions. After all, it comes down to the question of ownership. Who actually owns the city? And these are questions that go far beyond architecture! Let’s take for example the High Line project4 of Diller Scofidio + Renfro in New York City. The brief was a park but what they made from it was not just a park that could be accessed from 9 to 5 and offers a nice view of the city. They came up with an entire recreation area – a cultural agenda – and

by doing so, they changed the perception of the whole thing. They sort of enhanced the built structure into a park but what derived from that was a complete program to finally revitalize a whole part of the city. Is that something you are going for – a program that doesn’t limit itself and goes the borders of a project? We have this huge advantage in Colombia that seasons do not exist. Sometimes great parts of a program, which under usual circumstances would be enclosed between walls and a roof, can be open-air or at least without walls. For example, again the Pools: the main building is just a huge concrete slab. The roof is public, we intentionally put the least important parts of the program underneath as an excuse to support this public platform and make a porous entrance. The open parts of the building act as extensions to the smaller enclosed areas. The client didn’t notice this until it was built. Now, they are discovering that this porous space can have more diverse uses than the ones originally planned for that building. [smiles] Are you familiar with the work of Mark Smout and Laura Allen5? Yes. I like it very much. They have been here for our previous issue How to Architecture?. They have done a project called Retreating Landscape and published the book Augmented Landscapes . Your office is named Paisajes Emergentes or, in english, ›Emerging Landscapes‹. Mark Smout told us, at some point they wished they had never called it »landscapes« because their work is not so much about the notion of landscape after all. He said the book is more about »augmented contexts« –

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The High Line is a 2.3 km New York City park, built on a section of the former elevated freight railroad spur called the West Side Line, which runs along the lower west side of Manhattan. It has been redesigned as an inner city greenway and reopened for the public in 2009.

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Mark Smout and Laura Allen are teaching at the Bartlett School of Architecture. There practice Smout Allen focuses on conceptual and theoretical approaches, which operate with the ephemeral and enduring forces of change in the environment. Quod vide the interview with Mark Smout and Laura Allen in: HORIZONTE No. 2 – How to Architecture?, Weimar, November 2010

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118 it doesn’t matter if something is urban or rural or natural, it is about the context. In the end it is all manufactured. You have already indicated that this is not the case in Colombia, because the nature is still natural. There is also a lost in translation concerning the word »paisajes«. I think it has a connotation of »scenery« sometimes even more then »landscape«, I would say.

I certainly prefer talking about temperature rather than violence. We agree with them, it is not about urban or natural. We are mostly interested and influenced by non-built phenomena, by things one cannot easily control and design. Let’s take again the Pools as an example: We initially proposed a flooded landscape. After we had won the competition the client immediately decided that they were not able to maintain the idea of this flooded garden, so they proposed the possibility of having completely clean water just as ornament. We were not interested in the flooded landscape just as scenery; we were interested in what happens inside the water, in the complexity of this ecosystem and what is alive inside the water. So we preferred to get rid of water altogether and instead make the gardens with plants typical to the limits of wetlands. And we planted them without too much designing. Some of these species are not mixable with others, so for example when it rains some of them grow, when the weather is dry some of them die and get replaced by other

species. So it is a place that is constantly changing. It is this kind of always changing scenery that we wanted. With the High Line project in New York City they obtained a similar result based on the original conditions of plants that started to grow there spontaneously. It works but they had a hard time designing what was originally spontaneous. It was a very technical and complex procedure because of the New York climate. In Colombia it is much easier, we don’t have to plan so much. In the beginning we just let the soil uncovered for a few days and after a short time the plants started to emerge. [Smiles] You are trying to break up the strong borders between private or semi© Luis Callejas private and public or open space. As we discussed earlier, this kind of practice automatically leads to things that go far beyond architecture. Isn’t that also a kind of socio-political agenda? To say that in a society, a democratic one, you need the public, public life, in order to have discussions that are not owned or dominated by certain impersonal institutions? Yes. And also to understand that for making public space it is not strictly necessary to get a commission for a square or a park. You can do it in conjunction with something else, again, especially when the weather is that nice. [laughs] Another example or rule that we are following is the concentration of circulation areas. Usually the competitions give you 20% of the area for circulations and we always try to put all these circulation areas together to make it somehow public. That way it is possible to have small public spaces happening in different parts of a building. But it is not only our office thinking and working like that – it is a bigger movement especially

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119 among young offices. All in all, I think we feel really influenced by Brazilian architecture. In which sense is Brazilian architecture influential for you? I like how they started to make porous limits between the inside and the outside, in massive, public and even corporate architecture. It is not at all new for them. I also think, the most interesting modern architecture happened there. Because they were doing it in contexts which were in direct contact with a very diverse and powerful non-built environment. I guess their context was so powerful in terms of landscape that they naturally ended up deforming the modern movement in a very interesting way to allow their environment to physically penetrate their architecture. Architects like Lina Bo Bardi6 even started to blur the limits between disciplines like architecture and landscape design. You were saying that it was not only you but many young Colombian architects that bring back in the notion of public sphere into the city. Is that because the perception of how necessary that is changes in the Colombian society because of changes in the society at large? In the 80’s and 90’s Colombia was mainly ruled by drug barons. The government has then regained power over parts of the country and the major cities

at least, so I guess, the way you live and behave in the city changed. Are you and those other architects the new builders of society by way of your approach to architecture, by setting things like private and public into such strong relations? It’s true, there is such a relationship. A lot of young Colombian offices share and propose a tendency to work and provoke actions intended to amplify the public experience of architecture. But it is not something that started with our generation, it started earlier. For example Rogelio Salmona7, who is the best Colombian architect ever, was one of the very few that were allowed to do it even in the 80’s and the 90’s when the conditions were the worst. He was well known and widely respected. Salmona managed to do very interesting public interventions, projects that in the beginning were not meant to be public. By now, Luis does not seem to be cold anymore. Far from it! He is sitting relaxed with his sleeves rolled up, enjoying the cold ice cream that has been served for dessert. But let me come back to a point that you mentioned in the beginning of our talk. I mean the fact that Colombia is very much enclosed in regards to our practice and its appearance. Maybe what we do looks global because it is global in terms of its conception and not so much based on local issues. That’s why we don’t feel so comfortable to talk about social issues; we feel more comfortable talking about

6 Lina Bo Bardi (1914 – 1992) was a Brazilian architect and designer with Italian roots. After graduating in Rome and working in Milan, she moved to Brazil in the late 1940's. She is considered one of the most influential architects of Modern Brazil. Public buildings like the Museu de Arte de Sao Paulo (MASP) or the SESC Pompéia cultural complex can be regarded as impulsions for urban open spaces and counterbalance the impact of private investors. Furthermore, Bo Bardi was a teacher for Architectural theory and editor of the architectural magazine HABITAT. 7

Rogelio Salmona (1929 – 2007) was an influential Colombian architect. He studied Architecture at the Universidad Nacional de Colombia. During his early years he worked together with Le Corbusier on the project for Chandigarh. In the mid-50s he set up his own office based in Bogotá. His works fundamentally renew the view on Colombian architecture in terms of urbanistic organization, building volumes and use of materials especially brick. Beside numerous national awards he received the Alvar Aalto Medal in 2003. Beyond that, Salmona was a teacher for three generations of Colombian architects.

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the weather or the tides, those kinds of things – something that offers more of a general rule. But that’s not global either! It is global! Because these things can be measured and understood more precisely, so you can think about how to replicate it artificially and put it out of the local context. If you say for instance that the temperature in Medellín is about 25°C all year we can imagine what that means. A lot easier than saying, the debate about public space is difficult because of the violence of the 90’s. Is that what it’s about? Exactly! I certainly prefer talking about temperature rather than violence. What I mean is that we are interested in things that can be measured and replicated. For example, we did this competition for Venice without even going to Venice. But we were interested in natural phenomena that will define the future of the city of Venice. In this case it was changes

through the tidal stream. We took pictures of a beach here in Colombia and we saw that just a little displace of the water produces a huge change in the landscape. The lowering of the water surface of only 15 centimeter affects around 50 meter of the beach. We took pictures and measures. And it is possible to replicate this in Venice because it is happening every six hours, so it is very controlled. You are interested in phenomena that go beyond social or even locally defined issues! And you are addressing things that are universally applicable; things that can be defined by physical constants or something that is globally valid. Yes, but not in the social context. We don’t feel comfortable with that. Why that? Because Latin America is just very mixed. So when you choose to concentrate on one social group, you are leaving out lots of others, especially in Colombia. It is very naïve to design for rich people, poor people or a specific group. Many young architects talk a lot about how social things influence the work, but … But it does! It does influence your work even though you are not taking it into account. Well, it influences our work so much that we are not interested in design procedures that are targeted at specific social groups. So, because of the multitude of things, you are not able to address specific things. Are you, then, looking for something that is combining all of those specific things in one common issue? Let’s put it like this: the sun rises and sets, that’s true for all of us – no matter whether you are rich or not – and it influences the way our house is lit during the day. Just that! But we are already at a point where it is not just about the sun anymore. For us, there is room for more complex phenomena that need the interaction of our discipline with other professions like meteorology or hydrology. If I imagined myself working on a tv news programm in Colombia program about Colombia, I would highly prefer to take the place of the weather guy. It can get as dramatic and exiting as the other themes. Coffee? Does anyone want coffee? Or maybe some Vodka?

