T R A C E S DOKUMENTATION Projekt & Prozess
Salome Finschi Gestalterische Bachelorarbeit 2020 Fachrichtung Textildesign Hochschule Luzern - Design und Kunst Mentorin: Marion Becella
VISION
Eine Symbiose von Material und Farbe für haptisch und visuell attraktive Tragetücher
Ich habe mich für die Arbeit mit Tragetüchern entschieden, weil ich sie spannende Textilien finde. Sie stehen ganz am Anfang des Lebens und dienen immer zwei Personen gleichzeitig. Ihr schmückender, kleidsamer Charakter wird meiner Meinung nach noch unterschätzt. Mein Ziel war es, Tragetücher als Textilien für die Sinne visuell und haptisch erfahrbar zu machen und ihre Attraktivität zu steigern. Ich wollte das gestalterische Potenzial dieser Tücher erforschen und erweitern. Die Gestaltung sollte reizend und attraktiv sein, jedoch unaufdringlich und subtil bleiben. Zudem war es mir ein Anliegen, gender-neutrale Entwürfe und Farben zu erzeugen. Während der Arbeit wurde mir zunehmend bewusst, dass es auch schwierige Textilien sind - schwierig in der Handhabung, schwierig einzuordnen, schwierig im Hinblick auf die Wünsche der Nutzenden. Mein Interesse für die Gewebe und das darin reich enthaltene gestalterische Potenzial gaben mir aber genug Anreiz, diese Textilien weiter zu untersuchen und unter Berücksichtigung ihrer praktischen Anforderungen zu gestalten.
MOOD - TRACES
Textilien sind Lebensgefährten. Das Tragetuch ist ein Textil, das mit neuem Leben in Verbindung steht. Die Natur bietet viele Elemente, die lebensspendede Kraft symbolisieren. Wurzeln sind Gefässe, die Nährstoffe transportieren. Der Lauf der Natur hinterlässt viele Spuren und Strukturen. TRACES bedeutet für mich all das, was das Leben an Spuren hinterlässt: Geprägt und getragen werden, sich verbinden, verwurzelt sein, die eigene Herkunft und Verankerung, das Erlebte, Dinge und Begegnungen, die einen ausmachen. Spuren, die das Leben hinterlässt. TRACES sind auch Spuren, die man selbst hinterlässt.
Für meine Arbeit bedeutete dieses Inspirationsthema vor allem das Zusammenspiel und die gegenseitige Abhängigkeit von Material und Farbe.
GESTALTUNSMITTEL
Die drei primären Faktoren für die Gestaltung meiner Gewebe für Tragetücher sind die Materialien, deren Anordnung in Kett- und Schussfolge, die Web-Bindungen und die Färbemittel.
MATERIALIEN
Mit der Kombination von Wolle, Seide und Baumwolle werden diverse Faser-Eigenschaften kombiniert, die sich positiv auf die Funktionalität von Tragetücher auswirken. Optisch wird mit der Fähigkeit der jeweiligen Fasern zur Farbaufnahme gearbeitet. So werden die Materialien spezifisch bezüglich ihrer jeweiligen Färbeintensität in Kette und Schuss angeordnet.
BINDUNGEN
Für Tragetücher sind Köperbindungen relevant, da diese aufgrund ihrer diagonalen Elastizität belastbar und gleichzeitig formstabil sind. Für meine Situation ist die Gestaltung mit der Bindung auf vier Schäfte reduziert. Aufgrund des analytischen Charakters der Gewebe-Gestaltung werden nicht verschiedene Bindungen innerhalb eines Samples verwendet.
FÄRBUNG
Die Färbung mit natürlichen Farbstoffen funktioniert ebenfalls als zentrales Gestaltungselement. Die definitiven Färbemittel müssen drei Farbnuancen in den Materialien hervorbringen und zwingend lichtecht sein. Über die langfristige Veränderung der Farbnuancen lässt sich aufgrund des Zeitfaktors noch keine Auskunft geben. Ein gutes Resultat liegt in der cleveren Kombination dieser drei Elemente.
HANDWEBEN
Da die Gewebe von Anfang an das Herzstück meiner gestalteischen Arbeit waren, war es unumgänglich, Alternativen und Möglichkeiten für das Weben zu Hause zu finden. Es galt, mir eine neue Arbeitsweise anzueignen und den Handwebstuhl so umzugestalten, damit er meinem Vorhaben diente. Die Voraussetzungen schienen vorerst nicht optimal. Mit einem Gatter, das nur vier Fäden pro Zentimeter vorsah, war an ein feines Gewebe für Tragetücher kaum zu denken. Auch die Vorstellung, mit zwei Schäften auskommen zu müssen, war irritierend, zumal für funktionale Tragetücher die Verwendung von Köperbindungen zwingend ist. Meine Gedanken drehten sich um die Machbarkeit des Projekts überhaupt. Schritt für Schritt wurde dann eine Hürde nach der anderen genommen. Für die zentralen Anliegen liessen sich Lösungen finden. So wurde das Gatter lediglich für den Einzug genutzt und das Gewebe vorne mit einem Kamm auf die nötige Breite zusammengezogen. Die gewünschte Dichte von zwölf Fäden pro Zentimeter wurde durch stetiges Sortieren und Schieben der Kettfäden erzeugt, dennoch liess sich eine Verdichtung an den Kanten nicht vermeiden. Nach dem Waschen der Gewebe war jedoch eine ziemlich gleichmässige Verteilung der Dichte zu beobachten. Die Arbeit mit dem rohen Garn war spannend, weil Muster und Effekte gedanklich und materiell geplant wurden, ohne sicher zu wissen, wie es im gefärbten Zustand aussehen würde.
