Sweet Scraps Sweet Scraps
Prozess Dokumentation
Lisa BlaserProjektbeschrieb
Der Industrieabfall vieler Hersteller bleibt für Privatpersonen oft unsichtbar. So auch die Abschnitte eines vielseitig eingesetzten Synthetik-Vlieses, das am Laufmeter produziert wird. Das anfallende, neuwertige Restmaterial wird bislang verbrannt.
In Kooperation mit der Produktionsfirma Jakob Härdi AG wurde in einer breiten Materialrecherche eine neue Wertigkeit für das Restmaterial generiert und dessen gestalterisches Anwendungspotenzial exemplarisch im Wohnkontext aufgezeigt.
Die Untersuchung schlägt einen kreativen, spielerischen und lustvollen Umgang mit Restmaterial vor und hinterfragt unseren Umgang mit Ressourcen.
Seiten-Streifen ab Laufband
Wiederverwertbares Material von Fehlproduktionen
Rest-Streifen zu Ballen gepresst
Wieso fallen in der Produktion Resten an?
Verunreinigtes Material (Bodenkontakt) darf aus Sicherheitsgründen nicht mehr der Produktion zugeführt werden. Es entstehen Resten, bis die Produktion zu Beginn oder nach einem Produktionsstopp wieder ins Rollen gebracht wird. Auch gelegentliche Fehlproduktionen sind aus menschlichen oder technischen Gründen unumgänglich.
Der Grossteil der Resten entsteht an den Seitenrändern. Durch die maschinellen Bedingungen kann das Material nicht kantengerade produziert werden und weist leichte Ungenauigkeiten in der Breite auf. Auch die Materialstärke variiert aufgrund des Badewanneneffekts. Als Ausgleich wird das Vlies zugeschnitten und zurück bleiben Streifen links und rechts.
Auch fällt beim individuellen Zuschnitt nach Mass neuwertiges Restmaterial an. Das unverwertbare Material wird zu Ballen gepresst und in der Verbrennungsanlage entsorgt.
Insgesamt betragen die Resten der Firma Jakob Härdi AG je nach Produkt 5-10% der Produktionsmenge.
Versuch, Filter-Restmaterial maschinell zu Watte aufzureissen
Recycling-Stopfwatte
Stopfwatte von Hand gekardet, sichtbare Faserklumpen
Wieso sind Resten nicht mehr verwertbar?
Solange die Fasern noch nicht zu stark verfestigt wurden, ist eine Wiederaufnahme in die Produktion möglich. Die Jakob Härdi AG arbeitet bereits mit einem System, in welchem Restmaterial nach Kategorien sortiert, gesammelt und in gewissen Anteilen wieder der Neuproduktion beigemischt werden kann. Um Neumaterial einzusparen und Entsorgungskosten zu reduzieren, wird auch aus ökonomischen Gründen so viel wie möglich rezykliert.
Wenn das Material durch eine mechanische Verfestigung (Vernadelung), Zusatzmaterialien (z.B. Gitternetz) oder chemische Beschichtungen (Kleber, Harze) zu stark verbunden ist, können die Fasern nicht mehr aufgerissen und wiederverwendet werden. Die Faserklumpen bleiben in den feinen Maschinen stecken. So steigt der Arbeitsaufwand und die Produktqualität leidet.
Die Verwendung verschiedener Komponenten deckt zwar die hohe Qualitätsanforderung ab, erschwert aber ein Recycling.
Farbnebelabscheider Pink
Farbe als Produkt-Kennzeichnung
Farbnebelabscheider Grün
Deckenfilter mit Gitternetz
Vorgehen
Teil I
Technische und experimentelle Charakterisierung des Materials:*
Untersucht wird hauptsächlich anhand Seitenstreifen und Zuschnitten von folgenden Produkten: Farbnebelabscheider für Lackierkabinen (pink und grün)
Einige Versuche mit:
Deckenfilter (weiss mit Gitternetz)
Die Produkte bestehen aus Polyesterfasern (Thermoplast) mit geringem Anteil Acrylatbinder (Duroplast) und verschiedenen Additiven. (z.B. Farbstoff)
Eine Herausforderung der Untersuchung ist der erschwerte Umgang mit Nicht-Monomaterial wegen der unterschiedlichen Materialeigenschaften.
