IFZ Versicherungsstudie 2021 (Kurzversion)

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IFZ Versicherungsstudie 2021 Autor Florian Schreiber www.hslu.ch/ifz

Platinpartner


Firmenportraits der Partnerunternehmen Die folgenden Partner haben die Erstellung der IFZ Versicherungsstudie 2021 unterstützt.


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Vorwort Massgeblich durch die rasant voranschreitende Digitalisierung getrieben, zeichnet sich ein klarer Trend ab: Geänderte Kundenerwartungen und -ansprüche lassen die Grenze zwischen einem Markt, in dem Versicherungen verkauft, und einem Markt, in dem Versicherungen aktiv durch Kunden nachgefragt und gekauft werden, mehr und mehr verschwimmen. Vor diesem Hintergrund bietet die vorliegende Studie einen transparenten und aggregierten Überblick des Schweizer Direktversicherungsmarkts auf individueller Unternehmensebene – auf knapp 300 Seiten finden Sie verschiedenste Auswertungen und Einschätzungen aktueller Trends in und um die Schweizer Assekuranz. In Kapitel Eins ziehen wir einen Vergleich zwischen der gegenwärtigen und zukünftigen Ausgestaltung der Vertriebsstruktur. Das zweite Kapitel untersucht verschiedene Aspekte des Kostendrucks mit Fokus auf das Beschaffungswesen. Grundlage für diese beiden Kapitel bilden Umfrageergebnisse unter 130 Entscheidungsträgerinnen und -trägern von 42 Versicherern. Die Kapitel Drei bis Sieben der Studie setzen sich aus insgesamt fünf Fokusbeiträgen zusammen. Von diesen konzentrieren sich drei Artikel auf verschiedene Aspekte des Versicherungsvertriebs: Die Zukunft von Generalagenturen, den Einfluss von Megatrends und die Auswirkungen der digitalen Transformation. In den beiden weiteren Beiträgen werden die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und aktuelle Entwicklungen zum Thema Nachhaltigkeit vorgestellt und vertieft diskutiert. Im achten Kapitel der Studie werden sämtliche Versicherer im direkten Schweizer Geschäft einer faktenbasierten Benchmarking-Analyse unterzogen. Als Grundlage hierfür dienen die jüngsten FINMA-Daten, die auf den Geschäftsberichten 2019 und Berichten über die Finanzlage 2019 der einzelnen Gesellschaften beruhen. Anhand ausgewählter KPIs bieten wir einen umfassenden Überblick der Schweizer Versicherer in den Sparten Leben und Nichtleben und analysieren deren Entwicklung über die Zeit. Eine über das Benchmarking hinausgehende vertiefte Analyse der Nichtlebensversicherer findet sich im neunten Kapitel der Studie. Für jeden einzelnen Zweig des direkten Schweizer Geschäfts werden die Bruttoschadenquoten 2019 der Versicherer berechnet und die profitabelsten Anbieter ermittelt. Schliesslich konzentriert sich das zehnte Kapitel der Studie auf die Corporate Governance der Schweizer Versicherer. In der umfassenden Untersuchung beurteilen wir Aspekte wie die Eigentümerstruktur oder die Diversität und Entschädigungen von Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitgliedern. Zu jedem untersuchten Versicherer sind im elften Kapitel die wichtigsten Informationen in Form eines Factsheets zu finden. Ein herzliches Dankeschön geht zunächst an alle Teilnehmenden unserer Umfrage und an alle Versicherungsunternehmen, die bei der Plausibilisierung ihrer verwendeten Daten mitgewirkt haben. Darüber hinaus möchten wir uns namentlich bei Dr. Anup Nastik, Sophie Hundertmark, Dr. Michael Hartmann, Igor Garcia, Dr. Holger Rommel, Monika Josi und Katharina Hesse für die Erstellung der Fokusbeiträge bedanken. Ein ausserordentlicher Dank gebührt ferner Sabine Betz und Jörg Schwanemann, die für Diskussionen und Interpretationen der Ergebnisse jederzeit zur Verfügung standen und eine Vielzahl wertvoller Kommentare und Anmerkungen eingebracht haben. Ebenso danken wir den folgenden Unternehmen und Verbänden für die finanzielle Unterstützung der Studie (Auflistung in alphabetischer Reihenfolge): adesso Schweiz AG, alabus ag, Avectris AG, BBT Software AG, ChainIQ Group AG, EY Schweiz, Korn Ferry, Microsoft, RVK, Salesforce Sàrl, SIRM, SOBRADO Software AG, ti&m AG, UMB AG. Zu guter Letzt ist anzumerken, dass Sie nun bereits die Zweitausgabe unserer IFZ Versicherungsstudie in Ihren «Händen» halten. Wir sind für Anmerkungen, Anregungen und Kommentare jederzeit offen und freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme. Wir hoffen, dass die vorliegende Studie einen signifikanten Beitrag dazu leistet, einen Überblick über aktuelle Trends und die einzelnen Versicherer der Schweiz zu erhalten und wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre!

Dr. Florian Schreiber Insurance Lead Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ

Rotkreuz, im Mai 2021


3 IFZ Versicherungsstudie 2021

Disclaimer Obwohl alle in dieser Publikation verwendeten Informationen aus zuverlässigen Quellen stammen und sorgfältig recherchiert bzw. aufbereitet wurden, wird keinerlei Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der dargestellten Informationen bzw. zukunftsgerichteten Aussagen übernommen. Alle dargestellten Aspekte und zukunftsgerichteten Aussagen dienen lediglich zu Informationszwecken und stellen keine Empfehlung, keinen Ratschlag, keine Aufforderung, kein Angebot und keine Verpflichtung zur Durchführung einer Transaktion oder zum Abschluss von Rechtshandlungen jeglicher Art dar. In keinem Fall dürfen das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ oder der Autor für alle Folgen, die im Zusammenhang mit der Verwendung der in dieser Studie dargestellten Informationen oder zukunftsgerichteten Aussagen entstehen, haftbar gemacht werden. Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ und der Autor haben keinerlei Verpflichtung, die in der Studie dargestellten Ergebnisse oder zukunftsgerichteten Aussagen aufgrund von neuen Informationen, zukünftigen Ereignissen oder Ähnlichem öffentlich zu revidieren oder zu aktualisieren. Zur weiteren Information und zum Vergleich unbereinigter Zahlen seien die interessierten Leser auf die Geschäftsberichte 2019 und Berichte über die Finanzlage 2019 der einzelnen Versicherungsgesellschaften verwiesen.


