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DOKUMENTATION Chiara Martina Davanzo Maihofstrasse 34, 6004 Luzern Tel. 078 810 50 83 chiara.davanzo@gmx.ch
Gestalterische Bachelorarbeit XS Schmuck, FS 2019 Hochschule Luzern D&K Montorat: Christoph Zellweger Co.-Mentorat: Anina Schenker
FE/ MALE DESIRE Schmuck und Werkzeuge
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THINK Kontext und Relevanz
SEARCH Methode und Analyse
MAKE Wahrnehmung und Ästhetik
PRESENT Positionierung und Reflexion
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Kontext und Relevanz
Soft works. Kim van Erven. 2017.
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Ein menschlicher Kรถrper ist ein kultureller Kรถrper.
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ulturen und Generationen sind geprägt durch unterschiedliche Restriktionen, Rollenbilder und Normen. Dadurch entstehende Fragen und Interessengebiete erlauben es mir als Gestalterin, mich zu orientieren, meine Perspektive aktueller Zustände festzuhalten und einen Blick in die Zukunft zu riskieren. Ich, als Teil meines kulturellen Umfeldes, lebe in einer permanenten Ambivalenz. Bin ich Individualistin oder doch mehr eine Normkonformistin? Meine Bachelorarbeit gibt einen Einblick in meine Welt – thematisch und ästhetisch. Fokussieren wollte ich mich auf den ambivalenten Einfluss normierter Wahrnehmungen. Was geschieht mit unserer körperlichen Identität in einem Umfeld voller Erwartungen? Am Anfang von allem steht für mich das Begehren. Ich glaube, dass ein Grossteil der Gesellschaft definierten Normen der Popkultur folgt, in der Hoffnung
zu begehren und begehrt zu werden. Eng damit verknüpft, sehe ich die Vermittlung von Körperbildern und die Identitätsfindung – spiegeln sie unsere effektiven Begierden wider oder sind sie unerreichbare Projektion? Ich möchte herausfinden, wie Personen aus meinem Kulturkreis aktuelle, politisch emotional aufgeladene Diskurse rund um ihr Geschlecht, ihren Körper und ihre scheinbaren Grenzen wahrnehmen und inwiefern solche Erkenntnisse prägend für ihre Identität als Mensch sind. Diese Thematik ist für mich eine Herzensangelegenheit. Die zentrale Frage, die mich an diesem Thema beschäftigt ist folgende: Ist das Begehren normierter Körperbilder und damit gekoppelt der Umgang mit seinem eigenen Körper heute noch zeitgemäss?
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SEARCH –
Methode und Analyse
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Fotografische Objektstudien Objekt/Kรถrper-Beziehung Verschiedene Glasobjekte Material
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ch sehe mein gestalterisches Vorgehen als Untersuchungsmittel meiner Fragestellung mit und im Material nachzuspüren. Einen subjektiven und individuellen Zugang zu dieser Thematik schaffe ich über meinen eigenen Körper und meine Erfahrungen. Zu Beginn meiner Bachelorarbeit stand die Recherche meines Körpers in Form von fotografische Studien mit gefundenen Objekten. In der Auswahl dieser Objekte wurde ich von persönlichen Präferenzen der Formgebung und Ästhetik geleitet. Die Thematik der Körper-Objekt-Beziehung sowie geschlechtliche, körperliche Formensprache standen hierbei im Zentrum. Das Arbeiten mit dem Material Glas war für mich besonders reizvoll. Glas ist Ausdruck starker visueller, aber auch
physischer Ambivalenz, die im Bezug zum Körper generiert wird. Aspekte wie Transparenz, aber auch Zerbrechlichkeit bergen für mich ein hohes Potenzial in der Arbeit mit dem Körper. Die Fotografie ist für mich ein Medium der Recherche wie auch Reflexion. Objekte und Körper werden zu gemeinsamen Akteuren, die Wirkung, Aussage und Bewusstsein vermitteln. Wie stelle ich Körperbezug her? Welche Aussage tätigt ein Bild mit spezifischen Objektpositionierungen am Körper? Die Klärung dieser Fragen erlaubten es mir, visuell gestalterisch in die Thematik meiner Bachelorarbeit zwei- wie auch dreidimensional spürbar einzutauchen.