Teil II
Entwicklung von Material- und Produktkonzepten:*
Welche Anwendungen eignen sich auf Grund der Ergebnisse von Teil I?
Herausforderung im gestalterischen Umgang mit Unregelmässigkeiten des Materials.
Heissluftföhn, schmelzen
Hitze: HeatpressHeat Press, kurze Zeit formbar stopfen, füllen
Handkarde, Vlies in Fasern auftrennen
Farbe
Schweiss-Beil
Heissluftföhn
Falten, abgetrennte helle Schicht des Vlieses, pinke Faserrückstände
Heat PressOberfläche
Heissluftföhn
Bandsägeblatt mit Zähnen
Watte mit Schweiss-Punkten fixiertQuerschnitt Rolle Restmaterial, Bandsäge für Textilien
Muster
Ultraschall-Schweissverfahren
Abgesteppt mit Nähmaschine
Querschnitt mit Bandsägeblatt mit Zähnen
Schichten
Heat Press Schichten, bohren Schneideplotter, einritzen, ablösenLasergravur
Verbindungen
Nähmaschine
Rapport
Wie können einzelne Elemente zu einer Fläche einer Anordnung, einem grösseren Volumen werden?
Welche Wirkung hat eine Wiederholung?
Welche Assoziationen wecken sie?
Formen gefüllt mit Stopfwatte
Licht als weiteres ElementRaum
Wie wirkt das Material im Raum?
Welche Räume können bespielt werden?
Wie können die Streifen auf eine Art und Weise miteinander verbunden werden, aneinandergereiht werden?
Durch Form und Farbe entsteht ein skulpturaler, monumentaler Effekt. Mit Hilfe von AI Tools können auch grössere, zeitaufwendige Ideen visualisiert werden.
Materialverständnis der AI ist begrenzt
AI generierte Bilder, Leonardo AIKostüm
Das formstabile Material eignet sich für dramatische Effekte. Falttechniken oder Raffungen ermöglichen eine Volumenbildung aus den flachen Streifen.
Durch die auffällige Farbe, ist das Material auch mit starkem Licht aus weiterer Entfernung vor dunklem Hintergrund grafisch wirkungsvoll. (Bühnenkontext)
AI generierte Bilder, Leonardo AIKörperbezogene Versuche mit Materialmustern
Licht
Durch Ausschnitte hindurchblicken - ein Schattenspiel entsteht. Wie verändert sich die Transparenz des Materials in verschiedenen Zuständen? Die unterschiedliche Materialstärke, die durch die Faltungen entsteht, beeinflusst die Farbe und Wahrnehmung des Lichts.
Heat Press RüschenSkulptur
Hülle und Kern. Das ästhetische Potenzial der Faltungen wird mit den verschiedenen aufgetrennten Schichten des Vlieses kombiniert. Durch die farbigen Faserrückstände gewinnt die Struktur noch mehr Weichheit und Dimension. Die Struktur wird zum Volumen. Wie kann die Hülle gefüllt werden? Die grüne Watte als Füllung schimmert durch die dünnen Stellen des hellen Vlieses und schafft damit eine farbliche Abwechslung.
Skulptur im Raum, erste VersucheKombinationen einzelner Elemente
Faltenbildung mit Ultraschall-Schweiss Verfahren, punktuelle Verbindungen
Schallabsorptionsgrad nach
ISO 10534-2
Messung der Schallabsorption im Impedanzrohr
Auftragsnummer: Bachelorarbeit Lisa Blaser
Addresse des Kunden:
Akustik
100 0,18
125 0,18
160 0,21
200 0,25
Kann mit der Füllung gleichzeitig auch ein akustisch dämpfender Nebeneffekt erzielt werden? ImpedanzrohrMessungen mit Materialproben zeigen, je mehr Volumen und je dichter dieses, umso Schall absorbierender das Ergebnis. Das Resultat lässt sich mit Alternativen wie z.B. Schafwolle vergleichen - es werden vor allem mittlere und hohe Frequenzen absorbiert.