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bigness fucks

context ”


– Rem Koolhaas –

S,M,L,XL wiegt ungefähr 2,5 Kilo, ist eine Sammlung von Arbeiten des Office for Metropolitan Architecture und beinhaltet Projektbeschreibungen gebauter sowie ungebauter Projekte, theoretische Abhandlungen, Kurzgeschichten, Comics und noch einiges mehr. Die Art und Weise, wie diese Masse an Informationen aufbereitet wurden, geordnet nach dem Größenmaßstab der Objekte und als eine Collage von Text und Bild, war wegbereitend für viele folgende Publikationen. Die dargestellten Inhalte reichen von der Kritik an der klassischen Moderne bis hin zur Regionalplanung in den Niederlanden. Zwei Beiträge sind aufgrund ihres Einflusses auf die zeitgenössische Architekturtheorie besonders nennenswert. Zum einen The Generic City, in welchem es um die Frage geht, in welcher Weise sich in einer von kapitalistischer Landspekulation und architektonischen ‚global players‘ sowie dem Verlust an historischen Hintergründen geprägten Umwelt noch Urbane Identitäten herausbilden können. Die Generic City ist für Rem Koolhaas definiert durch die Befreiung von historischen Imperativen und ist deshalb zwar beliebig aber auch offen und aufnahmebereit. Charakteristisch für die Generic City ist die Peripherie und ihre ausufernden Strukturen. Desweiteren wird in Bigness die Theorie aufgestellt, dass es sich bei einem Gebäude, wenn es eine bestimmte Größe überschreite, nicht länger um Architektur handeln könne, sondern um Urbanismus, da es nicht länger um Form gehe, sondern um Organisation. Allerdings handele es sich um einen Urbanismus, der sich selbst genüge und keine anderen Anhaltspunkte benötige. Demensprechend: “Bigness fucks Context”. JM

S,M,L,XL weights about 2,5 kilogram and is a collection of works of the Office for Metropolitan Architecture. It contains project descriptions of built and unbuilt projects, theoretical treatises, short stories, comics and much more. The way this mass of information is handled, organized by the size of the objects, as a collage of text and image, was a pioneer for following publications. The contents range from critique of classical modernism to regional planning in the Netherlands. Two articles however stand out in terms of their influence on contemporary architecture theory. On the one hand The Generic City, which deals with the question of how, in a time of capitalist land speculation and architectural ‘global players’ as well as the loss of historical background, urban identities can still emerge. For Koolhaas, the Generic City is defined by the liberation from historic imperatives and therefore random but also open and available. The Generic City is characterized by the periphery and its structures of sprawl. The Generic City is less of a manifest for “anti-urbanism” than an analyses of contemporary urban developments. It evokes questions about the boundaries and potentials of contemporary urbanism. The other article is Bigness, which postulates the theory that if a building exceeds a certain size, it is not architecture anymore, but urbanism, because not the form but its organization becomes important. However, it is an urbanism which is self-centered and does not need any references. Hence, “Bigness fucks context”. JM

– S,M,L,XL, 1995 –


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Gärtnerhof Die Auftraggeber sind Biobauern, sie leben und arbeiten auf einem Hof in Seevetal bei Hamburg-Harburg. Sie betreiben biologischen Gemüseanbau und unterhalten einen Biohofladen im ehemaligen Stall des Hallenhauses. Der gepachtete Hof ist nicht in der Lage, die steigende Nachfrage nach Biolebensmitteln und Produkten direkt vom Erzeuger zu decken. Ein Feld unweit des bestehenden Hofes wird als Standort für die Neugründung der Hofstelle gefunden. Hier ist Raum für Scheune, Stall, Wohnhaus und Hofladen. Mit professionellen Planern wird das Konzept des Gärtnerhofs für den neuen Standort entwickelt. Als Experten werden Landschaftsplaner, Markenberater und Architekten zur Ausarbeitung herangezogen. In drei aufeinander folgenden Workshops im Abstand von jeweils zwei Wochen werden ad-hoc Modelle in einem analytischen und entwerferischen Prozess aus vorhandenem Material auf Hof, Feld und Tisch aufgebaut. Die bestehenden Gebäude werden aus den vor Ort zahlreich verfügbaren Obstkisten in mitten der Hofstelle im Massstab 1:10 nachgebildet. Anhand dieses Modells wird der Bestand im direkten Vergleich von Realität und Nachbildung analysiert. Figuren und Fahrzeuge aus Pappe bilden die Massstäblichkeit des Kistenmodells. Die Kisten werden verladen und mit dem Schlepper zum neuen Standort auf das Feld gebracht. Hier wird der projektierte Hof nach dem Flächennutzungsplanentwurf aufgebaut. Die Gebäudeumrisse, Abmessungen und Anordnungen des Planes werden spontan verbessert. Das Modell erlaubt sowohl einen Gesamtüberblick als auch Einblicke auf Augenhöhe. Zwei Wochen später werden die Gebäudeumrisse mit fünf Meter hohen Latten 1:1 abgesteckt. Die Anlage wird mit Schritten durchmessen und betriebliche Abläufe mit dem Schlepper erprobt. Das Modell repräsentiert keinen festgelegten Entwurf, sondern ermöglicht Modifikationen durch Umsetzen der Latten. Die Änderungen werden in den Plan übernommen. Im letzten Workshop wird auf dem Esstisch der neun-köpfigen Familie die neue Gesamtsituation in 1:100 aufgebaut. Erschließung, Parkplätze und Flächenwidmungen werden mittels unterschiedlicher Tischdecken dargestellt, verändert und angepasst. Die Qualitäten der Außenräume werden diskutiert, Abstände korrigiert. Die Arbeit an Modellen senkt die Schwelle, zu verändern. Sie sind Werkzeuge zur flexiblen Steuerung des Planungsprozesses. Leichtfüßig zeigen sie Handlungsoptionen auf und ermöglichen eine direkte und effiziente Art der Kommunikation. BeL + s tu dio u c - Projekt


Alle Abbildungen Š BeL + studio uc

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Obstkistenmodell M 1:10 Bestand

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Obstkistenmodell M 1:10

Obstkistenmodell M 1:10 Detail

BeL + s tu dio u c - Projekt


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Lattenmodell M 1:1

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Tischdeckenmodell M 1:100 Detail

Tischdeckenmodell M 1:100

BeL + s tu dio u c - Projekt


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Peter Grundmann Für Kontrastierende räume

Dina Dorothea Dönch, Michael Kraus, Jonas Mahlzahn, Marco Rüdel und Martin Schmidt im Gespräch mit Peter Grundmann, Berlin, 8. März 2011


128 Peter, Du kommst aus Röbel an der Müritz und hast in Wismar studiert, lebst inzwischen in Berlin, arbeitest aber immer noch viel in Mecklenburg oder Brandenburg, also in einer strukturschwachen Region, was ist für Dich das Besondere an dieser Region? Ich bin Mecklenburger und habe dort noch einige Kontakte. Gerade arbeite ich an einem Haus bei Perleberg. Es ist für ein Berliner Paar. Nach und nach kommen also Berliner Kontakte hinzu. Ich glaube aber, dass das Bauen in der Stadt einen größeren Reiz hat. Vielleicht irre ich mich und es kommt daher, dass ich bisher mehr auf dem Land gemacht habe. Andererseits hatte ich immer das Gefühl, dass die Leute offener sind, wenn es um Landhäuser geht. Es waren ja immer stadterfahrene Bauherren, die aufs Land ausgewichen sind. Sie haben noch keine festen Vorstellungen für ihr Landleben entwickelt. Ich habe das als Qualität für mein Arbeiten erkannt, dass die Leute mich machen lassen, mir vertrauen und sich kaum einmischen. Da spielt dann noch hinein, dass wir viele Dinge am Bau selber machen, meist Konstruktionen oder Details, die den Baufirmen unbekannt sind und daher meist viel zu teuer angeboten werden. Ich arbeite ja immer im Low-Budget-Bereich und möchte dabei trotzdem nicht an der architektonischen Qualität sparen. Im Gegenteil. Durch Selbstbau entsteht außerdem eine große Nähe zum Projekt. Man verbringt mehr Zeit damit, kann bis zum Schluss korrigieren, abreißen, neu bauen. Wenn man so arbeitet, entwirft und baut, glaubt man, sich das rausnehmen zu können. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass diese aufgewendete Zeit dem Bauwerk anzusehen ist. Generell sind die Leute in Berlin aber ambitionierter und wollen mehr gängeln. Sie bringen schon immer klare ästhetische Vorstellungen mit, sind oft selbst kreative Gestalter, die schon mal

mit Skizzen daher kommen. Ich lehne Kommunikation natürlich nicht ab. Die Leute müssen erzählen, was sie wollen. Aber ich will nicht über unnütze Dinge reden, nicht über formale Liebeleien oder Materialien, viel lieber über Gott und die Welt. Dann lerne ich sie kennen. Da bei mir die Dinge etwas langsamer gehen, bleibt dann genügend Zeit, um einen guten Plan zu machen. Mit Nikolaus Kuhnert war das so. Wir haben eigentlich nie so richtig über das Haus gesprochen. Er kam täglich und interessierte sich für den Baufortschritt, das war’s. Es gehört Mut und Intelligenz dazu, sich aus bestimmten Sachen rauszuhalten. Limitierst Du Dich dadurch auch, was die Größe Deiner Aufträge betrifft? Nein, aber ich würde mich schon fragen, wie ich große Sachen, die große Form bewältigen würde. Ich kenne viele Architekten, die an großen Projekten gescheitert sind. Mario Botta ist ein Beispiel. Er hat zuerst sehr schöne kleine Villen gebaut. Als er angefangen hat größer zu bauen, war das nicht so gut, weil er eben sehr skulptural gebaut hat. Bei Kohlhaas dachte ich, der entwirft infrastrukturell, der würde das hinkriegen. Aber die Sachen in China wirken sehr manieriert. Könntest Du Dir vorstellen für Dich selbst zu bauen, wie Arno Brandlhuber in der Brunnenstraße? Schwer. Vorstellen kann man sich das, aber ich hätte Schwierigkeiten. Ich wüsste nicht, ob es mich tatsächlich interessieren würde. Es hat ja was inzestuöses, mit sich selber zu sprechen, zu überlegen, wie man wohnen will, gehen, sehen. Arno hat es mit einer strukturellen Zwangsjacke gelöst, sein Büro arbeitet strukturell, wie gesagt wird. So kann das vielleicht funktionieren, wobei ich trotzdem skeptisch bin, da ich die Wirkung strukturellen Entwerfens für die architektonische Qualität eher kleiner ansetzen würde. Man kann sich konzeptionell einen Kontext konstruieren und aus diesen selbst konstruierten Zwängen soll sich dann die Form wie von selbst ableiten. Zum einen funktioniert das nicht wirklich, zum anderen ist mir das zu wenig spielerisch. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es immer gut ist, die Treppe draußen zu haben. Wo bleibt die Poesie oder die Überraschung? Architektur sollte spielerisch und leicht sein. Sie sollte etwas selbstverständliches haben. Konzeptionelle, intelligente, schwere Sachen vielleicht auch, aber nicht entwurfbestimmend. Hat es vielleicht damit zu tun, dass Du Dir die Möglichkeit zur Selbstkritik erhalten willst? Du hast auch gesagt, dass Bedingungen vor Ort für Dich als entwurfsgenerierendes Moment interessant sein können. Als Du in Weimar Deinen Vortrag über Kritik gehalten