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Suchen und Finden von Materialkombinationen standen des Weiteren im Vordergrund. Ich entschied mich für eine Auswahl an Materialien, in denen ich Bearbeitungserfahrungen besitze und deren Potenzial ich weiter untersuchen wollte. Leder, Polsterei, Cibatool und Keramik stellen für mich bereits aufgrund ihrer Materialität einen starken Körperbezug her. Ich sah die Chance meine Skills weiter auszubauen und zur Perfektion zu treiben. Porzellanabgüsse der Glasstudienobjekte und freie Formensuche im Cibatool sollten mir neue Aufschlüsse über Form, Gewichtigkeit und Potenzial der Materialien geben.
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as Verfahren der Polsterei eröffnete mir viele Möglichkeiten. In der Kombination mit Leder wird der Ausdruck bereits durch die reine Materialität suggestiv haptisch. In Formenstudien, die ihren Ursprung in der Simplizität – ein Kreis und ein Oval – finden, wollte ich zum einen eine nicht zuordnungsbare, fluide Sprache entwickeln und weiter, ebenfalls Aspekte und Potenzial der Oberflächenspannung ergründen. Konstruierte Höhen und Tiefen im Polsterprozess verändern die Gestalt des Objekts, aber auch dessen haptische Erfahrbarkeit.
Weiter dienten mir diese ersten Gehversuche auch als Prozess der Auswahl und Evaluation, der jeweils eingesetzten Leder. Welche Farbe und welche Textur entspricht der Präzision, die ich mit dieser Arbeit kommunizieren will? Der gesamte Prozess war stark von iterativer Gestaltung geprägt.
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Oberflächengestaltung im Polster Variantenstudie Schaumstoff, Holz Material
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MAKE –
Wahrnehmung und Ästhetik
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Aufbau Polsterarbeiten Grundsetting Cibatool, Schaumstoff Material
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Nach den Anfangsstudien konnte ich mich über Ausschlussverfahren aufgrund von mangelnder Qualität auf bestimmte Techniken und Materialien fokussieren. Ich suchte neue Herausforderungen in grösseren Formaten. Auch die Umsetzungsphase zeichnete sich stark durch prozessorientiert, reflektiertes Arbeiten aus. Primär stand die Festlegung auf persönlich geprägte Formen im Vordergrund. Die Geschlechtslosigkeit gepaart mit der angedeuteten Körperlichkeit waren hierbei die Grundpfeiler für den weiteren Prozess und folgende Entscheidungen. Der Ausdruck des Objektes war stets Fokuspunkt.
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ch kam an einen Punkt, an welchem ich über das Schleifen des Materials Cibatool ein besseres Gespür für den Körper und auch das Arbeiten mit dem Körper erhalten habe. So wendete ich mich in dieser Phase primär dem Schleifprozess zu und liess mich von den erarbeiteten Formen, aber auch der Führung meiner Hand leiten. Im Hinterkopf war stets präsent, wie eine Kombination aus Härte und Weichheit – Cibatool und Polster – entstehen könnte.
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Anpassung Polstereinsätze Verbindung hart–weich Schaumstoff, Aluminium Material
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Verschiedenste Leder kamen zum Einsatz, die den Objekten eine unterschiedliche Wirkung bzw. Deutungsperspektive verleihen. Meine Wahl fiel auf dieses spezifische feintexturierte Braun. Es hebt es sich in gewissen Grade von der körperlichen Nähe der Objekte ab. Die Nachahmung effektiver körperlicher Attribute wäre bei der Lederauswahl nicht zielführend, sondern vielmehr die Symbolik fluider Formen gekoppelt mit klinischer Ästhetik ist zu betonen. Das Leder fügt den Objekten die gewisse Ambivalenz hinzu – was ist es: medizinisches Objekt oder doch Anregung verruchter Fantasien? Das Leder spielt einerseits mit Gedanken rund um fetischistische Situationen und Handlungen, aber durchaus auch mit klinischer – kratzend am Pathologischen – Ästhetik.
