Jubiläumsbroschüre Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Hochschule Luzern – Wirtschaft BasisWissen PraxisWissen LaufbahnWissen

1971–2011


Editorial

Als ehemaliger Unternehmer weiss ich, dass es etwas vom Schönsten ist, wenn sich der eigene Betrieb erfolgreich entwickelt. Genau das trifft auf die Hochschule Luzern – Wirtschaft zu. Angefangen hat alles ganz bescheiden: Mit 26 Studierenden nahm die damalige Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) im Jahr 1971 ihren Betrieb auf. Immerhin stand sie in der Startphase auf einer soliden Basis, weil die Zentralschweizer Handelskammer, der Kaufmännische Verein und einige Grossratsmitglieder hinter dem neuen Ausbildungsangebot standen. Aus diesen bescheidenen Anfängen wurde eine Erfolgsstory. Heute sind in den Bereichen Bachelor, Master und Weiterbildung rund 3’700 Studierende eingeschrieben, die von 242 Professorinnen und Professoren, Dozierenden sowie wissenschaftlichen Mitarbeitenden unterrichtet werden. Auch die Trägerschaft wurde in den letzten Jahrzehnten verbreitert; inzwischen gehören die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug und der Bund dazu. Ich gratuliere der Hochschule Luzern – Wirtschaft zu ihrem 40. Geburtstag und danke der Schule, dass sie einen wesentlichen Beitrag für den Nachwuchs in der Wirtschaft leistet. Die Absolventinnen und Absolventen der Hochschule Luzern – Wirtschaft sind bei den privaten und öffentlichen Arbeitgebern sehr gefragt – dies aus einem einfachen Grund: Sie sind gut ausgebildete Praktiker. KMU, Grossbetriebe, Non-Profit-Organisationen und auch die Verwaltung haben einen grossen Bedarf an Wirtschafts- und Führungs­ leuten, die gezielt für die Praxis ausgebildet wurden. Bescheiden die Anfänge, beeindruckend die Gegenwart, herausfordernd die Zukunft: So sehe ich die Erfolgsgeschichte der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Damit halte ich auch klar fest: Unsere Region braucht weiterhin eine starke Ausbildungsstätte wie die Hochschule Luzern – Wirtschaft. Ich bin zuversichtlich, dass diese willens und fähig ist, sich dem (Bildungs-)Markt zu stellen, und in der Erfolgsstory weitere Kapitel schreiben wird. Luzern, 25. November 2011 Regierungsrat Reto Wyss, Bildungsdirektion

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Hochschule Luzern – Wirtschaft Organigramm

Institut

Institut

Institut

Institut

Institut

für Betriebs- und

für Finanzdienst-

für Kommunikation

für Tourismus-

für Wirtschafts-

Regionalökonomie

leistungen Zug

und Marketing

wirtschaft

informatik

IBR

IFZ

IKM

ITW

IWI

Impressum Herausgeber: Hochschule Luzern – Wirtschaft Zentralstrasse 9 6002 Luzern www.hslu.ch Projektleitung: Xaver Büeler Pius Muff Adrian Stitzel René Zeier

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Konzept und Realisation: Lüchinger Publishing GmbH, Zürich www.luechingerpublishing.com

Fotografie: Andrea Ebener, Zürich www.andreaebener.ch

Produktion und Layout: BBF AG www.bbf.ch

Autorinnen und Autoren: Walter Keller René Lüchinger Dieter Rüttimann Birgitta Willmann

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BasisWissen 4 Bildung heute: ein Gespräch 10 Was ist Wissen: Bildung und Copy-paste

PraxisWissen 24 In Luzern gelernt: 29 Business Cases

LaufbahnWissen 58 Menschen der Hochschule: 19 Köpfe

SchlussPunkt 84 Gut zu wissen: eine historische Collage

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Gerhard Schwarz Ein Gespräch über Bildung, Qualitätsstandards, Reformbedarf und das Bild des Menschen.

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Herr Schwarz, Praxis- oder Theorieausbildung ist oft die Frage für einen jungen Menschen, der den Schritt zum Beruf machen will, und das heisst oft auch Lehre oder Hochschule.

Bei Avenir Suisse haben wir dazu eine Studie gemacht. Ergebnis: Die klassische Berufslehre im Betrieb kennen wir in der Schweiz, Deutschland, Österreich, in Dänemark und in Tschechien. Sonst ist sie weitgehend unbekannt. Das führt dazu, dass in vielen internationalen Unternehmen ein Lehrabschluss nicht richtig anerkannt wird, auch weil sie dessen Qualität nicht abschätzen können. Die Personalchefs denken dann, ein Bachelor sei sicher etwas Besseres als ein Lehrabschluss, was ja keineswegs zwingend so sein muss.

Auf der anderen Seite herrscht Mangel etwa an qualifizierten Informatikern. Warum bilden die betroffenen Unternehmen nicht selber aus?

Unsere Untersuchungen zeigen: Lehrberufe sind unterschiedlich rentabel für die Arbeitgeber. In manchen Berufen bringt ein Lehrling dem Lehrbetrieb bereits nach einem Jahr mehr, als er kostet. Weitgehend sind das eher traditionelle gewerbliche Berufe. Im Technologie- und Informatikbereich ist das dagegen nicht so. Dort legt der Lehrbetrieb praktisch bis zum Abschluss der Lehre drauf.

Was wäre zu tun?

Ein Auszubildender könnte beispielsweise eine Verpflichtung eingehen, noch weitere drei Jahre nach Abschluss der Lehre im Betrieb zu bleiben, damit der Arbeitgeber seine Ausbildungskosten amortisieren kann. Wir müssen einfach die Anreize richtig setzen und nicht in planwirtschaftlicher Manier nun körbeweise Informatiker ausbilden. Wenn die Anreize auf beiden Seiten stimmen, werden wir auch bekommen, was die Wirtschaft braucht.

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Wo sollten aus Ihrer Sicht für die Wirtschaft die Schwerpunkte in der Ausbildung gesetzt werden?

Wenn wir jetzt eher an die Hochschulstufe denken – wobei das ähnlich auch für andere Ausbildungswege gilt –, würde ich sagen: breit anwendbares Methodenwissen, das es ermöglicht, Problemlösungen in verschiedenen Feldern zu erarbeiten. Da heute Jobs und Job-Profile öfter ändern, sollten Ausbildungen nicht zu sehr auf konkrete Arbeitsstellen fokussiert sein. Das ist, als Klammerbemerkung, übrigens zum Teil bei der Berufslehre leider noch der Fall. Auch Sprachkenntnisse gehören zu diesem Grundwissen, und zwar eben nicht nur Englisch und Französisch, sondern vielleicht sogar Mandarin. Die Gefahr ist allerdings, dass man vor lauter allgemeinem Methodenwissen dann zu wenig konkrete Kenntnisse und auch zu wenig praktisches Denken mitbringt. Ein Teil des Erfolgs der Fachhochschulen und – eine Stufe darunter – der Berufsmatur liegt genau darin, dass sie diese beiden Aspekte relativ gut miteinander verbinden.

Im Falle der Hochschule Luzern – Wirtschaft ist der Link zur Praxis ja Programm.

Das finde ich eine gute Sache. Aber bei dieser Kombination und bei der ganzen Anknüpfung von Lehre und praktischer Berufserfahrung an die Hochschule ist entscheidend, dass die Zugangskriterien und die Standards nicht herabgesetzt werden. Es gilt zu akzeptieren, dass Hochschulen wissenschaftsnahe – akademische – Ausbildungsstätten sind. Wenn Praxisnähe einer Hochschule nicht Verwässerung heisst, ist das gut. Man kann daneben auch sehr gute, anspruchsvolle, praxisorientierte, aber eben nicht wissenschaftsnahe Ausbildungen vorsehen. Eine solche Ausbildung sollte man aber nicht als Hochschulausbildung bezeichnen. Und in diesem Zusammenhang muss man wohl etwas zu den Standards sagen: Man kann dem internationalen Druck auf die Schweiz, Maturanden- und Hochschulabgängerquoten nach oben zu drücken, auf zwei Arten nachkommen. Man kann sich bemühen, noch mehr versteckte Talente zu heben und wirklich alle, die dazu geeignet sind, auch wirklich auf den Weg des Studiums zu führen. Oder man kann die Ansprüche senken, womit auf einen Schlag mehr junge Menschen studieren können. Viele Länder sind diesen Weg gegangen. Ich halte ihn nicht für erfolgreich. Wir müssen unbedingt vermeiden, diesen Weg zu gehen. Eine Fachhochschule wie die in Luzern will ja gerade keine Wissenschaftler ausbilden, sondern Praktiker. Persönlich habe ich gegenüber dem Bachelor-/Master-Konzept und der im Grunde unklaren Positionierung der Fachhochschulen einerseits und der Universitäten andererseits meine Vorbehalte. Vieles ist da nicht sauber geklärt. Es heisst zwar, die eine Ausbildung sei praxisbezogener, aber am Schluss gibt es an beiden Orten einen Bachelor, obwohl die Voraussetzungen, unter denen dieser erworben wird, doch recht unterschiedlich sind. Und schliesslich kann jeder einen Master nachschieben, ganz gleich, wo er seinen Bachelor erworben hat.

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Damit haben Sie ein Problem?

Es ist einfach nicht ganz logisch, denn die Ausbildung ist unterschiedlich, die Auslese der Studierenden bereits am Anfang ist unterschiedlich, und am Schluss führt man das alles wieder unter einem Dach zusammen. Es gibt eine Tendenz, die Fachhochschulen Richtung Universität zu schieben, und am Schluss verschmilzt alles zum Gleichen, was nicht die ursprüngliche, deklarierte Absicht der Bildungsreform war.

Was ist die Folge?

Wir werden am Schluss amerikanische Verhältnisse haben. Dort heisst es längst nicht mehr: «Ich habe einen Bachelor oder einen Master gemacht.» Es ist ein Master von Harvard oder Columbia, und bei uns wird man dereinst noch stärker als schon heute sagen, ich habe an der ETH oder der HSG studiert.

Seit der Gründung der Hochschule Luzern – Wirtschaft geht es dort darum, den Nachwuchs für die Wirtschaft und die Öffentliche Verwaltung auszubilden.

Es gibt in der Wirtschaft den verständlichen Wunsch, sofort produktive Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu bekommen. Zum Teil auch aus dem Gefühl heraus, Universitätsabgänger seien oft überqualifiziert und auf die wirklichen Aufgaben in den Unternehmen wenig vorbereitet. Überspitzt formuliert: zu viele Chefs, zu wenige Indianer. Diese Ausbildung direkt für Führungspositionen hat dann gelegentlich auch den Nachteil, dass die Chefs vom Geschäft selbst nicht genug verstehen.

Plädieren Sie jetzt nicht für mehr Fachwissen und weniger allgemeine Kenntnisse?

Ganz so einfach ist es nicht, es geht einmal mehr um eine schwierige Balance. Ich habe mich auch schon gefragt, ob wir in der aktuellen Finanzund Wirtschaftskrise, die ja auch eine Wertekrise ist, nicht in vielen Führungspositionen im Finanzsektor zu viele Technokraten hatten, Manager, die jedes noch so komplizierte finanztheoretische Modell verstehen, die schnell ein neues Produkt kreieren und rechnen können, denen aber der Blick fürs Ganze (man könnte das fast eine philosophische Ader nennen) und der gesunde Menschenverstand abhanden gekommen sind. Ob unsere Ausbildung da nicht in eine falsche Richtung getrieben worden ist? Um im Bild zu bleiben: Einer, der Philosophie studiert hat, käme kaum auf die Idee zu glauben, er habe das Risiko im Griff, nur weil er es mithilfe einer mathematischen Formel berechnet hat. Also: Überflieger ohne Sachkenntnis und ohne Sinn fürs Detail sind in Führungspositionen ein Problem, aber vielleicht noch mehr relativ enge Spezialisten ohne breiteren Blickwinkel.

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Also haben wir im Bildungssystem falsch investiert? Oder vielleicht auch zu wenig?

Ich warne etwas vor dem übertriebenen Glauben, man könne, um unsere Standortqualität zu verbessern, gar nicht genug Geld in die Bildung stecken, und je mehr man hineinstecke, desto mehr komme hinten heraus. In jeder Bevölkerung sind die Begabungen zwischen Hoch-, Normal- und Schwachbegabten ungefähr natürlich verteilt. Wenn Sie allen ein Maximum an Förderung zukommen lassen, können Sie das Bildungsniveau insgesamt vielleicht noch etwas anheben. Aber Sie können damit nicht Schwachbegabte auf ein ähnliches Niveau drücken wie Normalbegabte. Aus diesem Grund halte ich auch eine höhere Maturanden- und Akademikerquote nicht per se für besser als eine niedrigere. Der Arbeitsmarkt benötigt Differenzierung nicht nur im Beruf, sondern auch im Ausbildungsniveau.

Dies betrifft den nationalen Kontext. Welche Bedeutung besitzt heute der internationale?

Universitäten bieten heute Auslandssemester an, lehren interkulturelles Management und Fremdsprachen. Dabei geht es auch um die Vermittlung von Kultur, um ein eher philosophisches Bewusstsein, dass es immer auch ganz andere Sichtweisen auf die Welt gibt. Dennoch sollte man es nicht übertreiben mit dem modischen Glauben, wir müssten die jungen Menschen für die Globalität ausbilden. Zunächst einmal müssen sie ihren Job hier und heute ausüben können und nicht zwingend in Singapur oder China. Sie müssen eine gewisse Offenheit entwickeln, um mit der Welt zu kommunizieren. Sie müssen sich über die Welt informieren, meinetwegen die NZZ lesen. Und ausländische Kommilitoninnen und Kommilitonen in der Schweiz helfen natürlich auch, den Horizont zu erweitern.

Geld und Hochschule ist ein Dauerthema. Ihre Meinung?

In der Ausbildung an den Hochschulen müssen wir uns in Richtung Kostenwahrheit bewegen und die Studiengebühren den tatsächlichen Kosten annähern. Das geht nur, wenn es Leistungs- und Sozialstipendien gibt, damit keiner, der Leistung bringen will, aber die finanziellen Möglichkeiten nicht hat, von der Hochschule ausgeschlossen ist. Wer Bildung dagegen mehr als Konsum denn als Investition in seine berufliche Zukunft versteht, der soll merken, dass dieser Konsum nicht kostenlos ist, sondern eher einen Luxus darstellt. Es ist auch stossend, wenn Konkordatskantone die Kosten ihrer Studierenden

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vollumfänglich begleichen, während etwa ausländische Studierende nur einen Bruchteil der Kosten tragen müssen, die sie verursachen. Am einfachsten wäre es, man würde etwa festlegen, wie viel beispielsweise ein Ökonomie-Studium kostet, und die Kantone würden den finanziell schwächer Gestellten mit rückzahlbaren Stipendien, meinetwegen sogar mit verlorenen Zuschüssen, unter die Arme greifen. Das Gleiche gilt für Ausländer. Verfügt eine Hochschule über einen tadellosen Ruf, sind auch ausländische Staaten bereit, leistungsbereiten Studierenden dort ein Studium zu finanzieren.

Drittmittel für die Hochschule. Ein taugliches Modell?

Wenn Sie ein Nein hören wollen, fragen Sie den Falschen. Ich bin geprägt von meinem Studium an der HSG, die immer stolz darauf war, nicht ausschliesslich von öffentlichen Geldern oder den Studiengebühren abhängig zu sein. Was soll daran verkehrt sein, wenn beispielsweise die Transportbranche sagt, sie habe ein Problem, weil zu wenig Logistiker ausgebildet würden, und wenn sie deshalb einen entsprechenden Lehrstuhl finanziert oder ein Forschungsinstitut unterstützt? Logischerweise bekäme dann die Logistik im Lehrangebot einen höheren Stellenwert, als wenn der Rektor oder das Gremium der Professoren allein entscheiden würden, was gelehrt wird. Nur: Weshalb sollen diese weiser sein in der Auswahl der Themen oder Schwerpunkte? Ich kenne auch die Angst unter den Medizinern, wo ich einige Freunde habe, ein Auftraggeber könnte ihre Freiheit der Forschung beschneiden. Ich habe da eine ganz klar andere Meinung.

Die da wäre?

Es ist offenzulegen, woher die Gelder kommen. Mit dem Auftraggeber müssen Rahmenbedingungen definiert werden, wie weit die Freiheit der Forschung gehen kann. Ein Auftragnehmer muss aber auch den Mut haben, ein Projekt abzulehnen.

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Wissen als Basis Vermittlung zwischen Humanismus und Informationstechnologie von Dieter RĂźttimann*

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Braucht es Wissen überhaupt noch? Oder: wieso Wikipedia nicht genügt

Dozent Wikipedia?

Auf dem Weg zur Wissens- bzw. Lerngesellschaft?

Schon lange bemängeln Wirtschaftskreise den schulischen Wissens-Output, fordern stattdessen Fähigkeiten wie Lernen lernen, Problemlösen, Denken, Analysieren. Sie weisen auf die Sinnlosigkeit des Wissenserwerbs hin, da die Halbwertszeit, ähnlich der Radioaktivität, einfach unvergleichlich schneller Wissensbestände obsolet mache. Interessanterweise hat es immer wieder abendländische Bestrebungen gegeben, das menschliche Wissen zusammenzufassen, der französische Aufklärer Denis Diderot etwa, alle Lexika, dann, im 20. Jahrhundert, der Amerikaner Charles Van Doren, ehemals Redaktor der Encyclopædia Britannica, mit dem Werk «Das Universalwissen der Menschheit»: Schliesslich publizierte der deutsche Literaturwissenschaftler Dietrich Schwanitz kurz vor der Jahrtausendwende erstmals das Buch «Bildung. Alles, was man wissen muss». 2011 wird das zehnjährige Jubiläum der Online-Enzyklopädie Wikipedia gefeiert, an der allein für die deutschsprachige Version rund 7’000 Personen arbeiten. Ist Wissen wirklich überflüssig geworden? Und sollen wir den gesamten Wissenserwerb den Individuen überlassen, da doch alles Wissen auf dem Netz verfügbarer ist denn je? Andererseits fordert die gleiche Wirtschaft den Umbau von der Industriezur Wissensgesellschaft – oder sollte dies konsequenterweise eher eine Lerngesellschaft sein? Die jüngste Generation von Smartphones bietet völlig neue Möglichkeiten der Informations- und Wissensbeschaffung. Dank nearWiki erscheint die abgebildete Umgebung samt Kurzbeschrieb sämtlicher Sehenswürdigkeiten. Vertieftes Wissen liefert dann Wikipanion, und selbst die umliegenden Berge erscheinen schön beschriftet auf dem Bildschirm im App «Point de vue». Sollte einer vergessen haben, wo sein Auto steht, hilft «Find my car». Auch Vokabeln lassen sich erlernen, und selbstverständlich existiert eine Ad-hoc-Statistik, die sofort Auskunft gibt über den Lernerfolg. Was soll da noch die traditionelle Schulreise, die Projektwoche in der ­Marketingagentur, die Architekturexkursion nach Istanbul oder ein FührungsWorkshop im unterirdischen Gotthardhotel La Claustra? Braucht es dazu noch Lehrerinnen und Lehrer, Dozentinnen und Dozenten? Was und wie können Bildungsinstitutionen für Kinder und Erwachsene überhaupt noch vermitteln?

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Was ist Wissen? Die Experten-Novizen-Forschung

Übung, Virtuosität und Meisterschaft

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Braucht es demnach keine Wissensvermittlung mehr? Zweifel kommen in erster Linie von Seiten der kognitiven Wissenschaften. Diese zeigen, vor allem in den Ergebnissen der Novizen-Experten-Forschung, dass ohne bereichsspezifisches Wissen gar nichts geht. Der erfolgreiche Erdölsucher wie auch die brilliante Schachspielerin benötigen ein hervorragend strukturiertes, in Jahren erworbenes Wissen, bis sie ihre Kernkompetenz zur Meisterschaft entwickelt haben. Die Präsentation einer durchdachten, komplexen Marktanalyse oder, ein ganz anderes Beispiel, das Klavierspiel setzen jahrelanges Üben voraus, bevor von Expertise gesprochen werden kann, und diese wird sichtbar, wenn sich Wissen und Handeln zur Meisterschaft verbinden. Beim Klaviervirtuosen müssen Noten, Rhythmen, Taktangaben, Schlüssel und dynamisches Fingerspiel erworben und in die Handlung des musikalischen Spiels übersetzt werden. Die Kognitionspsychologie unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen. Ersteres bezeichnet das Wissen, worüber jemand in sprachlicher Form Auskunft geben kann. Ein Chiropraktiker kann sämtliche Muskeln, jeden Wirbel und deren Funktion präzise beschreiben. Diese Kenntnis alleine hilft jedoch weder dem Weisskittel noch seinem Patienten. Erst wenn der Chiropraktiker wirklich Hand anlegt und mit professionellem Griff die Bewegungsfreiheit im Nacken des Leidenden wieder herstellt, ist sein deklaratives Wissen prozedural geworden. Ähnliches gilt etwa beim Verständnis der Jahresbilanz über die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens. Wer nur Zahlen sieht, versteht gar nichts; wer diese in das Marktumfeld zu stellen vermag, dem eröffnen sich ganz andere Dimensionen an Informationen. Die Grenzen zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen sind fliessend, und es ist praktisch unmöglich zu sagen, wo das eine in das andere kippt. Klar ist nur: Beim Chiropraktiker ist es die Erfahrung mit zahllosen Patienten und deren Feedback zu seiner Arbeit, die sich zusammen mit eigener Reflexion zur Expertise verdichten. Mit Worten allein würde er diese in ihrer Fülle und Vielfalt einem Novizen in seinem Fach kaum so beschreiben können, dass der Wissens­ transfer vom Lehrenden zum Lernenden gelingen würde. Erst die praktische Nachahmung vom Wissen anderer macht einen Unwissenden mit der Zeit zum Wissenden und irgendwann zum Experten.

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Die Repräsentation von Wissen Oder: warum Reden allein nicht hilft

Der Weg zur Lösung

Die Erkenntnis, dass unterschiedliche Formen von Wissen existieren, führt zu einem Forschungsansatz, mit dem sich die grossen Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts, Jean Piaget und Jérôme Seymour Bruner, auseinandergesetzt haben. Wie vergegenwärtigen wir eigentlich unser Wissen? Bruner geht von einem sich entwickelnden Aufbau aus. Am Anfang wird Wissen vor allem aktional oder handelnd repräsentiert. Viele komplexe Bewegungsabläufe, wie etwa Skifahren, Einradfahren, Jonglieren, lassen sich nur über Handeln erwerben, Worte können höchstens unterstützend sein. Eine nächste Stufe ist das ikonische, also Bild gewordene Medium, die Darstellung von Wissen in kognitiven Landkarten, Begriffsnetzen, Flussdiagrammen, Graphen oder Übersichten. Das dritte Medium wird als symbolisch bezeichnet, die Welt der Sprache und der Zahlen. Müssen Problemstellungen bearbeitet werden, kann die adäquate Darstellung in einem passenden Medium einen zielführenden Weg zur Lösung darstellen.

Strategieforschung Oder: Warum Planung wichtig ist Eine weitere Forschungsrichtung, die der Strategie oder des Handelns, belegt die Wirkungslosigkeit des Strategieerwerbs, so er ohne Inhaltsbezug, also standing alone vermittelt wird. Nur Strategien, die für ein umrissenes Wissenskonstrukt, einen präzisen Wissenszusammenhang bestimmt sind, entfalten auch nachhaltige Wirkung. Ein Mensch kann zwar eine Unmenge allgemeiner Lösungsstrategien erlernen, wie beispielsweise «über die Grenzen hinaus denken». Wenn damit jedoch eine mathematische oder sprachlich-interpretatorische Fragestellung zu lösen ist, führt dies nicht zum Ziel. Je allgemeiner eine Strategie formuliert ist, umso eher lässt sich diese zwar auf unterschiedliche Disziplinen oder Fachbereiche übertragen, für die Lösung spezifischer Aufgabenstellungen taugt sie jedoch nicht – und dies gilt auch umgekehrt. Vereinfacht gesagt: Wer etwa weiss, wie ein komplexer Text zusammenzufassen ist, um das Wesentliche herauszuarbeiten, dem hilft es nicht, sich mit Physik zu beschäftigen, um beispielsweise die Funktionsweise eines Flaschenzugs zu verstehen. Wer aber das Prinzip des Flaschenzugs verstanden hat, kann dieses Wissen einsetzen, um etwa den Transfer zur Funktionsweise von Zahnrädern herzustellen. Dieser Forschungsansatz beschäftigt sich nicht nur mit kognitiven Strategien, sondern auch mit sogenannten metakognitiven oder Stützstrategien. Dabei geht es um Fragestellungen, die sich mit Planung, Durchführung und Auswertung von Lern- und Wissenserwerbsprozessen auseinandersetzen. Erfolgreiche Lernende zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie sich selbst kennen und darauf aufbauend ihr Lernverhalten optimal planen und steuern können und sich dabei

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laufend überprüfen und ihre Prozesse zum Erwerb von Wissen verbessern. Ein visuell begabter Studierender wird seine Prüfungszusammenfassungen als farbige Mindmaps darstellen, auditiv orientierte sprechen ihre Erkenntnisse auf das iPhone und lassen sich davon berieseln.

Begreifen kommt von Greifen Oder: Die Verkörperlichung von Wissen

Nur wer das Ganze kennt, versteht das Detail: Und vice versa

Diese Spezifität von Wissens- und Gedächtnisleistungen wird von den Neurowissenschaften bestätigt. Die herausragende Schachspielerin, die simultan, mit verbundenen Augen, gleichzeitig auf einem Dutzend Brettern spielt, muss über exzellente Gedächtnisfähigkeiten verfügen. Ihr Wissen über den aktuellen Stand eines jeden Spiels muss ständig präsent sein, damit sie die nächsten Spielzüge planen kann. Werden aber ihre Gedächtnisleistungen beim Erlernen von Vokabeln getestet, wird dieselbe Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nur durchschnittlich abschneiden. Phänomenale Gedächtnisleistungen in einer Disziplin lassen sich nämlich nicht einfach auf andere übertragen. Zurück zum Flaschenzug: Wie lässt sich verstehen, dass zwei Rollen und ein sehr langes Seil das Gewicht eines zu hebenden schweren Gegenstandes halbiert? Eine Erklärung liefern etwa die Handlungstheorien von Jean Piaget. Diese zeigen auf, dass Handeln mit Erkenntnis und Sprache einhergeht. Der Mensch muss Phänomene meist mit seinen Händen begreifen, um diese wirklich zu verstehen. Wer mit eigenen Händen einen Flaschenzug herstellt, hat das zugrundeliegende physikalische Prinzip verstanden. Die Robotik, eine der spannendsten angewandten Wissenschaften, bezieht sich ausdrücklich auf dieses Embodiment, die Verkörperlichung des Wissens. Begreifen kommt von Greifen.

Formale versus materiale Bildung: Ein alter Streit in den Wissenschaften Die Frage, ob inhaltliches oder auch strategisches Wissen auf andere Disziplinen übertragen werden kann, ist in den Geisteswissenschaften ein alter Streitgegenstand. Es geht dabei um die Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der formalen und materialen Bildung. Erstere behaupten, dass Latein lernen eben weit mehr darstellt als die Fähigkeit, lateinische Texte lesen zu können, da dadurch logisches Denken an sich gelernt und geschult wird. Die Vertreter der materialen Bildung dagegen vertreten den Standpunkt, dass wer Latein lernt, eben Latein kann und bestenfalls lateinische Sprachen etwas besser verstehen und leichter erlernen kann. Mehr aber nicht. Als Fazit bleibt festzuhalten: Inhaltliches und strategisches Wissen ist domänenspezifisch, und es ermöglicht in einer solchen Bandbreite auch Expertise. Auf andere Disziplinen lässt es sich aber nur schwerlich übertragen.

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Wie entwickelt sich Wissen? Übung macht den Meister

Autobahnen im Gehirn

Einige Male schon ist der Begriff des Übens aufgetaucht – ein alter Terminus der Lernpsychologie und ein wissenschaftlich sehr gut dokumentiertes Phänomen; der von der Wissenschaft kaum bestäubte Volksmund weiss schon lange: Übung macht den Meister. Somit ist wohl unbestritten, dass Üben einen eminent wichtigen Teil eines jeden Lernprozesses darstellt. Je häufiger wir eine Bewegungssequenz, etwa einen Purzelbaum, wiederholen, desto leichter fällt uns diese. Je häufiger wir fremdsprachige Vokabeln wiederholen, desto leichter und länger bleiben sie im Gedächtnis haften. Die Neurowissenschaften können in bildlichen Verfahren zeigen, wie Übungsprozesse verlaufen. Verwendete Nervenbahnen bilden sich durch das stete Training immer stärker aus. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen Myelinisierung, und dies führt dazu, dass Wissen immer schneller abrufbar wird, um sich schliesslich dergestalt zu verflüssigen, dass es am Ende kaum noch einer Anstrengung bedarf, um die erlernten Vokabeln abzurufen. Neurowissenschaftler sprechen von Autobahnen, während selten Geübtes, um im Bild zu bleiben, einem steinigen Pfad entsprechen würde. Die Wissenschaft hat für die Erklärung dieses Phänomens zwei Theorien entwickelt: die Effizienz- und die Plastizitätshypothese. Die Effizienzhypothese besagt: Je länger sich ein Mensch mit einer Fertigkeit auseinandersetzt, desto geringer ist die sogenannte kortikale Aktivierung. Bei einem geübten Klavierspieler etwa arbeiten die für die Musik wichtigen Areale im Gehirn effizient. Wer dieses Instrument neu erlernen will, muss dafür im Verhältnis wesentlich grössere kognitive Ressourcen mobilisieren, was notgedrungen die Aktivität im Gehirn potenziert. Die Plastizitätshypothese geht dagegen davon aus, dass durch höhere Übungsanstrengungen die dafür aktiven Gehirnareale sich vergrössern, was neurologisch tatsächlich schon nach kurzer Zeit feststellbar ist.

Wann beginnt der Mensch zu wissen? Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung Zum Verständnis der Herkunft und Entwicklung von menschlichem Wissen können die Ontogenese oder auch die jüngsten Arbeiten aus der Säuglingsforschung Erhellendes beitragen. Erstaunlich ist, dass Kleinkinder sich von Erwachsenen nicht so sehr durch unterschiedliche Denkfähigkeiten unterscheiden. Auch im frühkindlichen Alter verstehen diese das Prinzip der Kausalität durchaus und beherrschen selbst die Perspektivenübernahme – also die Fähigkeit, Dinge aus unterschiedlichem Blickwinkel zu betrachten – weit früher als bisher angenommen. Der grösste Unterschied zwischen dem ganz jungen und dem älteren Menschen besteht logischerweise darin, dass Erwachsene wesentlich mehr wissen als Kleinkinder – diese sind Novizen, Erwachsene Experten.

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Während Denkfähigkeiten offensichtlich schon sehr früh ausgebildet sind, muss Wissen oft in einem mühseligen Prozess erworben werden. Erst in der Kombination von Denkfähigkeiten und Wissen bildet sich mit der Zeit so etwas wie eine Expertise. In dieser Transformation kommt den schulischen und höheren Bildungsinstitutionen eine zentrale Bedeutung zu. Dies belegen entsprechende Vergleiche zwischen unterschiedlichen Kulturen. Wachsen Kinder in einem Umfeld ohne jegliche Erfahrung gemeinsamen Lernens auf, verharren kognitive Fähigkeiten auf sehr bescheidenem Niveau. Wachsen diese dagegen in einer Kultur auf, in der sie auswendig lernen, aber keine weiteren Aufgaben bewältigen müssen, zeigen die Kinder bereits weitaus bessere kognitive Fähigkeiten. Optimal entwickeln sich Kinder, Jugendliche und Studierende nur dann, wenn ein Lernumfeld sie auch kognitiv fordert, in welchem sie Wissen nicht nur reproduzierend erlernen, sondern eben auch handelnd, Hypothesen prüfend, diskutierend und auch angewandt sowie immer wieder in neuen Kontexten übend. Dafür besonders geeignet sind komplexe Problemstellungen. So können Studierende in einer Übungsanleitung beispielsweise computerbasiert und spielerisch verschiedene Variablen so verändern, dass sie herausfinden können, wie in einem Unternehmen möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften wäre. Vernachlässigen sie entscheidende Faktoren, wie beispielsweise Liquiditätsplanung oder Rückstellungen für zukünftige Investitionen, steht am Ende im schlimmsten Fall das Scheitern des Unternehmens.

Was motiviert uns, wissen zu wollen? Fähigkeitsselbstbild und Eigenmotivation Bin ich nicht top?

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In der kognitiven Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen ist ein Entwicklungsschritt von besonderer Bedeutung. Es geht um den Zusammenhang zwischen Fähigkeitsselbstbild und der Motivation, neues Wissen und Können zu erwerben. Ob Kindern oder Studierenden, beiden ergeht es ähnlich: Wer überzeugt ist, über eine besondere Fähigkeit zu verfügen, wird diese stets gerne anwenden und damit immer weiterentwickeln. Werden Kinder im Alter zwischen Kindergarten und erster Klasse gefragt, wie sie ihre eigenen sportlichen, mathematischen oder sprachlichen Fähigkeiten einschätzen, werden gut neunzig Prozent aller Kinder sich bei den Klassenbesten einreihen, und zwar unabhängig von objektiven Beurteilungskriterien. Die moderne Wissenschaft wertet dies als Zeichen einer sinnvollen robusten psychosozialen Gesundheit, und es gilt als ausgemacht, dass Kinder, die zu früh zu kritischer Selbstbeurteilung angeleitet werden, in ihrer Entwicklung eher gehemmt als unterstützt werden. Wird diese Selbstbeurteilung in Längsschnittstudien untersucht, steigt die Fähigkeitsselbsteinschätzung bei einem Lehrer- oder Stufenwechsel exponentiell an. Eine neue Lehrerin, ein neuer Lehrer löst oftmals einen Motivationsschub aus, und manch ein Kind ist überzeugt, dass nun seine Leistung besser werden wird. Zwischen der Erwartungshaltung an das lehrende Personal und der Motivation, Wissen zu akkumulieren, existiert ein innerer Zusam-

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menhang. Und umgekehrt ist es genauso, und zwar praktisch unabhängig von der Altersstufe des Lernenden: Ist ein Dozent von den Fähigkeiten eines Studenten überzeugt, wird er diesen besonders fordern und fördern, und dieser wird der Wertschätzung mit höherer Leistungsbereitschaft begegnen.

Was bewirkt Wissen? Intelligenz versus Wissen

IQ oder Lehrer, was ist entscheidender?

In westlichen Gesellschaften wird der Intelligenz und ganz besonders dem Intelligenzquotienten (IQ) eines Menschen eine hohe Bedeutung beigemessen. Menschen mit einem hohen IQ geniessen hohen Respekt. Wie aber verhält es sich mit dem Zusammenhang zwischen IQ und Wissen? Ist ein hoher IQ eine notwendige, eine hinreichende oder eine vernachlässigbare Grösse, wenn es darum geht, sich Wissen zu erarbeiten? Zahlreiche Untersuchungen zeigen einen deutlichen Befund: Ein hoher IQ stellt zwar eine notwendige, niemals aber eine hinreichende Bedingung für ausserordentliche schulische Leistungen dar. Mehr noch: Durch ein sorgsam aufgebautes Vorwissen kann ein Defizit beim IQ weitestgehend kompensiert werden. In einer Studie wurden etwa Fünftklässler auf diesen Zusammenhang hin überprüft. Es wurde eruiert, wie präzise der einzelne Schüler mathematische Textaufgaben lösen konnte, und dabei flossen der IQ wie auch das Vorwissen des Individuums in Mathematik in die Beurteilung ein. Letzteres war in den ersten vier Schuljahren von ausgezeichneten Lehrpersonen aufgebaut worden. Das Resultat war eindeutig: Kinder mit geringem mathematischem Vorwissen und einem tiefen IQ lösten lediglich zwei Prozent der gestellten Aufgaben. Jene mit ähnlich bescheidenem Vorwissen, aber hohem IQ, schafften mit zwanzig Prozent zehn Mal mehr Aufgaben. Kinder aber, die zwar einen tiefen IQ aufwiesen, aber einen exzellenten Mathematikunterricht genossen hatten und daher über grosses Vorwissen verfügten, konnten 41 Prozent der Aufgaben lösen, und Kinder mit hohem IQ und gleichermassen hervorragend aufgebautem Vorwissen lösten mit 43 Prozent richtiger Aufgaben lediglich zwei Prozent mehr Rechenaufgaben. Dieses Beispiel zeigt: Durch motiviertes Lehrpersonal sorgsam aufgebautes Vorwissen kann bei Lernenden Defizite beim IQ weitgehend kompensieren. Vorwissen stellt demnach den wichtigsten Prädiktor zukünftiger Leistungen dar. Je mehr ein Individuum weiss und kann, desto rascher und wirksamer kann es neues Wissen erwerben, aufnehmen, verarbeiten und auch anwenden. Der deut-

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sche Psychologe Franz Emanuel Weinert hat in diesem Zusammenhang auf das Matthäus-Prinzip hingewiesen: Wer da hat, dem wird gegeben.

