F L E C H T W E R K arbeiten mit blinden Menschen
Hochschule Luzern schriftliche BA- Arbeit Mentorin: Dagmar Steffen 2019 Franziska Hunkeler Abeschweg 2 6210 Sursee franziska.hunkeler@stud.hslu.ch 079 536 71 72 Objektdesign 6. Semester Zeichenzahl 36‘500
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Das Korbflechten 2 3 Flechttechniken 4 3.1
Das Glockengeflecht
5
3.2
Das Siebgeflecht/ Platting
5
3.3
Das Schichtgeflecht
6
3.4 Der Spiralwulst 6 3.5
Das hexagonal Geflecht
7
3.6
Geflochtene Bänder
7
3.7
Das Kreuzgeflecht
8
3.8
Die Chaostechnik/ Birdweaving
8
4
Verwandte Techniken 9
4.1
Einhängen
4.2
Einhängendes Verschlingen
4.3
4.4 4.5
9
10
Durchstechendes Verschlingen
10
Sanduhrverschlingen
11
Umfassendes Verschlingen
11
5 Materialien 12 5.1 Tierische Flechtstoffe 12 5.2 Mineralische Flechtstoffe 12 5.3 Synthetische Flechtstoffe 12 5.4
Pflanzliche Flechtstoffe
13
6 7
Was bedeutet es mit blinden Menschen zu arbeiten? 16 Kleine Marktanalyse Irides AG 18
7.1
Die Produkte
18
7.2
Der Verkauf
20
7.3
Der Preis
20
7.4 Die Kundschaft 21
8
Workshops 22
8.1
Vorgehen
9 10
Fazit 31 Quellenverzeichnis 32
23
Abbildungsverzeichnis 33 Anhang 34
1 Einleitung
Das Korbflechten ist ein altes Handwerk, das immer mehr in Vergessenheit gerät. Durch den Wandel der Zeit werden Korbwaren immer weniger gebraucht. Gerade hier in der Schweiz sind handgefertigte Produkte Luxusgüter. Die Stunden, welche ein gelernter Korbflechter für einen schönen Korb benötigt, werden nur noch selten bezahlt. In Behindertenwerkstätten werden vielfach solche Handwerkskünste praktiziert. Doch in diesen Werkstätten fehlt es oft an Knowhow und Zeit neue, stimmige Produkte zu entwickeln. Diese Arbeit dient mir als Quelle der Inspiration für den praktischen Teil meiner Bachelorarbeit. Das Ziel dieser Arbeit ist, was ich als Designer beachten muss, wenn ich ein Produkt für eine soziale Institution/ Werkstatt entwickeln will, in der blinde Menschen Korbwaren flechten. Dies in Bezug auf die Technik, den aktuellen Markt und die Zusammenarbeit mit blinden Menschen. Ich werde mich zu Beginn mit der Theorie der Flechttechniken auseinandersetze. Ausgesuchte Techniken werde ich in dieser Arbeit vorstellen. Ein weiterer Teil besteht aus einem Interview mit Stefan Meiners, Blindenwerkstatt Irides AG in Basel. Ich möchte herausfinden was es heisst mit sehbehinderten Menschen zu arbeiten und welchen Herausforderungen mich erwarten. Ich werde eine kleine Marktanalyse von Irides AG machen, in Bezug auf die Marktpositionierung und das aktuelle Produktesortiment. Anschliessend werde ich die vorgestellten Techniken in Workshops mit den sehbehinderten Menschen ausprobieren, um zu sehen was funktioniert. Das soll der Grundstein für meine praktische Arbeit sein. Anhand der geeigneten Technik und Material kann ich ein Produkt entwickeln. Ich bin also sehr gespannt, was dabei herauskommt. „Was muss ich als Designerin beachten, wenn ich ein Produkt für eine soziale Institution/ Werkstatt, in der blinde Menschen Korbwaren flechten, entwickeln will? In Bezug auf die Technik, den aktuellen Markt und die Zusammenarbeit mit blinden Menschen" (Fragestellung)
1
2
Das Korbflechten
Das Flechthandwerk gehört zu den ältesten Kulturtechniken und wurde schon in der Altsteinzeit praktiziert. Die ältesten Funde bezeugen, dass vor etwa 10'000 Jahren, mit dem Begin der Sesshaftigkeit, die geflochtenen Arbeiten eine hohe Vielfalt und Kunstfertigkeit aufweisen. Es gibt bis heute keine Maschinen, die Körbe aus Naturmaterialien herstellen können. Schon in der Zeit der Ägypter um 1'000 v.Chr. wurden unterschiedlichste Taschen, Matten, Körbe und auch Korbmöbel hergestellt. Die dazu verwendeten Werkzeuge und Techniken sind bis heute praktisch gleich geblieben. Geflochten wurde mit unterschiedlichsten Materialien. Meist verwendete man das, was gerade in der Nähe wuchs, beispielsweise Binsen, Gräser, Schilf oder biegsame Äste wie die Weiden. Körbe wurden im Mittelalter als Nebenerwerb der bäuerlichen Bevölkerung, Tagelöhner oder als Notbehelf von Krüppeln und Gebrechlichen geschaffen. Mit der Industrialisierung wuchs die Nachfrage nach Korbwaren im Privaten und Gewerblichen rasant an und so entstanden die ersten regionalen Zentren der Korbmacherei. Deutschland galt als Korbmacherdestination. Mitte des 19. Jahrhundert wurden ca. 150'000 unterschiedliche Körbe angeboten. Schon bald wurde die Korbwarenfertigung zur Exportindustrie in die ganze Welt. Mit dem Export wurden neue Flechtmaterialien eingeführt, so verbreiteten sich Rattan, Peddigrohr, Palmrippen und Esparto- Gräser als neue Errungenschaften. Dadurch konnte man sich der wechselnden Mode gut anpassen.
