Minergie - Superlabel bleibt super

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MINERGIE® – Superlabel bleibt super 31.03.2010 10:51 von Antonio Milelli

von Ruedi Kriesi* Zuerst im Bund (1), neu in Archithese (2) versucht der ETH-Dozent Hansjürg Leibundgut die erfreuliche Wirkung des erfolgreichsten Instruments der Schweizer Energiepolitik zu bremsen, indem er die These aufstellt, die Marke führe aus heutiger Sicht am Ziel der Reduktion des Verbrauchs nicht-erneuerbarer Energien und der CO2-Emissionen vorbei. Da dem Aussenstehenden nicht so leicht klar wird, dass die aufgeführten Begründungen gegen die Wärmedämmung der Gebäudehülle ziemlich abenteuerlich sind, die Hochschule aber als glaubwürdiger Absender gilt, muss ich mich als direkt Angesprochener wohl äussern, um weiteren Schaden zu vermeiden. Dass Herr Leibundgut als Ingenieur und Dozent für Haustechnik an der ETH die Funktion von MINERGIE® als Marke nicht überblickt, ist weniger überraschend als dass er auch den Unterschied zwischen Energie und Leistung nicht zu kennen scheint. Funktionierendes Beispiel der Verbindung der Interessen von Wirtschaft und Umwelt Im Jahr 2008, die Zahlen für 2009 sind noch nicht bekannt, wurden etwa 25% aller Neubauten gemäss dem MINERGIE®-Standard zertifiziert, insgesamt sind es bis heute Bauten mit einer Bruttofläche von rund 15 Mio. m2. Durchschnittlich wurde deren Energieverbrauch gegenüber den geltenden Vorschriften um über 60% reduziert. Gleichzeitig weisen diese Bauten einen höheren Komfort aus und verfügen bereits heute über einen höheren Wiederverkaufswert, wie dies vom Center for


Corporate Responsibility and Sustainability an der Universität Zürich kürzlich nachgewiesen wurde (3). Der Unterschied dürfte sich erhöhen, wenn die Fördermenge fossiler Brennstoffe nach einem neuen wirtschaftlichen Aufschwung erneut an Grenzen stossen wird. Der Gesamtwert an zertifizierten MINERGIE®Bauten mit der nachgewiesenen höheren Wertsicherheit beträgt bis heute etwa 50 Mrd. Franken. MINERGIE® konnte sich seit der Schaffung 1995/96 zum kostengünstigsten Instrument der Schweizer Energiepolitik (4) entwickeln, weil es sowohl auf einem wegweisenden technischen als auch auf einem innovativen Geschäftskonzept beruht. Die Marke hat den Stellenwert der Energieeffizienz komplett verändert. Wurden anfangs der 90er Jahre Energiesparhäuser noch als Sache einiger grüner Exzentriker gesehen, so baut heute auch der Durchschnittsbauherr ein MINERGIE®Haus. Mit den von der Marke propagierten Werten Komfort, Lebensqualität und Energieeffizienz konnte die Bauindustrie aus eigener Kraft diesen neuen Markt entwickeln. Neue Systeme für Gebäudehülle und Haustechnik sind mit den MINERGIE®-Standards als Mass geschaffen worden und werden laufend weiter optimiert. MINERGIE® ist also funktionierendes Beispiel für die heute vielerorts erst hypothetisch propagierte Verbindung der Anliegen von Umwelt und Wirtschaft zur Beschleunigung der dringend notwendigen Ökologisierung der Gesellschaft. Nicht Subventionen waren der Motor der Entwicklung, sondern das Eigeninteresse der Industrie am neuen Markt. In der Schweiz arbeiten heute bereits etwa 20'000 Personen in der Bauwirtschaft an den zur Erreichung der Standards notwendigen Produkte für die jährlich erstellte 3.5 Mio m2 zertifizierte Gebäudenutzfläche (Wert 2008), also von Wärmedämmung, Fenstern und neuer Haustechnik. Da Bauprodukte sehr weitgehend aus der Schweiz oder dem näheren Ausland stammen, sind diese Arbeitsplätze auch fast ausschliesslich lokal. Ihnen stehen neben dem Mehrwert der Gebäude auch noch Minderausgaben für Heizenergie von jährlich rund 120 Mio. Franken, zu einem wesentlichen Teil für fossile und Kernbrennstoffe, gegenüber. Die grosse Aufmerksamkeit, die MINERGIE® seit kurzem in verschiedenen Ländern erfährt, wurde teils durch die Unterstützung des Bundesamts für Berufsbildung und


