Dokumentation: Fersyn Resilience Lab

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FERSYN RESILIENCE LAB

NATHAN WERLEN

BACHELORARBEIT

Objektdesign 2024 HSLU Design Film Kunst
07 INTRO 08 MOTIVATION 12 ZELLULOSE 17 KONZEPT 19 PRINZIP 21 SOURCING 22 TRYOUTS 31 DIALOG 49 HANDS-ON 51 CRAFTS 57 BADGE EINS 65 PRESSED 71 TROCKNEN 73 BADGE ZWEI 105 OUTRO 107 MIKRO 109 DANKE
INHALT

INTRO

Wie können die Grenzen von Natur und Kultur neu verschmelzen? Was wenn eine Co-Kreation mit Organismen eine mögliche Zukunft erschafft, in welcher Rücksicht und Harmonie mit der natürlichen Welt im Zentrum steht? Sind Gestaltende Autor:innen und Schöpfende oder sind sie Übersetzer:innen und Vermittelnde von holistisch, nachhaltigen Lösungen? Die moderne Welt benötigt neue Visionen, mit der Absicht effektiv und ehrlich mit der Erde zu kooperieren.

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MOTIVATION

Am Anfang meiner Bachelorarbeit setzte ich mich intensiv mit der Fähigkeit der Geduld auseinander. Was bedeutet es warten zu müssen? Was bedeutet es zu verstehen, dass es keine Abkürzungen gibt? Unsere immer schneller werdende Welt sucht ständig nach Zeitersparnissen, welche es im Einklang mit der Erde nicht gibt. Das Verständnis der ökologischen Belastung, wie wir als Spezies den Planeten (ver)brauchen und das Bewusstsein für die Herkunft unserer Dinge, werden in den aktuellen Krisen immer wichtiger.

Das exponentielle Wachstum anthropogener Masse, aber auch der wachsende Abbau von nicht erneuerbaren Ressourcen sind kolossale, systematische Herausforderungen für die Menschheit. Ein Ansatz diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es Geduld zu verstehen. Geduld ist das Verständnis über die Rhythmen der Natur. Wenn der gesellschaftliche Rhythmus nicht mehr im Einklang zum natürlichen ist, entfernen wir uns voneinander. Um dieser Asynchronität entgegenzuwirken, ist eine Transformation zu einer energie- und materialeffizienten Gesellschaft in Rücksichtnahme der planetaren Grenzen anzustreben. Es gibt keine Abkürzungen zu einer

wünschenswerten Zukunft. Eine zukunftsfähige Lebenskultur im Einklang mit der Natur verlangt partizipative und interdisziplinäre Lösungen, welche Schritt für Schritt mit denselben Grundwerten ihre Ziele anstreben. Ich möchte mit meinen Fähigkeiten und meiner Arbeit als Gestalter einen Beitrag dazu leisten. Regenerative Materialkonzepte sind Bausteine für eine funktionierende Kreislaufgesellschaft. Eine Integration von nichtmenschlichen Akteuren sowie deren Rhythmen in unsere materielle Kultur, können gestalterisches Potential für eine resiliente und ökologisch sinnvolle Zukunft tragen. So kann die vernachlässigte Synergie zwischen Mensch und Umwelt restauriert werden.

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ZELLULOSE

Zellulose ist der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände und damit die häufigste vorkommende organische Verbindung. Bei gewissen Fermentationsprozessen wandeln Bakterien (Komagataeibacter xylinum) Glukose (Zucker) zu Nanozelluloseketten um. Diese sind kleiner und gleichmässiger als die reguläre Zellulose von Pflanzen und weisen deshalb auch vielseitigere mechanische Eigenschaften auf. Diese Bausteine der biologischen Welt könnten Alternativen zu fossilen und nicht regenerativen Materialien aufzeigen.

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15 bakterielle zellulose unter mikroskop 100x

KONZEPT

Fersyn erforscht einen zirkulären Stofffluss und untersucht mögliche umwelt- und ressourcenschonende Varianten zu konventionellen Materialien. Bakterielle Zellulose ist ein Werkstoff mit hervorragenden Eigenschaften und einer energie- und infrastrukturarmen Herstellung und Verarbeitung. In dieser Arbeit werden qualitative und narrative Werte dieser Materialien vereint und als Pendant zu industriell hergestellten Materialien und Gütern aufgezeichnet. Die langsame und schonende Kultivierung unserer zukünftigen Gegenstände kreiert einen identitätsstiftenden Mehrwert.

So könnten Harmonie und Rücksicht gegenüber der Erde in unsere Wertvorstellungen integriert werden. Forschung und Handwerk bilden den Dialog, der diesen organischen Rohstoff zu einem Material transformiert.

Dieses Projekt untersucht eine mögliche harmonische Zukunft. Eine Zukunft, welche den holistischen Einklang zwischen uns und der Natur anstrebt.