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129 hast, hast Du gesagt: Haus Neiling würde ich so nicht nochmal bauen. Godard hat das mal in Geschichte des Kinos gesagt: »Ein Mangel an Zweifel ist ein Mangel an Wissen.« Und er hat noch gesagt: »Wenn man meint, man kann eine Sache, man hat sie begriffen, dann sollte man das Medium wechseln.« Der Zweifel kann ja auch ein Motor sein, die Dinge jung zu halten. Das Haus Neiling habe ich entworfen auf der Grundlage einer Geschichte, die ich über die Bewohner gesponnen habe. Bruder und Schwester leben in einem Haus usw. Man kann sich denken, worum es geht. Die Frau muss geschützt werden, die Räume werden entsprechend des Geschlechts karikiert und es soll trotzdem gemeinsame Räume geben. Vor lauter konstruierter Geschichte ist mir aber ein bisschen die räumliche Qualität entwichen. Ein Haus muss ja später auch andere Nutzungen zulassen. Ich sage ein bisschen entwichen, es ist wohl trotzdem ein schönes Haus geworden, aber heute muss ich sagen, meine anderen Projekte wirken räumlich und gestalterisch spielerischer und heiterer. Also hier habe ich etwas gelernt. Diese formalen Kriterien, Strukturen oder konzeptionelles Entwerfen sagen noch nichts über die architektonische Qualität. Andere Dinge sind viel entscheidender: z.B. geht es mir um Komplexität, um Wahlmöglichkeiten: in der Bewegung, im Blick, in den räumlichen Abfolgen, in der Nutzung usw., also Vielfalt auch für die Nutzung im Vergleich zur Umgebung. Was gibt es dort schon, was fehlt? Wie viele Möglichkeiten gibt es, ein Haus zu betreten oder zu verlassen? Welche Blicke/Beziehungen ergeben sich innen und außen? Wie trägt die Nutzung zum städtischen Kontext bei usw. Also alles Dinge, die sich einer Verwertung verweigern, da sie ja schlecht abbildbar sind, sich nicht mit einer Arbeitsmethode, einer typischen Form, also einer Marke erklären lassen. Ich würde immer versuchen, das breiter zu fassen, mich da nicht einzuengen, jede Aufgabe immer als etwas Neues zu nehmen. Wenn ein Architekt für sich selbst baut, ist das vielleicht ein Statement. Gehry ist wohl irgendwann an einen Punkt gekommen, wo er nur noch in seinem Stil bauen konnte, weil er nur noch nach diesen speziellen Sachen gefragt wurde. Dann hätte er die Leute enttäuschen müssen, aber einen wirklichen Zwang, einen Stil zum Dogma zu machen, gab es nicht. Das ist eigentlich nur für die Verwertung gut, also für die kunsttheoretische und kaufmännische Verwertung. Das gehört ja zusammen. Wir würden gerne nochmal auf die Region zurückkommen. Du wirst folgendermaßen zitiert: »Ende der Neunziger, als alles normaler und ernster wurde, da

machte die Werbung den Leuten sehr erfolgreich klar, wie ein Wohnparadies aussehen muss. Es fand ein Verlust von Freiheit statt, der die gesamte Gesellschaft umfasste.«1 Woher kommt dieser Verlust von Freiheit? Wie hat sich die Einstellung der Leute verändert? 1989 gab es eine Art rechtsfreien Raum, das konnte man bis Ende der 90er auch in Berlin so erleben. Die alten Regeln waren weg und die neuen noch nicht etabliert. Das hat man sogar in den Ämtern gemerkt. Die wussten noch nicht, was sie dürfen und was nicht. Ich hatte Schiffbau studiert und bin kurz an einer Werft gewesen, 1994. Das war aber nichts für mich. Ich habe gekündigt und dann als Schiffbauingenieur gleich Architektur gemacht, obwohl ich noch gar nicht Architektur

Man muss sich der Homogenisierung widersetzen. studiert hatte. Das ging. Die Leute haben nicht gefragt, ob ich auch wirklich Architekt bin. Das waren selbst Grenzgänger, die nach der Wende als Unternehmer durchgestartet sind. So habe ich dann 1997, im dritten Semester in Wismar, Haus Krenz geplant. Ich brauchte eine Unterschrift unter den Bauantrag, aber das Bauamt wollte das dann gar nicht sehen. Dieser rechtsfreie Raum wurde nach und nach ersetzt durch die Regeln, die von der BRD kamen. Auch die Industrie mit ihren Fertighäusern hatte mit der Werbung inzwischen erreicht, dass die DDR-Köpfe borniert waren, was Architektur angeht. Vielleicht waren sie es vorher auch schon, aber ohne dass jemand ihnen sehr konkret erklären wollte, was Glück ist. Das ist es ja, was die Werbung macht. Die Peter Gru ndm ann - Inter view


130 Vorstellungen sollen eng sein, damit sie zum Produkt passen. In der DDR gab es keine Werbung und praktisch kein architektonisches Produkt im Wohnungs- oder Einfamilienhausbereich. Jedenfalls gab es 1989 einen Cut, es war auf einmal nichts mehr da, und man hätte was Neues machen können. Es hätte eine Revolution sein können. Aber der Verwertungsdruck auf die noch unerschlossenen DDR-Areale war zu groß. Sie sollten dem Kapitalfluss zugänglich gemacht werden. Heiner Müller und einige

Hannah Arendt sagt: der Unterdrücker ist genauso unfrei wie der Unterdrückte. andere Leute hatten 1989 dafür plädiert, etwas Eigenes zu versuchen, die Dinge selbst zu organisieren. Aber mit der letzten Wahl war die Sache eigentlich schon erledigt. Die bestehende Ordnung wurde aufgesetzt. So ist nichts Neues entstanden. Was hast Du aus Deinem Schiffbaustudium für Deinen architektonischen Werdegang mitgenommen?Beim Schiffbau hat man den riesigen Vorteil, eine gute statische Ausbildung zu bekommen. Wir waren gerade in dem kleinen Anbau in Zehlendorf, da seht ihr schon: Das Ding ist voller sichtbarer Statik, die zum gestalterischen Element wird. Diese Selbstbaulösungen, die das Haus so günstig gemacht haben, hättest Du also gar nicht entwickeln können, wenn Du Dich nicht mit Statik auskennen würdest? 1

Ja, genau. Oder bei Haus Neumann (zeichnet). Da gibt es hier diese Diagonale, die das aussteift und hier noch eine. Dieser Knick wäre ein Gelenk, als muss es hier noch eine Verbindung geben. Mit der entsprechenden Konstruktion kann man schon viel gestalten und sparen. Aber das Gebäude ist schon im Nebenhaus verankert? Nein, dazwischen ist eine kleine Fuge. Meist ist es so, dass ich dem Statiker schon eine komplette statische Konstruktion übergebe, die er dann rechnerisch nachweist. Neben deiner Prägung im Schiffbau bist du auch noch in weiteren anderen Bereichen neben der Architektur tätig. Welchen Zusammenhang gibt es zum Beispiel zwischen deiner Tätigkeit als Filmemacher und deiner Architektur? Die Architektur war vorher da. Film kam später dazu. Architektur und Film sind ziemlich eng beieinander: Beides wird durch Montage konstruiert, man denkt auch in Zeit. Aber ausschlaggebend war, dass die Ausdrucksmöglichkeiten im Film direkter sind. Als Architekt kann man ja nur durch Vorträge oder in den Medien politisch sein, das Argument übermitteln. Dann ist man aber schon aus der Architektur heraus getreten. Im Film geht das im Medium selbst. Man kann narrativer sein und konkreter, da man die Sprache zur Verfügung hat. Ich will das eine aber nicht gegen das andere aufwiegen. Architektur ist vielleicht trotzdem wichtiger – eine der wenigen Kunstaufgaben, die überhaupt eine gesellschaftliche Relevanz haben. Wir hatten gerade festgestellt, dass 1990 mindestens 17 Millionen Menschen, nämlich der Teil im Osten Deutschlands vor der Aufgabe stand, sich in einem völlig neuen System zurecht zu finden. In dieser Orientierungsphase hat sich die Mehrzahl bei der Frage nach der zukünftigen Gestaltung der Lebensräume offensichtlich für das Angebot von außen entschieden, also eine von der Werbung gezeigte Fachwerkidylle, Fertighäuser, ohne zu fragen: Was hat das mit unserer Lebensrealität hier vor Ort zu tun? Wenn ich Architektur als Schaffung von Lebenswelten definiere, was nicht nur Form heißt, sondern auch Ablauf, Prozess, Angebot kreieren, an welcher Stelle hätte man mit Architektur oder Stadtplanung steuernd eingreifen können? Hat die Architektur ihre eigentliche Aufgabe, nämlich, auf sich ändernde Lebensbedingungen adäquate Antworten zu liefern, verfehlt? Diese Frage, ob man über Architektur im städtebaulichen Maßstab politisch einwirken kann, habe ich mir