Technologie, BBT, und der OSEC, dem Kompetenzzentrum der Schweizer Exportwirtschaftsförderung, erreicht. Mit ihren zentralen Anliegen Komfort, Konkurrenzfähigkeit und intakte Umwelt eignet sich die Marke als Mittel zur Exportförderung. Hintergründe zur Entwicklung Entwicklung der Standards Die Prinzipien der MINERGIE®-Bauweise basieren auf den 1989 angestellten Kosten-Nutzen-Rechnungen der vom Autor mit dem Architekten Ruedi Fraefel erstellten Null-Heizenergie-Siedlung in Wädenswil. Damals hat man erkannt, dass eine kompakte Gebäudeform, eine dichte Hülle, eine umlaufende, dicke Wärmedämmung und eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung deutlich billiger sind als die Nutzung erneuerbarer Energien. Der erst 1996 entwickelte MINERGIE®-Standard berücksichtigte aber seit Beginn auch das Konzept der Erdwärmenutzung mit Wärmepumpen, die zu jenem Zeitpunkt in der Schweiz bereits zu tausenden existierten. Auch waren erste Wärmepumpenanlagen mit Leistungsziffern über 5 bekannt, weil bereits die NullHeizenergie-Siedlung Heizwassertemperaturen von 28°C bei 22°C Raumtemperatur demonstrierte, ideal für effiziente Wärmepumpen. Entsprechend wurde der Gewichtungsfaktor für Elektrizität auch seit Beginn eingeführt. Umstritten war allein dessen Wert zwischen 2 und 3. Die über die Vorschriften der meisten Kantone hinausgehenden Anforderungen an die Wärmedämmung waren ein Entgegenkommen an die Kantone BS und BL, die weitergehende Anforderungen an die Hülle kannten. Sie wurden erst 2001 eingeführt, um mit einem einheitlichen Auftritt aller Kantone die Marke zu stärken und die Anwendung des Standards zu vereinheitlichen. Die Stärkung der Wirkung der Marke auf die Baukultur wurde also höher gewichtet als die kleine Einschränkung der planerischen Freiheit. Der MINERGIE®-Standard (38 kWh/m2/a) wurde einerseits pragmatisch mit der Erreichbarkeit mit den kostengünstigsten Methoden, anderseits aber mit dem Mass von 2 t CO2 pro Einwohner und Jahr bestimmt (Vision 2050, (5)). Der anspruchsvollere Standard MINERGIE-P® (30 kWh/m2/a) wurde nicht aus


energiepolitischen Gründen eingeführt, sondern als Plattform zur Weiterentwicklung von Hülle und Haustechnik. Ob ein Haus noch 30 oder 38 kWh/m2/a benötigt, also 600 oder 760 Liter Öl äq. für 200m2 beheizte Bruttofläche, ist energiepolitisch nicht mehr relevant, in Anbetracht des durchschnittlich 5- bis 7mal höheren Verbrauchs des riesigen Parks der vor 1990 entstandenen Bauten oder auch des Verbrauchs der Familienautos von 1200 bis 3000 Litern/a (25’000 km/a, 5 bis 12 Liter/100km). Das optimale Mass an Wärmedämmung Der MINERGIE®-Standard liess 1996 offen, ob der geringe Verbrauch an nichterneuerbaren Energien durch eine über die kantonalen Wärmedämmvorschriften hinausgehende Qualität der Hülle oder durch eine erhöhte Nutzung an erneuerbarer Energie erreicht wird. Die Entscheidung über den optimalen Mix der Massnahmen sollte dem Planer überlassen werden, obwohl damals wie heute klar war, dass die Mehrkosten der Wärmedämmung bis zu recht grossen Dämmstärken tiefer sind als von Wärmepumpen oder Solaranlagen. Ökonomisch unsinnige Lösungen, etwa ein schlecht gedämmtes Haus mit grosser Photovoltaikanlage, wurde mit einer Kostenklausel verhindert. Die seit Einführung des MINERGIE-P®-Standards geltenden erhöhten Anforderungen an die Hülle hatten die Minimierung der grauen Energie des Gebäudes zum Ziel, obwohl deren Nachweis nicht explizit verlangt wird. Hier geht es also um die zur Produktion der Baustoffe nötige Energie. Bei der nur noch geringen Differenz der Betriebsenergie zwischen den Standards MINERGIE® und MINERGIE-P® bekommt diese für den Durchschnittsbau vernachlässigbare Energieform Gewicht. Erst Ende 2009 wurde erneut gezeigt, dass die mit dem MINERGIE-P®-Standard gewählte Dämmstärke der Hülle gegenüber der Musterverordnung der Kantone zu einem tieferen Bedarf an Primärenergie führt, wenn die graue Energie mit berücksichtigt wird (6). Das gleiche gilt für den Gesamtausstoss an CO2. Die einfache Erklärung: Der Mehrbedarf an Wärmedämmung wird nicht nur durch den Minderbedarf an Heizenergie kompensiert, sondern auch an grauer Energie der kleineren Haustechnik, insbesondere der kürzeren Erdsonden. Auch die erneuerbaren Energien benötigen einen Energieaufwand zur Installation.