2
Um 1900 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Korbflechter. Um den Lohn eines Fabrikarbeiters zu verdienen musste die Familie flechten. Nach dem zweiten Weltkrieg begann die grosse Krise. Zum einen wurden Transportverpackungen aus Draht, Holz und in zunehmenden Mass aus Kunststoff fabriziert. Diese Verpackungen konnten in grosser Stückzahl und somit auch umso billiger produziert werden. Mit dem Wirtschaftswunder stiegen die Löhne, deshalb wurde die Korbflechterei auch im Nebenerwerb uninteressant. In Zahlen ausgedrückt, sieht dies folgendermassen aus. Im Jahr 1925 gab es in Deutschland 43'000 Korbmacher, 1933 noch 26'000. In Oberfranken sank die Zahl von 15'000 um das Jahr 1900, auf noch knapp 2'000 um 1972. Heute verdienen die verbliebenen Korbmacher ihr Geld mit qualitativ hochwertigen Einzelanfertigungen, Reparaturen und bewegen sich im kunsthandwerklichen Bereich. Es bedarf eines grossen handwerklichen Talents, viel Kreativität, Flexibilität und eine gute Vermarktung, damit man heute gut überleben kann. In Lichtenfels in Deutschland beispielsweise gibt es eine Berufsfachschule in der man eine Lehre als Flechtwerkgestalter absolvieren kann (www.flechtwerkgestaltung.bs-lif.de). Dies sind vermutlich Gründe weshalb sich der Name Flechtwerkgestalter breit gemacht hat.1
1
Bernd Holtwick, Martina Fuchs, Rena Gerullis: Weidenkörbe flechten, Traditionelles Handwerk, Stuttgart, 2017, S.128
3
3 Flechttechniken Das Material bestimmt die Technik. Die Flechttechniken sind so zahlreich, dass es schwierig ist sie einzuordnen und zu kategorisieren. Ich zeige in den folgenden Abschnitten eine kleine Auswahl, die für meine Arbeit interessant sein könnten. Um Unklarheiten zu vermeiden möchte ich einige Fachbegriffe erklären. Weidenrute, Vollweide:
Langer, unverzweigter, einjähriger Ast der Weide
Weidenschiene:
In dünne Streifen geschnittene und gehobelte Weidenrute
Stake:
Ein horizontaler Stab, der zum Umflechten gebraucht wird
Schiene:
Die Weidenäste die für das vertikale Ausflechten gebraucht
werden. In der Schicht werden sie abwechslungsweise vor
und hinter eine Stake geflochten.
4
3.1 Das Glockengeflecht
3.2 Das Siebgeflecht/ Platting
Diese Technik ist eine Spielerei, durch dieNetz-
Das Grundgeflecht aller echten Geflechte. Es ist
arbeit inspiriert. Daraus gefertigt werden De-
dem Weben sehr ähnlich. Die einzelnen Elemen-
ckelgriffe, Kinderrasseln, Baumschmuck, Wind-
te sind auf allen Seiten verflochten und somit
lichter... Die verwendeten Materialien sind meist
fixiert. Diese Art Geflecht kann auch diagonal
Weiden, Gräser, Binsen oder Stroh. Es kann
oder in mehreren Richtungen gearbeitet werden.
spiralig als Scheibe und als Zylinder oder Kegel
Meist werden dazu Weidenschienen verwendet.
geflochten werden.2
Produkte wie Schalen, Deckeldöschen, Tabletts oder Weidemöbel werden so gearbeitet. Es gibt zwei Arten dieses Geflecht aufzubauen. Man spannt die Schienen in einen Rahmen ein und flicht darum oder man flicht über eine Form.3
_ 1 Glockengeflecht
2 3
_ 2 Siebgeflecht
Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S. 154 Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S. 157
5
3.3 Das Schichtgeflecht
3.4 Der Spiralwulst
Das Schichtgeflecht ist die am meisten an-
Eine sehr alte und heutzutage seltene Technik.
gewandte und bekannteste Art des Flechtens.
Dabei wird ein Wulst aus Pflanzenmaterial (Stroh,
Klassischerweise werden dafür Weidenruten
Seegras, Binse, Brombeerranken...) von einem
verwendet, oft aber auch Weidenschienen oder
„Nähfaden“ umwickelt und mit dem vorange-
Spalten. Das Prinzip funktioniert, indem man fixe
gangenen Wulst vernäht. Der Nähfaden/ Wickel-
Stake (horizontale Stäbe) hat, welche wie beim
schiene besteht oft aus ungeschälter, gespalte-
Weben einmal unten und einmal oben durch von
ner Weide oder auch Raphiabast, Haselschienen
einer Rute umschlungen werden. Es entstehen
oder Peddig. Durch diese Technik entstanden
wellenartige Wiederholungen. Alle klassischen
früher Bienenkörbe, Backschüsseln, Schalen und
Körbe aber auch Gartenzäune und Weiteres
beispielsweise Feldflaschen, welche mit Birken-
werden mit dieser Technik gefertigt.
pech verdichtet wurden.5
_ 3 Schichtgeflecht
_ 4 Spiralwulst
4
4 5
Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S. 160 Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S. 159
6
3.5 Das hexagonal Geflecht
3.6 geflochtene Bänder
Das aus dem Griechischen ins Deutsche über-
Dies ist eine Technik, die oft in Südeuropa aus
setzte Sechseckgeflecht wird anfangs aus sechs
Palmblättern gearbeitet wird. In unseren Brei-
eher steife Streifen geflochten. Es entstehen
tengraden kann man auch Binsen, Stroh oder
sechs gleiche Seiten, die im 60° Winkel stehen.
sonst leicht elastische Materialien verwenden.
Später kommen immer mehr Streifen dazu. Im
Um Bänder zu flechten gibt es unterschiedliche
äusseren Umriss bildet sich eine Art Stern. Diese
Techniken, wie die Gurtenflechttechnik (unten
Technik verlangt Präzision. Je nach Streifen-
beschrieben), die geköperte oder mallorquini-
dicke entstehen grössere oder kleinere Lücken.
sche Flechttechnik. Es entstehen meterlange
Dieses Geflecht wird als Fläche oder über eine
Bänder, die zusammengenäht werden und so
Form gearbeitet und kommt in ähnlicher Form
elastische Körper (Taschen,Gürte, Hüte) entste-
bei Stuhlgeflechten aber auch bei Körben und
hen.7
Schalen vor.6
_ 7 geflochtene Bänder
_ 5, _ 6 hexagonal Geflecht
6 7
Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Faszinierende Körbe, Schalen und mehr, Stuttgart, S. 25 Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Faszinierende Körbe, Schalen und mehr, Stuttgart, 2016, S. 62
7
3.7 Das Kreuzgeflecht
3.8 Die Chaostechnik/ Birdweaving
In Australien oder in Italien werden mit dieser
Die daraus entstehenden Körbe wirken sehr
Technik Netze geflochten. Bei uns fehlt das
organisch und erinnern an Vogelnester. Das
passende Material, daher eignen sich hier bei-
gewählte Material wird entweder um eine Form
spielsweise Binsen, um Körbe zu flechten. Dieses
oder frei Hand geformt. Arbeitet man frei Hand,
Geflecht besteht wie das Schichtgeflecht aus
so erstellt man zuerst etwa drei möglichst exakte
Staken und Schienen. Hier werden zwei Schie-
Kreise, die den Grundkörper bilden. Nach und
nen im Kreuz um die Stake gelegt, um so eine
nach werden die Lücken mit frei angeordneten
Festigkeit zu gewinnen. Je nach dem wie der
Schienen/ Fäden zugeflochten, bis die ge-
Boden gearbeitet wird, können nebst Körben
wünschte Festigkeit erreicht wird. Mit einem
auch Taschen geflochten werden.8
Grundkörper funktioniert es gleich, nur hat man hier immer eine exakte Führung für die Form. Daraus entstehen meist Körbe und Schalen.9
_ 8 Kreuzgeflecht
8 9
_ 9 Chaostechnik
Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Faszinierende Körbe, Schalen und mehr, Stuttgart, 2016, S. 75-78 Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Faszinierende Körbe, Schalen und mehr, Stuttgart, 2016, S. 169-175
8
4
Verwandte Techniken
Die folgenden Techniken, welche ich vorstellen werde, sind aus dem Buch von Monika Künti „einhängen und verschlingen“. Monika Künti ist gelernte Korbflechterin und hat eine Faszination für jahrtausendalte, webstuhlunabhängige, stoffbildende Techniken, die sie in diesem Buch erklärt. Diese Techniken werden mit einer Nadel am Fadenende gearbeitet, deshalb muss man immer wieder Faden neu einsetzen. Mir scheint es ist eine Mischung aus Stricken, Weben und Flechten. Deshalb passen diese Arbeitsweisen gut zu meinem Vorhaben.