Baunetzwoche#161, »Die glücklichen Architekten in Meck-Pomm«, 12.02.2010; http://media.baunetz.de/dl/722969/baunetzwoche_161_2009.pdf

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131 oft gestellt. Ich bin dann auf verschiedene Möglichkeiten gekommen, wie man ganz abstrakt Wege miteinander verschneidet, so dass Leute zusammenkommen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben, sich sogar meiden. Ich habe Wettbewerbe gemacht, z. B. ein Kaufhaus mit Wegen durchschnitten, oder eine Bibliothek, wo ein Zug durchfährt – ich wollte auf ganz abstrakte Weise Leute miteinander verbinden, wie Architekten das so machen. Aber das ist alles ein bisschen träumerisch. Ich finde das immer noch nicht ganz verkehrt, aber richtig stark ist es trotzdem nicht. Viel wichtiger finde ich es, nicht als Architekt zu kritisieren, sondern als Mensch, der sich für die Gesellschaft interessiert. Wenn ich sage »als Architekt«, bleibe ich im Fach, aber politisch wird es nur, wenn man aus diesem Fach heraustritt. Man muss universell denken und dann, zurück in seinem Fach, handeln. Deshalb finde ich die Architekturtheorie auch sehr irrelevant. Architekturtheorie ist eine Unterabteilung der Philosophie, so wie Musik-, Kultur-, Politik- oder Kunstwissenschaften usw. Die Philosophie hat sich von der Straße in die Hochschulen zurückgezogen und betreibt dort eine Rechtfertigungslehre. Sie fragt: Warum gibt es Kapitalismus? Woher kommt er? Und wer so fragt, bekommt lauter Rechtfertigungen, warum es das geben muss. Eine Rechtfertigungslehre kritisiert nicht. Um kritisch zu sein, müsste sie fragen: Was ist der Kapitalismus? Eine Wirtschaftsweise, die auf Eigentum beruht, in der die Eigentumslosen vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen sind. Eine Wirtschaftsweise, die auf Konkurrenz beruht. Eine Konkurrenz, die zwischen Personen, Konzernen und Nationen bis zum Krieg geführt werden kann und wird. Man merkt, man kommt dann ganz woanders hin – keine Rechtfertigungen, sondern Kritik kommt dabei heraus. Man muss sich die Stadt angucken, welche Entwicklung sie nimmt, sich fragen, wer macht Stadt? Wem gehört sie? Dann kann man dagegen arbeiten. Wenn man in Mitte baut, dann sollte man vielleicht nicht unbedingt noch eine Galerie einsetzen. Es geht ja um Widersprüche und Kontraste. Die machen eine Stadt interessant. So können Diskussionen entstehen. Man muss sich der Homogenisierung widersetzen. In jeder freien Lücke am Ende dann doch immer nur Kunst zu sehen, ist gerade in einer Gegend falsch, die schon arg unter Verkünstlichung leidet. Natürlich kann man eine Kulturstätte bauen, zumal, wenn sie in einer Gegend völlig fehlt. Ich habe das z.B. in Falkenhagen gemacht, in der Uckermark. Wir haben dort ein Theater gebaut, in das nun Gäste gehen, die ansonsten niemals ins Theater gegangen wären. Ich will Euch das zeigen, aber ich

werde keine Führung machen. Ihr sollt hinfahren, wenn eine Veranstaltung stattfindet und am besten dort übernachten, dann seht Ihr das alles und wir haben die ganze Nacht zum Reden. Der Fehler ist wahrscheinlich, dass man bei solchen Führungen genau das macht, wovon man sich eigentlich freimachen will. Vielleicht kann man Architektur in seinem Kontext nur dann bewerten, wenn man hingeht und es erlebt. Bei Brandlhuber wurde uns etwas, das als assoziativ und frei gedacht war, wieder als Objekt präsentiert, was es aber gar nicht sein will. Ja, man versucht etwas als Strategie, als typische Arbeitsweise für den kunsttheoretischen Diskurs verwertbar zu machen. Dabei geht etwas verloren. Ich finde es wichtiger, das Gebäude aus dem sozialen Zusammenhang heraus zu denken, die ganzen formalen Spielchen interessieren mich nicht so sehr. Konzepte sind wichtiger, die sozial sehr unterschiedliche Leute miteinander verbinden können. Oft funktioniert das ja völlig ohne Gestaltung. Vielleicht ist das sogar eine Notwendigkeit, denn wenn man an Berlin Mitte denkt, dann waren die Räume, Klubs, Kneipen, Ateliers, Galerien Ende der 80iger bis Ende der 90iger ja nicht durch Architekten entstanden, sondern sie haben sich aus sozialen Beziehungen und Zusammenhängen, aus einer Mangelsituation ergeben. Ihre Qualität war gerade das Ungestaltete. Vor allem war es eine Lebensweise und keine Form. Wenn man anfängt, das nachzuahmen, dann hat man es schon getötet. Man kann diese Qualitäten erleben und daran teilnehmen, aber nicht abbilden. Der Versuch ist schon absurd. Im Endeffekt ziehen die Leute sowieso lieber in Räume, die ungestaltet sind. In die Fabrik, wo sich niemand gestalterisch ausgelebt hat. Der Raum ist abstrakt und für so ziemlich jeden Geschmack geeignet. Peter Gru ndm ann - Inter view


132 Mies van der Rohe hat mal zu einem Funktionalisten, ich glaube es war Hugo Häring, gesagt: Was soll das mit dem Bewegungsradius in der Küche? Mach doch die Räume groß genug, man weiß doch sowieso nicht, wie die Leute in 20 Jahren dort wohnen wollen. Die Fabrik ist vielleicht deshalb so verführerisch, weil sie so unglaublich viel Platz bietet, den man mit Ideen füllen kann. Also wärst du eher für eine Investition von unten, aus der Stadt selbst heraus und nicht von oben über Investoren? Ich sehe uns oben, weil wir universell auf die Stadt gucken und den Marktzwängen aus dem Wege gehen, soweit das überhaupt geht. So haben wir den Überblick. Aber die Investoren können ihre Vorhaben umsetzen, weil sie das nötige Spielgeld haben.

Es geht im Architekturdiskurs immer um Verwertung. Ja. Grund und Boden muss man besitzen, um ihn verwerten zu können. Grund und Boden sind Produktionsmittel. Hegel meint: Freiheit braucht eine Sphäre und die Sphäre ist das Eigentum, in dem sich die Freiheit ausleben kann. Wer kein Eigentum hat, hat nur sich selbst und muss sich selbst in die Waagschale werfen. Der wird in seinen Möglichkeiten, frei zu sein, natürlich sehr beschnitten, da er vom Eigentum der anderen ausgegrenzt wird und nur durch Bezahlung oder Verkauf seiner Arbeitskraft teilnehmen kann. Ihm fehlt dann eben die Sphäre, in der er seine Freiheit betätigen kann. Da sieht man, wie wenig der Architekt oder die Architekturtheorie beisteuern kann, wenn sie nicht aus ihrem Fach

heraustreten. Aber es bleibt ein Trost. Hannah Arendt sagt: der Unterdrücker ist genauso unfrei wie der Unterdrückte. Nur erfordert diese Erkenntnis Intelligenz, besonders für den Unterdrücker. Adorno sagte: Eine Diktatur ist erst dann kritisiert, wenn deren Nutznießer sie kritisieren. Wenn selbst die Unterdrücker erkannt haben, dass auch ihre Freiheit durch das notwendige Zwangsverhältnis mit den Unterdrückten verloren geht. Es ist deswegen ein Trost, weil es möglich scheint, dass die ganze Gesellschaft mit der Zeit umfassend an Intelligenz gewinnt und dann solche Gedanken bei der ökonomischen und politischen Elite zu Änderungen führen. Das heißt, man kann sich die Frage stellen, ob man lieber etwas umsetzt, was einem für die Stadt richtiger erscheint, anstatt bei dem Profit-Run mitzumachen? Man muss begreifen, was man aufs Spiel setzt, wenn man richtig mitmachen will. In dieser Gesellschaft richtig mitmachen heißt, alle Spielregeln, die Sprache, die Kleidung, das ganze Leben dem Geschäft, dem Tausch unterzuordnen. Wer durchstarten will, muss sich ganz konformistisch verhalten. Das gilt besonders für die gut dotierten Stellungen und am wenigsten z.B. für Obdachlose. Da muss man eine große Individualisierungsleistung vollbringen, was ja heißt, sich dem Betrieb entsprechend konformistisch umzubauen. Individualisierung heißt ja: ich baue mich so um, in der Hoffnung, als Konkurrent erfolgreicher am täglichen Wettbewerb teilzunehmen. Ich nehme mir für den Selbstumbau also diese Bilder als Vorbild, für die ich meine, dass sie bei meinen Konkurrenten am meisten Eindruck machen, um meine Konkurrenzposition zu verbessern. Individualisierung hat eben nichts mit einem unverwechselbaren Einzelwesen zu tun, sondern hier ist der Vergleich entscheidend. Ein Fremder, ein Ureinwohner z.B. kann nicht an der Konkurrenz teilnehmen, weil er mit seinen Konkurrenten nicht vergleichbar wäre. Er ist fremd. Konkurrenz gibt es nur unter Gleichen. Die Leute müssen, um konkurrieren zu können auf einer quantitativen Skala vergleichbar sein, nicht auf einer qualitativen. Ein Individuum reiht sich als Gleicher unter Gleichen ein. Man sieht schon, dass viele Begriffe in unserer Gesellschaft völlig missverständlich Gebrauch finden. Berlin Mitte ist ein Spielfeld, wo man das beobachten kann. Die Leute und auch die Ästhetik. Nicht hässlich, aber es steckt ein Druck dahinter, eine Konvention. Eine Konvention, die sagt: Das ist eine Galerie, die heute mitspielt. Die spricht bestimmte Leute an und hat sich somit dem Markt, in dem sie existieren will, unterworfen. Das ist so, wie in Frankfurt am Main, wo ein Großteil der Leute Schlips tragen, weil sie in die Türme gehen.