IFZ Versicherungsstudie 2021 Vorwort

2

1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Status Quo der Schweizer Assekuranz: Wo steht der Vertrieb? Herausforderungen des Versicherungsvertriebs Heutiger Vertriebsmix im Retailgeschäft Heutiger Vertriebsmix im KMU-Geschäft Zukünftiger Vertriebsmix im Retailgeschäft Zukünftiger Vertriebsmix im KMU-Geschäft Fazit

6 8 11 13 14 17 18

2. 2.1 2.2 2.3

Procurement – Eine Analyse der Schweizer Versicherer in 2021 Kostendruck in der Assekuranz Procurement – Bestandsaufnahme 2021 Fazit

22 22 23 26

3.

Fokus: Zukunft der Generalagentur: Was denken die Kunden und welche Empfehlungen lassen sich hieraus für die Generalagenturen ableiten? (Schreiber, Nastik, Hundertmark)

28

4.

Fokus: Wie Megatrends Handlungsfelder im Vertrieb auslösen (Hartmann & Garcia)

34

5.

Fokus: Der Geist in der Maschine: Wie die digitale Transformation den Vertrieb verändert (Rommel)

38

6.

Fokus: Digitalisierung im Versicherungsumfeld: Shifting your Perspective (Josi)

44

7.

Fokus: Nachhaltigkeit in der Versicherungsindustrie (Hesse)

50

8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

Benchmarking der Schweizer Versicherer Methodik und Struktur Dimension Profitabilität Dimension Stabilität Dimension Struktur Zusammenfassung: Die Gesamtperformance der Versicherer im Jahr 2019 Analyse der Sparte Leben Analyse der Sparte Nichtleben

52 52 53 55 58 58 59 79

9. Deep Dive: Schadenquoten im direkten Schweizer Geschäft 9.1 Methodik und Struktur 9.2 Gesamtmarkt 9.3 Krankheit 9.4 Unfall 9.5 Feuer und Sachschäden 9.6 Landfahrzeug-Haftpflicht (MFH) 9.7 Landfahrzeug-Kasko (MFK) 9.8 Haftpflicht 9.9 Rechtsschutz 9.10 Finanzielle Verluste 9.11 Kredit, Kaution 9.12 Schifffahrt, Luftfahrt, Transport 9.13 Touristische Beistandsleistung

114 115 115 117 123 128 132 134 136 138 139 139 141 144

10. Corporate Governance der Schweizer Versicherer 10.1 Methodik und Struktur 10.2 Corporate Governance im Quervergleich 10.3 Fazit zur Corporate Governance

148 148 151 180

11. Governance Factsheets

184

Über den Autor Firmenportraits der Partnerunternehmen

284 286



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Kapitel 1 Status Quo der Schweizer Assekuranz: Wo steht der Vertrieb?

Im digitalen Zeitalter wird es zunehmend zur Gewohnheit, alltägliche Angelegenheiten aus verschiedenen Lebensbereichen online zu erledigen. So bieten bereits heute viele Branchen ihren Kunden an, sich über deren Angebote und Services rund um die Uhr und völlig ortsunabhängig informieren zu können. Bei weiterführendem Beratungsbedarf besteht darüber hinaus in kürzester Zeit die Möglichkeit, den Austausch mit dem Unternehmen zu suchen. Dieser kann dann entweder rein online via digitale Kommunikationskanäle erfolgen oder fliessend in die analoge Welt übergehen. Diese und ähnliche Verhaltensmuster schwappen nun mehr und mehr auf die Assekuranz über und stellen Versicherer vor die grosse Herausforderung, ihren Vertrieb nicht nur nach Effizienzgesichtspunkten, sondern insbesondere auch an den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kundschaft auszurichten. Eine Vielzahl an Studien – wie beispielsweise die BCG Next Generation Sales Studie (2020) – haben gezeigt, dass die Kunden hybride Zugänge nutzen, um mit ihrem Versicherer in Kontakt zu treten: Insgesamt 70% der befragten Versicherungskunden verfolgen eine hybride Customer Journey, d.h. sie wechseln mindestens einmal den Kommunikationskanal im Vertriebsprozess. Auf Stufe der Beratung bzw. Informationssammlung über das Produkt entscheiden sich mit 27% etwas mehr als ein Viertel der Kunden für rein digitale Kanäle – wie beispielsweise die Website, das Kundenportal oder eine mobile App. Für die Einholung von Preisauskünften und konkreten Offerten steigt dieser Anteil auf 42% der befragten Personen an und liegt mit den persönlichen Kanälen somit gleichauf, ehe die reine Digitalquote auf Stufe Abschluss erneut auf 24% absinkt. Ungeachtet der konkreten Prozentzahlen der Untersuchung zeichnet sich ein klarer Trend ab: Die durch die Digitalisierung veränderten Kundenerwartungen und -ansprüche lassen die Grenze zwischen einem Markt, in dem Versicherungen verkauft, und einem Markt, in dem Versicherungen aktiv durch Kunden nachgefragt und gekauft werden, mehr und mehr verschwimmen. Aufgrund der höheren Online-Affinität, die durch die COVID 19-bedingte Forcierung auf digitale Kanäle weiter befeuert wurde, erfolgt der erste Schritt der Customer Journey in vielen Fällen selbständig im Internet ohne jegliche Betreuung seitens Makler oder Generalagent. Hinzu kommt die demographische Verschiebung, die dafür sorgt, dass die sogenannten «Digital Natives» ab dem Jahr 2022 die Mehrheit der aktiven Schweizer Bevölkerung darstellen: Also exakt diejenigen Personen, die mit den digitalen Technologien aufgewachsen sind. Für Versicherer eröffnen diese Verschiebungen jedoch auch eine Vielzahl an neuen Opportunitäten. Unabhängig von der Wahl des zukünftigen Vertriebsmodells wird es entscheidend