250 0,31
315 0,38
400 0,49
500 0,61
630 0,73
800 0,83
1000 0,89 1250 0,89 1600 0,86
0,86
0,88
/mm 60,00
/g 170,0
21,0
/% 49,0
F1 4cm Gerolltes, komprimiertes Vlies
Prüfer: Prüfstelle: Datum: Lisa Blaser HSLU T&A, CC ASR 13.05.2024
Prüfer: Prüfstelle: Datum: Lisa Blaser HSLU T&A, CC ASR 13.05.2024
Auswahl an relevanten Messergebnissen mit dem Impedanzrohr, HSLU Technik & Architektur
F1 4cm Watte F2 4cm Watte, 4cm Vlies F3 4cm Watte, 4cm Vlies F4 15cm WatteÖffentliche Räume, Altbau Wohnungen mit höheren Decken oder Treppenhäuser könnten sich für potenzielle Anwendungen eignen. Die Skulpturen sind in der Streifenanzahl (Durchmesser),Länge und Stückanzahl skalierbar. Quelle: Blaser Metallbau AG RIVA: Wohnen am Rhein in Basel, Foto: Philip Heckhausen
Entwurf Skulptur mit schalldämpfender Wirkung
Variation heller Teil des Vlieses mit grüner FüllungObjekt
Welche Anwendungen eignen sich, um die Materialeigenschaften optimal zu nutzen? Das voluminöse, weiche Material lässt sich durch Vakuumieren komprimieren und in Formen gegeben wieder expandieren. Durch die Spannung werden Verformungen generiert, welche die Stützstruktur fixiert. Auf diesem Ansatz basierend entsteht ein Sitzpolsterentwurf.
Erste Ideen, Kombinationen Prototypen Halterung Polster Luft entziehen, Volumen reduzieren, Metall Ring formt BlumenmusterZusammensetzen, verleimen
Einzelteile der Unterkonstruktion, Steckverbindungen mit Dübeln
Entwürfe aus dem Skizzenheft
Inszenierung in der Produktion
Fazit und Ausblick
Ich hoffe, ich konnte Sie mit diesem Einblick dazu bewegen, mit mir das reichliche Potenzial des Materials zu entdecken!
Das farbenfrohe Material lädt förmlich dazu ein, es anzufassen, zu erkunden und damit zu experimentieren.
In meiner breiten Untersuchung von Verfahren und Techniken bis hin zu konkreteren Produkt-Anwendungen lernte ich das Material und dessen, zur Zeit noch, ungenutzten Möglichkeiten immer besser kennen.
Ich sehe meine Aufgabe als Designerin vor allem darin, dem Material eine Plattform zu geben, dessen Potenzial sichtbar und zugänglich zu machen.
Und während ich das Material bearbeite, beeinflusse, darauf einwirke, macht das Material das Gleiche mit mir. Daraus entwickelt sich eine Art Zusammenarbeit, die ich sehr zu schätzen gelernt habe und auch in Zukunft weiterhin suchen werde.
So gelingt es, ursprünglichem Industrieabfall, verloren geglaubtem Material einen neuen Wert zuzuschreiben.
Danksagung
Mentorat:
Christof Sigerist
Dagmar Steffen
Fachpersonen:
Mitarbeitende Holzwerkstatt, 3D-Werkstatt,
Textilwerkstatt HSLU Design Film Kunst Andreas Rüegger,
Robert Zubler, Jakob Härdi AG
Armin Taghipour, Manuel Isenegger, HSLU Technik & Architektur
Hanspeter Waldispühl, Abena Schaumstoff AG
Gespräche mit:
Fabienne Immoos
Cornelia Gassler
Sabina Brägger
Joel Hügli
Unterstützung:
Mitarbeitende KML, Mitstudierende, Freunde, Familie, insbesondere Dide Surbeck
Jonas Eggenberger
Lisa Blaser Bachelorarbeit Prozess Dokumentation