4.1 Einhängen Die Technik des Einhängens ist sehr simpel. Man nimmt einen Hilfsfaden und spannt diesen um ein Rohr. Mit der Nadel umschlingt man den Hilfsfaden immer wieder. In der zweiten Reihe sticht man immer in den unteren Schlaufenbogen ein. Reihe um Reihe entsteht so eine zusammenhängende Fläche. Je nach Lockerheit und Menge der Maschen gibt es ein unterschiedliches Bild.10
_ 10 Einhängen 10
Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014, S.71
9
4.2 einhängendes Verschlingen
4.3 durchstechendes Verschlingen
Hier werden lockere Schlaufen um den Hilfs-
Beim durchstechenden Verschlingen werden die
faden gebildet und in der zweiten Reihe sticht
Maschen ab der zweiten Reihe in die obere Ma-
man in den Schlaufenbogen zwischen den Ma-
sche eingehängt und zwar da, wo sich der Faden
schen aus der ersten Reihe. Mit dieser Technik
kreuzt. Dabei entsteht ein ganz anderes Muster
kommt man etwas schneller vorwärts als mit dem
als beim einhängenden Verschlingen.12
einfachen Einhängen.11
_ 11 einhängendes Verschlingen
11 12
_ 12 durchstechendes Verschlingen
Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014, S.95 Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014, S. 99
10
4.5 umfassendes Verschlingen
4.4 Sanduhrverschlingen Bei dieser Technik werden die Maschen zwei-
Statt in die Masche oder den Maschenboden zu
mal seitlich ineinander verhängt, sodass eine Art
stechen wird hier die obere Masche umschlun-
Sanduhr entsteht. Daher kommt auch der Name
gen. Auch das ist abhängig, wie fest die Ma-
dieser Technik. Wenn man dies zum ersten Mal
schen angezogen werden. Das Muster erinnert
macht, ist es zunächst ziemlich verwirrend, wo
einem etwas an das rechts und links Stricken.14
genau man mit dem Faden einstechen und wo wieder herauskommen soll. So entsteht eine Art Viereckchen- Muster. Auch hier kann man sehr damit spielen, wie fest man den Faden anzieht oder nicht. Man muss auch beachten, was das Material zulässt.13
_ 13 Sanduhrverschlingen
13 14
_ 14 durchstechendes Verschlingnen
_ 15 Vergleich mit Stricken
Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014, S.147 Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014, S. 125
11
5 Materialien Grundsätzlich sind einem fast keine Grenzen in der Materialwahl gesetzt. Voraussetzung ist ein biegsames Material, das eine gewisse Festigkeit und Spannkraft aufweist, damit ein stabiles Objekt entstehen kann. Aber wie oben schon erwähnt, bestimmt das Material die zu wählende Technik. In unseren Breitengraden ist die Weide das geläufigste und am meisten verarbeitete Material. In den nächsten Abschnitten werde ich aufzeigen, welche Materialien man unterscheidet.
5.1 Tierische Flechtstoffe Sehnen, Leder und Haare lassen sich gut zu Netzen, Geflechten und Kordeln verarbeiten.
5.2 Mineralische Flechtstoffe Metalldrähte, Keramikarten wie Porzellan oder Glasfäden kann man zu Gittern oder Körben verflechten.
5.3 Synthetische Flechtstoffe Hiervon gibt es eine schier unbegrenzte Vielfallt. Plastikschnur, Cellophan, Nylon, Kunstbast, Abfallmaterialien, Cellulosebänder u.v.m. Solche Materialien sind in schier unendlichen Mengen erhältlich und lassen sich zu allen mögliche Formen wie Taschen, Möbel usw. verarbeiten.15
12
5.4 Pflanzliche Flechtstoffe Alle Gräser, Ruten und biegsamen Pflanzenteile können verflochten werden. Zumindest testweise, je nach Verwendungszweck kann sich ein Material später als nicht so geeignet herausstellen. Da gilt es offen für Experimente zu sein. Erprobte und etablierte pflanzliche Werkstoffe sind die auf der Weltkarte (Abb. _ 16) ihren Herkunftsgebieten zugeordneten Materialien
_ 16 geografisches Vorkommen und Verwendung pflanzlicher Flechtstoffe
15
Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S.76/361
13
_ 17 Kreuzgeflecht aus Binse
_ 18 Schicht mit Fichtenrinde und Draht
_ 19 Chaostechnik aus grüner Weide
_20 Schnur aus Zeitung, gewickelt
_ 21 Weide in Keramik gegossen
_ 22 Knüpftechnik aus Schnur von Tsiory
14
Die Weide Die Weide ist ein Material, das schon seit tausenden Jahren verwendet wird, es ist zäh, biegsam und einfach zu verarbeiten. Zudem ist es ein Naturprodukt. Mir ist aufgefallen, dass es an vielen Orten Kopfweidenstöcke gibt. Nur sind sie völlig in Vergessenheit geraten, werden nicht mehr genutzt und deshalb nicht gepflegt. Nur schon am Bach vor meiner Haustür hat es vier verschiedene Weidensorten, doch nur eine eignet sich richtig gut zum Flechten. Dazu kommt, dass Stefan Meiners (Korbflechter Irides AG) mir erzählt hat, dass eine befreundete Korbflechterin begonnen hat wieder Weiden im grösseren Stil anzubauen. Diesen Winter haben sie zum ersten Mal geerntet und sind jetzt am Testen, welche Sorten sich am besten eignen. Diese Umstände haben dazu geführt, dass ich mich für den Werkstoff Weide entschieden habe. In den Workshops werde ich vorwiegend damit arbeiten. Ich schliesse allerdings weitere Materialien noch nicht aus.