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PRINZIP

Viele natürliche wie auch synthetische Materialien bestehen abstrahiert aus einer Matrix und einem Binder. Die Matrix – in diesem Fall die Zellulose – stellt die Grundstruktur dar. Der Binder spielt dann in Kombination mit der Matrix eine wichtige Rolle bei der Stabilität und Funktionalität des gesamten Materialsystems. Es gibt diverse biologische Binder wie Stärke, Pektin, Glyzerin, Öle, Proteine, natürliche Wachse, Salz, etc. welche in verschiedenen Kombinationen und Verhältnissen unterschiedliche Eigenschaften für unterschiedliche Anwendungen aufweisen. Wenn man also biologische Komponenten (Matrix + Binder) zu einem Material verarbeitet, spielt man quasi LEGO mit natürlichen Bausteinen.

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SOURCING

Bakterielle Zellulose formt sich bei verschiedenen Fermentationsprozessen. Einer davon ist beim Brauen von Kombucha. Hierbei ist die gewachsene Zellulosematte am Ende der Fermentation überflüssig und wird kompostiert. Diese Masse wird SCOBY (symbiotic culture of bacteria and yeast) genannt. Aus zeitlichen Gründen suchte ich nach bestehendem Ausschussmaterial von laufenden Produktionen. Die Komeo AG ist ein Kombucha-Startup in Malters, welche ihr Getränk aktuell noch in einer Garage herstellen. Netterweise stellten mir Glen Lecardonnel und Fabian Rölli zweimal rund 20 kg bakterielle Zellulose zur Verfügung. Diese Zellulosekultur war also ein Nebenprodukt einer Getränkeherstellung. Wenn die Zellulose jedoch von Grund auf für materielle Verwendung kultiviert werden würde, könnten sich die Möglichkeiten der Verarbeitung ausweiten.

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TRY-OUTS

54g Scoby-blend

Binder: 14g Stärke 3ml Glizerin

Fasern: 4g Holzspäne grob

54g Scoby-blend

Binder: 14g Stärke

Fasern: 4g Holzspäne fein

Farbe: Tropfen Cochnille

54g Scoby-blend

Binder: 14g Stärke

Farbe: Tropfen Chatechan

54g Scoby-blend

Binder: 14g 4mlStärkeGlizerin 4g veg. Gelatine

Farbe: Einsenoxid roh

54g Scoby-blend

Binder: 14g Stärke 3ml Glizerin

Farbe: 2.5 g Sandelholz

54g Scoby-blend

Binder: 5g Epson Salt 7.5g Magnesiumoxid

U1 U3
U2 U4 U5 U6
23 U1 U3 U2 U4 U5 U6
U1 U3 U2 U4 U5 U6

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

U2

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

U3

U4

U5

U6

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

Härte

Schwund

Homogenität

Geruch

Translucent

25
U1
weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein
weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein
weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein
weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein weich klein flach neutral ja hart gross wild sauer nein

natrongebadete zellulose

27 oxidation-streifen zellulose roh

Eine Untersuchung der Dynamik zwischen Input und Output. Wie verhält sich das Material und wie kann ich reagieren?

31
DIALOG
«Das antwortende Material bietet die Möglichkeit des Widerstands, der Überraschung, des Unvorhergesehenen.»
33
Richard Senett, 2008

U3 erstes sheet, keine pigmente

35 übernahme der untergrundstruktur

gravur test

37 mit wasser an glatte oberfläche geklebt
U2 in gipsform
41 U2 und U6 trocken
U3 mit hollunderpigment
43 digitale fabrikation

U3 mit zink

auf struktur getrocknet
47 reparatur mit wasser
und «pflaster»

HANDS- ON

Die folgenden Anleitungen und Rezepte bieten einen Leitfaden zur Urformung und Gestaltung bakterieller Zellulose. Da das Ausgangsmaterial zu 90 % aus Wasser besteht und die Masse manchmal heterogen ist, kann das Startvolumen nicht absolut gemessen werden. Daher sind die Mengenangaben eher als Referenzwerte anzusehen. Besonders bei dem Wiederauffüllen der ausgedrückten Zellulosestücke ist eine wassergebundene, zähflüssige Konsistenz wichtiger als das genaue Einhalten der Rezeptverhältnisse.

Es ist gut möglich, dass bei einem unterschiedlichen Ausgangsmaterial sich die Eigenschaften verändern. Die gewonnenen Erkenntnisse sind aber durchaus universell anwendbar. Im forschenden Stand der Arbeit wurde das quantitative Erarbeiten von exakt reproduzierbaren Rezepten aus Zeitgründen nicht priorisiert. Die gestalterische Auseinandersetzung und das Erforschen des materiellen Dialogs mit dieser handwerklichen Fertigung standen im Fokus.