sein, die heterogenen Bedürfnisse der Kunden richtig einzuschätzen und durch die passend gewählten Kontaktpunkte abzuholen. Zur erfolgreichen Festigung profitabler Kundenbeziehungen gilt es, adäquate Antworten auf eine Vielzahl an Fragestellungen zu finden. Hierunter fallen beispielsweise die folgenden: – Welche Produkte sollen welchen Kundengruppen angeboten werden? – Welche Ansprache sollte gewählt und wie kann ein fortwährender Kundenkontakt sichergestellt werden? – Auf Basis welcher Faktoren bzw. Kennzahlen wird Vertriebserfolg intern gemessen und gesteuert? – Welche Vertriebskanäle werden in den einzelnen Sparten in fünf Jahren am relevantesten sein? Basierend auf einer Umfrage unter Entscheidungsträgern von Schweizer Versicherern analysiert dieses Kapitel, wie bedeutend verschiedene Vertriebskanäle im Retail- und KMUGeschäft heute sind und wie sich diese Bedeutung gemäss Einschätzung von Expertinnen und Experten in den nächsten fünf Jahren verändern könnte. Methodik und Struktur Das Ziel der vorliegenden empirischen Analyse ist es, den Puls des Marktes zu spüren und herauszufinden, wie die in der Verantwortung stehenden Akteure der Versicherungslandschaft Schweiz ausgewählte Entwicklungen beurteilen. Hierzu gehören zunächst die Herausforderungen für die gegenwärtige Struktur des Vertriebs. In einem zweiten Schritt wird der Fokus dann auf die konkrete Ausgestaltung des gegenwärtigen Vertriebsmix gelegt. Um eine differenzierte Analyse vornehmen zu können, werden hierbei die drei Sparten Leben, Schaden und Kranken/Unfall separat betrachtet. Ferner wird das Retailgeschäft vom KMU-Geschäft abgegrenzt. Der dritte Teil der Auswertung konzentriert sich anschliessend auf die Herausarbeitung der Bedeutung der heute dominierenden Vertriebskanäle in fünf Jahren. Ein Vergleich der jeweiligen Einschätzungen erlaubt eine Beurteilung, welche Kanäle an Relevanz gewinnen bzw. verlieren könnten. Der abschliessende Teil der Untersuchung widmet sich dem Kostendruck in einzelnen Bereichen der Wertschöpfungskette und wird in Kapitel 2 näher vorgestellt. Unter der Annahme, dass zukünftig digitale Ökosysteme dominieren werden, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Elemente der Wertschöpfungskette ein Versicherer noch selbst erbringen und welche ausgelagert werden sollten (Swiss Re Institute, 2019). Um all


7 IFZ Versicherungsstudie 2021

A.

Firmencharakteristika (Sparte des Versicherungsunternehmens)

B.

Gegenwärtige Herausforderungen des Vertriebs

C.

Ausgestaltung des heutigen Vertriebsmix (Retailgeschäft und KMU-Geschäft)

D.

Ausgestaltung des zukünftigen Vertriebsmix (Retailgeschäft und KMU-Geschäft)

E.

Kostendruck und Procurement

Abbildung 1: Umfragedesign: Gliederung und Schwerpunkte der Fragenkomplexe diese Aspekte identifizieren und auswerten zu können, wurde gemeinsam mit ausgewählten Experten ein umfassender Fragebogen entwickelt und verschiedenen Entscheidungsträgern der Schweizer Assekuranz vorgelegt. Für jede Frage war jeweils eine von fünf Antwortmöglichkeiten zu wählen, die von «sehr niedrig» bis hin zu «sehr hoch» reichten (bspw. bezogen auf die Bedeutung eines Vertriebskanals). Wichtig anzumerken ist ebenfalls, dass keiner der abgefragten Aspekte für die Teilneh-

menden näher erklärt bzw. erläutert wurde. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Umfrageresultate tatsächlich das aktuelle Wissen der Branchenvertretenden abbilden. Abbildung 1 veranschaulicht das Umfragedesign und dessen Aufteilung in drei Blöcke. In Block A wurde zunächst die Sparte des Versicherungsunternehmens abgefragt, ehe im Block B die gegenwärtigen Herausforderungen des Vertriebs im Fokus standen. Die sich direkt anschliessenden Blöcke C

10.0%

Leben

41.5%

Schaden Kranken/Unfall 48.5%

Abbildung 2: Aufschlüsselung der Umfrageteilnehmenden: Versicherungssparten


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Kapitel 1: Status Quo der Schweizer Assekuranz: Wo steht der Vertrieb?

Gebuchte Bruttoprämien (in Mio. CHF)

Stichprobe # Versicherer

in %

unter 10

2

4.8%

10 bis 25

7

16.7%

25 bis 50

5

11.9%

50 bis 100

3

7.1%

100 bis 250

5

11.9%

250 bis 500

3

7.1%

500 bis 1'000

6

14.3%

1'000 bis 2'500

7

16.7%

über 2’500

4

9.5%

Tabelle 1: Aufschlüsselung der Umfrageteilnehmenden: Gebuchte Bruttoprämien im direkten Schweizer Geschäft und D konzentrierten sich auf die Ausgestaltung des heutigen bzw. zukünftigen Vertriebsmix. Im letzten Teil wurden die Entscheidungsträger abschliessend gebeten, ihre Einschätzungen zum potentiell vorherrschenden Kostendruck in der Wertschöpfungskette ihrer Gesellschaft abzugeben. Der Einladungslink des Online-Fragebogens wurde an insgesamt 342 Geschäftsleitungsmitglieder der Schweizer Versicherer und weitere ausgewählte Personen mit Fachexpertise in verschiedenen Bereichen – unter anderem Vertrieb, Sourcing, Procurement etc. – versendet. Die Teilnahme an der Umfrage war für alle Befragten vollständig anonym und konnte im Zeitraum zwischen dem 21. Dezember 2020 und dem 15. Februar 2021 erfolgen. Insgesamt haben 130 Personen aus 42 Gesellschaften den Fragebogen vollständig ausgefüllt, was einer Rücklaufquote von circa 34% entspricht. Ein solch hoher Wert ist für empirisch durchgeführte Analysen äusserst erfreulich und lässt sich vor allem im Hinblick auf die Anzahl an Rückmeldungen aus den verschiedenen Versicherungssparten – zumindest für die deutschsprachige Schweiz – als annähernd repräsentativ betrachten. In den folgenden Auswertungen und Analysen wird vereinzelt auch der Versuch unternommen, eine Rangliste der abgefragten Aspekte – sortiert nach ihrer Relevanz für die Assekuranz – zu ermitteln. Es ist allerdings vorab anzumerken, dass ein solches Ranking zwangsläufig mit Verzerrungen behaftet ist, da die gegebenen Antwortmöglichkeiten «sehr niedrig», «niedrig», «mittel», «hoch» und «sehr hoch» nur bedingt in eine metrische Skala übertragen werden können. So sind beispielsweise die in Zahlen ausgedrückten Unterschiede zwischen den einzelnen Antwortmöglichkeiten nicht zwingend gleich gross. Ebenso ist es schwierig, kategoriell vorgenommene Einschätzungen mittels einer Zahl auszudrücken. Nichtsdestotrotz sollen die Auswertungen zutage fördern, welche Aspekte von den Umfrageteilnehmenden als wichtig beurteilt werden. Sämtliche Antwortmöglichkeiten werden daher anhand der folgenden Schablone in eine metrische Skala überführt: – Sehr hoch = 5 – Hoch = 4 – Mittel = 3 – Niedrig = 2 – Sehr niedrig = 1

