NATHAN WERLEN
BACHELORARBEIT
INTRO
Wie können die Grenzen von Natur und Kultur neu verschmelzen? Was wenn eine Co-Kreation mit Organismen eine mögliche Zukunft erschafft, in welcher Rücksicht und Harmonie mit der natürlichen Welt im Zentrum steht? Sind Gestaltende Autor:innen und Schöpfende oder sind sie Übersetzer:innen und Vermittelnde von holistisch, nachhaltigen Lösungen? Die moderne Welt benötigt neue Visionen, mit der Absicht effektiv und ehrlich mit der Erde zu kooperieren.
MOTIVATION
Am Anfang meiner Bachelorarbeit setzte ich mich intensiv mit der Fähigkeit der Geduld auseinander. Was bedeutet es warten zu müssen? Was bedeutet es zu verstehen, dass es keine Abkürzungen gibt? Unsere immer schneller werdende Welt sucht ständig nach Zeitersparnissen, welche es im Einklang mit der Erde nicht gibt. Das Verständnis der ökologischen Belastung, wie wir als Spezies den Planeten (ver)brauchen und das Bewusstsein für die Herkunft unserer Dinge, werden in den aktuellen Krisen immer wichtiger.
Das exponentielle Wachstum anthropogener Masse, aber auch der wachsende Abbau von nicht erneuerbaren Ressourcen sind kolossale, systematische Herausforderungen für die Menschheit. Ein Ansatz diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es Geduld zu verstehen. Geduld ist das Verständnis über die Rhythmen der Natur. Wenn der gesellschaftliche Rhythmus nicht mehr im Einklang zum natürlichen ist, entfernen wir uns voneinander. Um dieser Asynchronität entgegenzuwirken, ist eine Transformation zu einer energie- und materialeffizienten Gesellschaft in Rücksichtnahme der planetaren Grenzen anzustreben. Es gibt keine Abkürzungen zu einer
wünschenswerten Zukunft. Eine zukunftsfähige Lebenskultur im Einklang mit der Natur verlangt partizipative und interdisziplinäre Lösungen, welche Schritt für Schritt mit denselben Grundwerten ihre Ziele anstreben. Ich möchte mit meinen Fähigkeiten und meiner Arbeit als Gestalter einen Beitrag dazu leisten. Regenerative Materialkonzepte sind Bausteine für eine funktionierende Kreislaufgesellschaft. Eine Integration von nichtmenschlichen Akteuren sowie deren Rhythmen in unsere materielle Kultur, können gestalterisches Potential für eine resiliente und ökologisch sinnvolle Zukunft tragen. So kann die vernachlässigte Synergie zwischen Mensch und Umwelt restauriert werden.
ZELLULOSE
Zellulose ist der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände und damit die häufigste vorkommende organische Verbindung. Bei gewissen Fermentationsprozessen wandeln Bakterien (Komagataeibacter xylinum) Glukose (Zucker) zu Nanozelluloseketten um. Diese sind kleiner und gleichmässiger als die reguläre Zellulose von Pflanzen und weisen deshalb auch vielseitigere mechanische Eigenschaften auf. Diese Bausteine der biologischen Welt könnten Alternativen zu fossilen und nicht regenerativen Materialien aufzeigen.
KONZEPT
Fersyn erforscht einen zirkulären Stofffluss und untersucht mögliche umwelt- und ressourcenschonende Varianten zu konventionellen Materialien. Bakterielle Zellulose ist ein Werkstoff mit hervorragenden Eigenschaften und einer energie- und infrastrukturarmen Herstellung und Verarbeitung. In dieser Arbeit werden qualitative und narrative Werte dieser Materialien vereint und als Pendant zu industriell hergestellten Materialien und Gütern aufgezeichnet. Die langsame und schonende Kultivierung unserer zukünftigen Gegenstände kreiert einen identitätsstiftenden Mehrwert.
So könnten Harmonie und Rücksicht gegenüber der Erde in unsere Wertvorstellungen integriert werden. Forschung und Handwerk bilden den Dialog, der diesen organischen Rohstoff zu einem Material transformiert.
Dieses Projekt untersucht eine mögliche harmonische Zukunft. Eine Zukunft, welche den holistischen Einklang zwischen uns und der Natur anstrebt.