15
6
Was bedeutet es mit blinden Menschen zu arbeiten?
Um diese Frage zu beantworten habe ich ein Interview mit Stefan Meiners geführt.16 Er ist Werkstattleiter in der Blindenwerkstatt von Irides. Stefan ist aus Deutschland und gelernter Einzelhandelskaufmann und Korbflechter. Seit 2008 arbeitet er in der Schweiz in einer Sozialen Werkstatt für Menschen mit Behinderung und nun bei der Blindenwerkstatt Irides AG in Basel. Er kommt von der handwerklichen Seite und nicht von der pädagogischen. Was er sich am meisten wünscht, ist möglichst viel Zeit für die Leute in seiner Werkstatt zu haben. Für ihn ist das Wohlbefinden der Mitarbeiter viel wichtiger als irgendwelche Ziele zu formulieren und diese genau einzuhalten. Er sagt, das Wichtigste sei, dass man den sehbehinderten Menschen ganz normal gegenübertritt und ihnen Vertrauen schenkt, sie auch mal machen lässt, aber möglichst schnell vor Ort ist, wenn sie Hilfe benötigen. Sie melden sich, wenn sie etwas brauchen. Sie haben ja „nur“ einen Sinn weniger, aber geistig zurückgeblieben sind sie auf keinen Fall. Um in der Flechtwerkstatt zu arbeiten, müssen die blinden Menschen dieselben Anforderungen erfüllen, wie ein Sehender. Es braucht handwerkliches Geschick, Offenheit, Flexibilität, sie müssen gerne selber Entscheidungen treffen und mit Fehlern umgehen können. Die wenigsten haben eine Ausbildung als Korbflechter, aber mit etwas Zeit, Geduld und mehrmaligem Vorzeigen lernen sie das Handwerk relativ schnell. Wenn sie neue Techniken lernen müssen sind Zeit und Geduld gefragt. Man setzt sich mit ihnen hin und erklärt ihnen mit Worten und begleitendem Zeigen Schritt für Schritt die neue Technik. Es ist von Vorteil, wenn man den Sehbehinderten ein vorgefertigtes Modell in die Hand geben kann, damit sie mit den Händen „sehen“ und fühlen können was sie machen sollen. Die Wörter Sehen, Schauen sind ganz normale Ausdrücke, die man auch als Blinder oft benutzt. Man darf auch ungeniert mal eine Hand nehmen und sie zum richtigen Ort führen, dementsprechend darf man keine Scheu vor Berührung haben. Zu Beginn einer neuen Arbeit ist es wichtig, dass man sofort auf Fehler hinweist, damit sie selber schnell erkennen, wann etwas nicht stimmt. 16
Interview mit Stefan Meiners, Irides AG, Basel, 01.03.2019, 45min, Leitfaden zum qualitativen Interview im Anhang
16
Das A und O ist das Aufbauen von gegenseitigem Vertrauen. Man soll die sehbehinderten Menschen auch mal einfach machen lassen, so lernen sie am schnellsten und wie schon gesagt, nebenan sitzen und nur melden, wenn ein Fehler entsteht, da sie es nicht so schnell erkennen können wie wir. Oft wird ein Fehler erst nach einer Runde bemerkt, wenn sie wieder an dieselbe Stelle treten. Beim Arbeiten brauchen die Sehbehinderten einen fixen Rahmen, den sie ausflechten können. Am einfachsten eignet sich da die Stuhlflechterei, da hier immer ein Rahmen und ein zweidimensionales Geflecht vorliegt. Doch mit etwas Überlegung findet man oft eine Lösung, um irgendwelche Hilfen zu bauen, damit auch andere Techniken möglich werden. Wichtig sind taktile Anhaltspunkte, an denen sich die Sehbehinderten orientieren können. Es ist allerdings auch möglich, eine Arbeit so aufzubauen, dass man am Schluss den Rahmen oder die Stützen herausnimmt und ein weiches, flexibles Produkt entsteht. Laut Stefan ist die grösste Herausforderung die fehlende Zeit, um einfach bei den Leuten in seiner Werkstatt zu sitzen und sie zu unterstützen. Hätte er mehr Zeit, könnte er mehr Führung und Hilfestellung leisten. Dadurch würden viel feinere und exaktere Objekte entstehen. Er sagt aber auch, dass es schwierig ist, die Balance zwischen Führung und freiem Arbeiten zu finden. Grundsätzlich schätzt er es so ein, dass man mit mehr Führung das Potential der Leute noch besser ausschöpfen könnte. Im Hinblick auf meine Experimente weiss ich nun, dass ich mich gut vorbereiten musss und ich im Selbstversuch als Blinde eine Technik ausprobieren sollte. So erkenne ich wann und wo taktile Hilfe eingebaut werden muss. Grundsätzlich braucht es mehrere Tage, bis ein Sehbehinderter den Rhythmus einer neuen Technik beherrscht. Ersichtlich ist schon nach kurzer Zeit, ob eine Technik funktioniert oder nicht. Stefan erzählte zum Beispiel von Dsiori, die eine Korbart nie zu Ende geflochten hat, bis es eines Tages plötzlich geklappt hat. Sie meinte, sie habe einen Trick. Stefan hat herausgefunden, dass sie nur die Handhabung etwas geändert hatte und so den Korb selbstständig fertigstellen konnte, worauf sie noch immer sehr stolz ist. Es braucht einfach etwas mehr Zeit und Geduld als bei Sehenden. Die blinden Menschen teilen einem auch mit, wonach sie Lust haben oder was nicht passt.
17
7 Kleine Marktanalyse Irides AG 7.1 Die Produkte Es gibt zwei Abteilungen in dieser Werkstatt. Hauptbestandteil ist die Sesselflechterei, wo hauptsächlich Stühle und andere Möbel repariert werden. Der andere Teil ist die „klassische“ Flechterei, in der Körbe und ähnliche Sachen produziert werden. Ich interessiere mich für den zweiten Teil, den ich unten anhand von Fotos vorstellen werde. Die Produkte von Irides sind sehr einfach und eher traditionell, meist naturfarben einzweifarbig gestaltet. Sie sind hauptsächlich aus Vollweiden oder Weidenschienen geflochten zum Teil in Kombination mit Schichtholzplatten. Fast alle Produkte sind in der klassischen Schicht gearbeitet. Es wird versucht neue Produkte zu entwickeln, doch es fehlt an Zeit und Knowhow, wie sie selbst sagen. Somit ist die Produktpalette eher konventionell. Durch einen Wettbewerb mit der Hochschule Luzern Design & Kunst letzten Sommer sind zwei neue Produkte dazugekommen. Das Körbchen mit Glasschale „Cara“, von der Gewinnerin des Wettbewerbs, zeigt ansatzweise eine neue Richtungen auf, was noch möglich sein könnte. Die am häufigsten verkauften Produkte sind alltagstauchgliche Sachen wie Einkaufs-, Hunde-, Brot- und Wäschekorb und taschenähnliche Formen.