Was macht Lernen mit unserem Gehirn? Wissen verändert kognitive Strukturen

Raub- und Fluchttier

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Seit einigen Jahren können die Neurowissenschaften zeigen, wie im Gehirn Synapsen, also Verbindungen zwischen Zellen, gebildet werden, was wir als Lernen bezeichnen. Sie bestätigen damit die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie: Lernen, Erkennen, Wissen verändert die menschlichen kognitiven Strukturen. Dies liesse sich an unzähligen Beispielen zeigen. Wenige sollen hier genügen. – Wer zum ersten Mal an den Hängen des Lago Maggiore steht und auf Locarno und Ascona blickt, wird unschwer die u-förmige Ebene, die von der Maggia geteilt ist, erkennen – ein Delta. Wann immer diese Person später auf die Mündung eines Flusses in einen See blicken wird, wird sie das Delta sofort erkennen. Hinter diese Erkenntnis kann sie nicht mehr zurück. – Wer einmal den Schädel eines Raubtieres mit dem eines Fluchttieres verglichen und die unterschiedliche Anordnung der Augen entdeckt hat, hat erkannt: Liegen die Augen seitwärts, handelt es sich um ein Fluchttier. Springen die Öffnungen direkt ins Auge, ist dies ein Raubtier. Würde das Tier noch leben, wäre die sofortige Flucht angesagt. – Komplexer, aber nicht weniger nachhaltig wirken geisteswissenschaftliche Erkenntnisse. Wer etwa das Werk «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» des deutschen Soziologen Max Weber gelesen hat, wird sich zukünftig immer wieder fragen, wie geistige oder religiöse Strömungen wirtschaftlichen Erfolg, Alphabetisierung oder Staatsformen beeinflusst haben. Wir sprechen hier weniger von einem sich unmittelbar einstellenden Erkennen als vielmehr von einer bestimmten Art des Infragestellens von Informationen, was aber letztlich wiederum einen Aspekt von Wissen darstellt. Wer nie etwas von Weber gehört oder gelesen hat, kann ein Bildungssystem möglicherweise rein funktional beschreiben. Die Dimension geistig-religiöser Strömungen kann ein in dieser Hinsicht buchstäblich Halbwissender kaum berücksichtigen und so in diesem Zusammenhang höchstens zu einer reduktionistischen Sicht kommen. – In den 1970er Jahren hat der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn den Begriff des Paradigmas in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Menschliches Erkennen und Wissen unterliegt stets einer ganz

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bestimmten Perspektive. Solange die Menschheit die Erde als Zentrum des Sonnensystems ansah, wurde nach Belegen geforscht, diese These zu untermauern. Als dann der italienische Astronom Galileo Galilei ein heliozentrisches System in die Welt setzte, führte dies zu heftigen wissenschaftlichen und religiösen Auseinandersetzungen. Auch dieses Wissen um die Vorläufigkeit menschlichen Erkennens, das jeweils von einem herrschenden Paradigma bestimmt wird, beeinflusst die Einschätzung des Wahrheitsgehalts wissenschaftlicher Forschung. Jedes Wissen und Erkennen ist somit relativ und vorläufig.

Menschen lernen von Menschen Nachahmen führt zu know-how

Menschen lernen von Menschen, oder: der Affe, der Assistent und die Nüsschen.

Der kanadische Psychologe Albert Bandura hat im vergangenen Jahrhundert das Modelllernen als die wichtigste Form des Lernens überhaupt bezeichnet und dabei den sozialen Aspekt besonders betont. Menschen lernen von Menschen, Wissen wird von Menschen an andere Menschen weitergegeben, ob dies nun mündlich oder schriftlich, analog oder digital geschieht. Zu Beginn der 1990er Jahre konnte der italienische Neurowissenschaftler Giacomo Rizzolatti die überragende Bedeutung des Nachahmungslernens neurobiologisch erklären. Er beschäftigte sich mit Makaken, einer Affenart, und untersuchte die Aktivität einzelner Hirnregionen bei bestimmten Tätigkeiten. So gab er einem Makaken Erdnüsschen zu fressen und beobachtete dabei dessen Aktivitätsmuster am Bildschirm. Kurz darauf, der Affe sass weiterhin in seinem Labor, kam ein Assistent herein, entdeckte die Erdnüsse und bediente sich freudvoll, während Rizzolatti seinen Blick auf den Computer heftete und dabei eine bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung machte. Während der Assistent Nüsschen futterte, schaute der Makake interessiert zu – und zeigte dasselbe Aktivitätsmuster wie zuvor, als er selber Nüsschen fressen durfte. Ob Zuschauen oder selber handeln: Die Aktivität im Gehirn zeigte sich nicht nur in ähnlicher Intensität, sondern auch im gleichen Areal. Dieses Phänomen wird als spiegelneuronale Aktivität beschrieben und ist für die Gehirnforschung etwa gleichbedeutend wie die Entdeckung der DNS für die Genetik. So gesehen sind unsere Gehirne prädestiniert, mittels Nachahmung Wissen als «know that» und «know how» aufzunehmen.

Wissen und Ökonomie Oder: Was das BIP damit zu tun hat Es mag verrückt klingen, aber eine aktuelle deutsche Studie hat versucht herauszufinden, was passieren würde, falls die Anzahl Schulabgänger, die keinen Abschluss haben, halbiert wird. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Hunderte von Morden, Tausende von Raubüberfällen und Hundertausende von Diebstählen könnten verhindert werden. Interessant daran ist, dass ein kausaler Zu-

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sammenhang zwischen unzureichender Bildung und Kriminalität nachgewiesen werden konnte. Natürlich ist Bildung umfassender als Wissen, aber intelligent aufgebautes Wissen ist gleichzeitig Teil und Voraussetzung von Bildung. In der Schweiz gehört jeder achte Schüler zur analphabetischen Risikogruppe, d.h., er oder sie ist auf dem tiefsten Level des fünf Niveaus umfassenden PISA-Beurteilungssystems. Könnte die Schweiz diese Jugendlichen auf Niveau 2 heben, würde der wirtschaftliche Gewinn bis 2090 das Dreifache des heutigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Humankapital gilt als zentraler Faktor für Produktivität und Wachstum einer Volkswirtschaft und bewirkt unendlich viel mehr als jedes noch so kluge Konjunkturprogramm.

Wissen und Status Oder: Warum van Gogh kein Fussballer war Analphabetismus, Bildungsniveau und BIP, oder: je früher, desto besser!

Das amüsanteste Kapitel bei Dietrich Schwanitz Werk «Bildung. Alles, was man wissen muss» findet sich unter dem Titel «Über die Regeln, nach denen man unter Gebildeten kommuniziert». Dort werden Bildung und Wissen als soziales Spiel bezeichnet, dessen Kenntnis für den sozialen Status eines Menschen entscheidend sein kann. Folgende fiktive Szene mag dies illustrieren: Sie befinden sich auf einer Party mit zahlreichen gebildeten Menschen und stellen folgende Frage: «Van Gogh, Von Gogh, ist das nicht der Mittelstürmer der holländischen Fussballmannschaft, der bei der letzten WM dem deutschen Torwart das Nasenbein gebrochen hat?» (Schwanitz). Betretenes Schweigen wird Sie umgeben, weil Sie eine falsche Frage gestellt und eine Regel verletzt haben, die da heisst, dass ein gebildeter Mensch Van Gogh einfach kennen muss. Sie werden wohl darauf verzichten, an der nächsten Party mit den gleichen Leuten teilzunehmen. Hätten Sie dagegen erwähnt, dass Sie Berliners «Wurzeln der Romantik» gelesen hätten, und würden Sie sich nun fragen, inwiefern die Romantik den aktuellen Bildungsbegriff mitgeprägt habe, bekämen Sie zwar keine Antwort. Aber Ihr Status in der Runde der Gebildeten wäre intakt. In Bezug auf Van Gogh wäre der Statusverlust leicht zu vermeiden gewesen. Ein kurzer Klick auf Wikipedia hätte genügt, um diesen Reinfall zu vermeiden. Damit kommen wir zur letzten, entscheidenden Frage, wie Wissen am besten vermittelt werden kann.

Wie also soll Wissen vermittelt werden? Zum Abschluss: fünf Bildungsziele Für Bildungsinstitutionen, Schulen, Fachhochschulen und Universitäten stellt sich damit die letzte und entscheidende Frage nach der Vermittlung von Wissen. Franz Emanuel Weinert nennt als erstes Bildungsziel der Schule die Vermittlung von intelli-

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gentem Wissen. Darunter versteht er kein reines Faktenwissen, welches lediglich zu trägem Wissen führt, sondern ein wohl organisiertes, fachspezifisch bedeutsames Wissen, das Inhaltliches wie Strategisches umfassen muss. Diese Art von Wissen wird mit Erfolg durch einen lehrergesteuerten, aber schüler- oder studentenzentrierten Unterricht vermittelt. Zweites Ziel ist anwendungsfähiges Wissen. Lernende benötigen dabei möglichst grosse Erfahrung in spezifischen Situationen. Am wirkungsvollsten wird solches Wissen im Unterricht in Projekten und Projektwochen erworben. In besonderem Masse motivierend ist es – darauf ist bereits hingewiesen worden­­­–, wenn eine spezifische Problem- und Fragestellung am Anfang eines neuen Lernprozesses, eines Lernzieles steht und Studierende sich dieses weitgehend selbstständig und unter Nutzung verschiedenster Medien erarbeiten können. Zum dritten Ziel: Geht es um den Erwerb von nutzbaren Schlüsselqualifikationen – bei Kindern etwa Lesen und Schreiben –, muss intensiv geübt werden. Ein abwechslungsreicher Unterricht mit einer Mischung von lehrer- und selbstgesteuerten Aktivitäten verspricht dabei den nachhaltigsten Lernerfolg. Geht es aber um die anfangs geforderte Lernkompetenz, ist ein angeleiteter, zu immer grösserer Selbstständigkeit führender Unterricht anzustreben. «Lernen lernen» lautet das vierte Ziel. Dabei müssen die Lernenden auch immer wieder zur Reflexion über das eigene Lernen angehalten werden, zur bewussten Anwendung angepasster Strategien. Dies gilt in gleichem Masse für Schulen wie auch für Hochschulen. Hilfreich ist dabei auch der Austausch unter den Studierenden über ihre Lernerfolge. Dozierende dürfen dabei nicht nur Wissen vermitteln. Sie müssen Studierende auch dazu anleiten und anhalten, über Lerntechniken bei der Aufnahme von wissenschaftlicher Literatur, Forschungsmethoden oder beim Verfassen einer Seminararbeit zu diskutieren und sich auszutauschen. Damit ist das fünfte Bildungsziel von Schulen angesprochen: soziales Wissen und Handeln. Dies kann sinnvollerweise nur in Lernpartnerschaften und Gruppenarbeiten erlernt werden. Dabei haben neue Unterrichtsformen nur noch wenig mit der in den 1970er Jahren postulierten Gruppendynamik zu tun. Gruppenarbeit, auch an der Hochschule, benötigt schriftlich formulierte Aufträge, eine klare Rollen- und Aufgabenverteilung, ein definiertes Zeitmanagement. Diese fünf Lernziele stellen ein methodisch-didaktisches Grundgerüst für erfolgreiches Lernen dar. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob dies stärker analog oder digital geschieht. Geht es aber darum, Lücken im Faktenwis-

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Von Robusten und Sensiblen

sen zu schliessen und dafür rasche Antworten zu erhalten, existieren wohl kaum Alternativen zu elektronischen Helfern, und Ähnliches gilt auch für eigentliche Übungsprozesse. Adaptive Lernprogramme jedoch, die mehr können als lediglich Fehler zurückmelden, Verbesserungsvorschläge machen oder eine Lernkartei elektronisch führen, ermöglichen gerade bei komplexen Fragestellungen erstaunliche Lernerfolge – insbesondere dann, wenn sich diese den individuellen Fähigkeiten von Lernenden anzupassen vermögen. Kombinationen zwischen computergestütztem Lernen und der physischen Präsenz eines Dozenten, was Fachleute «blended learning» nennen, sind heute bereits die Regel und nicht zuletzt aus Kostengründen weiter auf dem Vormarsch. Doch machen wir uns nichts vor: Geht es um den systematischen Aufbau von Wissen und begriffliche Verstehensprozesse, werden hervorragend ausgebildete und motivierte Dozierende auch in Zukunft unverzichtbar bleiben. Neben der Klarheit der zu vermittelnden Wissensinhalte und einer in diesem Kontext professionellen Lernstruktur geht es beim erfolgreichen Lernprozess auch um Aspekte, die sich als weiche Faktoren des Wissensaufbaus bezeichnen liessen. Zum einen sind dies die bereits erwähnten Leistungserwartungen oder Pygmalioneffekte, zum andern zeigen eine Reihe von jüngeren amerikanischen Untersuchungen, wie mit besonders sensiblen Lernenden umzugehen ist. Diesen wurden robustere Kinder und Jugendliche gegenübergestellt. Die Robusten entwickelten sich mehr oder weniger unabhängig von ihrer Umgebung und konnten ihre Lernpotentiale weitgehend selbstständig entwickeln und realisieren. Die Sensiblen dagegen litten unter einer als verständnislos empfundenen Umgebung derart stark, dass sie auch im Erwachsenenalter als Studierende ihre Möglichkeiten kaum auszuschöpfen vermochten und auch psychisch eher instabil blieben. Konnten sie dagegen in Unterrichtsformen aufwachsen, die einen achtsamen und behutsamen Umgang pflegten, konnten sie ihre Potentiale nicht nur realisieren, sondern zeigten Leistungen, die eigentlich über ihren Möglichkeiten lagen; und damit übertrafen sie in ihren Leistungen sogar die Robusten klar.

– – –

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Achtsam, behutsam sein heisst konkret für Dozierende und deren Unterricht: zutiefst an die Möglichkeiten und Potentiale der Lernenden zu glauben; diese so stark wie nötig und so wenig wie möglich zu unterstützen; mittels Rückfragen echtes Interesse an ihren Lösungswegen zu zeigen;

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– –

die Lernenden immer wieder zu ermuntern, sich zu äussern; mit den Studierenden auch immer wieder zu diskutieren, unter welchen Bedingungen diese am effizientesten lernen können; – sich als Dozent auch von den Lernenden in Frage stellen zu lassen; – herauszufinden, welche Interventionen durch den Lehrenden hilfreich, welche hinderlich sind; – das eigene Wissen nicht als Herrschaftswissen zu missbrauchen, sondern als Verlockung und Verführung zu immer neuem Lernen. Im Grunde genommen handelt es sich um nichts anderes als eine wohl­ wollende Kommunikation im Unterrichtsalltag. Braucht es Wissen überhaupt noch – so lautete die Ausgangsfrage. Und sie lässt sich bejahen, mit folgenden Präzisierungen: – Es gibt kein Können ohne Wissen – gemeint ist aber ein tiefes, verstehendes Wissen! Das Oberflächliche, etwa historische Jahreszahlen, können wir getrost «googeln». – Wissen meint auch Wissen über Arbeitstechniken, über Strategien und über sich selber. Vor allem: Wie kann ich gut lernen? Was hilft mir dabei? Wo kann ich das Gelernte anwenden? Welche Medien nutze ich wofür? (Seit die Studierenden ihre Aufgaben mit dem iPhone fotografieren, vergessen sie sie nicht mehr.) – Vielleicht sollten wir statt von «Wissensgesellschaft» eher von einer «lernenden» Gesellschaft sprechen. – Gerade Fachhochschulen sind bestens dafür geeignet, den Anspruch nach einer Verbindung von Können und Wissen einzulösen, das Lernen für die Berufspraxis in den Vordergrund zu stellen – auf dass ihre Absolventinnen und Absolventen sich in einem komplexen Wirtschaftssystem zurechtfinden und dieses mit- und umgestalten. * Dieter Rüttimann, Professor ZFH, Schulleiter der Gesamtschule Unter­strass und Dozent am Institut Unterstrass der Pädagogischen Hochschule Zürich Literatur: Gopnik, Alison: «Kleine Philosophen», Ullstein, 2009 Mandl, Heinz (Hg.), «Handbuch Lernstrategien», Hogrefe 2006 Pfeifer, Rolf, Josh C. Bongard: «How the body shapes the way we think: a new View of Intelligence», MIT Press 2006 Reusser, Kurt (Hg.), «Verstehen: psychologischer Prozess und didaktische Aufgabe», Huber 1994 Schwanitz, Dietrich: «Bildung. Alles, was man wissen muss», Eichborn 2010 Van Doren, Charles: «Das Universalwissen der Menschheit», Area 2005

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In Luzern gelernt Eine Fachhochschule für Wirtschaft und fünf Institute bedeuten geballtes Wissen aus Lehre und Forschung. Transportiert in Unternehmen und Verwaltung, ergibt dies eine Fülle von Business-Cases. Ein Augenschein.

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S ocial M edia

Pionierarbeit geleistet Auf seiner Visitenkarte der

Eyjafjallajökull-Vulkan im April

wolke immer weiter ausbrei-

sich dort neben Dialogen zwischen

Fluggesellschaft Swiss prangt

vergangenen Jahres den europäi-

tete?

Flugpassagieren, und es «wird

eine Berufsbezeichnung, die es

schen Luftverkehr lahmlegte, fand

Da wurde im Operationszentrum

deutlich, dass die Kommunika­

zumindest in der Schweiz zuvor

sich Lüdi buchstäblich in einem

der Swiss ein Notfallszenario mit

tionsstelle der Swiss ihre Facebook-

noch nicht gegeben hat: Social

Spezialisten aus allen Abteilungen

Gruppe intensiv bewirtschaftet».

Media Manager. Christian Lüdi,

hochgefahren. Ich sass damals

Wie haben Sie diese Zeit

gerade einmal dreissigjährig, ist

als Vertreter von Social Media

erlebt?

ein «Profisurfer ohne Surfbrett»,

mittendrin, und dadurch hatte ich

Als extrem spannend. Wir haben

urteilt das Migros Magazin, und

Zugang zu First-Hand-Informati-

ja Neuland betreten. Pionierarbeit

seit dieser für seinen Arbeitgeber

Auge des Taifuns wieder – und die

onen, die ich sofort weitergeben

geleistet. Es gab keine Vorbilder in

Online-Dialog-Netzwerke wie

Online-Plattformen zeigten in der

konnte.

der Schweiz. Ich hatte zwar durch

Youtube, Flickr, Facebook oder

Krise erstmals eine überraschende

Was waren die Folgen?

das Studium einige Vorkenntnisse

Twitter betreut, ist er so etwas wie

Überlegenheit gegenüber her-

Von sechs Uhr in der Früh bis

über Online-Kommunikation. Aber

kömmlichen Informationskanälen.

gegen 22.00 Uhr beantworteten

wir agierten nach dem Motto

wir Frage um Frage. Und wir rea-

«trial and error.»

Herr Lüdi, als der Vulkan

lisierten rasch, dass immer mehr

Was ist Ihre wichtigste Er-

begann Asche zu spucken,

Fans auf Facebook unsere News

kenntnis?

waren Sie für diesen Ernstfall

abonniert hatten, weil wir oft

Dialognetzwerke haben für ein

präpariert?

schneller waren als unsere Website

Unternehmen wie Swiss ein

der Pionier der Social Media im

Überhaupt nicht. Ich befand

oder Hotline.

enormes Potential. Sie können den

Dienste eines Unternehmens in

mich in einem Praktikum im

Kurze Zeit später ist dieser Befund

der Schweiz. Und er kam dazu, wie

Online-Marketing bei Swiss, als es

auch in der Presse zu lesen. Tage

es für diese neuen Medien wohl

losging. Zunächst haben wir auf

nach dem Vulkanausbruch titelt

typisch ist: durch Zufall. Nach dem

Face­book und Twitter einfach nur

die Neue Zürcher Zeitung «Swiss

Studium «Marketing & Kommuni-

Fragen gestrandeter Passagiere

auf Facebook informativer als

Kunden direkt ansprechen, indem

kation» an der Hochschule Luzern

beantwortet. Geht mein Flug? Soll

auf Swiss.com» und urteilt, «die

sie diesem Informationen oder

– Wirtschaft absolvierte Christian

ich zum Flughafen fahren? Was

Theorie, dass Social Networks für

Bilder zur Verfügung stellen oder

Lüdi seit einem halben Jahr ein

soll ich tun? Das waren die Fragen,

Unternehmen und uns alle immer

auf Kritik umgehend reagieren. In

Praktikum bei der Schweizer

und ich beantwortete sie, so gut

wichtiger werden, scheint sich zu

gewisser Weise kann ein Unter-

Fluggesellschaft, und als eine

es ging.

bewahrheiten». Informationen

nehmen dadurch ein Stück weit

Aschewolke aus dem isländischen

Und dann, als sich die Asche-

aus dem Unternehmen finden

die Kontrolle über Informationen

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Q uereinsteiger

wieder zurückgewinnen, welche

zu über 50 Prozent nicht mehr

Ein neues Leben

durch das Internet teilweise verlo-

über PC, sondern über Handy

Martin Barth ist ein Quereinsteiger

Jahre 2003 einen in der Schweiz

ren gegangen ist.

verschickt. Auf blog.swiss.com tau-

im Tourismus. Ausgebildet als

einzigartigen Lehrstuhl «Tourismus

Wie meinen Sie das?

schen Swiss-Mitarbeiter beispiels-

Jurist an der Hochschule St.Gallen,

und Mobilität» antrug, war das für

Statt dass Kritik am Unternehmen

weise bereits Travel-Tipps aus,

arbeitete er zunächst kurzzeitig

ihn der perfekte nächste Schritt

unkontrolliert ins Netz gestellt

werden so zu «Botschaftern der

als Anwalt, wechselte dann zu

seiner Karriere. Heute ist Martin

wird, können wir darauf reagieren

Firma und geben ihr ein persönli-

Mövenpick, wo er auch Einsitz im

Barth Leiter Weiterbildung am Ins-

ches Gesicht», ist Lüdi überzeugt.

Verwaltungsrat diverser Tochter-

titut für Tourismuswirtschaft ITW,

Und innerhalb der Firma baut sich

gesellschaften nahm. Im Konzern,

und wenn er als Leiter des berufs-

langsam ein Social Network auf,

der damals noch Konsumgüter

begleitenden Weiterbildungs­kurses

über welches über die Abteilungen hinweg für die externen Socialund erhalten dadurch zumindest

Media-Plattformen Informationen

partiell wieder Einfluss darauf. Das

oder auch Bilder bereitgestellt

eröffnet für das Unternehmen

werden, die Christian Lüdi dann

grosse Chancen in der Kommuni-

über Facebook oder Twitter ins

kation.

Netz stellt. Auch im Intranet

Wie messen Sie den Erfolg

entstehen Chats und werden

dieser Aktion?

unter den Angestellten Informati-

An den positiven direkten Rück-

onen ausgetauscht – eine interne

meldungen, den zustimmenden

Social-Media-Plattform.

Erwähnungen in der Presse und

Dass der erste Social Media Mana-

nicht zuletzt auch daran, dass sich

ger von Swiss eine echte Innovati-

die Zahl der Fans beispielsweise auf

on geschaffen hat, zeigt folgende

produzierte, aber wie noch heute

«Tourismus für Quereinsteiger»

Facebook mehr als verdreifacht hat.

Begebenheit: In einem Blog

auch Restaurants und Hotels be-

vor seine Studierenden tritt, fühlt

schrieb ein PR-Fachmann, dass die

trieb, fing Martin Barth wohl auch

er sich womöglich manches Mal

Darüber, wie die Entwicklung der

Aktivitäten der Swiss während der

Feuer für den Tourismus – und

an seinen eigenen Werdegang

Social Media weitergehen könnte,

Vulkankrise gezeigt hätten, welch

seine nächste berufliche Station

erinnert.

hat Christian Lüdi bereits konkrete

grossen Nutzen Social Media für

als Tourismusdirektor im bündne-

Die Studierenden, die er dort

Vorstellungen. Alles wird schneller,

ein Unternehmen haben könnten.

rischen Savognin war in diesem

antrifft, kommen aus allen mög-

mobiler, emotionaler. Twitter-

Geschrieben hatte dies ein Dozent

Sinne konsequent. Und als ihm die

lichen Berufsfeldern und haben

Meldungen werden heute bereits

der Hochschule Luzern.

Hochschule Luzern – Wirtschaft im

eins gemeinsam: ein brennendes

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«Die Vermittlung von Fachwissen, die Schulung von persönlichen Handlungskompetenzen und der Auf- und Ausbau eines persönlichen Netzwerkes ergeben das typische DreiSäulen-Prinzip dieses Kurses.»


Interesse am Tourismus, welches

des Kurses, geht es hinaus in die

eines persönlichen Netzwerkes

berufliches Leben. Für jene Bank-

nun nach neuem Wissen ruft.

touristische Welt. In Gstaad zum

ergeben das typische Drei-Säulen-

angestellte etwa, deren «Leiden-

Da ist etwa der Endfünfziger,

Beispiel erhalten die Studierenden

Prinzip dieses Kurses», sagt Martin

schaft für die Schweiz und deren

Telekommunikations-Angestellter

Einblick in das Destinations-

Barth, «und erst die Mélange aus

Berge» mit der Weiterbildung eine

und im Nebenamt Präsident eines

Management vor Ort, im Luzerner

diesen drei Dimensionen macht

derartige Fülle neuer Nahrung

Skilifts, der dafür «neue Impul-

Radisson stehen Hotel- und

den exzellenten Touristiker aus.»

erhielt, dass sie sich danach auf

se» erhalten will. Die Bankerin,

Hospitality-­Man­agement auf

Für manche aus dem Kurs

die Suche begab – nach einem

die Freundschaften in aller Welt

dem Programm, und im Unter­

beginnt nach dem Kurs ein neues

Job im Schweizer Tourismus.

pflegt und als Motivation für die

engadin wird «Führung/Leader-

Teilnahme am Kurs ein Zitat von

ship als Erfolgsfaktor im Destina-

Oscar Wilde zum Besten gibt:

tions-Management» gelehrt oder

«Reisen veredelt den Geist und

auch «Marketing nach innen»,

räumt mit allen anderen Vorurtei-

was bedeutet, dass die eigenen

len auf.» Die Personalchefin, die

Mitarbeitenden, die einzelnen

Stetiger Quell von Arbeit

sich alle paar Jahre ein mehrmo-

Leistungsträger vor Ort und die

Hier geht es nicht um die grossen,

Hochschule Luzern, die sich in den

natiges Reise-Sabbatical gönnt.

Bevölkerung in Strategie und

spektakulären Fälle, sondern um

Teilkurs Konkursdelikte vertiefen,

Oder auch die Betriebswirtin mit

Massnahmen zur Vermarktung

die Schreinerei von nebenan, den

sich hauptsächlich aus den Reihen

Fachrichtung Tourismus, die nach

einer Destination mit eingebun-

Fünf-Mann-Betrieb im Nachbarort,

von staatlichen Behörden der

der Geburt von zwei Kindern ihre

den werden.

den Coiffeur-Salon um die Ecke.

Strafverfolgung rekrutieren. Für

Kenntnisse auf den neuesten

Fachwissen und sogenannte

«In diesem Umfeld passieren die

Staatsanwaltschaft und Polizei ist

Stand bringen und so den berufli-

«soft skills», wie etwa die hohe

alltäglichen, aber unspektakulären

die Ahndung von Konkursdelikten

chen Wiedereinstieg schaffen will.

Kunst der Mitarbeiterführung wie

Konkursdelikte», sagt Barbara Lips,

ein stetiger Quell von Arbeit, da

So unterschiedlich die Motivatio-

auch der Aufbau eines persönli-

Gerichtspräsidentin am Berner

es sich dabei um ein Offizialdelikt

nen auch sein mögen, einmal im

chen Netzwerks in der Welt des

Wirtschaftsstrafgericht, «und das

handelt, das mit einiger Zeitver-

Kurs, sind sie alle gleich. Büffeln

Tourismus, fliessen in diesem Kurs

ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein

zögerung immer dann gehäuft

am ITW in Luzern die «touris-

zusammen – Letzteres geschieht

Verbrechen, welches im Extremfall

auftritt, wenn die Konjunktur

tische Dienstleistungskette»,

durch organisierten Gedanken-

mit mehrjährigem Freiheitsent-

abflacht. «Allerdings», weiss

lernen «das System Tourismus als

austausch zwischen Studierenden

zug zu ahnden ist.» Klar ist somit

Barbara Lips aus Erfahrung, «ist

kognitive Landkarte verstehen»

und Praktikern. «Die Vermittlung

auch, dass die Teilnehmer des

auch die Dunkelziffer bei diesem

oder dessen «Einbettung in das

von Fachwissen, die Schulung von

Master-Studienganges Forensics

Verbrechen extrem hoch.» Oft sind

ökonomische und technologische

persönlichen Handlungskompe-

am Competence Center Forensik

es kantonale Konkursämter, die im

Umfeld». Dann, im zweiten Teil

tenzen und der Auf- und Ausbau

und Wirtschaftskriminalistik der

Rahmen von Konkursabwicklungen

Kon ku rsdeli kte

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auf Unregelmässigkeiten stossen,

sowie das Beurteilen von kritischen

das Wasser bis zum Halse steht

Belege sicherzustellen. Dies gilt

die auf mögliche Delikte hinwei-

Posten in der Buchhaltung eines

und der versucht, sein Unter-

insbesondere auch für das zweite

sen. Sie erstatten dann bei den

konkursiten Unternehmens.

nehmen mit allen Mitteln am

Täterprofil, den Unternehmensfüh-

Strafverfolgungsbehörden Anzeige.

«Oft», sagt Barbara Lips, «geht es

Laufen zu halten und deshalb in

rer, der seine Firma wissentlich als

Dort, in den Staatsanwaltschaften,

auch darum, den juristisch ausge-

Buchhaltungstricks verfällt oder

Selbstbedienungsladen für private

sitzt juristisch geschultes Personal,

bildeten Studierenden die Scheu

Geschäftsvorkommnisse in seinem

Belange missbraucht und sein

dem für das einschlägige Feld

Fahrzeug oder teure Privatreisen

von Konkursdelikten mitunter das

über den Firmenaufwand abbucht.

ökonomische Vorwissen fehlt. Im Rahmen des modular aufgebauten Studiengangs MAS Forensics soll der Teilkurs Konkursdelikte unter anderem diese Wissenslücke schliessen. Barbara Lips fungiert als verantwortliche Dozentin. Die Juristin mit angeschlossenem Nachdiplomstudiengang zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität kommt aus der Praxis und umreisst die

«Die Studierenden müssen den juristischen Hintergrund von Konkursdelikten, das Konkursrecht verstehen und anwenden können. Sie müssen die dahinterliegenden wirtschaftlichen Zusammenhänge erkennen.»

Ausbildungsziele an die Studieren-

«Zwischen den Extremen, dem überforderten Patron und dem Firmenbesitzer mit bewusster Bereicherungsabsicht, existieren bei Konkursdelikten sämtliche Spielarten», sagt Barbara Lips. Das Motiv ist für die Strafbarkeit von Konkursdelikten grundsätzlich unerheblich. Denn immer ist dem Täter das Bewusstsein abhanden gekommen, dass er als Firmenchef gegenüber seinen Gläubigern –

den folgendermassen:

vor Buchhaltungen und Buchhal-

Hauptbuch schon gar nicht mehr

Angestellten wie Lieferanten – eine

1. Sie müssen den juristischen

tungszahlen zu nehmen.» In vielen

dokumentiert. Möglicherweise

besondere Verantwortung trägt.

Hintergrund von Konkursdelikten,

Fällen kommen Konkursdelikte als

geschieht dies aus dem Motiv

Nimmt er diese nicht wahr und

das Konkursrecht, verstehen und

Nebenschauplatz von Straftaten

der Verschleierung heraus oder

verwendet die Vermögenswerte

anwenden können.

wie Betrug oder Veruntreuung zum

aber, weil der Buchhalter aus

der Firma rechtswidrig, so begeht

2. Sie müssen die dahinterliegen-

Vorschein, und auch deshalb ist es

Kostengründen längst entlas-

er ein Verbrechen, das von Amts

den wirtschaftlichen Zusammen-

bedeutsam, den Kursteilnehmern

sen ist. Da das Unterlassen der

wegen verfolgt werden muss.

hänge erkennen. Dazu gehören ins-

ein ganzheitliches Bild dieser Straf-

Buchführung im Konkursfall bereits

Diese Zusammenhänge werden

besondere das Lesen von Bilanzen

tat zu vermitteln.

einen Straftatbestand darstellt,

den Studierenden aufgezeigt. Wie

und das Erkennen von wirtschaft-

Dieses beginnt mit dem Täter-

ist es für die Strafverfolger von

aber lässt sich ein Täter überfüh-

lichen Entwicklungen im unmit-

profil. Oft steht am Anfang ein

eminenter Bedeutung, Haupt-

ren? Diese Frage beschäftigt die

telbaren Vorfeld eines Konkurses

Firmenpatron, dem finanziell

buch, Geschäftsunterlagen oder

Strafbehörden in ihrer täglichen

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Arbeit, und darauf bekommen sie

Augenhöhe begegnen können.

dass sie ihr Fahrzeug in der Tat über

mir etwas habe gönnen wollen.»

in dem Nachdiplomstudiengang

Denn dass ein Täter freimütig

die Buchhaltung des Unterneh-

Weil dem meist so ist, müssen die

der Hochschule Luzern auch Ant-

eingesteht, er habe einen schwer-

mens hätten laufen lassen. Und

Strafbehörden dem mutmassli-

worten aus der Praxis. Wenn beim

wiegenden Fehler begangen, hat

auf dem Fuss folgt dann meist das

chen Täter von Konkursdelikten gut

Untergang eines Unternehmens

Barbara Lips in ihrer Laufbahn

einschränkende Aber: «Ich habe

präpariert gegenübertreten, und in

ein Verdacht auf ein Konkursdelikt

«noch nie erlebt». Höchstens ob-

so hart für die Firma gearbeitet»,

Luzern lernen sie, wie eine erfolgrei-

auftaucht, zeigt die Erfahrung,

jektiv Geständige, die einräumen,

heisst es dann meist, «dass ich

che Anklage zu bewerkstelligen ist.

müssen möglichst im Früh­stadium Firmenakten beschlagnahmt werden, mitunter auch durch Hausdurchsuchungen oder gar eine Festsetzung eines mutmass-

E xecutive M B A

lichen Täters in U-Haft. Erst das

Studierende beraten Firmen

Studium und die Kenntnis solcher

Herr Nagel, an Ihrem Institut

ging es darum, die Positionierungs-

Wer ist der Auftraggeber und

Dokumente kann die Strafbehör-

für Betriebs- und Regionalöko-

strategie im Vertrieb in der Schweiz

was sind die Kosten?

den in die Lage versetzen, einen

nomie IBR bieten Sie einen

zu überprüfen. Für eine KMU

Meist ist es die Geschäftsleitung,

mutmasslichen Täter mit harten

berufsbegleitenden Executive

der Lebensmittelbranche haben

die für ein Fünfer-Team Studieren-

Fakten zu konfrontieren, um damit

MBA an. Wo rekrutieren Sie

Studierende untersucht, wie sich

der pauschal 5’000 Franken be-

den Verdacht auf ein Konkursdelikt

Ihre Studierenden?

das Vertragswerk der Bilateralen II

zahlt. Damit sind unsere internen

auch beweismässig zu erhärten.

Sie kommen aus verschiedenen

auf Angebotspalette und Vertrieb

Kosten für die Begleitung der Man-

«Wichtig ist für die Studierenden

Branchen, aus Privatunternehmen,

in der Schweiz auswirken wird.

date abgedeckt. Die Ergebnisse

dabei zweierlei», sagt Barbara

weniger aus der Öffentlichen

Wie profitieren Unternehmen?

werden der Geschäftsleitung oder

Lips, «es gibt kein standardisiertes

Verwaltung und Non-Profit-

Für sie bedeutet es einen Erkennt-

dem Kader präsentiert.

Vorgehen bei der Befragung eines

Organisationen. Alle verfügen über

nisgewinn. Sie sehen sich in ihren

Wie profitieren Studierende?

Verdächtigen, jeder Fall präsentiert

Management-Erfahrung, die sie

eigenen Überlegungen bestätigt,

Sie können ihre Fähigkeiten an-

sich anders; doch immer ist es

über den Executive MBA verbrei-

oder es wird ihnen klar, in welchem

hand eines realen Mandats unter

wichtig, die Geschäftsunterlagen

tern und vertiefen wollen.

Umfeld sie Strategiediskussio-

Beweis stellen und diese Erfahrun-

vorgängig richtig zu lesen und zu

Sie wickeln während des

nen vertiefen müssen. Es ist ein

gen unmittelbar für ihre eigene

verstehen.» Um einen angeklagten

Studiums Beratungsaufträge

unmittelbarer Wissenstransfer von

Berufspraxis nutzen. Sie müssen

Firmenpatron eines Konkursdeliktes

aus der Privatwirtschaft ab.

der Hochschule in die Wirtschaft.

einen Fachbericht schreiben, der

überführen zu können, muss der

Können Sie Beispiele nennen?

Für die Studierenden ist es eine

dann an das auftraggebende Un-

Staatsanwalt diesem inhaltlich auf

Für einen global tätigen Konzern

einmalige Lernchance.

ternehmen geht. Zudem verfassen

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sie einen Beratungsbericht für die

merischen Führungs-, Gestaltungs-

Büchern zumindest rudimentäre

oder Halbtagesseminaren können

Hochschule Luzern. Letzterer dient

sowie Entwicklungskompetenz.

Angaben über ihr Risikomanage-

dann spezifische Themen rund

dazu, die Kompetenz der Studie-

Sie wollen aber keine Berater

ment zu machen. Das Thema

um das Risk Management vertieft

renden für die Gestaltung von

ausbilden?

ist also lanciert, und das IFZ hat

werden. IFZ-Dozent Stefan Hun-

Beratungsprozessen zu erhöhen.

Nein. Unsere Teilnehmenden stre-

sich auf dem Gebiet schon seit

ziker etwa leitet Veranstaltungen

Was müssen die Studierenden

ben eine höhere Management-

längerem eine Expertise aufge-

über «Entwicklung von Risikokenn-

nach Abschluss des Executive

Position an. Etliche der Ehemaligen

baut. Stufengerecht werden denn

zahlen und Frühwarnindikatoren»

MBA Luzern beherrschen?

sind heute CEOs. Unsere Mandate

auch potentielle Interessenten

oder «Methoden der Risikoag-

Zweierlei ist entscheidend. Das Ver-

sind Teil einer Management-

für das Thema sensibilisiert. Am

gregation» und auch «Vom Con-

ständnis von unternehmerischen

Ausbildung, die in der Regel in eine

KMU-Forum etwa, den Abendver-

trolling zum Risiko-Controlling».

