Joshua Ritler – In The Eye of the Beheaded – Dokumentation

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In the Eye of the Beheaded Dokumentation Bachelorarbeit Joshua Ritler joshua.ritler@stud.hslu.ch Hochschule Luzern Design und Kunst Mentorat: Christof Sigerist, Christoph Zellweger


„It is acceptable to eat meat as long as it is reduced to a non-subject, transited and moved away from the personified animal.“ Kubberød et al. 2002, S. 60

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Inhalt Einleitung Konzept Zielpublikum Recherche Prozess Fazit Danksagung Literaturverzeichnis Internetquellen

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Einleitung

Konzept

Wieso essen wir derart grosse Mengen Fleisch, obwohl die negativen Auswirkungen auf unsere Gesundheit, unsere Umwelt und auf das Tierwohl längst bekannt sind? Welche Faktoren machen Fleisch derart beliebt und welche Strategien wenden Fleischkonsument*innen an, um ihr Verhalten zu legitimieren?

Dieser beschriebenen kollektiven Ausblendung soll in Form eines Objektes entgegengewirkt werden. Das Ziel ist nicht, ein weiteres Konsumgut herzustellen. Vielmehr soll der größere Kontext des Fleischkonsums und die Funktion von Objekten darin betrachtet werden. Dieses Objekt soll nicht bloß dienen, sondern hinterfragen.

Fleischkonsument*innen haben eine Vielzahl von Rationalisierungen für ihren Konsum, die am weitesten verbreitete Strategie scheint jedoch die Verdrängung zu sein. So gaben in einer Befragung 67% der Fleischkonsument*innen an, während des Kaufes von Fleisch nicht an die Tiere zu denken. Wir lieben Fleisch, haben jedoch eine Abneigung gegenüber dem Verletzen oder Töten von Tieren. Dieser Widerspruch wird als „meat paradox“ bezeichnet und ist zentral in dieser praktischen Arbeit. Die meisten Fleischkonsument*innen reagieren mit Abneigung und Ekel, wenn sie auf die Herkunft des Fleisches hingewiesen werden. Denn erst durch diese kognitive Trennung wird der massenhafte Konsum von Tieren möglich. Dies wird unter anderem bei der Verpackung von tierischen Produkten sichtbar: Während Milchprodukte häufig eine Kuh auf der Etikette tragen, sind Tiere auf Fleischverpackungen äusserst selten. Auch in Metzgereien oder Restaurants wird meist alles entfernt, was ans Tier erinnert: Kopf, Augen, Füsse und Schwänze. Die Tierkörper werden in konsumbereite Stücke zerteilt und als „Kotelett“, „Filet“ oder „Plätzli“ bezeichnet, was die konzeptionelle Trennung auch in der Sprache deutlich macht.

„Jean Baudrillard describes how commodities cultivate designs that support the production and consumption that capitalism requires and illustrates a conditioned familiarity. This process keeps dominant design and technological ideology alive that becomes invisible and alienates from the real in such a system that normal objects are taken for granted (Baudrillard 1981). However, when objects are made unusual and ambiguous, what was made invisible and lost in the familiarity of the everyday is made visible.“1

Zielpublikum Es sollen Personen wie du und ich angesprochen werden: Fleischesser, welche mit Hilfe von Verdrängung und Begründungen wie „Fleisch essen ist normal“ oder „Fleisch ist zwingend nötig für eine gesunde Ernährung“ versuchen, ihr Verhalten zu rationalisieren. Dennoch hadern viele Menschen mit den moralischen Widersprüchen des eigenen Konsumverhaltens. Die als Einzelstücke konzipierten Objekte sollen diesen Widerspruch beim Fleisch sichtbar machen und so eine Änderung in der Art, wie über Fleisch gedacht wird, herbeiführen.

