Heidrun Strikker und Frank Strikker (Hg.)
Coaching und Change im Blickpunkt
BAND III
Unternehmenskultur und -nachfolge, Netzwerke, Virtualität – Erfahrungen mit Coaching-Qualifizierungen
BUSINESS COACHING UND CHANGE MANAGEMENT Schriftenreihe der Europäischen Fernhochschule Hamburg 1
Gernot Graeßner, Frank Strikker und Markus Walber (Hg.) Coaching und Change im Blickpunkt Industrie 4.0, kulturelle Prozesse und Professionalität ISBN 978-3-8382-1343-9
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Gernot Graeßner und Frank Strikker (Hg.) Coaching und Change im Blickpunkt. Band II Arbeitswelt, digitale Prozesse, didaktische Gestaltung - empirische Untersuchungen ISBN 978-3-8382-1613-3
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Heidrun Strikker und Frank Strikker (Hg.) Coaching und Change im Blickpunkt. Band III Unternehmenskultur und -nachfolge, Netzwerke, Virtualität – Erfahrungen mit Coaching-Qualifizierungen ISBN 978-3-8382-1877-9
Heidrun Strikker und Frank Strikker (Hg.)
COACHING UND CHANGE IM BLICKPUNKT BAND III Unternehmenskultur und -nachfolge, Netzwerke, Virtualität – Erfahrungen mit Coaching-Qualifizierungen
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ISBN-13: 978-3-8382-1877-9 © ibidem-Verlag, Hannover-Stuttgart 2024 Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und elektronische Speicherformen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted, in any form, or by any means (electronical, mechanical, photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher. Any person who does any unauthorized act in relation to this publication may be liable to criminal prosecution and civil claims for damages.
Printed in the EU
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber:innen .................................. 7
Teil 1
Erfahrungen mit Business Coaching Qualifizierungen
Coaching
und
Barbara Horoba Business Coaching – ein vielversprechendes Format, wenn Töchter die Nachfolge in Familienunternehmen antreten? ............................................15 Kristin Becker Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung ...51 Dr. André Luhn Zufriedenheit mit dem Coaching Studium. Befragung der Studierenden des Masterstudiengangs Business Coaching und Change Management der Euro-Fh Hamburg ....................................................85 Teil 2
Unternehmenskultur
Sabine van Almsick Verfahren und Kennzahlen zur Messung von Unternehmenskultur – ein Forschungsstand ........ 123 Jessica Meyer Erwartungen von Millennials an Unternehmenskultur .. 167 Anne Biekowski Teamidentität in virtuellen Teams ............................ 201
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Teil 3
Netzwerke, Ambidextrie und Wissensmanagement
Dusan Todorovic Vom Netzwerk zur Kooperation – Voraussetzungen und Handlungsempfehlungen zur Steigerung der Kooperationswahrscheinlichkeit in Netzwerken ..... 231 Andrea Gageik Wie Unternehmen im Mittelstand durch Ambidextrie die Herausforderungen wachsender Komplexität beherrschen ........................................ 261 Marco Ortenburger Wie können Organisationen individuelles und implizites Wissen externalisieren, um eine dauerhafte Veränderungsfähigkeit generieren und gewährleisten zu können?................................. 299
Autor:innen .......................................................... 331
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Vorwort „Coaching und Change Band 3“ bietet einen ausgewählten und qualifizierten Überblick über aktuelle Abschlussarbeiten aus dem Masterstudium Business Coaching und Change Management der Euro-FH Hamburg. Die Arbeitswelt befindet sich in einem dramatischen Umbruch, der durch verschiedene Krisen und gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst wurde: weltweit bedrohliche Klimakatastrophen, COVID-Epidemie, Ausbruch von Kriegen auch in Europa, tiefgreifende technologische Veränderungen wie ChatGPT, ein sich verschiebendes neues Machtgefüge der Staaten der Welt, anwachsender (Rechts-) Populismus im politischen Raum und wachsende Migration– dies alles führt zu starken Verunsicherungen im Alltagsleben, in dem zusätzlich ein neues Mindset der in den Arbeitsmarkt einsteigenden Generationen auf bisherige Werte und Traditionen trifft. Das Tempo all dieser Veränderungen überfordert, zumindest bei einzelnen Fragen, eine aktuell fundierte wissenschaftliche Analyse, aber dennoch ist eine systematische Auseinandersetzung mit den anstehenden Herausforderungen unverzichtbar. Der Ruf nach schnellen Antworten kann zwar aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive nur in Ansätzen erfüllt werden, da für eine fundierte Einschätzung ausreichende Beobachtungen notwendig sind. Die Studierenden des Masterstudiengangs jedoch arbeiten und leben in unterschiedlichen Rollen und Funktionen in und mit diesen Veränderungen. Wir möchten daher betonen, dass alle Autor:innen berufstätig sind, zum großen Teil bedeutsame Führungspositionen innehaben und folglich ihre Arbeiten aus einer Innenperspektive des Erlebens und einer Außenperspektive des distanzierten und wissenschaftlichen Blicks verfasst haben. Diese Doppelperspektive, einerseits beteiligt zu sein und andererseits dies distanziert zu beobachten, stellt eine besondere Herausforderung für
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die Reflexion des Erlebten und die Analyse des Beobachteten dar, ganz zu schweigen von der zeitlichen Beanspruchung, neben einer ausfüllenden beruflichen Tätigkeit ein wissenschaftliches und anwendungsbezogenes Masterstudium zu absolvieren. Das Studium selbst integriert Elemente des Fernstudiums mit Präsenzphasen und verfolgt eine spezifische Didaktik, bei der die Inhalte des Studiums anhand von Studienheften mit dem Lernen und Üben in den Präsenz- wie Online-Seminaren miteinander verzahnt werden. Die persönliche Wissensaneignung wird mit konkreten Handlungselementen kombiniert und ermöglicht damit den Studierenden den Bezug zwischen Wissenschaft und Praxis. In verschiedenen Formaten und unter professioneller Anleitung und Begleitung können sie so ihre Lernerfolge kognitiv wie handlungsorientiert reflexiv realisieren. Die hybriden Lernformen erleichtern es den Studierenden, die gewünschten und geforderten Inhalte und Handlungskompetenzen individuell, im eigenen Lerntempo und nach Lerntyp angemessen zu erwerben. Der erste Teil dieses Sammelbands befasst sich mit spezifischen Coachingthemen wie bspw. die Nachfolgesicherung in Unternehmen und die Herausforderung der Übergabe bzw. der internen oder externen Besetzung. Barbara Horoda konzentriert sich in diesem Kontext auf die Nachfolge durch Töchter und erkundet, wie Business Coaching diese Nachfolgerinnen unterstützen und begleiten kann. Coaching im Business verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der allerdings oft den rein körperlichen Aspekt vernachlässigt. Daher erforscht Kristin Becker, die selbst als Schauspielerin arbeitet, wie Erfahrungen aus dem Fundus theaterpädagogischen Ansätze und Methoden in die Qualifizierung von Coaches kreativ integriert werden können. Den Masterstudiengang Business Coaching und Change Management zu untersuchen, zu reflektieren und zu evaluieren, ist eine permanente Aufgabe, die bereits zu
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einem früheren Zeitpunkt im zweiten Band vorgenommen worden ist. Eine Aktualisierung mit neuen Fragestellungen nimmt André Luhn vor, der vor allem auf die Stärken und die Verbesserungspotenziale des Studiengangs selbst abstellt. Eine Einordung des Studiengangs in ähnlich gelagerte Studiengänge rundet die Untersuchung ab. Der zweite Teil des Sammelbands beginnt mit einer Analyse zur Messbarkeit von Unternehmenskultur durch Sabine van Almsick. Sie untersucht verschiedene Messverfahren im Hinblick auf deren Ausrichtung, Methoden, Handhabbarkeit und möglichen Fallstricke. Damit kann sie für Praktiker:innen qualifizierte Empfehlungen für die Erstdiagnose von Unternehmenskultur bzw. für die Auswahl der Messinstrumente anbieten. Die Generation, die zwischen 1980-1995 geboren und als Millennials besonders geprägt wurden, macht den Großteil der Arbeitnehmerschaft in Deutschland aus. Welche Erwartungen diese wichtige Zielgruppe an ihre Organisationen, an Unternehmenskultur und an Führung richten, untersucht die Masterarbeit von Jessica Meyer. Spätestens durch die Corona Pandemie haben virtuelle Arbeitsweisen eine neue Dynamik erhalten. Diese Form der Zusammenarbeit impliziert gegenüber einer analogen Form der Arbeit verschiedene Besonderheiten, die Anna Biekowski anhand einer systematischen Literaturanalyse untersucht. Sie fokussiert sich auf die Frage, ob und wie sich die Beteiligten mit ihrem Team identifizieren und welche Faktoren die Entstehung einer Teamidentität unterstützen. Im Zeitalter der Digitalisierung sind Netzwerke zu einem unverzichtbaren Bestandteil weltweiter Kommunikation und Zusammenarbeit geworden, mit denen sich Menschen verbinden. Doch wie stark und verbindlich diese Netzwerke sind, was sie von Kooperationen unterscheidet oder sie miteinander verbindet und was dies für Networking und Beziehungsgestaltung bedeutet, untersucht Dusan Todorovic, indem er Fragen nach
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Kooperationswahrscheinlichkeiten mit Hinweisen auf Voraussetzungen, komplementäre Ressourcen und konkreten Handlungsempfehlungen für Netzwerkmanagement nachgeht. In einer Welt disruptiver Komplexität und starkem Wandel braucht es in Organisationen die „Beidhändigkeit“ im Steuern von notwendigen und teils radikalen Innovationen ebenso wie in der nachhaltigen Fortentwicklung und konkreten Optimierung bestehender Strukturen und Ressourcen. Ob oder wie sich diese Beidhändigkeit strategisch und faktisch behaupten kann in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, Marktanforderungen und Effizienzsteigerungen, erforscht Andrea Gagik in ihrer Arbeit. Wissensmanagement in Unternehmen ist eine vielbeachtete und zugleich wenig professionalisierte Ressource, obgleich individuelles und implizites Wissen starke Impulse für die Veränderungsfähigkeit und anstehende ChangeProzesse bieten könnten. Diesem Phänomen geht Marco Ortenburger in Experteninterviews nach und richtet die Ergebnisse, die u.a. in einer Methodenkombination zur Implementierung eines strategischen Wissensspeichers münden, gleichermaßen an Praktiker wie Unternehmen, die Wissensmanagement nachhaltig einführen möchten. In diesem Band haben wir auf eine einheitliche gendergerechte Schreibweise verzichtet, um den Autorinnen und Autoren ihren persönlichen Stil überlassen zu können. Wir selbst sprechen aufgrund unserer Vorliebe bei der Lesbarkeit zwar von Autorinnen und Autoren, wollen damit aber alle Geschlechter angesprochen wissen.
Herausgeber:in Heidrun Strikker, didaktische Leitung Masterstudium Business Coaching und Change Management der Euro-FH, geschäftsführende Gesellschafterin SHS CONSULT GmbH Bielefeld Frank Strikker, Prof. Dr., Studiengangsleitung Masterstudium Business Coaching und Change Management und
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Leitung Mastereinstiegsprogramm an der Euro-FH Hamburg, geschäftsführender Gesellschafter SHS CONSULT GmbH Bielefeld Anmerkungen Für Interessierte hier die Hinweise auf Band 1 und Band 2 Graeßner, G./Strikker, F./ Walber, M. (Hrsg.): Coaching und Change im Blickpunkt. Industrie 4.0, kulturelle Prozesse und Professionalität. Ibidem Verlag Stuttgart 2019 Graeßner, G./Strikker, F. (Hrsg.): Coaching und Change im Blickpunkt. Band II. Arbeitswelt, Digitale Prozesse, didaktische Gestaltung – empirische Untersuchungen. Ibidem Verlag Stuttgart 2021
Teil 1 Erfahrungen mit Business Coaching und Coaching Qualifizierungen
Business Coaching – ein vielversprechendes Format, wenn Töchter die Nachfolge in Familienunternehmen antreten? Barbara Horoba In dieser Arbeit werden psychologische Komponenten betrachtet, die zu Herausforderungen und Belastungen für Töchter in der Unternehmensnachfolge führen können. Im Rahmen der nach wie vor aktuellen Diskussion um den weiblichen Anteil an Führungspositionen wurde der Fokus auf die Nachfolgerinnen von Familienunternehmen gerichtet, da diese Unternehmensform durch ihre spezielle Verknüpfung und Ko-Evolution mit der Unternehmerfamilie ein spannendes Forschungsfeld bietet. In this thesis, psychological components are considered which can lead to challenges and burdens for daughters in the field of company succession. In the context of the still ongoing discussion about the female share of management positions, the focus was placed on female successors in family businesses, as this form of enterprise offers an exciting field of research due to its special links and co-evolution with the entrepreneurial family. Hinweis zur den Gender-Formulierungen: Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung alle Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form verwendet wird.
1. Einleitung Business Coaching ist ein Format, das sich im Bereich der Personalentwicklung gut etabliert hat. Die Leistungsfähigkeit sowie die Verknüpfung zu den Anforderungen der Unternehmer und Unternehmen ist hierfür deutlich zu machen 15
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(Strikker, 2007, S.20). Dass Business Coaching sich auch als Format für die Organisationsentwicklung empfiehlt, macht es zu einem Ansatz, der sowohl die Begleitung der Einzelperson im Prozess der Nachfolge, als auch Lösungen für die komplexen Dynamiken und Fragestellungen in einem Familienunternehmen ermöglicht (Schwertl, 2016, S.147). In der Literatur finden sich indes erst wenige Beispiele, in denen Business Coaching als Begleitung in der Nachfolge aufgegriffen wird. Antje von Dewitz, Geschäftsführerin von VAUDE, wird in der Rückschau zu ihrer Übernahme zitiert: „Ich hätte mir allerdings einen externen Coach gewünscht, der die Nachfolge mit begleitet und meine Entwicklung von der Tochter zur Unternehmerin mit unterstützt hätte.“ (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014, S.89). Diese Voraussetzungen und die Tatsache, dass auch Familienunternehmen erst seit Beginn der 2000er Jahre zunehmend im Blick der Forschung sind, bilden einen spannenden Ausgangspunkt für diese Arbeit. Für Familienunternehmen ist die Nachfolge von besonderer Bedeutung, nicht nur aus familiärer, sondern ebenso aus ökonomischer Sicht. 90% der Unternehmen im deutschsprachigen Raum sind Familienunternehmen, die immerhin fast 60% aller Beschäftigten eine Arbeitsstelle bieten (Stiftung Familienunternehmen, 2019). Laut einer Studie des Wittener Instituts für Familienunternehmen (Otten-Pappas & Jäkel-Wurzer, 2017, S.5) steigt der Anteil der weiblichen Nachfolger mit über 40% der Teilnehmenden deutlich an. Im Kontext der nach wie vor aktuellen Diskussion um den geringen Anteil der Frauen in Führungspositionen von 22,6% (CRIF Bürgel, 2018) und der Einführung der Frauenquote (Landeszentrale für politische Bildung [lpb], 2020) sowie aufgrund eigener Coaching-Erfahrungen mit Mitarbeiterinnen im beruflichen Entwicklungsprozess entstand die Frage, ob und welche frauenspezifischen Herausforderungen im Nachfolgeprozess erkennbar sind.
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Des Weiteren wird beleuchtet, welchen Einfluss Business Coaching auf die erfolgreiche Bewältigung dieser spezifischen Situationen im Nachfolgerprozess nehmen kann.
2. Theoretischer Bezugsrahmen Business Coaching Greif (2008, S.63) erwähnt den Begriff Business Coaching (BC) synonym für „Coaching in Organisationen“ und betont die Notwendigkeit von „Wissen, Erfahrung und Kompetenzen zur Durchführung intensiver und systematischer Analysen und Reflexionen der verschiedenen Systemebenen der Organisation und Wirtschaft“. Ebenso findet sich der Aspekt der „privaten Themen“, da die Klienten, Mitarbeiter oder Führungskräfte auch Teile anderer Systeme, wie beispielsweise Familie, sind und Wechselwirkungen mit sich bringen (Schwertl, 2016, S.159). Familienunternehmen Wie der Begriff nahelegt, handelt es sich um ein Unternehmen, das in besonderer Weise mit der Familie verbunden ist und daher eine besondere Charakteristik und Dynamik aufweist (Wimmer, Domayer, Oswald & Vater, 1996, S.19). Der Einfluss der Familie, Werte, Zielsetzungen und ihre Anwesenheit bewegen das Unternehmen in allen Bereichen des Unternehmensalltags (Klein, 2010, S.3). Die Prägung eines Familienunternehmens erfolgt neben unternehmensbezogenen Aspekten auch durch familiale Dynamik sowie durch die verbindende Sorge um Kontinuität und eigene Rolle im Unternehmen (Wimmer et al., 1996, S.21f.). Klein (2010, S.4) beschreibt Familienunternehmen als mehrdimensionale Systeme, in denen ein hoher Grad an Wechselwirkungen entsteht, die eine systemische Betrachtung verlangen. Durch die Sicht der Beteiligten als „multiple Rollenträger“ und der systemischen Betrachtung werden unterschiedliche Funktionsweisen,
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Erwartungshintergründe und Logiken der einzelnen sozialen Systeme sichtbar gemacht. Weibliche Nachfolge Was bedeutet dies aus Sicht der nachfolgenden Tochter? „Wir können es uns in Deutschland wirklich nicht leisten, so viel Ausbildung, Energie und Kreativität brachliegen zu lassen“, Worte von Rosely Schweizer im Geleitwort von „Töchter im Familienunternehmen“ (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014). Laut der Studie „Weibliche Nachfolge: Ausnahme oder Regelfall“ (Otten-Pappas & Jäkel-Wurzel, 2017, S.5) ist die Nachfolge der Töchter eine neue Quelle im Rahmen des familieninternen Übergangs. Diese übernehmen nach wie vor einen überwiegenden Teil der Familienaufgaben in der Kernfamilie. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit von durchschnittlich 47 Stunden pro Woche nur unwesentlich bei 22 zusätzlichen Wochenstunden Familienaufgaben, wenn Kinder dazu kommen. Fokus Töchter und das Gender-Konzept Die Betrachtung der Nachfolge aus der weiblichen Perspektive lässt sich wissenschaftlich in den Gender-theoretischen Diskursen verorten. Nach sozialkonstruktivistischen Ansätzen sind Geschlechterrollen nicht nur durch biologische Unterschiede zu erklären, sondern werden durch soziale Zuschreibungen konstruiert und sind somit auch veränderbar (Universität Bielefeld, 2012). Gender ist eine Aktivität, bei der normative Vorschriften und Überzeugungen über Geschlechterkategorien situationsbezogen verwendet werden. Dieser Handlungsaspekt findet sich in dem Begriff „doing gender“ wieder, der besagt, dass durch eine „Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik“ Weiblichkeit oder Männlichkeit durch ständige Bewertung von Verhalten hergestellt wird (Abdul-Hussain, 2012, S.103ff.).