Der Hinweis, es sei 10’000mal mehr Solarenergie verfügbar als Energie gebraucht wird, ist als Argument gegen die Wärmedämmung ebenso falsch wie der Verweis auf die im Jahresverlauf im Abwasser enthaltene Energie des Abwassers, die den Wärmebedarf für die Raumheizung des MINERGIE-P®-Hauses ebenfalls übersteigt. Bereits meine 1990 konzipierten Null-Heizenergie-Häuser verfügten über ein weit grösseres Angebot an Solarwärme als der gesamte Jahresenergieverbrauch - nur leider existiert auch heute noch keine kostengünstige Methode, um den Sommerüberschuss für den Winter zu speichern. Deshalb benötigt mein eigenes Null-Heizenergie-Haus trotz Jahresüberschuss an Solarwärme etwa 300kg Holz pro Jahr für Raumheizung und Warmwasser. Und auch das Abwasser fällt leider über das Jahr verteilt in etwa konstanter Menge von etwa 400 Watt Leistung an, während die Heizleistung für das MINERGIE®-Haus von typischerweise maximal 3000 bis 4000 Watt während wenigen Tagen oder Wochen konzentriert zwischen November und März benötigt wird. Auch wenn die Photovoltaik durch die Rückspeisung ins Elektrizitätsnetz den Eindruck erweckt, das Saisonproblem sei gelöst, so ist das Manko im Winter noch für viele Jahre durch nicht-erneuerbare Energien zu lösen. Bis Solarstrom in genügender Menge und Konstanz aus Windfarmen und dem auch im Winter sonnigen Süden nach Mitteleuropa lieferbar wird, wird es noch Jahrzehnte dauern. Es wird also noch für viele Jahre darum gehen, den Energieverbrauch der Bauten durch Wärmedämmung und Lüftung mit Wärmerückgewinnung so weit zu minimieren, dass der Restbedarf so klein wird, dass auch teure erneuerbare Energien einsetzbar sind oder der Umfang an nicht-erneuerbaren nicht mehr relevant ist. MINERGIE® – Veränderung der Baukultur durch Angebot für alle politischen Schattierungen Die Marke MINERGIE® haben wir primär geschaffen, um die Energieverbrauchskultur zu verändern. Nicht Sparen zur Rettung der Gesellschaft, sondern Effizienzsteigerung zur Maximierung der Lebens-qualität ist das Thema. Heinz Uebersax hat oft wiederholt, dass das Ziel der Kulturänderung erreicht sein wird, wenn sich die Kindergärtner im Sandkasten gegenseitig mit dem Ausdruck