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133 Genau. Nur hier in Mitte sehen die Leute anders aus, auch wenn sie nicht unbedingt weniger Geld haben. Der Millionär trägt hier zerrissene Jeans, die 1000 Euro kosten. In dieser Gesellschaft dreht sich alles um Verwertung. Natürlich ist das in der Architektur nicht anders. Architektur, der dazugehörige Diskurs, Entwurfsmethoden müssen signifikant, systematisierbar, ableitbar sein, dann landen sie in den Zeitschriften und Museen. Wenn es etwas sprung»Das ideale Haus«, Waren, 2005 haft zugeht, spielerisch und leicht, dann wird es schon schwerer, es in den kunsttheoretischen Diskurs einzuordnen. Und diese Verwertungstendenz homogenisiert auch für sich ein Millieu, in dem Architektur stattfindet. Dass der reichste Mann der Welt in Mexiko ein Auguste-RodinMuseum baut, entworfen von seinem Schwiegersohn, ist für die Architekturpraxis eher typisch als eine Ausnahme. Architektur hat mit viel Geld zu tun und fand daher immer in einem entsprechend undurchlässigen Millieu statt. Viele der heutigen »Gipsmassaker«, Düsseldorf, 2006 sogenannten Architektenstars entspringen diesem Millieu oder haben sich entsprechend angepasst. Dass diese Anpassungsleistung nicht allen möglich der Architektur,die ja bekanntlich ist, zeigt Norbert Elias in seinem Buch über Mozart. erst ab einer gewissen finanziellen Ausstattung so richtig in Fahrt kommt. Trotz größter Anstrengungen gelang es Mozart nie, Man muss das Produkt verstärkt ein Teil der adligen Gesellschaft zu werden. Als Kind wahrnehmbar machen, indem man ein vernebelte noch der Altersunterschied sein fremdes bestimmtes Bild davon aufbaut. Wesen. Als Erwachsener trat Mozarts Unfähigkeit Ja, es muss eine gewisse Wiedererzutage, die Sprache und Rituale des Adels glaubhaft kennbarkeit haben, etwas spezielles, zu übernehmen. Seine Versuche wurden als Schauwas nur den einen Entwerfer ausspielerei entlarvt, er blieb ein Fremder. Umgekehrt zeichnet. Der Kunsthistoriker will widerstand Mozarts soziale Intelligenz unbewusst doch immer alles einordnen. Wenn dem notwendigen Anpassungsprozess, der ihm die ein Künstler lauter Sprünge machte, adligen Verhaltensweisen verinnerlicht hätte. würde sich keine wissenschaftliche Im Grunde funktioniert unsere heutige KonkurrenzAbleitung mehr herstellen lassen. Alles gesellschaft immer noch genau so. Man muss als findet in einer seltsamen Einsamkeit rechtschaffener Bürger die bürgerlichen Werte statt, wo nichts von außen eindringt. verinnerlicht oder den Anpassungsprozess weit hinter Die Architektur war bis jetzt, minsich gebracht haben, um in der oberen Gesellschaft destens aber für die letzten 10-15 mitspielen zu dürfen. Am besten gelingt das, wenn Jahre, ein solches selbstreferentielles man schon im Kindesalter mit den Ritualen der Elite System. Eigentlich seit der Moderne. aufgewachsen ist. Das gilt auch besonders für das Feld Peter Gru ndm ann - Inter view


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Š Peter Grundmann

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135 Was würde eine Umwertung heute ausmachen? Eigentlich kann das nur durch einen Zusammenschluss passieren. Die Situationisten haben das versucht. Sie sind mit marxistischen Ansichten gestartet. Am Ende haben sie daraus nur Kunst gemacht und mussten scheitern. Revolution kann man mit Kunst nicht machen. Was man machen kann: universelles Denken; raus aus der Architektur! Und, wenn man als Architekt tätig ist, wieder zurück. Sprechen und denken außerhalb der Architektur. Bauen innerhalb, denn man ist ja Architekt und macht keine Herztransplantationen oder so. Also, architektonisch gesehen, der Maßstabssprung? Ja. Wie das Licht einfällt ist im Detail zwar wichtig, aber das ist unser Handwerk. Wichtiger ist, was für einen sozialen Zusammenhang das Haus nach außen hat. In diesem Sinne ist also nicht die Architektur kritisch, sondern der Architekt? Der Mensch. Architekt wäre wieder eine Einengung. Als Betroffener der Gesellschaft muss er diese wahrnehmen und dann zurück zu seinem Handwerk gehen. Die Lösung aber niemals innerhalb des Feldes des Problems suchen, denn dort befindet sich gar nicht das eigentliche Problem. Der Begriff Architekturkritik ist schon blödsinnig. Kritik sollten wir dahin hängen, wo es die Philosophen verortet haben: nach Foucault ist Kritik die Kunst, nicht regiert werden zu wollen, nach Adorno und Horkheimer muss Kritik immer zur Utopie führen. Und sie meinten zur gesellschaftlichen Utopie. Ein Denken innerhalb eines Faches kann diese Radikalität nicht haben. Daher ist die Architekturtheorie irrelevant und uninteressant. Kritisch kann das nicht sein, weil alles in einem selbstreferentiellen Diskurs stattfindet. Man muss sich nicht mit ihr beschäftigen, sondern sollte weit größer mit dem Denken anfangen, mit Philosophie. Würde das eine Avantgarde definieren, eben nicht in einem selbstreferentiellen Diskurs zu bleiben? Das wäre die einzige Avantgarde, die überhaupt möglich ist. Formal gibt es keine Avantgarde. Das ist ein großes Missverständnis der Postmoderne und der Moderne. Avantgarde gibt es immer nur philosophischpolitisch, mit einem universellen Anspruch. Sie geht raus auf die Straße und stellt sich gegen die Macht. Die Werbung suggeriert auch, dass durch neue Form vermeintlich neuer Inhalt entsteht. Ja, das ist Produktdenken. Durch Begriffe wie »technische Revolution« wird das Wort missbraucht und entwertet. Du hast in deinem Vortrag auch dazu aufgefordert, sich durch Lektüre in die Lage zu versetzen, im Diskurs Stellung zu beziehen. Um kritisch zu sein, muss man also sehr offen Einflüsse aufnehmen. Du hast gesagt:

Adorno und Horkheimer helfen Euch zwar nicht, Euer Haus zu bauen, aber Ihr müsst sie schon gelesen haben, um zu wissen in welchem Feld Ihr Euch eigentlich bewegt, wenn Ihr sagt, Architektur soll gesellschaftliche Relevanz haben. Marx könnte noch dazu kommen. Die Gesellschaft ist komplex konstruiert. Wir sind manipuliert und über verschiedene Ideologien wird Macht verschleiert. Man muss sich darüber klar werden, dass z.B. Werte wie »Freiheit, Gleichheit und Demokratie« sehr falsch verwendet werden. Wenn man

Was man machen kann: universelles Denken, raus aus der Architektur! nicht weiß, was das ist, dann wird jede Theorie, die darauf folgt, irrelevant. Nehmen wir die Freiheit, die in unserer Gesellschaft als der höchste Wert gilt.Was ist das, die Freiheit? Ich bestimme über die Zwecke meines Handelns selbst. Ich tue, was ich will. Aber das ist schon eine Verdoppelung, denn der Mensch tut sowieso immer was er will, soweit er in der Lage ist, seine Zwecke zu betätigen. Die Reichweite der Freiheit definiert sich aus der Reichweite des Eigentums, über das man verfügen kann. Dass ich will, was ich will, oder dass ich tue und lasse, was ich will, ist kein Zweck, sondern ist in jedem Zweck automatisch enthalten. Diese Tautologie macht keinen Sinn und man merkt: Freiheit bedeutet viel mehr, als: »Ich tue was ich will.« Freiheit definiert eine Gesellschaftsform, ein Verhältnis zur politischen Macht. Freiheit ist gar Peter Gru ndm ann - Inter view


136 kein Verhältnis zu mir und meinem Willen, denn der Ruf nach Freiheit ist eine Abstraktion zu meinen Zwecken. Man kann für Freiheit sein und ist deswegen für und gegen nichts. Freiheit rufen, heißt »JA« sagen zu einer Macht, die mir die Freiheit erlauben soll. Freiheit kann es nur unter einer Herrschaft geben. Sie besteht, wenn eine politische Macht genehmigt, das zu tun, was die Leute sowieso selber wollen. Das klingt absurd, dass die Regierung wirk-