18
_ 23 Hundekorb, Schichtgeflecht , 85.-
_ 24 rechteckiger Korb, Schichtgeflecht, 98.-
_ 25 Papierablagekorb, Schichtgeflecht, 28.- _ 26 runde Körbe Schichtgeflecht, 35- 99.-
_ 27 Wäschekorb, 439.-
_ 29 Korb „Cara„ Weideschine, 124.-, 149.-
_ 28 Leuchte „Pina„ Weide 298.-, Peddig 268.-
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7.2 Der Verkauf Im selben Gebäude wie die Werkstatt befindet sich ein Verkaufsladen, der Hauptverkaufsort von Irides. Es werden nebst ihren eigenen Produkten auch zugekaufte, günstigere Handelswaren verkauft, um ein breiteres Spektrum abdecken zu können. Der Standort Kohlenberggasse in Basel ist etwas versteckt und daher muss man schon gezielt suchen, um den Laden zu finden. Spontankundschaft kommt kaum vorbei. Es gibt ein, zwei Geschäfte, in welchen sie ausgewählte Produkte platzieren und verkaufen können, beispielsweise der Bioladen Eichblatt in Basel. Der Hauptverkaufsort beschränkt sich auf Basel. Per E-Mail kommen eine bis zwei Anfragen pro Tag herein. Abgesehen von der offiziellen Homepage von Irides gibt es keine Onlineplattform mit ihrer eigenen Produktpalette. Dienstags und mittwochs geht Irides an den Wochenmarkt in Basel. Dies ist aber eher eine Mischrechnung aus weniger Verkauf, dafür mehr Werbung. Einmal im Jahr findet die Herbstmesse in Basel statt, an der sie seit Jahren einen Stand haben und sehr gut verkaufen. Die Leute wissen genau, wo der Stand.
7.3 Der Preis Der Preisdruck ist hoch, denn es gibt viele billige Körbe aus Polen und anderen Billiglohnländern, die eher schlecht gearbeitet sind. Man muss die Korbwaren mit einem gewissen Gewinnspanne verkaufen. Der Preis setzt sich aus den Kosten für das Material, der Arbeitszeit und einem Faktor X, der etwas variieren kann zusammen. Je nach Produkt, Hersteller und Herstellungsort verändert sich dieser Faktor. Ein gelernter Korbflechter in der Schweiz hat einen Stundenansatz von CHF 60.-, ein Lehrling ca. die Hälfte, und für die Stunde eines Sehbehinderten werden ca. CHF 10.- bis 20.- verrechnet. Dementsprechend kann die Werkstatt die Arbeiten gut verteilen und somit existieren.
20
Die folgende Tabelle (Abb.30) dient dem Vergleich des Preises für einen einfachen runden Korb. Anhand dieser Tabelle wird sichtbar, dass sich die Irides AG in einem angemessenen Preisniveau befindet. „Change maker“17 ist ein Fair Trade Shop, der Korbwaren aus Kenia verkauft. „Korbwaren Schneider“18 ist ein Gross-
händler. Hier bezieht auch Irides AG die zusätzlichen Korbwaren, die sie nicht selbst herstellen, aber im Laden verkaufen. Hersteller S M L IRIDES AG (Blindenheim) 35.- 48.- 99.- Schneider Korbwaren AG (Grosshandel Ankaufspreis) (Weiterverkaufspreis von Detailisten) Changemaker (Fair Trade Shop)
_30 Preisvergleich
6.10.19.(15.-) (25.-) (48.-) 49.80 79.- 109.-
7.4 Die Kundschaft Der grösste Teil der Kunden ist älter und vermögend. Junge Leute sind selten im Laden anzutreffen. Ein Drogistenlehrling, der vor kurzem eine Kräuter-Hute bestellt hat, ist eher die Ausnahme. Der Standort Basel ist optimal, es ist eine reiche Stadt mit vielen alteingesessenen Geschlechtern und wohlhabenden Leute. Die Kundschaft hat auch ein grosses Verständnis für das Handwerk und dessen Wert. Irides Körbe können auch nach Jahren in Gebrauch wieder gebracht werden, um sie reparieren und auffrischen zu lassen. Das schätzt die Kundschaft sehr. Irides-Körbe sind langlebige Luxusprodukte. Stefan Meiners sagt, wenn er den Kunden erklärt wie viel Arbeit damit verbunden ist und sie durch die Werkstatt führt, wird das Verständnis noch viel grösser.19 Webseite Changemaker, www.changemaker.ch Webseite Schneider- Korbwaren AG, www.schneider-korbwaren.ch 19 Interview mit Stefan Meiners, Irides AG, Basel, 01.03.2019, 45min, Leitfaden zum qualitativen Interview im Anhang 17 18
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8 Workshops Nachdem ich jede Technik selbst ausprobiert habe und ich nach mehreren Besuchen in der Blindenwerkstatt etwas abschätzen kann, welche Fähigkeiten die dort arbeitenden Leute haben, fiel der Entscheid auf eine Auswahl der oben vorgestellten Techniken. Ich habe festgestellt, dass ich pro Tag ein, zwei Techniken und etwa ein Farbexperiment ausprobieren kann. Beim Ausprobieren der Techniken habe ich selbst relativ schnell herausgefunden, was funktionieren würde und was nicht. Schon bald hat sich herausgestellt, dass ich die Workshops mit Tsiory durchführen werde. Dies aufgrund ihrer handwerklichen Begabung, ihres schnellen Auffassungsvermögen, ihrer Zuverlässigkeit und der grossen Lust und Offenheit am Ausprobieren. Tsiory ist 29 Jahre, in Madagaskar geboren. Mit elf Jahren wurde sie von einer Schweizer Familie adoptiert. Sie ist seit ihrem zweiten Lebensjahr blind. Das einzige, was sie wahrnimmt, sind hell-/dunkel- Unterschiede. Das heisst, sie weiss, ob das Licht an ist. Wenn sie sich in einem Tunnel befindet, kann sie das hellere Ende erkennen.