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Eingelassene Magnete Anbietende Tragbarkeit Cibatool, Magnete, Schaumstoff, Leder Material
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as Finish meiner Objekte, stellte einen zentralen Punkt im Prozess dar, der die Lesbarkeit und Qualität extrem unterstützen konnte. Orientierungsgrundlage war die Bildsprache der Schönheitsindustrie – Make-up Werbung, Schöhnheitsoperationen – die sich besonders durch ihre glossy, körperlich erdige Farbigkeit und hohe Qualität auszeichnen. So sollte durch daran angelehnte Lackierung des Cibatools ein direkter Bezug zum Körper und der Thematik eines normierten Bodydesigns hergestellt werden, zum anderen auch die Wertigkeit der Oberfläche als haptische Erfahrung gesteigert werden.
Bei der Farbwahl wie auch Oberflächenveredelung war ebenfalls die Kombination mit dem verwendeten Leder zu beachten. Hierbei entsprach für mich der Entscheid für einen hell beigen bis gelblichen Ton in Hochglanz auch der Vorstellung von fluiden Facettierungen der Hauttöne in Kombination mit dem dunklen Braun des Leders. Durch die glatte, eher kühle Verarbeitung des Cibatools mit dem warmen texturierten Leder sollte hierbei auch der taktile Sinn getriggert werden.
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Reine Polsterobjekte Verbindung weich – weich Schaumstoff, Leder, Aluminium Material
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Giessverfahren Materialerweiterung: 3D-Druck Modell, Silber
Die Entscheidung in der letzten Phase meiner Arbeit als weiteres Material Silber miteinzubringen, wurde geleitet vom Gedanken, eine Irritation bzw. einen Bruch in die Objektreihe einzubeziehen. Die Homogenität des sehr präsenten Leders sollte über den Silberring «A ring for who?» gebrochen werden und einen Konterpart bieten. Trotz der Andersartigkeit des Materials steht dieser aber durch Form und Kontext in klarer Beziehung zu den restlichen Objekten. 77
PRESENT –
Positionierung und Reflexion
©Raisa Durandi
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Begehren kennt keine Grenzen. Es ist mehr als...
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as Ziel meiner Bachelorarbeit war es Grenzen auszuloten – persönliche wie auch gesellschaftliche. Themen um Identität und Körper, Gesellschaftsnormen und Genderrollen sind im Material verdichtet worden. Es ist eine Auseinandersetzung mit meiner eigenen ambivalenten Körperwahrnehmung und Beziehungskonstrukten zwischen Objekt und Körper. Über klar gesteuerte Ästhetik wird das Feld geöffnet. Die Möglichkeit der Reflexion und Identifikation wird möglich. Über Experimente, vor dem Hintergrund meines persönlichen Ausdrucks, sind Objekte entstanden, die eine starke körperliche Beziehung aufbauen. Die Betrachterin und der Betrachter werden gefordert, sich über die richtungsweisende Formensprache mit ihren eigenen intimen Fantasien auseinanderzusetzten. Funktion und Trageweise wird über dieses Gedankenspiel geleitet.
Sowohl die Materialität als auch die Perfektionierung meiner Skills in der Bearbeitung spezifischen Materlials pushten mich als Gestalterin weiter und verhalfen mir, mich in einem bestimmten politisch-künstlerischen Feld zu definieren und zu verorten. Ich bin überzeugt, dass Gestaltung eine wichtige Verantwortung in der Entwicklung sozial-kultureller Formierungen einnimmt. Mein Ausgangspunkt waren bestehende normierte Strukturen und deren Einfluss auf meine ambivalente Wahrnehmung von Körperlichkeit. Die Zielsetzung war es, an einen Punkt der Fluidität zu gelangen – ohne etablierte Grenzen und Rollen. Ich gehe mit der Künstlerin Lucy McRea einher: «I feel like the only way to truly go beyond yourself and make work that is relevant today, is to be okay with working from a place of uncertainty.» Meine Bachelorarbeit thematisiert mehr. Sie ist Schmuck und sie ist Werkzeug. 81
Ausstellungsituation Foto-Collage Stellwand, Massageliege Setting
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©Raisa Durandi
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