Avantgarde gibt es immer nur philosophischpolitisch. lich dafür da wäre, den Leuten das aufzuerlegen, was sie sowieso selber wollen. Freiheit ist dann aber vielmehr eine Anforderung an die Leute und zwar die Art der Umgangsform in einer Gesellschaft, in der sich die Leute als Konkurrenten gegenüberstehen. Dabei setzt Freiheit die Brutalität der Konkurrenz so richtig frei. Der rechtschaffene Bürger fühlt sich frei, wenn er die Staatsraison total verinnerlicht hat. Er muss sagen können: ich will, was mir erlaubt wird; oder: ich will, dass mir jemand erlaubt, dass ich darf, was ich will. Dieser Widerspruch ist nur mit einer brutalen Anpassungsleistung auszuhalten, die man Individualisierung nennt. Marx spricht von Charaktermasken. Wer das nicht aushält und die Schranken übertritt, ist dann unfrei. Es ist nur logisch, dass es in den USA, wo die Freiheit am höchsten gehalten wird, prozentual zur Bevölkerung die meisten inhaftierten Menschen gibt. In der BRD

waren 1989 sechs mal mehr Menschen inhaftiert, als in der DDR. Die Grenzen der Freiheit sind leicht erreicht, wenn man nicht über die entsprechende Sphäre verfügt. Freiheit gehört in private Angelegenheiten, die sowieso niemanden etwas angehen, nicht hin. Die Wahl der Kleidung, die Frisur, was ich esse, wo ich hingehe, wer meine Freunde sind – bei Sachen, bei denen man kein Verhältnis zum Rest der Welt einnimmt, da ist von Freiheit nicht zu reden, denn hier agiert jeder, wie er will. Im Wald würde niemand auf die Idee kommen, nach Freiheit zu rufen, denn dort ist man wirklich frei. Auch Willensfreiheit oder Meinungsfreiheit ist hier nicht gemeint, denn die bedarf keiner Staatsorder, die hat jeder Gefangene. Ob man seinen Willen betätigen kann, ist eine andere Sache. Ein Gefangener kann seinen Willen nur betätigen, wenn er die Strafe in Kauf nimmt. Da, wo ich mich in Beziehung zu anderen befinde, ist Freiheit keine gute Idee. Meine totale Freiheit ist die Unfreiheit aller anderen. Die Freiheit endet da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Dafür gibt es die Schranken der Freiheit. Indem eine Macht Freiheit zusammen mit ihrer Schranke verordnet, wird ein gesellschaftliches System konstruiert. Auch die Wahl ist nicht die Errungenschaft, als die sie gilt. Wer wählen geht, sagt ebenfalls »JA« zu einer Macht. Er zeigt, dass er regiert werden will. Besser wäre es, wenn der allgemeine Zweck der Gesellschaft nicht im Widerspruch zum Zweck des Einzelnen stünde, wenn die Leute endlich in die Lage versetzt würden, ihre Belange selbst zu organisieren. Auch »Gleichheit«, ein hoher Wert der bürgerlichen Gesellschaft, betoniert einen rechtlichen Status, wonach alle Leute als gleich behandelt werden, obwohl sie in ihrer Verfügungsgewalt über Eigentum ungleiche Voraussetzungen mitbringen. Der Staat stellt alle Menschen gleich und ignoriert damit deren soziale Unterschiede. Dem Mittellosen wird damit jede Möglichkeit genommen, an seinem Status etwas zu ändern. Gleichheit ist damit die sportliche Komponente der Konkurrenz. Stellen wir uns vor, die Wirtschaft ist ein 100m-Lauf. Eine andere Disziplin gibt es nicht. Nun müssen so unterschiedliche Wesen wie Hase und Igel antreten. Gleichheit ist auch die rechtliche Basis, wonach Verlierer der Konkurrenz nicht das System, sondern sich selbst in Verantwortung sehen. Freiheit und Gleichheit sind Ideologien. Wie wird nun aus gesellschaftlicher Kritik eine kritische Handlung? Ich habe versucht, während meiner Lehrtätigkeit den Studenten klarzumachen, wie Raum heute besetzt ist, wie er programmiert ist, wie die Handlungs-

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möglichkeiten eingeschränkt werden. Wir waren im Fernsehstudio bei Vera am Mittag. Ein Fernsehstudio ist vielleicht der programmierteste Ort, den es gibt. Da ist alles vorgegeben. Jemand sagt: jetzt klatschen, jetzt nach da gucken, da kommt die Kamera! Das Benehmen ist absolut vorgegeben. Der Potsdamer Platz z.B. ist nicht so weit weg davon. In einem von Konsum und Verwertung homogenisierten Raum ist der Blick, die Bewegung, die Handlung, die Nutzung stark vorgegeben. »Fernseherrudiment«, Studienprojekt von Uwe Zihnkhahn; Betreut von Peter Grundmann, Wintersemester 2004 Die Benutzer müssen sich diesem Design stark unterordnen. Man geht, sieht und denkt auf Schienen. Wir haben dann versucht, durch Aktionen den Potsdamer Kontrast zwischen der Kulturleistung Platz wieder zu einem öffentlichen Raum zu machen, wo alles möglich ist und sind sehr schnell an rechtliche des Architekten und der Natur, die Schranken gestoßen. Da haben die Studenten gemerkt, wild und gefährlich ist. Ganz früher gab es die Stadtmauer. Innerhalb gab dass es mit der suggerierten Freiheit schnell vorbei ist, wenn man nicht das macht, was von einem erwartet es Regeln, außerhalb gab es keine. Das ist heute nicht mehr der Fall. Jedes Feld, wird. Und die Erwartungen am Potsdamer Platz sind sehr eng gefasst. Also da war es ganz deutlich: frei ist jeder Wald ist besetzt durch Eigentum – nur der, der weiß, was er darf und auch nichts anderes alles ist privatisiert – und Privatisiewill als ihm erlaubt wird. Man konnte sehen, wie sehr rung macht Kontrolle notwendig. Und Freiheit eine Ideologie ist. Verwertung macht Programmierung Man muss auch sehen, dass es zunehmend nur noch Kul- notwendig. Es gibt Regeln und Verbote. turlandschaften gibt, egal ob Stadt oder Land. Früher Wenn man sich immer nur in Kulturhat man ein Haus im Gegensatz zur Natur gebaut. Mies räumen bewegt, geht die Fähigkeit van der Rohes Farnsworth House z.B. bildet noch den verloren, Stadt als kulturelle Leistung Peter Gru ndm ann - Inter view


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zu erkennen und es ist dann unmöglich, eine kritische Haltung gegenüber dieser Stadt zu entwickeln. Alles Kritisieren reduziert sich dann auf formale Aspekte. Es sollte aber viel weniger um Formalien gehen sondern um Fragen wie: Programmierungsgrad, also wie eng ist das mögliche Programm eines Raumes, welche Beschränkungen gibt es in seiner Benutzung, wie hoch ist der Grad der Kontrolle, wie ist der Rechtsstatus eines Raumes, wie gross sind die Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten, welche Wahlmöglichkeiten im Raum gibt es, es geht also um die sozialen Aspekte eines Raumes oder eines Gebäudes im Bezug zum Kontext, zur Stadt. Der Architekt müsste also dafür sorgen, dass es wieder Räume gibt, die überhaupt keine Programmierung haben. In der Stadt müssen wieder Leerstellen geschaffen werden. Es ist auch wichtig, dass man diese an sehr exponierte Orte setzt, damit die Leute unbewusst durchgehen und den Bruch zu den homogenisierten Orten wahrnehmen. Also: ungestaltete Leerstellen erzeugen Distanz zur Stadt und diese

Distanz macht die Stadt als Kulturleistung sichtbar. So kann man sich das vorstellen. Dagegen ist der Drang, die Fehler auszumerzen, der große Fehler. Also kann Architektur steuernd eingreifen? Ja. Wir haben die Möglichkeiten, denn wir lernen im Studium, die Investoren durch unsere Pläne und unser Reden zu überzeugen. Dadurch kann man den Investor täuschen. Ich habe mal ein Projekt in Prag gemacht. Da hatte ich einen großen Plan und habe gesagt, wir bauen hier 15 Sachen hin, die stehen im visuellen Zusammenhang. Der Plan suggerierte eine große Dichte. Wenn man das aber gebaut hätte, wäre zwischen diesen 15 Gebäuden eine große Leere entstanden. Die Gebäude haben Abstandsflächen erzeugt, dass daneben nichts mehr hätte gebaut werden dürfen. Ich habe den Investoren eine Dichte gezeigt, die ich gar nicht erzeugen wollte. In Mecklenburg habe ich mal ein sehr schmales rundes Hochhaus vorgeschlagen, dass durch die Abstandsflächen einen Platz freihalten sollte, am alten Hafen. Ein Investor plante dort, in hoher Dichte Ferienhäuser zu bauen, was einen großen Qualitätsverlust bedeutet hätte. Das wäre dann Betrug, aber legitim, wenn man meint, dass es richtig ist. Das heißt, um kritisch zu handeln, muss man sich der Konvention bedienen, um in ihr selbst Lücken zu schaffen?

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139 Wenn man meint, die Fähigkeit des politischen Sehens ist wichtig, und jeder würde wohl sagen, das ist total wichtig, damit wir nicht vollends zu willenlosen Konsumenten werden, dann muss der Architekt diese Brüche und Leerstellen selbst produzieren. Das ist schwer, da man gegen den Verwertungsdruck agieren muss. Also muss man sich bestimmter Mittel bedienen. Wir haben den Vorteil, dass wir besser argumentieren und besser zeichnen können als der Bauherr. Mir geht es um einen Raum, in dem der Staat nicht eingreifen darf, ein rechtsfreier Raum, der überhaupt keine Programmierung hat. Er hat kein Programm, d.h. die jeweiligen Nutzer können alles machen, außer diesen Raum zu privatisieren. Privatisierung, also Verwertung, ist unmöglich! Und er ist damit auch keiner Überwachung oder Kontrolle unterworfen! Die Nutzer müssen sich einigen und selbst organisieren. Erst dann ist überhaupt ein politisches Gespräch im öffentlichen Raum möglich. In etwa so: zwei Leute treffen sich, zwei Meinungen treffen aufeinander und man einigt sich auf eine bessere dritte Meinung. In diesem Raum ist die Meinung keine Privatsache, die es zu verteidigen gilt wie die eigene Haut. Das ist nur in einem öffentlichen Raum möglich, ohne ein durch eine Macht vorgegebenes Programm, ohne durch eine Macht ausgesprochene Verbote, ohne ein Versammlungsverbot etwa, ohne durch einen von einer Macht konstruierten Rechtsstatus. Der Staat hat keinen Einfluss auf diesen Raum. Man kann es Experiment nennen. Ist nicht das Modell der Baugruppen ein Weg heraus aus dem Investorendruck? Ich glaube nicht an das Modell der Baugruppen als gute Idee für die Stadt. Ich kann mir das nur schwer vorstellen, wenn Häuser so homogen bestückt werden, wo alle zwischen 30 und 40 sind, gut verdienen, aus demselben sozialen Kontext kommen – gute Bildung, kreative Berufe oder Freiberufler – und sich auch noch gut verstehen. Ein solches Projekt privatisiert und homogenisiert am Ende nur. Also ist der öffentliche Raum für dich das eigentliche Feld der Architektur. Du verstehst unter Architektur nicht nur Bauen, sondern das Schaffen von Situationen? Ja, aber das muss man dann auch als Bauen erkennen. Beziehungsweise als Aufgabe der Architektur, die bisher hieß: Einen Status quo etablieren, der baulich manifestiert ist. Kann man sagen, dass sich jetzt eine Architektur entwickelt, die andere Ziele hat? Man muss versuchen, Nutzungen zu finden, die den Homogenisierungs- und Privatisierungstendenzen entgegenwirken. Man kann das auch ganz egoistisch denken: Mein Stadtviertel soll von Leuten