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8.1 Vorgehen In den Workshops bin ich so vorgegangen, dass ich mich zu Hause gut vorbereitet habe, um zu wissen, welche Technik und Farbexperimente ich durchführen will. Ich habe geübt, bis die Technik funktionierte, denn nur so kann ich Tsiory gut anleiten. Zudem habe ich immer ein Probemodell dabei, damit sie mit den Händen „sehen“ kann, wie das Objekt gestaltet ist. Das Erklären fiel mir anfangs nicht so einfach. Ich wusste nicht, wie stark ich sie lenken sollte, wie oft ich ihre Hände nehmen darf um sie an den richtigen Ort zu führen und wie fest ich sie korrigieren soll. Schnell habe ich festgestellt, dass wir ein gutes Team sind. Die Berührungsängste verschwanden auf beiden Seiten schon nach kurzer Zeit. Notwendig sind eine Mischung aus Wort- Erklärungen und das Führen per Hand war notwendig, damit wir zu einem guten Resultat gelangten. Wichtig ist auch, dass man sofort sagt, wann sich ein Fehler eingeschlichen hat, aber grundsätzlich sollte man die blinden und sehbehinderten Leute einfach machen lassen und nur dann intervenieren, wenn es wirklich nötig ist. Es geht uns normal Sehenden ja auch so, wenn wir etwas Neues lernen.
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Von Anfang an ausschliessen konnte ich das Glocken- und Kreuzgeflecht. Die Form des Glockengeflechts wird so stark per Auge gesteuert, dass es für eine blinde Person schier unmöglich ist das zu steuern. Es sind keine Anhaltspunkte vorhanden, was es für sie unmöglich macht. Das Kreuzgeflecht funktioniert nur mühsam. Man hat zwar klare Staken, um die man flicht, doch die beiden Schienen, die miteinander gekreuzt werden, sind schwierig zu steuern. Blinde benötigen zum Flechten eine Grundform und da ist beim Kreuzgeflecht das Problem, dass die Form im Weg ist, wenn man die beiden Schienen kreuzen will. Deshalb finde ich diese Technik ungeeignet. Bei den verwandten Techniken habe ich das Sanduhrverschlingen schon vor den Workshops ausgeschlossen. Es hat zu komplizierte Windungen, die selbst für mich als Sehende schwierig nachzuvollziehen sind. (Abb.30) Flechttechnik Glockengeflecht Siebgeflecht Schichtgeflecht Spiralwulst hexagonal Geflecht geflochtene Bänder Kreuzgeflecht Chaostechnik/Birdweaving Einhängen einhängendes Verschlingen durchstechendes Verschlingen Sanduhrverschlingen umfassendes Verschlingen
bisher genutzt (funktioniert)
ü ü ü
neu hinzugekommen (funktioniert)
ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü
_ 30 Auswertung welche Flechttechniken funktionieren oder schon verwendet wurden
24
funktioniert nicht
ü ü ü ü ü ü
Im ersten Workshop hatte ich die Technik Einhängen mit Tsiory ausprobiert. Anfangs hatte es nicht so funktioniert, da ich keine Hilfestellung verwendet hatte. Ohne Rahmen oder Grundform ist es schwierig für eine blinde Person sich beim Flechten zu orientieren. Dank der Hilfe von Stefan Meiners, dem Werkstattleiter hatten wir
_ 31 Grundform für „Cara„
eine ihrer Grundformen weiterentwickelt und so bespannt, dass Tsiory die Technik mit viel Anleitung ausführen konnte. Dennoch musste ich feststellen, dass das Ergebnis für mich nicht so zufriedenstellend war. Es könnte an der Materialwahl liegen. Wir hatten mit Wolle gearbeitet. Für mich hatte das Einhängen aber nicht viel mit dem Flechten zu tun. Deshalb hatte ich die Technik verworfen. In diesem Workshop ging es mir vor allem auch darum, herauszufinden, wie ich etwas Neues erklären und Tsiory beibringen soll.
_ 32 Flechtversuch Einhängen
Danach konnte ich mich besser vorbereiten und wusste, wie ich eine neue Technik einzuführen muss. Ich bekam das Zeitmenagement in den Griff und realisierte, dass maximal eine bis zwei Techniken pro Tag zu schaffen sind.
_ 33 Einhängen funktioniert
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Mit einem Farbexperiment hatte ich den zweiten Workshop gestartet. Ich wollte herausfinden, wie es für blinde Menschen ist, mit Farbe zu arbeiten. Eigentlich ist es völlig absurd, dass blinde Menschen mit Farben arbeiten. Vorallem, wenn sie von Geburt an blind sind oder keine Erinnerungen an Farben haben. Gerade wegen dieses Wiederspruchs, möchte ich herausfinden, was es für blinde Menschen bedeutet mit Farben zu arbeiten. Damit es schneller ging und es Weiden nicht in verschiedenen Farben gibt, hatte ich mich für Papierstreifen entschieden. Das Papier ist gut zu verarbeiten und Tsiory kannte die Schichtflechttechnik schon, welche verwandt mit dem Weben ist, was sie in ihrer Freizeit auch schon gemacht hatte. So kann ich die Farbexperimente in einem guten zeitlichen Rahmen durchführen. Tsiorys ist seit ihrem zweiten Lebensjahr blind. Sie hat also keinerlei Erinnerungen an Farben. Für das Experiment hatte ich ca. zwei Zentimeter breite, bunte Papierstreifen und einen rechteckigen Rahmen aus Wellkarton mitgebracht. Ich erklärte ihr, welche Farben ich dabei habe. Sie sagte mir, welche Farbe sie gerne möchte und so flochten wir den Rahmen langsam aus. Das Siebgeflecht ist die optimale Technik für diesen Zweck. Im Grunde genommen ist es nichts anderes als Weben. Tsiory kannte diese Technik. Sie hatte in der Vergangenheit bereits ähnliche Bilder gestaltet. Auf meine Frage, wieso sie diese Farbstreifen so angeordnet habe, meinte sie: „Weist du, ich stelle mir einfach eine bunte Blumenwiese vor“. Ich fragte mich, wie wohl eine Blumenwiese in ihrem Kopf aussieht. Anfangs hatte sie die Farben relativ regelmässig angeordnet und sie wurde erst mit der Zeit so richtig wild. So als ob sie erst nach einer Weile richtig den Mut zur Farbe gefunden hat. Dass Tsiory mit Tacker und Schere fast genau so flink umgehen kann wie ich, überraschte mich. Ihre Fähigkeiten sind vielfältig. Ich unterschätze sie immer wieder.