Problemstellungen unter ganzheitli-

operative Tätigkeit in Unterneh-

anstaltungen des IFZ, an denen

Diese kleine Auswahl an Themen

cher Optik. Und die Ausbildung und

men oder auch in der Öffentlichen

sich Unternehmer, Praktiker und

zeigt freilich auch: Es existiert kein

Weiterentwicklung einer unterneh-

Verwaltung münden soll.

Wissenschaftler über Probleme im

integrales System der Risikoanaly-

Unternehmensalltag austau-

se und -bewirtschaftung, das sich

schen, war Risk Management in

über Unternehmen und Branchen

KMU bereits wiederholt ein The-

gleichermassen stülpen liesse. Zu

ma. «Oft ist dies die Initialzün-

unterschiedlich sind die Risiken

dung dafür, dass Unternehmer

in den Firmen, den Märkten und

KMU

Topographie von Risiken Geht es um Risk Management

das, was ein Unternehmer sich

in KMU, sind Vorbehalte die

wünscht.

Regel. «Am Anfang», weiss Stefan

Es gilt also, den Patron im KMU

Hunziker, Dozent am Institut

an das Thema heranzuführen und

für Finanzdienstleistungen Zug

das Bewusstsein dafür zu wecken,

IFZ, «ist bei KMU-Unternehmern

dass aktives Managen von Risiken

gegenüber diesem Thema meist

eine unternehmerische Führungs-

eine gewisse Skepsis auszuma-

aufgabe darstellt. Spätestens

die Notwendigkeit eines aktiven

Branchen, in denen sie tätig sind,

chen.» Verständlich: In deren

seit der Gesetzgeber auf den

Risk Management erkennen»,

in den Technologien und Prozes-

Augen wirkt das Management

1. Januar 2008 durch Änderun-

sagt IFZ-Institutsleiter Linard Na-

sen, die sie anwenden.

von Risiken nicht wertschöpfend.

gen im Obligationenrecht (OR)

dig, «vor allem, wenn ihnen auch

Eines bleibt sich freilich überall

Im Gegenteil: Das riecht nach

auch KMU ab einer bestimmten

klar wird, dass Risiken oft auch

gleich: Risiken müssen identi-

Aufwand und Kosten. Nicht

Grösse dazu verpflichtet, in den

Chancen beinhalten.» In Tages-

fiziert, bewertet und gesteuert

30

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

«Geht es um Risk Management in KMU, sind Vorbehalte die Regel.»


werden, und zwar in Unterneh-

Hintergrund, Controller, Qualitäts-

48 Prozent auf 1’135 Studierende

dierenden sowie Teilnehmenden

men ebenso wie in der öffent-

Manager etwa oder Finanzchefs

anwuchsen.

der Weiterbildungsveranstaltungen

lichen Verwaltung oder auch

in KMU. Die Weiterbildung lohnt

Die Anzahl Studierender im

lösten im Kanton Luzern im Jahr

in NGOs, und von überall dort

sich dann besonders, wenn ein

Bereich Weiterbildung der Hoch-

2005 direkte Kaufkrafteffekte

kommen auch die Interessenten

Unternehmen auf einen eigent-

schule Luzern hatte sich innert drei

von rund 56 Millionen Franken aus,

am Thema zum IFZ. Für solche,

lichen Risk Manager setzen will,

Jahren bis 2008 um 11 Prozent

2008 waren es schon rund

die das à fond studieren wollen,

der die Topographie der verschie-

auf 1’930 erhöht. Im gleichen

74 Millionen Franken.

existiert schon seit zehn Jahren

denen Risiken innerhalb der Firma

Zeitraum wuchs die Anzahl Voll-

• Die zusätzlichen Gesamtum­

der vom IBR geleitete, 18 Monate

systematisch zu analysieren hat,

zeitstellen an der Hochschule um

sätze für den Kanton Luzern durch

dauernde Master-Studiengang

und dafür wiederum benötigt

ein Viertel auf 870.6. Der Umsatz

die genannten Akteure beliefen

«Risk Management». Dieser

das Unternehmen eine gewisse

an Geldern stieg um mehr als das

sich im Jahr 2005 auf rund 80

richtet sich primär an Personen

Grösse und Komplexität.

Doppelte auf 28,6 Millionen Fran-

Millionen Franken, 2008 auf 106

ken, und das Gesamtbudget der

Millionen.

Hochschule wuchs um 24 Prozent

• Die wirtschaftliche Tätigkeit

auf 170 Millionen.

der Hochschule Luzern selber hat

Auf der Basis dieser Zahlen errech-

dabei den grössten Anteil an den

nete Simone Strauf, Wissenschaft-

Effekten.

liche Mitarbeiterin am Institut für

Für die Region Zentralschweiz sieht

mit entsprechendem beruflichem

H ochschule L uzern

Eine ökonomische Bilanz

Systemisches Management und

die Autorin folgende ökonomische

Es war der Luzerner Regierungsrat,

Die Anzahl Studierender im

Public Management der Univer-

Effekte:

der den Auftrag an die Universität

Bereich Ausbildung hatte sich

sität St.Gallen, die regionalwirt-

• Die Studierenden der Hochschule

St.Gallen vergab, und Ende März

zwischen 2005 und 2008 um ein

schaftlichen Effekte der Hochschu-

Luzern generieren positive Kauf-

2010 lag die Studie über «Regio­

Viertel auf 3’662 erhöht, und die

le Luzern im Kanton Luzern wie

krafteffekte für die Zentralschweiz in

nalwirtschaftliche Effekte der

Prognose für 2012 rechnete mit

auch der Zentralschweiz. Dabei

Höhe von rund 3 Millionen Franken.

Hochschule Luzern für den Kanton

4’377 auszubildenden Studieren-

kam die Autorin der Projektstudie

• Aufgrund ihrer Einnahmen- und

Luzern und die Zentralschweiz» vor.

den, was gegenüber 2005 eine

zu folgenden Schlüssen:

Ausgabenstruktur ergeben sich für

Basierend auf den Zahlen aus dem

Steigerung von 49 Prozent bedeu-

• Die positiven regionalwirtschaft-

die Hochschule Luzern negative

Jahr 2008, resultierte daraus ein

ten würde. Die stärkste Nach-

lichen Effekte der Hochschule

regionalwirtschaftliche Effekte für

umfassendes Bild des Ist-Zustan-

frage verzeichneten dabei die

Luzern für den Kanton Luzern

die Zentralschweiz in Höhe von

des, Vergleichswerte aus dem Jahr

Studiengänge des Departements

haben sich in den vergangenen

rund 8 Millionen Franken – es findet

2005 erlaubten zudem ein Abbild

Wirtschaft, dessen Studierende in

drei Jahren weiter erhöht.

ein Kaufkraftabfluss aus der Zent-

der jüngeren Entwicklung.

Ausbildung innert drei Jahren um

• Die Hochschule Luzern, ihre Stu-

ralschweiz in dieser Höhe statt.

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

31


G eldwäscherei

• Für die Hochschule Luzern, die

nanz findet. Dazu zieht die Autorin

Bares aus dem Irgendwo

Studierenden und die Teilneh-

der Studie folgendes Fazit:

Der Fall ging durch die Presse.

wird. Einzige Aufgabe: Zahlungen

menden an den Weiterbildungs-

• Neben den monetär messbaren

«Hinter Job-Angeboten steckt

zu empfangen, in das Ausland

veranstaltungen ergibt sich in der

Effekten existieren Kompetenz­

Geldwäscherei», titelte etwa

weiterzuleiten und eine Provision

Summe ein negativer Saldo von

effekte, die sowohl für den Kanton

die Neue Luzerner Zeitung, und

zu kassieren. Scheint einfach

rund 4,6 Millionen Franken – die

Luzern als auch für die Zentral­

für Adrian Schulthess, Leitender

und ohne Risiko – und so gibt

direkten Effekte für die Zent-

schweiz positiv sind.

Staatsanwalt im Kanton Aargau,

es etliche, die einsteigen. Der

ralschweiz sind also negativ.

• Die Hochschule Luzern kann

ist dies eine klassische Kombina-

ewig klamme Student etwa, die

Neben diesen rein ökonomischen

dazu beitragen, den Brain Drain

Effekten untersuchte die Autorin

der Zentralschweizer Kantone zu

auch die Erwerbssituation der Ab-

verringern und den Anteil Hoch-

«Die Hochschule ist für die Attraktivität des Kantons ein Faktor.»

«Die Ermittler benötigen für Verständnis und Aufdeckung neben juristischen und forensischen auch gewisse IT-Kenntnisse.»

solventen. Von den Studierenden

qualifizierter zu erhöhen.

tion von Computerkriminalität

unterbeschäftigte Hausfrau, der

des Abschlussjahres 2006 an der

• Die Hochschule Luzern und die

und Geldwäscherei. Eine typische

Arbeitslose, der endlich wieder

Hochschule Luzern waren ein Jahr

Verfügbarkeit qualifizierter Arbeits-

Kette von verschiedenen Delikten,

einmal zu Barem kommen will.

nach Studienende 96 Prozent der

kräfte kann ein Standortfaktor für

wie sie sich bestens eigne, seine

Sie alle heben also das Geld ab,

Absolventen erwerbstätig – zwei

Unternehmen sein, der in den

Studierenden im MAS Forensics

welches aus dem Irgendwo auf

Prozent mehr als im Durchschnitt

kommenden Jahren zunehmend

an der Hochschule Luzern auf die

ihrem Bankkonto landet, und

der Schweiz. Nach fünf Jahren wa-

an Bedeutung gewinnen wird.

Praxis vorzubereiten.

überweisen dieses, wie verlangt,

ren von den Abschlussjahrgängen

Die Studie bestätige, so lautete

Das Beispiel aus der Zeitung

über eine Geldtransfer-Firma ins

97 Prozent erwerbstätig – exakt

schliesslich das Fazit des auftrag-

kann als Blaupause für ver-

Irgendwo im Ausland – ahnungs-

gleich viele wie im schweizerischen

gebenden Regierungsrates, dass

gleichbare Fälle dienen. Ein

los machen sich die sogenannten

Durchschnitt. Diese Zahlen lassen

Hochschulen für die Entwicklung,

fiktives Unternehmen versendet

Finanz-Manager zum Handlan-

den Schluss zu, dass die Absolven-

die Volkswirtschaft und die Attrak-

E-Mails an Privatpersonen in der

ger, um betrügerisch erwirtschaf-

ten der Hochschule Luzern eine

tivität eines Kantons ein bedeuten-

Schweiz, in denen ein lukratives

tetes Geld aus Online-Kanälen

Ausbildung durchlaufen haben, die

der positiver Faktor seien.

Nebeneinkommen als «Finanz-

zu verschieben. Meist stammt

Manager» in Aussicht gestellt

dieses aus illegalen Geschäften,

auf dem Arbeitsmarkt grosse Reso-

32

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


sogenanntem Phishing, bei dem

Computerdelikt ausgelöst wird.

mutmasslichen Täters mit dem

durch die ermittelnde Behörde

über Internet-Banking getätigte

Sie erfahren, dass bereits dies

Auftraggeber und über entspre-

erfolgen kann.

Zahlungen auf Konten von Be-

wegen Missbrauchs einer Daten-

chende Belege für Bargeldüber-

Modern an dieser Art Verbrechen

trügern umgeleitet werden. Und

verarbeitungsanlage eine Straftat

weisungen zu verfügen. All dies

ist die Mehrdimensionalität

der angeheuerte Finanz-Manager

darstellt, allerdings die Täter aus

ist Voraussetzung dafür, diesen

der Straftat, und die Ermittler

ist das Bindeglied, um das Geld

dem Ausland auf Server in der

erfolgreich der Tat überführen

benötigen für Verständnis und

spurlos auf Nimmerwiedersehen

Schweiz zugreifen und deshalb

zu können – allerdings meist nur

Aufdeckung neben juristischen

verschwinden zu lassen. Beim

kaum dingfest zu machen sind,

dann, wenn die Einvernahme des

und forensischen auch gewisse

Phishing versenden Betrüger via

und auch, dass ohne Spezialisten

mutmasslichen Täters schnell

IT-Kenntnisse – all dies wird den

E-Mail eine Schadenssoftware,

aus der IT-Forensik hier ohnehin

und unter Ausnutzung eines ge-

Studierenden in diesem Nachdi­

die sich nach Öffnung der elektro-

nichts auszurichten ist. Auslösend

wissen Überraschungsmoments

plomstudiengang nahe gebracht.

nischen Botschaft im Computer

für die Strafverfolgung ist denn

des Betroffenen ausbreitet und

auch meist eine Information der

bei dessen nächstem E-Banking

Meldestelle für Geldwäscherei,

die ausgelöste Zahlung auf ein

nachdem diese von einer Bank

Konto der Delinquenten umleitet.

über die betrügerische Fehllei-

«Den angeheuerten Finanz-Ma-

tung einer Zahlung aus dem E-

Fingerleichte Virtualität

nagern ist oft nicht bewusst, dass

Banking orientiert worden ist. Die

Die quälende Frage kennt jeder,

hatte und das Thema ihn nicht

sie ein Rädchen in einem grös-

Studierenden bekommen auch

der in einem Einrichtungshaus

mehr losliess. Mittels mobiler Kom-

seren Betrugsfall sind, und meist

Einblick in die Art, wie die Kausal-

steht und Möbel aussucht: Wie

munikation, sagte er sich, liesse

auch nicht, dass sie sich strafbar

kette der Geldwäscherei abläuft,

sieht die ausgewählte Kommo-

sich vielleicht Abhilfe schaffen.

machen», sagt Adrian Schulthess.

und werden sich bewusst, dass

de, der Tisch oder das

Eine einfache Bedienung,

Für den Staatsanwalt ist gerade

im Grunde der einzige Täter, der

Sofa im Ambiente der

so viel war klar, musste

die Komplexität dieses Verbre-

überführt werden kann, der in der

eigenen vier Wände wohl

Voraussetzung sein, und

chens prima Anschauungsmateri-

Schweiz angeheuerte Finanz-

aus? Schwierig, sich das

dies, kombiniert mit den

al für seine Studierenden, die sich

Manager ist, der für den Betrug

vorzustellen. Das dachte

meist aus Strafverfolgungs- und

sein Konto zur Verfügung gestellt

sich auch Patrick Sassine, Leiter

ten der virtual reality, könnte die

Ermittlungsbehörden rekrutieren.

hat. An diesem Punkt ist beson-

E-Commerce bei Möbel Pfister,

Lösung sein. Marketingleiter Carlos

Sie lernen, wie der Zahlungsver-

ders wichtig, all diese Zusam-

nachdem er an der Hochschule

Friedrich gab grünes Licht.

kehr bei den Banken funktioniert

menhänge zu kennen, Zugriff zu

Luzern – Wirtschaft ein CAS in

Heute verfügt Möbel Pfister über

und wie das am Anfang stehende

haben auf den E-Mail-Verkehr des

Online Communication besucht

eine App, die Verblüffendes kann.

handel

40 Jahre

modernen Möglichkei-

Hochschule Luzern – Wirtschaft

33


Auf dem iPhone beispielsweise

1882 gegründeten und heute

pen verfolgt eine eigene Agenda,

Diese Fragen stellten sich auch

lässt sich ein Photo der eigenen

grössten Fachanbieter für Möbel,

eigene Interessen, und meist

die Verantwortlichen am Institut

Innenräume schiessen und darin

Wohn- und Büroeinrichtungen der

ist wohl auch das Bewusstsein

für Tourismuswirtschaft ITW der

mit ein paar Handgriffen ein

Schweiz. «Einen positiven Image-

vorhanden, dass jede einzelne

Hochschule Luzern rund um den

Pfister-Möbelstück hineinkopieren,

Transfer für die Firma und eine

Aktivität eines Hoteliers oder

Leiter Weiterbildung Martin Barth,

welches sich fingerleicht verschie-

Superleistung des E-Commerce-

Liftbetreibers auch auf die Pros-

und die Antwort ist vordergrün-

ben, vergrössern oder auch um

Teams», urteilt Friedrich, habe

perität der Tourismusdestination

dig einfach: Nur wer in die Haut

die eigene Achse drehen lässt.

dies gebracht. Das Angebot soll

als Ganzes einwirkt. Mehr noch:

des anderen schlüpft, erkennt

Wohl noch nie liess sich vor dem

nun laufend ausgebaut werden.

Nachhaltiger ökonomischer Erfolg

dessen Perspektive und kann sein

Kauf eines Einrichtungsstücks

Im Endausbau sollen bis zu

ist nur dann möglich, wenn das

eigenes Angebot mitunter darauf

einfacher ein Eindruck dafür

2’000 Einrichtungsstücke virtuell

Zusammenspiel aller Beteiligten

ausrichten. Tun dies alle beteilig-

erzeugen, wie dieses im trauten

verfügbar sein. Ein stattlicher

Heim aussehen wird. Über hun-

Aufwand, wenn man bedenkt,

dert 3D-Modelle von Möbeln kann

dass für ein 3D-Modell jeder

sich der Kunde inzwischen auf

einzelne Einrichtungsgegenstand

sein Handy zaubern und virtuell in

von allen Seiten fotografiert sein

die eigenen vier Wände transfe-

muss. Und irgendwann in naher

rieren. Einigermassen verblüfft

Zukunft, sagt Sassine, wird es

waren auch viele Kunden über

auch möglich sein, den direkten

diesen innovativen neuen Service

kommerziellen Erfolg der Apps an

optimal austariert werden kann.

ten Anspruchsgruppen, ergibt sich

aus dem Hause Pfister, dem

der Verkaufsfront zu messen.

Wie aber kann ein Hotelier ein

daraus ein Verständnis für das

Bewusstsein für die Nöte und

gemeinsame Ganze fast wie von

Sorgen eines Bergbahn-Betreibers

selbst. So weit die Theorie. Wie

entwickeln, wie können die Mit-

aber ist ein Hotelier dazu zu brin-

glieder des örtlichen Tourismus-

gen, einmal Bergbahn-Betreiber

vereins erfahren, was den Sport-

zu spielen? Wie ist ein Vertreter ei-

T ourismus

Die Brille des Anderen

«Das Planspiel ‹DestinationsManagement› ist eine Mischung aus Lerneffekt, Teambildung und Spass.»

Dienstleister um die Ecke bewegt?

ner Tourismusorganisation einmal

Das Management einer Touris-

Sport- und Event-Dienstleister,

Wie lässt sich in einer Tourismus-

dazu zu verführen, die Brille eines

musdestination ist eine äusserst

Bergbahn-Betreiber, aber auch

destination ein «common spirit»

Event-Dienstleisters aufzusetzen?

komplexe Angelegenheit. Geht es

Touris­musorganisationen und

dafür entfachen, dass Erfolg und

Und wie schliesslich ist die Optik

um die Vermarktung einer Alpen-

meist auch ein lokaler Tourismus-

Misserfolg letztlich nur gemein-

für das gemeinsame Ganze, eben

region, wirken vor Ort Hoteliers,

verein. Jede dieser Anspruchsgrup-

sam erreicht oder erlitten werden?

das erfolgreiche Management

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40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


der Destination, allen erfahrbar zu

Kursleiter Martin Barth, «ebenso

einem Teilnehmer, Geschäftsfüh-

aus Lerneffekt, Teambildung und

machen?

wie Bedeutung und Notwendig-

rer einer Tourismusdestination,

Spass» habe das Destinations-

Der Schlüssel für diese Art von

keit einer einheitlichen und alle

zu urteilen, ist all das mit diesem

Management-Planspiel ihm

Weiterbildung für Touristiker

Anspruchsgruppen umfassenden

modernen Computerspiel tatsäch-

beschert, meint er. Das ist, ohne

liegt in dem Wort «Simulation».

Destinationsstrategie.» Nach

lich zu erreichen. «Eine Mischung

Zweifel, Weiterbildung at its best.

Spielerisch simuliert soll der im Tourismus tätige «homo ludens» dieses komplexe Zusammen-

innovation lab

spiel am eigenen Leib erfahren und so in seiner täglichen Praxis auch anwenden lernen. Das

Radikale Innovation

ITW liess dafür ein computer-

Frau Kaudela-Baum, Sie sind

2006 verschiedene Hochschulen

Themen oder auch zu Aspekten in

gestütztes Planspiel entwickeln,

Dozentin am Institut für Be-

über ein EU-Projekt gegründet

den verschiedenen Phasen eines

bei dem der Hotelier eben die

triebs- und Regionalökonomie

hatten. Die Schweiz war als Nicht-

Innovationsprozesses.

Rolle des Event-Dienstleisters, der

IBR und haben zusammen mit

EU-Land nicht assoziiert, und

Das internationale Dach ist

Tourismus-Funktionär jene des

anderen Dozenten das Inno-

so wurden wir gefragt, ob wir in

«Discontinuous Innovation

Bergbahn-Betreibers einnehmen

vation Lab (ILab) ins Leben

diesem internationalen Rahmen

Lab». Warum dieser Name?

kann – und umgekehrt. Nun hat

gerufen. Worum geht es?

nicht ein Schweizer ILab ins Leben

Die Idee war, ein Lab zu gründen,

er die betrieblichen Herausforde-

Dies ist ein Forum zum Thema

rufen wollten. Ein Jahr später

bei dem sich Personen zusammen-

rungen des anderen zu meistern

Innova­tion, das dem Erfahrungs-

haben wir an der Hochschule

schliessen, die an radikalen oder

– Belegungsziffern, Finanzierungs-

austausch zwischen Praxispart-

Luzern – Wirtschaft das erste ILab

disruptiven Innovationen arbeiten.

oder Investitionsfragen –, die

nern und Hochschule Luzern, aber

durchgeführt. Mittlerweile sind

Es geht also weniger um Fragestel-

allgemeine wirtschaftliche Kon-

auch zwischen den Praxispartnern

auch andere Schweizer Hochschu-

lungen rund um kontinuierliche

junktur zu berücksichtigen und all

untereinander dienen soll.

len dabei. Auch die internationale

Innovations- und Verbesserungs-

dies auf Auswirkungen auf die De-

Wie kam es dazu, das ILab in

Einbindung ist wichtig.

prozesse. Es geht um Diskussionen,

stination als Ganzes im Auge zu

die Schweiz zu bringen?

Welche konkreten Themen

über die auch bahnbrechende,

behalten. Eine Herkules-Aufgabe

An einer internationalen Kon-

kommen da zur Sprache?

eben radikale Innovationen voran-

mit frappanten Erkenntnissen für

ferenz in Göteborg wurden wir

Wenn Forscher und Unternehmer

getrieben werden können.

die Teilnehmenden. «Wirtschaft-

von Forschungskolleginnen und

zusammenkommen, ist dies

Was heisst das konkret?

liche Zusammenhänge und die

-kollegen auf das internationale

immer ein fruchtbarer Boden

Es geht darum, sich darüber klar

Abhängigkeiten untereinander

«Discontinuous Innovation Lab»

für den Austausch zu aktuellen

zu werden, welche Instrumente

treten plötzlich klar zutage», sagt

aufmerksam gemacht, welches

Innovations-Management-

und Kulturen es braucht, um im

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

35


Innovationsprozess Grenzen des

zu gewinnen. Innovationsthemen

auch aus Bern, Zürich oder der

gängen fruchtbar gemacht. Für

Denkens sprengen zu können.

sind unter dem Aspekt des geisti-

Ostschweiz. Und das nächste

angewandte Forschungsprojekte

Wie bewerkstelligen Sie das?

gen Eigentums immer etwas hei-

ILab, unser viertes, findet denn

gehen wir auch direkt auf die

Wir nähern uns diesem Ziel,

kel. Vertraulichkeit ist wichtig, und

auch bei einem Praxispartner in

ILab-Mitglieder zu.

indem wir aktuelle Themen aus

deshalb haben wir auch soge-

Zürich statt. Die meisten unserer

Und auf Seiten der Unterneh-

der Innovationspraxis der betei-

nannte «Terms of Engagement»

Mitglieder sind Firmen mittlerer

men? Wissen Sie von einer

ligten Unternehmen aufgreifen

definiert, die für alle verbindlich

Grösse, aber auch Grossunterneh-

konkreten Innovation, die

und gemeinsam mit diesen ein

sind. Wir streben auch keine

men.

durch das ILab angeschoben

Programm mit Forschungs- und

Massenveranstaltungen im ILab

Gab es schon konkrete Folgen

worden ist?

Praxisreferaten sowie Diskussionen

an, sondern eher einen Club, in

dieser ILab-Aktivität auf

Dazu ist es noch zu früh. Aber

organisieren. Das nächste ILab

dem maximal 60 Unternehmen

Seiten der Hochschule Luzern?

ich bin zuversichtlich, dass dies

befasst sich mit der Frage, wie

Mitglied sind. Zu ILab-Treffen,

Die Erkenntnisse fliessen in die

in ein, zwei Jahren geschehen

produzierende Unternehmen in

die zweimal im Jahr stattfinden,

Lehre ein, und die Praxispartner

wird, wenn das Netzwerk weiter

einer frühen Phase des Innova­

kommt dann vielleicht die Hälfte

werden etwa für Referate in

gefestigt ist.

tionsprozesses Freiräume schaffen

der Mitglieder. In dieser Grösse

Bachelor- oder Master-Studien-

können. Ein Thema in diesem

ist es möglich, intensiv an diesen

Zusammenhang ist die Auslage-

Themen zu arbeiten.

rung von Entwicklungsschritten in

Die Unternehmen müssen

der Phase der Vorentwicklung. Das

also aktives Engagement

kann in anderen Einheiten im Un-

zeigen?

ternehmen geschehen oder auch

Genau. Sie müssen auch Referen-

Herz und Hirn

über externe Dienstleister. Solche

ten stellen und bei den Sessions

Christoph Lengwiler ist ein

bei der Luzerner Kantonalbank als

spezifischen Themen werden im

aktiv mitarbeiten.

umtriebiger Mann. Er wirkt schon

Vizepräsident des Verwaltungsrates,

ILab diskutiert. Immer sind Prakti-

Wie viele Unternehmen ha-

seit 24 Jahren als Dozent an der

und er sitzt im Aufsichtsgremium

ker aus den Unternehmen und der

ben Sie seit der Gründung des

Hochschule Luzern – Wirtschaft.

der shaPE Capital AG, eines an der

Hochschule Luzern beteiligt.

ILab im Jahre 2010 schon als

Seit der Gründung des Instituts für

SIX Swiss Exchange kotierten Fund-

Das heisst aber auch, dass die

Mitglieder gewinnen können?

Finanzdienstleistungen Zug IFZ der

of-Funds im Private-Equity-Bereich.

Unternehmen aus der Privat-

18 Monate nach der Gründung

Hochschule Luzern – Wirtschaft im

Aus diesen Tätigkeiten in- und

wirtschaft Mitglied im ILab

waren es rund 40 Unterneh-

Jahre 1997 ist der promovierte Öko-

ausserhalb der Hochschule Luzern

werden können und müssen.

men. Die Mehrheit stammt

nom Leiter des Instituts und vielfäl-

resultiert auch sein ausgeprägtes

Das Ziel ist schon, die interessier-

derzeit noch aus dem Raum Zent-

tig engagiert in Lehre, Forschung

Engagement für zwei spezifische

ten Unternehmen als Mitglieder

ralschweiz, aber ein Drittel kommt

und Praxis. Nebenbei amtet er

Berufsgruppen: Finanzchefs, Chief

36

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

CFO/Vr


Financial Officers (CFO) also, und

CFOs wechseln oftmals die Un-

chefs verfolgten ja bereits eine

Bankfinanzierungen und Finanzie-

Verwaltungsräte.

ternehmen, in denen sie tätig

umsichtige Finanzpolitik, was sich

rungen über Anleihen angestrebt.

Vor fünf Jahren hat Christoph

sind. Inwieweit müssen sie mit

auch daran ablesen lässt, dass die

Ist der CFO für den finanziellen

Lengwiler zusammen mit Finanz-

dem spezifischen Geschäft ih-

Unternehmen erfolgreich durch

Kreislauf eines Unternehmens,

chefs aus dem Umfeld des IFZ das

res Arbeitgebers vertraut sein?

die Krise gekommen sind. Was sich

also gewissermassen für das

«CFO Forum Schweiz» ins Leben

Der Finanzchef muss das Geschäft

aber sehr wohl verändert

gerufen, welches heute gegen

kennen und die wesentlichen

hat, ist die Einstellung

400 CFOs zu seinen Mitgliedern

Werttreiber verstehen. Nur so kann

vieler zum Risiko.

zählt. Der Verband setzt sich für

er zum nachhaltigen Geschäftser-

Mit welchen Folgen?

Professionalisierung und Innova-

folg beitragen. Und natürlich muss

Die Liquiditätssicherung

tion in der finanziellen Unterneh-

er auch die spezifischen Risiken

steht noch stärker im

mensführung ein und fördert auch

des Unternehmens erkennen und

Zentrum, als das bereits

den Erfahrungsaustausch. Am jähr-

entsprechend reagieren können.

früher der Fall gewesen ist. Der

ökonomische Herz einer Firma

lichen Swiss CFO Day zeichnet er

Das erfordert eine breit gefä-

Grund dafür ist klar: Umsatzein-

zuständig, so repräsentieren die

erfolgreiche Finanzchefs mit dem

cherte Fachkompetenz. Was

brüche, wie wir sie noch in den

Verwaltungsräte als Verantwortli-

«CFO of the Year Award» aus.

muss er können?

Jahren 2007/2008 erlebt haben,

che für die Strategie gewissermas-

Das Finanz- und Rech-

sollen besser abgefedert werden.

sen das Hirn.

nungswesen gehört

Akquisitionsobjekte werden heute

In diesem Bereich will Christoph

selbstverständlich zur

nüchterner beurteilt.

Lengwiler verstärkt aktiv werden.

Kernkompetenz eines

Das heisst?

Bereits besteht am IFZ ein Semi-

Finanzchefs, ebenso

Für Firmenübernahmen werden

narangebot für Verwaltungsräte

Controlling, Treasury

keine Fantasiepreise mehr bezahlt,

von Banken, und diese Expertise

Herr Lengwiler, was zeichnet

und auch Risiko-Management. Er

und im Zweifelsfall wird auf eine

soll nun vertieft und auf andere

den guten Finanzchef aus?

muss aber ebenso seine Grenzen

Akquisition verzichtet. Bei den

Branchen ausgeweitet werden.

Er muss über Führungs­qualitäten

kennen und wissen, wann er Spezi-

Finanzierungskonzepten ist das

Herr Lengwiler, was macht ei-

verfügen, Kopf eines guten Teams

alisten beiziehen muss.

sogenannte Financial Engineering

nen guten Verwaltungsrat aus?

sein. Integrität und Zivilcourage

Hat die jüngste Finanzkrise

oder auch ein hoher Leverage heu-

Er muss aus der Vogelperspek-

müssen ihn auszeichnen, und

bei CFOs zu grundlegenden

te kaum mehr gefragt. Die CFOs

tive seine Firma beurteilen, die

er muss dafür sorgen, dass in

Veränderungen im Verhalten

streben eher wieder eine solide

Geschäftsleitung wohlwollend-

seinem Unternehmen die üblichen

geführt?

Eigenkapitaldecke und nachhalti-

kritisch begleiten. Vom Charakter

Corporate-Governance-Standards

Nach meiner Erfahrung ist das

ge Fremdfinanzierungen an. Bei

her müssen es starke, integre und

eingehalten werden.

nicht der Fall. Die meisten Finanz-

Letzterem wird ein Mix zwischen

teamfähige Persönlichkeiten sein,

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

37


die eben auch unbequeme Fragen

Wir haben in diesem Sommer den

soll. Von der Hochschule Luzern

Weiterbildung planen wir Angebote

stellen können.

Verein swissVR ins Leben gerufen,

aus wollen wir zusammen mit dem

für verschiedene Profile von Ver-

Eigene operative Führungser-

der in enger Zusammenarbeit mit

Verein swissVR ein modulares Ange-

waltungsräten, so für Verwaltungs-

fahrung ist dabei kein Thema?

der Hochschule Luzern – Wirtschaft

bot von Fachkursen und Seminaren

räte in KMU, in börsenkotierten

Doch, das ist durchaus wünschbar,

zu einem Netzwerk von und für

anbieten und auch anwendungsori-

Unternehmen, oder auch unter

aber ein kompetenter Verwaltungs-

Verwaltungsräte ausgebaut werden

entierte Forschung betreiben. In der

branchenspezifischem Fokus.

rat muss nicht zwingend selber als Chef eine Firma geführt haben. Wichtiger ist für ein Verwaltungsratsgremium der richtige Mix der Kompetenzen und Persönlichkeiten.

M arketing

Nebst Branchen- und Geschäfts-

Postmoderne Städte

kenntnissen sollte beispielsweise

Im Kampf um die Aufmerksam-

Hauptbahnhof Zürich ein Feeling

Architektur wird ergänzt und über-

auch Know-how im Bereich Strate-

keit der Konsumenten dringen

von Urbanität und Weltoffenheit,

lagert durch die Medienwelten, die

gie, Marketing, Finanzen und Recht

Markenstrategen immer stärker in

oder am Olympiapark in München

Grenzen zwischen dem Realen und

gewährleistet sein.

den öffentlichen Raum hinein. Was

erstrahlt die mediale Architektur

dem Simulierten verwischen sich.

Sie wollen nun an der Hoch-

in den 1930er Jahren im Times

der BMW-Welt in Licht durchflu-

Der Raum, den wir wahrnehmen

schule Luzern ein Kompe-

Square in New York mit einfachen

teter Opulenz. Marken wie Apple

und erleben, ist immer mehr eine

tenzzentrum für die Aus- und

blinkenden Werbebotschaften aus

oder Prada, BMW oder Swarovski

Mischform von realen und virtuel-

Weiterbildung von Verwal-

Neonröhren begann, sind heute

nutzen die urbane Kulisse gezielt

len Elementen.»

tungsräten aufbauen. Wieso

ganze Markenskulpturen, die mit

für die Markierung von Präsenz und

Für Brand-Manager, Designer und

das?

architektonischen und medialen

Aura. Ihre Flagship-Stores, Brand-

Architekten ergeben sich aus dieser

Das unternehmerische, aber

Mitteln das Wesen der Marke

Museen oder Pavillons profitieren

Konvergenz von Medien und Raum

auch finanztechnische oder auch

zum Ausdruck bringen, Bildinhalte

von diesen gewachsenen Orten

und die Allgegenwart von Infor-

regulatorische Umfeld wird immer

darstellen und Dienstleistungen

und verwandeln sie gleichzeitig.

mationen eine Vielfalt von neuen

komplexer, und Verwaltungs­

verbessern. Diese sogenannten

«Adscreens, Medienfassaden oder

technischen und narrativen Mög-

räte müssen ihre Verantwortung

digitalen Out-of-Home-Medien ver-

digitale Szenarien in Shopping

lichkeiten, um die Aufmerksamkeit

wahrnehmen und auf Augenhöhe

längern die Online-Kommunikation

Malls oder Flagship-Stores liefern

des Konsumenten zu erregen.

mit dem Management agieren

des Internets in den öffentlichen

Bilder von ‹anderen Welten›»,

Bewegung, Licht, Bilder – all das

können. Das erfordert neue Ausbil-

Raum hinein und verändern das

sagt Ursula Stalder, die an der

funktioniert als Reizverstärker. Aus

dungsanstrengungen.

Gesicht unserer Städte. So erzeu-

Hochschule Luzern – Wirtschaft

dem Zusammenspiel von Medien­

Was heisst das konkret?

gen grossflächige Screens etwa im

zum Thema forscht, «die physische

wissenschaften, Markenführung,

38

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


Szenografie, Game Design, Architek-

digitale Szenografien strategisch im

bis hin zu Z wie Zuger oder Zürcher

darüber, wie sich ein User für eine

tur und Städtebau entstehen neue

Sinne der Marke, dramaturgisch im

Kantonalbank.

E-Banking-Session korrekt ein- und

Konzepte für «Alltagsszenografien

Hinblick auf das Story-Telling, die

Das Sicherheitsportal sucht

ausloggt, Merkblätter zu verschie-

postmoderner Städte», wie das die

Erzählung einer Geschichte, und

gerade das zu vermeiden, was es

denen Fragen und Themen rund

Forscherin ausdrückt. Für die Studie-

medial effektvoll konzipiert und

traurigerweise zu vermelden gab:

um das E-Banking. Oder auch

renden gilt es dabei zu lernen, wie

umgesetzt werden können.

dass Leichtsinn oder Unwissen im

Demonstrationsfilme, die ausge-

Umgang mit E-Banking zu Schä-

wählte Sicherheitseinstellungen

den führt. Deshalb ist auf www.

am Computer veranschaulichen.

ebas.ch alles zu lesen, was es zu

Eine gute Sache, und wer sich die

diesem Thema zu wissen gibt: eine

Informationen zu Gemüte führt,

kleine Einführung über «5 Schritte

kann sich vor unliebsamen Überra-

für Ihre IT-Sicherheit», einen

schungen beim E-Banking sicherer

Sicherheitscheck, Informationen

wähnen.

O nline

Sicheres E-Banking Die Meldung prangte Mitte Juli

Gedankenlosigkeit die Horrorvor-

2011 zuoberst auf der Internet-

stellung schlechthin.

plattform www.ebas.ch: «In den

Genau deshalb haben die Be-

vergangenen Wochen veröffent-

treiber der ebas-Website diese Mel-

lichten Cyber-Kriminelle gestohle-

dung dort platziert, gewissermas-

ne Daten, darunter auch eine Liste

sen als abschreckendes Beispiel

mit tausenden von Passwörtern.

dafür, wie Leichtsinn im Internet

Nicht Selbstzweck, kein Allheilmittel

Die Analyse dieser Liste zeigt auf,

bestraft wird. Ebas steht für «E-

Das Thema ist hoch emotional

raumer Zeit das bevorzugte Lehr-,

dass viele Benutzer ein schwa-

Banking aber sicher!», ein Sicher-

und tangiert die gesellschaftliche

Forschungs- und vor allem auch

ches Passwort verwenden. So

heitsportal, welches das Institut

und politische Basis der föderalis-

Beratungsgebiet von Stephan

fanden sich in den am häufigsten

für Wirtschaftsinformatik IWI der

tischen Schweiz: die Gemeinde.