bewohnt werden, die aus allen Schichten stammen. Erst diese Komplexität finde ich interessant. Wie homogen und privatisiert es gehen kann, habe ich in Bahrain gesehen. Da fahren die Leute aus dem Tor der Mauer ihrer Villa, über die begrünte, leere, 6-spurige Straße und dann fahren sie durch das nächste Tor ins Shoppingcenter. Die benutzen ihre Stadt gar nicht. Die Diskussion: Ist das Stadt oder nicht, ist für die auch gar nicht interessant. Gefährliche Städte entstehen durch

Die wichtige Frage ist: warum habt ihr eure Stadt so gebaut? soziale Unterschiede. Die wichtige Frage ist also nicht: Ist es noch Stadt, oder nicht? Sondern: Welche gesellschaftlichen Ursachen zerstören Urbanität? Warum habt ihr eure Stadt so gebaut? Dann ist man ganz woanders, als wenn man mit Architektur ein bisschen lindern möchte. Fahrt mal in den Osten Deutschlands und seht Euch an, welcher Bildungsstand dort verblieben ist, welche kulturelle Ausstattung. In Prenzlau oder Pasewalk gibt es kein Theater, kaum ein Kino. Die jungen Leute, die Abitur machen, verlassen die Gegend. Die Städte sind ohne Perspektive da sie ökonomisch nicht verwertbar sind. Berlin Mitte war interessant bis Mitte der Neunziger Jahre. Da gab es viele Brüche, viele Lücken, und es gab viele experimentelle, kreative Nutzungen. Die Leute mussten kreativ sein. Sie haben sich mit wenig oder ohne Mittel der leeren Räume bemächtigt, haben sie okkupiert, haben dort Bars, Ateliers, Kunsträume Peter Gru ndm ann - Inter view


140 und Wohnungen installiert. Aufgrund ich dachte: OK, noch ein Glashaus. Auf dem Rückweg der Mittellosigkeit ist vielleicht so fiel mir dann auf: das könnte doch die Elbphilharmonie etwas entstanden, was manche als sein! Von der suggestiven Kraft der Bilder hat das nichts Typ Berlin Mitte bezeichnen könnte, mehr, es sieht total banal aus! Da fragte ich einen Hamaber es müsste eigentlich Ungeburger neben mir: Sag mal, ist das die Elbphilharmonie? staltung heißen, denn daran waren – Der fing sofort an sich aufzuregen: Er habe zwei Kinder, anfangs ja keine Gestalter beteiligt. die Kindergartengebühren würden verdoppelt, das Ding Jetzt ist in Mitte eine Art professisei sechsmal teurer geworden. onelle Kreativität eingezogen, die Die Hamburger Kaufleute haben dieses Viertel eigentabsolut geordnet ist. Da ist kein lich nie ausgemacht. Die haben in ihren Villen gewohnt, Raum mehr für Zufälligkeiten. Das haben zwar ihre Geschäfte da gemacht, aber seit den Dumme daran ist, dass die kaufmän70ern haben da alternative Leute gewohnt, die das nisch nicht so talentierten Künstler Viertel wirklich interessant gemacht haben. Da gab es weggangen sind, nur noch Leute, die zum Beispiel die besetzte Hafenstraße, wo die HamburGeld haben, bleiben. Damit ist viel ger und Touristen gerne hingefahren sind, weil es ein Qualität verloren gegangen. Der absolut anderes städtisches Angebot war. Aber dieses Versuch, diesen typischen Mitte-Stil exponierte Stück Grund und Boden war durch Besetnun nachzuahmen, mit viel Geld, ist zung der Verwertung entzogen. Das konnte nicht lange ein bisschen unverständlich. Man weiß gut gehen. Jetzt haben die Kaufmänner im Hafenviertel doch, dass eine Nachahmung absurd ihr Geld gemacht. Die regen sich über die Elbphilharist, denn die Qualität waren nicht die monie eigentlich auch nicht auf, denn die gestiegenen rohen Wände oder alte Möbel, sondern Kindergartengebühren stören sie nicht. Darunter leidet es waren die sozialen Beziehungen. die untere Mittelschicht, oder die noch weiter unten. Es waren die Leute, die da wohnten. Leider ist die Qualität in der Hafencity nun völlig dahin. Jetzt ist es ein Abbild geworden. Man In Weimar sind durch die Kulturstadtsanierung 1990 trägt mit der Abbildung zum Exodus auch einige Freiräume verschwunden. dessen bei, was man abbilden wollte. Weil Geld in die Stadt geflossen ist? Wenn man eine Lebensart gut findet, Ja. Aber vieles wurde aus Zeitgründen nur potjemkinsch dann soll man daran teilnehmen, saniert. Damals wurde aber auch das Hababusch-Hostel aber nicht anfangen, sie für sich gegründet. 12 Architekturstudenten haben ein Haus nutzbar zu machen, sie abbilden. vom Studentenwerk übernommen, das total runtergeEigentlich kann man den wirtschaftwirtschaftet war – mitten in der Innenstadt. Sie haben lichen Aufschwung und den gleiches in Eigeninitiative aus- und umgebaut. Einer von den Zwölfen ist jetzt noch übrig und betreibt das Hostel zeitigen Niedergang für die Bewohner weiter. eines Viertels voraussehen, wenn Das ist doch ein gutes Konzept. Und das wird auch die ersten zwei Künstler einziehen. angenommen, ja? Ja. Nur ziehen diese ersten Künstler Ja. Übernachtung im Mehrbettzimmer: 10 Euro, auf dem irgendwann wieder weg und es folgen Dachboden: 7,50 Euro und sie wollen jetzt anbauen. andere kaufmännisch talentiertere Sehr gut! Auf einmal sind in bester Innenstadtlage Künstler. Die sind dann aber karriereLeute, die ökonomisch gesehen, da gar nicht hingehören. bewußt, kaum auf der Straße, sondern Euer Hostel zeigt: Erst kommt immer die soziale viel auf Reisen oder arbeitend im Frage, viel später erst die formale. So kann man Atelier. Die beleben das Viertel nicht, sondern eher die Galerien der Welt und Stadt komplex und interessant machen – und alles ohne über Ästhetik zu sprechen! die Zeitschriften. Ein gutes Beispiel dafür ist der Broadway in New York, der seine Hochzeit in den 70er Jahren hatte oder die Hamburger Hafencity. Habt ihr mal die Elbphilharmonie gesehen? Ich fuhr da letztens in der S-Bahn vorbei. Da gibt es viele Glashäuser und RE- D EFINITION - A r c h i te k tur a uf de r Suche na ch ne ue n We ge n


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The radical Architecture of little Magazines 196X-197X Edited by Ilka & Andreas Ruby. With an Illustrated Index by Something Fantastic. Berlin: Ruby Press, 2010 English, 440 pages, 17,5 x 23,5 cm, hardcover ISBN 978-3-9813436-2-5, 48,00 EUR

Edited by Beatriz Colomina & Craig Buckley With a poster »A-Z: A Mosaic Image of Over 1200 Covers« Barcelona: ACTAR, 2010 English, 672 pages, 19 x 26 cm, hardcover ISBN 978-84-96954-52-6, 45,00 EUR

»In many ways, construction is much more than a mere act of production, it is a multilayered process of re-organizing matter, taking place in a variety of scales and timeframes« Auch dieses Buch ist viel mehr als eine bloße Zusammenfassung des International Holcim Forum for Sustainanble Construction on Re-inventing Construction, welche im April 2010 in Mexico City statt fand. Es gewährt in vier Kapiteln Einblick und Ausblick auf Möglichkeiten des Neu- und des Wieder-Entdeckens von Konstruktionsmethoden und Details, welche im Hinblick auf sinkende Rohstoffvorkommen, den Klimawandel sowie drastische demographische Verschiebungen nicht nur an technischer, sondern vorallem auch an politischer Bedeutung gewinnen. Mit einer vielfältigen Auswahl an Beiträgen von Bjarke Ingels, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Werner Sobek oder Michael Sorkin, wird dem Leser keine determinierte Lösung vorgelegt, vielmehr geht es um eine Zusammen- und Gegenüberstellung von Ansichten und Lösungsansätzen, welche gleichwertig nebeneinander stehen und somit keine Ausschließlichkeit proklamieren, sondern einen Pool darstellen. Dadurch gewinnt das Buch an Möglichkeiten und bietet Raum für eine eigene Einschätzung und Meinungsbildung. Durch das weite Spektrum der Betrachtung, vom Wandel der fossilen zur postfossilen Gesellschaft, über eine von Menschenhand geschaffene Umwelt voller noch nicht genutzter Ressourcen, der immer komplexer werdenden und spezialisierten Fachgebiete, bis hin zu den einzelnen Akteuren im Zusammnhang von Konstruktion und Nachhaltigkeit, werden viele Bereiche beleuchtet. Dabei geht es immer auch um die Vermittlung zwischen den Sphären der Architektur und der Ingenieurswissenschaft. Das Buch zeigt auf, dass Rückbesinnung nicht immer gleich Rückschritt bedeutet und verbildlicht dies durch die graphische Aufbereitung verschiedener traditioneller als auch neuer Konstruktionsmethoden und Details, welche maßstabs- und regionsübergreifend, weit gefächert sind. JM