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3. Psychologische Komponenten beim Generationenwechsel mit Fokus auf weibliche, innerfamiliäre Nachfolge „Succession is the ultimate test of a family business.” (Gersick et al., 1997, S.193). Ob vorausschauende Planung oder Reagieren auf den letzten Drücker, die Nachfolge ist ein komplexer Prozess, der für alle Beteiligten einen anspruchsvollen Hindernisparcours darstellt. Dynamiken, die durch die enge Kooperation von Familie und Unternehmen entstehen, bergen vielfältige Ansatzpunkte für Spannungen und Konflikte (Lust, 2015, S.67). Kommunikation als Erfolgsfaktor beim Generationenwechsel Wie lassen sich die besondere Dynamik und das hohe Konfliktpotential erklären? Die Kommunikation zwischen den Beteiligten wird bestimmt durch die sehr unterschiedlichen Erwartungen, die sich aus den jeweiligen Kontexten ergeben. Welche Auffälligkeiten und Muster lassen sich beobachten und welche Spielregeln gelten? (Schlippe, Groth & Rüsen, 2017, S.73ff.) Kommunikation ist die Grundlage für eine wertschätzende Auseinandersetzung zu allen wichtigen Fragen im gesamten Prozess der Nachfolge und auch als Weg für die Klärung der individuellen Bedürfnisse und Themenstellungen. Bestehende Geschlechterstereotypen aufgrund normativer Zuschreibungen führen in der Kommunikation zu Missverständnissen und Konflikten. Die Tochter ist noch häufig konfrontiert mit klassischen Rollenbildern und einer höheren Belastung (Otten-Pappas und Jäkel-Wurzer, 2017, S.5). Der Beginn eines Kulturwandels Weibliche Nachfolgen in Familienunternehmen sind mit beruflichen Chancen verbunden, die typische Hindernisse im Zusammenhang mit einer Karriereentwicklung durch von
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Männern geprägte Machtstrukturen, Beförderungs-Blockaden oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in anderen Unternehmen aufheben. Der Wirkungsbereich des Familienunternehmens, zu dem eine hohe Bindung besteht und in dem die Arbeit mit eigenen Werten verbunden werden kann, löst eine hohe Anziehungskraft auf den Nachfolger aus. Das Handeln der Töchter lässt sich mit der oft männlichen Vorgängergeneration nicht vergleichen und schafft Freiheiten für einen Kulturwandel (Jäkel-Wurzer, Dahncke & Buck, 2017, S.3ff.). Abgrenzung: von der Tochter zur Unternehmerin Töchter treffen ihre Nachfolge-Entscheidung oft sehr bewusst und reflektieren im Vorfeld, unter welchen Bedingungen sie sich die Übernahme des Familienunternehmens vorstellen können. Dabei spielen individuelle Bedürfnisse, emotionale Aspekte und auch familiäre Prägungen eine wichtige Rolle (Haftlmeier-Seiffert, 2017). Oft übernehmen Nachfolgerinnen in der Tandemphase zunächst einzelne Projekte und entwickeln ihre Aktivitäten als Unternehmerin schrittweise. Sie binden den Gebenden auch nach der juristischen Übernahme noch verstärkt als Ratgeber ein. Trotz vieler Vorteile bietet das Tandem ebenso einen Raum, sich nicht vollständig in die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu begeben. Im Idealfall werden die Neuerungen nach außen kommuniziert und führen auch zu einer neuen Rolle des Gebenden. Die Übergabe im Unternehmen ist eine Herausforderung für die Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung und gleichzeitig ein Erfolgsfaktor für die gelungene Nachfolge. (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014, S.2ff.). Rollenvielfalt der Nachfolgerin Hauptargumente für einen Start im Familienunternehmen sind für Töchter unter anderen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine gewisse Flexibilität in der Position der Unternehmerin (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014, S.14). Trotz
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dieses Vorteils sind laut Otten-Pappas und Jäkel-Wurzer (2017, S.5), Aufwand und Belastung für die Frauen immens, da nach wie vor traditionelle Rollenbilder in der Kernfamilie existieren und ein gravierender Unterschied zum Nachteil der Frauen bei der Verteilung der Familienaufgaben besteht. Besonders im Kontext mit Kindern finden sich trotz guter Organisation das schlechte Gewissen und die Auseinandersetzung mit Zuschreibungen von außen. Hier wirkt sich der Genderaspekt in Verbindung mit traditionellen Rollenzuschreibungen besonders stark aus (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014, S.27ff.). Der Vorbild-Funktion kommt bei der Rollenwahrnehmung eine hohe Bedeutung für die Kultur im Unternehmen zu. Mit ihrem Verhalten tragen Nachfolgerinnen zu einer gesellschaftlichen Entwicklung bei (Jäkel-Wurzer & Ott, 2014, S.35ff.). Akzeptanz in einem männerdominierten Umfeld In der WIFU-Studie zur Weiblichen Nachfolge (Otten-Pappas & Jäkel-Wurzer, 2017, S.12) lässt sich geschlechterspezifische Branchenzuordnung nicht feststellen. Verloop (2017, S.256ff.) verweist auf Studien, die ein geringeres Wettbewerbs- und Konkurrenzverhalten sowie eine Unterschätzung der eigenen Leistungen und Fähigkeiten bei Frauen im Vergleich zu männlichen Konkurrenten aufzeigen. Das eigene Verhaltensrepertoire zu erweitern, genderspezifische Klischees bewusst zu machen und die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu schulen sind Empfehlungen für einen Umgang auf Augenhöhe (Ebert, Piwinger & Henneke, 2007, S.715f.). Mitarbeiterführung In vielen Fällen rekrutiert sich die aktuelle Nachfolgegeneration aus Kindern, welche die patriarchalischen Strukturen ablösen. Töchter distanzieren sich nach Jäkel-Wurzer und Ott (2014, S.45) vom Führungsstil der Eltern-Generation. Sie streben authentisches Verhalten an, um ihren Respekt
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unabhängig von der Familienzugehörigkeit zu verdienen. Fehlende Rollenvorbilder bieten ihnen dafür Raum und bergen zugleich Unsicherheiten (ebd., S.46). Die Führungsposition bringt häufig die Herausforderung mit, mehr Selbstvertrauen aufzubauen, indem Töchter sich mit den eigenen Werten, Zielen, Stärken und Schwächen auseinandersetzen. Die Verbindung zum Familiensystem macht diesen Weg besonders anspruchsvoll (ebd., S. 50ff.). Palmer (2019, S.225ff.) stellt dar, dass es keinen signifikanten Unterschied im Führungsstil zwischen Männern und Frauen gibt. Eine somit nur kleine Differenz durch einen mehr beziehungsorientierten Stil bei Frauen wird als effektiver erlebt, „wenn ihre Rolle ein hohes Maß an interpersonellen Fähigkeiten beinhaltet“ (ebd., S.225). Anstoß von Veränderungsprozessen Die Entwicklung der eigenen Führungsanforderungen geht einher mit Veränderungsprozessen für Mitarbeiter und Unternehmenskultur. LeMar (2014, S.83f.) definiert fünf Ebenen der Kommunikation als Schlüssel für den Erfolg der Veränderungen im Familienunternehmen. Die Ebene der internen Kommunikation sorgt für Orientierung und Sicherheit bei den Mitarbeitern, die den Wandel im Rahmen der Nachfolge mitgestalten sollen. Die Einbeziehung der Mitarbeiter und die Kommunikation sind wesentliche Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen. Diese werden gefördert, indem die Beziehungsorientierung ein besonderes Augenmerk erhält und damit die Bedürfnisse der betroffenen Mitarbeiter Berücksichtigung finden (Sackmann, Eichel & Schmidt, 2019, S.192).
4. Empirische Untersuchung Auf Grundlage des theoretischen Teils dieser Arbeit entsteht die Annahme, dass Töchter in der Nachfolge mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind, die zu inneren Zerreißproben, Belastungssituationen, Stress oder
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Konflikten führen können. Es wird davon ausgegangen, dass die Nutzung von BC für diesen Prozess ein vielversprechendes Format ist, welches Lösungsansätze oder Entlastung für die vielfältigen Anforderungen, die sich für die Nachfolgerin ergeben, bietet. Ziel dieser Arbeit ist es, den Nachfolgeprozess aus Sicht der Töchter zu ergründen und spezifische Problemstellungen aufzuzeigen. Es werden im Rahmen der Masterarbeit zehn Töchter in Rheinland-Pfalz befragt. Die Größe der Unternehmen variiert von 15 bis 1000 Mitarbeitenden und umfasst folgende Branchen: Keramik, Maschinenbau und Betriebstechnik, Holzbaugewerbe, Industrie-Textilpflege, Busunternehmen Hotellerie und Gastronomie sowie Medizintechnik. Anhand der Erkenntnisse aus der Evaluationsforschung bezüglich der Wirkfaktoren unter Anwendung des modifizierten Strukturmodells sowie der besonderen Charakteristik von BC wird festgestellt, ob dieses Format einen Mehrwert zur Bewältigung dieser Problemstellungen oder zur Prävention bieten kann. Zusätzlich erfolgt die Auswertung einer Einschätzung der Interviewpartnerinnen zu möglichen Anlässen und Nutzenerwartungen im BC sowohl durch die Interviews als auch anhand eines zusätzlichen Fragebogens. Aus dieser Zielsetzung ergeben sich zwei Forschungsfragen, die zu wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Nachfolge von Töchtern in Familienunternehmen und der Anwendung von BC in diesen Prozessen führen: 1. Welche besonderen psychologischen Herausforderungen ergeben sich für Töchter im Prozess der Nachfolge ins Familienunternehmen? 2. Welchen Einfluss kann BC auf die erfolgreiche Bewältigung herausfordernder Situationen im weiblichen familieninternen Nachfolgeprozess nehmen?
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5. Empirische Ergebnisse Familiäre Prägungen Die Antwort auf die Frage, wie sich die Nachfolge entwickelt hat, beginnt bei jeder Interviewpartnerin in der Kindheit. Das Unternehmen gehört zur Familie und die Erzählungen weisen darauf hin, dass Prägungen durch die Kopplung und Ko-Evolution beider sozialer Systeme (Simon, 2011, S.41) zu einer besonderen Bindung führen. Alle Nachfolgerinnen haben schon früh im Familienunternehmen mitgearbeitet. Neun Nachfolgerinnen schildern Prägungen in Form impliziter Erwartungen und Einstellungen, die vorgelebt und unbewusst für das eigene Handeln übernommen werden. „24/7 Arbeiten wurde mir in die Wiege gelegt.“ (N10) Die Nachfolge wird durch die Eltern nicht aktiv thematisiert. Bei sechs Nachfolgerinnen besteht jedoch schon vor dem sechsten Lebensjahr ein Interesse an einer späteren Tätigkeit im Unternehmen, für N1 ist dieser Weg nach dem Tod des einzigen Bruders aus Pflichtgefühl vorgezeichnet. Einstellung der Töchter zum Familienunternehmen Im Übergang zur erwachsenen Frau beschreiben sieben Nachfolgerinnen eine positive Einstellung zum Familienunternehmen. Bei N6, N7 und N8 beziehen sich diese Überlegungen auch schon auf eine mögliche spätere Mitarbeit. N4 lehnt die Tätigkeit im Familienunternehmen aufgrund der Branche ab. Bei N9; N10 steht eine Nachfolge aufgrund der eigenen beruflichen Entwicklung oder abweichender Pläne nicht zur Debatte. In diesem Zeitraum erfolgt bei vier Nachfolgerinnen eine Einwirkung durch die Eltern. Bei N1 erzeugt ein Unfall des Vaters einen sofortigen Schulabbruch. In den anderen drei Fällen wird die Einflussnahme der Eltern eher positiv erlebt: „Ich habe das Messegeschäft geliebt, man hat schon die Kunden kennengelernt, dann kamen die ersten Auslandsreisen, […].“ (N8).
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Vorbereitung auf einen Einstieg ins Familienunternehmen In der vorliegenden Stichprobe schätzen die sechs Nachfolgerinnen, die ihre Ausbildungs- und Studienwahl nicht mit Blick auf das Familienunternehmen getroffen haben, ihre Ausgangslage dennoch passend für einen Einstieg ein. Aufgrund ihrer Wahl fühlen sie sich breit und gut vorbereitet aufgestellt: vier Nachfolgerinnen studieren Betriebswirtschaftslehre, zum Teil mit zusätzlichen Qualifikationen oder als duales Studium, N10 belegt berufsorientierte Zusatzseminare in Jura und Betriebswirtschaftslehre und N5 absolviert eine Ausbildung in der Branche des Familienunternehmens. Vier Befragte wählen ihr Studium bewusst aus: N6 und N8 entscheiden sich gegen andere Neigungen für Betriebswirtschaftslehre, N1 und N7 absolvieren ein fachbezogenes Studium. Darüberhinausgehende bewusst initiierte Vorbereitungen erfolgen lediglich bei N1, die zwei Jahre lang zunächst in einem größeren Betrieb arbeitet. N6 wird in die JuniorenGruppe eingeführt, ohne dass vom Vater ein direkter Bezug zur Nachfolge hergestellt wird. Es folgt ein Praktikum in der Branche. Insgesamt treten fünf Befragte mit ihrem Einstieg ins Familienunternehmen die erste Arbeitsstelle an. Vier Nachfolgerinnen starten mit beruflichen Erfahrungen in anderen Unternehmen, branchenfremd mit Ausnahme von N5. Vorbereitende strukturelle oder strategische Aktivitäten für eine Nachfolge in den Familienunternehmen (Groth, Rüsen & Schlippe, 2018, S.8) werden nicht geschildert. Abgrenzung: von der Tochter zur Unternehmerin Die Entscheidung zur Nachfolge Die Entscheidung für den Weg in das Familienunternehmen basiert bei allen Nachfolgerinnen auf Freiwilligkeit, bei sieben Befragten tragen auch persönliche Gründe, äußere
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Umstände oder förderliche Äußerungen der gebenden Generation zu diesem Schritt bei. Implizite Erwartungen und Lenkungen treffen auf Gefühle starker Bindung und Pflichtgefühl gegenüber der gebenden Generation (Wimmer et. al., 1996, S.230). „[…], ich sah die Not der Eltern und die Eltern haben das nie offen angesprochen, […]; „Man will den Vater nicht hängen lassen, […]“ (N2). Ebenso zeichnet sich das Familienunternehmen als Raum vieler Vorteile für die Frau, beispielsweise in Bezug auf Führung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Freiheiten aus. „Und ich geh jetzt zu Papa, da verändere ich die Welt, so wie ich sie verändern will und da muss ich nicht warten.“ (N4). Umgang und Kommunikation aus Sicht der Tochter Fünf Nachfolgerinnen übernehmen die Geschäftsführung als Tandem, vier davon gemeinsam mit einem Elternteil. Dieser Zeitraum dauert mindestens 10 Jahre, bei N6; N9 folgt darauf der Ehemann als zweiter Geschäftsführer. N8 übernimmt die Geschäftsführung gemeinsam mit dem Bruder nach plötzlichem Tod des Vaters. Die Beendigung des Tandem-Modells ist nicht mit dem Austritt und einer neuen Rolle der gebenden Generation verbunden: „[…], mein Vater ist ja einfach geblieben“ (N4). Vier Befragte haben eine alleinige Geschäftsführung inne. Bei N7 steht die Übernahme noch aus: „Also, muss ich manchmal die Faust in der Tasche machen und sagen ja, nun, dann ist es halt jetzt so.“ (N7). Die Analyse ergibt, dass bei vier Nachfolgerinnen eine Aufteilung der Aufgaben zwischen gebender und nehmender Generation besprochen wurde, die in Folge zu Konflikten, Belastungen und Einmischungen seitens des Elternteils führt. Eine Aufteilung der Aufgaben findet bei fünf Nachfolgerinnen nicht statt und ist ebenso mit Konflikten verbunden. Im Miteinander kommt es zu offenen Konflikten, Provokationen, Verletzungen sowie unterdrücktem Ärger und Überlastung, was von fünf Nachfolgerinnen sehr belastend
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empfunden wird. „[…], wenn ich so mit meinem Vater aneinandergeraten bin, also ich behaupte, ich bin durch eine harte Schule gegangen.“ (N2). Die anderen fünf Nachfolgerinnen erleben Konflikte als weniger belastend und zum Alltag zugehörig: „Es knallt, aber da können wir alle gut mit umgehen“ (N3). Die emotionale Belastung bei vier Töchtern ist nachhaltig, da die Auseinandersetzungen sich über viele Jahre hinziehen: „[…] 10 Jahre lang Armdrücken gemacht. Das war unheimlich anstrengend, […].“ (N4). Das von den Nachfolgerinnen selbst als typisch weiblich empfundene Verhalten zeigt sich durch Schüchternheit, Zurückhaltung, Konsens-Orientierung, Konfliktscheu und Perfektionismus. „[…] Papa, wenn ich jetzt ein Sohn wäre, der hätte dich schon rausgeschmissen, […] „(N5). Die eigene Positionierung als Unternehmerin Die Hälfte der befragten Nachfolgerinnen mündet als Geschäfts-führerin in das Familienunternehmen ein oder hat eine klare Vorstellung, bis wann die Übernahme der Funktion zu erfolgen hat. Bei weiteren vier Befragten hat nach einiger Zeit eine Übernahme stattgefunden, ohne dass dieses Ziel konkret angesteuert wurde. Bei N7 steht die Übernahme noch aus. Eine Auseinandersetzung mit der neuen Rolle hat bei keiner der Nachfolgerinnen stattgefunden. Begründungen sind vorhandene Kenntnisse aus dem Studium, das vorgelebte Modell als persönliches Vorbild, der Fokus auf die notwendige fachliche Einarbeitung und das Konzept „learning by doing“. „Was halt familiär vorgelebt wurde, […].“ (N10); „Ich habe ja Betriebswirtschaft studiert, […], also ich weiß, was es bedeutet.“ (N9). Die Positionierung als Unternehmerin wird von sechs Nachfolgerinnen als herausfordernd beschrieben: die Auswirkungen reichen von Stress, Ängsten bis zu nachhaltigem Leidensdruck: „[…], und das hat mich jahrelang so viel
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Kraft gekostet, […].“ (N10). Vier Befragte empfinden dies als weniger herausfordernd. Rollenvielfalt als Nachfolgerin Alle befragten Nachfolgerinnen beschreiben die Balance der unterschiedlichen Rollen als belastend. Acht Töchter haben Kinder und betonen die zusätzliche Herausforderung für die Balance zwischen den Rollen Mutter und Unternehmerin. Die Auswirkungen reichen von „fühle mich immer am falschen Platz“ (N2) bis hin zu schweren gesundheitlichen Folgen (N1). Die Aspekte „eigenes Zeitmanagement“ und „Angst vor einem Scheitern“ stellen deutliche Belastungsfaktoren dar. Trotz der hohen Belastung wird das Familienunternehmen als Ort geschätzt, an dem sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Einbringung persönlicher Stärken durch unternehmerische Freiheit (N9) oder auch eine Zeit der Krankheit (N2) gut gestalten oder integrieren lassen. Ebenso werden typisch weiblich Eigenschaften als persönliche Stärken und Ressourcen wahrgenommen: Gespür, weibliche Intuition, Feingefühl und Empathie. Eine wichtige Kraftquelle für alle Befragten ist die eigene Kernfamilie. Ebenfalls unterstützend wird der kollegiale Austausch in beruflichen Netzwerken sowie mit Fachberatern erlebt. Rollen der Geschwister Bei den Geschwistern gibt es lediglich bei N8 eine ungeklärte Situation bezüglich einer Mitarbeit im Unternehmen, in allen anderen Fällen sind zufriedenstellende Lösungen gefunden, auch wenn die endgültige Regelung ein emotional einschneidender Schritt ist: „Aber klar, das ist schon hart dann.“ (N6). N6; N7 schildern, dass sich die Brüder gegen den Eintritt ins FU entscheiden, da sie die hohe zeitliche Belastung ablehnen. N1, N3, N5 und N8 bezeichnen die Geschwister als unterstützend für die beruflichen Herausforderungen, N4 ist Einzelkind. In der Familie von N1 war der Bruder für
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die Nachfolge vorgesehen: „Der Bruder ist schon kurz nach der Geburt verstorben, was dann für meine Eltern erstmal die Katastrophe war.“ (N1). N2 und N4 erwähnen, dass möglicherweise der Wunsch nach einem männlichen Nachfolger nicht ausgesprochen wurde: „[…], ich bin ja auch der einzige Sohn zu Hause.“ (N4) Bedeutung der Partnerschaft Bei N6 und N9, die inzwischen gemeinsam mit ihren Ehemännern das Familienunternehmen leiten, war dies nicht ursprünglich geplant. Bei N1 ist der Partner angestellt im Familienunternehmen und wichtiger Treiber für die geschäftliche Entwicklung. In diesem Fall erfolgt auch die Partnerwahl nach dem Kriterium der Passung für das FU. Die Partner von N5, N8 und N10 sind nicht im Familienunternehmen, werden jedoch explizit als Unterstützer oder Ratgeber erwähnt. Akzeptanz in einem männerdominierten Umfeld Die Nachfolgerinnen nennen Beispiele für Irritationen auf Seiten männlicher Geschäftspartner oder auch Beleidigungen: „[…], ob man das Unternehmen ruinieren wollte, weil man da jetzt so eine Tussi reinsetzt?“ (N2). Zusätzlich werden selbstkritische Überlegungen in Bezug auf herausfordernde Situationen, beispielsweise Verhandlungen mit Männern, (N1; N5), und in Bezug auf fehlende Fachlichkeit (N2; N8) genannt. N2 und N8 beschreiben genderspezifische Zuschreibungen: „[…], ich musste mich immer behaupten, weil man dachte, ich bringe den Kaffee und bin nicht die, die der Delegation voransteht.“ (N2). Bei N2 und N5 zeigen sich Effekte für die Forschungsfrage, da sich die eigene Wahrnehmung und der Umgang erst im Laufe der Jahre entwickelt haben (Ebert, Piwinger & Henneke, 2007, S.716). Für acht Befragte steht die selbstbewusste Sichtweise in Bezug auf den Umgang mit Männern im beruflichen Kontext im Vordergrund. Als Erfolgsfaktoren werden
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Authentizität, eigenes Selbstverständnis und Klarheit genannt. „Ich kann mein Frau-Sein zur Perle ausbauen. Es ist die Haltung, wie du durch die Tür kommst“ (N2); „[…], das Thema Gleichberechtigung, das wurde bei uns gelebt, da wurde gar nicht drüber gesprochen.“ (N3). Mitarbeiterführung Der Umgang mit den Mitarbeitern ist von gegenseitigem Respekt und Teamorientierung geprägt. Die beschriebenen persönlichen Stärken prägen einen eher kooperativen Führungsstil bei allen Nachfolgerinnen. Mitarbeiter werden in Entscheidungen einbezogen, die Beziehungsebene erhält mehr Gewicht im Führungsalltag. Für sieben Nachfolgerinnen stellen schwierige Situationen mit Mitarbeitern Herausforderungen dar. Hürden ergeben sich durch Probleme mit Mitarbeitern oder dem Vater aufgrund des veränderten Führungsstils. Ebenso werden eigene Begrenzungen in der Durchsetzungsfähigkeit, der Einforderung konsequenten Handelns oder im Umgang mit Kritik genannt. „[…], und dass ich mich einfach weniger verleiten lassen sollte, Dinge persönlich zu nehmen.“ (N8). Alle Befragten übernehmen im Familienunternehmen ihre erste Führungsaufgabe. Erwartungen der Mitarbeiter an die Führungskraft wurden nicht aktiv hinterfragt. „Ich denke, die sind froh dafür, dass sie mich haben. Meistens.“ (N3). Anstoß von Veränderungsprozessen Alle Nachfolgerinnen beschreiben die Veränderung der Kommunikation im Familienunternehmen sowie weitere sichtbare und verdeckte Kulturdimensionen. Durch die Nachfolgerin wird ein Wandel im Unternehmen ermöglicht: die Mitarbeiter erhalten Sicherheit, dass es weitergeht und erwarten Veränderungen im Rahmen der Ablösung des patriarchalischen Stils. „Und das würde ich mir schon auf die Fahnen schreiben, dass ich diesen Kulturwandel vollzogen
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habe […], das bedeutet ja auch für die Mitarbeiter, ja, alte Glaubenssätze loszulassen. Wie die Chefs sind […]“ (N4). Acht Töchter initiieren Veränderungen bewusst und zeigen Respekt gegenüber der Leistung der gebenden Generation: [...] wenn man Änderungen macht, muss man das behutsam machen“ (N6). Widerstände und Herausforderungen werden von sieben Nachfolgerinnen geäußert. „Also es hat schon sowohl im Unternehmen als auch extern mit langjährigen Lieferanten schon Ärger gegeben“ (N9). Als Beispiele werden eigene Überforderung sowie Überforderung der Mitarbeiter genannt. Ebenso spielen revolutionäre Veränderungsschritte, Unterwanderung durch die Eltern oder negative Reaktionen bei Mitarbeitern oder Externen eine Rolle. „[…], wir haben das Unternehmen komplett auf Links gedreht.“ (N8). Acht Nachfolgerinnen benennen „Kommunikation“ und die „Einbeziehung der Mitarbeiter“ als Erfolgsfaktoren im Veränderungsprozess: „Und auch diese Etablierung eines Kulturwandels, dass es einfach ein Dialog sein muss, […].“ (N9). Die Einschätzung von Business Coaching als vielversprechendes Format im Nachfolgeprozess Für sechs Nachfolgerinnen ist Business Coaching ein geläufiger Begriff und mit positiven Erfahrungen verbunden: „Dass mir der Geist auch nochmal geöffnet wird, dass ich Verständnis habe für eine andere Seite, dass ich lerne, mich nicht nur auf meine Gedanken zu fokussieren, sondern es tatsächlich möglich ist, dass man eine Situation ganz unterschiedlich auslegen kann, […]“ (N5). Vier Nachfolgerinnen kennen Business Coaching nicht oder verwechseln diese Dienstleistung mit einer Mediation oder Expertenberatung. Acht der befragten Nachfolgerinnen haben die Erwartung, dass Business Coaching einen Mehrwert für den Nachfolgeprozess bietet. „Und vielleicht halt einfach früher auch mal die Familientradition zu hinterfragen, und dazu wäre halt ein Coach gut gewesen“ (N10).