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CRAFTS

a) Vorgewaschenen Scoby wägen

b) Scoby in Würfel schneiden (1 - 3 cm)

c) Essighaltige Flüssigkeit herausdrücken

d) Stücke ca. 1 h in Wasser einlegen (nachreinigen)

e) Nochmals ausrücken

Diese Vorbereitung der Zellulose reduziert den Essiggeruch durch das Herausdrücken der Flüssigkeit. Das Endergebnis wird so weniger klebrig. Die Masse verliert bei diesen Schritten mehr die Hälfte des Gewichts.

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f) Auffüllen mit Wasser auf +/- das Startvolumen (die Masse sollte das Wasser binden also lieber etwas weniger)

g) Zu einer homogenen Masse pürieren (Scobyblend)

h) Bei Bedarf mit Bindern und Pigmenten mischen (manche Pigmente müssen in Wasser gelöst werden, ich nahm meistens ca. 50 ml und fügte diese am Schluss der Mischung hinzu)

i) Alles mischen und falls nötig nachpürieren

j) Gleichmässig auf eine gewünschte Oberfläche verteilen

Die Grösse der pürierten Stücke können je nach gewünschter Endopitk variieren, zum gleichmässigen Auftragen ist eine homogene Masse aber geeigneter.

53

BADGE EINS

B1

500 g Scobyblend

B2

500 g Scobyblend

125 g Kartoffelstärke

2 g Hollunderpigment

B3

500 g Scobyblend

125 g Kartoffelstärke

2 g Zink

57
B1
59 B2, B3 hinterlichtet
B2
61 B3
B1 hinterlichtet
63 sammlung

a) Zellulosestücke + Pigmente in Form geben

b) Die Flüssigkeit etappenweise herausdrücken

c) 2 - 3 Tage immer wieder neu pressen

d) Entformen

Der Schwund ist gross und durch das Entweichen der Flüssigkeit verzieht das Stück. Wegen der hohen Dicke und gebundenen Flüssigkeit dauert das Nachtrocken an der Luft einige Wochen.

65
PRESSED
pressed indogotin im prozess

pressed indogotin bearbeitet

zink roh

pressed

pressed zink bearbeitet

badge zwei im backofen

TROCKNEN

Die aufgetragene Mischung kann bei Raumtemperatur getrocknet werden. Dies dauert rund 4 bis 7 Tage. Im Ofen mit Umluft und 50 Grad dauert es ca. einen Tag. Bei gutem Wetter können die Bleche auch einfach in die Sonne gelegt werden. Die Zugfestigkeit der Zellulose soll bei einer Trocknungstemperatur von 25 Grad einen besseren Wert erziehlen als bei einer höherern oder tieferen. Logischerweise dauern dickere Schichten länger als dünne.

71

BADGE ZWEI

B4

1500g Scobyblend

5g Indigotin

B5

820g Scobyblend

210g Kartoffelstärke

2g Blaukraut

2g Indigotin

B6

1100g Scobyblend

5g Hollunderpigment

B7

820g Scobyblend

210g Kartoffelstärke

8g Goldocker

73
B4 oberseite
75 B4 unterseite
B4
77 B4
B6
79 B5 hinterlichtet
B7 mix
81 B7
«Welche Sprache sprechen die Dinge der Welt, damit wir uns mit ihnen auf Vertragsbasis verständigen können?»
83 Michael Serres, 1994

3600g blend + 900g stärke + 300g epson salt

U7:
85 U7 halbtocken
U7

mit leinöl behandelte oberfläche

91 heatpressed + geprägt
«Im kreativen Prozess bedeutet Geduld, zu akzeptieren, dass sich der Grossteil unserer Arbeit unserer Kontrolle entzieht. »
93 Rick Rubin, 2023

scobyblend mit hollunderpigment

95
U3 mit rebschwarz
pigment
97
heatpressed
U3
und in form gedrückt
99 formbau

U3 mit blattgrün pigment

OUTRO

Die Kraft eines kreativen Prozesses wirkt manchmal überwältigend und manchmal stumm. Fersyn war ein Projekt ausserhalb meiner Komfortzone. Zwischen Forschung und Handwerk. Die Faszination und Freude, welche ich erfahren durfte, fand ich im Dialog, im Zuhören.

FERSYN setzt sich mit den SDG 9 «Industrie, Innovation, Infrastruktur» und 12 «Nachhaltiger Konsum und Produktion» auseinander.

105

Die randabfallenden Bilder sind Mikroskopnaufnahmen der hergestellten Materialien. 11 Bakterielle Nanozellulose (s/w) x100

(Blauholz) x50

107
39
55
x50 89
x50 102
x50
29 B5
Detail Gravur (s/w) x50
B4
U7
B5 (Indigotin)
MIKRO

DANKE AN

Familie und Freunde

Miriam Nietlispach

Aaron Werlen

Meri Zirkelbach

Anaïs Maxine Peter

Simona Schürch

Komeo AG

Glen Lecardonnel

Fabian Rölli

Werkstätte HSLU

Nadia Müller

Rene Odermatt

Patrick Meyer

Lisa Rubio

Christina Werlen

Klasse Objektdesign 2021

109
JUNI 2024

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