Käppeli, Dozent am Institut für

verwendeten Passwörtern einfache

Hochschule Luzern – Wirtschaft

Hier befindet sich der unmittelbare

Betriebs- und Regionalökonomie

Zeichenfolgen wie beispielsweise

im Auftrag von Schweizer Banken

Lebensmittelpunkt von der Familie

IBR. Er hat sich auf diesem Feld

12345, 99999 oder auch einfache

realisiert hat und seither bewirt-

bis zum Single, hier ist das öffent-

eine profunde Expertise angeeig-

Namen und Wörter wie beispiels-

schaftet. Als Partner mit dabei sind

liche und politische Leben noch

net. Vor über zehn Jahren schon

weise passwort.» Nicht gerade

inzwischen 15 Banken, Grosse und

oftmals im Milizsystem organisiert

begann etwa das Fusionsprojekt

originell das alles, und kein Wun-

Kleine aus der Schweizer Banken-

– ein Wesenszug der helvetischen

Willisau Stadt und Willisau Land,

der, haben die Hacker solches mit

welt, von A wie Alternative Bank

Demokratie auch dies.

später kamen die Mitarbeit im

Leichtigkeit geknackt. Für jeden

Schweiz über C wie Credit Suisse,

Die Gemeinde, genauer: die Fusio­

Projekt Gemeindereform 2000+

Experten in IT-Sicherheit ist so viel

E wie Ersparniskasse Rüeggisberg

nen von Gemeinden sind seit ge-

des Kantons Luzern sowie auch

gemeindefusionen

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

39


«Das grosse Thema ist, wie Ortsteile und Quartiere in grösseren Gemeinden sich ihr Eigenleben bewahren können.»

besser tragen. Qualitativ bessere

im Land ist seit Jahren rückläufig,

Lösungen erzielen sie aber auch in

wenn auch in kantonal unter-

der Raumplanung, wenn es darum

schiedlicher Geschwindigkeit.

geht, Gewerbe- und Wohnzonen in

Dieser Trend wird anhalten. In

einem grösseren Gemeindegebiet

solch grösseren Gemeinden jedoch

räumlich adäquat zu positionieren.

gewinnt die Einbindung der

Dies hilft auch, der Zersiedelung

Einwohner in die verschiedenen

des Landes entgegenzuwirken.

Ortsteile wieder eine grössere

Fusionsabklärungen in den Kanto-

geräumt werden», sagt Stephan

«Niemals jedoch darf eine Ge-

Bedeutung. «Das ist das grosse

nen Zürich und Solothurn hinzu.

Käppeli, «sonst besteht die Gefahr,

meindefusion reiner Selbstzweck

Thema der Gegenwart und Zu-

Kürzlich coachte er im Schulhaus

dass ein durchaus sinnvolles

sein. Und sie ist auch kein Allheil-

kunft», sagt Stephan Käppeli, «wie

Hauenstein einen Workshop zum

Fusionsvorhaben an der Urne eine

mittel für rote Gemeindefinanzen»,

Ortsteile und Quartiere in grösse-

Fusionsprojekt «Olten plus», an

Abfuhr erhält.»

betont Stephan Käppeli.

ren Gemeinden sich ihr Eigenleben

dem insgesamt 53 Bewohner

Sinnvoll kann eine Fusion zweier

Der Trend der Gemeindeentwick­

bewahren und Kompetenzen

von Hauenstein-Ifenthal Vor- und

oder mehrerer Gemeinden sein,

lung in der Schweiz ist jedoch ein-

und Mitsprache vor Ort verankert

Nachteile einer Fusion ihrer Ge-

wenn eine Gemeinde alleine

deutig. Die Anzahl der Gemeinden

werden können.»

meinde mit Trimbach, Wisen und

«nicht mehr überlebensfähig ist»,

Olten diskutierten. Die im Vorfeld

weiss Stephan Käppeli, «etwa, weil

einer Gemeindefusion typischen

sie wesentliche Aufgaben nicht

Ängste der Bevölkerung kamen

mehr selbstständig bewältigen

dabei auf das Tapet. Die Befürch-

kann.» Oder, wenn eine Gemeinde

tung eines Autonomieverlusts

eine strategisch motivierte Fusion

Besonderes Vertrauensverhältnis

etwa, die Angst, nach der Fusion

eingehen will, um im Standort-

Herr Thormann, Sie sind an

könnte, ist ein weitverbreiteter

in einem Parlament bei eigenen

wettbewerb attraktiver zu werden.

der Hochschule Luzern –

Irrtum. Auf der Opferseite gibt es

Anliegen überstimmt zu werden,

Einheiten mit grösserem Personal-

Wirtschaft im MAS Forensics

jedoch wiederkehrende Charakte-

oder auch der Verlust der tradier-

reservoir haben bessere Vorausset-

verantwortlich für den Teilkurs

ristika, wie zum Beispiel Vertrau-

ten dörflichen Strukturen und der

zungen in der Personalrekrutierung

Sexualdelikte. Existiert in

ens- oder gar Abhängigkeitsver-

Dorfschule. «Solche Befürchtungen

für öffentliche Stellen oder poli-

diesem Bereich ein typisches

hältnisse zum Täter.

sind typisch und müssen unter

tische Ämter, die im Milizsystem

Täter-/Opferprofil?

Gibt es ein gängiges Muster?

aktiver Mitwirkung der Bevölkerung

ausgeübt werden, oder können

Nein. Das gibt es nicht. Dass man

Häufig werden persönliche

diskutiert und wenn möglich aus-

auch allfällige Zentrumslasten

ein typisches Täterprofil erstellen

Beziehungen missbraucht, wobei

40

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

S exualdelikte


sich dies nicht auf die Familie

übrigen Alltag wohl kaum an den

Monitoring. Bei physischen Sexual­

Hausdurchsuchungen durchge-

beschränkt. Das können auch

Tag legen würden.

delikten ist es meist das Opfer bzw.

führt, um Datenträger und andere

institutionelle Abhängigkeitsver-

Für den Strafverfolger: Macht

dessen persönliches Umfeld, wie

Beweise zu beschlagnahmen.

hältnisse wie beispielsweise im

es einen Unterschied, ob das

beispielsweise Eltern sowie Fach-

Und bei den anderen?

Bereich der Ausbildung sein; aber

Delikt ein physisches ist oder

stellen im Bereich der Opferhilfe,

Massgebend ist eine innert

auch im Freundes- oder Bekann-

im Internet stattfindet?

welche Anzeige erstatten.

kürzester Frist durchgeführte

tenkreis; allgemein, wo persönliche

Die Straftatbestände, die zur

Wie wird dabei ermittelt?

medizinische Untersuchung, die

Nähe oder besondere Vertrauens-

Anwendung gelangen können,

Geht es um Delikte im Internet,

der Sicherung der Beweislage bzw.

verhältnisse bestehen, wie etwa in

sind weitgehend dieselben. Die

werden nach einem Anfangs-

der Dokumentierung von Spuren

Sportvereinen, können Übergriffe

Konfrontation eines Minderjähri-

verdacht mitunter zunächst

wie Hämatomen oder äusseren

stattfinden. All das ist häufiger als

gen mit einem realen sexuellen

verdeckte Ermittler eingesetzt.

Verletzungen dient. Danach folgt

der Unbeteiligte, der irgendwo

Akt via Webcam ist nämlich

Dabei erhält beispielsweise ein

die opfergerechte Befragung, die

einem Opfer auflauert.

keineswegs virtuell. Hingegen

Polizist eine fiktive Identität, die

von einem spezialisierten Ermittler

Inwieweit existiert ein Tatort

unterscheidet sich die Art und

es ihm erlaubt, in den Chats

durchgeführt werden sollte. Ein es-

Internet?

Weise, wie ermittelt werden muss,

mit dem Verdächtigen Kontakt

sentielles Modul ist entsprechend

Das gibt es natürlich in steigen-

da andere Beweismittel erhoben

aufzunehmen, um zu ermitteln,

jenes, welches der Psychiatrie

dem Masse, und auch hier gilt: Es

werden müssen.

ob dieser zu einem persönlichen

gewidmet ist. Dieses befasst sich

gibt kein typisches Täterprofil. Al-

Woher kommt in der Regel der

Rendezvous mit einem sexuell

auch mit dem in diesem Zusam-

lerdings handelt es sich in diesem

Anfangsverdacht?

Minderjährigen gewillt wäre.

menhang eminent wichtigen

Bereich beinahe ausschliesslich

Im Bereich Internet kommt er oft

Kommt dieses zustande, handelt

Gebiet der Gutachten.

um Männer. Nebst der Verbreitung

von der Koordinationsstelle zur

es sich strafrechtlich um eine

Inwieweit werden die Stu-

und dem Konsum von Kinderpor-

Bekämpfung der Internet-Krimi-

versuchte sexuelle Handlung mit

dierenden an der Hochschule

nographie sind auch die Chats als

nalität (Kobik), gestützt auf deren

einem Kind. Jedenfalls werden

Luzern dafür ausgebildet?

«Jagdfeld» für pädophile Täter zu

Spezialisten erklären, wie bei der

erwähnen. Speziell ist, dass Täter

Spurensicherung und Einvernah-

in ihren Gesprächen sehr schnell Klartext sprechen und konkrete, sexuelle Vorschläge machen. Dabei ist eindrücklich, wie Teilnehmende an solchen Chats sich mit einer Unvorsicht verhalten, die sie im

«Geht es um Delikte im Internet, werden nach einem Anfangsverdacht mitunter zunächst verdeckte Ermittler eingesetzt.»

40 Jahre

me im Bereich der Sexualdelikte vorzugehen ist. Die Studierenden sollen entsprechend in der Lage sein, die Beweise zu erheben und dann zu würdigen, insbesondere die Aussagen, die medizinischen

Hochschule Luzern – Wirtschaft

41


Befunde und die Ermittlungsergebnisse im IT-Bereich. Nur so sind sie in der Lage zu entscheiden, ob eine Anklage zu erheben ist. Ein heikler Punkt bei diesem Delikt sind die Ersteinvernahmen der Opfer. Werden diese speziell trainiert? Es gelten zusätzliche Regeln zum

Es gilt das Bewusstsein zu

«Bei den Studierenden handelt es sich um Juristen aus den Staatsanwaltschaften, welche im Bereich des Sexualstrafrechts nicht spezialisiert sind.»

ent­wickeln, dass es sich für die Beschuldigten wie auch für die Opfer um ein sehr heikles Gebiet handelt; bereits ein Verdacht kann für sämtliche Beteiligten schnell enorme soziale Folgen haben. Im Bereich Internet geht es zudem darum, zu erkennen, dass das Ge-

Schutz der Opfer, insbesondere

durch das Verfahren weitgehend

wickeln – sodass die notwendigen

fahrenpotential und der potentielle

wenn es sich um Kinder handelt.

zu vermeiden, ein Opfer soll also

Beweismittel schnell und verwert-

psychische Schaden für Opfer in

Deshalb widmet sich ein spezifi-

nicht noch ein zweites Mal zum

bar sichergestellt werden können.

den Chats keinesfalls ein virtueller,

sches Modul der diesbezüglichen

Opfer gemacht werden. Deshalb

Damit kann nämlich oftmals

sondern ein sehr realer ist.

Ausbildung. Dabei geht es um op-

sollten im Gegensatz zu anderen

verhindert werden, dass am Ende

fer- und altersgerechte Befragung

Delikten auch die Befragungen auf

der Strafuntersuchung Aussage

Oliver Thormann ist seit März 2011

sowie um den Umgang damit,

maximal zwei begrenzt werden,

gegen Aussage steht. In diesem

Abteilungsleiter Internationale

dass ein Opfer gewisse intime

was die Verfahrensleiter bei der

Sinne sollen die Studierenden sich

Rechtshilfe und Zusammenarbeit

Fragen nicht beantworten muss.

Planung des Strafverfahrens

in diesem pluridisziplinären Umfeld

bei der Bundesstaatsanwaltschaft

In diesem Zusammenhang findet

berücksichtigen müssen.

erfolgreich betätigen können.

in Bern, zuvor war er Untersu-

auch eine Auseinandersetzung mit

Insgesamt, was steht als Ziel

Und auf der psychologischen

chungsrichter im Kanton Freiburg,

der Aussagenpsychologie sowie

der Ausbildung zuoberst?

Ebene?

zuständig für Sexualdelikte.

den Glaubhaftigkeitsgutachten

Bei den Studierenden handelt es

statt. Bei Sexualdelikten steht

sich in der Regel um «Allgemein-

ja oft Aussage gegen Aussage;

praktiker», um Juristen aus den

gerade deshalb ist es sehr wichtig,

Staatsanwaltschaften, welche im

sowohl die Aussage des Beschul-

Bereich des Sexualstrafrechts nicht

digten als auch die des Opfers auf

spezialisiert sind. Sie sollen in die

Ganzheitliches Verständnis

ihre Plausibilität zu überprüfen. Es

Lage versetzt werden, das gesamte

«Lange Zeit», sagt John Davidson,

zu langweilig erschien vielen das

geht hier um einen Mix zwischen

einsetzbare Instrumentarium zu

«haben Immobilien und Immo-

Thema. Zu Unrecht, wie er findet.

Verfahrensrecht und Psychologie.

kennen, um insbesondere im Rah-

bilien-Management ein Mauer-

«Immobilien sind ein bedeutendes

Wichtig ist aber auch, die soge-

men der Pikettdienste die richtigen

blümchendasein geführt.» Kaum

Standbein jeder Volkswirtschaft, das

nannte Sekundär-Viktimisierung

Reflexe für das Vorgehen zu ent-

einer habe sich dafür interessiert,

grosse Wertschöpfung generiert.»

42

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

I mmobilien


John Davidson hat Argumente auf seiner Seite: «Architekten, Bauwirtschaft, Immobilienbewirtschafter, aber auch Manager von Immobilienfonds, alle befeuern sie den Immobilienmarkt», sagt

abschluss verfügen. Ob Bachelor

«Ob Bachelor oder Master, die Studierenden müssen den Puls des Immobilienmarktes spüren.»

oder Master, die Studierenden müssen den Puls des Immobilienmarktes spüren. Dies ist John Davidson ein zentrales Anliegen. Deshalb wird er demnächst mit seiner Bachelor-

er, «zusammengenommen ist

aufgebauten Angebot erlernen

der «MAS Immobilienmanage-

Klasse eine Studienreise nach Lon-

das grosses Business, welches in

die Bachelor-Studierenden das

ment», ein Weiterbildungsange-

don unternehmen, dorthin, wo im

entwickelten Volkswirtschaften

Basiswissen zum Thema. Module

bot, bei dem die Finanz- und die

Jahre 2012 die Olympischen Spiele

über zehn Prozent des Bruttoin-

wie «Immobilien verstehen»,

Immobilienwelt zusammengeführt

stattfinden werden. Denn das, ist

landsproduktes (BIP) erwirtschaf-

«Immobilien planen & bauen»,

werden. Im Zentrum steht die

Davidson überzeugt, ist Anschau-

tet. Im Vergleich dazu trägt das

«Immobilien bewerten», «Immo-

Immobilie als eigenständige

ungsunterricht vom Feinsten: Wie

Kreditwesen lediglich rund acht

bilien bewirtschaften» sowie «in

Anlageklasse, aber auch als

sich der Immobilienmarkt an der

Prozent zum BIP bei.» Er weiss,

Immobilien investieren» fügen

Produktions-, Investitions- sowie

Themse am Vorabend des Sportan-

wovon er spricht. Der promovierte

sich zu einem ganzheitlichen

Wertschöpfungsfaktor. Bei den

lasses verändert, wie ein zum Event

Ökonom hat bei der Grossbank

Einblick in das Immobilenmanage-

Studierenden handelt es sich meist

geplantes modernes Shoppingcen-

UBS im Asset Management und

ment zusammen. «Das Interesse

um Profis, die in Architekturbüros,

ter aussehen wird, all das will der

bei dem Rückversicherer Swiss Re

ist gross», sagt Studienleiter David-

in der Bauwirtschaft, bei Banken

Studienleiter zusammen mit seinen

als Investment Professional im

son, «der erste Kurs zählte zwanzig

oder Immobilienverwaltungen

Studierenden rund um den Big Ben

Bereich Private Equity und Real Es-

Studierende, beim zweiten sind es

tätig sind und über einen Univer-

mit eigenen Augen erkunden.

tate gearbeitet. Seit 2009 ist John

bereits mehr als doppelt so viele.»

sitäts- oder einen Fachhochschul­

Davidson Dozent und Projektleiter

Dies zeigt, dass das IFZ mit diesem

am Institut für Finanzdienstleis-

Angebot in der Schweizer Bildungs-

tungen Zug IFZ mit Schwerpunkt

landschaft eine Lücke schliesst

Real Estate und Private Equity in

und zur Professionalisierung der

Forschung und Lehre.

Immobilienbranche beiträgt. Die

Im Bereich Real Estate hat er

Studierenden verfügen meist über

Fülle von Daten

inzwischen mit der Schule Neuland

eine kaufmännische Ausbildung

Der Auftrag kam bereits im

tem Schweiz» die Auswirkungen

betreten: Seit diesem Jahr existiert

sowie mindestens zwei Jahre

Jahr 2004 vom Bundesamt für

der Fussball-Europameisterschaft

am IFZ im Bachelor in Business

Berufspraxis und wollen aktuelles

Sport (Baspo), und er lautete,

«Euro 2008» in der Schweiz

Administration eine Studienrich-

Wissen rund um Immobilien meist

im Rahmen des Forschungs­

­wissenschaftlich zu untersuchen.

tung «Immobilien» – ein Novum

für ihren Berufsalltag erwerben.

programms «Wirtschaftlichkeit

Beauftragt wurden das For-

für die Schweiz. In diesem modular

Seit 2005 existiert am IFZ zudem

und Nachhaltigkeit im Sportsys-

schungsinstitut für Freizeit und

E uro 2 0 0 8

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

43


Tourismus (FIF) der Universität Bern, die auf sozioökonomische Forschung und Beratung spezialisierte Rütter und Partner sowie das Institut für Tourismuswirtschaft ITW der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Die

Hand: Die Öffentliche Hand

«Die Analyse kann allen Wirkungsforschern im TourismusBusiness vorbehaltlos zur Lektüre empfohlen werden.»

umfassende Evaluation verfolgte

investierte rund 150 Millionen Franken in die «Euro» und leistete damit im Urteil der Autoren «einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Fussballfestes». Nahezu ebenso viel, insgesamt 140 Millionen Franken, nahm der

zwei Ziele:

Befragungsresultaten wurden

verschiedenen Dimensionen

Staat dank der «Euro» wieder an

• die zentralen ökonomischen,

für diese ex-ante- und ex-post-

waren folgende:

Steueraufkommen ein.

ökologischen und sozialen Nach-

Analyse zusammengetragen,

• Wertschöpfung und Beschäfti-

• Image: In Deutschland und

haltigkeitseffekte der «Euro» in

evaluiert und interpretiert. Als

gung: Die «Euro» generierte in der

Frankreich wurden Bekanntheit

ihrer Dynamik zu erfassen;

diese immense wissenschaftliche

Schweiz volkswirtschaftlich rele-

und Image der Schweiz rund

• Messmethoden zu entwickeln,

Arbeit getan war, waren fünf

vante Umsätze von 1,7 Milliarden

um die «Euro» untersucht. Es

die längerfristige Vergleiche

Dimensionen auf ihre Nachhal-

Franken, die Bruttowertschöpfung

wurde «eine leichte Steigerung

zulassen und auf andere Sport-

tigkeit hin untersucht:

betrug rund eine Milliarde Fran-

der Bekanntheit» festgestellt.

Grossveranstaltungen übertragen

1. Ökonomie, 2. Gesellschaft,

ken. Die Wertschöpfung ent-

Die Wahrnehmung der Schweiz

werden können.

3. Ökologie, 4. Infrastruktur,

sprach damit auf das Jahr 2008

vor und nach der «Euro» zeigte

Herausgekommen ist eine 566

5. Medien. Aus all diesen Berei-

hochgerechnet einem Beitrag

jedoch nur geringe Unterschie-

Seiten starke Studie «Euro 2008

chen wurden zentrale Indikato-

zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)

de. «Das Image der Schweiz»,

und Nachhaltigkeit – Erkennt-

ren analysiert, so etwa «induzier-

von 0,18 Prozent. «Angesichts der

urteilten die Autoren, «wurde auf

nisse zu Auswirkungen und

te Logiernächte»,

Grösse der Schwei-

hohem Niveau gefestigt.»

Einschätzungen in der Schweiz».

«Mitglieder in Fuss-

zer Volkswirtschaft

• Fussballnachwuchs: Zwischen

Das Cover zeigt, durchaus

ballvereinen», «Ver-

und der Tatsache,

2000 und 2007 verzeichnete der

passend zum Anlass, den Berner

kehrsaufkommen»,

dass der Event le-

Schweizer Fussball ein Wachstum

Bundesplatz im Oranje-Meer, im

«Unterhaltungs-/

diglich rund einen

von 30’000 neuen Juniorenspie-

Hintergrund das Bundeshaus, im

Beherbergungs-/

Monat dauerte, ist

lern, allein zwischen Mai 2007

Vordergrund eben die hollän-

Medieninfrastruk-

dieser Anteil be-

und Juli 2008 meldeten sich bei

dischen Fans als Sinnbild für

tur», aber auch

achtlich», urteilen

den Vereinen 4’200 neue Junio­

besonders stimmungsfreudige

«Medienpräsenz

die Autoren der

ren – demgegenüber blieb der

Anhänger des Fussballs. Eine

der Euro». Zentrale

Studie.

Anteil der Mädchen im Junioren-

Fülle von Daten, Statistiken und

Resultate aus den

• Öffentliche

fussball mit elf Prozent stabil.

44

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


• Ökologie: Für die Anreise in

Die wissenschaftliche Qualität

beurteilt die Analyse als «sehr

schern im Freizeit- und Touris-

die Stadien wurde sehr oft der

der Studie wird von Fachleuten

interessante sowie durch und

mus-Business ohne Vorbehalte

öffentliche Verkehr genutzt, be-

positiv beurteilt. Ein Rezen-

durch solide Impact-Analyse»,

zur Lektüre empfohlen werden».

sonders von Schweizern, weniger

sent der Universität Würzburg

sie könne «allen Wirkungsfor-

von ausländischen Besuchern, deren Anreise in das Land meist im Automobil oder Flugzeug

C ybercops

erfolgte. Insgesamt löste die «Euro» Treibhausemissionen von geschätzten 135’400 Tonnen

Sheriffs im Netz

CO2-Äquivalente aus, die Abfall-

Sie arbeiten im grössten Tatort

zum vier Wochen dauernden Aus-

einen Ausbildungspartner auf

menge in den Spielorten betrug

der Welt, dem Internet, nen-

bildungsgang zusammenfinden,

Hochschulstufe für die neue

pro Spieltag rund 12,4 Tonnen.

nen sich Cybercops. Und die

allesamt Angestellte staatlicher

Disziplin der IT-Ermittler suchte,

Die Auswirkungen der «Euro»,

Deutschschweizer Experten in

Behörden, Mitglieder kantonaler

lag es wohl nahe, dieses Angebot

urteilen die Autoren, können ins-

dieser neuartigen Disziplin der

Polizeicorps meist, mitunter aber

ebenfalls in Luzern anzusiedeln.

gesamt als «ökologisch verant-

IT-Ermittler werden am Institut

auch aus der Zollfahndung oder

Die ersten Teilnehmer waren noch

wortbar eingestuft werden».

für Wirtschaftsinformatik IWI der

der Wettbewerbskommission

Polizisten mit klassischem beruf-

• Fazit: In wirtschaftlicher Hinsicht

Hochschule Luzern – Wirtschaft

(Weko).

lichem Werdegang, ehemalige

war die «Euro 2008» laut Studie

ausgebildet. An unscheinbarer

Seit dem Jahr 2002 existiert

Absolventen einer kantonalen

ein Erfolg. Über ein Drittel der er-

Lokalität an der Zentralstrasse, im

dieser exklusive Ausbildungsgang

Polizeischule, die während ihres

rechneten Wertschöpfung, heisst

vierten Stock, befindet sich das

für IT-Ermittler. Dass dieser für

Berufsalltags breiten Erfahrungs-

es dort, «wurde aus dem Ausland

Sicherheitslabor, die Ausbildungs-

die Deutschschweiz in Luzern

schatz als generalistische Ermittler

induziert». Kritischer beurteilen die

stätte für IT-Ermittler. Knapp zwei

angesiedelt ist, ist glückliche

angesammelt hatten und nun

Autoren das Postulat der Nach-

Dutzend Computerbildschirme,

Fügung. Das Competence Center

spezifische Informationen im

haltigkeit. «Die Euro war kurzfristig

meist drei pro Arbeitsplatz – hier,

Forensik und Wirtschaftskrimina-

neuen Gebiet der IT-Ermittlungen

betrachtet bezüglich aller unter-

im geschützten Raum, üben die

lität (CCFW) existierte schon am

suchten. «Das Profil der Kursteil-

suchten Dimensionen weitest-

zukünftigen Cybercops für zukünf-

IWI – ein Ausbildungsgang für

nehmer hat sich inzwischen stark

gehend nachhaltig», schreiben

tige Einsätze im World Wide Web.

Profis, die mit der Verhinderung,

verändert», sagt der zuständige

sie, «bei einer längerfristigen

Es ist eine geschlossene Gesell-

Aufdeckung, Verfolgung oder

Dozent Maurizio Tuccillo, «heute

Betrachtung waren die Effekte

schaft, handverlesen sind die

auch prozessualen Aufarbeitung

sind es oft Informatiker, polizeili-

auf die nachhaltige Entwicklung

Teilnehmer vom Schweizerischen

von Straftaten betraut sind. Als

che Quereinsteiger mit IT-Hinter-

jedoch eher bescheiden.»

Polizei-Institut (SPI), die sich hier

das Schweizerische Polizei-Institut

grund.»

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

45


Kaum verändert haben sich

können. Immer geht es darum, im

Sind sie fündig geworden, beginnt

zuhanden der auftraggebenden

jedoch die Erwartungen an

Rahmen einer Spurensicherung

nach der technischen Auswertung

Staatsanwaltschaft verfasst und

den Kurs zum IT-Ermittler. «Oft

Daten mit objektiver Aussage-

die eigentliche Interpretation

der auch in die Gerichtsakten

herrscht die Vorstellung, eine Art

kraft zu erlangen, die vor Gericht

des Sachverhalts. Es geht um die

einfliesst. Nicht selten ist dieses

Kochbuch in die Hand zu bekom-

juristisch verwertbar sein müssen,

Frage: Können die gefundenen

Beweisstück ausschlaggebend für

men», sagt Tuccillo, «Rezepte

mit dem Ziel, die untersuchten

Daten einwandfrei einer verdäch-

den Ausgang eines Gerichtsver-

als Anleitung zur Lösung von in

Vorkommnisse nachvollziehbar

tigten Person zugeordnet werden?

fahrens.

Bearbeitung befindlichen Fällen.»

darzulegen.

Oder wurde deren IT-Anschluss

Dermassen präpariert, gehen die

Dieses Bild demontiert der Dozent

Dabei müssen gefundene Daten

von Dritten missbraucht? Das zu

Kursteilnehmer als Cybercops wie-

noch jedes Mal zu Beginn des

im Hinblick auf ein zu unter-

eruieren erfordert vom Ermittler

der in ihren Berufsalltag zurück.

Kurses. Pauschalrezepte gibt es

suchendes Delikt interpretiert

einen kühlen Kopf, detektivischen

Im Wissen, dass sie einen Werk-

nicht, da jeder Fall, jedes Delikt

werden. Für die Kursteilnehmer

Spürsinn und vor allem eine nüch-

zeugkasten für IT-Ermittlungen

sich anders präsentiert. Und nach

bedeutet dies mitunter einen

terne, präzise Sprache. Am Schluss

mitnehmen. Und auch, dass erst

dem Kurs hat der Teilnehmer

Ausflug ins Mathematische. Sie

steht schliesslich der schriftliche

die Erfahrung den wahren Meister

zwar eine «gewaltige Lernkurve»

machen Bekanntschaft mit dem,

Bericht, den der IT-Ermittler meist

macht.

hingelegt, wie Tuccillo das nennt,

was IT-Experten den Hash-Wert

aber mehr als ein Anschub in

nennen, einem technischen digi-

die weite und komplexe Welt der

talen Fingerabdruck, der jedem

IT-Ermittlungen kann auch dieser

Datensatz eigen ist. Haben etwa

nicht sein.

im Kampf gegen die Kinderpor-

Grundlagen der IT, die Funktions­

nografie zwei im Rahmen einer

weise von Computern und Netz-

Fahndung sichergestellte Daten-

Beratung zwischen Management und Politik

werken, stehen am Anfang, dann

mengen den gleichen Hash-Wert,

Oliver Kessler, studierter Staats-

Non-Profit-Organisationen (NPO/

aber geht es im Sicherheitslabor

handelt es sich um ein und

wissenschaftler, ist heute Leiter

NGO) führte ihn sein Weg zum

ans Eingemachte. Die Cybercops

denselben Inhalt, etwa das iden-

Public and Nonprofit Manage-

Sozialdepartement der Stadt

in spe erhalten im Laufe der

tische Bild. Nicht das Bild selber

ment am Institut für Betriebs-

Zürich, wo er im Bereich Bildung

Ausbildung einen «technischen

steht dabei für den IT-Ermittler

und Regional­ökonomie IBR.

sowie berufliche und soziale

Werkzeugkasten» in die Hand,

im Zentrum des Interesses,

Wirtschaft, Politologie, Recht

Integration tätig war. Dabei

wie Tuccillo das nennt, durch

sondern der digitale Fingerab-

und Publizistik faszinierten ihn

hat er den öffentlichen und den

den sie verschwundene Daten

druck, den dieser beispielsweise

an der Universität, und nach

Non-Profit-Sektor fundiert kennen

wieder herstellen, entschlüsseln

auf einer konfiszierten Festplatte

diversen beruflichen Erfahrungen

gelernt. Seit 2003 ist er nun am

oder Spuren im Internet sichern

hinterlassen hat.

in der Privatwirtschaft und in

IBR, und wieder ist sein Tätigkeits-

46

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

P ublic and N onprofit M anagement


gebiet mehrdimensional: Leitung

spezifische fachliche Fragestellun-

ten Beratungsauftrag, um die

kompetenz erfordert», sagt Oliver

eines Kompetenzzentrums und

gen beispielsweise im Sozial- und

Umsetzung des neuen Finanzaus-

Kessler.

eines Weiterbildungs-Masters,

Gesundheitsbereich.» Oft werden

gleichs im Behindertenbereich.

Die Studierenden laufen keine

Lehre, Forschung und eben auch

solche Projekte auch in Zusam-

Acht Kantone sind gemeinsam

Gefahr, dass ein Dozent vor ihnen

Beratung; alles befruchtet sich

menarbeit mit der Hochschule

die Auftraggeber, zwei externe

steht, der nicht aus der Praxis

gegenseitig und kommt so auch

Luzern – Soziale Arbeit durchge-

private Beratungsunternehmen

weiss, wovon er spricht. Und die

den Studierenden und Kunden

führt, mit der vor einigen Jahren

wie auch die Hochschule Luzern

Beratungsmandate, welche Oliver

zugute.

ein gemeinsamer Themenschwer-

– Soziale Arbeit sind als fachliche

Kessler und seine Kolleginnen

«Meist kommen die Beratungs-

punkt «Soziales und Ökonomie»

Partner involviert, und punktuell

und Kollegen des IBR bearbeiten,

anfragen von öffentlichen oder

ins Leben gerufen wurde. Gefragt,

werden auch Behinderten-

haben für die Hochschule Luzern

von Non-Profit-Organisationen

auf welches aktuelle Projekt er

Organisationen miteinbezogen.

noch einen weiteren Effekt:

‹von selbst› zu uns», sagt Oliver

besonders stolz sei, braucht Oliver

«Ein anspruchsvolles, spannendes

Gelder, die über diesen Weg in die

Kessler, «für Strategieentwicklung,

Kessler nicht lange zu überlegen.

und langfristiges Projekt, politisch

Kasse fliessen, werden wieder in

Führungsfragen, Organisati-

Es geht dabei um einen unter

und fachlich komplex, welches viel

Forschungs- und Entwicklungspro-

onsgestaltung oder eben auch

anderem politisch interessan-

Entwicklungsarbeit und Prozess-

jekte investiert.

B etäubungsmittel D elikte

Drogen gegen Geld Zürich, Selnaustrasse. Hier, an

auch viele Drogen – harte, wie

in rollendem Züridüütsch, «ist der

Vorermittlungen wie auch Über-

eher unscheinbarer Lage, in

Kokain oder Heroin, neuartige,

Fall juristisch klar: Das ist immer

wachungsmassnahmen oder

eher schmucklosem Büro, amtet

wie sogenannte Party-Drogen

illegal, und zur Aufklärung solcher

umfangreiche Spurensicherung.

Christian Meier. Als Abteilungs-

von Amphetaminen bis Ectasy,

Verbrechen muss das gesamte

«Das», sagt er, «macht auch die

leiter Betäubungsmitteldelikte

aber auch weiche wie Cannabis.

forensische Arsenal aufgefahren

Faszination meines Jobs aus»,

der Staatsanwaltschaft II des

«Geht es um Drogen», sagt Meier

werden.» Dazu gehören geheime

und die Leidenschaft des Juristen

Kantons Zürich ist er Ankläger

für seinen Beruf ist durchaus

für Drogen-Verbrechen im

spürbar.

bevölkerungsreichsten Kanton im Land. Wo viele Menschen sind, zeigt die Erfahrung, sind

«Am Anfang ist jeder Fall anders, und am Schluss ist jeder Fall gleich.»

40 Jahre

Sein Wissen aus jahrelanger Praxis gibt Christian Meier auch an der Hochschule Luzern –

Hochschule Luzern – Wirtschaft

47


Wirtschaft weiter. Dort existiert

gleiche: Drogen gegen Geld –

dagegen kommt oftmals über

del ohne Spuren», sagt Meier,

seit wenigen Jahren ein Master of

und der Täter will immer nur das

die sogenannte Balkanroute aus

«das gibt es nicht.»

Advanced Studies MAS Forensics,

eine – möglichst schnell, mög-

den Erzeugerländern in Richtung

Diese zu erkennen, auszuwerten

ein exklusiver Ausbildungsgang

lichst einfach, möglichst viel Geld

Afghanistan in die Schweiz,

und prozessfähig zu machen, ist

für die Deutschschweiz, der sich

machen. Doch wie er das tut,

meist in Automobilen, versteckt

ein Ausbildungsziel des Nach­

vorab an Strafverfolger kantonaler

dem sind praktisch keine Grenzen

in 500-Gramm-Portionen. Die

diplomstudiengangs. Aber auch

oder Bundes-Staatsanwaltschaf-

der Kreativität gesetzt. Da gibt es

Feinverteilung im Land über-

das Bewusstsein der Studie-

ten wendet, juristisches Personal

den Kokain-Dealer, der ein oder

nehmen dann oftmals illegal

renden dafür zu schärfen, dass

also mit einigen Jahren Berufs-

gar 1,5 Kilo Stoff in Zehn-Gramm-

anwesende Klein-Dealer meist

im Drogenhandel keine in sich

erfahrung, welches sein Wissen

geschlossene Personengruppe die

systematisch erweitern und vertie-

Beschaffungskette vom Erzeuger

fen will. Mitunter tauchen in den Kursen jedoch auch ganz andere Berufsbilder auf und sind dort durchaus auch willkommen – eine stellvertretende Chefärztin einer psychiatrischen Klinik etwa und

«Im Drogenhandel deckt keine geschlossene Personengruppe die Beschaffungskette vom Erzeuger bis zum Endkunden ab.»

auch schon einmal eine Polizistin

bis zum Endkonsumenten abdeckt, sondern dass dazwischen verschiedene Täterkreise weitgehend unabhängig voneinander agieren: Der Lieferant etwa, der den Stoff in das Land bringt, will kassieren und schnell wieder ver-

oder eine Gerichtsschreiberin. Sie

Portionen schluckt und mit

albanischer Herkunft, die das He-

schwinden. Möglicherweise gibt

alle erwarten von dem Nachdip-

diesen im Magen direkt aus dem

roin mischen, strecken und dann

es Mittäter, Hintermänner und

lomstudiengang vorab das eine:

südamerikanischen Erzeugerland

in Fünf-Gramm-Portionen an den

angeheuerte Kuriere. Dann der

Input aus der Praxis, anwendbar

in die Schweiz einfliegt. Es gibt

Endkonsumenten weiterverkaufen

Klein-Dealer, der die Feinvertei-

für die tägliche Arbeit. Dafür ist

Schmuggler, die fischen das

– das Albaner Feufi nennt die Sze-

lung übernimmt, und schliesslich

Christian Meier der richtige Mann.