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Diese Einschätzung wird am Ende des Interviews durch einen Fragebogen ergänzt: „Welche Ziele würden Sie aufgrund Ihrer bisherigen Erfahrungen als Unternehmerin für ein Business Coaching im Rahmen eines Nachfolgeprozesses als hilfreich betrachten?“ Der Bogen enthält 15 allgemeine Ziele und einen Punkt „sonstiges“ für eigene Anmerkungen. Die untenstehende Abbildung 5.1 zeigt die Ergebnisse aus der Befragung aller zehn Nachfolgerinnen.
Abbildung 5.1. Business Coaching: wichtige Ziele für Nachfolgerinnen (10 Befragte)
Zehn der 15 Anlässe werden von über 50% der Befragten als hilfreich im Nachfolgeprozess angegeben. Hierzu gehören die Anlässe mit einem eindeutig persönlichen Nutzen wie „Feedback von neutraler Seite“ und „persönliche Ressourcen aktivieren“, sowie rollenbezogener Nutzen „komplexe Situationen strukturieren“, „Entscheidungssicherheit“, „eigene
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Positionierung“ und „Rückhalt geben bei Herausforderungen“. Durch die Vereinigung der Rollen Führungskraft und Geschäftsführerin kann eine Wirkung auf das Unternehmen (organisationaler Nutzen) vorausgesetzt werden. Geschätzt werden der externe Blick und die externe persönliche und methodische Kompetenz, ein Charakteristikum des Business Coachings.
6. Diskussion der Ergebnisse Die Sozialisierung der Töchter hat zu einer engen Bindung an das Familienunternehmen geführt. Besonders dann, wenn Familienunternehmen schon seit mehreren Generationen bestehen, erhält der Begriff „Familie“ eine signifikante Bedeutung, die mit der Vorstellung der heutigen Kleinfamilie nicht vergleichbar ist (Simon, 2011, S.42). Kategorie 1 zeigt Korrelationen zum Umgang der Nachfolgerinnen mit der Rollenvielfalt. Die Belastungen und Stressfaktoren lassen auf gender-spezifisches Verhalten sowie Einfluss durch Prägungen und implizite Erwartungen schließen. „[…] mein Bruder ist da ganz anders“ (N10). Die unbewusste Übernahme von Glaubenssätzen der gebenden Generation beeinflusst offenbar nicht die grundsätzlich positive Einstellung zum Familienunternehmen. Auch eine gewisse Lenkung der Töchter in Richtung des Familienunternehmens wird durchaus positiv bewertet. Bei N1 können aufgrund des Lebensalters Gehorsam und Pflicht durch Religiosität sowie die „herrschenden normativen Vorgaben“ angenommen werden (Wimmer et al., 1996, S.229). Eine Überkreuz-Betrachtung der Kategorien 1 und 5 lässt vermuten, dass eine körperliche Erschöpfung im Spannungsfeld der Rollenerwartungen sich hier jedoch durch die Prägungen und Antreiber verstärkt. „Manchmal muss bei übergroßem Druck der Körper als Puffer herhalten. […] Es ist der Versuch, die darunter
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liegenden Affekte abzuspalten […], oft auf Kosten der körperlichen Gesundheit.“ (Wimmer et al., 1996, S.237). Kinder verstärken die Belastungssituation für die Töchter: „Das sind die großen Herausforderungen, die bei Männern anders sind als bei Frauen. Weil die Frauen vielschichtiger gefordert werden. […], weil man das auch will“ (N3). Diese Aussage zeigt, dass durch den eigenen Anspruch ein Teufelskreis entstehen kann. Das Ziel im Business Coaching ist die Entwicklung der eigenen Identität. Die Übereinstimmung von eigenen Werten und Zielen mit dem Handeln im Nachfolgeprozess fördert eine Basis aus Selbstbewusstsein, um klare Entscheidungen zu treffen und Zufriedenheit zu erreichen (Jäkel-Wurzer, Dahncke & Buck, 2017, S.58). „Weil ich das auch einen Hochgenuss finde, hemdsärmelig auf irgendwelchen Veranstaltungen zu stehen als absolut bunter Hund und dann noch Frau dazu und im Idealfall noch mit dem Säugling an der Brust […].“ (N4). Die Phase der Abgrenzung ist bedeutsam für die Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung. Die Herausforderung für die Tochter besteht darin, die Freiwilligkeit ihrer Entscheidung zu reflektieren und bewusst ihre Grenzen zu verhandeln sowie Rollenklarheit zu erreichen (MuellerHarju, 2013, S.25f.). Wird Kategorie 3 unter dem Aspekt der eigenen Positionierung betrachtet, lässt sich eine Korrelation zu Kategorie 4 feststellen. Effekte mangelnder Kommunikation, fehlende Absprachen und Planungen mit der gebenden Generation führen nicht zu einer gezielten Vorbereitung der Töchter und zeigen sich nachhaltig auf dem Weg der Abgrenzung. Es handelt sich um eine richtungsweisende Phase und einen Erfolgsfaktor im Nachfolgeprozess, den die Nachfolgerinnen von erheblichen Belastungen und Konflikten geprägt schildern. Da der Zeitraum für alle Interviewpartnerinnen mindestens annähernd 20 Jahre zurück liegt, ist davon auszugehen, dass die Erinnerung frühe Konflikte möglicherweise
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sogar abgemildert hat und dieser Zeitraum in der Retrospektive entsprechend „ins Selbstkonzept integriert“ wurde (Webers, 2015, S.19f.). Die mitunter weitreichenden Auswirkungen entstehen durch unterschiedliche Erwartungen an Kommunikation und Verhalten aufgrund der unterschiedlichen Logiken aus den Sozialsystemen Familie und Unternehmen (Schlippe, 2018, S.183f.). Der Blick auf ein komplexes Bild aus vielfältigen und zum Teil tief verwurzelten Emotionen, Bedürfnissen sowie Werten skizziert den Ausgangspunkt für schwierige Konflikt-Konstellationen (Schlippe, 2018, S.184). „[…], das ist ja eine Frechheit, Du behandelst Frauen, die keine Elektrotechnik studiert haben, wie Menschen 2. Klasse. Da hat er mich angegrinst und gesagt, das stimmt gar nicht, wie Menschen dritter Klasse“ (N2). Dieses Beispiel zeigt, dass sich eine Auflösung der Paradoxien sich nicht nur in Motiven oder Verhaltensweisen einzelner Personen findet, sondern eine Klärung der Systeme erforderlich ist. Die Rücksichtnahme auf die gebende Generation, die grundsätzliche Bereitschaft, sich zurückzunehmen (Wimmer et al., 1996, S.240) sowie der eigene perfektionistische Anspruch und konfliktscheu führen zu Belastungen in der Kommunikation und Positionierung bis hin zur emotionalen Erschöpfung der Tochter. Es kommen genau die Stressfaktoren zusammen, die Mayen (2017, S.106ff.) als Ursache für die emotionale Erschöpfung der Frauen anführt. “Ich konnte einfach nicht mehr. […], das war die Katastrophe pur.“ (N1). Die Nachfolgerinnen schätzen das Familienunternehmen als Arbeitsstätte und die damit verbundene Flexibilität und Freiheit in der Rolle der Unternehmerin. Speziell diese Rolle wird jedoch erst im Arbeitsalltag gefunden: „Voll kaltes Wasser“ (N5). Zeitgleich wird die Rollenvielfalt als belastend erlebt. Eigener und fremder hoher Erwartungsdruck wird begleitet von der Herausforderung an ein funktionierendes Zeitmanagement sowie die
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Verantwortung für die Sicherung der Existenz. „Aber dass man dann ja als Tochter sich vielleicht auch ein bisschen anlehnen könnte oder sowas, das fällt dann komplett weg“ (N8). Wichtig in der Betrachtung der Herausforderungen der Töchter ist, dass viele Konflikte immer noch schwelen und selbst bei einer plötzlichen positiven Wendung im Umgang keine Reflexion erfolgt: „[…], ich kann es wirklich nicht sagen, auf jeden Fall war irgendwann einfach gut.“. (N4); „Die nehmen immer noch zu viel Raum ein, […].“ (N10). Die Herausforderungen im Rahmen der Abgrenzung können unter folgenden Voraussetzungen als frauenspezifisch bewertet werden: es handelt sich um typisch weibliche Eigenschaften, die von den Töchtern als kritisch betrachtet werden, oder es kommt zu einer nachteiligen Selbstpräsentation (Verloop, 2017, S. 257f.) Ein weiterer Aspekt ist Zurückhaltung der Töchter (Wimmer et al., 1996. S.233ff.) sowie deren höhere Wertschätzung und geringere Konkurrenz insbesondere gegenüber den Vätern (Jäkel-Wurzer &Ott, 2014, S.12). Eine Entschärfung der Situation durch Business Coaching kann ein erster Schritt der Entlastung sein. Die Unterstützung liegt hier in der Strukturierung komplexer Situationen unter Beachtung systemischer Kontexte. Auch Situationen mit mehreren Personen lassen sich durch eine spezifische Intervention im Business Coaching analysieren und zu einer gemeinsamen Lösung für die Dynamik im Familienunternehmen führen (Schlippe, 2018, S.184f). In der Kategorie 6 werden genderspezifische Zuschreibungen durch Männer genannt, die eine klare Positionierung der Nachfolgerinnen erfordern. Ebert, Piwinger und Henneke (2007, S.715f.) empfehlen, das eigene Verhaltensrepertoire zu erweitern. Dies erfordert die Reflexion eigener Einschätzungen und Glaubenssätze, die stereotypisches Verhalten bewirken. Weitere Herausforderungen sind in den Kategorien 7 und 8 zu erkennen, die sich durch fehlende
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Führungserfahrung gegebenenfalls noch verstärken. Belastend ist die Kommunikation im Zusammenhang mit Delegation, Kritik, Durchsetzungsvermögen sowie fehlendem Mut zur Konfrontation oder eigener Ungeduld. Ziele eines Business Coachings können die Entwicklung der eigenen Führungseigenschaften, Klarheit in der Positionierung und Steigerung der Konfliktfähigkeit sein. Veränderungen werden bewusst angestoßen, die Widerstände und Herausforderungen für die Nachfolgerinnen zeigen sich trotz Empathie und Einbindung der Mitarbeiter in Entscheidungen. Kaum Erwähnung finden die in Kapitel 3.2.5 von LeMar (2014, S.83f.) definierten weiteren vier Ebenen der Kommunikation, deren Berücksichtigung als bedeutsamer Erfolgsfaktor im Zusammenhang mit den Kopplungen im Familienunternehmen beschrieben sind. Trotz der geschilderten Herausforderungen sind die in der Literatur ausführlich beschriebenen positiven Effekte der weiblichen Nachfolge (Palmer, 2019, S. 225ff.; Jäkel-Wurzer, Dahncke & Buck, 2017, S.3ff.) deutlich zu erkennen. Genderspezifische Effekte entstehen hier durch kritisch bewertete Verhaltensweisen der Töchter oder möglichem Konkurrenzverhalten zwischen Mutter und Tochter. Feedback von neutraler Seite, Aussprache und Rückhalt sowie das Entwickeln neuer Lösungswege ermöglichen durch den externen Blick des Coachs sowie dessen persönliche und methodische Kompetenz die eigene Positionierung und die Sicht auf neue und wirksamere Handlungsoptionen. Die Aktivierung persönlicher Ressourcen ist ebenfalls ein vielversprechender Ansatz, da die Nachfolgerinnen ihre persönlichen Stärken und Ressourcen, die sie als typisch weibliche Eigenschaften wahrnehmen, schätzen und als unterstützend für die Bewältigung ihrer Anforderungen sehen. „Ich finde, wir Frauen sind wahnsinnig gut darin, viele, ich nenne es jetzt einfach mal Arbeitsströme, parallel zu koordinieren.“ (N4). Bei den als typisch weiblich identifizierten Herausforderungen wird ein präventionsorientiertes Business
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Coaching für die Übergangsphase zur Nachfolgerin empfohlen (Gross, 2016, S.483f.; Webers, 2015, S.75). In Abbildung 6.1 werden typische Ziele von Töchtern in der Unternehmensnachfolge benannt. Als frühzeitige Begleitung stehen die Ergründung der Bedingungen für die Entscheidung zum Eintritt in das Familienunternehmen sowie die Reduktion von Komplexität in Bezug auf die vielfältigen Rollen im Vordergrund, um einer emotionalen Überlastung vorzubeugen. In diesem Kontext kann auch die Auseinandersetzung mit Prägungen, Glaubenssätzen, Antreibern (Jäkel-Wurzer, Dahncke & Buck, 2017, S.286) sowie kritisch empfundenen typisch weiblichen Verhaltensweisen erfolgen. Es ist zu anzunehmen, dass die Wirkungen des Business Coachings auch die positiven Effekte weiblicher Nachfolge in der Mitarbeiterführung und im Wandel weiterentwickeln und vorantreiben können. Die Puzzle-Teile symbolisieren die Anschlussfähigkeit weiterer Coachingschritte und die Berücksichtigung aller Beteiligten im Nachfolgeprozess.
Abbildung 6.1. Ziele im präventionsorientierten Coaching für Töchter im Nachfolgeprozess
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Business Coaching empfiehlt sich darüber hinaus für die Begleitung durch den gesamten Nachfolgeprozess. Unterschiedliche Gesprächsformate und eine systemische Betrachtungsweise werden dabei der Komplexität im Familienunternehmen gerecht und können erfolgreiche Kommunikation sowie eine konstruktive Konfliktkultur fördern. In der Begleitung erkennen Nachfolger Verhaltensmuster und Wechselwirkungen, um Kontinuität und Innovation zu balancieren (Zehrer & Leiß, 2018, S.63f.). Ausblick auf zukünftige Forschung Die Nachfolgerinnen sind alle schon seit vielen Jahren im Unternehmen und acht Töchter folgen einer patriarchalisch geprägten Kultur nach. Ein nächster Schritt wäre die Befragung der jüngeren Generation, um festzustellen, ob die hier vorliegenden Befunde weiterhin Gültigkeit haben, da sowohl mentale Modelle bei der gebenden Generation als auch Werte bei den Nachfolgern in Veränderung sind (Otten-Pappas & Jäkel-Wurzer, 2017, S.7). Auf Basis der Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung wäre eine Langzeit-Studie interessant, bei der Unternehmensnachfolgen durch Business Coaching begleitet werden. Eine Erweiterung der Zielgruppe auf Frauen, die eine Führungsposition in Unternehmen anstreben, könnte einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, wie der Frauenanteil in verantwortlichen Positionen insgesamt mit einer Begleitung durch Business Coaching gestärkt werden könnte.
7. Fazit Nach der Durchführung der Interviews und der Anwendung der strukturierenden Inhaltsanalyse lassen sich die Forschungsfragen wie folgt beantworten: Die befragten Frauen haben vielfältige psychologische Komponenten im Zusammenhang mit ihrer persönlichen Nachfolge in das Familienunternehmen geschildert.
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Typisch weibliche Herausforderungen lassen sind durch die spezielle Sozialisierung der Töchter begründen, die in der Folge zu einer unbewussten Übernahme von Einstellungen und Glaubenssätzen sowie genderspezifischen Verhaltensweisen führen. Konsequenzen daraus sind Zurückhaltung gegenüber der gebenden Generation und in Bezug auf die eigene Positionierung als Unternehmerin sowie in weiteren Rollen. Verstärkt werden die geschilderten Konflikte und Belastungen in der Balancierung fremder und hoher eigener Erwartungen sowie durch eigene Antreiber und von den Nachfolgerinnen kritisch und typisch weiblich empfundene eigene Eigenschaften. Effekte von emotionaler Erschöpfung bis hin zur Krankheit werden in der Literatur als frauenspezifisch beschrieben und bestätigen sich bei den interviewten Nachfolgerinnen. Diese Phasen sind für weibliche und männliche Nachfolger, auch aufgrund der speziellen Dynamiken und Beziehungsgeflechte im Familienunternehmen gleichermaßen wichtig. Die Identitätsentwicklung der Frau als Nachfolgerin, auch hinsichtlich eines möglichen Kinderwunsches, kann jedoch sehr spezifische Herausforderungen in Bezug auf die Klärung der eigenen Rollen, eigener Werte und Stile mit sich bringen sowie gesundheitliche Folgen hervorrufen. Die Partner sind wichtige Säulen für die Nachfolgerinnen, sowohl als aktive Mitarbeiter im Familienunternehmen als auch in den Rollen der verlässlichen privaten Unterstützer und Ratgeber. Entfällt oder reduziert sich dieses Engagement, erhöhen sich für die Töchter die Belastungen bei der Bewältigung geschäftlicher Herausforderungen sowie durch zusätzliche familiäre Aufgaben. Der Einfluss von Business Coaching auf die Bewältigung dieser Herausforderungen wird als vielversprechend betrachtet. Dieses Format bietet einen geeigneten Rahmen für die in dieser Arbeit identifizierten spezifischen Anliegen der Töchter in der
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Unternehmensnachfolge. Das Konzept eines präventionsorientierten Business Coachings zielt auf die spezifischen Anlässe der Nachfolgerinnen bereits vor dem Eintritt in das Familienunternehmen und berücksichtigt den Blick auf alle Beteiligte und Schnittstellen. Eine klare Zielsetzung für den Coachingprozess ermöglicht eine Evaluation der Wirkung und des Ergebnisses. Grundlegend für die Zusammenarbeit ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach und Tochter sowie eine spezifische Expertise im Kompetenzprofil des Coachs, um die besonderen Konstellationen im Familienunternehmen berücksichtigen zu können. Abkürzungen BC – Business Coaching FU -Familienunternehmen N – Interviewte Nachfolgerin, N 1 -10 Literaturverzeichnis Abdul-Hussain, S. (2012). Genderkompetenz in Supervision und Coaching. Wiesbaden: VS Verlag. CRIF Bürgel GmbH (Hrsg.). (November 2018). Frauenanteil in Führungspositionen in Deutschland nach Branchen im Jahr 2018. Abgerufen am 23. Februar 2020 von http://www.stat ista.com Ebert, H., Piwinger, M., & Henneke, K. (2007). Androgyne Kommunikationskompetenz: Kommunikation in der Geschlechterrolle. In: M. Piwinger, & A. Zerfaß (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Gabler. S. 703–718 Gersick, K. E., Davis, J., McCollom Hampton, M., & Lansberg, I. (1997). Generation to Generation. Live Cycles of the Family Business. Boston. Greif, S. (Hrsg.). (2008). Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Theorie, Forschung und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings. Göttingen: Hogrefe.
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3. Vorbereitung auf einen Einstieg ins
Wahl der Ausbildung/des Studiums abhängig vom Familienunternehmen; berufliche Schritte, die einen Einstieg ins
Eigene Einstellung, Gedanken der Töch- Auseinandersetzung mit dem Familienunternehmen in ter zum Familienunternehmen und Beein- Bezug auf eine Tätigkeit dort und Einflussnahme der Eltern bis ca. 20 Jahre Lebensjahr flussung durch die Eltern bis etwa zum a. Kriterium: positiv konnotierte Äußerungen zu einer 20. Lebensjahr Tätigkeit im Unternehmen, einem Einstieg, Bilder im Zusammenhang mit Familienunternehmen b. Kriterium: negativ konnotierte Äußerungen, Ablehnung, schlechte Erfahrungen c. Kriterien der Beeinflussung Verhalten und/oder Kommunikation der gebenden Generation
2. Einstellung zum Familienunternehmen bis ca. 20J.
a. Kriterium: Wahl der Ausbildung/des Studiums mit Blick auf einen späteren Einstieg ins Familienunternehmen.