Insgesamt war das Handweben eine sehr schöne, intensive, Konzentration und Geduld einfordernde Arbeit. Die Fehlerquote blieb extrem niedrig, da jede Bewegung, jeder einzelne Faden geprüft wurde. Dadurch, dass die Vorgänge so intensiv miterlebt wurden, war diese Arbeitsweise enorm lehrreich.
Mit Hilfe von Fadenlitzen konnten vier Schäfte erreicht werden, die sich beliebig kombinieren liessen. So ergaben sich deutlich mehr Möglichkeiten für Bindungen. Das Arbeiten mit den Fadenlitzen funktionierte sehr gut für eine Vielzahl von Köperbindungen und Varianten davon. Die Bindungen erfolgten schusslastig oder gleichseitig.
FÄRBEN
Das Färben mit Naturmaterialien stellte vielversprechende Resultate in Aussicht. Bereits nach den ersten Färbetest war die Freude gross, da sich die drei Materialien meistens problemlos in unterschiedlichen Nuancen anfärbten. Um die Beständigkeit und Lichtechtheit der Farben zu gewährleisten, mussten die Garne und Stoffe bei einigen Farbstoffen mit Kalialaun vorgebeizt werden. Teilweise reduzierte dies die deutliche Nuancierung, wie zum Beispiel im Fall des gelben Farbtons der Kreuzbeere. Beim Arbeiten mit diesen natürlichen Farbstoffen richtet sich die Farbpalette nach den Färbeergebnissen. Trotz exaktem Abwägen und Einhalten von Temperatur und Färbedauer kann es je nach Farbstoff zu offensichtlichen Abweichungen der Farbtöne kommen. So blieb es immer spannend. Die wichtigste Konstante war die für die Arbeit notwendige Dreifarbigeit der Materialien.
FÄRBEEFFEKTE
Anwendbare Erkenntnisse für die gezielte Gestaltung mit der Färbung und dem Gewebe waren die spannenden, deutlichen Farbtonwechsel in Abhängigkeit zum Material. Ikat-Effekte sowohl durch das vorzeitige Färben der Webkette als auch als Schussabfolgen zeigten sich als attraktive Gestaltungs-Methoden. Hingegen erschienen Farbverläufe und Teilfärbungen mit dem fertigen Gewebe schnell undefiniert und daher ungeeignet für eine ästhetische Anwendung.
DIE FINALEN FÄRBEMITTEL UND ERZIELTEN FARBTÖNE Blauholz
- blau-violett
Krappwurzel - orange-rot Kreuzbeere
- gelb
Walnuss
- beige-braun
Zwiebelschale - orange-kupfer Avocado
- rosa
EXPERIMENTE JERSEY STICKEREI Neben den Geweben sollten Entwürfe für Jersey-Tragetücher entstehen, die durch Abbinden und Färben die Thematik des Wickelns um den Körper aufnehmen würden. Es wurden Färbeteste mit drei verschiedenen Jersey-Qualitäten gemacht: Baumwolle-Polyester, Modal und Bambus. Es zeigte sich schnell, dass das Material ganz anders mit den Farbstoffen reagierte. Die Farbigkeit war wesentlich weniger intensiv als bei den Geweben, sodass eine Vorbehandlung mit Kalialaun zwingend notwendig war. Bereits Uni-Färbungen stellten eine Herausforderung dar, oft wurden Unreinheiten sichtbar. Abgebundene Stellen waren nur schwach erkennbar. Insgesamt erachtete ich die Attraktivität dieser durch Abbinden gestalteten Tücher als unzureichend und blieb bei der Idee, Jersey-Stoffe lediglich in Form von Uni-Alternativen zu den Geweben anzubieten. Um die Tragetücher mit interessanten Mittelpunkt- und Kanten-Markierungen zu versehen, war auch Stickerei vorgesehen. Diese sollten aus den gleichen Garnen wie diejenige der Gewebe gemacht und mitgefärbt werden. Dies sollte die Jersey-Tücher ästhetisch ergänzen. Versuche auf dem Jersey zeigten schnell auf, das diese Ästhetik nicht den Vorstellungen und der Qualität der Arbeit entsprach. Mit der erreichten Gestaltunsdimension und Komplexität der Gewebe erhöhte sich auch der Anspruch auf allfällige zusätzliche Elemente. Wo diese nicht in Aussicht standen, wurde auf deren Weiterverfolgung verzichtet.