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Malpass 2017, S. 63 7


Recherche Die Sozialpsychologen J. Kunst und S. Hohle haben in ihrer 2016 veröffentlichten Forschung untersucht, wie die kognitive Trennung zwischen Tier und Fleisch unter Fleischkonsument*innen stattfindet. Eine Reihe von Experimenten zeigten, dass eine Erinnerung an die Tier-Fleisch-Verbindung die Bereitschaft, Fleisch zu konsumieren, klar senkte.

„Culturally entrenched processes of dissociation found in the way we produce, prepare and talk about meat and animals sustain people’s willingness to eat meat as they make it easy to ignore the meat-animal link. Such dissociation reduces empathy and disgust that would otherwise reduce meat consumption.“2 Besonders die Entfernung des Kopfes führte in diesen Experimenten zu einer deutlich geringeren Empathie dem Tier gegenüber.3 Aufgrund dieses Forschungsbefundes entstand die Idee, diesem Prozess der Verdrängung und Unsichtbarmachung mit dem Motiv des Tierauges entgegenzuwirken. Augen haben eine besondere Anziehungskraft und Symbolik. Bei der Betrachtung eines Gesichtes schenken wir den Augen die größte Aufmerksamkeit, egal ob es sich dabei um ein Gesicht eines Menschen oder eines Tieres handelt.4 Wir schauen „in“ die Augen, um zu verstehen, was ein Individuum denkt oder fühlt. Die Symbolik des Auges ist in verschiedensten Kulturen und Religionen mit dem Bewusstsein, der Erkenntnis und dem Geist verbunden. Die Bedeutung des Auges in diesem Projekt ist mehrschichtig: Einerseits wirkt das Tierauge direkt der kognitiven Trennung zwischen Tier und Fleisch entgegen. Andererseits steht es symbolisch für das Bewusstsein des konsumierten Individuums.

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Kunst & Hohle 2016, S. 763 Kunst & Hohle 2016, S. 761 Kun Guo et al. 2010, S. 536 9


Prozess Am Konsum von Fleisch sind eine Vielzahl unterschiedlicher Objekte beteiligt. All diese haben potenziell die Möglichkeit, unser Konsumverhalten zu unterstützen oder zu hinterfragen. Teller sind beim Essen direkt involviert. Sie bilden quasi eine Bühne für das Lebensmittel und haben so einen direkten Einfluss auf dessen Wahrnehmung. Experimente haben gezeigt, dass ein Jogurt aus einem schweren Gefäß als intensiver im Geschmack, sättigender und teurer wahrgenommen wird. Ein Keks aus einem Gefäß mit einer rauen Oberfläche wird als deutlich härter und knuspriger wahrgenommen, als ein identischer Keks aus einem glatten Gefäß. So werden physische Aspekte des Tellers metaphorisch auf das Gegessene übertragen.1 Teller sind (zumindest in westlichen Ländern) meist weiß glasiert, rund, haben einen leicht erhöhten Rand. Sie sollen zurückhaltend, hygienisch und funktional sein. Auf einem weißen, makellos glasiertem Teller wird Fleisch als Lebensmittel wahrgenommen, nicht als Teil eines Tierkörpers.

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Fleisch

Beil Pfanne Messer Grillzange Schnittbrett Einkaufswagen Zahlungsmittel Verpackung Abfalleimer Ofenform Besteck Teller Grill

Objekt

Spence & Piqueras-Fiszman 2014, S. 115-139 11


Mit Hilfe eines Moodboards wurde zu Beginn nach der gewünschten Ästhetik gesucht, welche archaisch und modern zugleich, reduziert und auf das Auge konzentriert sein sollte. Die brutale Natur des Fleischkonsums soll betont werden, anstatt den Schein der Sauberkeit und Kultiviertheit zu unterstützen. Durch die Forschungsergebnisse von Kunst & Hohle entstand die Idee, das Tier durch ein Auge auf dem Teller zu repräsentieren. Damit das Auge die konsumierende Person direkt anschaut, muss es in einem Winkel von ca. 50° auf dem Teller angebracht werden. Dies musste beim nächsten Schritt, der Formfindung, berücksichtigt werden.