Kokain vor der galizischen Küste

ne dieses Produkt. So kreativ die

der Endkonsument. «Für Ermittler

Er kennt das Metier.

aus dem Meer und verteilen

Einschleusung des Stoffes auch

und Strafbehörden ist wichtig

«Am Anfang», sagt er, «ist jeder

dieses dann quer über Europa

vor sich gehen mag, wird ein

zu wissen, wo sie eingreifen kön-

Fall anders, und am Schluss ist

– der Stoff gelangt meist über

Täter erwischt, läuft ein immer

nen», sagt Meier, «ermittelt wird

jeder Fall gleich.» Für den Laien

Westafrika via Iberische Halbinsel

gleicher Film ab. Zwischen dem

immer nach oben. Wir wollen

ein einigermassen erstaunliches

auf den Alten Kontinent, wird

sichergestellten Stoff und dem

nicht 200 Konsumenten dingfest

Statement. Für den Praktiker ist

aus Schiffen oder Flugzeugen ins

mutmasslichen Täter muss mit

machen, und bei den Lieferan-

jedoch klar: Die Grundstruktur

Meer geworfen und dann von

allen Mitteln ein direkter Bezug

ten im Ausland sind uns auch

ist bei diesem Delikt immer die

Schmugglern aufgegriffen. Heroin

hergestellt werden. «Drogenhan-

die Hände gebunden. Deshalb

48

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


versuchen wir, die Hintermänner

folger von Betäubungsmittel-

gen orientieren sich keinesfalls an

weisführung und Anklageschrift.

dingfest zu machen, die den Stoff

delikten on the job und im

der Theorie. Anhand eines Falls

Alles mit dem Ziel, Drogen-

in die Schweiz einführen.»

Learning-by-doing-Verfahren

aus dem Alltag der Strafbehörden

Dealer vor Gericht zu überführen.

Den Studierenden wird dabei

ausgebildet wurden, steht heute

muss das Gelernte erfolgreich

«Solchen Leuten das Handwerk

ein möglichst umfassendes Big

ein strukturierter und umfassen-

angewandt werden, als Symbiose

zu legen und sie auszuschalten»,

Picture aus der Praxis vermittelt.

der Weiterbildungs-Master mit

aus kriminaltaktisch geschicktem

meint Meier, «dafür lohnt es sich,

Sie hören über den Anfangs-

Dozenten aus der Praxis. Und

Vorgehen, prozessualem Recht

Arbeitszeit aufzuwenden.»

verdacht, der oft auf einen

auch die abschliessenden Prüfun-

und einer klar formulierten Be-

anonymen Hinweis einer sitzen gelassenen Freundin, einer betrogenen Ehefrau, eines über den Tisch gezogenen Konkurrenten zurückgeht. Von Vertretern

Museen

eines Grenzwachtcorps erfahren

Partizipatives Web

sie, was zu tun ist, wenn an

Die Frage, um die es ging, sollte

praktisch in der Ist-Zeit agieren

die mit der Zeit gehen, durchaus

der Grenze ein Zufallsfund von

Vergangenes mit Gegenwärti-

und ohne Unterlass mit der Welt

auch Erlebnischarakter haben

Drogen erfolgt. Sie erhalten Infor-

gem, ja Zukünftigem verbinden

kommunizieren können, in wel-

und Exponate für die Gegenwart

mationen aus erster Hand über

und beides in einen Zusammen-

chen auch die Grenzen zwischen

und Zukunft interpretieren und

Schmuggelwege, Herkunftsländer

hang bringen: Wie können

kommentieren sollten.»

und Märkte und darüber, wie die

Schweizer Museen, die

Doch die Frage des Um-

Zusammenarbeit zwischen ermit-

naturgemäss oft vergan-

gangs mit Social Media

telnder Polizei und auswertender

genheitsorientiert sind, für

blieb hartnäckig im

Staatsanwaltschaft zu laufen

ihre Kommunikation nach

Raum, und um darauf

hat, bis Letztere wasserdichte

aussen moderne interakti-

eine Antwort zu finden,

Haftanträge formulieren kann. Es

ve Social Media nutzen? Auf der

Informanten und Rezipienten

startete im Frühjahr 2010 das

werden aber auch eine kantonale

Zeitachse befinden sich Museen,

sich praktisch auflösen. «Eine sol-

Forschungsprojekt «Audience+:

Heroinabgabestelle oder eine

die Objekte aus vergangener Zeit

che Betrachtungsweise hat etwas

Museen und das partizipative

Drogenentzugsanstalt besucht –

sammeln und ausstellen, schliess-

für sich», sagt Barbara Kreyen-

Web». Daran beteiligten sich der

das Bemühen, eine umfassende

lich irgendwie am anderen Ende

bühl, Leiterin für Kommunikation

Verband Museen Schweiz (VMS)

Ausbildung zu gewährleisten, ist

der Zeitachse von Facebook oder

und Marketing beim Museum

sowie sieben Museen mit ganz

augenscheinlich.

Twitter, den modernen, agilen

für Kommunikation, Bern, auch

unterschiedlicher Ausrichtung

Wo in früheren Zeiten Strafver-

und interaktiven Medien, welche

wenn sie einwirft, «dass Museen,

und Trägerschaft: das Aargauer

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

49


Kunsthaus, Augusta Raurica

finanzielle und personelle Mittel,

hinter die Kulissen des Museums,

für eine Standortbestimmung,

Kaiseraugst, das Freilichtmuseum

Social-Media-Plattformen zu

etwa durch Back-Stage-Infos

aber auch die Entwicklung von

Ballenberg, das Museum für

unterhalten. Doch dies diente uns

über den Auf- und Abbau von

institutionsspezifischen oder

Kommunikation, Bern, das Natur-

als Inspirationsquelle für eigene,

Ausstellungen ist für diese über-

übergreifenden Strategien von

museum Luzern, das Nidwaldner

wenn auch meist viel bescheide-

durchschnittlich Interessierten ein

Bedeutung ist, und zwar für die

Museum sowie das Schaulager

nere Möglichkeiten.

guter Ansatzpunkt, und dies kann

gesamte Museumslandschaft

in Basel. Als Projektpartner wurde

Was bedeutete dies für die

auch Communities zusammen-

der Schweiz. Und als vielleicht

die Hochschule Luzern – Wirt-

eigene Arbeit nach Abschluss

bringen. Schnell wird klar, was

konkreteste Auswirkung verfügen

schaft verpflichtet.

des Forschungsprojekts?

auf Resonanz stösst, und was

nun praktisch alle teilnehmenden Museen über einen Facebook-

Frau Kreyenbühl, was war dabei die Rolle der Hochschule Luzern – Wirtschaft? Für die meisten dieser Museen war der Einsatz von Social Media damals noch ein Fremdwort.

und Twitter-Account, die sie

«User auf Facebook oder Twitter sind direkter anzusprechen als auf traditionellen Informationskanälen.»

Die Hochschule Luzern hat den

in den Kommunikationsmix einbeziehen. Zumindest für das Museum für Kommunikation geht die Zusammenarbeit mit der Hoch-

Rahmen vorgegeben, Workshops

Wichtig für die Teilnehmer war

nicht funktioniert, ist auch schnell

schule Luzern weiter. Im Herbst

organisiert, Themen vorgegeben

wohl die Erkenntnis, dass User

wieder weg. Diese Erkenntnis und

soll eine Ausstellung «Warnung:

und Experten dazu eingeladen.

auf Facebook oder Twitter ganz

der Austausch untereinander war

Kommunizieren gefährdet Ihre

Was war die Erkenntnis?

anders, direkter anzusprechen

für uns alle sehr wertvoll.

Gesundheit!» eröffnet werden,

Dadurch haben wir erfahren, was

sind als auf konventionellen In-

Was bleibt nun von

in der spielerisch und mit einem

etwa im angelsächsischen Raum

formationskanälen. Ebenso, dass

Audience+?

Augenzwinkern die heutige

State of the Art beim Einsatz

Social Media erst durch Dialog

Wir haben bestehende ­Social-

Informa­tionsflut und der Um-

von Social Media in Museen ist.

und Vernetzung wirklich lebendig

Media-Konzepte aus dem

gang damit thematisiert werden

Kulturelle Institutionen in den

werden.

Kultursektor auswerten und im

– ­Facebook und Twitter werden

USA, wie beispielsweise das Mu-

Konkret?

Hinblick auf deren Einsatz in der

dort natürlich ebenfalls Thema

seum of Modern Art (MoMa) in

Um Friends und Fans zu erhalten,

Vermittlung, Kommunikation,

sein, und es erscheint folgerichtig,

New York, sind uns in der Schweiz

müssen im Netz interessante und

Kuration oder Sammlung der

dass die ­Erfahrungen der Hoch-

in dieser Hinsicht natürlich um

exklusive Informationen bereitge-

verschiedenen Museumskonzep-

schule Luzern mit Social-Media-

Lichtjahre voraus und verfü-

stellt werden, die andere so nicht

te analysieren können. Daraus

Plattformen auch dabei einen

gen auch über entsprechende

unbedingt erhalten. Der Blick

resultierte eine Systematik, die

Beitrag leisten können.

50

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


« W omen ’ s B usiness »

«Eine klare Minorität» Frau Mazumder, Sie sind Do-

Thema das Projekt bereichern

Nein. Eben gerade nicht. Männer

verständlich auch Forschungser-

zentin für Banking & Finance

sollten. In einem ersten Schritt

sitzen in den Podien, werden als

gebnisse einfliessen lassen. Das

am Institut für Finanzdienst-

entstand die «Women’s Finance

Referenten geladen und sitzen

Projekt dient also der Wissensge-

leistungen Zug IFZ und haben

Conference», heute heisst sie

auch im Publikum. Ich bin gar

nerierung und -verbreitung, und

die Plattform «Women’s Busi-

«Women’s Business Conference»,

kein Fan von Women-only-Ver-

die Anlässe sollen für das Thema

ness» auf die Beine gestellt.

die seither jährlich im November

anstaltungen, ausser es handelt

sensibilisieren und vernetzen.

Was war die Absicht?

stattfindet. Das Leitthema der

sich um Seminare zu eigentlichen

Wie soll es denn vorangehen?

Die Idee dafür bestand schon vor

Konferenz ist stets breit und

Finanzthemen, wo sich gemäss

Bei unseren direkten Kontakten

mir am IFZ und wurde mir nach

mit Unternehmen zeigen wir

meiner Anstellung als Projekt

natürlich immer wieder auf, wie

übertragen. Meine Ko-Projektleiterin Gabrielle Wanzenried und ich haben die Thematik mit Forschung zum Thema aufgegriffen; so beschäftigte sich die erste Studie beispielsweise mit

«Bei unseren Kontakten in die Unternehmen zeigen wir immer wieder auf, wie der Frauenanteil erhöht werden kann.»

den Geschlechterverteilungen in

der Frauenanteil erhöht werden kann, und vor allem, weshalb das auch aus ökonomischer Sicht wichtig und richtig ist. Und wir machen dasselbe auch bei den Frauen selber, denn auch sie müssen oft einiges verändern, wenn

Organisationen und in Schwei-

sie in einer Geschäftsleitung oder

zer Unternehmen. Das Resultat

themenübergreifend, wie zum

unserer Erfahrung Frauen im

in einem Verwaltungsrat Einsitz

brachte einen klaren, wenig

Beispiel «Zivilcourage» oder «Res-

geschlossenen Kreis wohler

nehmen wollen.

überraschenden Befund: Der

sourcenverantwortung». Zwar

fühlen und entsprechend mehr

Warum macht das die Hoch-

Frauenanteil in Geschäftsleitun-

soll es immer einen Finance/

profitieren können.

schule Luzern? Will sie beim

gen und Verwaltungsräten liegt

Banking-Aspekt beinhalten, der

Warum machen Sie das?

Thema Frauen einfach auch

je nach Branche zwischen vier

auch thematisiert wird, aber eben

Wollen Sie die zehn, elf Pro-

noch mitsurfen?

und zehn Prozent, im besten Fall

auch weitere Gesichtspunkte

zent Frauenanteil nach oben

Für uns ist das Projekt keine Frage

vielleicht einmal bei elf Prozent.

einbeziehen. Das Thema wird in

bewegen?

von Zeitgeist oder Marketing.

Eine klare Minorität also.

spannenden Referaten aus ganz

Mit diesen Veranstaltungen allein

Es ist die Überzeugung, dass,

Was kam nach der Studie?

unterschiedlichen Blickwinkeln

geht das natürlich nicht. Aber

falls wir in unserem Kerngebiet

Es war klar, dass es nicht bei der

behandelt und diskutiert.

es ist eine neutrale Plattform für

Finanzdienstleitungen einen hö-

Forschung bleiben soll, sondern

Und da sind dann nur Frauen

Networking und für den Informa-

heren Frauenanteil erreichen, die

dass Anlässe und Seminare zum

zugelassen?

tionsaustausch, wo wir selbst-

Unternehmen durch die bessere

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

51


Durchmischung ihres Führungs-

Oder dass man die Kinder bis

Herausforderungen konfrontiert.

ruflich positionieren können – es

personals mehr Geld verdienen

18 Uhr aus der Krippe abgeholt

Sie werden oft nicht mehr als

gibt bei uns deshalb keine Opfer

können. Wir sind Ökonomen, und

haben muss, ansonsten es eine

vollwertig angesehen, und ihre

und Täter, richtig oder falsch, gut

als solche bearbeiten wir das

Busse setzt, ist ein Umstand, der

Karriere ist mit einer echten

oder schlecht. Die Geschlechter

Thema.

sich oft wenig mit einer leitenden

Teilzeitstelle beendet. Wir

sind unterschiedlich, was gut

Wieso das?

Position vereinbaren lässt. Andere

setzen uns deshalb bei unseren

und richtig ist, aber ökonomisch

Alles ist dann heterogener, sprich

Gründe liegen in den Unterneh-

Forschungen bewusst dafür ein,

könnten und müssten wir diese

breiter aufgestellt: die Informa-

men selber.

dass sich Frauen und Männer frei

Unterschiedlichkeiten besser

tionsbedürfnisse, die Risikobe-

Inwiefern?

und nach ihren Vorstellungen be-

nutzen.

wirtschaftung, es herrscht eine

Immer wieder berichten uns

andere Motivationskultur und

Frauen, dass ihnen gerade in der

vieles mehr, was in der Summe

Finanzindustrie die männlich

dazu führt, dass das ökonomi-

geprägten Unternehmenskultu-

sche Resultat besser ist. Ausser-

ren nicht behagen. Die gelebten

dem sind heute in der Schweiz

Werte, die zu einem hierarchi-

Exotisches und Erbauliches

mehr als die Hälfte der Studien-

schen Aufstieg führen, die Ziele,

Der Fachmann nennt diesen

Nebenwerte, und darunter gibt

absolventen Frauen. Diese bilden

die Motivationen, die Art der

Handel «over the counter» (OTC),

es Exotisches, Erstaunliches und

wir für gutes Geld aus, lassen

Kommunikation untereinander

zu Deutsch: «über den Tresen».

Erbauliches. Die Zürichsee-Fähre

dieses Potential dann aber brach

usw. – all das entspricht vielen

Hierzulande hiess das Phänomen

Horgen-Meilen AG etwa, die

im Markt; das macht ökonomisch

Frauen nicht. Sie verzichten dann

früher «Telefonhandel». Heute

Lyceum Alpinum Zuoz AG, die

und gesellschaftlich wenig Sinn.

entweder darauf, die Karriere­

läuft das alles tipptopp elektro-

Zoo Zürich AG oder die Neue

Woran liegt das?

leiter weiter hochzusteigen, oder

nisch. Gemeint ist der Kauf und

Zürcher Zeitung AG, von der eine

Gute Frage. Die Vereinbarkeit von

aber sie machen sich selbststän-

Verkauf von Wertschriften, welche

Namenaktie in Spitzenzeiten

Familie und Beruf ist sicherlich

dig, um nach ihren Vorstellungen

nicht über die stark reglemen-

über 200’000 Franken kostete.

eine Haupthürde. Wir hören

arbeiten zu können.

tierte Börse abgewickelt, sondern

Oder, auch ein kleines Bijou, das

entsprechend auch immer wieder

Gibt es keine Männer, denen

ausserbörslich gehandelt werden.

Wädi-Brau-Huus. Eine schöne

von Frauen, dass es für sie wenig

es ähnlich geht?

OTC- oder auch Telefonhandel

Aktienlandschaft kleiner unter-

sinnvoll ist, zwei, drei Tage pro

Natürlich. Das Thema ist im

klingt irgendwie handgestrickt,

nehmerischer Perlen tut sich da

Woche arbeiten zu gehen, wenn

Grunde keine frauenspezifische

vielleicht sogar einen Tick

auf. Diesem Forschungsgebiet hat

dann der gesamte Verdienst

Angelegenheit. Männer, die

­un­seriös. Doch das täuscht gewal-

sich Philipp Lütolf verschrieben.

durch die Kosten der Kinderbe-

beispielsweise Teilzeit arbeiten

tig. In der Schweiz existieren rund

Der promovierte Ökonom ist

treuung wieder aufgefressen wird.

wollen, sehen sich ebenso mit

500 sogenannte nicht kotierte

Dozent am Institut für Finanz-

52

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

N icht kotierte A ktien


dienstleistungen Zug IFZ und

Bank also, die seit einigen Jahren

gefahren als bei Investments in

Finanzkrise hielten sie sich mit

vielfältig im Thema engagiert. In

eine elektronische Plattform für

börsenkotierte Aktien – voraus-

Verlusten von lediglich rund

der Schriftenreihe des Instituts

den Handel mit Nichtkotierten

gesetzt, ein Investor verfolgt

zehn Prozent erstaunlich gut.

hat er Bücher über «Publikumsge-

betreibt.

keine Strategie der kurzfristigen

«Diese Aktien», sagt Lütolf aus

sellschaften auf dem OTC Markt»

«Von den 500 Titeln sind über

Spekulation, sondern verfügt über

Erfahrung, «sind eben defensiver

oder «Ausserbörsliche Aktien als

300 praktisch illiquide, weil die

einen langen Anlagehorizont.

als die Titel an der Börse.» Von

Kapitalanlage» herausgegeben,

Aktien in festen Händen sind und

Beim Internet-Bubble um die

seinem geballten Wissen aus der

beim Swiss Equity Magazin

nicht in den Handel kommen»,

Jahrtausendwende verloren die

Forschung profitieren auch die

schreibt er als Teilzeit-Redaktor

sagt Lütolf, «bei vielleicht siebzig

Aktien an der Börse mitunter bis

Studierenden am IFZ. Dort lehrt

über nicht kotierte Aktien, und für

Titeln finden regelmässige Kauf-

zu vierzig Prozent ihres Werts,

Dozent Lütolf das Fach «Corpo-

die Berner Kantonalbank (BKB)

und Verkaufsaktivitäten statt.»

während die Nichtkotierten im

rate Finance» sowie «Finanz- und

formuliert er Analysten-Berichte

Und wer dort investiert, ist in den

Wert praktisch konstant blieben.

Investitionsmanagement».

über exakt diese Titel – bei jener

vergangenen Jahren oft besser

Auch während der jüngsten

Kann eine Schweizer Privatbank

MAS in Brand and Market­ing

gibt es Möglichkeiten, Social-

ges Konzept mit dem Titel «Julius

moderne Social-Media-Kanäle für

Management das Modul «Online

Media-Kanäle zu nutzen. 2. Das

Bär Research Podcast – Verstehen,

ihr Marketing nutzen? Verträgt

Communication and Marketing»

im Nachdiplomstudium Gelernte

was an den Märkten passiert», und

sich solches mit dem Gebot der

absolvierte. Noch während der

lässt sich bei seinem Arbeitgeber

dieses ist bestechend einfach und

Diskretion, mit dem Bankkunden­

Ausbildung war für den Marketing-

unmittelbar in die Praxis umset-

mit überblickbaren Kosten verbun-

geheimnis? Kann es sich eine

Profi der Bank Julius Bär zweierlei

zen. Für die Abschlussarbeit des

den. Die Analysten der Bank, so die

Privatbank überhaupt leisten, die

klar. 1. Auch für eine Privatbank

Moduls formuliert er ein 20-seiti-

Idee, sollten von professionellen

B anking

Podcast im Netz

Kunden über das Internet direkt

Moderatoren befragt werden und

anzusprechen? Wenn ja, welche

ihr Wissen über Marktentwick-

Ziele liessen sich damit erreichen? Solche Gedanken wälzte André Sidler, als er in Luzern im Rahmen seines Nachdiplomstudiums zum

«Auch für eine Privatbank gibt es Möglichkeiten, Social-Media-Kanäle zu nutzen.»

40 Jahre

lungen einmal wöchentlich via Podcast für Interessierte zugänglich machen. In fünf Minuten das aktuelle Marktgeschehen

Hochschule Luzern – Wirtschaft

53


G ewaltdelikte

kompakt zusammengefasst in

Menschliche Abgründe

einer allgemein verständlichen

Mit Mord und Totschlag hat er

verurteilen, ist das für mich klar.

«Gewaltdelikte» fungieren.

Sprache – dies ist die Grundidee.

fast täglich zu tun. Sein Amtssitz

Ich bin von meinem Job fasziniert

Zweifellos eine sinnvolle Insti-

Die Bank positioniert sich damit

liegt an unscheinbarer Adresse

wie am ersten Tag.

tution ...

als fortschrittliches Unternehmen,

am Zürcher Helvetiaplatz unweit

Mord und Totschlag sind aber

... das ist so. Es ist eine Pionier-

welches das Potenzial der Social

der Langstrasse, dem Rotlichtmi-

nie eine erfreuliche Sache.

leistung der Hochschule Luzern

Media zu nutzen beginnt, ihre

lieu der Stadt. Wer Ulrich Weder,

Da haben Sie natürlich recht. Aber

– Wirtschaft, dieses Bedürfnis

Fachkompetenz über einen moder-

dem Amtsleiter der für Gewaltde-

die Arbeit ist vielfältig und an-

erkannt und auch praktisch umge-

nen Vertriebskanal zusätzlich ver-

likte zuständigen Staatsanwalt-

spruchsvoll. Sie haben immer mit

setzt zu haben.

breitet und dadurch auch ein jün-

schaft IV, gegenübersitzt, trifft

Menschen, mit deren Schicksalen

Was wollen Sie den Studieren-

geres Zielpublikum anzusprechen

auf einen Mann, dem sein raues

und auch Abgründen zu tun.

den Grundsätzliches vermit-

vermag. Die Vorgesetzten von

Metier kaum anzusehen ist: von

Langweilig wird es hier jedenfalls

teln?

André Sidler erkennen sofort, dass

eher feingliedriger Gestalt, mit

nicht.

Die meisten unserer Studierenden

ihr Angestellter eine bestechende

hoher Denkerstirn und wachen

Idee aus Luzern mitgebracht hat,

Augen hinter einer Hornbrille,

Als Ulrich Weder anfing, herrschten

Staatsanwaltschaften, die sich

und es dauert nur wenige Wochen,

gemahnt er eher an einen

für junge Staatsanwälte, die sich

neben anderem auch mit Gewalt-

bis der Podcast unter www.julius-

Feingeist denn an einen Chef von

mit Gewalt- und anderen Delikten

delikten zu beschäftigen haben.

baer.ch/podcast erstmals online

Strafverfolgern von Mördern und

auseinanderzusetzen hatten, noch

Davor haben die meisten einen

ist. Selbstverständlich sind darauf

Totschlägern.

geradezu archaische Zustände.

grossen Respekt und wollen es

Eine eigentliche Ausbildung exis-

um jeden Preis vermeiden, Fehler

keine Verkaufspromotionen zu

kommen ja aus allgemein tätigen

hören, sondern sachliche Analysen

Herr Weder, warum machen

tierte nicht, der Nachwuchs wurde

zu begehen. Bei uns erhalten sie

von Marktentwicklungen, und je

Sie diesen Job?

einfach in ein Büro gestellt und

Inputs von Praktikern, die Theorie

komplexer diese werden, desto

Die Strafjustiz gilt ja nicht als Krö-

hatte «on the job» schwimmen zu

und Praxis gut verbinden können.

mehr Widerhall finden sie bei den

nung der Juristerei. Diese gehört

lernen oder eben nicht.

Ziel ist dabei, ihnen durch die

Empfängern. Die Nutzungszahlen,

gemeinhin den Wirtschaftsanwäl-

sagt André Sidler, sind jedenfalls

ten. Wenn Sie mich aber fragen,

Seit einiger Zeit existiert an

fahrungen bei der Ermittlung und

steigend. Und bereits konnte

was interessiert mehr: eine Firma

der Hochschule Luzern – Wirt-

der Anwendung des Strafprozess-

die nächste Evolutionsstufe des

X, ein Unternehmen Y, das fünf

schaft der MAS Forensics für

rechts eine gewisse Selbstsicher-

Konzepts initiiert werden, die ab

Millionen Franken unter dubiosen

Staatsanwälte, die in ihrem

heit zu geben. Denn wer unsicher

Herbst eine Zusammenarbeit mit

Umständen verschiebt, oder ein

Job auch mit Gewaltdelikten

ist, macht dumme Fehler, die sich

einer der führenden Privatradio­

Tötungsdelikt, bei dem es gilt,

zu tun haben, wo Sie als Ver-

vor Gericht rächen können.

stationen in der Schweiz vorsieht.

einen Täter zu überführen und zu

antwortlicher für den Teilkurs

54

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

Vermittlung von Fakten und Er-


Staatsanwälte, die sich mit

schliesslich fungiert er in einem

Nein. Jeder Fall ist anders und

meint er: «Es sind sicher weniger

Gewaltdelikten beschäftigen

Strafprozess von der Strafanzeige

vieles Erfahrungssache. Aber wie

als noch in den 1990er Jahren.

müssen, erhalten Einblick in

bis zum rechtskräftigen Urteil als

gesagt, wir wollen ein Bewusst-

Die vollendeten Tötungsdelikte

die ungeheuren technischen

wichtiger Verfahrensbeteiligter,

sein schaffen für das, was etwa

haben abgenommen, die ver-

Fortschritte, welche in den

und auch im Vorverfahren bis zur

an einem Tatort zu tun ist.

suchten dagegen zugenommen.»

vergangenen Jahren bei der Spu-

Anklage spielt er einen wichtigen

Nun gibt es neben dem Opfer

Warum das so ist, dafür hat der

rensicherung und -auswertung

Part. Er vergibt die Aufträge an

ja auch den mutmasslichen

Staatsanwalt sich aus seiner

erzielt wurden. DNA-Spuren etwa,

die Rechtsmedizin, die Forensik

Täter. Inwieweit vermitteln

Erfahrung «ein paar Theorien»

eine «eigentliche Revolution in

oder auch an die Polizei, wenn

Sie Ihren Studierenden auch

zurechtgelegt. Zum einen: Die

der Beweisführung», urteilt Ulrich

es darum geht, Spuren aufzu-

in dieser Hinsicht juristische

medizinischen Mittel haben sich

Weder, Mikrospuren von Haaren

bereiten, damit sie vor Gericht

Schützenhilfe?

enorm entwickelt, der Notarzt ist

oder Blut, Fingerabdrücke – vieles

verwertbar sind.

In den vergangenen zwanzig

schneller vor Ort – das hilft Leben

kann heute sichtbar gemacht und

Jahren wurden die Prozessrech-

retten. Zum anderen: In der

einem möglichen Täter zugeord-

Ist ein Staatsanwalt, der sich

te zum Schutz mutmasslicher

Disco- und Party-Szene kommt es

net werden. In der Rechtsmedizin

im Nebenamt mit Gewalt­

Täter enorm ausgebaut, und die

immer wieder zu mehr oder weni-

haben neuerdings bildgebende

delikten zu beschäftigen hat,

Prozessordnungen sind komplexer

ger spontanen Messerstechereien.

Untersuchungsverfahren Eingang

nicht notgedrungen überfor-

und auch formalisierter gewor-

Im harmloseren Fall resultiert

gefunden, bei denen nach einem

dert?

den. Dadurch steigt die Gefahr

daraus eine einfache Körperver-

Tötungsdelikt die Leiche mittels

Wir sprechen hier ja nicht nur von

von Verfahrensmängeln; und dies

letzung, die mit einem kurzen

eines Computertomographen

auf Gewaltdelikte spezialisierten

führt im Extrem dazu, dass ein Tä-

Spitalaufenthalt zu beheben ist;

gescannt wird. Der daran ange-

Staatsanwaltschaften, die sich

ter nicht überführt werden kann.

im schlimmsten Fall ist ein Tö-

schlossene Computer setzt dann

zudem wie in Zürich auf profes-

Auch das ist natürlich Thema des

tungsdelikt die Folge. Da rebelliert

die Bilder der Gewebeschnitte

sionelle forensische und rechts-

Studiengangs. Alles dient ja dem

bei Ulrich Weder das Juristenherz:

zu einem Ganzen zusammen.

medizinische Organisationen

Ziel, eine Straftat aufzuklären

«Wer einen Menschen mit einem

So kann etwa der Einschuss oder

stützen können. Es geht auch um

oder sie eben auszuschliessen.

Messer am Kopf, Hals oder Ober-

der Schusskanal einer Kugel

Staatsanwälte, die im Rahmen

auch dann noch anschaulich

ihrer Pikettdienste mit Gewaltde-

Die entscheidende Frage ist nun:

Tod des Opfers in Kauf», urteilt

dargestellt werden, wenn der Tote

likten konfrontiert werden.

Haben die Tötungsdelikte dank

er, «diese Sicht setzt sich auch

längst bestattet ist. Für einen

Ein erfolgversprechendes

verbesserten forensischen Metho-

langsam durch.» Und auch die

Staatsanwalt sind die Kenntnisse

Schema, welches zu vermit-

den und verstärkter Ausbildung

Studierenden werden für diesen

über diese Möglichkeiten von

teln wäre, existiert aber doch

abgenommen? Ulrich Weder

Zusammenhang sensibilisiert.

entscheidender Bedeutung,

wohl nicht.

denkt lange nach. Schliesslich

körper verletzt, nimmt immer den

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

55


veranstaltungen

M aster in B anking and F inance

Brücken in die Praxis

Begehrt auf dem Arbeitsmarkt

Lehre und Forschung gehören für

denten Daniel Vasella verpflichten

Herr Dietrich, Sie leiten seit

Forschungsprojekt zum Einfluss

eine Hochschule zusammen wie si-

konnte. Oder, als Tatbeweis der

2008 den ersten Master-

der Währungsentwicklung auf den

amesische Zwillinge. Für die Hoch-

regionalen Verwurzelung des

Studiengang in Bank­ing and

Unternehmenserfolg.

schule Luzern – Wirtschaft kommt

«Zentralschweizer Wirtschaftsfo-

Finance auf Hochschulstufe

Forschung steht also an erster

hinzu, dass sie grosse Anstren-

rums», welches 2011 zusammen

in der Schweiz. Was war das

Stelle?

gungen unternimmt, Brücken in

mit der Zentralschweizerischen

Motiv, diesen einzurichten?

Im Master-Studiengang ist eine

die Praxis zu bauen. Unter diesem

Handelskammer HKZ erstmals

Der Lehrgang setzt auf der Stu­

gute Balance zwischen Wissen-

Slogan realisiert sie jedes Jahr ein

durchgeführt worden ist. Und auch

dien­richtung Finance and Banking

schaftlichkeit und Praxisrelevanz

umfangreiches Veranstaltungspro-

das «KMU Forum Zug», welches

im Bachelor an und erlaubt den

wichtig.

gramm. Da gibt es beispielsweise

inzwischen bei der 15. Ausgabe an-

Studierenden eine zusätzliche

Für welche Jobs sind die Ab-

ein «Forum für Familienunter-

gelangt ist, die «Women’s Business

Qualifikation. Der Lehrgang hat

solventen prädestiniert?

dem Institut für Finanzdienstleis-

Der Master-Studiengang offeriert

tungen Zug IFZ ermöglicht, in der

spannende berufliche Chancen.

«Jedes Jahr realisiert die Hochschule Luzern – Wirtschaft ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm.»

Forschung in zusätzliche praxis­

Die Einsatzmöglichkeiten sind

relevante Gebiete vorzudringen.

vielfältig. Viele arbeiten später

Zum Beispiel?

für Banken. Wir finden sie hier

Studierende beschäftigen sich

im Firmenkundengeschäft, im

etwa mit Forschungsfragen zu

Investment Banking oder im

nehmen», Trendworkshops zum

Conference», die im laufenden Jahr

Immobilienfinanzierungen mit

Private Banking. Ebenso gibt es

Thema «Positive Leadership» oder

bereits zum sechsten Mal stattge-

Pensionskassengeldern oder wie

aber auch andere, welche eher

auch «Abende der Weiterbildung».

funden hat. Kurz vor Jahresende,

sich regulatorische Liquiditäts-

im Risk Management und in den

Da existieren aber auch Aktivitäten

Ende November 2011, steht dann

vorschriften auf die Stabilität von

Finanzabteilungen von Unterneh-

mit grosser, weit über die Region

noch eine einmalige Veranstaltung

Finanzdienstleistern auswirken.

men aller Branchen arbeiten.

hin­ausstrahlender Wirkung. Etwa

auf dem Programm: die Jubiläums-

Zurzeit müssten Sie den Ein-

Wie begehrt sind die Abgän-

das «World Tourism Forum», wel-

feier 40 Jahre Hochschule Luzern

fluss von Währungsschwan-

ger auf dem Arbeitsmarkt?

ches mittlerweile als Gipfeltreffen

– Wirtschaft. Ein Grund zum Feiern

kungen auf die Unterneh-

Vom ersten Zyklus fanden alle

der internationalen Tourismussze-

ist das allemal. Das Departement

mensbilanzen erforschen.

sofort einen anspruchsvollen Job.

ne gilt. Oder der Jahres-Event des

Wirtschaft ist schliesslich zu einer

Wir planen zusammen mit der

Ein Zeichen für die Akzeptanz des

Instituts für Finanzdienstleistungen

festen Grösse in der Zentralschwei-

Swiss Association of Corporate

Studienganges ist auch, dass sich

Zug IFZ, welcher in diesem Jahr als

zer Bildungslandschaft geworden.

Treasurers (swissACT) und meh-

die Anmeldungen zum Master seit

reren Unternehmen ein grösseres

2008 praktisch verdoppelt haben.

Gastreferenten den Novartis-Präsi-

56

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


A ustauschprogramme

alumni

Globaler Mobilitätsförderer

Netzwerk der Ehemaligen

Gordon Millar ist Dozent am

Hochschule Luzern ihr Austausch-

Seit drei Jahrzehnten existiert an

Öffentlichen Verwaltung oder in

Institut für Kommunikation und

programm über die europäischen

der Hochschule Luzern – Wirtschaft

Non-Profit-Organisationen. Der

Marketing IKM und in seinem

Grenzen hinaus ausgedehnt,

eine Organisation der Ehemaligen

Reigen ist so gross wie das Ange-

Zweitjob als Leiter des Internatio-

verfügt über Partnerschaften mit

– gegründet 1981 als «Gesellschaft

bot der Hochschule Luzern – von A

nal Office der Hochschule Luzern

Bildungsinstitutionen in der Welt,

Luzerner Betriebs­ökonomen HWV/

wie ABB, dem Amt für Wirtschaft

so etwas wie der globale Mobili-

baut diese immer weiter aus und

FH» (GLB), die sich im Jahre 2008

und Arbeit, über B wie Baker &

tätsförderer der Studentenschaft.

ist auch Mitglied in einschlägigen

auf «Alumni Hochschule Luzern

McKenzie, der Bank Vontobel, oder

Mit rund fünfzig Hochschulen

internationalen Organisationen.

– Wirtschaft» umgetauft hat und

die Bio-Familia AG, C wie Credit

und Universitäten weltweit, von

Eine andere Disziplin der Mobilität

sich heute als Berufsverband der

Suisse, D wie die Schweizerische

Belgien bis Thailand, von einem

bearbeitet das Zentrum für Ler-

Absolvierenden versteht. Wie es sich

Post, G wie Gemeinde Ebikon oder

Alesund University College in

nen und Lehren mit dem Projekt

für einen modernen Berufsverband

Emmen, die Glencore International

Norwegen bis zur Universidad de

«Distance Learning». Im Auftrag

Valladolid in Spanien pflegt die

der Hochschulleitung sollen bis

Hochschule Luzern ein Aus-

Ende Jahr konkrete Empfehlungen

tauschprogramm für Studierende,

für die Erweiterung der Hard- und

welches sich über die ganze

Software-Infrastruktur für die Do-

Institution erstreckt.

zierenden ausgearbeitet werden.

Es begann vor 16 Jahren, als die

Es geht darum, ein «Distance

Europäische Union das sogenann-

Learning Center» aufzubauen,

geziemt, existieren auch Xing- oder

oder das Grand Casino St.Gallen,

te Erasmus-Programm auflegte,

welches Lernen über Distanz und

Facebook-Gruppen der Alumni der

über S wie SBB, Schindler oder

benannt nach dem Gelehrten

Zeitzonen erlaubt. Dazu gehören

Hochschule Luzern – Wirtschaft. Die

Schweizer Fernsehen und Schwei-

Erasmus von Rotterdam. Dieses

etwa Video-Conferencing, virtuelle

Vereinigung zählt heute rund 800

zer Luftwaffe, U wie UBS oder

Programm fördert die Mobilität

Klassenräume oder auch Internet-

Ehemalige und 350 Studierende zu

Universität Basel oder St.Gallen bis

und den Austausch der Studieren-

basierte Lernplattformen. «Dies»,

ihren Mitgliedern.

zu V wie Verkehrsverbund Luzern

den in Europa, gewährt finanzielle

sagt Projektleiter Marco Sommer,

Es ist ein starkes Netzwerk, welches

und VZ Vermögenszentrum, W wie

Unterstützung und gewährleistet

«wird es uns in Zukunft auch

sich hier herausgebildet hat, und

Weltklasse Zürich bis zu Z wie Zeit-

die Anerkennung im Ausland

erlauben, über das Internet mit

wer sich die Liste der heutigen

geist Lebensstil GmbH und Zürcher

erbrachter Studienleistungen –

anderen Hochschulen zusammen-

Arbeitgeber der Ehemaligen zu

Hochschule der Künste. Ehemalige

und das Nicht-EU-Land Schweiz

zuarbeiten.»