Abbildung 2 enthält die Aufschlüsselung aller Umfrageteilnehmenden in die drei Sparten Leben, Schaden und Kranken/Unfall. Wie zu erkennen ist, vereinen die Schadenversicherer mit 48.5% den grössten Anteil auf sich, dicht gefolgt von den Kranken- und Unfallversicherern mit 41.5%. Die Letzteren umfassen sämtliche Mitarbeitenden von Versicherern, die sowohl im Kranken- als auch Unfallgeschäft operativ tätig sind. Mit einem Anteil von 10% sind Mitarbeitende von Lebensversicherern in unserer Umfrage vertreten. Im Vergleich zu den beiden anderen Sparten ist dies unter anderem auch durch die geringere absolute Anzahl an Gesellschaften bedingt. Tabelle 1 zeigt eine Aufschlüsselung der Umfrageteilnehmenden anhand der gebuchten Bruttoprämien 2019 im direkten Schweizer Geschäft. Im Gegensatz zur Sparte ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass eine Zuordnung zu einer konkreten Gesellschaft nur für diejenigen Teilnehmenden der Umfrage möglich ist, die ihre E-Mail-Adresse offen gelegt haben. Insgesamt sieben der 42 vertretenen Versicherer erzielten in 2019 gebuchte Bruttoprämien zwischen CHF 10 Mio. bis CHF 25 Mio., was einem Anteil von 16.7% entspricht. Vier Versicherer wiederum gehören mit gebuchten Bruttoprämien über CHF 2.5 Mrd. zu den grössten Vertretern im Schweizer Markt. Mit zwei Gesellschaften sind die kleinsten Versicherer mit Prämieneinnahmen unterhalb der CHF 10 Mio.-Schwelle unterdurchschnittlich oft in der Stichprobe vertreten. Gesamthaft lässt sich festhalten, dass die Gesellschaften der Umfrageteilnehmenden als repräsentativ für die Schweizer Assekuranz angesehen werden können. Die unterstellte Repräsentativität der Stichprobe wird vor allem auch nochmals durch die Tatsache belegt, dass in nahezu allen Sparten – gemessen an den gebuchten Bruttoprämien 2019 im direkten Schweizer Geschäft – eine hohe Marktabdeckung zwischen 60% und 92% erreicht werden konnte.

1.1. Herausforderungen des Versicherungsvertriebs In einem ersten Schritt werden die mit verschiedenen Trends verbundenen Herausforderungen für die Vertriebsstruktur der Versicherungsunternehmen beleuchtet. Die Antwortmöglichkeiten reichten von «1: überhaupt keine Herausforderung» bis hin zu «5: sehr grosse Herausforderung». Aus Abbildung 3 fällt auf den ersten Blick über die drei Sparten hinweg auf, dass alle abgefragten Aspekte mindestens eine mittelgrosse Herausforderung darstellen. Mit anderen Worten ausgedrückt: Kein einzige potenzielle Herausforderung wurde mit einem durchschnittlichen Wert unter «mittlere Herausforderung» (3) bewertet. Des Weiteren ist ersichtlich, dass die Spannweite aller aufgelisteter Herausforderungen mit 0.56 Punkten (∅ 4.08 – ∅ 3.52 ) vergleichsweise gering ausfällt. Digitale Ökosysteme als grösste Herausforderung In der IFZ Versicherungsstudie 2020 stand unter anderem die Untersuchung der Relevanz verschiedener technologischer Trends im Fokus. Von den damaligen Umfrageteilnehmenden bewerteten 76% die zukünftig immer relevanter werdenden digitalen Ökosysteme mit mindestens «hoch». Auch in der diesjährigen Analyse zeigt sich, dass der Kompetenz- und Kapazitätsaufbau im Bereich digitaler Partnernetzwerke (Ökosysteme) die grösste Herausforderung für den Versicherungsvertrieb darstellt.


9 IFZ Versicherungsstudie 2021

Kompetenz- und Kapazitätsaufbau im Bereich digitaler Partnernetzwerke (Ökosysteme)

Ø 4.08

Steigender Wettbewerbsdruck durch die notwendig gewordene Automatisierung von Vertriebsprozessen

Ø 3.96

Management des internen kulturellen Wandels, um die Vertriebsstruktur an die digitale Welt anzupassen

Ø 3.95

Optimierung bzw. Neugestaltung der Verkaufs- und Beratungsprozesse

Ø 3.94

Gestiegene Ansprüche der Kunden, die eine Omni-Kanal-Präsenz ihres Versicherers erwarten

Ø 3.82

Gestiegene Ansprüche der Kunden, die eine höhere Beratungs- und Vertriebsqualität erwarten

Ø 3.78

Zunehmender Kostendruck im nicht beratungsintensiven (Retail-)Geschäft

Ø 3.75

Entscheid über Positionierung bzw. Rolle des eigenen Unternehmens in digitalen Partnernetzwerken (Ökosystemen)

Ø 3.70

Gestiegene Ansprüche der Kunden, die einzigartige Kauferlebnisse erwarten

Ø 3.58

Konkurrenzierung der klassischen Vertriebsmodelle durch die zunehmende Integration von Versicherungsprodukten in digitalen Partnernetzwerken (Ökosystemen)

Ø 3.58

Geringere Kundenloyalität durch höhere Preistransparenz im Markt

Ø 3.53

Steigender Wettbewerbsdruck durch das zunehmende Angebot digitaler Kanäle

1

Lebensversicherer

2 3 4 (1=sehr geringe Herausforderung; 5=sehr grosse Herausforderung)

Schadenversicherer

5

Ø 3.52

Kranken-/Unfallversicherer

Abbildung 3: Herausforderungen für die gegenwärtige Struktur des Vertriebs der Schweizer Assekuranz (n=130) In einer zunehmend digital vernetzten Welt sind insbesondere grosse Teile der jüngeren Generationen wenig daran interessiert, sich explizit mit dem Thema Versicherung zu befassen. Vielmehr wünschen sich diese, ihren Versicherungsschutz effizient und friktionslos direkt am Point-of-Sale zu erwerben – und zwar genau die Versicherungspolice, die sie benötigen, und zwar genau in dem Moment, in dem sie sie benötigen. Vereinfacht ausgedrückt: Der Versicherungsschutz wird ein integraler Bestandteil des Produkterwerbs (sog. eingebettete Versicherung; engl. embedded insurance). Vor diesem Hintergrund kann sich dann auch die traditionelle und viel zitierte Value Proposition der Assekuranz nachhaltig verändern. Konkret sollte künftig das Ziel sein, sich als Anbieter nicht im «Moment of Truth», sondern im «Moment of Need» zu beweisen. Als Beispiel ist unter anderem das Unternehmen Tesla zu nennen, das seinen Fahrzeugkäufern den benötigten Versicherungsschutz direkt ab Werk mitliefert. Rege Aktivität im Ökosystem «Wohnen» Auch im Schweizer Markt gibt es bzgl. digitaler Ökosysteme rege Aktivitäten bei den Versicherern. So hat beispielsweise die Bâloise in mehrere Startups investiert, um ein Ökosystem «Wohnen» aufzubauen. Hierzu zählen unter anderem die Umzugsplattform «MOVU», das Wäsche- und TextilpflegeStartup «Bubble Box», der Marktplatz für Handwerks- und Reinigungsdienstleistungen im Hausinnen- und Aussenbereich «Devis.ch», die digitale Plattform für Hausreinigungsdienstleistungen «Batmaid», sowie in die digitale Plattform für Hausund Stockwerkeigentümer «Housy» (in Belgien hat sich der Versicherer darüber hinaus an «Keypoint» und «Immopass» beteiligt). Neben dem hierdurch ermöglichten Ausbau des traditionellen Versicherungsgeschäfts um zusätzliche Services