Antworten beziehen sich auf den Zeitraum bis ca. 16 Jahre a. Kriterien der Verbundenheit zum Unternehmen durch eigene Mitarbeit, Gespräche in der Familie, Verknüpfung von Unternehmerfamilie und Familienunternehmen. b. Kriterien der sprachlich und nichtsprachlich vermittelten Einstellungen, die von der Tochter übernommen werden bzw. die Selbstwahrnehmung beeinflussen c. Kriterium: eine mögliche spätere Mitarbeit wird durch gebende Generation thematisiert d. Kriterium: Aussagen zur Motivation in Bezug auf einen späteren Eintritt ins Familienunternehmen
Prägungen, Einstellungen und Werte der Unternehmerfamilie, Einfluss des Familienunternehmens auf Alltag und eigene Einstellung bis etwa zum 16. Lebensjahr
Kodierregeln
Definitionen/Beschreibungen
1. Familiäre Prägungen durch das Familienunternehmen bis ca. 16J.
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Kategorien
Anhang Kategoriensystem
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4.- Eigene Positionierung
4.- Umgang/Kommunikation aus der Sicht der Tochter
4. Abgrenzung von der Tochter zur Unternehmerin Subkategorien: -Entscheidung zur Nachfolge
Familienunternehmen vorbereiten; struk- b. Kriterium: Wahl der Ausbildung/des Studiums nach Neigung, Spaß am Berufsbild turelle Vorbereitungen im Unternehmen c. Sonstige gezielte vorbereitende berufliche Schritte/Akin Bezug auf eine Nachfolge tivitäten d. Strukturelle Vorbereitungen im Familienunternehmen Auslöser für die Entscheidung zum EinKriterien der Entscheidung für einen Einstieg ins Famistieg/zur Nachfolge lienunternehmen a. Kriterium freiwillig ohne Einflussnahme der gebenden Generation b. Kriterium: Entscheidung ist freiwillig, jedoch durch äußere Umstände in der Familie oder durch Handlungen/Kommunikation der gebenden Generation beeinflusst a. Geschäftsführung im Tandem Kommunikation und Umgang miteinanb. Absprache zur Aufteilung von Zuständigkeiten und der aus der Sicht der Tochter; AbspraAuswirkungen auf das Miteinander chen zur Rollenaufteilung im Unternehmen zwischen Tochter und gebender Ge- c. Kommunikation und Situationen im Miteinander aus der Perspektive der Nachfolgerin: Wertschätzung neration; Eigene Verhaltensweisen, die und Anerkennung der gebenden Generation, Kontypisch weiblich und eher kritisch/negativ flikte, belastende Situationen. Kriterien bezogen auf empfunden werden den Zeitpunkt des Einstiegs und erste Jahre und aktuelle Sicht d. Selbsteinschätzung der Nachfolgerinnen zu typisch weiblichen Eigenschaften, kritisch oder nachteilig a. Kriterien: Aussagen zu konkreten zeitlichen VorstelEigene Vorstellungen zur Positionielungen der Übernahme, eigener Wünsche diesbezügrung/Übernahme/Rolle; aktive Positionielich rung durch Verhalten in der Rolle der Unb. Kriterium: Der Einstieg der Tochter ins Unternehmen ternehmerin ist verbunden mit einer offiziellen
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5. – Rollenvielfalt der Nachfolgerin
Balance der Rollen im Spannungsfeld aller Erwartungen, Ressource Familienunternehmen, weibliche Eigenschaften, die als Ressource erlebt werden; Ressource externe Unterstützung – ohne Coaching
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a. die Vielfalt der Rollen für alle Nachfolgerinnen: Kriterium der persönlichen Einschätzung von Situationen im Spannungsfeld vieler Rollen als negativ, nachhaltig mit negativen Auswirkungen verbunden b. Nachfolgerinnen mit Kindern beschreiben die Situation im Spannungsfeld der vielfältigen Rollen mit negativen Konsequenzen c. Vorteile im Familienunternehmen als vorteilhafte Arbeitsstätte für die Unternehmerin und/oder Mutter. Kriterium Flexibilität, Freiheit d. Kriterium: Persönliche Eigenschaften, die als unterstützend und vorteilhaft für die Aufgaben im Unternehmen empfunden werden
Kommunikation/Bekanntgabe im Rahmen einer Versammlung oder alternativen Wegen mit offiziellem Charakter. c. Kriterium: Berichte zur Auseinandersetzung mit der Rolle als Unternehmerin/Geschäftsführerin in Bezug auf eigene und fremde Erwartungen d. Kriterium: Situationen in Bezug auf Handeln und Verhalten als Unternehmerin werden als belastend empfunden: Beschreibung negativer Auswirkungen, negativer Empfindungen, Empfinden nachhaltiger Belastungen – werden als weniger belastend empfunden: Beschreibungen negativer Auswirkungen, die als zur Situation gehörend empfunden werden und bewältigt werden
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Bedeutung Partnerschaft privat und beruflich
Kriterien: Bedeutung des Partners in Zusammenhang mit Familienunternehmen, Aussagen zu Partnerschaft
Erfahrungen mit gender-spezifischen Zu- a. Kriterium: geringschätzige Bemerkungen von Män6. Akzeptanz im nern im beruflichen Kontext aufgrund des Geschlechts männer-dominiertem schreibungen/Reaktionen; eigene Verun– außer Führungssituationen sicherung, Wahrnehmung eigener genUmfeld b. Kriterium aus Sicht der Töchter: Situationen, in denen derspezifischer Verhaltensweisen der Umgang mit Männern ein unangenehmes Gefühl verursacht c. Situationen, in denen der Umgang mit Männern keine negativen Empfindungen auslöst Umgang mit Mitarbeitern, Wahrnehmung a. Beschreibung des Umgangs mit Mitarbeitern, auch 7. Mitarbeiterführung des eigenen Führungsstils, Erfahrungen männliche MA b. Beschreibungen von Führungshandeln, Kriterium Mitarbeiterorientierung c. Kriterium: Situationen aus dem Führungsalltag, die dem eigenen Empfinden nach als unangenehm, schwierig oder nachhaltig negativ beschrieben werden; Veränderungen im Zusammenhang mit Führung d. Erfahrungen in Führungsaufgabe e. Auseinandersetzung mit Erwartungen der Mitarbeiter
5. – Bedeutung der Partnerschaft
e. Aussagen zu externer Beratung oder Austausch, der hilfreich und unterstützend empfunden wird – Ohne Coaching Verhältnis zu den Geschwistern und de- Kriterien: Nachfolgeregelung führt zu Auseinandersetren Rollen in Bezug auf das Familienun- zungen/Belastungen mit Geschwistern; Reaktionen der ternehmen; ggf. Aussagen der gebenden Geschwister; Weitere Geschwister im Unternehmen; Aussagen der gebenden Generation zu männlicher NachGeneration zu männlicher Nachfolge folge
BARBARA HOROBA
5. Subkategorien: – Rollen der Geschwister
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49
9. Die Einschätzung Verständnis von Business Coaching, Erfahrungen, Einschätzung eines Nutzens, von Business Coaching als vielver- Beurteilung der Ziele aus dem Fragebosprechendes Format gen im Nachfolgeprozess
a. Kriterium: Coaching wurde bereits genutzt Aussagen zur Bewertung von Business-Coaching aufgrund eigener Erfahrungen sowie die Nennung konkreter Anlässe b. Das Format BC ist nicht bekannt und wird synonym mit Beratung verwendet. Aussagen, die nicht auf BC zutreffen. c. Kriterium: BC wird als Format für spezifische Herausforderungen im Rahmen der Nachfolge von den Töchtern als erfolgversprechend beschrieben; konkrete Anlässe werden beschrieben; Konkrete Anlässe werden beschrieben, die aus der Retrospektive als für BC geeignet angesehen werden
a. Kriterium: es wird ein Kulturwandel angestoßen, weil 8. Anstoß von Verän- Kulturwandel durch Einstieg einer Frau, eine Frau die Nachfolge antritt: Veränderungen, die in derungsprozessen bewusster Anstoß von Veränderungsproder Wahrnehmung der Nachfolgerinnen durch das zessen, Erfahrungen gender-spezifische Verhalten oder des weiblichen Vorbilds entstanden sind b. Kriterium: Nachfolgerinnen haben eigene Ziele für Veränderungen im Unternehmen c. Kriterium: Veränderungen erzeugen Widerstände oder Ablehnung im Unternehmen bei Mitarbeitern oder der gebenden Generation; Veränderungen führen zu Gefühl von persönlicher Überforderung, V. werden aufgrund der empfundenen Belastung nicht weiter verfolgt
BUSINESS COACHING
BARBARA HOROBA
4
2
1
2
1
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Keine
Keine
2
2
N1
N2
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N5
N6
N7
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Kinder
41
23
60
250
70
26
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15
1.000
31
Anzahl Mitarbeitende
Übersicht zu den Nachfolgerinnen
50
2000
2008
2013
noch nicht erfolgt
2004
2004
2006
1999
2005
1983
Übernahme Geschäftsführung
3.
2.
2.
4.
3.
2.
2.
3.
3.
4.
Generation
Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung Kristin Becker Diese Arbeit untersucht das Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden im Rahmen der Coaching-Ausbildung. Auf Basis neurowissenschaftlicher Forschung wurde mit Hilfe von Leitfadeninterviews untersucht, welchen Stellenwert der Körper im Coaching hat und welches Potenzial körperorientierte theaterpädagogische Methoden in der Praxis aufweisen. Die Datenerhebung wurde zusätzlich mit einer Gruppendiskussion mit Studierenden einer Coaching-Ausbildung gestützt, welche im Anschluss einer teilnehmenden interaktiven Beobachtung durchgeführt wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass körperorientierte theaterpädagogische Methoden andere Interaktions- und Beziehungsmöglichkeiten als sprachbasierte Methoden in Gang setzen. Es wurde herausgefunden, dass diese Methoden alle Ebenen im Gehirn ansprechen und somit ganzheitlich wirken. This work examines the potential of body-oriented theater pedagogical methods in the context of coaching-education. Based on neuroscientific research, the value of the body in coaching and the potential of body-oriented theater pedagogical methods in practice were investigated with the help of structured guided interviews. The data collection was additionally supported by a group discussion with students of a coaching-education, which was conducted following an participatory participant observation. The results showed that body-oriented theater pedagogical methods initiate 51
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KRISTIN BECKER
other interaction and relationship possibilities than language based methods. It was found that these methods address all levels of the brain and thus have a holistic effect. Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, geschlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Männer und Frauen in gleicher Weise.
1. Einleitung Coaching hat oft eine paradoxe Sichtweise. Emotionen und Bedürfnisse finden Beachtung, aber der Körper als Träger des Erlebens steht wenig im Zentrum des Interesses. Im deutschsprachigen Raum sind am häufigsten die Ansätze des lösungs- oder des systemisch-lösungsorientierten Coachings verbreitet (Lienhard & Künzli, 2021, S. 40 f.). Systemische Konzepte sind hierzulande in Coachingausbildungen am stärksten vertreten (Greif, 2014, S. 305). Diese negieren zwar den Körper keineswegs, fokussieren sich aber stark auf die Sprache, wie zum Beispiel in Form von unterschiedlichen Fragetypen (Lienhard & Künzli, 2021,S. 41). Verbal orientiertes Coaching und körperliche Methoden werden häufig gegenübergestellt und getrennt voneinander verortet (van Kaldenkerken & Möller, 2021, S. 2). Körperorientierte (theaterpädagogische) Methoden werden im Coaching aktuell kaum genutzt (Ryba & Roth, 2019c, S. 386 ff.). Dies ist verwunderlich, da Affektaktivierung und kalibrierung im Wirkfaktorenmodell von Greif als Erfolgsfaktor im Coachingprozess identifiziert wurde (Greif & Behrendt, 2018, S. 166). Lange Zeit galt das bewusste Ich als oberste Kontrollinstanz von Denken, Planen und Handeln (Ryba & Roth, 2019a, S. 31). Dieses Denken geht auf den bis heute einflussreichen Philosophen René Descartes (1596–1650) zurück, der die Auffassung eines Leib-Seele-Dualismus
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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vertrat, also die Vorstellung, dass Körper und Geist strikt voneinander getrennt seien (Ayan, 2017, S. 74). Außerdem war er der Meinung, dass jede geistige oder psychische Aktivität bewusst sei, es also kein Unbewusstes gebe (Storch & Tschacher, 2016, S. 33). Im heutigen Coaching ist (kognitive) Selbstreflexion ein wesentliches Merkmal professionellen Handelns. (DBVC, 2021) und die verbale Interaktion steht im Vordergrund (Ryba & Roth, 2019c, S. 386 f.). Jedoch können sich Menschen weit weniger durch Selbstreflexion verstehen und entwickeln als angenommen wird (Bauer, 2016, S. 23), wie die aktuelle neurowissenschaftliche Forschung zeigt (Ryba & Roth, 2019b, S. 31). Es zeichnet sich ab, dass Coaching von diesen Forschungserkenntnissen stark profitiert (Webers, 2020, S. VII). Studienüberblick Ein für das Coaching besonders wichtiges, aber noch wenig beachtetes Forschungsergebnis der Neurowissenschaft ist nach Peters und Ghadiri (2013, S. 12 f.), Ryba & Roth (2019b) und Ryba (2019) die Erkenntnis, dass neue Verhaltensweisen und das Aktivieren vorhandener Ressourcen nicht nur auf der kognitiv-rationalen Ebene, sondern auch auf der unbewusst-emotionalen Ebene, z.B. mittels körperorientierter Verfahren, für Veränderungen des Verhaltens und Erlebens eine wichtige Rolle spielen. Die Erkenntnis, dass neuronale Verschaltungsmuster im Gehirn lebenslang veränderbar und zudem lernfähig sind, stellt ebenfalls ein zentrales Forschungsergebnis der Neurowissenschaft dar. Dies belegen die Studien von Kolb & Whishaw (1998) und Shaw, McEachern, & McEachern (2001). Emotionen spielen bei Veränderungsprozessen eine herausragende Rolle (Rolls, 2015). Dabei wird das Belohnungssystem im Gehirn durch bestimmte neurobiologische Mechanismen in Gang gesetzt, welches beim Erlernen neuer Sachverhalte, Verhaltensveränderung und Erleben positiver Stimmungen und Gefühle eine wichtige Rolle einnimmt (Nakatani et al., 2009). Ohne Körper, ohne Emotionsausdruck und
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KRISTIN BECKER
emotionale körperliche Erregung kann keine Emotion entstehen (Storch & Tschacher, 2016, S. 38). Forschungsfrage Mithilfe von Experten aus den Bereichen Coaching-Praxis und Coaching-Ausbildung soll wird exploriert werden, welchen Stellenwert der Körper im Coaching hat. Zudem soll wird eine teilnehmende Seminarbeobachtung mit anschließender Gruppendiskussion Erkenntnisse zu folgender zentralen Fragestellung bringen: Wie kann das Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung genutzt werden? Aus der Forschungsfrage ergeben sich weitere Detailfragen:
Welche Rolle spielt der Körper im Coaching? Welche körperorientierten Methoden nutzen Coaches in der Praxis? Und warum? Welche Erfahrungen haben Coaches mit dem Einsatz von körperorientierten Methoden? Was bieten (theaterpädagogische) körperorientierte Methoden als aktive Arbeitsformen in Seminaren im Rahmen einer Coaching-Ausbildung? Können körperorientierte theaterpädagogische Methoden Individuen dabei unterstützen, Ziele umzusetzen? Welche körperorientierten theaterpädagogische Methoden eignen sich?
Zielsetzung Ziel der Arbeit ist die Gewinnung von Erkenntnissen über das Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung, welche in dieser Ausarbeitung unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Neurowissenschaften betrachtet werden. Diese Ausarbeitung prüft die Nutzbarkeit von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden und soll dazu
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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anregen, zu überprüfen, ob diese stärker in den Fokus der Coaching-Ausbildung rücken sollten. Ausgewählte Interventionen werden vorgestellt, Einsatzmöglichkeiten werden aufgezeigt sowie Effekte und Wirkprozesse von körperorientierten Methoden werden dargelegt.
2. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Veränderungen und Lernen Coaching basiert vorwiegend auf Methoden der empirischen Psychologie (Böning & Strikker, 2020, S. 28). Folgend werden bedeutsame Erkenntnisse der Neurowissenschaft aufgezeigt, um im weiteren Verlauf der Arbeit zu prüfen, wie Coaching davon profitieren kann. Zum Begriff Neurowissenschaften Die Neurowissenschaften stellen eine interdisziplinäre und breit aufgestellte Wissenschaft dar (Peters & Ghadiri, 2013, S. 19), die sich mit dem Aufbau und der Funktionsweise der Prozesse im menschlichen Gehirn (Kowal-Summek, 2018, S. 1) befasst. Diese Wissenschaftsdisziplin hat sich in den vergangenen 30 Jahren aus der kognitiven Psychologie heraus entwickelt (Huber & Maier, 2021, S. 3). Neurowissenschaftliche Untersuchungen stellen die Emotionen, die neuronale Aktivierung und die Prozesse der Informationsverarbeitung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen (Gauggel, 2020, S. 284). Ob und wie Affekte und Emotionen die rationalen und kognitiven Prozesse beeinflussen, überlagern oder gar steuern, ist dabei das zentrale Anliegen (Peters & Ghadiri, 2013, S. 4). Das Gehirn als Erfahrungsspeicher Das Gehirn ist ein System aus Systemen (Damasio & Vogel, 2011, S. 328). Derzeit geht die Wissenschaft von funktionalen Trennungen im Gehirn aus, welche in Abbildung 2.1 dargestellt werden:
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KRISTIN BECKER Großhirn Limbisches System
Stammhirn
Abbildung 2.1 Grobeinteilung des Gehirns (eigene Darstellung in Anlehnung an Peters & Ghadiri, 2013, S. 27)
Das Großhirn ist der Sitz der Sprachproduktion und -verarbeitung (Leßmöllmann, 2017, S. 97). Es umfasst Inhalte unserer bewussten Wahrnehmungen, Erlebnisse, Erinnerungen und Vorstellungen (Ryba & Roth, 2019a, S. 501) und ist an der Problemlösung und an Lernvorgängen beteiligt (Kirschbaum et al., 2020, S. 221). Das limbische System ist das emotionale Erfahrungsgedächtnis, das weitgehend unbewusst arbeitet und verantwortlich für die emotionale Färbung und Wahrnehmungen und sowie für Motivation ist. Von dort aus wird die paraverbale und nonverbale Kommunikation gesteuert (Ryba & Roth, 2019c, S. 398). Das limbische System vermittelt Affekte, Gefühle und Motivation und ist somit bedeutsam für Lernprozesse (KowalSummek, 2018, S. 23). Das Stammhirn ist für Bewegungsabläufe, Herzfrequenz und Atmung (Kirschbaum et al., 2020, S. 219) zuständig. Emotionen sind komplexe Bündel von chemischen und neuronalen Prozessen (Kirschbaum et al., 2020, S. 215) ausgelöst von angeborenen Hirnstrukturen. Bewusstseinsprozesse finden in einigen wenigen Hirngebieten statt. Der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, bildet das unentbehrliche Bezugssystem für die neuronalen Prozesse, die wir als Bewusstsein erleben. Wenn, wie im Coaching häufig, emotionale Prozesse dominieren, wird es sprachlich rasch unscharf (Tschacher,
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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2017, S. 31). Der Neurobiologe Gerhard Roth erklärt diesen Zusammenhang unter anderem damit, dass das Sprachzentrum links im Kortex liegt, weit entfernt von den Affektzentren rechts im limbischen System (Roth & Ryba, 2018, S. 132). Die Erregungsmuster im limbischen System und Kortex drücken sich in Körpersignalen aus, die bewusstseinsfähig jedoch nicht an Sprache gekoppelt sind. Diese Basis von Körpersignalen nennt der Hirnforscher Antonio Damasio somatische Marker, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Das emotionale Bewertungssystem und die somatischen Maker Laut der Theorie der somatischen Marker (1998) des Hirnforschers Antonio Damasio bauen sich Affekte und Kognitionen auf Körperempfindungen auf (Bosch & Ender, 2017, S. 202). Soma ist griechisch (zu deutsch: Körper) (Meier & Janßen, 2011, S. 517). Die Vorstellung des Denkens als einer übergeordneten und unabhängigen Instanz ist nach Damasio falsch (Flies, 2020, S. 6). Emotionen sind durch somatische Marker hervorgerufene Körperzustandsveränderungen. Gefühle sind Wahrnehmungen und Interpretationen von Körperzustandsveränderungen. Jede Situation oder jedes Objekt mit denen ein Mensch Erfahrungen gesammelt hat, hinterlassen somatische Marker, die eine Bewertung dieser Begegnung speichert. Werden diese in der Interaktion ausgelöst, sind ihre Aktivitäten neurobiologisch messbar und somit nachweisbar (Damasio, 2018, S. 210; Papadopoulos, 2020, S. 51). Damasio bezeichnet den Körper als Bühne der Gefühle, denn Gefühle wären ohne den Körper nicht fassbar (Kommnick, 2011, S. 158) und Emotionsregulation braucht wiederum den Körper (Damasio, 2018, S. 14). Die Bewusstmachung der somatischen Marker kann im Coaching dann wichtig werden, wenn Menschen dabei unterstützt
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KRISTIN BECKER
werden sollen, Entscheidungen bewusst zu treffen, um sie sprachlich vertreten zu können. Planungsvorgänge ohne körperliche und gefühlsmäßige Begleiterscheinungen führen nicht zum Vollzug einer Handlung (Meier & Janßen, 2011, S. 518). Um die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele besser nachvollziehen zu können, wird als nächstes auf das neurowissenschaftliche Erklärungsmodell des Embodiments eingegangen. Das neurowissenschaftliche Erklärungsmodell des Embodiments Embodiment (deutsch etwa Verkörperung) wurde als wissenschaftlicher Begriff seit Mitte der 1990er Jahre für eine konzeptionelle Neuorientierung eingeführt (Storch & Tschacher, 2016, S. 32). Bei diesem nicht-dualistischen Konzept (Stelter, 2018, S. 539) geht es nicht nur um das Entschlüsseln der Körpersprache, des non verbalen Verhaltens, sondern um die Einsicht, dass der Körper an allen seelischen Prozessen, Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen kausal beteiligt ist (Geuter, 2015, S. 158 ff.; Leuzinger-Bohleber, Emde, & Pfeifer, 2013, S.9). Somatische Marker und Embodiment sind bedeutsam für Lern- und Veränderungsprozesse. Diese stehen im engen Zusammenhang mit neuronalen Aktivitäten im Gehirn, auf welche nachfolgend eingegangen wird. Das Gehirn als Lernzentrum Lernen bezeichnet den Prozess der Wissensaneignung (Huber & Maier, 2021, S. 8). Mentale Aktivitäten, bei denen wir die Konzentration auf bestimmte Inhalte fokussieren, lösen in den körperbezogenen neuronalen Netzwerken Aktivität aus (Rossbach, 2019, S. 21). Diese Signale, die aus dem Körper im Gehirn ankommen, führen zum Aufbau eines Erregungsmusters. Je häufiger ein solches Erregungsmuster entsteht, desto stärker werden die synaptischen Verbindungen gebahnt und
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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gefestigt (Hüther, 2017, S. 87), also vom Gehirn verkörpert (Hüther, 2017, S. 92). Diese neuronale Plastizität ist lebenslang gegeben (Gauggel, 2020, S. 294). Neuronale Verbindungen, die im Gehirn nicht genutzt werden, lösen sich auf (Hüther, 2017, S. 91). Wissen wurzelt also in Sinnes- beziehungsweise in Körperzuständen (TrautmannVoigt et al., 2020, S. 3). Die Verkörperung von Informationen ermöglicht zuverlässiges Erinnern (Bohne, 2021, S. 215) und ist zudem eng mit Emotionen verknüpft (Rinck & Becker, 2020, S. 129). Die Aufmerksamkeit des Gehirns ist besonders groß, wenn es mit Neugierde auf Ungewohntes und Ungewöhnliches trifft. Der Lernprozess wird somit optimiert (Masemann & Messer, 2017, S. 18). Dieses Kapitel stellte die neurowissenschaftliche Fundierung für das Thema dieser Arbeit dar. Das folgende theoretische Kapitel befasst sich mit den inhaltlichen Anforderungen der Coaching-Ausbildung.