100 Seiten glossy Papier, hochaufgelöste Bilder von leicht verdaulicher Vorzeigearchitektur zur blauen Stunde, 30 Seiten Anzeigen. So kann man eine Architekturzeitschrift machen – und Geld damit verdienen. Oder man versteht eine Zeitschrift als Plattform für kritischen Diskurs, als Sprachrohr für Meinungen und Arena für den Wettstreit von Thesen, selbst und günstig produziert mit dem Ziel, Praxis nicht bloß abzubilden, sondern nachhaltig zu beeinflussen. Immer wieder in der Geschichte der Architektur sind genau jene »kleinen« Zeitschriften zu Katalysatoren neuer Bewegungen geworden. Insbesondere die 60er und 70er Jahre haben eine Reihe von Publikationen hervorgebracht, die den etablierten Architekturdiskurs in Frage stellten und mit teils spekulativen, teils provokanten, immer kritischen Thesen Alternativen aufzeigten. Diesen widmet sich die von Beatriz Colomina und Craig Buckley kuratierte Wanderausstellung Clip/ Stamp/Fold, zu der nun die gleichnamige Publikation vorliegt. Mit Transkripten von Gesprächsrunden an den verschiedenen Ausstellungsorten, kurzen Einführungen zu einzelnen Zeitschriften, ausführlichen Faksimiles und Interviews mit Protagonisten, bildet der Band einen Querschnitt von den schon damals etablierten Domus und Casabella, über die berühmt gewordenen Archigram und Oppositions bis zu den skurilen Wet und Harck ab; insgesamt von rund 70 Magazinen, ab. Das alles ist hochwertig reproduziert und mit beeindruckender Vollständigkeit dokumentiert. Kaum vorstellbar, das all das in weniger als zwei Jahrzehnten entstanden sein soll – auch wenn manche Publikation nicht über die erste Ausgabe hinaus kam. Vielleicht auch, weil sich mit all dem natürlich kein Geld verdienen lässt – was aber auch nicht der Sinn der Sache war. Am Ende ist es wohl kaum ein Zufall, dass eine der ganz wenigen Passagen, die auf dem Cover zu lesen sind, Bernhard Tschumis Berechnung vorstellt, wonach ein Architekturlehrer 883 Jahre arbeiten müsste, um genauso viel Geld zu verdienen, wie Muhammad Ali in 23 Minuten in Zaire. MK


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further reading »Hier Entsteht« Jesko Fezer und Mathias Heyden (Hg.) B-Books, 2004 978-3933557534

»Das Carambole-Prinzip« Urs Füssler Vortrag, FH Potsdam, 22.01.2003 http://www.fuessler.net/carambole/index.html

»The BLDGBLOG Book« Geoff Manaugh Chronicle Books, 2009 978-0811866446

»The Project of Autonomy: Politics and Architecture Within and Against Capitalism« Pier Vittorio Aureli Princeton Arch. Press, 2008 978-1568987941

»Did Someone Say Participate?: An Atlas of Spatial Practice« Markus Miessen and Shumon Basar (Ed.) MIT Press, 2006 978-0262134712 »Something Fantastic – A Manifesto by Three Young Architects on Worlds, People, Cities and Houses« Julian Schubert, Elena Schütz, Leonard Streich Ruby Press, 2010 978-3981343618 »OFFICE Kersten Geers David van Severen – Seven Rooms« Moritz Küng Hatje Cantz, 2009 978-3775725729 »Architecture in the Age of Empire« Kristian Faschingeder, Kari Jormakka, Norbert Korrek, Gerd Zimmermann (Ed.) Verlag der BauhausUniversität Weimar, 2011 978-3860684177

»Enduring Innocence: Global Architecture and Its Political Masquerades« Keller Easterling MIT Press, 2007 978-0262550659 »The Fall of Public Man« Richard Sennett Penguin Books, 2003 978-0141007571 »The Production of Space« Henri Lefebvre John Wiley & Sons, 1991 978-0631181774 »Architektur ohne Architekten. Eine Einführung in die anonyme Architektur« Bernard Rudofsky Residenz, 1993 978-3701705658

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»Small Scale, Big Change: New Architectures of Social Engagement« Andres Lepik (Ed.) Birkhäuser, 2010 978-3-0346-0588-5 »Die Kinder fressen ihre Revolution. Wohnen – Planen – Bauen – Grünen« Lucius Burckhardt (Herausgegeben von Bazon Brock) DuMont Buchverlag, 1985 3-7701-1718-2 »Gestaltung Denken« Klaus Thomas Edelmann und Gerrit Terstiege (Hg.) Birkhäuser, 2010 978-3034605151 »Crucial Words« Gert Wingårdh and Rasmus Wærn (Ed.) Birkhäuser, 2008 978-3764386450 »Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts« Ulrich Conrads (Hg.) Ullstein, 1964 ASIN: B0000BH7GA


Die nächste Ausgabe von

HORIZONTE

erscheint im Oktober

20 11

Building Matters Material, Methoden, MĂśglichkeiten.


EDITORIAL part 2

RE-DEFINITION – Architektur auf der Suche nach neuen Wegen

Auf der Suche nach neuen Wegen beobachten wir heute – nach einem scheinbar endlosen (Bau)Boom, der, mit dem Aufstieg einiger weniger Stars der globalisierten Baukultur verbunden, nun sein jähes und so dringend notwendiges Ende in der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren und damit einhergehenden Projektstops fand – wie eine kontextbezogene Arbeitsmethode als Grundlage zur vertieften Auseinandersetzung mit häufig kleinmaßstäblichen Projekten dient, welche die komplexen Bezüge zwischen ihrer lokalspezifischen Situation und dem globalen Kontext herstellen. Dabei wird schnell klar, dass es eine vergleichbar verbindliche Formel wie Vitruvs Dreiklang nicht mehr gibt. Vielmehr stehen die Beiträge und ihre Verfasser in diesem Heft für eine Vorgehensweise, die sich eher durch die Selbstverständlichkeit auszeichnet, mit der sie unter Berücksichtigung des Vorgefundenen, Alltäglichen und Gewöhnlichen situativ handeln, ohne dies als orthodoxe Anweisung für Andere festschreiben zu wollen. Formal gibt es keine Avantgarde, so Peter Grundmann. Und so zeichnet diese neue Generation neben der reflektierten Handlung insbesondere ihre Haltung zur Stadt als Verhandlungsraum aus, den Architektur ermöglichen kann, wie es Jesko Fezer beschreibt; als ›thing in the making‹. Dafür muss sie jedoch aus ihrem selbstreferentiellen Bezugssystem und der Verbindung von Ego und Bauen heraustreten, wie Markus Miessen feststellt. Geoff Manaugh und Nicola Twilley bestätigen, dass Ideen umso stärker werden, je mehr professionelle Grenzen sie während ihrer Entstehung überschreiten. Am ehesten unterscheiden liessen sich wohl noch auf das Bauen bezogene Strategien – wie OFFICE KGDVS' Positive Pollution –, Strategien der Vermittlung zwischen Architektur und Landschaft – wie Paisajes Emergentes' Network, Bernhard Königs Rurbanismus und DOGMAs Stop-City – und solche,

die den Dialog mit den Nutzern suchen. Für fast alle zählt die Arbeitsweise, der Prozess, mindestens genauso viel wie das Ergebnis. BeL + studio uc mit ihrem laufenden Projekt für einen Gärtnerhof, die ArchitektInnen von nonconform mit dem Konzept der vor ort Ideenwerkstatt oder Something Fantastic mit der Beschreibung des house 205 von H Arquitectes bieten hierzu anschauliche Beispiele. Die Ansätze und verfolgten Strategien sind so vielfältig wie die Probleme, mit denen sich Architektur und Stadtplanung heute konfrontiert sehen. Welche Rolle das Wissen dabei spielt, diskutieren Sandra Schramke, Mirko Krause und Kristian Faschingeder, wie der unverkrampfte Umgang damit aussehen kann, zeigen Dreier Frenzel und Philomène Hoel. Vielfalt ist denn vielleicht auch die eine verbindende Konstante innerhalb der hier versammelten Beiträge. Eine neue Definition, im Sinne einer stilistischen oder programmatischen Methode, wie sie zuletzt noch etwa mit SuperDutch oder Supermodern versucht wurde, scheint endgültig obsolet; und das ist auch gut so. Denn so sind wir am Ende vielleicht doch ganz nah an László Moholy-Nagys Formulierung vom Architekten und der Architektin als »Seismographen«, die mit zunehmend komplexeren Beziehungen zwischen den Dingen zurecht kommen müssen, deshalb Grenzen von Disziplinen überschreiten und wissenschaftliches Denken mit humanistischer Kultur wiedervereinen sollten, um so die Architektur zu einem kritischen, komplexen Gedanken- und Handlungsprozess werden zu lassen. Als ein Gegenentwurf zur Selbstreferenzialität der Starchitecture, als Aufruf, gesellschaftlich verantwortlich zu planen und als Einladung zu einem offenen Diskurs über die Zukunft unserer Umwelt –

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Die Herausgeber



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