und Dienstleistungen kann die Bâloise auch vom Know-how der Tech-Startups – beispielsweise im Plattformgeschäft – profitieren und nutzen, um weitere Geschäftsfelder zu erschliessen. Neben der Bâloise hat auch die Schweizerische Mobiliar ihre Positionierung im Ökosystem «Wohnen» durch strategische Partnerschaften und Beteiligungen über die letzten Jahre kontinuierlich ausgebaut. So ist die Berner Genossenschaft beispielsweise mit 50% direkt am Schweizer Marktplatz «Scout24» beteiligt; eine indirekte Beteiligung wird darüber hinaus über die Miteigentümerschaft an der Mediengruppe Ringier gehalten. Im Juni 2020 gab der Versicherer bekannt, «Buildigo», eine Vermittlungsplattform für Handwerker, gekauft zu haben. Ziel der heute 100%-igen Tochtergesellschaft ist es, den Mobiliar-Kunden zusätzliche Dienstleistungen über das eigentliche Versicherungsbedürfnis hinaus zu bieten. Mit weiteren Beteiligungen, wie beispielsweise der führenden Anbieterin für Mietkautionen «SwissCaution» oder «PlanYourMove», einem persönlichen Assistenten für Umzüge, baut die Mobiliar ihre Marktstellung weiter aus. Im April 2021 hat das Unternehmen jüngst verkündet, das Immobilienportal «Flatfox» erworben zu haben. Dieses bietet Immobilienfirmen eine Schnittstelle für ihre Verwaltungssoftware an und ermöglicht den Nutzern dadurch, die Effizienz im Vermietungsprozess zu steigern, proaktiv zu agieren und somit zügiger neue Mieter zu finden. Zunehmende Automatisierung führt zu Wettbewerbsdruck Aus Wettbewerbssicht stellt der zunehmende Druck, Automatisierungslösungen auch in Vertriebsprozessen einzusetzen, die zweitgrösste Herausforderung dar. So müssen sich Versicherer ernsthaft damit befassen, vormals manuell durchge-


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Kapitel 1: Status Quo der Schweizer Assekuranz: Wo steht der Vertrieb?

führte Schritte mit langer Abwicklungsdauer künftig in standardisierter Form und zu wesentlich geringeren Kosten abzuschliessen. Neben dem hieraus resultierenden Effizienzgewinn ist dank der kürzeren Durchlaufzeiten – beispielsweise bei der Erfassung von Kundendaten und Anträgen – zugleich eine Verbesserung der Customer Journey zu erwarten. Ist diese nicht nur digital, sondern insbesondere auch an den Bedürfnissen des Kunden ausgerichtet, resultiert ein höheres Potential, diesen Kunden langfristig für das Unternehmen zu gewinnen. Doch was ist eigentlich unter einer solchen Automatisierung konkret zu verstehen? Bei vielen Anbietern ist heute bereits Folgendes vorzufinden: In der App oder auf der Website des Versicherers werden ein interaktives Formular oder ein interaktiver Chatbot dazu genutzt, die aktuelle Situation und Bedürfnisse des Kunden zu erfassen. Im Hintergrund werden diese Daten anschliessend ausgewertet und in Form von passenden Produktvorschlägen an den Kunden zurückgespielt. Interessant – insbesondere vor dem Hintergrund des vermehrt präferierten Omnichannel-Vertriebs – wird es jedoch, wenn der Kunde den Kanal wechseln möchte. Die Unterstützung des Vertriebs durch den Einsatz regelbasierter Anwendungen (bspw. die automatische Übertragung von Kundendaten) steigert nicht nur die Bearbeitungsqualität, sondern schafft darüber hinaus zeitliche Freiräume für die mit dem Vertrieb beauftragen Personen. Hieraus resultiert eine höhere Beratungs- und Vertriebszeit, die sich im Optimalfall ebenfalls in der Beratungsqualität niederschlägt. Notwendigkeit des Wandels der internen Kultur Insbesondere die Lebensversicherer betrachten den notwendigen internen kulturellen Wandel mit durchschnittlich 4.15 von 5 Punkten als die zentrale Herausforderung bei der Anpassung ihrer Vertriebsstruktur an die digitale Welt. Über alle Sparten hinweg beträgt die durchschnittliche Einschätzung 3.95 Punkte und fällt somit ebenfalls in die Kategorie «grosse Herausforderung». Die durch COVID-19 bedingten Einschränkungen des gesellschaftlichen und beruflichen Alltags haben die Notwendigkeit der «Digital Readiness» beschleunigt und die Versicherer dazu gezwungen, ihre traditionell-orientierten Prozesse flexibler, offener und digitaler zu gestalten. Gerade im Vertrieb sind die Strukturen oftmals jedoch von hoher Komplexität und durch Interessenskonflikte verschiedener Stakeholder gekennzeichnet. So muss der Versicherer grundsätzlich darüber entscheiden, wie die mitunter stark differierenden Wünsche der einzelnen Geschäftsbereiche bzw. Abteilungen in den Digitalisierungsbestrebungen berücksichtigt und priorisiert werden sollen. Bezogen auf den Vertrieb stellt sich beispielsweise die Frage, ob zunächst eher die internen Verwaltungsprozesse optimiert oder doch eher die im Aussendienst tätigen Personen mit digitalen Werkzeugen versorgt werden sollen. In der Praxis ist diese Abwägung ein nur schwierig zu meisternder Spagat, da die reibungslose Zusammenarbeit beider Seiten notwendig ist, um den Kunden ein tolles Erlebnis zu bieten. Hinzu kommt die Heterogenität der einzelnen Vertriebskanäle und deren gegensätzliche Anreizstruktur, die unerwünschte Nebenwirkungen als Begleiterscheinungen mit sich bringen können. Unter Berücksichtung aktueller und zukünftiger Marktentwicklungen müssen sich die Entscheidungsträger der Versicherer in einem ersten Schritt daher ein grundlegendes Verständnis der Bedürfnisse ihrer Stakeholder verschaffen und anschliessend Prioritäten zur Optimierung der Vertriebsstruktur bzw. der Vertriebsprozesse festsetzen.