3. Coaching Ausbildung Im Rahmen dieser Ausarbeitung ist es sinnvoll, die Coaching-Ausbildung als eigenes kompaktes Kapitel zu betrachten. Zentrale Begriffe werden geklärt und körperorientierte Methoden in Lernprozessen vorgestellt. Coaching-Ausbildung Die Coaching-Ausbildung basiert auf Modellen wissenschaftlicher Erkenntnis und sollte unterschiedliche Theoriebezüge und Denkschulen berücksichtigen und sich methodenübergreifend ausrichten (Greif et al., 2018, S. 11f.). Dabei gibt die Didaktik Inhalte, Themenkomplexe sowie wissenschaftliche Quellen vor. Die Methodik beschreibt das konkrete Vorgehen in Lehr- und Lernprozessen (Rauen & Steinhübel, 2021, S. 184 ff.). Beides, Theorie- und Methodenvermittlung, soll in jedem Seminar stattfinden (Schreyögg, 2012, S. 392). Die Ausbildung sollte vielfältige Anreize bieten, die individuelle Erfahrungen anspricht und
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KRISTIN BECKER
Herausforderungen beinhaltet, die eine kreative, selbstgesteuerte Verarbeitung von Informationen fördert. Lernprozesse laufen intensiver ab, je mehr Sinne beteiligt sind (Meier & Janßen, 2011, S. 403) und wenn Prozesse relevant, bedeutsam und integrierbar erlebt werden (Meier & Janßen, 2011, S. 404). Für die Auswahl der Methoden bedeutet dies, eine Vielfalt von Formen anzubieten, die nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln, Fühlen, Erleben und vor allem Reflektieren betreffen (Anklam et al., 2018, S. 56; Strikker & Strikker, 2021, S. 185). Körperorientierte Methoden in Lernprozessen Körperorientierte Methoden stellen den Körper in den Fokus der Aufmerksamkeit der Lernenden, um innere Prozesse bewusst zu machen oder auszulösen (Lienhard & Künzli, 2021, S. 41). Rein manuelle Techniken, wie klassische Massagen zählen nicht dazu, da dort nicht auf das Erleben und die Reflexion innerpsychischer Prozesse, ausgelöst durch Körperübungen, fokussiert wird (Lienhard & Künzli, 2021, S. 42). Der Zugang zum Unbewussten mittels des Körpers ist relevant für Coaching, um wahrzunehmen wie eigene Erlebens- und Verhaltensmuster gestaltet werden, um sie gegebenenfalls transformieren zu können (Ryba & Roth, 2019c, S. 398). Zudem sind körperorientierte Methoden förderlich für die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen (Erweiterung der Selbst- und Fremderfahrung, kreative Kompetenz, Ausdrucksfähigkeit) der angehenden Coaches. Kreativität und Reflexivität werden somit verbunden (Hentschel, 2008, S. 144). Erst durch das Tun wird das Wissen im Körper gespeichert und erst dadurch kann eine Haltung zur Welt entstehen (Bintener, 2017, S. 293). Es sind verschiedene aktive Zugänge zu Körperwahrnehmung und zu Körpererleben möglich (Lienhard & Künzli, 2021, S. 41). Im folgenden Kapitel wird der theaterorientierte Ansatz näher beleuchtet.
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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4. Theaterorientierter Ansatz in Coaching-Ausbildungen In den folgenden Teilabschnitten werden exemplarisch drei körperorientierte theaterpädagogische Konzepte kurz vorgestellt, Fokus Körper – Atmung – Stimme, Fokus Rolle und szenisches Spiel und Fokus Improvisation. Diese Ansätze sind die Grundlagen der Theaterarbeit (Höhn, 2018, S. 47), welche auf Coaching übertragen werden. Fokus Körper – Atmung – Stimme Körper Coaches brauchen eine körperbezogene Selbsterfahrung, um körperliche Muster (Roth & Ryba, 2018, S. 116) zu erforschen und selbst aktiv körpersprachlich in der Kommunikation zu agieren (Trautmann-Voigt et al., 2020, S. 21). Sich selbst vor einem Coaching in einen entsprechenden Zustand zu bringen, ist empfehlenswert (Ryba & Roth, 2019c, S. 404), denn unser Gegenüber – bewusst oder unbewusst – empfindet den Körperausdruck immer mit (Köhler, 2016, S. 40). Als Coach „embodied“ zu sein heißt also, den Körper achtsam einzusetzen, immer mit dem theoretisch fundierten Wissen, das Kognitionen im ständigen Wechselspiel mit Körperzuständen und Emotionen sind (Ryba & Roth, 2019c, S. 399). Ohne die achtsame Wahrnehmung unserer Körperempfindungen,-gefühle und -zustände fehlt die Verbindung zu unserer Innenwelt (Trautmann-Voigt et al., 2020, S. 23). Gesundes Embodiment bezieht sich auf anatomische Gesetzmäßigkeiten und kann in folgender Checkliste zusammengefasst werden: Füße ausrichten, Becken aufrichten, Beckenboden aktivieren, Wirbelsäule aufspannen, Kopf hoch, Schultern aufsetzen und vertikal denken (Trautmann-Voigt et al., 2020, S. 22). Ebenso bedarf es einer Federungsmöglichkeit im Körper (Köhler, 2016, S. 42). Diese Übungsorientierung ist auf Haltung, Gang und eine ganzheitliche Wahrnehmung
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KRISTIN BECKER
ausgerichtet. Diese vitale Ausgangsposition ist ideal, um sämtliche Emotionen und Stimmungen intensiv und bewusst zu erleben sowie auf die Gefühlslagen des Coachees möglichst entspannt und spontan angemessen zu reagieren und entsprechend zu handeln (Cantieni, 2017, S. 115). Der Informationsaustausch zwischen Gehirn und Nerven kann in diesem Grundtonus reibungslos verlaufen (Cantieni, 2017, S. 116). Ziel dieses methodischen Einstiegs ist das Öffnen der Wahrnehmungskanäle, Kennenlernen des Ausdrucksspektrums (Becker, 2013, S. 57) und folglich das Erreichen kongruenter Kommunikation und einer Reflexionsfähigkeit der Haltung (Becker, 2013, S. 53). Atmung Die Bewegung des Körpers, die Körperreaktionen korrespondieren unmittelbar mit dem Rhythmus des Atems (Ritter et al., 2018, S. 18). Im bewussten Zustand haben sich viele Menschen oftmals wegen sitzender Haltung die Hochatmung angewöhnt. Dabei werden Schulter- und Halsmuskeln betätigt, welche auf den Kehlkopf drücken (Dyckhoff & Westerhausen, 2015, S. 17). Auf diese Weise entstehen Verspannungen, welche zudem störend für eine freie Stimmentfaltung sind (Dyckhoff & Westerhausen, 2015, S. 39). Die physiologisch korrekte Atmung ist die Tiefenatmung. Bei der Einatmung gehen dabei der Bauch sowie die unteren Rippenbögen nach außen, die Flanken gehen auf und bei der Ausatmung nach innen (Dyckhoff & Westerhausen, 2015, S. 17). Durch ein Training des Zwerchfells kann die Tiefatmung erreicht werden. Dieses zentrale muskuläre Organ des Körpers ist nicht nur das Hauptorgan der Atemtätigkeit, sondern vermittelt das bestimmende Körpergefühl von Kraft und Schwäche (Ritter et al., 2018, S. 37f.). Sprechen ist ganz wesentlich von der Atmung abhängig (Sendlmeier, 2019, S. 249).
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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Stimme Die Stimme ist Instrument des Ausdrucks und soll Resonanzmöglichkeiten des Körpers nutzen, um schwingen und klingen zu können. Wie jedes Instrument muss die Stimme vor Gebrauch gestimmt werden. Die Stimmlippen bestehen aus Stimmmuskeln und Stimmbändern (Dyckhoff & Westerhausen, 2015, S. 39). Wie die Stimme klingt, hängt davon ab, ob die Muskeln gelöst oder verspannt sind und wie wir atmen. Der aktuelle psychische Zustand eines Menschen wirkt sich auf die Frequenz, Stimmintensität, Stimmenergie, Tempo und Pausen beim Sprechen aus (Geuter, 2015, S. 297). So kann der Coach beispielsweise durch angemessen lautes, klares und betontes Sprechen seine strukturierende Rolle im Prozess verdeutlichen und Kompetenz vermitteln (Ianiro & Kauffeld, 2018, S. 46). Fokus Szenische Methoden Im szenischen Spiel geht es darum, Haltungen zu entdecken, in ihrer Entstehung und Wirkung zu untersuchen und zu verändern, die Menschen in bestimmten sozialen Situationen einnehmen und wahrnehmen (Czerny, 2017, S. 35). Die Rollen, die eine Person während eines Gesprächs einnimmt, können wechseln. Für das Einordnen und das Verständnis ist es entscheidend, dass man diesen Wechsel wahrnimmt (Becker, 2013, S. 92). Für einen Coach ist es wichtig, seine Arbeit reflektieren zu können und Perspektivwechsel bei sich und anderen zu initiieren. Teilnehmer der Coaching-Ausbildung sollten also nicht nur die CoachRolle kennenlernen. (Rauen & Steinhübel, 2021, S. 184 ff.). Beim Rollentraining geht es darum, unter Anleitung in eine andere Rolle zu schlüpfen und somit eine andere Perspektive einzunehmen. Durch Ausprobieren von Überhöhungen können die Teilnehmer testen, wie sich ungewohntes neues Verhalten für sie anfühlt und welche Assoziationen es bei ihnen auslöst.
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KRISTIN BECKER
Weiterhin ist das Wissen um Statusverhalten im Coaching Prozess relevant (Schinko-Fischli, 2019, S. 82). Der Status wird durch körpersprachliche Signale vermittelt. Zum Beispiel wäre ein König von seinem Verhalten her ein Hochstatus und ein Bettelmann im Tiefstatus. Das Ziel ist es, die Statusflexibilität zu erhöhen (Schinko-Fischli, 2019, S. 97). Solch ein Training dient der Wahrnehmungsschulung für den Coachingprozess. Wie ist die Haltung des Coachees? Wie ist der Händedruck während der Begrüßung? Wohin richtet sich der Blick bei der Problemschilderung? Bleibt der Coachee in seinem Status oder sinkt er in sich hinein? (Bohne, 2021, S. 76). Coaches sollten auch das Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz beherrschen. Ebenfalls sind Übungen zu Ankopplungsfähigkeit und Abgrenzung aus dem Schauspiel sinnvoll. Auch Spiegelübungen sind hilfreich, um herauszufinden, ob der Körper des Coachees dem Coach folgt und umgekehrt. Fokus Improvisation In der Improvisation wird die Fähigkeit spontan und assoziativ zu sein dadurch trainiert, dass sich die Spieler immer wieder auf Unvertrautes, Fremdes einlassen. Es wird geübt, etwas anzunehmen und Blockierungen zu vermeiden. (Johnstone, 2016, S. 158). Annehmen bedeutet, sich mit Körper, Geist und Seele sowie Emotionen auf eine Situation einzulassen. Von Blockieren spricht man, wenn jemand die Rolle oder Situation ignoriert oder ablehnt. Wahrhaftes Annehmen heißt auch: ergänzen und eigene Impulse einbringen (Becker, 2013, S. 58; Polzin, 2020, S. 50). Mit jeder Aktion ändert sich die Situation (Johnstone, 2016, S. 139). Spontanes körperliches Handeln trifft auf unmittelbare Resonanz beim Gegenüber.
5. Forschungsdesign Die detaillierten Fragestellungen (siehe Einleitung) dieser Arbeit, wurden über ein exploratives Vorgehen
KÖRPERORIENTIERTE THEATERPÄDAGOGISCHE METHODEN
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beantwortet. Dabei ist das praxisrelevante Prozesswissen von Experten für das Forschungsprojekt interessant. Dafür eignet sich das Leitfadeninterview, eine sogenannte weniger strukturierte Interviewtechnik (Diekmann, 2021, S. 438). Die Interviewpersonen werden mit gezielten Fragen und geeigneten Stimuli zu verbalen Informationen veranlasst (Diekmann, 2021, S. 439). Im idealen Fall bringt das offene Vorgehen auch nicht erwartete Aspekte hervor. Ausgewählte Experten, aus den Bereichen CoachingAusbildung und Coaching-Praxis, die mindestens zehn Jahre als Coaches gearbeitet haben, Fachbücher publiziert haben und in dieser Arbeit als Autoren zitiert wurden, waren als Interviewpartner besonders interessant. Unter Berücksichtigung der Kriterien konnten elf Interviewpersonen (n=11) rekrutiert werden. Die folgende Tabelle zeigt relevante Informationen als Überblick. Aus Gründen der Vertraulichkeit werden die Namen nicht genannt.
KRISTIN BECKER
w
40
53
64
39
59
59
B
C
D
E
F
w
m
w
w
m
m/w
Alter
Interviewpartner A
Inhaberin eines Coaching-Unternehmens, wissenschaftliches Mitglied eines Coaching Ausbildungsinstitutes, Coach-Ausbilderin, Fachbuchautorin Business Coach, Inhaber einer Coaching-Akademie, Senior Coach DBVC, Lehrbeauftragter mehrerer Universitäten, Coaching Ausbildungsleiter, Fachbuchautor Mitbegründerin und wissenschaftliche Leiterin eines Coaching-Ausbildungsinstitutes, Coach-Ausbilderin, Sachbuchautorin Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen, Theaterpädagogin, Coaching mit Theatermethoden Sachbuchautorin Leiter eines Fortbildungsinstitutes, Ausbilder, Auftritt-Coaching und Business Coaching, Embodimentfokussiertes Coaching Fachbuchautor Coach, Trainerin, Referentin,
Berufsfeld / Arbeitsschwerpunkte
Tabelle 5.1. Interviewpersonen und deren Kontext
66
Promotionsstudentin Theaterpädagogin Pädagogin, Coaching-Ausbildung promovierter Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie, Studium Arbeitswissenschaft, Energetische Psychologie, Systemische Coach-Ausbildung NLP-Ausbildung, Systemische CoachAusbildung, Management Ausbildung,
promovierte Psychologin, Pädagogin, Coach- und Psychodramaausbildung
promovierter Arbeits- und Organisationspsychologe, Coaching-Ausbildung
Wirtschaftspsychologin, Promotion mit psychologisch neurowissenschaftlichem Schwerpunkt, sechs Coaching-Ausbildungen
Ausbildung
18 Jahre
22 Jahre
15 Jahre
34 Jahre
26 Jahre
Praxiserfahrung als Coach 11 Jahre
77
51
57
48
63
G
H
I
J
K
w
w
m
w
m
Improvisationstrainer, Coach, Business Coach, Speaker, Sachbuchautor Coach, Supervisorin, Publikationen in einer Coaching-Fachzeitschrift, Autorin Online-Publikationen Business Coach, Speaker, Fachbuchautorin
Coach Ausbilder, Business Coach, Fachbuchautor Business Coach, Supervisorin, Publikationen in Fachzeitschriften
Fachbuchautorin
Sozialpädagogin, systemische Coach-Ausbildung, Business Coach Ausbildung, NLP-Ausbildung, Supervisions- und Coach-Ausbildung Coach-Ausbildung, systemische Coach-Ausbildung, Improvisationsausbildung, Clownsausbildung, Schauspielausbildung systemische Coachingausbildung, Umwelt- und Erlebnispädagogin, Naturtherapeutin Ingenieurin Sozialarbeiterin promovierte Politikwissenschaftlerin, 4 Coaching-Ausbildungen
Altenpflegerin, Clownsausbildung, Stimmbildung, Theaterausbildung promovierter Wirtschaftspädagoge Coach-Ausbildung
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KRISTIN BECKER
Zusätzliche Datengenerierung erfolgte über eine teilnehmende interaktive Beobachtung im Rahmen eines Seminars mit 14 Coaching Studierenden mit anschließender Gruppendiskussion. Zuerst wurden drei Stunden theoretisch fundierte körperorientierte theaterpädagogische Methoden in der Praxis erprobt. Ungewohnte, teils provozierende Übungen fungierten als Grundreize. Bei der darauffolgenden Gruppendiskussion beschränkte sich der Interviewer auf die Rolle des Moderators, der nur gelegentlich steuernd eingreift. Wichtiges Element war die Metadiskussion. Hier wurden die Teilnehmer befragt, wie sie sich in diesem Prozess gefühlt haben und welche Lerneffekte entstanden sind. Diese eignet sich zur Erweiterung der Erkenntnisse, da man an die kollektive Meinungen herankommen kann (Mayring, 2016, S. 77). Zusammenfassend soll das explorative, theoriegeleitete Vorgehen bestehend aus Experteninterviews und einer Gruppendiskussion ein breites Spektrum an unterschiedlichen Perspektiven abdecken, um die Forschungsfrage zu beantworten.
6. Ergebnisse Auf Grundlage der Analyse aus Experteninterviews und Gruppendiskussion stellt dieses Kapitel den Ergebnisteil dar. Aus Gründen der Limitation dieser Ausarbeitung werden kurze zusammenfassende Ergebnisdarstellungen präsentiert. Bedeutsamkeit der theoretischen Fundierung Die Erkenntnisse zeigen, dass die befragten Experten die neurowissenschaftliche Forschung als Erklärungsansatz im Coaching nutzen: „Ich betone in meinem Vorgehen ((….)) gar nicht so sehr die psychologische Ebene, einfach aus der Erfahrung heraus, dass diese Herangehensweise viel niedrigschwelliger für meine Klienten ist ((…)) alles was mit
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Psycho so zu tun hat, ist für viele schwer durchschaubar … und tendenziell unterschwellig mit gewissen Abwehrreaktionen verbunden“. Die Ergebnisse zeigen, dass die rationale Einsicht des Coachees in die Problematik und den möglichen Lösungsweg nach Ansicht der Experten ungenügend für eine wirkungsvolle Veränderung ist. Demnach ist es förderlich, die Wechselwirkung auch mit geeigneten Interventionen erlebbar zu machen. Wenn also Stress durch die Lenkung der Aufmerksamkeit durch Körperübungen gelöst werden kann, so kann angenommen werden, dass sich damit auch mentale Einschränkungen verringern. Dann entwickelt sich Coaching zu einem Wechselspiel vom Sprechen allein hin zu einer Arbeitsweise, welche Atmung, Bewegung und körperlichen Ausdruck mit einbezieht. In der Anwendung von theaterpädagogischen körperorientierten Methoden im Coaching ergeben sich durch die neurowissenschaftliche Forschung, insbesondere die Embodiment Forschung, keine neuen Handlungsprinzipien. Jedoch die Prinzipien, denen Theatermethoden, Improvisation und Körpertraining folgen, werden durch diese Forschung validiert, um sie gewinnbringend im Coaching zu nutzen. Körperorientierte theaterpädagogische Methoden führen zu Effekten nicht nur auf kognitiver Ebene, sondern auf allen Ebenen im Gehirn und wirken auf der Verhaltens- und der Körperebene. Die befragten Experten eint, dass körperliche Empfindungen und Impulse, Kognitionen und Emotionen, untrennbar miteinander verbunden und wechselseitig ausgerichtet sind. Es gibt eine Wechselwirkung von Körper und Geist in Interaktion mit der Umwelt. Das ist es, was Embodiment ausmacht. Das Wechselwirkungsverständnis wird in der Anwendung von theaterpädagogischen körperorientierten Methoden deutlich.
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Nutzen des theaterpädagogischen Ansatzes unter Berücksichtigung der neurowissenschaftlichen Perspektive Sprachliche Methoden sind vorwiegend mit dem rationalen Gedächtnissystem verbunden und sprechen kaum das Unbewusste an. Die Experten sagen, das nachhaltige Veränderungen im Coaching mehr verlangen als einen bewussten, verbalen Austausch. Es ist möglich, über den Körper einen Zugang zum Unbewussten zu erhalten. Das Unbewusste drückt sich nonverbal und paraverbal aus. Dazu zählen folglich:
vegetative Reaktionen (Muskelanspannungen, Augenblinzeln, Augenbewegungen) Körperhaltung Mimik Gestik Stimme unwillkürliche Bewegungen.
Die Experten empfehlen den Einsatz von aktiven, nonverbalen, bildhaften und kreativen Theatermethoden, da diese das Anregen, Bewusstwerden, Bearbeiten und Transformieren von unbewussten Aspekten ermöglichen. Weiterhin liefern Improvisation und die Arbeit mit Bildern einen Zugang zu unbewussten Prozessen, erläuterten die Experten. Ein Dialog zwischen unbewussten und bewussten Ebenen wird gefördert. Expertenmeinungen zur Bedeutsamkeit der Stimme zeigen auf, dass in der Praxis beim Coachee ein Gefühl verstärkt werden kann, indem man diesem einen stimmlichen Ausdruck verleiht. Ist der Coachee übererregt oder die Empfindung eines Gefühls zu schwach, lässt sich über den stimmlichen Ausdruck die Intensität der emotionalen Erregung regulieren. Weiterhin wird festgestellt, dass bei einer Veränderung mit einer Handlungsabsicht im psychischen System ein neuronales Netzwerk entstehen muss. Dies gelingt, indem
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die Verkörperung individuell persönlich erarbeitet wird. Idealerweise wird dann dieses kreierte Embodiment wiederholt trainiert, damit das neuronale Netzwerk immer stabiler gebahnt werden kann. Die Mehrheit der Experten sagen, dass eine aktive Rolle des Coaches förderlich für den Coachingprozess ist. Der Coach lädt zum Experimentieren mit Haltungen, Bewegungsoptionen, Bildern und emotionalen Reaktionen ein. Nach einer Phase des Nachspürens werden die Erfahrungen verbalisiert. Dafür ist es nach Expertenansicht notwendig, beim Gefühl zu verweilen, das Erleben wahrzunehmen und der darin schlummernden Bedeutung nachzuspüren. Experten verweisen darauf, dass die Fragestellung „Wo im Körper spürst du das?“ die Wahrnehmung unterstützt, die somatischen Marker zu verbalisieren und die körperlichen Signale als Informationsquelle zu nutzen. Diese Erkenntnisse knüpfen an die theoretischen Überlegungen von Damasio (siehe Kapitel 2) an, dass Emotionen und die entsprechenden körperlichen Begleiterscheinungen ein integraler Anteil von Entscheidungsprozessen und damit bedeutsam für rationales Verhalten sind (Damasio, 2018, S. 14). Die Befragten sehen einen Zusammenhang, dass die Zielerreichung mit einem hohen Maß an Selbstkongruenz einhergeht. Selbstkongruenz wird durch die Fähigkeit erzeugt, die eigenen Körperreaktionen und Gefühle – die somatischen Marker – gut wahrzunehmen und für Veränderungen als Erkenntnisquelle zu nutzen. Diese Fähigkeit ist die Basis gelingender Selbstregulation. Die somatischen Marker sind laut Damasios Forschungen immer aktiv (Damasio, 1997, S. 285 f.). Die Fähigkeit diese wahrzunehmen, kann mit körperorientierten theaterpädagogischen Methoden trainiert werden.