Gemüte führt, findet Alumni

der Hochschule Luzern – Wirtschaft

ist in dieses Programm vollständig

als Selbstständige, in den KMU

sitzen (fast) überall.

integriert. Inzwischen hat die

und auch in Grosskonzernen, der

«Alumni der Hochschule finden sich in KMU und Konzernen, in der Öffentlichen Verwaltung oder bei NGOs.»

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

57


MENSCHEN Alumni Studierende Dozierende Direktion und Rektorat

58

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


Sie sind die Bewohner der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Sie lernen und forschen, lehren und dozieren. Sie kommen aus der Wissenschaft und aus der Praxis. Gesichter einer Hochschule.

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Diego Yanez: TV-Chefredaktor HWV-Absolvent 1986

Welttheater Die Umzugskiste ist unausgepackt. An den Wänden weisse Flecken, wie Wunden markieren sie, wo einst die Bilder des Vorgängers hingen. Immerhin: Ein Sitzungstisch, schwarzes USM-HallerMobiliar sind stehen geblieben. Ein Büro im Übergang und der, dessen Name nun an der Tür steht, hat es noch nicht wirklich in Besitz genommen: Diego Yanez, TV-Chefredaktor. Seit Anfang 2011 ist er im Amt, und dass er sich hier Wochen nach der Ernennung noch keineswegs heimisch niedergelassen hat, passt durchaus zu seinem Charakter. In einem offiziellen Lebenslauf des Schweizer Fernsehens sagt er über seine Interessen: «Alles, was die Welt bewegt» – Büro einrichten gehört nicht dazu. Ein Mann, eher schmal gebaut, in der unprätentiösen Journalisten-Uniform – Hemd, ärmelloser Pullover, Bluejeans –, sitzt am Tisch, nippt an seinem Kaffee und sinniert darüber, wie es ihn mit 52 Jahren in dieses Chefbüro verschlagen hat. Geboren im spanischen Alzira im Rennpfer d von ein Hinterland von Valencia, aufgewachsen im soloem Diego Yan ez, TV-Che Journalisten: thurnischen Dornach, zum Betriebsökonomen fredakto r ausgebildet an der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) Luzern, wie die Bildungsstätte in den 1980er Jahren noch hiess, verspürte Diego Yanez einen brennenden Berufswunsch: Journalist zu werden. Heute ist er Chef über 400 Journalisten und 23 TV-Sendungen, von der ehrwürdigen «Tagesschau» bis zum boulevardesken «Glanz und Gloria». «Verrückt», entfährt es ihm, und dann sprudelt es aus ihm heraus, wie dieser keineswegs geradlinige und nicht geplante Weg hierher verlaufen ist. Diego Yanez formuliert mit Nachdruck. Der TV-Mann, der eine Botschaft in wenigen Sendeminuten zu veranschaulichen hat, ist auch im Interview ohne Kamera stets auf Sendung. Er gestikuliert, zeichnet Sprachbilder. Lässt

60

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft


live die Berufsjahre Revue passieren und muss immer wieder re», sagt er heute mit einer Prise Ungläubigkeit in der Stimsuchen – «ja, wo war ich denn da gerade?» Diese Selbstbe- me, «inzwischen sind es über zwei Jahrzehnte.» Der TV-Virus lässt Yanez nicht mehr los, er hält es nirfragung hat ihren Grund: Länger als drei bis vier Jahre hat es gends lange aus, will mit der TV-Kamera das Welttheater dieser Wirbelwind nirgends ausgehalten. Zu Beginn der 1980er Jahre findet er sich als junger live erleben. Er ist bei den Ersten, die für ein neues TV-NachDevisenhändler bei der damaligen Schweizerischen Bank- richtenformat namens «10 vor 10» arbeiten, er reist in osteugesellschaft (SBG) in Zürich wieder und fragt sich: Will ich ropäische Krisengebiete und wochenlang durch Russland, mich jeden Tag mit der Frage beschäftigen, ob der Dollar dazwischen schneller Kofferwechsel zu Hause. Er berichtet steigt oder fällt? Die Antwort ist kurz und bündig: «Nein!» über die Nahost-Friedensverhandlungen in Oslo und sagt So meldet er sich an der HWV zum Studium der Betriebs- zu seinem damaligen «10 vor 10»-Chef: «Wir brauchen einen wirtschaft an. «Wirtschaft hat mich interessiert», sagt Ya- Korrespondenten in Israel.» Und der entgegnet: «Gehst du?» nez, «sie hilft, unsere Gesellschaft zu verstehen.» Das drei- Er geht. Zusammen mit seiner Partnerin. Drei Jahre lang. jährige Studium sei eine gute Basis für seinen beruflichen Und dort, an der Demarkationslinie eines Weltkonflikts, Werdegang gewesen. Allein schon deswegen, und nun blitzt lebt er seine journalistische Leidenschaft hemmungslos aus. Ein Leben auf der Überholspur ist dies. Gibt es Schatder Schalk hinter seinen Brillengläsern auf, weil dieses ihn zur Disziplin gezwungen habe. «Nicht mein Naturell», be- tenseiten? Die Antwort kommt wieder knapp und präzise, als würde die Kamera mitkennt er freimütig, «ich bin laufen. «Ich hatte immer zu mit einem gewissen Chao­ «An der HWV habe ich gelernt, die wenig Zeit für meine Frau tismus gesegnet.» An der und die drei Kinder», sagt er, HWV habe er aber gelernt, Dinge nicht nur intuitiv, sondern «dies zu verschweigen hiesdie Dinge nicht nur inuitiv, auch schematisch anzugehen.» se lügen.» Und noch etwas sondern auch schematisch schiebt er nach, was ihm anzugehen. Noch während er an der HWV büffelt, springt ihm wichtig erscheint: All das sei nur möglich gewesen, weil ihm eine Annonce ins Auge. Das CVP-Blatt Vaterland, heu- seine Partnerin stets den Rücken freigehalten habe. Und nun sitzt dieses Rennpferd von einem Journaliste in der Neuen Luzerner Zeitung aufgegangen, suchte damals einen wirtschaftlich versierten Studierenden für ten also in einem Chefbüro, während draussen in der Welt Aushilfsarbeiten auf der Redaktion. Yanez ist zur Stelle. die Post abgeht. Statt daran teilzuhaben, hockt Diego YaJetzt spürt er die Leidenschaft, die er als Devisenhändler nez heute in Sitzungen, fällt Personalentscheide und wacht nie hatte, und mit dem HWV-Diplom in der Tasche bleibt über Budgets – wo zumindest sein seinerzeit gelerntes beer zunächst beim Vaterland als Wirtschaftsredaktor. Dann triebsökonomisches Wissen wieder zum Einsatz kommt. vergrössert er Schritt für Schritt seinen journalistischen Aber sonst? Langes Nachdenken. Und dann kommt seine Aktionsradius: zunächst bei der Presseagentur Schwei- Antwort nüchtern wie ein TV-Statement: «Ein Stück weit», zerische Politische Korrespondenz (spk) in Bern, dann sagt er, «habe ich ausleben können, was mich getrieben bei der Sonntagszeitung in Zürich und schliesslich beim hat.» TV-Wirtschaftsmagazin «Netto». Er kämpft anfänglich mit dem eher schwerfälligen Medium, das Schreiben erscheint ihm unmittelbarer. Doch dann verliebt er sich ins ­M edium Fernsehen. Hoffungslos. «Ich dachte, ich bleibe zwei Jah40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Pia Maria Brugger Kalfidis HWV-Absolventin 1995

Regionaler

Immer wi ed Pia Maria er lernen: Brugger Kalfidis, Gemeind eschreib erin, Ebik on

62

40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

«Pia Maria Brugger vertritt eine neue Generation Frauen», diktierte die grosse alte Dame der CVP, Judith Stamm, im Jahre 1999 der Frauenzeitschrift annabelle in den Schreibblock: «Sie hat sich eine gute Ausbildung geholt, trägt als Parteipräsidentin der CVP Stadt Luzern politische Verantwortung und ist in den Grossen Rat des Kantons Luzern gewählt worden.» Die Luzerner Ex-Nationalrätin folgert: «Ich kann mich angesichts solcher Nachfolgerinnen getrost zurücklehnen, Frauenpower ist selbstverständlich geworden!» Zwölf Jahre später. In einer Zürcher Pizzeria sitzt eine zierliche Person in gestreifter Bluse, das halblange, dunkle Haar ordentlich mit einer Spange gebändigt, am Tisch. Was sofort auffällt: ein strahlendes Lachen, helle Mädchenstimme, wache Augen hinter einer eher strengen Brille. Der Empfang ist ausgesprochen warmherzig. Pia Maria Brugger freut sich, dass sie über «ihre» HWV, die höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule Luzern, wie sie damals noch hiess, berichten kann. Schliesslich, sagt sie, hätten die drei Jahre Ausbildung zur Betriebs­ ökonomin ihr gesamtes Leben verändert. Die Folge: Seit vergangenem Jahr ist sie Mitglied der Geschäftsleitung des von ihr mitinitiierten Verkehrsverbunds Luzern, zuständig für Strategie und Entwicklung. Der Höhepunkt von zehn langen Jahren, in denen sie zunächst als Geschäftsführerin den Zweckverband öffentlicher Agglomerationsverkehr Luzern (ÖVL) führte und diesen dann zum Verkehrsverbund Luzern fusionierte. Darauf, sagt sie mit Nachdruck, ist sie stolz. Fünfzig Jahre alt wird Pia Maria Brugger heuer. Sie hat in den vergangenen zwanzig Jahren ein gewaltiges Pensum gestemmt. Zeit also, Bilanz zu ziehen. Das vergangene Jahr


Verkehr 2010 war ein schwieriges Jahr für die Ex-Politikerin, über- sen Leidenschaft für das Thema sozusagen mit Händen zu schattet von einem Trauerfall in der Familie. Sie, die sich über greifen gewesen ist. Kaum fertig mit dem Studium, geht es Schlag auf Schlag. Jahrzehnte als Politikerin rastlos für das öffentliche Interesse eingesetzt hatte, entschloss sich im Frühjahr, eine Kandida- Das Gelernte kommt umgehend zum Einsatz. Als Projektleitur für den Regierungsrat auszuschlagen. «Schweren Her- terin bei der Schuldirektion der Stadt Luzern setzt sie genau zens», sagt sie, denn es wäre ihr Wunsch gewesen, einmal in das um, worauf sie sich drei Jahre vorbereitet hat: Sie orgader Exekutive tätig zu werden. Sie hat die Herausforderung nisiert Medienkonferenzen, formuliert griffige Botschaften – verschoben – nicht zuletzt, um das Leben mit der Familie dem Marketing-Dozenten sei Dank – und übernimmt die Leiintensiver geniessen zu können. Sie schüttelt energisch den tung von Projekten. Dabei kommt sie zwangsläufig auch mit Kopf, das Schlimmste sei nun vorbei, sagt sie. «Ich bin ein der Politik in Berührung. Sie ist fasziniert von diesem neuen Mensch, der stets nach vorne schaut und sich dem stellt, was Metier. Als Quereinsteigerin bei der CVP bahnt sich eine kokommt.» 2010 sei ein Krisenjahr gewesen, 2011 werde ein Er- metenhafte Karriere an: 1997 ist Pia Maria Brugger CVP-Präsidentin der Stadt Luzern und folgsjahr. Das klingt nach wird 1999 in den Kantonsrat Lebenslust, fast wie eine «Ohne das Studium an der HWV gewählt. Ein Amt, das sie ein kleine Kampfansage. Jahrzehnt lang ausübt. Sich stellen, an sich wäre dieses berufliche Leben ganz Und so kommt sie auf arbeiten, sich weiterentwianders verlaufen.» Umwegen, als Mitglied kanckeln und immer wieder tonaler Geschäftsprüfungslernen. Das ist der Motor, der Pia Maria Brugger vorwärtstreibt. Das war schon vor kommissionen, erneut mit ihrer alten Ausbildungsstätte, der zwanzig Jahren so, als die kaufmännische Angestellte an ei- HWV, in Kontakt. «Ein lustiger Zufall, nicht?» Nun sind es wenem Punkt angelangt war, an dem nur eine gute Zusatzaus- niger studentische als vielmehr bildungspolitische Themen, bildung neue berufliche Ziele eröffnen konnte. «Ich wollte die im Vordergrund stehen. Die Einführung von BachelorVerantwortung tragen, auf eine höhere Entscheidungsebene und Master-Studiengängen, die Angleichung europäischer gelangen und selber bestimmen können, wohin die berufli- Studienabschlüsse auf Tertiärstufe sind Entwicklungen, welche Reise gehen soll.» Deshalb schrieb sie sich an der HWV che die Politikerin Pia Maria Brugger begrüsst. «Für die wirtzum Studium ein. «Ich war mit meinen dreissig Jahren eine schaftliche Positionierung der Schweiz ist es wichtig, dass der ältesten unter den ohnehin wenigen Frauen», erinnert sie unsere Studierenden ausländische Universitäten besuchen sich mit einem Lächeln im Gesicht, «aber ich habe die Schule können und ausländische Studierende wiederum unsere Bildungsstätten.» unheimlich genossen.» Trotz grosser Leidenschaft für das Öffentliche ist BrugFür die Studentin tut sich eine neue, faszinierende Welt auf. Gierig saugt sie alles Wissen auf, was ihr die Dozieren- ger nicht sicher, ob sie nach ihrem Rücktritt als CVP-Kanden präsentieren. Strategie- und Organisationsentwicklung tonsrätin ein zweites Mal ein politisches Amt bekleiden will. sowie Restrukturierungs-Thematiken werden zur bevorzug- Es gibt so viel anderes, was denkbar ist: zum Beispiel der Job, ten Materie. Wenn sie daran denkt, breitet sich erneut dieses den sie im Herbst 2011 angenommen hat. Pia Maria Brugger strahlende Lächeln auf ihrem Gesicht aus. «Wissen Sie was, wird Gemeindeschreiberin in Ebikon – als erste Frau über– das sind bis heute meine starken Themen geblieben.» Mit haupt. Sicher ist: Ohne das Studium an der HWV wäre dieses glühenden Wangen hörte Pia Maria Brugger aber auch den berufliche Leben ganz anders verlaufen. Worten des «fantastischen» Dozenten für Marketing zu, des40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Julia Henseleit

Tourismus & Mobilität, Bachelor of Science in Business Administration Abschlussjahr 2011

Praktisches Management

Julia Hen

seleit, st

udiertE T ourismu

s & Mobilit

ät

Praktisches Management ist ihr Ding. Julia Henseleit, 24, hört gebannt zu, wenn an ihrem Institut Dozierende aus der Praxis berichten. Kürzlich etwa war Luzerns Tourismusdirektor Marcel Perren zu Besuch und referierte über Bestrebungen, Gemeinden rund um den Vierwaldstättersee – Weggis oder «Was ich hier schätze, sind Vitznau etwa – touristisch mit die kleinen, überschaubaren Luzern zu verbinden. «Das ist aktuell und daher sehr interesKlassen. Der Kontakt sant, auch in der Diskussion», zwischen Lehrenden und sagt die blonde Nidwaldnerin. Lernenden ist intensiv.» Sie setzt sich gerne kritisch mit ihrem Umfeld auseinander. Ihr Wunsch, Erlerntes praktisch umsetzen zu können, hat bei dieser Studentin einen beruflich-biographischen Hintergrund: Bevor Julia Henseleit sich an der Hochschule Luzern für Tourismus & Mobilität einschrieb, hatte sie bereits zwei Jahre lang touristische Erfahrungen als Mitarbeiterin der Bergbahnen Titlis

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40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

Rotair sowie in einem Hotel gesammelt. «Ich empfinde es als sehr positiv, dass in unseren Lehrgängen Berufspraxis vorausgesetzt wird», sagt sie. «Das vereinfacht das Studium, da vieles nicht gänzlich neu ist und es somit stärker darum gehen kann, Wissen zu vertiefen.» Zum Tourismus kam Julia Henseleit auf Umwegen. Die Tochter von deutschen Einwanderern wuchs in Stans auf und studierte nach der Matura zunächst Medien- und Kommunikationswissenschaften in Fribourg. Das jedoch entpuppte sich für sie als eine zu theorielastige Ausbildung – statt wissenschaftliche Bücher zu wälzen, wollte Julia Henseleit lieber mit dem wirklichen Leben draussen, den Menschen, in Kontakt treten. Die Eindrücke bei der Bergbahn und im Hotel waren immerhin stark genug, dass sie sich entschloss, das Thema Tourismus an der Hochschule Luzern weiter zu vertiefen. «Was ich an der Hochschule Luzern schätze, sind die kleinen, überschaubaren Klassen», meint sie und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Jeder einzelne Studierende ist sehr intensiv am Unterricht beteiligt.» Das stärker schulische System in Luzern steht im Gegensatz zu dem, was sie an der Universität in Fribourg erlebt hatte. Dort herrschte grosse Anonymität, eine ­Chance, Dozierende persönlich kennenzulernen, gab es praktisch nicht. Hier, an der Hochschule Luzern aber, meint Julia Henseleit, sei das ganz anders – der Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden sei sehr intensiv. Aus dem touristischen Leben gegriffen ist auch die Seminararbeit, an der sie im Frühjahr gearbeitet hat. Es geht um eine Machbarkeitsstudie für den Bau eines Hotels. Das kam den Neigungen der Studentin sehr entgegen. Sie konnte à fond recherchieren und gewissermassen am praktischen Objekt ihr Wissen anwenden. «Wir mussten», sagt sie rückblickend, «alles selbst berechnen: vom Kauf der Parzelle bis hin zur fertig eingerichteten Küche.» Das Arbeitspensum, das es in Luzern zu bewältigen gilt, ist ohnehin gross. Allein im vergangenen Semester etwa verfasste Julia Henseleit vier Seminararbeiten, und nun folgt die Bachelor-Prüfung. Auch die will vorbereitet sein. Das Thema der schriftlichen Arbeit: «Women in Business».


Jonas Wenger

Bachelor of Science in Wirtschaftsinformatik Im Studium seit 2009

Welt der Bits und Bytes

Jonas We ng informati er, Studiert Wirts k chafts-

«Luzern», sagt er und macht eine Handbewegung Richtung See, «ist für mich die schönste Stadt der Schweiz.» Folgerichtig, dass Jonas Wenger das urbane Zentrum am Vierwaldstättersee und die Hochschu«Das Studium schenkt mir le Luzern wählte, als er eine moderne Ausbildungsstätte viele Freiheiten und für das Studium der WirtErfahrungen, die ich später kaum mehr nachholen kann.» schaftsinformatik suchte. Etwas unruhig rutscht der gross gewachsene, schlanke Mann auf seinem Stuhl herum, fast so, als wäre Stillsitzen sein Ding nicht. Sportliche Aktivitäten und Bewegungsdrang liegen Jonas Wenger wohl im Blut, jahrelang hat er aktiv Handball gespielt, und heute steht er auf dem Snowboard. Berge mit coolen Pisten gibt es ja genug rund um seine Lieblingsstadt. Zwei Jahre studiert er schon in Luzern, im Sommer 2011 folgt der Bachelor. 40 Jahre

Genug Zeit, um sich in der Zentral­ schweiz bestens einzuleben und das Studentenleben in vollen Zügen zu geniessen. Vier Jahre Lehre als Informatiker bei Novartis in Basel hat er erfolgreich hinter sich gebracht und weiss jetzt umso mehr «die Freiheiten an der Hochschule zu schätzen», wie er sagt. Sein Studiengang der Wirtschaftsinformatik ist mit 16 Studierenden überblickbar, und Jonas Wenger schätzt den persönlichen Umgang und dass ihn die Lehrenden beim Namen kennen. Wie es ist, wenn der Einzelne in der Masse fast untergeht, hat er während seiner Lehre im Grosskonzern schliesslich erfahren: «Da bist du lediglich eine Nummer.» Jonas Wenger wusste, dass er sich nach der Lehre weiterbilden wollte. «Was ich gelernt hatte», sagt er heute, «war zu wenig herausfordernd.» Ein Bekannter, ein Wirtschaftsinformatiker, brachte ihn auf die Idee, an einer Hochschule einen Abschluss in Wirtschaftsinformatik zu machen; er googelte sich durch das Thema und befand: Wirtschaftsinformatik, das ist es. Die Welt der Bits und Bytes von Grund auf zu verstehen, die Bausteine der Informatik zu kennen, wissen, wie ein Betriebssystem funktioniert – all das wollte sich Jonas Wenger aneignen. Das Lernprogramm an der Hochschule Luzern sei interessant, meint er, aber auch anspruchsvoll, und die Wochen vor Semesterende, wenn Prüfungen anstehen, dementsprechend intensiv. Vielleicht, sinniert Jonas Wenger, werde er irgendwann noch einen Master in Wirtschaftsinformatik machen und auf jeden Fall einmal als IT-Consultant arbeiten. Ein Reiseerlebnis während des Studiums hat ihn besonders beeindruckt: Die Studierenden seines Kurses gingen für sechs Wochen nach Denver in die USA. Zum Angebot gehörte eine «International Campus Experience» – eine Zeit, in der die Studierenden in einer amerikanischen Firma arbeiten und dabei Einblicke erhalten in eine für sie ungewohnte BusinessWelt. «Das Studium schenkt mir viele Freiheiten», meint Jonas Wenger fast philosophierend, «und Erfahrungen, die ich später kaum mehr nachholen kann.» Sagt’s, wirft sich die Jacke über die Schulter und schlendert davon. Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Carina Britschgi

Kommunikation und Marketing, Bachelor of Science in Business Administration Im Studium seit 2009

Spuren in der Kommunikation

Carina B ritschgi , st Kommun ikation u udiert nd Marke ting Eine Frau, nach der man sich umdreht. Gross gewachsen und schlank – eine sympathische Erscheinung im gepflegten Casual-Business-Look. «Ich komme gerade aus der Bank», sagt Carina Britschgi fast entschuldigend, «während der Semesterferien jobbe ich dort.» Für die ausgebildete kaufmän«Ich dachte, ich habe bei der nische Angestellte, die vor ihrem Studium zwei Jahre lang Kommunikation mehr Mögbei der Kantonalbank als Kunlichkeiten, in verschiedene denberaterin gearbeitet hatte, Branchen einzusteigen.» ist das aber auch wieder ein Schnuppern von heimischer Luft. «Wenn ich bei der Bank arbeite, dann merke ich erst, dass ich ja bereits einen Beruf habe und nicht nur Studentin bin», sagt sie lachend, «das vergesse ich manchmal.» Vor allem zu Beginn ihres Studiums vor zwei Jahren sei die Umstellung von der verdienenden Berufstätigen zur Studentin hart gewe-

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40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

sen. Genau das aber hatte sie sich ausgesucht. Nach Abschluss der KV-Lehre mit Berufsmatur hatte sie für ein paar Jahre erst einmal genug vom Schulbankdrücken. Dann, mit den Jahren «spürte ich den Wunsch, mich weiterzuentwickeln». Das breite Ausbildungsangebot in Luzern kam ihren Vorstellungen entgegen, nicht nur weil sie in Zugnähe zu Hause ist, sondern eben auch, weil Carina Britschgi vom praxisorientierten Studium überzeugt ist. «Ich habe einige Jahre gearbeitet und wollte den Bezug zur Praxis auf keinen Fall verlieren.» Die zahlreichen Wahlmodule haben ihr zudem die Möglichkeit gegeben, innerhalb des Wirtschaftsstudiums auf eine ihren Neigungen entsprechende Spezialisierung zu setzen. Die Entscheidung, nach dem Grundstudium in Kommunikation und Marketing statt in Banking und Finance zu vertiefen, kam aus dem Bauch heraus. «Ich dachte, ich habe bei der Kommunikation mehr Möglichkeiten, in verschiedene Branchen einzusteigen», meint sie und nippt an ihrer Cola. Die manchmal trockene Welt der Finanzen, der Konten und Börsen schien ihr etwas zu eng. Es kann gut sein, dass Carina Britschgi in Zukunft einmal mit einem Bein in der Öffentlichkeit steht – sie träumt davon, vielleicht einmal als Pressesprecherin in einem Unternehmen zu arbeiten. Das käme Charakter und Interessen entgegen, meint sie. «Ich präsentiere gerne, und es macht mir nichts aus, vor Leuten zu sprechen; ich gehe gerne auf Menschen zu.» Im Privaten hat ihre Kommunikationsfreudigkeit jedenfalls bereits Spuren hinterlassen: In Luzern hat sie sich bereits einen munteren Freundeskreis aufgebaut. «Kollegen, die in einem ähnlichen Alter sind wie ich», sagt sie, und die eine ganz ähnliche Vergangenheit hätten, «das schweisst zusammen.»


Luc Boll

Tourismus & Mobilität, Bachelor of Science in Business Administration Im Studium seit 2008

Quereinsteiger mit Vorleben Vielleicht ist er so etwas wie ein Quereinsteiger. Ganz sicher aber ist die berufliche Laufbahn von Luc Boll nicht unbedingt typisch für einen Studierenden der Wirtschaft. «Natürlich», sagt der drahtige 32-Jährige mit den aufmüpfigen Sommersprossen, «gehöre ich zu den Älteren in meinem Semester, aber die Erfahrungen, die ich einbringen kann, empfinde ich als Vorteil.» Es hatte schliesslich lange gedauert, bis er seinen Weg in die Hochschule Luzern gefunden hatte. Zunächst studierte er an der Universität in Fribourg Geschichte und Politische Wissenschaften, nahm aber auch noch einen Teilzeit-Job in einem Reisebüro an – und realisierte dabei: «Was ich dort zu tun bekam, interessierte mich mehr als die Lektionen an der Universität.» Sein Studium brach er daraufhin ab. Fünf lange Jahre machte ihm diese Arbeit und der Umgang mit sehr unterschiedlichen Menschen viel Spass. Er musste jedoch feststellen, dass ihm für anspruchsvollere Aufgaben in diesem Metier schlicht die Grundlagen fehlten. Wieder handelte Luc Boll konsequent und suchte eine entsprechende Fortbildungsmöglichkeit. Dabei hatte er klare Vorstellungen: Praktische Vorkenntnisse sollten Voraussetzung sein, und praxisorientiert sollte auch die Weiterbildung sein. All das fand Luc Boll schliesslich in Luzern. «Einen solchen Studiengang gibt es in der Deutschschweiz praktisch nirgendwo sonst», sagt er. In diesen Teil des Landes wollte der Romand aber unbedingt – auch der Sprache wegen, die er bei sich verbessern will. An der Hochschule Luzern gefällt ihm vor allem, zu Mitstudierenden und Dozierenden eine persönliche Beziehung zu pflegen. «Das geniesse ich sehr», meint er, «wenn ich in der Mensa einen Dozenten von früher treffe, kennt der noch meinen Namen und erkundigt sich

Luc Boll, S

tudiert T ourismu

s & Mobilit

ät

auch, wie es mir geht.» Die Lehrenden seien allesamt ausserordentlich hilfsbereit und engagiert. Und dass die Hochschule Luzern den Studierenden bereits während ihres Studiums die Möglichkeit bietet, durch ein Patenprogramm mit dem Berufsumfeld in Kontakt zu kommen, findet er «schlicht genial». Für diese Ausbildung «Für mich hat sich erfüllt, nimmt er auch in Kauf, aus was ich mir von diesem Kostengründen wieder bei Studium erhofft hatte. und den Eltern in Murten zu ich bekam die Ausbildung, wohnen und jeden Tag nach die mir fehlte.» Luzern pendeln zu müssen. Inzwischen ist er im dritten Studienjahr und steht kurz vor der Bachelor-Arbeit, welche Luc Boll über das Marketingkonzept für die SACBerghütten schreiben will. «Für mich», urteilt er in schönstem Deutsch mit französischem Einschlag, «hat sich bislang alles erfüllt, was ich mir von diesem Studium erhofft hatte. Und ich bekam die Ausbildung, die mir fehlte.» 40 Jahre

Hochschule Luzern – Wirtschaft

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Aida Tekle

Master of Science in Business Administration, Major in Tourism Im Studium seit 2009

Business von morgen

Aida Tekl

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rt Tourism

us

Die Haare korrekt nach hinten frisiert, klassisch gekleidet, eine geradlinig designte Brille auf der Nase: Aida Tekle, die 23-jährige Studentin, lässt sich schon heute durchaus als die Business-Frau von mor«Der Unterrichtsstil ist gen vorstellen. Ihr perfektes Englisch spricht sie mit ameanspruchsvoll.» rikanischem Akzent, und dabei lächelt sie amüsiert: «Das ist kein Wunder, ich habe in den USA studiert.» Bevor die gebürtige Äthiopierin vor zwei Jahren nach Luzern kam, lebte sie in Minnesota und belegte dort an der St. Cloud State University das Fach Tourismus. Doch die in einem internationalen Umfeld ausgebildete Aida, die eine englische Schule besuchte und mit dem britischen ­Examen GCSE (General Certificate of Secondary Education) abgeschlossen hat, wollte nach dem amerikanischen Bachelor

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auch noch Europa besser kennenlernen. «Für mich», sagt sie und nippt an ihrem StarbucksMilchkaffee, «ist enorm wichtig, dass ich möglichst viele Vergleichsmöglichkeiten habe.» Der Kulturschock kam beim Studienbeginn dann doch. Die Hochschule Luzern ist in ihren Augen klein und überschaubar, so ganz anders als die Universität in den USA, die Aida Tekle kennengelernt hatte. Und auch die Stadt Luzern kam dem in Addis Abeba aufgewachsenen Stadtkind zunächst «winzig und klein» vor. Mittlerweile aber schätzt sie genau diese persönlichen Strukturen, den engen Zusammenhalt unter den Studierenden, die aus vieler Herren Länder den Weg an den Vierwaldstättersee gefunden haben. «Das», ist sie sich sicher, «ist ein Benefit für jeden Einzelnen von uns.» Und daraus resultieren auch etliche kulturübergreifende Freundschaften. Um doch so etwas wie Grossstadtluft zu schnuppern, lebt Aida aber in Kloten, immerhin nur einen Steinwurf von Zürich entfernt. Zwei Tage die Woche pendelt sie nach Luzern, vollbepackt mit Terminen für Seminare und Vorlesungen. Das Studienprogramm findet sie «herausfordernd». Sie musste sich nach dem Studium in den USA zunächst gehörig umstellen. «Die Professoren verfolgen hohe Qualitätsansprüche», sagt sie, und der Druck bei den Prüfungen sei enorm. Dennoch: Diese Schulung für die spätere Praxis tue ihr gut. «Ich bin froh», schiebt sie nach kurzer Pause nach, «dass wir über die Hochschule Luzern die Möglichkeit haben, Unternehmen und Unternehmer in der Tourismusbranche kennenzulernen.» Auch wenn sie im Moment noch nicht ganz genau weiss, wohin ihre berufliche Reise innerhalb des Tourismus nach dem Master gehen wird. «Ich bin offen für alles», sagt sie, «ich könnte mir sogar vorstellen, im Reisejournalismus zu arbeiten.» Sicher ist nur, dass Aida Tekle mit dem in den USA und Europa erworbenen Wissen im Koffer wieder in ihre Heimat zurückkehren wird. In Äthiopien werden gut ausgebildete Arbeitskräfte überall gebraucht.


Raphael Furrer

Immobilien, Bachelor of Science in Business Administration Im Studium seit 2009

Glücklicher Frontmann

Raphael F urrer, st udienric Immobili htung en

Versuchskaninchen? Oder glücklicher Frontmann eines eben erst neu eingerichteten Studiengangs? Raphael Furrer zählt sich ganz klar zum Zweiten. Er gehört zu den knapp 30 Studierenden, die vor zwei «Entweder ich arbeite später Jahren an der Hochschule Luzern – Wirtschaft erstmals für einen Immobilienfonds die Fachrichtung Immobilien einer Bank», sagt er, «oder belegt haben. «Spannend zu werde selbst Bauherr.» sehen, wie sich auch die Inhalte an den Seminaren der Hochschule Luzern entwickeln», sagt er. Der 23-Jährige aus Horw am Vierwaldstättersee hat sich sogleich immatrikuliert, als die Studienrichtung Immobilien am Departement Wirtschaft zu belegen war. Und Raphael Furrer verfolgt dabei ein klares Ziel. «Entweder ich arbeite später für einen Immobilienfonds einer Bank», sagt er, «oder werde selbst Bauherr.» 40 Jahre

Sein Outfit – modisches Karohemd, gelbe, an den Knöcheln gekrempelte Chinohose, trendige Sommerturnschuhe – verrät sein Flair für Sorgfalt. Dieser Mann überlässt wohl nur wenig dem Zufall. Es passt ins Bild, dass die berufliche Karriere von Raphael Furrer bislang wie am Faden aufgezäumt verlief: drei Jahre Banklehre bei Raiffeisen, dann Berufsmatura und schliesslich ein Jahr Offiziersschule bei der Schweizer Armee. Letzteres eine Zeit, «die mir viel an Erfahrungen gebracht hat, die ich sonst nicht gemacht hätte», meint er rückblickend. Nun also drückt er wieder die Schulbank. Er lacht, meint leicht schelmisch, «ja, und danach habe ich dann vom Lernen wohl erst einmal genug.» Im kommenden Jahr wird er seinen Bachelor in der Tasche haben, dann zwei, drei Jahre arbeiten, bevor er dann möglicherweise noch einen Master nachschiebt, auch, weil ihn das Thema Immobilien wirklich interessiert. Der Stoff, sagt Raphael Furrer, sei «vielfältig und spannend». Der Reigen reicht von Kostenrechnungen bis zur Gebäudetechnik und Architektur. Die Studierenden nehmen bei gelegentlichen Reisen optisch besonders gelungene Bauten auch gern in persönlichen Augenschein. Das Studentenleben hat sein Gutes, meint Raphael Furrer, wie auch die Möglichkeit, sich seine Zeit selber einteilen zu können. In der Freizeit im Sommer mit Freunden auf dem Vierwaldstättersee wakeboarden, im Winter im Blickfeld des Sees zu snöben – was will man mehr? Nur Dolce Vita ist das Studium aber keineswegs, es gilt auch, die Disziplin aufzubringen, sich immer wieder sorgfältig auf die Prüfungen vorzubereiten. «Diese habe ich bislang problemlos aufgebracht», sagt Raphael Furrer. Vorbereitungen zu den Prüfungen seien zwar streng, und man müsse Prioritäten setzen können. Auch bei der Arbeitseinstellung übrigens, denn «wer die Motivation nicht mitbringt», ist Raphael Furrer überzeugt, «sich einfach nur zum Studium einschreibt, bleibt unter Umständen hängen.»

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Patrik Imhof

Banking and Finance, Bachelor of Science in Business Administration Im Studium seit 2009

Anspruchsvolles Financing

Patrik Imh o

f, studie

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g and Fin

ance

Aufgewachsen ist Patrik Imhof ganz in der Nähe, am äussersten Zipfel des Vierwaldstättersees, in der Urner 1’600-Seelen-Gemeinde Seedorf. Der Weg an die Hochschule Luzern – Wirtschaft, wo er seit 2009 am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ «Ich weiss: ich habe mit dem seinen Bachelor in Bank­ing and Finance absolviert, war Studium eine gute Ausdennoch ein langer. Der Vater bildung, und es wird kein Industriemeister, die Mutter Problem sein, einen guten wirtete im Sommer am SusJob zu finden.» ten; und Patrik Imhof machte seine KV-Lehre bei der Ruag in Altdorf, holte die Berufsmatur nach, und nun ist er der Erste der fünfköpfigen Familie, der eine Hochschule betreten hat. Im Hinterkopf hatte er schon länger, Wirtschaft studieren zu wollen, zu eingeschränkt erschienen ihm die Arbeiten, die er als Lehrling zu erledigen hatte. Patrik Imhof dürstete

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es nach Anspruchsvollerem. Als er einmal im Auditorium der Hochschule Luzern – Wirtschaft an einer Informationsveranstaltung sass, wurde ihm klar: Hier will er studieren. Dass aus diesem Wunsch schliesslich die Fachrichtung Banking and Finance geworden ist, hat auch mit dem IFZ-Institutsleiter Christoph Lengwiler zu tun, der ihn motiviert hat, in diese Spezialisierung einzusteigen und später auch noch einen Master nachzuschieben. So ist der studentische Weg des aufgeweckten jungen Mannes aus Seedorf wohl vorgezeichnet: erst der Bachelor, dann, ab 2012, der Master in Banking and Finance. Dass dies möglich ist, hat auch damit zu tun, dass er für das Master-Studium den Eltern finanziell nicht mehr auf der Tasche liegen muss – am IFZ hat er einen 40-ProzentJob im Event-Management erhalten. Auch das ist ein Beweis, dass an dieser Hochschule Lehre, Forschung und Praxis sich die Hand reichen. Dermassen präpariert, mit dem Master in der Tasche, will Patrik Imhof später ins Berufsleben einsteigen. Konkrete Pläne wälzt er für die Zeit nach dem Studium zwar noch nicht. «Ich will mich nicht festlegen», sagt er, «aber ich weiss: Ich habe mit dem Master eine gute Ausbildung, und es wird kein Problem sein, einen guten Job zu finden.» Und dann fördert das Gespräch doch noch einen tiefer sitzenden Traum einer möglichen Berufung zutage. «Ein internetbasierter Food-Delivery-Service für den Kanton Uri», sagt er, und nun leuchten die Augen, «das wäre eine Geschäftsidee für die Selbstständigkeit.» Kunden könnten via Web Menüs aus lokalen Restaurants bestellen, und er, Patrik Imhof, würde für den Transport der Speisen und den Service bei den Kunden daheim besorgt sein. Das könnte eine schöne Marktlücke darstellen, aber weil Patrik Imhof schliesslich Banking and Finance studiert, will er diesen Business Case zunächst fundiert analysieren: als Thema seiner Bachelor-Arbeit.