50°

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Mit Hilfe von Skizzen und Renderings wurde an der Geometrie des Tellers gearbeitet. Da schnell klar wurde, dass die eigenen handwerklichen Fähigkeiten für die Umsetzung der Entwürfe fehlten, musste eine Fachperson gefunden werden. So wurde der Kontakt zu Lydia de Lorio hergestellt, welche als ausgebildete Keramikerin mit eigenem Atelier die Ausarbeitung und Umsetzung wesentlich unterstützte. So konnten verschiedene Ideen schnell auf ihre Machbarkeit und ästhetische Wirkung hin untersucht werden.

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Beim Drehen konnte die Form des Tellers direkt manipuliert und angepasst werden. So wurden die Größe der Teller, die Höhe und Dicke des Randes sowie die Gestaltung des Fußes während der Fertigung festgelegt.

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Zu Beginn war die Idee, die Teller schräg zu schneiden. Dadurch wßrde dem Auge mehr Raum gegeben und die Orientierung des Tellers klar gemacht werden. Bei der Herstellung eines Prototypen wurde jedoch klar, dass die Keramik nach dem Abdrehen bereits zu hart ist. Zudem war die Form eher plump und entsprach nicht den eigenen Vorstellungen, weshalb die Idee wieder verworfen wurde.

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Die Teller wurden aus hellgrau-beigem Steinzeugton gedreht. Dieser brennt dicht und muss somit nicht glasiert werden. Die Farbe wirkt roh und natürlich, die Oberfläche ist rau und leicht gesprenkelt. Geplant war zuerst, den Boden und ca. 1 cm des Randes zu glasieren, da dort das Besteck mit dem Teller in Kontakt kommen würde. Mit Hilfe eines Prototypen wurde jedoch klar, dass der Übergang zwischen Glasur und roher Keramik unregelmäßig und unsauber wirkt, weshalb nur der Boden glasiert wurde. Nach einer Überprüfung mit Hilfe von Renderings und Glasurmustern wurde für eine dunkelrote Glasur entschieden, welche das Konzept gut unterstützt. Der Rand auf der Innenseite wurde nicht glasiert, da die Glasur während des Brennens in die Vertiefung des Augenlids laufen würde, zudem wird der Rand klar abgegrenzt.

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Passend zu Geflügel, Fisch, Schwein und Rind wurden vier Teller gefertigt. Diese sind ähnlich, jedoch nicht identisch und an die Größe des Auges angepasst. Das Auge wird von einem Augenlid aus Metall gefasst, welches bündig in die Keramik eingelassen und verklebt wurde. Bei der Materialität des Augenlids wurde für Silber entschieden, da es farblich eher zurückhaltend ist und zu den verschiedenen Farben der Augen und dem Dunkelrot der Glasur passt. Zudem ist es lebensmittelecht, lässt sich gut gießen und zerspanen.

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Um die Augenlider in die Teller zu integrieren, wurden passende Förmchen hergestellt, welche in die Teller eingelassen wurden. Damit die Augenlider exakt in die Aussparungen im Teller passen, wurden ebenfalls entsprechende Rähmchen hergestellt, welche ein Aufmaß und eine Skalierung um 112% hatten, um den Schwund der Keramik zu kompensieren. Die Herstellung mit Hilfe des STL-Druckers machte es möglich, präzise, individuell geformte Teile, schnell und günstig zu produzieren.

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Passend zu den Glasaugen von Geflügel, Fisch, Schwein und Rind wurde je ein Augenlid aus Wachs modelliert und anschließend in Silber abgegossen. Als Vorbild dienten dabei Fotos. Feine Details wie Fellstrukturen und Poren wurden nach dem Guss aufgebracht, für einen größeren Kontrast wurden die Augenlider partiell oxidiert.