_ 34 Farbexperiment 1.1
_ 35 Farbexperiment 1.2
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_ 36 Farbexperiment 1.3
Als Nächstes hatte ich mich an etwas gewagt, was nach Einschätzung von Stefan nicht ausführbar sei. Ich hatte Tsiory meinen Korb mit der Chaostechnik mitgebracht und sie war total begeistert davon. Es liess mir keine Ruhe und ich wollte wissen, ob es für sie wirklich nicht möglich ist so frei zu arbeiten. Als Grundgerüst diente mir ein Ballon, den ich zu Beginn mit drei Ringen aus Weidenschienen umrundet und diese mit einer weiteren Schiene etwas fixiert hatte. Nun hatte Tsiory genügend Anhaltspunkte, dass sie den Rest selbst flechten konnte. Ihre Freude am Quietschen des Ballons und an der „Unordnung“ die sie anrichten konnte war richtig ansteckend. Stefan und ich waren erstaunt, wie schnell sie das begriffen hatte. Das nestartige Gebilde, das daraus entstand ist
_ 37 Chaostechnik Versuch
einfach nur so schon sehr ästhetisch und birgt noch sehr viel verstecktes Potential zum Weiterentwickeln.
Zum Schluss hatten wir noch das einhängende Verschlingen in Reihen mit Weidenschienen versucht, doch das hat überhaupt nicht funktioniert. Einerseits funktioniert die Technik so nicht, andererseits waren wir beide schon ziemlich müde.
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_ 38 Versuch einhängendes Verschlingen
In der dritten Workshop Runde wollte ich neue Formen ausprobieren. Immer nur runde und eckige Körbe herzustellen ist meiner Meinung nach langweilig und es ist zu „normal“. Ich war auf der Suche nach neuen Formen. Nun hatte ich den Ballon so mit Betonklebeband beklebt, dass er sich beim Aufblasen anders ausdehnte und so eine neue Form entstand. In diesem Experiment wollte ich herausfinden, ob Tsiory in der Lage sei, diese Form mit Dellen und Windungen mit der Chaostechnik auszuflechten. Wie erwartet hatte sie dies mit Bravour und viel Freude geschafft.
_ 39 Chaostechnik neue Form, Ballon abkleben
_ 40 neue Form ausflechten
_ 41 Endergebnis ohne Ballon
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_ 42 Farbexperiment 2.1
_ 43 Farbexperiment 2.2
_ 44 Farbexperiment 2.3
_ 45 Farbexperiment 3.1
_ 46 Farbexperiment 3.2
_ 47 Farbexperiment 3.3
Da wir aus zeitlichen Gr체nden im dritten Workshop nicht mehr zu den Farbexperimenten gekommen sind, hatte ich mir f체r den vierten und letzten Workshop gleich zwei Farbexperimente vorgenommen. Das Farbexperiment mit Schwarz und Weiss ist sehr geordnet. Tsiory wollte abwechslungsweise schwarz/weiss arbeiten, aber hatte zweimal die Schwarzen mit den Weissen verwechselt. Beim Farbexperiment mit Schwarz, Weiss, Grau, Blau und Lila verwendetesie haupts채chlich Grau. Weshalb weiss ich nicht, Schwarz und Weiss lagen an der selben Stelle wie vorher, Grau gerade vor ihr. Blau und Lilla auf ihrer rechten Seite neben Schwarz. Lustigerweise sagt sie immer, sie liebe Farben. Ich habe zweimal nachgefragt, ob sie noch wisse wo die bunten Papierstreifen liegen und sie wusste es genau. Am Schluss hatte sie drei bunte Streifen im grauen Feld. Weshalb konnte Tsiory mir nicht erkl채ren.
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_ 48 Technikversuch einhängendes Verschlingen
_ 49 gescheiterter Versuch
Parallel zu Tsiorys Farbexperimenten hatte ich eine weitere Technik ausprobiert. Eine Mischung aus Einhängen und Verschlingen, doch es war ein Misserfolg. Das Ganze hatte nicht in sich zusammengehalten und sich aufgelöst.
_ 50 Tsiory beim Flechten
_ 51 Eigenversuch Maschendraht
_ 52 Maschendraht ohne Grundform
Anschliessend hatte Tsiory mir die „Maschendrahtzaun“ Technik beigebracht, welche sie mit Stefan entwickelt hatte. Den ersten Versuch dieser Techik hat es im oberen Bereich zusammengezogen. Leider ist das bei keinem weiteren Versuch nochmals geschehen. Wir können momentan nicht nachvollziehen, weshalb das so ist. Es macht mich stolz zu sehen wie Stefan anfängt, die bestehenden Produkte weiterzuentwickeln und durch meine Anstösse neue Techniken ausprobiert.
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9 Fazit Aufgrund der Workshop aus meiner schriftlichen Arbeit habe ich mich dafür entschieden nicht ein fertiges Produkt zu entwickeln. Dank der Arbeit der letzten Wochen weiss ich jetzt, welche Techniken Potential haben. Das Ziel ist es nun, geeigntete Werkzeuge zu entwickeln, damit die blinden Menschen die Formen einfach selbst bedienen können. Mit Werkzeug meine ich den Ballon oder die Holzgrundform, mit welchen wir die neuen Techniken ausprobiert haben. Ich möchte diese so weiterentwickeln, dass sie einfach zu benutzen sind. Ich habe bemerkt, dass es mehr Sinn macht ihnen Methoden zu zeigen, mit denen sie weiter arbeiten können und das Potential selbst ausschöpfen können. Wenn ich jetzt wieder einfach ein Produkt für sie entwickle, sind sie am Ende zwar um ein Produkt in ihrem Sortiment reicher, doch sie haben nicht mehr. Haben sie allerdins neue Werkzeuge, mit welchen sie immer wieder neue Formen entwickeln können, inspiriert das weiterhin zu neuen Produkten. So müssen sie in Zukunft nicht schon bald wieder jemanden Externen fragen, ob er ihnen ein Produkt entwickelt. Am Ende meiner praktischen Bachelorarbeit sollen die Werkzeuge einsatzfähig weiterentwickelt und dazu je ca. ein bis zwei Produktvorschläge zu sehen sein. Bezüglich der Farbexperimente kann ich sagen, dass blinde Menschen, im speziellen Fall Tsiory, Farben mögen. Sie haben einen Bezug zu Farben und ihre ganz eigenen Vorstellung davon. Wenn sie die Farben selbst anornden, gibt es fast immer ein buntes Durch- einander. Bestimme ich wo welche Farbe hinkommt, sieht man nicht, ob es eine blinde oder sehende Person gemacht hat. Die handelsüblichen roten und schwarzen Schienen sind durch das lange Kochen zu brüchig und instabil. Daher werde ich für meine Produktvorschläge mit geschälten Weideschienen und nur mit wenigen Farben, die eventuell durch andere Materialien dazukommen, arbeiten. Einer meiner Wünsche und auch ein Ziel war, dass ich Stefan und sein Team dazu anstossen kann, selbstständig neue Produkte zu entwickeln. Es ist schön zu sehen, dass sie ihre bisherigen Produkte neu aufgreifen und weiterentwickeln. Mit blinden Menschen zu arbeiten braucht ein gutes Zeitmanagement, es braucht alles etwas mehr Zeit, doch das schadet in der heutigen schnelllebigen Zeit überhaupt nicht. Die Fröhlichkeit und Dankbarkeit sind unbeschreiblich gross, ansteckend und eine grosse Bereicherung.