Ly Quy Pham

Master of Science in Business Administration, Major in Tourism Im Studium seit Februar 2011

Leicht im Sein Eine Unterhaltung mit Ly Pham macht froh. Strahlend empfängt, lachend erzählt sie. Die Vietnamesin aus Hanoi ist sozusagen die Inkarnation der Leichtigkeit des Seins. Bereitwillig und lebhaft berichtet die 28-Jährige, wie und warum sie nach Luzern gekommen ist, um hier ihren Master in Tourismus zu machen. Sie schmunzelt und meint dann lachend, dass sie zunächst furchtbar Angst gehabt hätte vor dem Klima, das sie in Mitteleuropa erwarten würde. «Ich komme schliesslich aus einem Land, in dem tropische Temperaturen herrschen», sagt sie. Zudem war sie sich nicht ganz sicher, ob sie hierzulande wegen ihrer dunklen Hautfarbe nicht bestaunt werden würde. In der Schweiz zu studieren – auf diese Idee hat Ly Quy Pham ihr ehemaliger Chef in Vietnam gebracht, bei dem sie einige Jahre für eine Kreuzfahrts-Gesellschaft gearbeitet hat. Der Mann, ein Heimweh-Luzerner notabene, schwärmte derart von seinem Heimatland, dass sie selber mächtig neugierig wurde. Ly Pham, die bereits einen Abschluss in Tourismus und einen in Ökonomie hatte, beschloss, auch noch den Master zu machen, und trug sich zunächst mit dem Gedanken, in Korea zu studieren. Zumindest so lange, bis ihr Chef sie eben davon überzeugte, dass die Schweiz ein spannender Ort für ihr Studium sein könnte. Im September 2010 bestieg sie ein Flugzeug, um sich von diesem unbekannten Land selber ein Bild zu machen. So international, so freundlich hatte sie sich die Menschen hier nicht vorgestellt. Die Entscheidung, in Luzern zu studieren, fiel auch aus einem praktischen Grund; die von ihr gewählten Master-Studiengänge werden auch in englischer Sprache angeboten, und auch die Immatrikulation erfolgte schnell und unbürokratisch. Als Ly Quy Pham ihre Visa-Papiere in Vietnam zu spät erhielt, ermöglichte ihr die

Ly Quy Ph a

m, studie

rt Tourism

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Schulleitung aufgrund ihrer Vorkenntnisse, in Luzern im zweiten Semester einzusteigen und danach das erste nachzuholen – eine Flexibilität, die sie sehr schätzt. Nun findet sich die Vietnamesin in einer Klassengemeinschaft mit 14 Studierenden aus der ganzen «Eine Arbeitsstelle Welt wieder: Von Costa Rica, in der Schweiz macht China, Kanada, Russland oder sich hervorragend im Indonesien kommen sie her, Lebenslauf.» und gemeinsam geniessen sie das internationale Flair im Kurs. Das Arbeitsniveau an der Hochschule sei eine Herausforderung, «welche viele an ihre Grenzen führt». Und nach dem Studium? Dann, strahlt Ly Quy Pham, will sie zunächst noch eine Weile in der Schweiz bleiben. Nicht nur der Liebe wegen, die sie hier gefunden hat. Sondern ganz einfach auch deshalb, «weil sich eine Arbeitsstelle in der Schweiz im Lebenslauf hervorragend macht». 40 Jahre

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Prof. Verena Glanzmann Dozentin seit 1981

Fitness des denkens

Verena G lanzman n, Dozen für Betri tin ebs- und Regionalö am Institut konomie IBR Wer etwas über die Hochschule Luzern – Wirtschaft erfahren möchte, ist bei Verena Glanzmann an der richtigen Adresse. Diese Frau ist seit drei Jahrzehnten dabei und hat nichts von ihrer Leidenschaft für die Hochschule Luzern verloren. Wie «Seit ich 1981 an der als Papier gewordener Beweis für ihren Einsatz für die damaligen HWV zu unterHochschule Luzern stapeln richten begann, hat sich sich in ihrem Büro hoch die Schule sehr verändert. über dem Luzerner Bahnhof Damals waren wir drei Lehrende, heute sind wir 70.» Akten und Bedrucktes. Das Ambiente zeugt auch von mehrdimensionaler Verantwortung – die gelernte Betriebsökonomin Verena Glanzmann ist nicht nur Lehrende, sondern am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR auch für die Weiterbildung zuständig. Dreissig Jahre! Verena Glanzmann staunt selbst über die Zeit, die vergangen ist, seit sie

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1981 an der damaligen HWV zu unterrichten begann. «Die Schule hat sich inzwischen sehr verändert», sagt die Professorin, die einst selbst HWV-Absolventin war. «Früher waren wir drei Lehrende, heute sind wir 70.» Jeden Schritt dieses Aufbaus hat sie miterlebt, ja mitgestaltet, und sie hat auch mitgeholfen, am Institut die Aus- und Weiterbildung in der Betriebswirtschaftslehre zu verankern. Heute ist Verena Glanzmann auf Human Resources und Team-Führung spezialisiert. Wenn die Dozentin von ihren Studierenden spricht oder von ihrer täglichen Arbeit am Institut, sprudelt es nur so aus ihr hervor. Vor einer Klasse stehen, 35 neugierig-aufmerksame Gesichter vor sich zu haben, Inhalte vermitteln: Das ist, was sie liebt. «Wissensvermittlung hat mit Handwerk zu tun», sagt sie, betont aber auch, dass Studierende den Stoff leichter aufnehmen, wenn sie die «Empathie der Lehrenden für ihr Fach» spüren. «Einfach nur dastehen und den Stoff herunterleiern, das geht nicht», sagt sie und schüttelt energisch den Kopf. Ihr jedenfalls ist der persönliche Kontakt zu ihren Studierenden sehr wichtig. Die Arbeit mit jungen Menschen führe zu einer «unglaublichen Fitness im Denken», und so kommt es auch, dass die Dozentin Soziale Medien wie Facebook selbstverständlich kennt und auch weiss, welche Musik bei den Jungen gerade angesagt ist. Auch dies eine Art, sich über die Generationen hinweg zu verständigen. «Wer in diesen Dingen nicht up to date ist», weiss die Dozentin, «bekommt das von den Studierenden schon vermittelt.» Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden empfindet sie als steten Balanceakt zwischen Nähe und Distanz. Nur eins ist klar: «Ich bin es, die am Ende die Leistungen zu beurteilen hat.» Und wie steht sie dazu, wenn mitunter Ex-Studierende als Dozenten und Referenten die Hochschule Luzern beehren? Sie lacht, die blauen Augen im sonnigen Gesicht leuchten, «es ist schön, wenn die Studierenden nach ein paar Jahren zurückkommen und sagen, doch, ich habe profitiert.»


Prof. Dr. Robert Bornhauser Dozent seit 1991

Dozent mit Leidenschaft Die Einstellung zu seinem Beruf umschreibt er mit: «feu sacré». Wissen vermitteln ist Leidenschaft, und Robert Bornhauser ist mitnichten der trockene Experte, den man hinter einem Dozenten für Rechnungswesen, Reporting und Finanzanalyse vermuten könnte. Federnden Schrittes betritt er den Raum, temperamentvoll erzählt er von seinem Spezialgebiet, und sein Alter von über sechzig straft er, nach dem ersten Eindruck zu urteilen, ebenfalls Lügen. «Wer bei anderen Leidenschaft entfachen will, muss brennen für die eigene Sache», sagt er, und: «Ein guter Dozent muss Empathie haben für andere Menschen.» Das Rechnungswesen, schiebt er nach, könne spannend sein wie Medizin. Eine Bilanzanalyse zeige rasch, ob «der Blutdruck eines Unternehmens in Ordnung ist oder nicht». Er veranschaulicht die zahlenreiche Materie, visualisiert komplexe Zusammenhänge, stellt und lässt auch Fragen zu. Keine Unterrichtssequenz darf es geben, betont er, «in der nur ich das Wort führe». Zahlen, Zahlenreihen, knifflige Rechenaufgaben – so etwas hat Robert Bornhauser schon an der Kantonsschule Luzern elektrisiert. Heute sagt er: «Neben meiner Passion fürs Klavierspielen bin ich immer schon ein Zahlenmensch gewesen.» Leicht exotisch mag das damals schon gewesen sein; aber weil das so war, hievte er die mathematisch weniger begabten Mitschüler mit Nachhilfestunden auf ein höheres Zahlenniveau, was sich bei diesen in einer besseren Note niederschlug. Mit knapp 17 Jahren war für Robert Bornhauser auch klar, dass er einmal an der Hochschule St.Gallen Wirtschaftspädagogik studieren wollte. Nach dem Lizentiat arbeitete er Teilzeit als Handelslehrer, promovierte und heuerte dann, 1981, bei der Zürich-Versicherung an.

Robert Bo rn für Finan hauser, Dozent a m Institu zdienstl eistunge n Zug IFZ t «Neugierig auf die Privatwirtschaft», sagt er heute, sei er gewesen und habe auch dort immer Neues lernen wollen. Fünf Jahre bei der Zürich-Versicherung waren prägend für Bornhauser, und heute profitieren seine Studierenden von diesen Erfahrungen aus «Wer bei anderen der unternehmerischen PraLeidenschaft entfachen xis. «Ich war in leitender Powill, muss brennen für sition tätig», sagt er, «und ich die eigene Sache.» durchlief in dieser Zeit auch eine militärische Ausbildung zum Generalstabsoffizier.» Strategisches Denken und planerische Fähigkeiten habe er dort trainiert und «auch gelernt, anspruchsvolle Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen». Nun verbindet Robert Bornhauser all diese Fähigkeiten – sei es an der Hochschule Luzern oder an der Universität in Bern –, und das macht ihn zum Dozenten mit Leidenschaft – «feu sacré» eben. 40 Jahre

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Prof. Dr. Maurizio Tuccillo Dozent seit 2006

Atomkern und Computer

Maurizio Tu für wirts ccillo, dozent a m institu chaftsin t formatik IWI Wenn er spricht, bewegen sich die Hände im Takt seiner Ausführungen. Der Mann ist mit Leidenschaft bei der Sache, spricht mit Begeisterung über seinen Job als Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik IWI der Hochschule Luzern. Dabei «er agiert heute dreihat sich Maurizio Tuccillo kilometerweit von seiner urdimensional: sprünglichen Berufsausbilals Forscher, als Lehrender, dung entfernt – er ist promoals Unternehmer.» vierter Kernphysiker und hat sich Schritt für Schritt zum Informatik-Experten gehäutet. Nach dem Studium stieg er beim Detaillisten Coop als Spezialist für WindowsSysteme ein, später war er Network-Engineer, schliesslich IT-Security-Engineer bei einem Finanzdienstleister. Und so bewegte sich Tuccillo auch immer weiter weg von der Wissenschaft, die er ursprünglich angestrebt hatte, in die Praxis. Als die Hochschule Luzern – Wirt-

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schaft im Jahre 2006 einen wissenschaftlichen Mitarbeiter für den Bereich IT-Forensics suchte, winkte ihm die Chance, als Dozent in einen Wissenschaftsbetrieb einzusteigen. Gefragt, was denn Atomkerne und Computer an Gemeinsamkeiten aufweisen, folgen die Hände der Argumentation. «Methodologisch», sagt Tuccillo, «geht es bei beiden um Experimente und Analyse.» Auch das klingt nach Wissenschaft. Zu achtzig Prozent verbringt der Dozent seine Zeit denn auch forschend, zu einem Fünftel bildet er IT-Ermittler aus. Auch Ersteres ist kein Elfenbeinturm, sondern angewandte Forschung. «Praxistaugliche Methoden für die IT-Forensik», nennt dies Tuccillo, «damit Fahnder bessere Ermittlungsergebnisse erzielen.» Der Dozent steht im Dauerkontakt mit den Ermittlern draussen im Lande, von denen einige auch seine Kurse besucht haben. Daraus wächst eine fruchtbare Zusammenarbeit für beide Seiten und ein fortschrittliches Business-Modell für die Hochschule Luzern: Immer wieder wird Maurizio Tuccillo von Polizeicorps als Sachverständiger oder als Experte für knifflige Ermittlungen gebucht. Mit einer kantonalen Untersuchungsbehörde hat er inzwischen sogar einen Vertrag abgeschlossen, der jener ein gewisses Zeitbudget des Experten Tuccillo sichert. Mit einem angenehmen Nebeneffekt für den Dozenten. Er kann eine zusätzliche Person, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, in das Team der IT-Forensik aufnehmen: eine Quereinsteigerin – sie ist Geisteswissenschaftlerin –, wie er selbst als Kernphysiker auch einer war. Tuccillo agiert inzwischen dreidimensional: als Forscher, als Lehrender, als Unternehmer. Vielfältig das Berufsbild, welches sich ihm an der Hochschule Luzern bietet.


Prof. Dr. Jacqueline Holzer Dozentin seit 2003

Interdisziplinäre Praxis «Ich rede sonst schneller», sagt Jacqueline Holzer fast entschuldigend, als sie sich nach dem Interview verabschiedet. Verschnupft ist sie, nach einer Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer mit 77 Studierenden. «Ein Opfer der Klimaanlage», wie sie meint. Man fragt sich: Wenn das ihre langsame Seite ist, wie ist dann erst die schnelle? Die Frau ist ständig auf Sendung, plaudert locker über Zeitgeist-Phänomene wie Facebook, um dann fast übergangslos über ihr akademisches Wirken zu berichten. Etwa darüber, dass sie einst im Bereich Wissenschaftsgeschichte über «Linguistische Anthropologie» promoviert hat. Über diese Wahl kann die Professorin noch heute schmunzeln. «Das ist schon ein spezielles Thema», meint sie lapidar, «die Promotion wurde auf dem Buchmarkt kein Verkaufsrenner.» Studiert hat die 44-Jährige zunächst Germanistik, Volkswirtschaft und Philosophie in Zürich – und später an Universitäten in Philadelphia, Chicago, Berlin und London geforscht. Ihr besonderes Forschungsinteresse gilt neben der Wissenschaftssoziologie auch der Innova­ tion. Seit 2003 unterrichtet sie an der Hochschule Luzern Kommunikation, Rhetorik und Wissenschaftstheorie. Und nebenher hat Jacqueline Holzer an ihrem alten Arbeitsort, der Universität Zürich, noch lange Jahre als Mitglied eines zehnköpfigen Kuratoriums den Aufbau des Master-Studiengangs Kulturanalyse begleitet. Insgesamt summiert sich dies auf einen stattlichen interdisziplinären wissenschaftlichen Erfahrungsschatz. Jacqueline Holzer bildet Studierende aus, die aus der Praxis kommen und in die Praxis entlassen werden, und doch bleibt ihre Leidenschaft für die Forschung stets spürbar. Immer wieder bricht aus ihr die Wissenschaftlerin hervor.

Jacqueli ne Holze r, d Institut für Komm ozentin am unikatio Marketin n und g IKM «Ich betreibe Feld- und Dokumentenforschung, schreibe wissenschaftliche Artikel», erzählt sie, «und ich sammle Gelder für neue Projekte.» Interdisziplinär ist auch ihre Arbeitsweise: etwa in Zusammenarbeit mit dem Institut für Betriebsund Regionalökonomie IBR zum Thema Innovation und «Wir bilden die Studieren­ Leadership. «Wir fragen uns den für die Praxis aus. dazu etwa», sagt sie, «welche Freiräugehören auch theoretische me zu nachhaltiger Innovation Kenntnisse.» führen.» So fliesst bei Jacqueline Holzer alles in eins: Wenn sie an der Hochschule Luzern beim Master-Studium Berufstätige im Fach Kommunikation unterrichtet, erhalten diese einen praxisorientierten Unterricht, der von ihrer Forschung befruchtet wird. «Das ist das Besondere an der Hochschule Luzern – Wirtschaft», meint sie, «wir bilden die Studierenden klar für die Praxis aus – im Wissen, dass dazu auch theoretische Kenntnisse gehören.» 40 Jahre

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Christine Herzer Dozentin seit 2009

Wirken im Sport

Christin eH für Tour erzer, Dozentin a ismuswi rtschaft m Institut ITW «Sport ist mein Leben», sagt die zierliche Dozentin. Diese Passion hat Christine Herzer stets in Bewegung gehalten. Sei es – in jüngeren Jahren – als aktive Spitzensportlerin in der U20-Nationalmannschaft der Handballerinnen oder später als Manage«Wie im Mannschaftssport: rin im Sport-Business. Sie hat sich in Sachen Sport zweifelein gelungener Sport-event los eine beeindruckende Exist immer der Erfolg des pertise erarbeitet, doch wenn ganzen Teams.» sie darauf angesprochen wird, huscht höchstens ein scheues Lächeln über ihr Gesicht. Diese Frau ist bescheiden geblieben, wenn es um ihr Wirken in der Sportwelt geht. Zum Beispiel hat sie die Schweizer Segel-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 betreut. Ihre Augen strahlen noch heute, wenn sie von den Reisen in das Reich der Mitte erzählt. Gerade ist Christine Herzer aus Vancou-

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ver zurückgekehrt, wo ihr Lebenspartner für ein paar Jahre gearbeitet hat, und dies hatte auch Auswirkungen auf ihren eigenen beruflichen Lebensweg. Eine Anfrage des Instituts für Tourismuswirtschaft ITW an die Betriebswirtin, ob sie an der Hochschule Luzern an einer Dozentenstelle im Fachgebiet Sporttourismus interessiert sei, kam just in dem Moment, als die Koffer mit Destination Kanada schon gepackt waren. Die Frage war: Ist ein Kanada-Aufenthalt mit einer Dozententätigkeit in Luzern vereinbar? Noch heute ist sie der Institutsleitung dafür dankbar, dass sie es ihr ermöglicht hat, trotz häufiger Auslandsaufenthalte den Job zu übernehmen. Ihre Unterrichtsmodule im Bachelor-Studiengang umfassen Ski-, Velo- und Wandertourismus, ihr absolutes Lieblingsfach aber sind Sport-Events. «Sport­-Events», sagt sie, «sind für die Tourismusbranche äusserst bedeutsam.» Gelernt wird von der Pike auf. Christine Herzer vermittelt auch Basisinformationen, etwa darüber, wie die Schweizer Sportlandschaft organisiert ist. Das Feedback der Studierenden über die Qualität ihrer Dozententätigkeit erreicht sie unmittelbar. «Ich weiss nach jeder Stunde ganz genau, ob ich gut war oder nicht», meint sie lapidar. Spannend, sagt die Dozentin, sei der spezifische Mix aus Projekt- und Lehrarbeit sowie Forschungstätigkeit an der Hochschule. Ein absolutes Highlight für Dozierende wie Lehrende war in dieser Hinsicht die Organisation des World Tourism Forum Lucerne (WTFL) im vergangenen April. Diesen Anlass, der 2011 dem Thema Nachhaltigkeit im Tourismus gewidmet war, hat Christine Herzer nicht nur begleitet, sondern auch moderiert. Ein willkommener Ausflug in die Praxis der Event-Organisation. «Und es ist wie im Mannschaftssport», sagt Christine Herzer, «ein gelungener Event ist immer der Erfolg eines ganzen Teams.»


Simon Künzler Dozent seit 2006

Puls der Praxis «Studierende», rüffelte die Dame im Sekretariat, «haben hier nichts zu suchen.» Und sie erschrak, als sich der vermeintliche Student als Dozent entpuppte, der nur rasch seine Ausdrucke aus dem Kopierer holen wollte. Simon Künzler macht eine Handbewegung vom Hals zum Gesicht hoch, «da ist sie rot geworden», meint er mit breitem Lachen, und sein Strich-Bärtchen in der Mitte des Kinns wippt vor Vergnügen mit. Dass die Vorzimmerdame sich irrte, sei gerne verziehen. Der Mann, der da vor ihr stand, in Turnschuhen, Jeans und mit einem Hauch von Bart im Gesicht, dieses optische Gesamtkunstwerk entspricht nun einmal eher dem Klischee des Studenten als dem Bild von der Autoritätsperson eines Dozenten. So kann man sich täuschen. Simon Künzler ist Dozent für Online-Kommunikation und Marketing mit einem 30-Prozent-Pensum an der Hochschule Luzern. Seit Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaft an der Hochschule St.Gallen mit Schwerpunkt Marketing ist er im Online-Business aktiv, hat zusammen mit einer Kollegin eine eigene Firma aufgebaut: die Xeit GmbH, mit Sitz in der Zürcher Altstadt. Ein gutes Business. «In unserem Fachgebiet», sagt Künzler, «ist die Nachfrage nach Spezialisten immens.» Er selber ist einer dieser Typen, weiss alles über Social Media und all die Plattformen, die das Internet geboren hat. Und Simon Künzler weiss auch Bescheid über die geschäftlichen Chancen, die diese modernen Kommunikationsmittel für Unternehmen bergen – dort sind beide begehrt, Social Media wie auch Künzlers Wissen darum. Seine Studierenden freut’s. Häufig bekommen diese «Cases» vorgesetzt, die Künzler aus seiner Firma mitbringt, den Puls der Praxis liefert er mit. «Durch die Bearbeitung konkreter Fälle sammeln Studierende Erfahrungen, die auf dem Arbeitsmarkt wichtig sind», weiss der Dozent.

Simon Kü nzler, Do ze Kommun ikation u nt am Institut f ür nd Marke ting IKM

Für ihn ist die Arbeit zwischen Hochschule und Praxis eine perfekte Symbiose. «Ich bringe die Praxis», sagt er, «und habe durch die Hochschule Zugang zu wissenschaftlichen Studien.» Auf Interesse stösst sein Fach nicht nur bei den Einsteigern der Bachelor-Stufe, sondern auch bei den Praktikern, die in Luzern Weiterbildungs«in unserem Fachgebiet angebote buchen. So hängen ist die Nachfrage nach dann gestandene Marketingspezialisten immens.» Profis aus den grossen Unternehmen an seinen Lippen. «Es ist auch umgekehrt», betont Künzler, «ich lerne auch viel von diesen Leuten.» Das ist das Faszinosum, welches Dozent, Studierende und MarketingProfis vereint: die sich stetig wandelnde Welt des Online-Marketings. Sucht Simon Künzler einmal Abstand von der schnellen Welt im Web, geht er im Morgengrauen angeln. Dass er einen eigenen Fischer-Blog betreibt, ist für einen wie ihn nur konsequent. 40 Jahre

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Hans Lütolf

Gründungsrektor HWV, Rektor Fachhochschule Zentralschweiz 1971–2000

«Es herrschte In die Gründung selber waren Sie aber nicht involviert?

Nein. Ich war an der Kantonsschule Luzern als Handelslehrer tätig und habe mich auf ein Inserat beworben, in dem ein Rektor für die HWV gesucht wurde. Ich hatte aber noch keine Vorstellung von der geplanten HWV. Bis zum Start blieb mir ein halbes Jahr zur Aufstellung des Lehrplans. Ich besuchte die bereits existierenden vier HWVs, um festzustellen, welche Fächerangebote und Schulungsvarianten für die HWV Luzern optimal wären. Was hat Sie an diesem Job gereizt?

Etwas Neues aufzubauen und mit jungen Erwachsenen zu arbeiten, das hat mich gelockt, aber auch die Kontakte zur unternehmerischen Praxis. Wie lief die Finanzierung zu Beginn?

Zunächst war es eine rein kantonale Schule für Luzern mit Bundesbeiträgen gemäss Berufsbildungsgesetz. Die anderen Kantone hans lüt unterstützten uns durch Schulgeldbeiträge pro olf, Grün dungsre HWV Luze Studierendem mit Wohnsitz im betreffenden ktor der rn Kanton. Um die Beiträge zu erhalten, mussten wir Wohnortverzeichnisse abliefern, die von einHerr Lütolf, Sie waren 1971 Gründungsrektor der HWV Luzern. zelnen Innerschweizer Erziehungsdirektoren sogar persönlich überprüft wurden. Wie sah damals das Bildungsangebot für den Nachwuchs der Wirtschaft in der Innerschweiz aus?

Wie gross war die Schule zu Beginn?

Abgesehen von einigen Weiterbildungsangeboten und Vorbereitungskursen auf höhere Fachprüfungen an den kaufmännischen Berufsschulen gab es nichts. Bei höheren Bildungsangeboten herrschte Wüste. Die HWV sollte gewissermassen das Technikum für Kaufleute werden.

Wir zählten im ersten Jahr 26 Studierende und sechs nebenamtliche Dozierende. Mein erstes Pflichtpensum betrug zehn Lektionen pro Woche, was mich zwang, anfänglich vier Fächer zu unterrichten. Während meiner ganzen Amtszeit als Rektor habe ich immer auch Unterricht erteilt. Von dieser Lehrerfahrung und vom direkten Kontakt mit den Studierenden habe ich immer stark profitiert. Mit dem Wachstum der Schule war es allerdings bald nicht mehr möglich, alle Studierenden durch die Lehrtätigkeit kennenzulernen.

Von wem ging die Initialzündung aus?

Diese ging von einzelnen Grossräten aus, damals Kantonsräte genannt. Von der Politik also und von der Zentralschweizer Handelskammer sowie dem Kaufmännischen Verein.

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Wüste» Wo haben Sie die ersten Studierenden akquiriert?

darauf die berufsbegleitende Höhere Fachschule für Tourismus (HFT) und etwas später das Institut für Tourismuswirtschaft ITW eröffnet. Ein weiterer Markstein war in den 1990er Jahren die Errichtung des Instituts für Finanzdienstleistungen IFZ am Standort Zug. Die erfolgreiche Schaffung all dieser neuen ­Studien- und Nachdiplomstudiengänge sowie Institute war nur möglich dank initiativen Dozierenden und nachhaltiger Unterstützung durch die Wirtschaft, durch zahlreiche Parlamentarier und Aufsichtsgremien.

Das waren meistens Absolventen mit kaufmännischer Lehre, die wir über Zeitungsinserate und andere Medienkontakte akquirierten. Damals mussten sie die Bedingung erfüllen, über Die HWV Luzern entwickelte sich zu einer Teilschule der Fachmindestens zwei Jahre Praxiserfahrung zu verfügen. Als Rektor hochschule Zentralschweiz und schliesslich zum Departement habe ich persönlich immer die kaufmännischen Berufsschulen Wirtschaft der Hochschule Luzern. War der stetige Namenswechund Handelsdiplomschulen der Region besucht, um die Schü- sel ein Problem? Das geschah natürlich vor dem Hintergrund des internaler der Abschlussklassen über die HWV Luzern zu orientieren. Zeitweise hatten wir für die Aufnahme lange Wartelisten, wobei tionalen bildungspolitischen Wandels, durch den die Diplome die Kandidaten mit der kürzesten Praxisdauer zurückgestellt und Abschlüsse europatauglich gemacht wurden. Dies und der wurden. Wichtig war für uns von Anfang an, dass unsere Stu- Wunsch, die Ausbildung aufzuwerten, hat dann zur Umwandlung der Höheren Technischen dierenden an konkreten Pro«Wir haben uns bei jedem Ausbau­Lehranstalten und der Höheren jekten aus der Praxis arbeiten Wirtschafts- und Verwaltungskonnten. schritt gefragt: Was erwartet die Wie haben Sie das gemacht? Praxis? So haben wir Mitte der 1980er schulen zu Fachhochschulen Wir waren schweizweit geführt. Mit dieser Entwickjahre die Wirtschaftsinformatikdie erste HWV, die zu diesem lung rückten auch die einzelnen schule und die Höhere Fachschule Zweck ein Institut gegründet Departemente immer näher für Tourismus sowie die entsprehatte – das Institut für Bezusammen. So ist aus der dachenden Institute eröffnet.» triebs- und Regionalökonomaligen HWV heute das Deparmie IBR, welches inzwischen über dreissig Jahre alt ist. Im Fach tement Wirtschaft der Hochschule Luzern geworden. Insofern PEM (Problemlösungs- und Entscheidungsmethodik) konnten ist der mehrfache Namenswechsel Teil dieser Entwicklung. Dass die Studierenden an Projekten aus Wirtschaft und Verwaltung sie heute wieder die Ortsbezeichnung Luzern im Namen trägt, ist sicher ein Vorteil, weil der Name Fachhochschule Zentralschweiz arbeiten. Der Bezug zur Praxis war demnach seit Anbeginn gewissermassen international schwer zu vermarkten ist, während Luzern weltbekannt ist. in der DNA festgeschrieben? Das kann man so sehen. Wir waren auch die erste HWV, Als Sie dann im Jahr 2000 als Rektor zurücktraten, wie viele Studie einen Nachdiplomstudiengang aufgezogen hat. Das Nachdi- dierende hatten Sie da pro Jahr? plomstudium Unternehmensführung entstand praktisch zeitRund 500 im Grundstudium. Und rund tausend Studiegleich mit der Gründung des IBR. Dort wurden Ingenieure oder rende besuchten damals unsere Nachdiplomstudiengänge und Architekten für die Übernahme von Management- und Füh- übrigen Weiterbildungsangebote. Auf dieses Verhältnis von 1:2 rungsaufgaben vorbereitet. Dieser Dreiklang aus Grundstudium, zwischen Studierenden im Grundstudium und in WeiterbilPraxisorientierung und Weiterbildungsangeboten entstand be- dungsstudien war ich besonders stolz. reits Ende der 1970er Jahre. Die Angebote wurden seither konti- Haben Sie heute noch Kontakt zu Ehemaligen? Viele Ehemalige kenne ich heute noch persönlich. Häufig nuierlich weiter ausgebaut. Inwieweit? werde ich aber auch von den anderen angesprochen: «Erinnern Wir haben uns bei jedem Ausbauschritt gefragt: Was erwar- Sie sich noch, ich habe bei Ihnen gelernt?» Das sind schöne Betet die Praxis? So haben wir Mitte der 1980er Jahre mit grossem gegnungen. Oft kehren Ehemalige auch als Dozierende zurück Erfolg die Höhere Fachschule für Wirtschaftsinformatik, kurz oder sind in den Aufsichtsgremien der Hochschule Luzern tätig. 40 Jahre

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Prof. Sabine Jaggy

Direktorin Hochschule Luzern – Wirtschaft 2001–2008 Rektorin Hochschule Luzern 2008–2011

Ein Haus

Sabine Ja ggy, Rekt or Hochsch ule Luzer in n Wenn das Büro sinnbildlich den Spiegel einer Persönlichkeit darstellt, muss es sich bei Sabine Jaggy um eine sehr aufgeräumte Person handeln. In einer Nebenstrasse beim Luzerner Hauptbahnhof gelegen, ist ihres von luzider Leichtigkeit, übersichtlich und fast spartanisch eingerichtet: ein Schreibtisch mit Computer, weisse Stuckdecke, ein paar Bilder an den Wänden, helle Möbel. Im Erker, dessen grosse Fenster den Blick zur Strasse freigeben, steht ein Konferenztisch. Gross ist Sabine Jaggy, schlank, mit wachen Augen, die ihr Gegenüber aufmerksam studieren. Eine Gesprächspartnerin, die erst einmal abwartet, bevor sie selber allzu viel preisgibt. Wenn dieses Porträt über die Professorin gedruckt ist, ist auch

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ihre Amtszeit als Rektorin der Hochschule Luzern schon fast zu Ende. Sie zuckt die Achseln, meint, «dann kommt halt etwas Neues». Kein Bedauern? Schliesslich hat sie in den vergangenen dreissig Jahren nahezu ohne Pause im Schweizer Bildungswesen gewirkt. Erst als Biologielehrerin, dann als Rektorin und Direktorin diverser Gymnasien und Privatschulen. Kopfschütteln ihrerseits: «Grundsätzlich kann ich Dinge gut loslassen.» Aufbauen, ausbauen, entwickeln, das ist ihr Motor, und das zieht sich auch wie ein roter Faden durch das Berufsleben der Sabine Jaggy. Sie studiert in den 1970er Jahren an der Universität Bern Biologie, unterrichtet ein paar Jahre dieses Fach, spürt dann aber schnell, dass sie «nicht einfach ein Leben lang Lehrerin» sein will. Sabine Jaggy will mehr, will gestalten, Menschen führen und anleiten. «Vielleicht», sinniert sie, «ist das eine Charakterfrage. Ich war schon bei der Pfadi bei den Leitern, in der Schule Klassensprecherin.» 1990 bewirbt sie sich, als die Luzerner Maturitätsschule für Erwachsene aufgebaut wird und eine Rektorin sucht. «Von da an», sagt sie, «war mein Weg vorgezeichnet.» Es folgen intensive Jahre. Zu Hause drei Kinder und ein Mann, der mit anpackt. «Ohne ihn wäre das alles niemals möglich gewesen, er hat mir den Rücken freigehalten», sagt Sabine Jaggy. In den 1990er Jahren wird sie in kurzer Abfolge Direk­ tionsmitglied der AKAD in Zürich, Direktorin und Delegierte der Minerva-Schule in Zürich und Luzern. «Ich wollte sehen, ob man eine Schule auch ohne öffentliche Gelder gut führen kann», sagt sie, lächelt verschmitzt und zieht ihr Fazit: «Man kann.» Und so hat sie schon einiges erlebt, was an Freuden und Sorgen in Führungspositionen so üblich ist, als ihr 2000 ein Inserat der Hochschule Luzern ins Auge sticht: «Direktor/in gesucht». Wa-


ist bestellt rum nicht, denkt sie sich, kann aber nicht abschätzen, ob sie als beitenden gegenüber könne eine Rektorin, ein Rektor nicht auf Biologin Chancen hat oder ein Ökonom für den Job als gesetzt gleicher Ebene entgegentreten. «Da bleibt eine gewisse Distanz», gilt. Die Luzerner denken jedoch schon damals eher pragma- sagt sie aus Erfahrung, aber ohne Bitterkeit. Dass Sabine Jaggy über viele Jahre die einzige leitende Frau tisch: Was sie suchen, wird ihr beschieden, ist ein kreativer Kopf, der eine Schule führen und entwickeln kann. In dieses Profil im Schweizer Bildungssystem war, daran gewöhnte sie sich. Bei der Erinnerung daran kann sie sich ein Lachen nicht verkneifen. passt Sabine Jaggy. Die sieben Jahre als Direktorin der Hochschule Luzern – «Als ich meinen ersten Job als Direktorin angetreten habe», sagt Wirtschaft sind intensiv. Zunächst noch eine Höhere Fachschule, sie, «war ich in der Schweiz zusammen mit zwei Nonnen die werden die Studiengänge auf Hochschulniveau ausgebaut, For- einzige Frau an der Spitze eines Gymnasiums.» Ist es statthaft, schung und Weiterbildung intensiviert. Es entstehen neue Fächer, eine beruflich erfolgreiche Frau danach zu fragen, wie es ihr in die Wirtschaftsinformatik etwa, ein Studiengang für Touristik einer derart exponierten Positionen ergeht? Sie schüttelt eneroder der Fachbereich Kommunikation und Marketing. Dann gisch den Kopf, nein, meint sie, diese Frage sei überhaupt nicht folgt mit der Bologna-Reform nach 2003 die Umstellung auf den abwegig. «Leider», schiebt sie nach. «Ich habe drei Kinder und drei Grosskinder, mein Mann Bachelor, später auch auf den «es entstehen neue Fächer, die hat immer intensiv mitgeholMaster. «Das alles war mit fen, aber vieles hängt dennoch grossen UmstrukturierunWirtschaftsinformatik, ein an mir als Frau.» Vieles sei nur gen verbunden», sagt ­Sabine Studiengang für Touristik oder der gegangen, weil ihr Partner sein Jaggy, «es brauchte neues Fachbereich kommunikation und Arbeitspensum reduziert habe. Personal, neue Räume und Marketing. Vom Niveau her sind wir «Andernfalls hätte ich die zahlGenehmigungen und Akkrenun wirklich eine Hochschule.» reichen Abendveranstaltungen ditierungen vom Bund.» Auch das Profil der Lehrkräfte habe sich in dieser Zeit sehr nicht wahrnehmen können», ist sich Sabine Jaggy bewusst. Es verändert. Ursprünglich waren das Dozenten, heute ist es eine sei ja immer noch so, dass viele junge Frauen sich nicht zutrauen Kombination aus Lehrenden und Forschenden, «die ihren Auf- würden, Karriere zu machen, und für die wolle sie auch Vorbild trag auch als Coaching verstehen», sagt Sabine Jaggy. Gefragt sind sein. «Jawohl», betont Sabine Jaggy, «es lohnt sich.» Immerhin hat sie, trotz grossem Arbeitspensum, noch Zeit nun Persönlichkeiten mit Praxiserfahrung, idealerweise Dozentinnen und Dozenten, die neben einem Lehrauftrag an der Hoch- gefunden für ein ungewöhnliches Hobby. Zweimal die Woche schule Luzern in einem praktischen unternehmerischen Umfeld steht Sabine Jaggy im Keller ihres Hauses in Hochdorf und emptätig sind. «Natürlich ist noch nicht alles ganz perfekt», sagt Sa- fängt Weinliebhaber aus der Region. «Ich habe das Wirtepatent bine Jaggy, hat aber das Gefühl, ihr Haus gut bestellt zu haben: gemacht», erzählt sie nun plaudernd, «ich verstehe inzwischen einiges vom Wein, und ich liebe es, Gäste zu empfangen, gut zu es«Vom Niveau her sind wir nun wirklich eine Hochschule.» Sie ist lebhafter geworden im Laufe des Gesprächs, erzählt sen und zu kochen.» Das sei handfest, sagt sie, «mich reizen Dinvon den vergangenen zehn Jahren. Vielleicht, das wird spürbar, ge, die ich selbst machen kann.» Nicht erstaunlich also, dass ein waren es gerade die letzten drei Jahre, die ihr als Rektorin der Rückzug aufs Altenteil auch nach ihrem Job an der Hochschule Hochschule Luzern viel abverlangt haben. Klar, man brauche keineswegs auf ihrem Radar aufscheint. Im Gegenteil: Sabine Jageinen breiten Rücken in diesem Job, meint sie nachdenklich, «da gy hat zusammen mit ihrem Mann in Namibia eine Ferienlodge ist viel Politisches dabei, das macht es mitunter schwierig.» Und mit zehn Zimmern gekauft. Auch dort, im Zielgebiet ihrer Ausman müsse Einsamkeit ertragen können, denn in dieser Posi­ wanderung, sind gutes Essen, guter Wein und Gastfreundschaft tion würden alle etwas erwarten, und selbst den engsten Mitar- für eine wie Sabine Jaggy ein befriedigendes Betätigungsfeld. 40 Jahre