MINERGIE® zu energieeffizienterem Verhalten belehren werden. Die spätere Beschränkung der Marke auf den Bereich der Bauten hat diesen breiten Anspruch allerdings in Frage gestellt. Im Baubereich aber haben wir dieses Ziel tatsächlich erreicht. Die Marke MINERGIE® hat natürlich nicht die Funktion des von Herrn Leibundgut zitierten Zauberspruchs Abakadabra (1), aber sie schafft Vertrauen, wie jede andere starke Marke, und wird mit einem diffusen, aber positiven Bild energieeffizienter Bauten verbunden. Wer weiss denn schon, ob die Ventile eines Motors von Mercedes strömungstechnisch besser sind als die eines Fiat, oder die Ingredienzien der Cremen von Yves Saint Laurent besser für die Haut mit Sommersprossen als die von Dior? Die Marke steht für eine Qualität und gerade deshalb funktioniert sie und funktioniert unsere moderne Welt mit ihrem unüberschaubaren Angebot an Produkten. Viele Marken funktionieren, weil viel Geld in deren Promotion investiert wird. Die Marke MINERGIE® funktioniert, weil die führenden Kräfte der Bauindustrie hinter deren Zielen und Massnahmen stehen. Im internationalen Vergleich hat sie eine ausserordentliche Stellung erreicht, gibt es doch in den riesigen USA weit weniger zertifizierte LEED-Bauten als zertifizierte MINERGIE®-Bauten in der kleinen Schweiz und ist auch die Zahl an Passivhausbauten im ebenfalls viel grösseren Markt Deutschland nicht grösser. Die meisten der Passivhausbauten sind überdies nicht zertifiziert. Diese starke Stellung der Marke im Inland macht sie erst recht interessant für die Exportförderung. Die heutige starke Stellung aufzubauen hat viel Aufwand gekostet, genauso wie die grosse Einigkeit, dass ein zukunftstaugliches Haus eine dichte Hülle mit einer starken Wärmedämmung benötigt. Diesen enormen volkswirtschaftlichen Wert und dieses Vertrauen zu schwächen ist vermutlich nicht ganz so einfach, wie Herr Leibundgut sich das vielleicht vorstellt. Dies heute zu versuchen mit dem Hinweis auf künftig vielleicht einmal verfügbare günstige erneuerbare Energien ist aber nicht nachvollziehbar und m.E. schlicht verantwortungslos. Ein zielführenderer Ansatz wäre vermutlich die Teilnahme an den laufenden Diskussionen unter Fachleuten zur Weiterentwicklung der Standards. Wie schon bisher werden diese laufend dem veränderten Umfeld angepasst, will MINERGIE® doch auch weiterhin mit den Standards wegbereitend bleiben für die Entwicklung der Bautechnik.


Referenzen: 1:

„Magische Minergie verliert an Glanz“, Bund, TA-Media, 26.11.2009

2:

Leibundgut, Hansjürg: „Superlabel in Erklärungsnot“, Archithese 6/2009

3:

Meins, Erika: „Minergie macht sich bezahlt“, CCRS, Center for Corporate

Responsibility and Sustainability an der Universität Zürich, Nov. 2008 4:

Evaluation Energie Schweiz 2008, Bundesamt für Energie

5:

Kriesi, Ruedi: „Vision einer langfristigen Entwicklung des Energieverbrauchs in

der Schweiz-Folgerungen für die Energieforschung“, in „Strategisches Management in der öffentlichen Verwal-tung“, Verlag Haupt, 1995 6:

Huber, Manfred: „Graue Energie und Architektur: nachhaltige Gebäudekonzepte

in der Praxis“, Fachtagung „Graue Energie“, Freiburg, 4.2.2010

* Dr. Ruedi Kriesi ist Leiter Technologie bei der Zehnder Group und Vizepräsident, Leiter der Strategiegruppe und Ehrenmitglied des Vereins Minergie. Bis Frühjahr 2000 leitete er die Energiefachstelle des Kantons Zürich. In dieser Funktion hat er seine Vision vom effizienten Bau mit dem Ökonomen Heinz Uebersax (erster Eigentümer der Marke MINERGIE 1994-97) und dessen Ideen zu Marke und Geschäftsmodell von MINERGIE® gemeinsam weiterentwickelt. Seit 1990 wohnt Ruedi Kriesi in der mit dem Architekten Ruedi Fraefel konzipierten Null-HeizenergieSiedlung in Wädenswil. Er war während 12 Jahren Mitglied der eidgenössischen Energieforschungskommission CORE und ist Einzelmitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften, SATW.


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