Effizienzsteigerung nur durch Unterstützung möglich Unter diesen Gesichtspunkten ist es daher nur wenig verwunderlich, dass die befragten Personen die obig diskutierte Optimierung bzw. Neugestaltung der Verkaufs- und Beratungsprozesse als viertgrösste Herausforderung betrachten (∅ 3.94). Das übergeordnete Ziel einer solchen Transformation sollte es sein, allen Kunden einen Service zu bieten, der sie zufriedenstellt ohne dabei die eigene Profitabilität und die involvierten Mitarbeitenden zu vernachlässigen. Um diesem Anspruch auch in einer digitalen Welt gerecht zu werden, ist es Grundvoraussetzung, dass die bevorzugten Kommunikationswege der Kunden sicher bedient werden. Hierzu muss allerdings sichergestellt sein, dass die technische IT-Infrastruktur des Versicherers solche Anpassungen unter vertretbaren Kosten zulässt. Auch für die Mitarbeitenden – und insbesondere für die ältere Generation – bringt eine Optimierung bzw. Umstellung des Vertriebsmodells, eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich. So müssen diese lernen, die neuen technologischen Tools zielgerichtet und effizienzsteigernd einzusetzen. Denjenigen, denen diese Anpassung erfolgreich gelingt, eröffnen sich Möglichkeiten, die eigene Leistung kontinuierlich auszubauen und zu verbessern: So haben es Vertriebler, die die digitale Lösungen gekonnt bedienen – beispielsweise Mobile-Apps für Notizen, Aufgabenverwaltung, Kommunikation, Abwicklung etc. – und kontinuierlich im Berufsalltag einsetzen, einfacher, auch ihre Kundschaft von den digitalen Möglichkeiten im Versicherungsumfeld zu überzeugen (unter anderem die Erklärung des digitalen Kundenportals, der App-Lösung etc.). Um dies in der Breite erfolgreich etablieren und an den Kundenwünschen ausrichten zu können, muss der Versicherer seinem Vertrieb Unterstützung in Form von Schulungen, Webinaren etc. anbieten und die mittel- bis langfristigen Vorteile der Anpassung allen involvierten Parteien transparent aufzeigen. Herausforderungen durch COVID-19 weiter verschärft Vor dem Hintergrund der COVID-19-Entwicklungen wurden die Umfrageteilnehmenden gefragt, ob die in Abbildung 3 dargestellten Herausforderungen durch die Pandemie weiter verschärft wurden. Abbildung 4 zeigt die Einschätzungen auf einer Skala von «1: Nein, überhaupt nicht» bis «5: Ja, absolut». Die Ergebnisse verdeutlichen, dass zwischen den drei Sparten nur wenig Unterschiede bestehen: Mit einem nahezu identischen Durchschnitt von 3.88 Punkten können alle Umfrage-

1

2

5

4

3

Lebensversicherer Schadenversicherer Kranken-/Unfallversicherer

Abbildung 4: Hat COVID-19 Herausforderungen verschärft?


11 IFZ Versicherungsstudie 2021

teilnehmenden den COVID-Einfluss bestätigen. Gemäss den Angaben ist festzuhalten, dass der Vertrieb auf Geschehnisse wie COVID zum Teil schlecht vorbereitet war. Hervorgehoben wurde beispielsweise, dass unter den Mitarbeitenden – insbesondere im Aussendienst – eine lediglich geringe Bereitschaft bestand, mit Telefon- bzw. Videoberatung zu arbeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass die gegenwärtigen Entschädigungssysteme des Vertriebs häufig stark auf die Transaktion «Abschluss» ausgerichtet sind. Da diese aufgrund der Pandemierestriktionen jedoch in nicht gewohntem Masse geleistet werden konnten, musste viele Versicherer die Entschädigungslücken durch zentrale Massnahmen ausgleichen, um ein «verhungern» des Aussendienstes zu vermeiden. Auch auf Seiten Innendienst bzw. an den Hauptsitzen gab es Anlaufschwierigkeiten, den Vertriebskanälen aus dem Home-Office heraus den gewohnten Service zu bieten (Underwriting und Serviceeinheiten). Ein weiterer genannter Punkt ist, dass in vielen Kanälen eine «mein Kunde»-Philosophie vorherrscht, die eine kanalübergreifende Beratung und Betreuung im Sinne der Kunden erschweren bzw. als unmöglich gestalten.

Im direkten Vergleich fallen die vier weiteren Vertriebskanäle, mit einer durchschnittlich «mittleren» Bedeutung, deutlich ab. Insbesondere wird deutlich, dass diesen nahezu keiner der Umfrageteilnehmenden eine «sehr grosse» Bedeutung beimisst. Grundsätzlich kann somit festgehalten werden, dass die direkte persönliche Beratung via Broker & Makler bzw. Generalagenten im Fokus der heutigen Vertriebsstruktur in der Sparte Leben stehen. Dieses klare Ergebnis ist anhand der Komplexität und der Langfristigkeit des Grossteils der vertriebenen Produkte nur wenig verwunderlich: Ein Grund könnte beispielsweise sein, dass viele Kunden Angst davor haben, leichtfertige Entscheidungen zu treffen. Da Lebensversicherungsprodukte neben der Risikoabdeckung auch einen klassischen Anlagecharakter besitzen, können uninformiert getroffene Fehlentscheidung bedeutende Folgekosten (bspw. in Form von Performanceverlust, tiefen Rückkaufswerten bei vorzeitiger Kündigung etc.) nach sich ziehen. Die persönliche Betreuung und Beratung stellt für diese Kundengruppe daher eine interessante Möglichkeit dar, die vorhandene Unsicherheit zu reduzieren. Schaden: Generalagentur is King

1.2. Heutiger Vertriebsmix im Retailgeschäft

Aus Sicht der befragten Schadenversicherer sind Generalagenturen für die Kunden der zentrale Anlaufpunkt zur Klärung ihrer Versicherungsangelegenheiten (vgl. Abbildung 6): Insgesamt 77% der befragten Entscheidungsträger bemessen die gegenwärtige Bedeutung als «gross» bzw. «sehr gross» und unterstreichen damit die gewichtige Rolle der Generalagenturen im Schweizer Versicherungsmarkt (∅: 4.05). Insbesondere die grossen Branchenvertreter unterhalten alle ein flächendeckendes Agenturnetzwerk, das über die Jahre gewachsen ist und sich bei den Kunden entsprechend bewährt hat. Die in einem gewissen Rahmen als selbstständige Kleinunternehmen agierenden Generalagenturen bieten ihren Kunden einen direkten Austausch in der Nähe ihres Wohnortes und sorgen damit für eine vertraute und persönliche Atmosphäre. In vielen Fällen geht diese Bindung sogar so weit, dass die Kunden ihrer Ansicht nach beispielsweise nicht bei der Bâloise, sondern bei «Charlie» (als stellvertretend genanntem Generalagenten) versichert sind. Eventuell ist dieser starke Fokus auf den GeneralagenturKanal auch dadurch begründet, dass noch nicht alle Produkte bei allen Versicherern vollständig digital abgeschlossen wer-