PRINZIP
Viele natürliche wie auch synthetische Materialien bestehen abstrahiert aus einer Matrix und einem Binder. Die Matrix – in diesem Fall die Zellulose – stellt die Grundstruktur dar. Der Binder spielt dann in Kombination mit der Matrix eine wichtige Rolle bei der Stabilität und Funktionalität des gesamten Materialsystems. Es gibt diverse biologische Binder wie Stärke, Pektin, Glyzerin, Öle, Proteine, natürliche Wachse, Salz, etc. welche in verschiedenen Kombinationen und Verhältnissen unterschiedliche Eigenschaften für unterschiedliche Anwendungen aufweisen. Wenn man also biologische Komponenten (Matrix + Binder) zu einem Material verarbeitet, spielt man quasi LEGO mit natürlichen Bausteinen.
SOURCING
Bakterielle Zellulose formt sich bei verschiedenen Fermentationsprozessen. Einer davon ist beim Brauen von Kombucha. Hierbei ist die gewachsene Zellulosematte am Ende der Fermentation überflüssig und wird kompostiert. Diese Masse wird SCOBY (symbiotic culture of bacteria and yeast) genannt. Aus zeitlichen Gründen suchte ich nach bestehendem Ausschussmaterial von laufenden Produktionen. Die Komeo AG ist ein Kombucha-Startup in Malters, welche ihr Getränk aktuell noch in einer Garage herstellen. Netterweise stellten mir Glen Lecardonnel und Fabian Rölli zweimal rund 20 kg bakterielle Zellulose zur Verfügung. Diese Zellulosekultur war also ein Nebenprodukt einer Getränkeherstellung. Wenn die Zellulose jedoch von Grund auf für materielle Verwendung kultiviert werden würde, könnten sich die Möglichkeiten der Verarbeitung ausweiten.
TRY-OUTS
54g Scoby-blend
Binder: 14g Stärke 3ml Glizerin
Fasern: 4g Holzspäne grob
54g Scoby-blend
Binder: 14g Stärke
Fasern: 4g Holzspäne fein
Farbe: Tropfen Cochnille
54g Scoby-blend
Binder: 14g Stärke
Farbe: Tropfen Chatechan
54g Scoby-blend
Binder: 14g 4mlStärkeGlizerin 4g veg. Gelatine
Farbe: Einsenoxid roh
54g Scoby-blend
Binder: 14g Stärke 3ml Glizerin
Farbe: 2.5 g Sandelholz
54g Scoby-blend
Binder: 5g Epson Salt 7.5g Magnesiumoxid
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
U2
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
U3
U4
U5
U6
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
Härte
Schwund
Homogenität
Geruch
Translucent
natrongebadete zellulose
Eine Untersuchung der Dynamik zwischen Input und Output. Wie verhält sich das Material und wie kann ich reagieren?
«Das antwortende Material bietet die Möglichkeit des Widerstands, der Überraschung, des Unvorhergesehenen.»
U3 erstes sheet, keine pigmente
gravur test
U3 mit zink
HANDS- ON
Die folgenden Anleitungen und Rezepte bieten einen Leitfaden zur Urformung und Gestaltung bakterieller Zellulose. Da das Ausgangsmaterial zu 90 % aus Wasser besteht und die Masse manchmal heterogen ist, kann das Startvolumen nicht absolut gemessen werden. Daher sind die Mengenangaben eher als Referenzwerte anzusehen. Besonders bei dem Wiederauffüllen der ausgedrückten Zellulosestücke ist eine wassergebundene, zähflüssige Konsistenz wichtiger als das genaue Einhalten der Rezeptverhältnisse.
Es ist gut möglich, dass bei einem unterschiedlichen Ausgangsmaterial sich die Eigenschaften verändern. Die gewonnenen Erkenntnisse sind aber durchaus universell anwendbar. Im forschenden Stand der Arbeit wurde das quantitative Erarbeiten von exakt reproduzierbaren Rezepten aus Zeitgründen nicht priorisiert. Die gestalterische Auseinandersetzung und das Erforschen des materiellen Dialogs mit dieser handwerklichen Fertigung standen im Fokus.