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1. Schwein Gefäss aus schamottiertem Steinzeug gedreht, partiell rot glasiert Glasauge, Silber 925 260 x 260 x 65 mm 2. Huhn Gefäss aus schamottiertem Steinzeug gedreht, partiell rot glasiert Glasauge, Silber 925 230 x 230 x 55 mm 3. Fisch Gefäss aus schamottiertem Steinzeug gedreht, partiell rot glasiert Glasauge, Silber 925 240 x 240 x 60 mm 4. Rind Gefäss aus schamottiertem Steinzeug gedreht, partiell rot glasiert Glasauge, Silber 925 250 x 250 x 60 mm

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Fazit Im Zentrum dieser Arbeit stand von Beginn an ein komplexes Thema, welches eine Vielzahl umwelttechnischer, gesellschaftlicher und psychologischer Aspekte umfasste. Eine der größten Herausforderungen war dabei, sich einen fundierten Überblick über das Thema zu verschaffen, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Das Vorgehen bei diesem Projekt war bewusst anders als bisher gewohnt: Statt bei einem konkreten Anwendungsbereich und einer Produktidee zu starten, entwickelte sich dieses Vorhaben während der Auseinandersetzung im größeren Kontext des Konsums. Dabei wurde der Grundsatzentscheid gefällt, nicht ein Produkt für einen Gebrauchszweck und die Marktwirtschaft optimieren zu wollen. Um ökonomisch erfolgreich sein zu können, muss sich ein Produkt den bestehenden Strukturen des Konsums unterordnen. Wenn die negativen Aspekte des Konsums jedoch nicht oder nur unzureichend von Seiten der Produzenten berücksichtigt werden, liegt es auch in den Händen junger Gestalter*innen, diese Missstände sichtbar zu machen. Das Studium an der Hochschule Luzern hat viele neue Perspektiven eröffnet. Es bot die Möglichkeit, Objekte und Ideen beinahe uneingeschränkt von wirtschaftlichen Aspekten zu entwickeln. Diese Freiheit wurde in dieser Abschlussarbeit ein letztes Mal genutzt.

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Danksagung

Literaturverzeichnis

Ich möchte meinen Mentoren Christof Sigerist und Christoph Zellweger für ihre Geduld und ihre Unterstützung danken. Des weiteren bin ich dankbar für die Unterstützung folgender Personen und Firmen bei der Umsetzung:

Malpass 2017: Malpass, M., Critical Design in Context, New York 2017

Lydia de Lorio - COTTA keramisches Kunsthandwerk, Hermiswil (BE) Christa Wittwer und Ursula Rickli - E Luda Goldschmiedeatelier, Bern Altmann Casting - Edelmetallgießerei, Ipsach Herren Wileroltigen - Geflügelzucht, Wileroltigen (BE) Jonas Wirz - Modell, Bern

Spence & Piqueras-Fiszman 2014: Spence, C., Piqueras-Fiszman, B., The Perfect Meal. The Multisensory Science of Food and Dining, West Sussex 2014

Internetquellen Kun Guo Et al. 2010: Guo, K., Tunnicliffe, D., Roebuck, H., Human Spontaneous Gaze Patterns in Viewing of Faces of Different Species, aus: Perception 39 (2010), 533-542 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20515000, zuletzt besucht am 29.05.2019 Kunst & Hohle 2016: Kunst, J.R., Hohle, S.M., Meat Eaters by Dissociation: How we Present, Prepare and Talk about Meat Increases Positivity to Eating Meat by Reducing Empathy and Disgust, aus: Appetite 105 (2016), 758-774 https://www.jonaskunst.net/wp-content/uploads/2017/12/2016_appetite.pdf zuletzt besucht am 12.05.2019 Kubberød et al. 2002: Kubberød, E. et al., Attitudes Towards Meat and Meat-Eating among Adolescents in Norway: A Qualitative Study, aus: Appetite 38 (2002), xxx-xxx https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195666302904587, zuletzt besucht am 26.03.2019

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