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Prof. Dr. Xaver Büeler

Direktor Hochschule Luzern – Wirtschaft seit 2008

Bildung

Xaver Bü eler, Direktor Ho Wirtscha chschule Luzern ft –

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Als Xaver Büeler seinem Doktorvater an der Universität Zürich 1994 die Idee seiner Promotionsschrift vorlegt, reagiert der eher skeptisch. «System Erziehung: Ein bio-psychosoziales Modell», lautet der Titel. Reichlich ungewöhnlich, dass in den Bildungswissenschaften ein Doktorand naturwissenschaftliche, soziologische und psychologische Dimensionen zu einer Gesamtsicht des Systems Erziehung zusammenbauen will. Mehr noch, ein derartiges Ansinnen hatte es in dieser Disziplin bislang nicht gegeben. Jetzt sitzt Xaver Büeler in seinem Büro an der Hochschule Luzern – Wirtschaft, der er als Direktor vorsteht, und erzählt über das, was ihn damals motiviert hat, pädagogisches Neuland zu erforschen. «Früher», sagt er, «hat die Pädagogik so getan, als ob es lediglich um die Veränderung psychischer Systeme gehe, wenn von Erziehung die Rede ist.» Ihn aber interessierten grundsätzlichere Fragen, der Kern dessen, was Erziehung ausmacht und bewirken kann. Fragen wie diese: Welche Rolle spielen biologische Faktoren bei der Erziehung des Menschen? Was ist genetisch vorgegeben, was ist erlernbar? Oder, in Bezug auf die Soziologie: Welches ist die gesellschaftliche Funktion von Erziehung und Bildung? Und schliesslich: Was läuft bei dem, was wir Erziehung nennen, in der Psyche ab? «Systemtheorie, Kybernetik, Konstruktivismus, in diesen Ansätzen laufen solche Fragen zusammen, und ich wollte das für die Bildungswissenschaften zum big picture zusammenfügen.» Dieser Drang nach systematischer Erkenntnis sitzt tief bei Xaver Büeler: «Ich suchte und suche nach einem umfassenden Verständnis des Menschen in der Gesellschaft,


mit System ja in der Welt.» Dafür hat der heute knapp fünfzigjährige überraschenden Satz: «Ein Mensch ist letztlich ein geschlosSohn eines Briefträgers aus einer kinderreichen Familie ei- senes System, das nur sehr selektiv offen ist für Umwelteinnen weiten Weg zurückgelegt und keine Mühen gescheut. flüsse.» Was als Absage an die Wirksamkeit eines jeden päEhemals Volksschullehrer in einer Berggemeinde, studiert dagogischen Konzepts daherkommt, ist für Xaver Büeler Xaver Büeler schliesslich Pädagogik, Wirtschaftsinforma- nur eine realistische Sicht auf das System Erziehung. Und tik und Soziologie, und diese doch eher ungewöhnliche er begründet sein Statement mit dem Wissen des NaturwisFächerwahl zeigt sein interdisziplinäres wissenschaftliches senschaftlers: Lediglich das Grosshirn, die letzte Stufe in der Interesse. Immer ist da aber auch der Wunsch nach prakti- Entwicklung des menschlichen Hirns also, lässt sich durch scher Arbeit, einst in der Baufirma seines Bruders, wo Xaver Erziehung direkt beeinflussen. Tiefer liegende PersönlichBüeler auch gelernt hat, Mauern hochzuziehen, die er – bild- keitsschichten, die an das Kleinhirn oder den Hirnstamm lich gesprochen – in seiner interdisziplinären Vorstellung gekoppelt sind, sind über Hunderttausende von Jahren gewachsen und für pädagogische von Bildung niederreissen «Unsere Absolventen sind zu Interventionen praktisch unerwill. Später ist er an der Päreichbar. Das ist durch die Päddagogischen Hochschule in hundert Prozent arbeitsmarkt­ agogik zu akzeptieren. Zug, PHZ Zug, tätig, wo er befähigt und im Unternehmen Seit bald vier Jahren ist das Institut für Bildungsmaoder in der Verwaltung vom X ­ aver Büeler nun schon Direknagement und Bildungsökoersten Tag an produktiv.» tor des Departementes Wirtnomie aufbaut und schliessschaft der Hochschule Luzern. lich als Rektor amtet. Um die gleiche Zeit erwirbt er berufsbegleitend einen Master Es sind intensive Jahre gewesen. Die Institution hat Jahre des of Business Administration (MBA) und bildet sich zum Ma- stürmischen Wachstums hinter sich. «Mehr Studierende, mehr Angebote, mehr Umsatz, lautet das Fazit», sagt Büeler, nagement Coach weiter. So gesehen ist Xaver Büeler mit seiner Berufung als «wir haben dann von einem rein quantitativen auf ein stärDirektor der Hochschule Luzern – Wirtschaft so etwas wie ker qualitatives Wachstum umgestellt und eine finanzielle heimgekehrt. Und nun, als oberster Chef einer Bildungsins- Konsolidierung eingeleitet.» In Zahlen: Die Gesamtkosten titution, welche das Nachwuchspersonal für die Wirtschaft pro Studierendem und Jahr haben sich von über 20’000 auf ausbildet, stellt sich die Frage: Welche seiner Erkenntnis- 17’000 Franken reduziert. «Ein Kraftakt» sei das gewesen, se über das System Erziehung haben auch im Alltag einer sagt Büeler, nur möglich durch striktes Kosten-ManageHochschule Bestand? Xaver Büeler denkt kurz nach, dann ment, optimierte Klassengrössen und die Ausnutzung von sprudeln die Worte. «Man macht sich viele Illusionen dar- Skaleneffekten. Und wenn er in die Zukunft blickt, sieht er über, was mit Erziehung zu erreichen sei», sagt er, «eine da- eine noch stärker international ausgerichtete Hochschule von ist der Glaube, wir Pädagogen oder Dozenten könnten Luzern, bei der den Studierenden schon während der Ausandere Menschen quasi von aussen erziehen.» Ein Mensch, bildung klar ist, dass sie in einen vollständig globalisierten ist Büeler überzeugt, entwickle sich über Prozesse der Arbeitsmarkt hineinwachsen. Ein Axiom, welches heute Selbst­organisation zu der Persönlichkeit, die er am Schluss gilt, darf sich auch in Zukunft nicht ändern: «Ein Absolvent sein werde. Eltern, Peer Groups oder auch Lehrpersonen der Hochschule Luzern – Wirtschaft ist zu hundert Prozent seien zwar wichtige Sozialisationsinstanzen, direkte erzie- arbeitsmarktbefähigt», sagt Xaver Büeler, «im Unternehmen herische Wirkung erzeugen könnten sie aber nur begrenzt. oder in der Verwaltung ist sie oder er vom ersten Tag an proDann sagt Büeler den für einen Pädagogen einigermassen duktiv.» 40 Jahre

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Gut zu wissen

Wissen, die Kenntnis seiner Entwicklung und seine permanente Überprüfung sind Voraussetzung für wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Wie aber entstand Wissen, was ist seine Geschichte? Eine historische Collage.

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Die Erfindung des Alphabets

Charles Van Doren, Geschichte des Wissens, München 2000, S. 49–50

Die ersten Alphabete entstanden wahrscheinlich um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts in Mesopotamien. Das Verdienst, das allererste Alphabet entwickelt zu haben, gebührt jedoch den Phöniziern. Viele heute verwendete Buchstaben stammen von denen ab, die phönizische Schreiber schon um 1100 vor Christus benutzten. Das Alphabet der Phönizier enthielt jedoch nur Konsonanten und eignete sich nicht zur Umschrift indo-europäischer Sprachen. Die Griechen erfanden um die Mitte des achten vorchristlichen Jahrhunderts Symbole für Vokale. Das so entstandene Alphabet – das wir mit geringen Veränderungen heute verwenden – war eines der wertvollsten Vermächtnisse der Griechen, dieses so einfallsreichen wie schöpferischen Volkes. Nicht alle Schriften sind alphabetisch. So ist die chinesische Schrift ebenso wenig alphabetisch wie die der alten Ägypter, der alten Sumerer, selbst das alte Hebräisch. Sprachen wie das Chinesische und Japanische sind höchst ausdrucksvoll, aber nur schlecht eindeutig aufzuschreiben. Alphabetische Sprachen wie das Griechische, Lateinische, Deutsche und Englische, um nur einige zu nennen, haben eine Klarheit der geschriebenen Form, die viele andere Sprachen nicht haben. Der Grund dafür liegt im Alphabet selbst. […] Sicherlich hat die mündliche Überlieferung die Menschheit weit gebracht. Die ersten Reiche wurden ohne Schrift erbaut; grosse Kunst, selbst grosse Dichtung, wurde von Menschen hervorgebracht, die keine Schrift kannten. Selbst Homer, der erste und in vieler Hinsicht immer noch grösste Dichter, konnte nicht schreiben. Fast alle Menschen seiner Zeit (um 1000 vor Christus) waren Analphabeten. Auch Menschen, die, wie in Mesopotamien, in Ägypten oder in China, schreiben konnten, verwendeten das wunderbare neue Vermögen nur dazu, Aufzeichungen zu machen. Sie sahen im Schreiben keineswegs einen unvergleichlichen Weg zu besserem Denken. Die Griechen waren die ersten, die diese Tatsache erkannten, als sie über ein vollständiges Alphabet verfügten. Und so entstand die Welt, die wir kennen und in der wir leben.

Von der Magie zu Vernunft und Wissen

Der Wissens- und Verständnistrieb des Menschen hat sich seit den ältesten Theorien über die Entstehung der Welt, den Zweck des menschlichen Daseins, die Entstehung der kosmischen Erscheinungen, der Bedeutung des Bösen und über tausend andere für ihn wichtige Dinge gemacht, Theorien, die keinen Realitätswert haben. Die Menschheit hat in Zauber und Gebet das Schicksal zu wenden gesucht, sie hat mit Mitteln, denen keine Wirkung zukommt, Krankheiten bekämpft und auf viele andere Weisen ihre Kräfte unnütz und schädlich angewen-

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Eugen Bleuler, Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung, Berlin – Heidelberg – New York 1966, S. 1

det. Die Primitiven haben Tabuvorschriften ausgeheckt, die für unser Empfinden unerträgliche Ansprüche an ihre geistige und körperliche Energie, ihre Zeit und ihre Bequemlichkeit stellen, und die nicht nur unnütz, sondern geradezu schädlich sind. […] Je mehr sich unsere Kenntnisse erweitern, um so kleiner wird beim Gesunden ganz von selbst das Gebiet des autistischen Denkens; unsere heutigen Vorstellungen vom Weltall, seiner Geschichte und seiner Einrichtungen sind, wenn auch noch vielfach hypothetisch, so doch nicht mehr autistisch: Wir ziehen nur aus dem, was wir sehen, in logischer Weise Schlüsse und sind uns bewusst, welcher Teil dieser Schlüsse nur Wahrscheinlichkeitswert hat.

Was stand am Anfang? Mathematik und Schrift stehen […] in einer symbiotischen Beziehung. Sie sind gleichzeitig entstanden, und ihre Schicksale waren stets eng miteinander verbunden […] . Schrift oder Damit eine Gesellschaft eine Mathematik entwickeln kann, die über einfaches Rechnen hinausgeht, Mathematik?

James Ritter, «Jedem seine Wahrheit: Die Mathematiken in Ägypten und Mesopotamien», in: Michel Serres (Hg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994, S. 74–76

bedarf es irgendeines materiellen Trägers. Ohne Schrift engt die Begrenztheit des menschlichen Gedächtnisses den erreichbaren Grad numerischer Komplexität ein. […] […] auch das Umgekehrte gilt. Anders gesagt: Materielle Bedürfnisse, insbesondere das Bedürfnis, Spuren von Transaktionen zu erhalten, sind von entscheidender Bedeutung dafür, dass eine Gesellschaft die Schrift entwickelt. Dieser Punkt ist erst verstanden worden, seit die archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte es uns gestattet haben, die Entwicklung zweier Schriftsysteme – praktisch vom Nullpunkt an – zu verfolgen; das eine wurde seit der Mitte des vierten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung im Süden Mesopotamiens verwendet, das andere wenig später in der Gegend von Susa im Iran. In beiden Gesellschaften diente als materieller Träger Ton, der praktisch unzerstörbar ist, und die ersten Dokumente sind Berechnungen. Was den ersten Schriftsystemen zur Entstehung verholfen hat, war also das Bedürfnis, das materielle Potential ihrer Gesellschaften zu messen, zu teilen und zu verteilen.

Wie finster war das Mittelalter?

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In der Zeit der Völkerwanderung bleibt vom wissenschaftlichen Leben des Abendlandes also kaum etwas übrig. Das Wesentliche des griechischen Erbes ist in Vergessenheit geraten, verschwunden aus der Erinnerung von Völkern, die es nicht

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Paul Benoît und Françoise Micheau, «Die Araber als Vermittler?», in: Michel Serres (Hg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994, S. 27–273

Die Erfindung der Zeitmessung

Lewis Mumford, Technique et Civilisation, Paris 1950, zit. nach Jean Gimpel, Die industrielle Revolution des Mittelalters, Zürich und München 1981, S. 148

Himmel und Hölle, Kirche und Geld

Jacques Le Goff, Geld im Mittelalter, Stuttgart 2011, S. 14–15, 243

anzutreten vermochten. […] Dem Verfall der Wissenschaft entspricht der Niedergang der Städte. Der Westen erlebt in dieser Zeit einen tiefgreifenden Wandel. Es erscheint eine agrarische Welt, in der die Kultur sich in Klöster flüchtet, wo man die literarische und religiöse Gelehrsamkeit pflegt, nicht mehr das wissenschaftliche Wissen. An Wissenschaftlern hat das frühe Mittelalter keinen Bedarf. Im Westen ist das Römische Reich untergegangen, im Osten hält es sich. Der Staat überlebt dort in einer immer noch städtischen Welt, in der das Griechische als offizielle Sprache der städtischen Eliten gesprochen wird und in der die Schulen überdauern: All dies unterscheidet sie vom Abendland.

Die Schlüsselerfindung des modernen industriellen Zeitalters ist nicht die Dampfmaschine, sondern die Uhr. In jeder Phase dieser Entwicklung steht die Uhr im Vordergrund, sie ist das Symbol der Maschinen. Noch heute ist keine andere Maschine so allgegenwärtig. Am Anfang der modernen Technik stand zukunftsweisend die erste, präzise, automatische Maschine. Nach mehreren Jahrhunderten andauernder Bemühungen stellt sie die moderne Technik in allen Industriezweigen auf die Probe […] Sie ermöglichte die genaue Bestimmung von Energiemengen, also die Normung, sowie die Automatisation von Vorgängen und brachte schliesslich ihr ureigenstes Erzeugnis, die genaue Zeit, hervor. So war die Uhr die erste moderne Maschine. Sie hat zu allen Zeiten ihre Vormachtstellung behauptet und ist in einem Masse vollkommen, welches die anderen Maschinen noch nicht erreicht haben.

Wenn wir nun die Geldgeschichte des Mittelalters mit Hilfe bildlicher Zeugnisse genauer betrachten, stellen wir fest, dass die mittelalterlichen Darstellungen, in denen Geld – zumeist in symbolischer Weise – gezeigt wird, immer negativ besetzt sind. […] Das wichtigste Symbol für Geld in den bildlichen Darstellungen des Mittelalters ist der Geldsäckel, der einem reichen Mann um den Hals hängt und diesen in die Hölle hinabzieht. […] Zweifellos ging die Kirche im Laufe des Mittelalters aber so weit, die Geldnutzer unter bestimmten Bedingungen zu entschuldigen, und Reichtum, insbesondere monetärer Reichtum, wurde am Ende des 14. und während des 15. Jahrhunderts durch eine kleine Elite der «Vorhumanisten» wieder zu Ehren gebracht. Und dennoch blieb Geld das gesamte Mittelalter hindurch suspekt, auch ohne Verdammung und Höllenandrohung.

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Handel, Wissen und die Geburt von Universitäten

Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S. 49–51

Fibonacci und die Entwicklung des Finanzwesens

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Der humanistischen Bewegung der Renaissance ging es, zumindest von ihrer Intention her, nicht um Erneuerung, sondern um Wiederbelebung, nämlich um Wiederbelebung der klassischen Tradition. Dennoch war die Bewegung durchaus innovativ, und zwar bewusst innovativ, insofern als sie das herkömmliche Wissen der Scholastiker, also der Philosophen und Theologen, die an den mittelalterlichen Universitäten tonangebend waren, grossenteils in Frage stellten. Schon der Begriff «Scholastiker» und «Mittelalter» waren ja Erfindungen der Humanisten, die ihnen erlaubten, sich selbst klarer zu definieren, indem sie sich von der Vergangenheit abgrenzten. […] Im Portugal des 15. Jahrhunderts gelangten neben Waren auch Informationen ins Lissaboner Indien-Haus (Casa da India). Ein ähnlicher Umschlagplatz für Wissen über die Neue Welt war das 1503 gegründete Handelskontor (La Casa de Contratación) in Sevilla. […] In Wittenberg, 1502 gegründet, wurde der Lehrbetrieb anfänglich nach relativ traditionellen Grundsätzen von Gelehrten, die ihrerseits in Leipzig und Thüringen ausgebildet worden waren, organisiert. Doch nach nur fünf oder sechs Jahren spielten die Humanisten hier bereits eine ungewöhnlich starke Rolle. Für diejenigen, die im Namen einer Erneuerung antreten, ist es vermutlich leichter, neue Institutionen zu übernehmen als alte, weshalb es auch kein Zufall sein dürfte, dass Professor Martin Luther die Reformation zu einem Zeitpunkt anstiess, als seine Universität gerade erst fünfzehn Jahre bestand.

Am Anfang des 13. Jahrhunderts war Norditalien in eine Vielzahl von einander bekämpfenden Stadtstaaten zersplittert. Eine der Hinterlassenschaften des untergegangenen Römischen Reichs war ein Zahlensystem (I, II, III, IV …), das für komplexe mathematische Berechnungen zutiefst ungeeignet war, von den Bedürfnissen des Handels ganz zu schweigen. Nirgendwo trat dieses Problem deutlicher zutage als in Pisa, wo die Kaufleute mit sieben verschiedenen in Umlauf befindlichen Münzarten zurechtkommen mussten. Im Vergleich dazu war das Wirtschaftsleben im Osten – im Kalifat der Abbasiden und im China der Song-Dynastie –, wie schon zur Zeit Karls des Grossen, weit höher entwickelt. Um das moderne Finanzwesen zu entdecken, musste Europa es importieren. Eine entscheidende Rolle dabei spielte ein junger Mathematiker namens Leonardo da Pisa, genannt Fibonacci. Als Sohn eines Pisaner Zollbeamten, der ins heutige Bejaia in Algerien entsandt worden war, beschäftigte sich der junge Fibonacci mit der «indischen Methode» der Mathematik, wie er sie

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Niall Ferguson, Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, Berlin 2009, S. 31–33

nannte, eine Mischung aus indischen und arabischen Erkenntnissen. Durch die Einführung dieser Ideen revolutionierte er die Art und Weise, wie Europäer zählten. Heute ist er am besten für die Fibonacci-Folge bekannt (0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 …), in der jede Zahl (ausser den beiden ersten, die vorgegeben sind) die Summe der beiden vorherigen Zahlen ist und der Quotient zweier aufeinander folgender Zahlen gegen den «goldenen Schnitt» (1,618) konvergiert. Dieses Muster entspricht gewissen in der Natur anzutreffenden repetitiven Eigenschaften, beispielsweise in der fraktalen Geometrie von Farnen und Muschelschalen.

Mathematik, Wirtschaft und Zins

Niall Ferguson, Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, Berlin 2009, S. 31–33

Der Dreisatz: Basis von allem!

Aber diese Zahlenfolge war nur eine von vielen mathematischen Ideen aus dem Osten, die Fibonacci in seinem bahnbrechenden, 1202 veröffentlichten Liber Abaci (Buch der Rechenkunst) in Europa einführte. Darin wurde die Bruchrechnung ebenso erklärt wie der Begriff des Gegenwarts- oder Barwerts (des abgezinsten Werts zukünftiger Zahlungen). Am wichtigsten war die Einführung indisch-arabischer Ziffern. Fibonacci gab Europa nicht nur das Dezimalsystem, das alle möglichen Berechnungen gegenüber dem römischen Zahlensystem erheblich vereinfachte, sondern erklärte auch, wie es auf Buchhaltung, Währungsumrechnung und vor allem Zinsrechnung angewandt werden konnte. Bezeichnenderweise hat er im Liber Abaci viele Beispiele dadurch anschaulicher gestaltet, dass er Handelswaren wie Felle, Paprika, Käse, Öl oder Getreide behandelte. Damit wollte er die Mathematik auf die Wirtschaft im Allgemeinen und das Geldverleihen im Besonderen anwenden. Ein typisches Beispiel beginnt so: «Ein Mann hinterlegte in einem bestimmten [Kaufmanns-]Haus 100 Pfund zu einem Zins von 4 Denaren pro Pfund und Monat, und er entnahm jedes Jahr 30 Pfund. Man muss in jedem Jahr die Kapitalminderung um 30 Pfund und den Gewinn auf besagte 30 Pfund einberechnen. Gefragt ist, wie viele Jahre, Monate, Tage und Stunden das Geld in dem Haus reicht …»

Das universelle arithmetische Werkzeug der gebildeten italienischen Kaufleute in der Renaissance war die Regula de tri, der Dreisatz, auch bekannt als die Goldene Regel oder der Kaufmannsschlüssel. Sie war im Grunde sehr einfach. (Der Maler) Piero della Francesca (um 1420–1492) erklärt: «Die Regeldetri besagt, dass man die Grösse, über die man etwas wissen möchte, mit der multizi-

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Michael Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder, Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1984, S. 124–125

plieren muss, die von ihr verschieden ist, und dann teilt man das Produkt durch die verbleibende Grösse. Die Zahl, die sich daraus ergibt, ist von derselben Art wie die, welche von der ersten Grösse verschieden ist; und der Teiler ist immer der Grösse gleich, über die man etwas wissen will. Zum Beispiel: Sieben Bracci Stoff kosten neun Lire; wie viel kosten fünf Bracci? Löse es wie folgt: Multipliziere die Menge, über die du etwas wissen möchtest, mit der Menge, die sieben Bracci Stoff wert sind – nämlich neun. Fünf mal neun ist fünfundvierzig. Teile durch sieben, und das Ergebnis ist sechs und drei Siebentel.» Die Regeldetri war es, mit der man in der Renaissance die Probleme der Proportion behandelte. Zu den Proportionsproblemen zählten: Weideland, Maklergebühren, Diskont, Tara-Nachlass, Verschnitt von Produkten, Tausch und Geldwechsel.

Wissenschaftliche Revolution und die Gründung von Akademien

Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S. 52–53

Die sieben artes liberales

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Im Vergleich zur Renaissance war die sogenannte neue Philosophie, Naturphilosophie oder mechanische Philosophie des 17. Jahrhunderts ein noch selbstbewussterer Prozess der intellektuellen Erneuerung, denn sie lehnte sowohl klassische als auch mittelalterliche Traditionen ab, eine auf aristotelischem und ptolemäischem Gedankengut basierende Weltsicht eingeschlossen. Die neuen Ideen waren Ausdruck einer Bewegung, die gemeinhin als wissenschaftliche Revolution bezeichnet wird […] . Obwohl einige führende Köpfe dieser Bewegung auch an Universitäten tätig waren – unter ihnen Galileo Galilei und Isaac Newton –, bestand in akademischen Zirkeln doch erheblicher Widerstand gegen die neue Philosophie […] . Als Reaktion auf diesen Widerstand gründeten die Anhänger der neuen Denkschule eigene Organisationen wie die Accademia del Cimento in Florenz, 1657, die Royal Society in London, 1660, die Académie Royale des Sciences in Paris, 1666, und so weiter, die in vielerlei Hinsicht den humanistischen Akademien ähnelten, dem Studium der Natur allerdings grösseren Wert beimassen.

1450 waren die Curricula der europäischen Universitäten, deren Netzwerk sich vom portugiesischen Coimbra bis nach Krakau erstreckte, bemerkenswert einheitlich, das heisst, Studenten konnten relativ leicht von einer Institution zur anderen wechseln (eine Praxis, die als peregrina academica bezeichnet wurde). Der erste Grad war der BA, und die Künste, in denen der Student es zum Bachelor bringen konnte, waren die sieben artes liberales, die sich in zwei Bereiche gliederten: Im Grundstudium, dem trivium, ging es um Sprache, Grammatik, Logik und Rhetorik, im fortge-

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Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S.112–113

Von Kirche, Wissen und Inquisition Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S. 146

schrittenen quadrivium um Zahlen, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. […] Nach dem ersten Grad folgte unter Umständen ein Kurs in einer der drei höheren Fakultäten, Theologie, Recht und Medizin. Das Dreierprinzip war im Mittelalter nicht ungewöhnlich; Dreiteilungen prägten die Struktur der menschlichen Gesellschaft – man betete, kämpfte und pflügte, oder die jenseitige Welt bestand aus Himmel, Hölle und Fegefeuer. Mit Recht waren die beiden Rechte gemeint, das bürgerliche wie das kanonische. Nach allgemeiner Auffassung besass das Recht einen höheren Status als die Medizin, aber einen niedrigeren als die Theologie, die Königin der Wissenschaften. Die höheren Fakultäten galten als nobler, ein weiterer Ausdruck, der die Projektion der gesellschaftlichen Hierarchie auf die Welt des Intellekts offenbart.

Diejenige Kircheninstitution, die das grösste Interesse hatte, Wissen zusammenzutragen, war die Inquisition […] . Personen, die der Ketzerei verdächtig waren, unterzog man äusserst systematischen Befragungen über ihr Alter, ihren Geburtsort und ihren Beruf wie auch ihre religiösen Überzeugungen, und alles, was sie sagten, wurde peinlich genau protokolliert. Die Archive der verschiedenen Inquisitionsbehörden sind daher eine Datenbank […] . Das Sammeln von Informationen durch Inquisitoren […] [ist auch] ein herausragendes Beispiel dafür, wie sehr in der frühen Neuzeit das Streben nach Wissen im Dienste der Kontrolle stand.

Fertigkeiten und Fähigkeiten in historischer Zeit

Eine ähnliche Unterscheidung bestand zwischen legitimem und verbotenem Wissen (arcana Dei), das nicht nur vor der breiten Öffentlichkeit, sondern vor der Menschheit geheim bleiben sollte. So gab es Debatten darüber, in welchem Masse intellektuelle Neugier ihre Berechtigung hätte oder Eitelkeit (vanitas) und damit eine Sünde wäre. Der Reformator Jean Calvin etwa folgte Augustinus, der die Neugier verurteilte. Doch im 17. Jahrhundert wurde das Wort curieux (neugierig, wissbegierig) häufig, wie wir bereits gesehen haben, in einem positiven Sinne auf Gelehrte angewendet, vor allem wenn es sich um Adelige handelte. Die Unterscheidung zwischen höherem und niederem Wissen (scientia superior und inferior), wie sie der Dominikaner Giovanni Maria Tolosani in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts vornahm, verweist darauf, welche Bedeutung der Hierarchie bei der intellektuellen Gestaltung des Wissens in dieser Epoche zukam. Männliches Wissen, unter anderem das Wissen der öffentlichen Sphäre, galt

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Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S. 104–105

zumindest bei Männern als höherwertig gegenüber weiblichem Wissen, das mehr oder weniger auf Pietät und den häuslichen Bereich beschränkt blieb. Auch die alte Unterscheidung zwischen freiem und zweckdienlichem Wissen wurde in der frühen Neuzeit perpetuiert, allerdings vollzog sich in der Beurteilung solchen Wissens zumindest in manchen Kreisen allmählich ein Umschwung. Freies Wissen wie die Kenntnisse der griechischen und lateinischen Klassiker hatte um 1450 und sogar noch um 1550 einen hohen Status, während zweckdienliches Wissen wie die Kenntnisse des Handels oder der Produktionsprozesse viel geringer geschätzt wurde, genauso wie die Händler und Handwerker, die es besassen, nicht sehr angesehen waren. Entsprechend einer nach wie vor geltenden Klassifikation des Mittelalters wurden Handwerker von den höheren Klassen als Praktiker der sieben «angewandten Künste» betrachtet, zu denen von jeher Schneidern, Schiffsbau, Seefahrt, Landwirtschaft, Jagen, Heilen und Schauspielern gehörte.

Die Erfindung des Systems «A bis Z»

Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2000, S. 215–217

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So selbstverständlich uns das Prinzip heute erscheinen mag, dauerte es doch lange, bis sich die alphabetische Anordnung (im Unterschied zur thematischen, die lediglich durch ein alphabetisches Register ergänzt war) gegenüber älteren durchgesetzt hatte. […] Noch Ende des 17. Jahrhunderts war die alphabetische Anordnung so ungewöhnlich, dass Barthélemy d’Herbelot im Vorwort zu seiner Bibliothèque Orientale Ou Dictionnaire Universel von 1697, einem Nachschlagewerk über die moslemische Welt, die Leser entschuldigend darauf hinwies, die Methode stifte «tatsächlich weniger Verwirrung, als man vielleicht annehmen möchte» – dennoch erklärte Gibbon, in seinem Decline and Fall of the Roman Empire, er könne die alphabetische Anordnung in Herbelots Buch nicht «ertragen». Das Vorwort zur Encyclopédia Britannica von 1771 kritisierte Chambers und die Encyclopédia wegen ihrer «törichten Versuche, Wissenschaft anhand verschiedener technischer Begriffe in alphabetischer Reihenfolge zu vermitteln». […] Der Wechsel vom thematischen zum alphabetischen System ist weit mehr als eine einfache Verlagerung von geringerer zu grösserer Effizienz. Er kann eine Veränderung der Weltsicht widerspiegeln, einen Verlust des Glaubens an die Übereinstimmung zwischen Welt und Wort. Und ausserdem hat er etwas mit einer Veränderung der Lesegewohnheiten zu tun.

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Revolution Buchdruck

Manfred Fuhrmann, Bildung. Europas kulturelle Identität, Stuttgart 2002, S. 20–21

Paul Benoît, «Die Theologie im dreizehnten Jahrhundert: Eine Wissenschaft, die anders ist als alle anderen», in: Michel Serres (Hg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994, S. 319

Kaufleute und wie sie rechnen

Zwei nahezu gleichzeitige Ereignisse waren den Bestrebungen der Humanisten überaus förderlich: der Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 und die Erfindung des Buchdrucks. Das erstgenannte Ereignis bewirkte, dass eine Fülle von griechischen Handschriften und zahlreiche griechische Gelehrte in den Westen gelangten – der humanistische Kanon gewann erst jetzt, als das mittelalterliche «Graecum est, non legitur» – «Das ist griechisch, das brauchen wir nicht zu lesen» ausser Kraft gesetzt wurde, mit der Einbeziehung der griechischen Sprache und Literatur seine Vollgestalt. Die Erfindung des Buchdrucks wiederum gab den Humanisten ein willkommenes Mittel an die Hand, ihren Werken zu grosser Verbreitung zu verhelfen und die ganze gelehrte Welt mit ihren Ideen bekannt zu machen. Ausserdem hatte jetzt die Plackerei des buchlosen Lernens ein Ende: Während sich der mittelalterliche Scholar, der meist zu arm war, einen kostbaren Pergamentkodex zu erwerben, die lateinische Grammatik durch das Memorieren von 2’600 Versen zu eigen machen musste (so umfangreich war das gängigste einschlägige Werk, das Doctrinale des Alexander de Villa Dei), konnte sich der humanistische Student eines ihm gehörenden gedruckten Exemplars bedienen, sodass er die Regeln und Ausnahmen nur noch dem Sinne nach zu erfassen brauchte.

Universitas, Zusammenschluss, Einheit, Gemeinschaft: Der Ausdruck ist dem Mittelalter zur Bezeichnung verschiedener Vereinigungen durchaus vertraut. In Paris versammelt die Universitas magistrorum et scolarium – neben Bologna die älteste der europäischen Universitäten – Lehrende und Lernende, Gelehrte und künftige Gelehrte. Sie ist der Zusammenschluss einer Profession, ein Metier, so wie sich in den mittelalterlichen Städten die Handwerker – die «Arbeiter ihrer Hände», nach der Formulierung von Rutebeuf – zu Zünften zusammenschliessen. Ein neuer städtischer Verband, der sich, wie so oft bei Gemeinschaften, behauptet, indem er sich anderen entgegensetzt.

[…] Ein gemeinsames Merkmal, eine weitere Neuheit: Alle rechnen schriftlich, auf Papier. Die Methode begann sich gerade in bestimmten Krisen durchzusetzen, nicht nur bei den Kaufleuten, sondern auch bei den Astronomen. Da es so gut wie unmöglich war, mit römischen Zahlen Rechenoperationen durchzuführen, war es jahrhundertelang notwendig, auf Abakus und Rechensteine zurückzugreifen. Die fürstlichen Schatzkammern verwenden dieses Verfahren der Buchfüh-

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Paul Benoît, «Rechnen, Algebra und Warenhandel», in: Michel Serares (Hg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994, S. 361

rung noch in der Renaissance. Schon das Erscheinen der arabischen Ziffern hatte zu merklichen Veränderungen geführt; die Operation wurde hingeschrieben, allerdings noch auf Wachs, in Sand oder Staub; die Zwischenergebnisse wurden jeweils wieder gelöscht, es wurden keine Zahlen «behalten». Mit der Verbreitung des Papiers im Abendland steht jedoch ein viel billigeres Schreibmaterial als das Pergament zur Verfügung; die veränderten materiellen Bedingungen führen zu ganz neuen Rechentechniken. Die Zahlen werden hingeschrieben, Zwischenergebnisse festgehalten; neue Formen der praktischen Durchführung der Rechenoperationen werden möglich.

Finanzwirtschaft und Innovationen

Niall Ferguson, Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, Berlin 2009, S. 302–303

Intelligenz und Geld, Blasen und Crash

John Kenneth Galbraith, Eine kurze Geschichte der Spekulation, Frankfurt am Main 2010, S. 113–114

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Volkswirtschaften, die alle diese institutionellen Neuerungen einführten – ­Banken, Anleihenmärkte, Aktienbörsen, Versicherungen und Hausbesitzerdemokratie –, erwiesen sich auf lange Sicht als leistungsfähiger als solche, die es nicht taten, da die Vermittlung von Werten durch ein Finanzsystem im Allgemeinen eine effizientere Verwendung der Ressourcen ermöglicht als etwa der Feudalismus oder die Planwirtschaft. […] Gleichwohl verlief der Aufstieg des Geldes nie geradlinig, und das konnte auch nicht anders sein. Tatsächlich gleicht die Finanzgeschichte einer Achterbahn voller Aufschwünge und Abstürze, Blasen und Pleiten, Manien und Paniken, Schocks und Crashs.

Im Leben erfolgt kaum ein Hinweis so oft wie der auf die Lehren der Geschichte. Diejenigen, die sie nicht kennen, sind verurteilt, sie zu wiederholen. […] Die Umstände, die den beständigen Rückfall in den finanziellen Schwachsinn bewirken, haben sich seit dem Tulpenschwindel in Amsterdam 1636/37 praktisch nicht verändert. Einzelpersonen und Institutionen lassen sich von der wundersamen Befriedigung gefangen nehmen, die aus der Anhäufung von Wohlstand erwächst. Die damit einhergehende Täuschung des Einsichtsvermögens wird ihrerseits durch den häufig festgestellten allgemeinen Eindruck verstärkt, dass Intelligenz, die eigene wie die anderer, und der Besitz von Geld aufs Engste zusammengehören. Aus dieser Überzeugung ergibt sich dann das Handeln – die Preistreiberei, sei es bei Immobilien, Wertpapieren oder, wie in jüngster Zeit, bei Kunstwerken. Die Aufwärtsbewegung bestätigt den Zusammenhang mit der eigenen und der Gruppenvernunft. Und so weiter, bis zum Augenblick der allgemeinen Ernüchterung und des Zusammenbruchs. Und Letzterer kommt, wie inzwischen hinreichend bekannt ist, niemals sanft.

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John Kenneth Galbraith, Eine kurze Geschichte der Spekulation, Frankfurt am Main 2010, S. 58

«Ich kann die Bewegungen von Körpern messen», sagte Sir Isaac Newton einmal, «aber ich kann nicht die menschliche Dummheit messen.» Das konnte er bei der eigenen auch nicht. Er sollte nämlich bei der bevorstehenden Spekulationsorgie (1720, South Sea Company, Red.) 20’000.00 £ verlieren, was heute einer Million Dollar und mehr entspricht.

Meinen und Wissen

Eugen Bleuler, Das autistischundisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung, Berlin – Heidelberg – New York 1966, S. 111

Zum disziplinierten Denken gehört aber auch die Selbstständigkeit, die Fähigkeit, sich frei zu machen von allen blossen Meinungen, und wenn sie noch so verbreitet und noch so alt sind, von allen Vorurteilen, von allem, was nicht auf Beobachtung beruht; und ferner gehört dazu die Fähigkeit, selber neue logische Kombinationen zu bilden, ohne autistische Wege zu gehen. […] Ein solches diszipliniertes Denken lässt sich bis zu einem gewissen Grade lehren und lernen. Es handelt sich dann aber nicht immer um eine Angewöhnung, die das ganze Denken eines Individuums betrifft; man kann auf einem Gebiete autistisch oder nachlässig denken, auf einem andern vorzüglich.

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