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Relevanz des ressourcenvollen Zustandes des Coaches Nicht nur der Coachee kann somatische Marker wahrnehmen. Beobachtungsgeschulte Coaches haben die Fähigkeit, das Unbewusste beim Gegenüber zu entdecken und gegebenenfalls zu verbalisieren. Nach Ansicht der Experten ist es erforderlich, als Coach nonverbale Signale lesen zu können. Bewusstheit über den eigenen Körper ist somit elementar. Es ist also eine Form der Körpererfahrung nötig. Eine ganzheitliche Körperspannung, verschiedene Atemund Stimmübungen sowie Körperaktivierungsübungen sollen nach Sicht aller Befragten trainiert werden. Ist der Coach mit seiner Aufmerksamkeit bei dem, was er tut, kommt er in einen präsenten Zustand. Diese Präsenz kann über den Körper hergestellt werden kann. Die Gruppendiskussion und die Experten legten dar, dass Lernen über den Körper durch Erfahrung große Effekte erzielt. Der Coach muss anschlussfähig sein, in Form von verbaler und nonverbaler Ankopplung an den Coachee. Improvisation und Rollenarbeit in der Coaching-Ausbildung Die vorgestellten szenischen Methoden (siehe Kapitel 4) werden von Experten in ihre Coachingpraxis eingebunden und sind bedeutsam, weil Imagination, Gefühlsausdruck und körperliches Empfinden in intensiver Wechselbeziehung zu Denkprozessen stehen. Das Rollenspiel ist für Perspektivwechseltraining sehr gut geeignet. Anknüpfend an die theoretischen Überlegungen (siehe Kapitel 4) empfehlen die Interviewpartner den Einsatz von Methoden aus dem Improvisationstheater im Coaching. Auch die Erkenntnisse aus der Gruppendiskussion bestätigen die reflexionsfördernde Selbstwahrnehmung. Denn Improvisation ist Selbstreflexion in spielerischer Form und trainiert die Fähigkeit, sich immer wieder auf Neues einzulassen. Es ist also bedeutsam, sich mit dem Körper um das innewohnende Potenzial der Spontanität zu kümmern. Sich
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selbst als veränderlich und veränderbar erleben und Perspektiven zu wechseln spontan und assoziativ zu sein, ist bedeutsam im Coaching. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich folgende Methoden aus dem theaterpädagogischen Ansatz eignen:
Improvisationstraining Statusspiele Rollenspiele, die sich durch Verzerrung und Überhöhung auszeichnen und an innere Bilder anknüpfen
Die Experten fügen hinzu, dass der theaterpädagogische Ansatz mit dem Fokus Rolle und Fokus Improvisation spezielles Vorwissen erfordert und von erfahrenen Trainern durchgeführt werden sollte.
7. Fazit Es wird in dieser Arbeit festgestellt, dass der Körper in der Coaching-Praxis einen sehr hohen Stellenwert bei den befragten Experten einnimmt. Die Arbeit mit körperorientierten Methoden wirkt auf ganzheitlicher Ebene. Sprachliche Methoden sind vorwiegend mit dem rationalen Gedächtnissystem verbunden und sprechen kaum das neurowissenschaftlich Unbewusste an. Körperorientierte theaterpädagogische Methoden liefern Zugänge zum Unbewussten, um es bewusst zu machen und diese Erkenntnisse für den kreativen Coaching-Prozess zu nutzen. Die Erkenntnisse aus den Experteninterviews belegen, dass die Kommunikation im Coaching mit und durch den Körper integriert werden soll. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass körperorientierte theaterpädagogische Methoden andere Interaktions- und Beziehungsmöglichkeiten als sprachbasierte Methoden in Gang setzen, und Experten bestätigen, dass Coachees auf anderen Ebenen erreicht und andere Veränderungspotenziale aktiviert werden. Experten nutzen somatische Marker und Embodiment in ihrer Coachingpraxis auf Basis neurowissenschaftlicher
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Forschung. Bedeutsam ist jedoch die Erkenntnis, dass Embodiment und somatische Marker kein Ersatz für logische Denkprozesse sind, sondern eine Ergänzung zur Reflexion. Es gilt alles zusammen als Einheit zu betrachten. Die Genauigkeit und Nützlichkeit unserer Gedanken werden durch die somatischen Marker gesteigert. Durch Embodiment werden Ziele verkörpert, neuronale Verschaltungsmuster im Gehirn werden neu gebildet. Neue Verhaltensweisen können entwickelt und stark gefestigte Verhaltensweisen können so effektiv geändert werden. Die neurowissenschaftliche Perspektive bietet mit ihren Erkenntnissen einen innovativen Begründungsansatz für Methoden, insbesondere der im Kapitel vier vorgestellten theaterpädagogischen Ansätze, und sensibilisiert Coaches zur Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Interventionen. Für die Coaching-Ausbildung bedeuten die Erkenntnisse dieser Arbeit einen Mehrwert. Es ist sinnvoll, körperorientierte theaterpädagogische Methoden neurowissenschaftlich fundiert stärker in den Curricula von Coaching-Ausbildungen zu verankern. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Wechselwirkungen zwischen psychischer Verfassung und Körper über theaterpädagogische körperorientierte Methoden deutlich werden. Ansätze und Methoden sollten in der Coaching-Ausbildung mit Einbezug des Körpers aktiv erprobt werden. Damit werden nachhaltige Lernprozesse gefördert. Zudem unterstützt Theaterpädagogik mit ihrer aktivierenden Kraft beim kreativen Denken. Es ist eine Arbeit im Moment, fördert mehrdimensionales Erleben und verbessert die Selbstwahrnehmung und Reflexion. Handlungsprinzipien und Neues aus dem Kontakt wirken bei diesem Ansatz gemeinsam. Zusätzlich ist die Integration von theaterorientierten Ansätzen während der Coaching-Ausbildung eine Entdeckungshilfe, die zeigen kann, ob angehende Coaches mit diesen Methoden arbeiten möchten.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass körperorientierte theaterpädagogische Methoden Potenzial für die Coaching-Ausbildung aufweisen. In Anlehnung an die vorangegangenen Erkenntnisse folgen Empfehlungen für die Praxis. Implikationen für den Einsatz von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung Aus den Erkenntnissen werden im Folgenden Maßnahmen skizziert, die für die Coaching-Ausbildung großes Potenzial aufweisen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Coaches die Fähigkeit haben sollten, vor einem Coaching die eigenen emotionalen und somatischen Resonanzen wahrzunehmen. Weiterhin ist es von Bedeutung Wege zu kennen, diese zu beeinflussen. Dazu eignen sich die in Abbildung 7.1 dargestellten Körperaktivierungsübungen.
Haltung Körperübungen = Basis Embodiment
Stimme Atmung
Abbildung 7.1. Körperübungen (eigene Darstellung)
Körperübungen aus dem theaterorientierten Ansatz (siehe Kapitel 4) schulen das ganzheitliche Körperbewusstsein und die Wahrnehmung zugleich. Besonders der Atem ist ein geeignetes Tool, um Emotionen zu regulieren und das Energielevel entweder zu aktivieren oder zu reduzieren. Stimmübungen dienen dazu, sich auf den Coaching-Prozess einzustimmen, stimmlich präsent zu sein. Zudem ist das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Psyche und Stimmfärbung sowie Atmung und Haltung relevant für
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Coaches. Die Erkenntnisse zeigen, dass Körperübungen demonstriert und erläutert werden sollten. Das reduziert oft eventuelle Hemmungen, ungewohnte Übungen auszuführen. Weiterhin wurde in dieser Arbeit die Bedeutsamkeit, im Coaching über die Befindlichkeitsebene hinaus auch auf der Körper- und Verhaltensebene zu arbeiten, dargelegt. Dies sollte auch schon während der Ausbildung erprobt werden. Dazu eigenen sich theaterpädagogische Methoden, welche in Abbildung 7.2 gezeigt werden. Statusspiele
Beobachtungstraining Wahrnehmungsübungen Perspektivwechseltraining
Spiegeln
Rollenspiele
Improvisation Abbildung 7.2. Theatermethoden (eigene Darstellung)
Ziel dieser Übungen ist es, den eigenen Körper als Coach gut wahrzunehmen und den Coachee gut lesen zu können. Aus den Erkenntnissen dieser Arbeit kann abgeleitet werden, das angehende Coaches vom Verständnis der nonverbalen Sprache und dem neurowissenschaftlich Unbewussten im Rahmen von Seminaren profitieren werden. Zudem können sie aktiv durch Theatermethoden lernen, auf Inkongruenzen zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation zu achten, um diese gegebenenfalls in den Dialog im Coaching einzubringen. Wichtig nach Roth (2010, S. 342) ist, das es sich bei Beobachtungen immer um individuelle Eindrucksbildungen handelt. Für den erfolgreichen Einsatz von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden sollte der Coach die Relevanz der unbewussten Prozesse für das menschliche
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Erleben und Verhalten anerkennen, er sollte von der Wirkung der Intervention überzeugt sein und diese situativ passend zu Coachee und Anliegen einsetzen können.
8. Zusammenfassung Das Ziel dieser Arbeit sind Erkenntnisse über das Potenzial von körperorientierten theaterpädagogischen Methoden in der Coaching-Ausbildung. Dazu bildeten die Neurowissenschaften einen theoretischen Schwerpunkt. Zur Gewinnung von Daten wurden elf Experten aus den Bereichen Coaching-Praxis und Coaching-Ausbildung zum Thema befragt. Zusätzlich wird eine Gruppenbefragung nach einer teilnehmenden interaktiven Beobachtung durchgeführt. Durch die Verknüpfung der Neurowissenschaften mit den neuen Erkenntnissen durch die Befragungen wird aufgezeigt, dass Menschen sich weniger durch kognitive Selbstreflexion entwickeln. Grund dafür ist, dass Erleben und Verhalten zum großen Teil durch unbewusste Prozesse bestimmt wird. Die Erkenntnisse dieser Untersuchung zeigen, dass die Arbeit mit dem Unbewussten förderlich für tiefgreifende Veränderungen ist. Denn das Unbewusste drückt sich weniger über Sprache, als vielmehr über körperliche Reaktionen und Verhalten aus. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, den Körper im Coaching stärker zu berücksichtigen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Neurowissenschaften mit ihren Erkenntnissen die bisherigen Begründungsansätze von Coaching erweitern. Sie sollten deshalb theoretischer Bestandteil im Curriculum einer Coaching-Ausbildung sein. Um die Arbeit mit dem Unbewussten im Rahmen einer Coaching-Ausbildung zu erproben, wird in dieser Arbeit herausgefunden, dass sich körperorientierte theaterpädagogische Methoden aufgrund Ihrer Ganzheitlichkeit besonders dafür eignen.
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Zufriedenheit mit dem Coaching Studium Befragung der Studierenden des Masterstudiengangs Business Coaching und Change Management der Euro-Fh Hamburg Dr. André Luhn Ziel dieser Untersuchung ist es mittels interner Evaluationsmethoden die Erfahrungswerte und den Zufriedenheitsgrad von Studierenden und Absolventen mit dem Studium Business Coaching und Change Management zu erheben. Damit soll interessierten Parteien eine detaillierte Auswertung, von in Summe 61 Fragestellungen, vorgestellt werden. Das Ergebnis soll Schwerpunkte aufzeigen, wo Stärken und Verbesserungspotentiale des Studienganges wahrgenommen werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Beschreibung des Studienganges sowie dessen Historie. Diese wissenschaftliche Untersuchung schafft einen umfassenden Überblick über den Studiengang an sich und zeigt dessen Abgrenzung bzw. Unterschiede zu ähnlich gelagerten Studiengängen oder Coachingsausbildungen. Damit ist es für interessierte Parteien möglich, die Inhalte sowohl im universitären Kontext hinsichtlich der Einbettung in Vorlesungen oder Studienheften vornehmen zu können, als auch als Entscheidungsvorlage für zukünftige Maßnahmen zur Verbesserung von Studium und Lehre anzuwenden. The aim of this research is to use internal evaluation methods to show the experience and level of satisfaction of students and graduates to the master degree program Business Coaching and Change Management. The aim is to
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DR. ANDRÉ LUHN
present a detailed evaluation of a total of 61 questions to all interested parties. The result of this shows priorities where the strengths of the course are perceived as well as room for improvement. Another focus is on the description of the course and its origin. This research paper provides a comprehensive overview of the course itself and shows its demarcation respectively differences to similar courses of study or coaching trainings. This enables interested parties to carry out the contents of this scientific work both in a university context with regard to embedding in lectures or study books or to use it as a decision-making template for future measures to improve studies and teaching.
1. Einleitung Gender-Hinweis Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Hausarbeit das generische Maskulinum verwendet. Die in dieser Arbeit verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
„Coaching is one of the fastest growing business phenomena in Europe today.“ (Bresser Consulting & Associates, 2008, S. 5.)
Wie nehmen die Studierenden und Absolventen des Studienganges Business Coaching und Change Management an der Europäischen Fernhochschule Hamburg das Studium wahr? Welche Erfahrungen haben sie während des Studiums gemacht? Diese Untersuchung soll mit einer empirischen Studie einen Beitrag leisten, Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung des Studienganges zu geben. Hieraus ergibt sich die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit, welche mittels der erhobenen Daten und der angewandten Methodik beantwortet werden soll: Wie stellt sich die derzeitige Wahrnehmung und Bewertung der Studierenden an der Euro-FH in Bezug auf den Studiengang Business Coaching und Change Management dar?
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Basierend auf der Forschungsfrage, ergeben sich in Summe neun Hypothesen, welche ebenfalls verifiziert oder falsifiziert werden sollen: Hypothese 1 (H1): Die Mehrheit der Befragten ist entweder sehr zufrieden oder zufrieden in der gesamtheitlichen Betrachtung des Studienganges Business Coaching und Change Management. Hypothese 2 (H2): Die Mehrheit der Befragten wählten als Studienschwerpunkt „Business Coaching“. Hypothese 3 (H3): Die Mehrheit der Befragten verfügt über eine Berufserfahrung von mehr als fünf Jahren. Hypothese 4 (H4): Die Mehrheit der Befragten verfügt über einen Bachelorabschluss. Hypothese 5 (H5): Die Mehrheit der Befragten schätzen die Arbeitsmarktchancen als Coach oder Change Manager als gut ein. Hypothese 6 (H6): Für die Mehrheit der Befragten ist die Berufsrelevanz und der Praxisbezug des Studiengangs wichtig. Hypothese 7 (H7): Die Mehrheit der Befragten wird das Studium voraussichtlich in der Regelstudienzeit (24 Monate / 32 Monate) abschließen. Hypothese 8 (H8): Die Mehrheit der Befragten ist nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums an Weiterbildungsangeboten interessiert. Hypothese 9 (H9): Die Mehrheit der Befragten ist mit den inhaltlichen Schwerpunkten des Studienganges und den Vertiefungsrichtungen zufrieden.
2. Aufbau und Zielsetzung von BCCM Aufbau und Zielsetzung von BCCM Der Studiengang Business Coaching und Change Management untergliedert sich bis 2022, also für den hier untersuchten Zeitraum, in zwölf Module mit zwei Wahlpflichtschwerpunkten. Die nachfolgende Abbildung zeigt den
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Ablauf des Studiums im Gesamtüberblick, welches im nachfolgenden Unterkapitel im Detail beschrieben werden wird.
Abbildung 2.1. Gesamtaufbau Masterstudiengang Coaching und Change Management an der Europäischen Fernhochschule Hamburg (Europäische Fernhochschule Hamburg, 2015.)
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Die Grafik illustriert, dass zu Beginn des Studiums grundlegende Module zu Inhalten wie Grundlagen der Organisation und des Change Managements sowie des Business Coachings im Vordergrund stehen. Inhaltlich werden hier verschiedene Perspektiven innerhalb eines Business Coachingprozesses bzw. Change Managementprozesses beleuchtet und ein Grundverständnis für das vorliegende Hochschulstudium vermittelt. Weiterhin bildet ein drittes Modul, Theoretische Zugänge und Konzepte, die Basis für die weiterführenden Vertiefungen, da grundlegende wissenschaftliche Theorien und Modelle wie bspw. die humanistische Psychologie oder der Konstruktivismus näher vorgestellt werden. Diese dienen durchgängig als Basis für die weiteren Bausteine des Studiums. Hierauf aufbauend folgen drei komplexe Module welche sich näher mit der Prozessgestaltung, den Methoden und Handlungsfeldern bezogen auf Personen, Führung und Gruppen sowie Organisation beschäftigen. In diesem Block erfolgt eine Vertiefung des Mehrebenenansatz. Die Mehrebenensystemtheorie dient als allgemeine Rahmentheorie für organisationale Veränderungen und als Analysemodell für menschliches Handeln und Lernen. (Greif, 2008, S. 289.) Gemäß dieser Theorie beeinflussen sich die unterschiedlichen Ebenen gegenseitig. Hierbei übernehmen die übergeordneten Ebenen die Steuerung der unteren Ebenen, welche alle in der höchsten Ebene Teil der Gesellschaft bzw. des Wirtschaftssystems eingebettet sind. (Greif, 2008, S. 289.)
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Abbildung 2.2. Die Ebenen der Mehrebenensystemtheorie, modifiziert nach v. Cranach, 1996 (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S.119.)
Um dies konkret kurz am Beispiel Führung und Gruppe zu erläutern, geht es in diesem Modul darum als Führungskraft Gruppen steuern zu können, aber auch die Sichtweisen der Gruppenmitglieder auf die jeweilige Führungskraft kennenzulernen. So wird das Wissen vermittelt, wie eine Führungskraft Gruppen in ihrer Funktionsweise und ihrer Dynamik verstehen und steuern kann, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Die dritte Ebene des Studiums bezieht sich auf Fundierung und Qualität. Hierunter verbergen sich zwei Module, auf der einen Seite ein mehrwöchiges Online Seminar, welches sich auf Interdisziplinarität und interkulturelle Vernetzung fokussiert und viele interkulturelle Aspekte im unternehmerischen Kontext behandelt. Zudem soll mit einem klaren Fokus auf Gruppenarbeiten innerhalb dieses OnlineSeminares auf die vielfältigen Einflüsse, welche sich durch die unterschiedlichen kulturellen und sozialisationsbezogenen Hintergründe ergeben, ein Fokus gerichtet werden. Hierbei wird vor allem ein Bewusstsein geschaffen, dass die geografische, religiöse oder kulturelle Herkunft einer Person das Denken, die Einstellung und die Verhaltensweisen dieser Person maßgeblich beeinflussen. Auf der anderen Seite, steht das Modul Forschung und Qualität, welches die Studierenden dabei unterstützen soll,
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grundlegende Aspekte wissenschaftlicher Forschung zu verstehen sowie eine persönliche Forschungskompetenz herauszubilden und als Fähigkeit nutzbar zu machen. Darauffolgend findet die Wahl des Studiengangschwerpunktes statt. Die Wahlmöglichkeiten bestehen zwischen den Vertiefungsrichtungen Business Coaching oder Change Management. Exemplarisch soll innerhalb dieser wissenschaftlichen Arbeit die Vertiefungsrichtung Business Coaching vorgestellt werden. In dieser Vertiefungsrichtung werden zwei Module behandelt. Das Modul Handlungsfelder im Business Coaching sowie Coachingkompetenzen. Im Modul Handlungsfelder im Business Coaching werden verschiedene Zugangsmöglichkeiten zu methodischen Differenzierungen gegeben. Zudem erfolgt eine umfassende Vermittlung von Coaching Didaktik-Konzepten und Coaching-Formaten sowie Coaching-Tools. Weiterhin wird ein Verständnis geschaffen, dass die Ansprache von Zielgruppen einer Spezialisierung innerhalb von Coachingfeldern erfordert und dass es Coachinganlässe gibt, welche eine Branchenexpertise voraussetzen. Ebenso werden vertiefend Coaching-Situationen im internationalen Kontext angesprochen, für welche neben der Methodenkenntnis eine essenzielle Kenntnis und Fähigkeiten interkultureller Kompetenzen nötig sind, um ein erfolgreiches Coaching durchzuführen. Im Modul Coachingkompetenzen werden Coachingprozesse maßgeblich analysiert und wesentliche Kriterien erläutert. Damit gelingt es, die Wirkung und Güte von Coaching fundiert zu reflektieren. Das Herzstück des Modules bildet das fünftägige Präsenzseminar, in welchem persönliche Coachingkompetenzen gestärkt und reflektiert werden. Ein Beispiel stellt das Bamberger Prozessmodell von Riedelbauch und Laux dar, aus welchem 18 Qualitätskriterien zur qualitativen und quantitativen Bewertung von Coaching abgeleitet wurden, mit dem Ziel Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung des Coachings aufzuzeigen.
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(Seeg & Schütz, 2015.) Wie eine Gesamtbewertung eines Coachingprozesses nach den Beurteilungskriterien im Bamberger Coachingansatz aussehen kann, soll die nachfolgende Tabelle verdeutlichen. Tabelle 2.1. Gesamtbewertung eines Coachingprozesses nach den Beurteilungskriterien im Bamberger Coachingansatz (Seeg & Schütz, 2015, S.249.)
Das abschließende und letzte Modul Professionalität behandelt Aspekte, welche professionelles Verhalten als Changemanager oder Coach unterstützen. Zudem werden Perspektiven hinsichtlich des Beitretens eines Berufsverbandes wie dem EASC gegeben (European Association for Supervision and Coaching e. V., n.d.). Abschließend werden für einen Coach und Changemanager wichtige Haltungs- sowie ethische Fragen besprochen. Diese sind im Hinblick auf das Selbstverständnis wichtige Leitplanken im täglichen Umgang mit den Klienten. Als ein Beispiel hierzu kann das Funktionspendel von Wolff herangezogen werden. Dieses zeigt, stark
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vereinfacht beschrieben, die Einordnung von Coaching zwischen Management und Psychotherapie unterlegt mit einem Ampelsystem, welches die Grenzen von Coaching aufzeigt.
Abbildung 2.3. Funktionspendel (eigene Darstellung in Anlehnung an Wolff, 2012, S. 23.)
Für den erfolgreichen Studienabschluss ist als letzte Studienleistung eine wissenschaftliche Arbeit in Form einer Masterarbeit abzulegen. Hierbei muss eine Fragestellung mittels Methoden wissenschaftlichen Arbeitens aus dem jeweils gewählten Studiengangschwerpunkt bearbeitet werden. Somit soll als Zielsetzung des Studienganges erreicht werden, grundlegendes Wissen in pädagogischen, psychologischen und soziologischen Feldern zu vermitteln. dieses zu Verstehen und anwenden zu können um die Absolventen zu befähigen, in deren jeweiligen beruflichen Kontexten wissenschaftlich fundiert Personen, Gruppen und Organisationen bei Veränderungen erfolgreich zu beraten, zu begleiten und zu unterstützen. (Foundation for International Business Administration Accreditation (FIBAA), 2015.)
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Bedeutung eines Studienganges im Bereich BCCM in Abgrenzung zu anderen Coachingausbildungsmöglichkeiten Der Begriff ‚Coaching‘ stellt in Deutschland keinen geschützten Begriff dar. Somit kann sich rein theoretisch jeder volljährige Bundesbürger Coach nennen. Ein angehender Coach kann eine Coachingausbildung durch drei Hauptausbildungsrichtungen erlangen: Über eine Coachingsausbildung an einem Coachinginstitut, ein Hochschulstudium im Bereich Coaching und weiterer Schwerpunktfächer wie bspw. Change Management oder durch Zertifikatsstudiengänge an einer Hochschule. Bis auf ein Hochschulstudium, führen diese Ausbildungen nicht zu einem anerkannten akademischen Grad, wie bspw. einen Masterabschluss. Hierbei ist die Führung akademischer Grade in Deutschland durch die Hochschulgesetze der jeweiligen Bundesländer geregelt. (academic, n.d.) Um einen höheren Anteil von Professionalisierung innerhalb der Studiengänge, welche Coaching anbieten, zu generieren, stellen Akkreditierungsprozesse ein vergleichendes Instrumentarium dar, welches die Qualität des Studiums sicherstellt. „Der Akkreditierungsprozess erfordert von den Hochschulen eine klare Strukturierung des Angebots, eine überprüfbare Formulierung der lernbaren Kompetenzen und eindeutige Aussagen zu den wissenschaftlichen Modellen und Theorien, die als Basis des Studiengangs gelten“. (Ebermann, 2016, S. 11, zit. n. Strikker und Strikker, 2016, S. 11.)