Direkt anknüpfend an die für alle Schweizer Versicherer mit dem Vertrieb verbundenen Herausforderungen wird in einem zweiten Schritt nun die heutige Bedeutung verschiedener Vertriebskanäle aufgezeigt. Leben: Broker & Makler von herausragender Relevanz Abbildung 5 verdeutlicht, dass Broker & Makler für Lebensversicherer im heutigen Marktumfeld ausserordentlich wichtig sind (∅: 4.38): Jeweils 46% der befragten Personen bemessen die Relevanz dieses Kanals als «gross» bzw. «sehr gross». Am anderen Ende des Spektrums gibt es hingegen keine Stimme, die diesen Kanal als maximal «gering» bedeutend einschätzt. Die Bedeutung des eigenen Vertriebs via Generalagenturen erachten 69% der Umfrageteilnehmenden ebenfalls als «sehr gross». Interessant hierbei ist, dass diesem Anteil knapp ein Drittel an Personen gegenübersteht, die diesen Vertriebsweg als deutlich weniger relevant einstufen.

Broker & Makler

Eigener Vertrieb via Generalagenturen

46%

46%

8%

15%

Digitale Partnernetzwerke (Ökosysteme)

8%

Banken (Bancassurance)

Direktvertrieb (Website, App, E-Mail oder Telefon)

31%

38%

15%

46%

23%

31%

10%

Überhaupt keine Bedeutung

20%

30%

Geringe Bedeutung

40%

50%

Mittlere Bedeutung

60%

70%

Grosse Bedeutung

Abbildung 5: Heutige Vertriebsstruktur in der Sparte Leben

80%

8%

Ø 3.08

8%

Ø 2.85

Ø 2.85

8%

23%

15%

38%

15% 0%

31%

23%

38%

Online-Vergleichsportale

Ø 4.00

69%

8%

8%

Ø 4.38

90%

Sehr grosse Bedeutung

Ø 2.69

100%


12

Kapitel 1: Status Quo der Schweizer Assekuranz: Wo steht der Vertrieb?

Eigener Vertrieb via Generalagenturen

Broker & Makler

Direktvertrieb (Website, App, E-Mail oder Telefon) 3%

Digitale Partnernetzwerke (Ökosysteme)

Online-Vergleichsportale

Banken (Bancassurance) 0%

10%

20%

Überhaupt keine Bedeutung

30%

40%

Geringe Bedeutung

50%

Mittlere Bedeutung

60%

8%

20%

16%

20%

36%

6%

23%

35%

21%

15%

70%

80%

Grosse Bedeutung

Ø 3.05

11%

25%

28%

30%

7%

Ø 3.49

27%

24%

24%

22%

Ø 3.82

31%

35%

21%

11%

Ø 4.05

66%

11%

3%

18%

90%

Ø 2.85

Ø 2.44 100%

Sehr grosse Bedeutung

Abbildung 6: Heutige Vertriebsstruktur in der Sparte Schaden den können: Insgesamt 19% der befragten Branchenvertreter von Schadenversicherern haben angegeben, dass ein vollständig digitaler Abschluss in ihrem Hause noch nicht möglich ist (vgl. Abbildung 8). Interessanterweise gibt es auf der anderen Seite auch eine nicht zu vernachlässigende Fraktion von Umfrageteilnehmenden (18%), für die der Vertrieb via Generalagenturen überhaupt keine Bedeutung hat. Der Broker & Makler-Kanal findet sich auf dem zweiten Rang wieder: So bewerten 66% der befragten Entscheidungsträger dessen Bedeutung mit mindestens «gross», was sich auch im hohen Durchschnitt von 3.85 widerspiegelt. Im Gegensatz zur Bewertung der Generalagenturen ist auffallend, dass es nur sehr wenige Vertreter gibt, für die dieser Kanal überhaupt nicht relevant ist (2%). Ein in der jüngeren Vergangenheit in den Medien präsenter Versicherer, der sich klar auf den Maklervertrieb fokussiert, ist die Wefox Insurance AG (vormals One Versicherung AG). Mit Stand März 2021 arbeitet der Versicherer gemäss eigenen Angaben mit 3’000 Vertriebspartnern zusammen, was gegenüber dem Jahr 2019 einem Zuwachs um 50% entspricht.

Direktvertrieb (Website, App, E-Mail oder Telefon)

17%

Eigener Vertrieb via Generalagenturen

17%

Online-Vergleichsportale

Broker & Makler

Digitale Partnernetzwerke (Ökosysteme)

Gemäss Abbildung 7 kristallisieren sich für die Kranken- und Unfallversicherer hingegen sowohl der Direktvertrieb (via Website, App, E-Mail oder Telefon) und der Eigenvertrieb via Generalagenturen mit durchschnittlichen Bewertungen von 4.00 bzw. 3.80 als besonders bedeutend heraus. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass die Online-Vergleichsportale von nahezu identischer Bedeutung sind wie der Vertrieb über Broker & Makler. Analog zu den beiden anderen Sparten finden sich Banken (Bancassurance) am Ende des Spektrums und sind aus heutiger Sicht für den Grossteil der Branche daher nahezu bedeutungslos (∅: 1.73). Bei der Analyse der Vertriebsstruktur der Krankenversicherer ist ein besonderes Augenmerk auf die von den beiden Branchenverbänden Santésuisse und Curafutura jüngst veröffentlichte «Branchenvereinbarung Vermittler» zu legen. Diese ist per Anfang Januar 2021 in Kraft getreten und hat zum Ziel, die Beratungs- und Abschlussqualität zu verbessern, die Vermittlerentschädigung zu beschränken und die sogenannte Kaltakquise zu verbieten. Interessant ist jedoch insbesondere die in dieser Vereinbarung festgelegte Definition des Ver-

6%

20%

19%

19%

7%

Banken (Bancassurance)