CRAFTS
a) Vorgewaschenen Scoby wägen
b) Scoby in Würfel schneiden (1 - 3 cm)
c) Essighaltige Flüssigkeit herausdrücken
d) Stücke ca. 1 h in Wasser einlegen (nachreinigen)
e) Nochmals ausrücken
Diese Vorbereitung der Zellulose reduziert den Essiggeruch durch das Herausdrücken der Flüssigkeit. Das Endergebnis wird so weniger klebrig. Die Masse verliert bei diesen Schritten mehr die Hälfte des Gewichts.
f) Auffüllen mit Wasser auf +/- das Startvolumen (die Masse sollte das Wasser binden also lieber etwas weniger)
g) Zu einer homogenen Masse pürieren (Scobyblend)
h) Bei Bedarf mit Bindern und Pigmenten mischen (manche Pigmente müssen in Wasser gelöst werden, ich nahm meistens ca. 50 ml und fügte diese am Schluss der Mischung hinzu)
i) Alles mischen und falls nötig nachpürieren
j) Gleichmässig auf eine gewünschte Oberfläche verteilen
Die Grösse der pürierten Stücke können je nach gewünschter Endopitk variieren, zum gleichmässigen Auftragen ist eine homogene Masse aber geeigneter.
BADGE EINS
B1
500 g Scobyblend
B2
500 g Scobyblend
125 g Kartoffelstärke
2 g Hollunderpigment
B3
500 g Scobyblend
125 g Kartoffelstärke
2 g Zink
a) Zellulosestücke + Pigmente in Form geben
b) Die Flüssigkeit etappenweise herausdrücken
c) 2 - 3 Tage immer wieder neu pressen
d) Entformen
Der Schwund ist gross und durch das Entweichen der Flüssigkeit verzieht das Stück. Wegen der hohen Dicke und gebundenen Flüssigkeit dauert das Nachtrocken an der Luft einige Wochen.
pressed indogotin bearbeitet
zink roh
pressed zink bearbeitet
badge zwei im backofen
TROCKNEN
Die aufgetragene Mischung kann bei Raumtemperatur getrocknet werden. Dies dauert rund 4 bis 7 Tage. Im Ofen mit Umluft und 50 Grad dauert es ca. einen Tag. Bei gutem Wetter können die Bleche auch einfach in die Sonne gelegt werden. Die Zugfestigkeit der Zellulose soll bei einer Trocknungstemperatur von 25 Grad einen besseren Wert erziehlen als bei einer höherern oder tieferen. Logischerweise dauern dickere Schichten länger als dünne.
BADGE ZWEI
B4
1500g Scobyblend
5g Indigotin
B5
820g Scobyblend
210g Kartoffelstärke
2g Blaukraut
2g Indigotin
B6
1100g Scobyblend
5g Hollunderpigment
B7
820g Scobyblend
210g Kartoffelstärke
8g Goldocker
«Welche Sprache sprechen die Dinge der Welt, damit wir uns mit ihnen auf Vertragsbasis verständigen können?»
3600g blend + 900g stärke + 300g epson salt
U7:mit leinöl behandelte oberfläche
«Im kreativen Prozess bedeutet Geduld, zu akzeptieren, dass sich der Grossteil unserer Arbeit unserer Kontrolle entzieht. »
scobyblend mit hollunderpigment
U3 mit blattgrün pigment
OUTRO
Die Kraft eines kreativen Prozesses wirkt manchmal überwältigend und manchmal stumm. Fersyn war ein Projekt ausserhalb meiner Komfortzone. Zwischen Forschung und Handwerk. Die Faszination und Freude, welche ich erfahren durfte, fand ich im Dialog, im Zuhören.
FERSYN setzt sich mit den SDG 9 «Industrie, Innovation, Infrastruktur» und 12 «Nachhaltiger Konsum und Produktion» auseinander.
Die randabfallenden Bilder sind Mikroskopnaufnahmen der hergestellten Materialien. 11 Bakterielle Nanozellulose (s/w) x100
(Blauholz) x50
DANKE AN
Familie und Freunde
Miriam Nietlispach
Aaron Werlen
Meri Zirkelbach
Anaïs Maxine Peter
Simona Schürch
Komeo AG
Glen Lecardonnel
Fabian Rölli
Werkstätte HSLU
Nadia Müller
Rene Odermatt
Patrick Meyer
Lisa Rubio
Christina Werlen
Klasse Objektdesign 2021