Ein Studium zu wählen, um in einem oder mehreren Fachgebieten sein Wissen zu erweitern, stellt einen Unterschied zu einer Ausbildung mit Zertifikat oder einem Zertifikatsstudiengang an einer Hochschule dar. Aus Sicht des Autors stellt das Studium einen höheren persönlichen sowie zeitlichen Aufwand dar, als ein Zertifikatslehrgang oder Zertifikatsstudiengang. Belege hierfür sind z.B. die zu erbringenden Gesamtstundenanteile und das wissenschaftliche Arbeiten. So muss ein Studierender, welcher ein
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Masterstudium mit 120 ECTS wählt, mit einem Gesamtaufwand von 3000 Stunden bis 3600 Stunden kalkulieren. Berechnungsgrundlage hierfür ist der durchschnittliche Aufwand für einen ECTS-Punkt, welcher einen Arbeitsaufwand pro Leistungspunkt von ca. 25 Stunden bis 30 Stunden an Arbeit aufzeigt. (KULTUSMINISTERKONFERENZ, 2003, S. 2.) Vorteil eines Hochschulstudiums ist auch der zunehmende Professionalisierungsgrad des Berufsbildes Coach. Hierbei postulieren Strikker und Strikker, „Die Akademisierung von Coaching verfolgt das Ziel, durch wissenschaftliche Ausbildung ein möglichst hohes Ausbildungsniveau zu erzielen und Coaching damit aus der bisher teilweise anzutreffenden „Beliebigkeit“ einzelner Methoden und Fertigkeiten zu einem vollwertigen Berufsbild zu entwickeln.“ (Strikker und Strikker, 2013, S. 39.) Die nachfolgende Tabelle zeigt einen aktuellen Überblick über Coaching Studiengänge in Deutschland mit einem Masterabschluss.
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Tabelle 2.2. Coaching Studiengänge mit Masterabschluss in Deutschland, eine Auswahl (eigene Darstellung, 2021.)
Den Studiengängen gegenüber stehen über 300 Coaching Ausbildungen ohne Hochschulabschluss in Deutschland. (Schwertfeger, 2014) Nachfolgende Tabelle soll einen Kurzüberblick über Ausbildungen mit Zertifikat oder Zertifikatsstudiengänge geben. Die Prämisse liegt hier auf den zu erbringenden Stunden.
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Tabelle 2.3. Coachingausbildungen und Zertifikatsausbildungen im Bereich Coaching in Deutschland, eine Auswahl (eigene Darstellung, 2021.)
Durch Betrachtung der zu erbringenden Zeitstunden ist ersichtlich, dass es große Unterschiede in den unterschiedlichen Coaching Ausbildungen gibt. Es verwundert deshalb auch nicht, dass Siegfried Greif postuliert, „Coaching braucht mehr wissenschaftliche Fundierung“. (Wirtschaftspsychologie-aktuell.de, 2014.) Wie eine solche wissenschaftliche Fundierung aussehen kann, beschreiben Strikker & Strikker. Das Ziel ist, wissenschaftliche Kompetenzen im Bereich Business Coaching oder Change Management zu erlangen. Diese basieren auf Kommunikation für unterschiedliche Kontexte, Methodenkompetenz zum Einsetzen von Interventionen, Fachkompetenz für die prozessuale Durchführung eines Coaching Prozesses und Lernkompetenz für das Fördern organisationaler und personeller Veränderungen des Klienten. Diese Kompetenzen sollen in der Schlussfolgerung zunächst zu einer Selbstkompetenz des Coachees und Coaches führen, damit beide durch die erworbene Handlungskompetenz und Rollenklarheit sicher in verschiedenen personalen und systemischen Kontexten agieren können. Abgerundet wird das Modell durch Kompetenzen im Feld des
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wissenschaftlichen Arbeitens, des Beobachtens und Reflektierens. Abbildung 2.4 verdeutlicht die gerade beschriebenen Zusammenhänge.
Abbildung 2.4. Kompetenzmodell für eine akademische Coaching Ausbildung (Strikker & Strikker, 2013, S. 40.)
3. Ablauf und Ergebnisse der empirischen Studie Die vorgestellte empirische Studie ist das Ergebnis einer Stichprobe unter Studenten und Absolventen des Studienganges Business Coaching und Change Management an der Europäischen Fernhochschule Hamburg. Hierfür wurden über die sozialen Netzwerke Xing, LinkedIn, WhatsApp sowie das Intranet der Europäischen Fernhochschule Hamburg in Summe 105 Studenten und Absolventen angeschrieben. In Summe wurden 35 Fragebögen vollständig beantwortet. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 33,3 Prozent.
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Datenerfassungsobjekte Im Rahmen dieser Untersuchung wurde die Erhebung als Standardinstrument für die Datenerhebung ausgewählt. Die Erhebung gilt nach wie vor als Standardinstrument empirischer Sozialforschung zur Identifizierung von Fakten, Wissen, Meinungen, Einstellungen oder Einschätzungen. (Schnell et al., 1999, S. 299.) In der Primärforschung ist eine Erhebung eine wesentliche Form der Datenerhebung. (Koch, 1996, S. 61.) Ziel ist es, dass ein bestimmter Informationskreis zu vorab festgelegten Themen in Frage gestellt wird und Informationen liefern kann. (Meffert et al., 2008, S. 158.) Die in dieser Arbeit angewandte Erhebungstechnik war eine anonyme, schriftliche Umfrage. Ein standardisierter Fragebogen diente als Erhebungsinstrument, das zunächst an den verschiedenen Standorten ausgedruckt und dann an die Mitarbeiter verschickt wurde. Die Daten wurden dann in das statistische Programm SPSS übertragen. Der verteilte Fragebogen soll sowohl die Meinungen der Befragten zu den Kommunikations- und Lernprozessen untersuchen. Ergebnisdiskussion und Handlungsempfehlungen zur weiteren Entwicklung des Studienganges Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Befragung visuell ansprechend und leicht verständlich aufgezeigt und hiernach diskutiert werden. Dafür wurde durch den Autor dieser Arbeit eine Umwandlung der Daten vorgenommen. Die jeweiligen Antwortmöglichkeiten wurden mit Punktzahlen versehen. Die durch den Autor gewählte Punktsystematik kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Tabelle 3.1. Punktbelegung Antwortmöglichkeiten Befragung (eigene Darstellung, 2021.) Antwortmöglichkeit stimmt stimmt eher teils / teils stimmt eher nicht
Punkte 5 4 3 2
100 DR. ANDRÉ LUHN stimmt nicht nicht sinnvoll beantwortbar
1 0
Mit insgesamt 35 Teilnehmern der Erhebung ergibt sich somit ein Maximalwert von 175 Punkten bzw. ein Minimalwert von null Punkten. In der Folge wurden die Antworthäufigkeiten mit der vergebenen Punktzahl addiert, mit der Gesamtanzahl der Antworten dividiert und mit 100 multipliziert. Im Ergebnis wird ein Prozentwert erhalten, welcher die Zustimmung bzw. Ablehnung auf eine bestimmte Frage zeigt. Um die Ergebnisse visuell einfach und verständlich darzulegen, wurden diese jeweils in ein Spinnennetzdiagramm eingebettet. Hierbei sind 100 Prozent nur zu erreichen, wenn alle Befragten die Fragestellung uneingeschränkt positiv beantworten. Um auf den ersten Blick eine Indikation zu erhalten, wie sich die Ergebnisse darstellen, nahm der Autor eine weitere Einteilung der Ergebnisse hinsichtlich farblicher Kenntlichmachung vor. Eine Frage oder ein Themenkomplex ist bei einer Zustimmungsrate von kleiner als 65 Prozent mit der Farbe Rot markiert. Bei einer Zustimmungsrate zwischen 65,1 Prozent und 74,9 Prozent mit der Farbe Gelb gekennzeichnet. Ab einem Zustimmungsgrad größer als 75 Prozent wird das Ergebnis in grün dargestellt. Im ersten Fragebogenabschnitt wurden Fragen zum strukturellen Aufbau des Studienganges formuliert. In drei von vier Fragestellungen ist eine hohe Zustimmungsquote zwischen 77,14 Prozent bis 84,0 Prozent zu verzeichnen. Lediglich bei der Fragestellung zum Angebot an Einführungsveranstaltungen für den Studiengang BCCM geben die Befragten Raum für Verbesserungen an (72,57 Prozent). Die Fragestellungen zu Wahlmöglichkeiten für individuelle inhaltliche Schwerpunktsetzungen (77,14 Prozent), Klarheit zum Aufbau und Zielsetzung des Studienganges (81,14 Prozent) sowie die bewusste Wahrnehmung des Studiengang BCCM als weiterbildenden Aufbaustudiengang zu vorherigen Studiengängen (84,00 Prozent) erzielen hohe Zustimmungswerte.
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 101 Die Ergebnisse zeigen ein gutes Resultat hinsichtlich des strukturellen Aufbaus des Studiengangs. Dieser wird als positiv in dessen Ausgestaltung und Schwerpunktlegung wahrgenommen und bedarf, basierend auf den Ergebnissen, keiner grundsätzlichen Überarbeitung. Lediglich bei der dezidierten Einführungsveranstaltung für den Studiengang BCCM sollte eine klare Abgrenzung zwischen einem Fernstudium an der EURO-FH an sich und dem Studiengang BCCM erfolgen. Die Online-Einführungsveranstaltung könnte eine Möglichkeit sein, den Studenten erste weiterführende Informationen zur Verfügung zu stellen um den Einstieg in das Studium zu erleichtern. Ebenso könnte eine Broschüre, welche den roten Faden des Studienganges, dessen historische Geschichte und Ablauf im Detail aufzeigt, eine Verbesserung erzielen. Dies wurde auch in einer Antwort durch einen Befragten deutlich: „Roten Faden verbessern, zu Beginn ist Ziel und Zusammenhänge nicht wirklich eindeutig“. Im folgenden Abschnitt wurden zwei Fragestellungen zur Studienorganisation an die Befragten gerichtet. Hierbei wurden die Antworten grundsätzlich positiv beantwortet. Sowohl die Koordination der Lehrveranstaltungstermine (82,29 Prozent) als auch das ausreichende Vorhandensein der Kapazitäten in den Lehrveranstaltungen (85,71 Prozent) erhielten hohe Zustimmungswerte. Es zeigt sich basierend auf den statistischen Ergebnissen, dass die Qualität der Leistungen rund um das Thema Studienorganisation beibehalten werden sollte. Die Ergebnisse deuten auf eine gute Organisation während der Corona Pandemie im Jahr 2020 hin. Durch das Angebot von Online-Lehrveranstaltungen und Open-Book Klausuren konnte schnell und zielgerichtet auf neue, nicht planbare Umgebungsbedingungen eingegangen werden. Die in diesem Zusammenhang eingeführten Maßnahmen sollten weiterhin Anwendung finden. Anknüpfend folgten Fragen zum Lehrangebot des Studiengangs. Der überwiegende Teil der Fragen wurde positiv
102 DR. ANDRÉ LUHN beantwortet. Es wurde positiv bewertet, dass inhaltliche Überschneidungen bzw. Anknüpfungspunkte zwischen einzelnen Modulen bestehen (82,86 Prozent) und das die Fähigkeit gefördert wird, fächerübergreifend zu denken (77,14 Prozent). Hervorzuheben ist eine sehr hohe Zustimmung von 97,14 Prozent der Befragten in Bezug auf deren Eigenmotivation zum Studium. Auch die gebotene Möglichkeit des Studiums, eigenständig die Kursinhalte vor- und nachzubereiten, erhielt eine hohe Zustimmung (86,29 Prozent). Verbesserungspotenzial wird in der Verknüpfung der Inhalte und Kompetenzziele der Module gesehen (73,71 Prozente). Ein Themenkomplex mit fast durchgängig hoher Zustimmung, und somit eine Stärke des Studienganges, stellt das Lehrangebot dar. Hier zeigt sich, dass die angebotenen Lehrveranstaltungen der Erwartungshaltung der Befragten fast vollständig positiv entsprochen haben und diese mit einer hohen intrinsischen Motivation besucht werden. Vor allem die Verknüpfung zwischen den einzelnen Modulen stellt hier eine Stärke dar. Durch regelmäßige Wiederholung, gepaart mit hoher Motivation der Studierenden, ist dies der optimale Weg für die Speicherung von Wissen im Langzeitgedächtnis. Die Ergebnisse des Fragenschwerpunktes Studienund Prüfungsleistungen zeigten ein differenziertes Bild. Es ist eine hohe Zufriedenheit hinsichtlich der Schnelligkeit der Bewertung von Klausuren (82,86 Prozent) und der Nachvollziehbarkeit der Benotung von Leistungen (80 Prozent) zu erkennen. Mit jeweils gleicher prozentualer Zustimmung wird die Leistungserwartung für Studien- und Prüfungsleistungen als transparent wahrgenommen und, dass Prüfungsanforderungen in Niveau und Umfang angemessen sind (77,14 Prozent). Verbesserungspotenzial konnte aus der Frage hinsichtlich der Reflexion der eigenen Stärken und Schwächen, basierend auf Feedback zu Studien- und Prüfungsleistungen erkannt werden (73,14 Prozent). Ein Kritikpunkt von Seiten der Befragten ist, dass es
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 103 Uneinigkeit gibt hinsichtlich der häufigen Reproduktion von Wissen in Prüfungen (49,14 Prozent). Es zeigen sich zwei Schwerpunkte für eine weitere Entwicklung des Studiengangs. Durch eine dezidiertere Rückmeldung bzgl. der eigenen Stärken bzw. Verbesserungspotenziale könnte in der Klausurbeurteilung noch besser auf jeden einzelnen Studenten eingegangen werden, um somit eine Erhöhung der Zufriedenheit in diesem Punkt zu erreichen. Zum anderen wäre ein stärkerer Fokus auf die Anwendung von Wissen zu legen und damit eine weitergehende Reduktion von Reproduktion von Wissen zu erzielen. Dies könnte mit der Anwendung von Wissen auf reale und leichte Praxisbeispiele erreicht werden. Es könnten ebenfalls vermehrt Peer-Group-Berichte in Verbindung mit einer Hausarbeit und gleichzeitiger Reduktion der Klausuren durchgeführt werden. Der nächste Themenschwerpunkt enthält Fragen zum Kompetenzerwerb innerhalb des Studiengangs. In diesem Komplex zeigt sich ein differenziertes Bild. Auf der einen Seite wird der unterschiedliche Einsatz von Lehrmethoden zum Erwerb persönlicher Kompetenzen als positiv wahrgenommen (77,71 Prozent). Auf der anderen Seite wird die Beherrschung des eigenen Faches bzw. der eigenen Disziplin im Business Coaching bzw. Change Management durchweg als positiv bewertet (77,71 Prozent). Verbesserungspotenziale wurden hinsichtlich der Fähigkeit, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln (74,86 Prozent) sowie professionell mit herausfordernden Coaching- bzw. Change Management Fragestellungen umgehen zu können, (71,43 Prozent) aufgezeigt. Hinsichtlich der Vorbereitung auf eine mögliche Selbstständigkeit im Bereich Coaching oder Change Management wird dem Studiengang ein Raum für Verbesserung bescheinigt (52,57 Prozent). Die Ergebnisse lassen erkennen, dass die Studenten sich mit den erlernten Kompetenzen aus dem Studium größtenteils sicher fühlen für ihren späteren Praxiseinsatz. Gerade bei komplexen Situationen sehen sie Raum für
104 DR. ANDRÉ LUHN Verbesserung. Hier könnte durch eine erhöhte Anzahl von Methoden, welche sehr tiefergreifend behandelt werden, eine Erhöhung der Kompetenz in komplexen Situationen vermittelt werden. Die beschriebene Vorgehensweise wird bereits im Studiengang bspw. bei den Methoden Wunderleiter oder SORK angewandt. Eine Reduktion der Anzahl an Klausuren könnte durch den Einsatz von Praxisberichten, Peer-Group-Berichten mit Praxisarbeiten sowie Blockveranstaltungen, wie im Modul Interdisziplinarität, erreicht werden. Dies könnte auch dem Wunsch nach weniger Reproduktion von Wissen während Klausuren zu Gute kommen. Positiv ist den Rückmeldungen der Befragten anzumerken, dass ein Hauptziel des Studiengangs durch Mehrfachnennung erreicht wurde. Es wurde mehrfach zurückgemeldet, dass das aktive Zuhören und die Fähigkeit zur Selbstreflexion maßgeblich als Kompetenzen aufgebaut werden konnten. Im folgenden Fragenkomplex wurden Fragen hinsichtlich der Forschungsorientierung des Studienganges an die Befragten gestellt. Der Wissenschaftsbezug stellt einen wichtigen Punkt für die Studierenden generell dar (85,14 Prozent). Hier kann der Studiengang die Erwartungen der Befragten nur teilweise voll erfüllen. Die Befragten gaben ihre Zustimmung sowohl bei der Förderung der Anwendung wissenschaftlicher Methoden als auch bei der Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsergebnissen mit jeweils 72 Prozent an. Eine leicht erhöhte Zustimmung konnte bei der Fragestellung der Förderung von Fähigkeiten hinsichtlich der Übertragbarkeit von wissenschaftlichen Methoden auf die Praxis verzeichnet werden (73,14 Prozent). In der Zusammenfassung ist somit erkennbar, dass Verbesserungspotenzial hinsichtlich der Forschungsorientierung des Studienganges vorliegt. Da grundlegende Forschungsprojekte eher im rein universitären Umfeld zu finden sind, sollte über eine Intensivierung von Forschungsprojekten mit der Universität Bielefeld nachgedacht werden. Es könnten bspw. Masterarbeiten in Forschungsprojekten oder
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 105 bei Promotionsschriften Verwendung innerhalb des Studiengangs finden. Die Hochschule könnte sich für öffentliche Projektausschreibungen im Umfeld zur Erforschung von Coaching bzw. Change Management Fragestellungen beteiligen. Da nun ein klares Bild zur Forschungsorientierung des Studienganges vorliegt, soll eruiert werden, wie die Praxisorientierung wahrgenommen wird. Die Befragten werten die Berufsrelevanz und den Praxisbezug im Studiengang als sehr wichtig (98,29 Prozent). Positiv wird die Vernetzung des Studiengangs mit Vertretern der Berufspraxis wahrgenommen (85,14 Prozent). Zudem wird der Förderung der Fähigkeit theoretisches Wissen auf Praxisprobleme anzuwenden eine hohe Bedeutung beigemessen (83,43 Prozent). Ebenfalls positiv bewertet wird die spürbare authentische, motivierende Art der Mitarbeiter des Studienganges, welche dazu führte, sowohl die für das Studium notwendige Pflichtlektüre zu lesen als auch darüber hinaus weiterführende Literatur oder Seminare zu lesen bzw. zu besuchen (77,71 Prozent). Zu den Verbesserungspotenzialen zählt, die Wahrnehmung des Praxisbezugs zu erhöhen, was späteren Arbeitsmarkterfolg angeht (68 Prozent). Es zeigt sich bei dieser Fragestellung ein weiterer Wunsch von Seiten der Befragten für einen erhöhten Praxisbezug um den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt zu steigern. Es ist zu überlegen, ob der Ausbau der Nutzung von realen Fallstudien bzw. weiterer Übernahme von Themengebieten durch externe Experten zu empfehlen ist. Die aufgezeigten Handlungsempfehlungen spiegeln sich in den Freitextantworten der Befragten wider, welche mit jeweils zwei Nennungen mehr Praxisfälle und Projektarbeiten sowie eine noch höhere Anzahl externer Experten nannten. Im folgenden Themengebiet soll die Studierbarkeit des Studiengangs beleuchtet werden. Das erhobene Ergebnis zeigt, dass die Arbeitsbelastung je vergebenem Leistungspunkt in den verschiedenen Modulen als nicht miteinander vergleichbar wahrgenommen wird (61,14 Prozent). Eine
106 DR. ANDRÉ LUHN Handlungsempfehlung zu geben, ist schwierig, da die Erfolge in der Leistungserbringung durch die Befragten subjektiv sind. Eine Klausur kann für einen gewissen Anteil der Befragten einfacher sein als in einem Modul ein PeergroupReport und zusätzliche Projektarbeit. Im vorletzten Themenblock wurden Fragen zur Verbesserung von Studium und Lehre adressiert. In der Auswertung der Ergebnisse ist zu erkennen, dass in diesem Fragenkomplex die meisten Verbesserungspotenziale aufgezeigt werden können und die Zustimmungsquoten als schlecht zu bewerten sind. Handlungsbedarf besteht z.B. darin, dass die Ergebnisse der Lehrveranstaltungsevaluation als nicht transparent eingestuft werden (36,57 Prozent). In ähnlichen Zustimmungskorridoren bewegen sich die Rückmeldungen, dass nicht ausreichend über die Verwendung der Studienbeiträge informiert wird (37,14 Prozent) und dass Ergebnisse der Lehrveranstaltungsevaluation nicht hinlänglich mit den Studierenden besprochen werden (40,57 Prozent). Als weiteres Verbesserungspotenzial wurde eine größere Unterstützung durch die Hochschule bei der beruflichen Entwicklung gewünscht (53,71 Prozent). Eine Handlungsempfehlung ist, dass die Auswertung des jeweiligen Seminars nach der Evaluation den Teilnehmern zur Verfügung gestellt werden sollte. Dies ist möglich, da die Erhebung nach jedem Seminar stattfindet und der Regelkreis zwischen Erhebung, Auswertung und Kommunikation an die Studierenden geschlossen werden kann. Zur Verbesserung der Transparenz der Verwendung der Studienbeiträge, möchte der Autor dieser wissenschaftlichen Arbeit nur eine Empfehlung abgeben. Bezüglich dieses Kritikpunktes sollte in den entsprechenden Gremien getagt und die Entscheidung an die Studierenden kommuniziert werden. Anknüpfend an den ersten Verbesserungsvorschlag kann als Rückschau in den Präsenzseminaren eine Besprechung der Ergebnisse erfolgen. Auch wenn nicht immer die gleichen Teilnehmer an jedem Seminar
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 107 teilnehmen, gibt es aus der Erfahrung des Autors, eine starke Vernetzung der Studierenden untereinander, sodass die Ergebnisse durch die Teilnehmer über die sozialen Netzwerke geteilt werden können. Da als weiteres Verbesserungspotenzial eine größere Unterstützung durch die Hochschule bei der beruflichen Entwicklung gewünscht wurde, könnten Formate wie Online Job-Talks, Podcasts oder Webinare zum Thema berufliche Entwicklung angeboten werden. Abgerundet werden kann das Thema durch eine Plattform, in welcher sowohl Studierende als auch Alumni sich über entsprechende Themen austauschen können. Ein überaus positives Ergebnis lieferte die abschließende Fragestellung zur Gesamtzufriedenheit der Befragten im Hinblick auf das Studium. Mit 84,57 Prozent Zustimmungsquote ist das Ergebnis als gut zu bewerten und unterstreicht die hohe Qualität des Studienganges, welche durch die Befragten in Anbetracht dieses Ergebnis als gegeben angesehen werden darf.