30%

26%

Ø 3.54

30%

26%

Ø 3.48

10%

Überhaupt keine Bedeutung

20%

17%

27%

52% 0%

11%

28%

31%

24%

6%

Ø 3.80

50%

19%

9%

Ø 4.00

48%

20%

15%

20%

4%

Kranken/Unfall: Direktvertrieb mit grösster Bedeutung

30%

Geringe Bedeutung

40%

50%

Mittlere Bedeutung

60%

70%

Grosse Bedeutung

Abbildung 7: Heutige Vertriebsstruktur in der Sparte Kranken/Unfall

80%

Ø 3.15

4% Ø 1.73

90%

Sehr grosse Bedeutung

100%


13 IFZ Versicherungsstudie 2021

80%

75%

60%

eigenen Angaben eine rentable Abwicklung ihrer Tätigkeit. Die ersten Entwicklungen im Markt verdeutlichen bereits jetzt, dass es zukünftig eine noch stärkere Fokussierung auf den Eigenvertrieb geben wird. So hat beispielsweise die Groupe Mutuel ihren internen Vertrieb durch die Übernahme von 150 Mitarbeitende des Brokers Maklerzentrum Schweiz und dem Erwerb einer 51%-Beteiligung des Versicherungsberaters Neosana deutlich gestärkt (Handelszeitung, 04.02.2021). Ähnlich hat sich die Visana positioniert und eine Partnerschaft mit der SSM Partner AG geschlossen. In diesem Zuge hat sie auch die Mehrheit des Aktienkapitals des Unternehmens übernommen und kann dank der circa 70 Mitarbeitenden ihre Vertriebsaktiväten in der ganzen Schweiz verstärken.

69%

54% 44%

40% 23%

19%

20%

8% 6% 0%

ja

nein

Lebensversicherer

2%

weiss nicht

Schadenversicherer

1.3. Heutiger Vertriebsmix im KMU-Geschäft

Kranken-/Unfallversicherer

Abbildung 8: Möglichkeiten des digitalen Vertragsabschlusses mittlers: Zu diesen werden alle Organisationen und deren angeschlossenen Mitarbeitenden und Personen gezählt, «welche gegenüber Endkunden für Produkte und Dienstleistungen im Bereich der ’eingeschlossenen Produkte’ (siehe Branchenvereinbarung) Beratungs- und Vertriebsdienstleistungen erbringen und gegenüber dem Versicherer als Resultat ihrer Tätigkeit Versicherungsanträge gegen Entschädigung liefern» (Santésuisse und Curafutura, 2021). Die Vereinbarung schliesst hingegen all diejenigen Personen explizit aus, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Versicherer oder zu einer Gruppengesellschaft des Versicherers stehen und Produkte für diesen Versicherer vertreiben. Kranken: Branchenvereinbarung mit weitreichenden Folgen Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen die Branchenvereinbarung auf die Ausgestaltung der zukünftigen Vertriebsstruktur der Krankenversicherer haben wird. Die festgelegten Obergrenzen der Provisionen, die die Versicherer künftig an externe Vermittler entrichten dürfen – maximal CHF 70.- bei Abschluss einer Grundversicherung bzw. maximal zwölf Netto-Monatsprämien pro abgeschlossener Zusatzversicherung – erschweren den Letzteren gemäss

Broker & Makler

9%

18%

Digitale Partnernetzwerke (Ökosysteme)

Abbildung 9 zeigt eine Aufschlüsselung der heutigen Vertriebsstruktur im KMU-Geschäft in der Sparte Leben. Mit Ausnahme der Online-Vergleichsportale ist die Wichtigkeit der einzelnen Kanäle nahezu identisch zum Retailgeschäft. Die mit Abstand bedeutendsten Kanäle sind Broker & Makler sowie die unternehmenseigenen Generalagenturen: Jeweils knapp zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden schätzen deren Bedeutung als mindestens «gross ein». Eine ebenfalls untergeordnete Rolle spielt die Distribution über den Bankenkanal (Bancassurance). Interessanterweise setzt die im März 2020 lancierte Bancassurance-Kooperation zwischen der Zürich Versicherungsgesellschaft AG und der UBS AG genau an diesem Punkt an: Auf der bereits existierenden Online-Plattform «UBS Start Business» erhalten Neugründerinnen und Neugründer neben klassischen Banking-Angeboten – beispielsweise Kapitaleinzahlungs- und Geschäftskonten – auch Zugang zu

9%

Banken (Bancassurance)

18%

Direktvertrieb (Website, App, E-Mail oder Telefon)

18%

45%

Ø 3.91

18%

45%

Ø 3.64

Überhaupt keine Bedeutung

30%

Geringe Bedeutung

9%

45%

40%

18%

18%

36% 20%

Ø 2.45

27%

9%

27%

10%

Ø 2.55

36%

9%

45%

27% 0%

18%

27%

27%

Online-Vergleichsportale

Leben: Vertriebsmix vergleichbar mit Retailgeschäft

27%

9%

Eigener Vertrieb via Generalagenturen

Da sich die Vertriebsstrukturen der Versicherer im Retailund KMU-Geschäft deutlich voneinander unterscheiden (können), haben wir die Umfrageteilnehmenden ebenfalls um ihre Einschätzung des gewerblichen Segments gebeten. In unserer Analyse ist ein KMU-Kunde als ein Unternehmen definiert, welches maximal 50 Mitarbeitende beschäftigt.

50%

Mittlere Bedeutung

60%

70%

Grosse Bedeutung

Abbildung 9: Heutige Vertriebsstruktur KMU-Geschäft in der Sparte Leben

80%

90%

Sehr grosse Bedeutung

Ø 2.45

Ø 2.27 100%


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Studienleitung: Dr. Florian Schreiber und Prof. Dr. Nils Hafner Info-Anlässe: Dienstag, 29. Juni 2021, 18:30 Uhr, Online Dienstag, 21. September 2021, 18:30 Uhr, Online

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Über den Autor

Dr. Florian Schreiber

Florian Schreiber studierte an führenden Universitäten in Deutschland, der Schweiz und den USA. Seine Forschungsund Beratungstätigkeiten konzentrieren sich auf die Digitalisierung der Versicherungsbranche, Behavioral Insurance und Versicherungsregulierung sowie auf ausgewählte Themen in den Bereichen Lebens- und Krankenversicherung, Versicherungsökonomie, Performancemessung und Corporate Finance. Nach seiner Promotion war Dr. Schreiber Projektleiter und Post-Doc-Researcher am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St.Gallen. Seit 2019 ist er als Insurance Lead und Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ tätig. Dort fungiert er auch als Herausgeber des IFZ Insurance Insights Blog sowie als Co-Studienleiter des Weiterbildungslehrgangs CAS Future of Insurance.

Kontakt: Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ Dr. Florian Schreiber Insurance Lead T direkt: +41 41 228 22 10 florian.schreiber@hslu.ch Campus Zug-Rotkreuz Suurstoffi 1 CH-6343 Rotkreuz T +41 41 757 67 67


Hochschule Luzern – Wirtschaft

Partner

Institut für Finanzdienstleitungen Zug IFZ Campus Zug-Rotkreuz Suurstoffi 1

05/2021

6343 Rotkreuz


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