Die entstandene Farbpalette auf Bambus-Jersey, gefärbt mit den gleichen Färbemitteln wie die Gewebe. Der Bambus-Jersey passt in Griff und Optik am besten zu den Geweben und erfüllt den Natürlichkeitsanspruch.
Ein letzter Versuch, das fünf Meter lange Jersey-Tuch in Abschnitten zu färben, schien zunächst gut machbar. Weil der Farbstoff jedoch während einer Stunde ziehen muss, floss der dunkle Färbesud über den Stoff in den helleren Topf und die Farben verfälschten sich enorm. Zudem ergaben sich ungewollt helle und dunkle Stellen auf dem Tuch mit extremer Batik-Optik. Die Stoffmenge müsste in einem wesentlich grösseren Färbebad gefärbt werden. Dieses Vorgehen würde allgemein nur in separierten Etappen funktionieren.
GEWEBE IM FOKUS Nach der Zwischenpräsentation wurde deutlich, dass die Arbeit mit dem Gewebe in eine forscherische Richtung weitergehen würde, mit dem Ziel, die gestalterischen Möglichkeiten und die Vielfalt durch Kominationen aufzuzeigen. In einer Tabelle wurde vorab also das Spektrum an gestalterischen Möglichkeiten in Abhängigkeit von Kett- und Schusskombinationen und Bindung zusammengetragen. Darauf basierend wurden die Entscheidungen zur konkreten Umsetzung getroffen. Um eine repräsentative Auswahl an Samples erstellen zu können wurden vier Kettvarianten ausgewählt: Fil à Fil, eine Kette mit schmalen, regelmässigen Streifen, eine mit unterschiedlich breiten Streifen, worin auch Möglichkeiten für Uni-Varianten sichtbar werden und eine mit Verlauf von hell zu dunkel. Die Auswahl der Samples hatte zum Ziel, stellvertretend eine Ahnung der Vielfältigkeit an Gestaltungs-Möglichkeiten zu geben.
Kombinatorik: Kette, Schuss, Bindung und Farbe. Es galt, die entstandenen Roh-Samples sinnvoll auf die möglichen Farbtöne zu verteilen, um Repetition zu vermeiden. Nicht jedes Sample funktionierte am Ende gleich gut, auch gerade mit den gewählten Farben. Jedes davon schenkte aber Erkenntnisse.
Die vier Webketten, alle gefärbt mit Krappwurzel.
EXPERIMENTE WEBEN Zusätzlich zu den Färbeeffekten durch die Kettfärbung wurde im Gewebe mit der Gestaltung der Kanten experimentiert. Ziel war es, verschiedene Kantengestaltungen anbieten zu können, da dies den Tragenden bei der Orientierung hilft. Wie bezüglich der Gewebedichte bereits erläutert, kam es durch das Zusammenziehen an den Kanten zu einer Verdichtung, was die spezifische Gestaltung damit erschwerte, dafür aber für gute Stabilität sorgte.
Ikat an der Kante.
Zusätzlich verdichtete Kante durch doppeltes Einziehen der Fäden.
Das F채rben und Abbinden der Kette sorgte f체r interessante und bereichernde Effekte.
Verschiedene Kantenvarianten durch die Kette initiiert.
Zu Beginn wurde in Betracht gezogen, die Kanten mit handgewebten B채ndern zu versehen. Dies er체brigte sich jedoch ebenfalls aufgrund des Zusammenziehens des Gewebes am Handwebrahmen.
MUSTER-KOLLEKTION
Die entstandenen Samples für Tragetücher werden als Muster-Kollektion in einem Katalog übersichtlich und nachvollziehbar zusammengestellt. Dieser richtet sich an potenzielle Kunden, die dadurch auf das Projekt, seine Hintergründe und die erhältlichen Gewebe aufmerksam gemacht werden. Das Potenzial an Muster-Vielfalt wird darin aufgezeigt. Die Samples sind im Katalog sorgfältig dokumentiert. Somit wird hier nicht im Detail auf einzelne Gewebe eingegangen.
REFLEXION
Dieses Projekt schenkte mir wertvolle, vertiefte Einblicke in die Gestaltungsmöglichkeiten von Geweben, gerade auch durch das Handweben. Die Abhängigkeit vom Material und funktionierenden Färbevorgängen war inspierierend und lehrreich. Das produktbezogene Entwerfen war interssant, weil es gewisse Richtlinien und Einschränkungen gab, um aber damit zu einem konkreten Ziel zu kommen. Ich konnte mich in diversen Techniken weiterentwickeln und mit meinen Mustern und Farben eine Art Signature-Look erreichen. Die Auseinandersetzung mit Tragetüchern mag vorerst abgeschlossen sein, jedoch für das Entwickeln von Geweben tat sich hiermit ein neuer Horizont auf und der Entdeckungsdrang ist noch nicht gestillt.
Einblick in den Katalog bietet folgender Link: https://issuu.com/salomefinschi/docs/traces_katalog_issuu