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Quellenverzeichnis
Bücher: a) Bernd Holtwick, Martina Fuchs, Rena Gerullis: Weidenkörbe flechten, Traditionelles Handwerk, Stuttgart, 2017 b) Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004 c) Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende, Bern, 2014 d) Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Faszinierende Körbe, Schalen und mehr, Stuttgart, 2016
Interview: Stefan Meiners, Irides AG, Basel: geführt am 01.03.2019, 45min, Leitfaden zum qualitativen Interview im Anhang
Internet: Changemaker: www.changemaker.ch, zuletzt konsultiert am 28.04.2019 Schneider- Korbwaren AG: www.schneider-korbwaren.ch, zuletzt konsultiert am 28.04.2019
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Abbildungsverzeichnis
_1 Glockengeflecht
Bernard und Regula Verdet- Fierz: Anleitung zum Flechten mit Weiden, Bern, 2004, S. 54
_2 Siebgeflecht
„
_3 Schichtgeflecht
S. 57
„
S. 160
_4 Spiralwulst „
S. 159
_5, _6 hexagonal Geflecht Jette Mellgren: Flechten mit Naturmaterial, Stuttgart , 2016, S. 25 _7 geflochtene Bänder „
S. 62
_8 Kreuzgeflecht
„
S. 75-78
_9 Chaostechnik
„
_10 Einhängen
S. 169-175
Monika Künti: einhängen & verschlingen, Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende , Bern, 2014, S.71
_11 einhängendes Verschlingen
„
S. 95
_12 durchstechendes Verschlingen
„
S. 99
_13 Sanduhrverschlingen
„
S. 147
_14 umfassendes Verschlingnen
„
S. 125
_15 Vergleich mit Stricken
„
S. 125
_16 geografisches Vorkommen und Verwendung pfl. Flechtstoffe
Tabelle von Autorin
_30 Preisvergleich
Tabelle von Autorin
_ 17, _ 18 bis _52
Fotos von Autorin 02.-04. 2019
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Anhang LEITFADEN QUALITATIVES INTERVIEW MIT STEFAN MEINERS BLINDEN-KORBWERKSTATT IRIDES IN BASEL 1.
Wie bist du zu deinem Job gekommen? Hast du eine spezielle Ausbildung dazu
gemacht? (Arbeitsagoge)
FÄHIGKEITEN UND GRENZEN 2.
Über welche Fähigkeiten verfügen die Sehbehinderten? , //
3.
Welche Flechttechniken beherrschen die Sehbehinderten?
4.
Was fällt ihnen leicht? Wie ist für sie schwierig umzusetzen?
((Was können wir Sehenden von Sehbehinderten lernen? ))
ANLEITUNG 5.
Wie gehst du neue Projekte/Techniken an? Wie erkläre ich etwas, das als Sehen
der völlig logisch ist, einem Blinden?
6.
Welche Hilfsmittel kommen zum Einsatz? (Bei der Vermittlung/Einführung in einen
neuen Entwurf, später bei der serienmässigen Ausführung?)
7.
Wie fest soll man Sehbehinderten helfen, wenn ja wann und wie gehe ich das an?
8.
Was ist die grösste Herausforderung in der Zusammenarbeit mit Sehbehinderten?
(Schwierigkeiten, auf die man vorbereitet sein sollte?)
9.
Gibt es bestimmte Sachen die man in Zusammenarbeit mit Sehbehinderten be-
achten muss? (Zeit, Rücksichtnahme, Erklärungen...) Literatur?
EXPERIMENTE: CHANCEN UND GRENZEN 11.
Im Hinblick auf meine Experimente. Wie viele Techniken/ Sachen kann ich aufs
mal ausprobieren? (Arbeits-/Aufnahmegeschwindigkeit)
EIGENSTÄNDIGKEIT 12.
Wie selbstständig können die Sehbehinderten arbeiten?
13.
Bringen die Sehbehinderten auch mal eigene Ideen?
14.
Rückmeldung zu Entwürfen, die sie umsetzen sollen? 34
EIGENES SORTIMENT, MARKTANGEBOT, MARKTANALYSE 15.
Welche eigenen Produkte Verkauft ihr im Laden?
16.
Wie sieht eure Produktpalette im Laden aus, welche ihr selbst herstellt?
17.
Wo verkauft ihr hauptsächlich eure Produkte?
18.
Wer ist eure Kundschaft? Welche typischen Eigenschaften zeichnen sie aus?
19.
Wie setzen sich eure Preise zusammen?
20.
Welches ist das am häufigsten verkaufte Produkt in eurem Sortiment?
21.
Was ist eure Spezialität?
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Lauterkeitserklärung _____________________________________________________________________________________________________ Diese Lauterkeitserklärung ist zusammen mit schriftlichen Leistungsnachweisen einzureichen, insbesondere zusammen mit der Seminararbeit und der schriftlichen Bachelor-Arbeit.
_____________________________________________________________________________________________________
Ich erkläre, dass es sich bei dem eingereichten Text mit dem Titel ......................................................................................................................................................................................
...................................................................................................................................................................................... um eine von mir und ohne unerlaubte Beihilfe in eigenen Worten verfasste Arbeit handelt. Ich bestätige, dass die Arbeit in keinem ihrer wesentlichen Bestandteile bereits anderweitig zur Erbringung von Studienleistungen eingereicht worden ist.
Sämtliche Bezugnahmen auf in der oben genannten Arbeit enthaltene Quellen sind deutlich als solche gekennzeichnet. Ich habe bei Übernahmen von Aussagen anderer Autorinnen und Autoren sowohl in wörtlich übernommenen Aussagen (= Zitate) als auch in anderen Wiedergaben (= Paraphrasen) stets die Urheberschaft nachgewiesen.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Arbeiten, denen das Gegenteil nachweisbar ist – insbesondere, indem sie Textteile anderer Autoren ohne entsprechenden Nachweis enthalten – als Plagiate im Sinne der Aufnahme- und Prüfungsordnung der Hochschule Luzern (Art. 24) betrachtet und mit rechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen geahndet werden können. Name, Matrikelnummer: Datum, Unterschrift:
............................................................................................................................ ............................................................................................................................