Abbildung 3.1. Gesamteinschätzung des Studiums, Zusammenfassung der Ergebnisse (eigene Darstellung, 2021)
108 DR. ANDRÉ LUHN Die Ergebnisse sollen im Folgenden die Hauptschwerpunkte hinsichtlich Stärken und Verbesserungspotentialen des Studienganges aufzeigen. Die Ergebnisse zeigen, dass an fünf Verbesserungspotenzialen gearbeitet werden sollte, um eine signifikante Erhöhung der Zufriedenheit von Seiten der Befragten zu erreichen. Es sollte insbesondere im Bereich Verbesserung von Studium und Lehre die transparente Darstellung der Ergebnisse von Lehrveranstaltungsevaluationen sowie deren Durchsprache mit den Studierenden forciert werden. Durch eine transparente Darstellung sollte darüber informiert werden, wie die Studienbeiträge verwendet werden. Die bereits begonnenen Änderungen, als Leistungsnachweise nicht nur schriftliche Klausuren zu verwenden, sondern auch Projektarbeiten in Verbindung mit PeerGroup Übungen und Berichten sollte weiter ausgebaut werden, um die Anwendung von Wissen anstelle von reiner Wissensreproduktion zu priorisieren. Es sollte über die Aufnahme von Themenschwerpunkten zu einer möglichen Selbstständigkeit nach dem Studium bspw. in Form eines Gründerseminares weiterführendes Wissen im Studiengang vermittelt werden. Die fünf Fragen mit den jeweils geringsten Zustimmungswerten werden in der nächsten Abbildung aufgezeigt. Aus den Freitextantworten können weitere Verbesserungspotenziale aufgrund der Antworthäufigkeiten geschlossen werden. Es besteht der Wunsch, weiterführende methodische Hilfestellung zu statistischen Methoden und Erhebungsverfahren vor Anfertigung der Masterarbeit zu erhalten. Weiterhin wurde benannt, dass Präsenzseminare mit geringerem zeitlichem Abstand angeboten werden sollten. Prinzipiell sollte über eine variable Setzung der Präsenzseminare nachgedacht werden, anstatt Seminare als Vorleistung für nachfolgende Seminare vorzuschreiben. Um Verbesserungsmöglichkeiten basierend auf den Ergebnissen dieser statistischen Erhebung transparent darzustellen, soll die nachfolgende Tabelle mittels farblicher
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 109 Indikation und Nennung der Anzahl von Fragen mit Zustimmungsquote kleiner als 75 Prozent zeigen, wo Verbesserungspotenziale zu finden sind bzw. welche Fragenkomplexe bisher als Stärke angesehen werden. Es können bei insgesamt 16 Fragestellungen Verbesserungspotenziale aufgezeigt werden. Als Handlungsempfehlung schlägt der Autor dieser Arbeit vor, mit den Rückmeldungen aus dem Fragenkomplex Verbesserung von Studium und Lehre zu beginnen, da dort eine deutliche Rückmeldung über alle Fragestellungen hinsichtlich der Verbesserungspotenziale besteht. Nachfolgend sollte der Bereich Kompetenzerwerb und hiernach der Bereich Studien- und Prüfungsleistungen bearbeitet werden. Es ist trotz der vorhandenen Verbesserungspotenziale festzuhalten, dass bereits in den Fragenkomplexen Studienorganisation und Gesamteinschätzung des Studiums eine positive Rückmeldungsquote durch die Befragten ersichtlich ist. In diesen Bereichen liegt die Zustimmungsquote bei über 75 Prozent. Die Fragenkomplexe Struktureller Aufbau des Studiengangs, Lehrangebot und Praxisorientierung zeigen mit jeweils nur einer Fragestellung unterhalb von 75 Prozent Zustimmung bereits eine hohe Zufriedenheitswahrnehmung durch die Befragten. Abschließend soll auf das positive Ergebnis zur Gesamteinschätzung des Studiums hingewiesen werden. Dies zeigt, dass der Studiengang in seiner aktuellen Ausprägung bereits eine hohe anerkennende Wahrnehmung durch die Befragten genießt. Besonders positiv zu werten ist ebenfalls die inhaltliche Rückmeldung, welche nur wenig Verbesserungspotenzial in Bezug auf den Aus- oder Abbau von Themengebieten aufweist.
Das Angebot an Einführungsveranstaltungen für den Studiengang BCCM (nicht Fernstudium als solches) ist gut.
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0 1
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3
3
1. Angaben zur Person und Studienmotivation 2. Struktureller Aufbau des Studiengangs
3.Studienorganisation 4. Lehrangebot
5. Studien- und Prüfungsleistungen
6. Kompetenzerwerb
7. Forschungsorientierung
Inhalte und Kompetenzziele der Module bauen sinnvoll aufeinander auf. Das Feedback zu Studien- und Prüfungsleistungen hilft, eigene Stärken und Schwächen besser zu erkennen. Die Prüfungen verlangen häufig eine reine Reproduktion von Wissen. Fähigkeit, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln Mein Studiengang hat mich gut auf eine mögliche Selbstständigkeit im Bereich Coaching oder Change Management vorbereitet. Professionell mit herausforderndem Coaching bzw. Change Management Fragestellungen umgehen zu können. Die Fähigkeit, wissenschaftliche Methoden anzuwenden, wird gefördert.
Frage (n) mit Zustimmungsquote <75 Prozent nicht relevant
Anzahl Fragen mit Zustimmungsquote <75 Prozent nicht relevant
Fragenkomplex
∆
∆
∆
∆
∆
∆
∆ ∆
∆
nicht bewertbar
Bewertung
Tabelle 3.2. Gesamtübersicht Befragung zur Zufriedenheit im Studiengang BCCM (eigene Darstellung, 2021.)
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8. Praxisorientierung
9. Studierbarkeit
10. Verbesserung von Studium und Lehre
11.Gesamteinschätzung des Studiums
Die Fähigkeit, wissenschaftliche Methoden auf die Praxis zu beziehen, wird gefördert. Eine Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsergebnissen findet statt. Der Praxisbezug innerhalb des Studienganges wird meinen späteren Arbeitsmarkterfolg steigern bzw. hat meinen aktuellen Arbeitsmarkterfolg gesteigert. Die Arbeitsbelastung je vergebenem Leistungspunkt ist in den verschiedenen Modulen vergleichbar. Ich bin gut darüber informiert, wie die Studienbeiträge verwendet werden. Die Ergebnisse der Lehrveranstaltungsevaluation werden mit den Studierenden besprochen. Was mit den Ergebnissen der Lehrveranstaltungsevaluation erfolgt, ist für mich transparent. Hilft Ihnen Hochschule bei Ihrer beruflichen Entwicklung? ∆
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ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 111
112 DR. ANDRÉ LUHN
4. Zusammenfassung Die Untersuchung setzt sich maßgeblich mit Fragestellungen rund um die Rahmenbedingungen eines Fernstudiums mit Präsenzanteilen, spezifisch den Aufbau und der Zielsetzung des Studienganges Business Coaching und Change Management an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, Zielgruppen des Studienganges, der Bedeutung der Studienganges im Vergleich zu anderen Studiengängen oder Coachingsausbildungsmöglichkeiten auseinander. Nachfolgend fand eine theoretische Auseinandersetzung zu Fragestellungen im Themengebiet Evaluation statt. Hier sollten u.a. die Fragen beantwortet werden, wie die Studierenden und Absolventen das Studium wahrnehmen und welche Erfahrungen sie während des Studiums gemacht haben. Diese Untersuchung gibt zu diesen und weiteren Fragestellungen mittels einer empirischen Studie eine Antwort. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sollen einen Beitrag für die Weiterentwicklung des Studienganges leisten. Innerhalb dieses Kapitels soll auch die Forschungsfrage beantwortet werden: Wie stellt sich die Wahrnehmung und Bewertung der Studierenden an der Euro-Fh auf den Studiengang Business Coaching und Change Management dar? Zur Beantwortung fasste der Autor die Antworten der zehn Fragenkomplexe zusammen. Es wurden u.a. Antworten zum strukturellen Aufbau des Studiengangs, der Studienorganisation, der Praxisorientierung, Verbesserung von Studium und Lehre bis zur Gesamteinschätzung des Studiums aufgenommen. Es wurden Mittelwerte aus den jeweiligen Gesamtantworten für den Fragenkomplex gebildet. Basierend auf den Ergebnissen lässt sich festhalten, dass die Befragten in Summe in sechs Fragenkomplexen Zustimmungswerte von über 75 Prozent zurückgemeldet haben, was einem guten Ergebnis entspricht und durch den hohen Wert von 84,57 Prozent im Themenkomplex Gesamteinschätzung des Studiums maßgeblich unterstrichen wird.
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 113 Großes Verbesserungspotenzial konnte in den Fragenkomplexen Verbesserung von Studium und Lehre, sowie Studierbarkeit aufgezeigt werden. Weiteres Verbesserungspotenzial weisen die Fragenkomplexe Studien- und Prüfungsleistungen, sowie Kompetenzerwerb auf. Nachfolgende Abbildung visualisiert die Ergebnisse.
Abbildung 4.1. Gesamtergebnis der Befragung (eigene Darstellung, 2021)
Somit lässt sich die Forschungsfrage mit einer überwiegend positiven Wahrnehmung beantworten. Zudem sollen im Folgenden auch die acht Hypothesen im Hinblick auf ihre Verifizierung (V) bzw. Falsifizierung (F) überprüft werden. Hypothese 1 (H1) kann durch das Ergebnis der Frage 61 verifiziert werden. In Summe gaben 85,71 Prozent der Befragten an, dass Sie mit dem Studium zu je gleichen prozentualen Anteilen zufrieden bzw. sehr zufrieden sind. Hypothese 2 (H2) konnte durch die Frage fünf verifiziert werden. Die prozentuale Aufteilung zwischen den beiden Studienschwerpunkten zeigt, dass mit 65,71 Prozent
114 DR. ANDRÉ LUHN der Schwerpunkt Business Coaching gewählt wurde und mit 34,29 Prozent der Schwerpunkt Change Management. Hinsichtlich der Hypothese 3 (H3) und Hypothese 4 (H4) sollte überprüft werden, inwieweit sich der Studiengang an Berufstätige mit einem ersten akademischen Abschluss wendet. Durch das Ergebnis der Frage sieben konnte ermittelt werden, dass in Summe 91,43 Prozent aller Befragten über eine Berufserfahrung von fünf und mehr Jahren verfügen. Somit gilt H3 ebenfalls als verifiziert. Hypothese 4 (H4) kann ebenfalls durch das Ergebnis der Frage drei verifiziert werden, da 51,43 Prozent der Befragten über einen Bachelorabschluss verfügen. Hypothese 5 (H5) zielt auf die Einschätzung der späteren Arbeitsmarktchancen der Absolventen des Studienganges ab. H5 gilt als verifiziert, da die Ergebnisse der Frage elf eine überaus positive Einschätzung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktchancen mit in Summe 77,1 Prozent aller Antworten zeigen. Hypothese 6 (H6) sollte überprüfen, ob den Befragten die Berufsrelevanz und der Praxisbezug des Studiengangs wichtig ist. Hypothese 6 (H6) konnte durch die Frage 46 verifiziert werden, da 97,14 Prozent die Frage bejahten. Hypothese 7 (H7) kann durch das Ergebnis der Frage 53 verifiziert werden. In Summe gaben 74,29 Prozent der Befragten an, dass sie das Studium voraussichtlich in der Regelstudienzeit (24 Monate / 32 Monate) abschließen. Durch die Klärung der Hypothese 8 (H8) sollte überprüft werden, ob die Befragten an Weiterbildungsangeboten der Hochschule nach dem Studium interessiert sind. Durch die Frage 46 konnte Hypothese 8 (H8) verifiziert werden, da 88.57 Prozent die Frage bejahten. Hypothese 9 (H9) sollte überprüfen, inwieweit die Inhalte und die Vertiefungsrichtungen des Studiengangs durch die Befragten als gut wahrgenommen werden. Hierzu gab es keine konkrete Frage, welches dieses abfragten, jedoch über verschiedene Themenblöcke Fragen wie bspw. Frage 38: Folgende Kompetenzen und Fähigkeiten
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 115 werden in meinem Studiengang gefördert: Professionell mit herausfordernden Coaching bzw. Change Management Fragestellungen umgehen zu können oder Frage 21: Inhalte und Kompetenzziele der Module bauen sinnvoll aufeinander auf, welche mit ihren positiven Antworten dazu führen, dass der Autor (H9) als verifiziert erachtet. Insgesamt vermittelt die Befragung ein sehr positives Gesamtbild des Studiengangs. Dennoch sind Verbesserungspotenziale zu nennen, die sich aus Fragestellungen ergeben, deren Zustimmungsrate unter 75 Prozent liegt. Diese sind im Detail:
10. Verbesserung von Studium und Lehre: Was mit den Ergebnissen der Lehrveranstaltungsevaluation erfolgt, ist für mich transparent – 36.57 Prozent 10. Verbesserung von Studium und Lehre: Ich bin gut darüber informiert, wie die Studienbeiträge verwendet werden – 37.14 Prozent 10. Verbesserung von Studium und Lehre: Die Ergebnisse der Lehrveranstaltungsevaluation werden mit den Studierenden besprochen – 40.57 Prozent 5. Studien- und Prüfungsleistungen: Die Prüfungen verlangen häufig eine reine Reproduktion von Wissen – 49.14 Prozent 6. Kompetenzerwerb: Mein Studiengang hat mich gut auf eine mögliche Selbstständigkeit im Bereich Coaching oder Change Management vorbereitet – 52.57 Prozent 10. Verbesserung von Studium und Lehre: Hilft Ihnen die Hochschule bei Ihrer beruflichen Entwicklung? – 53.71 Prozent 9. Studierbarkeit: Die Arbeitsbelastung je vergebenem Leistungspunkt ist in den verschiedenen Modulen vergleichbar – 61.14 Prozent 8. Praxisorientierung: Der Praxisbezug innerhalb des Studienganges wird meinen späteren Arbeitsmarkterfolg steigern bzw. hat meinen aktuellen Arbeitsmarkterfolg gesteigert – 68.00 Prozent
116 DR. ANDRÉ LUHN
7. Forschungsorientierung: Die Fähigkeit, wissenschaftliche Methoden auf die Praxis zu beziehen, wird gefördert – 71.13 Prozent 6. Kompetenzerwerb: Professionell mit herausfordernden Coaching bzw. Change Management Fragestellungen umgehen zu können – 71.43 Prozent 7. Forschungsorientierung: Die Fähigkeit, wissenschaftliche Methoden anzuwenden, wird gefördert – 72.00 Prozent 7. Forschungsorientierung: Eine Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsergebnissen findet statt – 72.00 Prozent 2. Struktureller Aufbau des Studiengangs: Das Angebot an Einführungsveranstaltungen für den Studiengang BCCM (nicht Fernstudium als solches) ist gut – 72.57 Prozent 5. Studien- und Prüfungsleistungen: Das Feedback zu Studien- und Prüfungsleistungen hilft, eigene Stärken und Schwächen besser zu erkennen – 73.14 Prozent 4. Lehrangebot: Inhalte und Kompetenzziele der Module bauen sinnvoll aufeinander auf – 73.71 Prozent 6. Kompetenzerwerb: Fähigkeit, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln – 74.86 Prozent
Der Autor empfiehlt die sieben Fragestellungen mit einer Zustimmungsrate kleiner als 65 Prozent als dringenden Verbesserungsbedarf anzusehen und mit diesen zu beginnen. Abschließend soll ein Vergleich Absolventen des Studienganges Business Coaching und Change Management an der Euro-Fh und Teilnehmern einer Coachingsausbildung ohne Hochschulabschluss nach den Beweggründen für die jeweilige Ausbildung hergestellt werden. Unter den Absolventen des Hochschulstudiums wurden als Beweggründe für diese Art der Ausbildung, „die theoretische Orientierung, die Methodenausbildung und Projektarbeiten, Peergroups und Netzwerkarbeit, persönliche Entwicklung und
ZUFRIEDENHEIT MIT DEM COACHING STUDIUM 117 der Erwerb professioneller Kompetenzen“ (Graeßner & Strikker, 2012; S. 46.) genannt, während von Teilnehmern einer Ausbildung mit Zertifikat, die „in erster Linie nicht die Vertiefung von Wissen und die Aneignung bestimmter Methoden und Fertigkeiten erwarten, sondern vielmehr die Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Identität anstreben“ (Stippler & Möller, 2009; S. 84.) genannt wurde. Anmerkungen (1) Die EASC (European Association for Supervision and Coaching in Europe) ist ein europäischer Berufsverband, der sich die Qualitätssicherung bei Coaching und Supervision zum Ziel gesetzt hat. (2) Mittlerweile sind einige der Verbesserungspotenziale im Studiengang umgesetzt worden u.a. veränderte Inhalte bei den Prüfungen, Vorbereitung auf mögliche Selbstständigkeit, Arbeitsbelastung in den Modulen. Zudem ist bei der Reakkreditierung 2022 neben den beiden Wahlpflichtschwerpunkten Business Coaching und Change Management ein dritter Schwerpunkt mit dem Titel Nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft etabliert worden.
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Teil 2 Unternehmenskultur
Verfahren und Kennzahlen zur Messung von Unternehmenskultur – ein Forschungsstand Sabine van Almsick Es wird in dieser Arbeit der aktuelle Forschungsstand zum Thema „Messbarkeit von Unternehmenskultur“ wiedergegeben. Die ermittelten Messinstrumente werden nach Handhabbarkeit, Untersuchungsdesign, Erfassungsmethoden und Abdeckung der Ebenen des 3-Ebenen Modells nach Schein kategorisiert und bewertet. Zusätzlich werden Fallstricke bei der Messung von Unternehmenskultur benannt. Ein Fokus dieser Arbeit liegt in der Untersuchung der Aussagekraft der einzelnen Messverfahren, die nach qualitativen und quantitativen Erfassungsmethoden untergliedert werden. Der Einsatz von quantitativen Messmethoden ist sehr gut für eine Erstdiagnose geeignet. Um ein umfangreiches Bild einer Unternehmenskultur zu erhalten, sind wiederholte Messintervalle notwendig. Qualitative Messungen können die Ebenen der Grundprämissen und Artefakte erforschen und ergründen. This paper presents the current state of research on the topic of "measurability of corporate culture". The measurement instruments identified are categorised and evaluated according to their manageability, research design, recording methods and coverage of the levels of Schein's 3-level model. In addition, pitfalls in the measurement of corporate culture are named. One focus of this work is the investigation of the significance of the individual measurement methods, which are subdivided into qualitative and quantitative recording methods. The use of quantitative measurement methods is suited very well for an initial diagnosis. In order to obtain a comprehensive picture of a
123
124 SABINE VAN ALMSICK corporate culture, repeated measurement intervals are necessary. Qualitative measurements can explore and fathom the levels of basic premises and artefacts.
1. Einleitung Ein Veränderungsprozess in einem Unternehmen kann erfolgreich sein. Doch, was bedeutet eigentlich erfolgreich und wie wird der Erfolg eines Veränderungsprozesses gemessen? Welche Veränderungen sollen gemessen werden und welche Einheiten und Kennzahlen sollen hierfür die Basis liefern? Kennzahlen für den wirtschaftlichen Zustand eines Unternehmens gibt es viele. Dazu zählt beispielsweise der Umsatz, die Rendite, Anzahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und Umsatz pro Kopf, um nur wenige zu nennen. Welche Kennzahlen gibt es, um die kulturelle Beschaffenheit eines Unternehmens zu bestimmen? Was genau wird unter „kulturelle Beschaffenheit“ verstanden? Oder kurz formuliert: Wie kann Unternehmenskultur gemessen werden? Cameron und Quinn konstatieren, dass eine Messung von Unternehmenskultur immer wichtiger wird im Hinblick auf den Bedarf nach Veränderungen und Stabilität in einem zunehmend turbulentem und instabilem Umfeld. Insbesondere Personalentwickler, Geschäftsführer und alle, die sich mit Veränderungsprozessen beschäftigen, können von dem Ergebnis der Arbeit profitieren, da sie einen Überblick über die aktuellen Methoden und Kennzahlen erhalten. Diese Masterarbeit beschränkt sich auf Methoden und Kennzahlen, die ab dem Jahr 2000 veröffentlicht oder überarbeitet wurden. Detaillierte Ausführungen zu einer umfangreichen Auswahl an Methoden bis zum Jahr 2004 sind bei Sackmann (2007a) zu finden. Da es eine Vielzahl von Definitionen zum Thema Unternehmenskultur gibt, wird die Definition von Schein (1995) als Basis für diese Masterarbeit verwendet. […] Das darauf basierende 3-Ebenen Modell von Schein wurde für
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 125 die Kategorisierung der Messinstrumente gewählt, da es sehr gut darstellt, wie Unternehmenskultur gemessen werden kann. Demnach ist Unternehmenskultur Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird (Schein, 1995, S. 25).
Die Definition von Schein ist sehr weit gefasst. Die Messergebnisse und die eigentliche Messung von Unternehmenskultur kann die Themen Organisationsentwicklung, Corporate Social Responsibility und Human Resources betreffen, da die Ergebnisse weitere Entwicklungen und Veränderungen herbeiführen könnten. Auch die Einwilligung für eine Messung oder die Durchführung der Messung können bei Mitarbeitenden Angst oder Unsicherheit auslösen. Diese Themen sind damit sehr umfangreich. Unternehmenskultur findet sich schließlich in jeder Kommunikation, in allen Prozessen, allen Entscheidungen, Aussagen, Telefonaten etc. wieder. Unternehmenskultur zu ergründen, kann für Unternehmen, die Umstrukturierungen oder andere Veränderungen planen, von Vorteil sein. Ziel dieser Masterarbeit ist es, die aktuellen Kennzahlen zur Messung von Unternehmenskultur darzulegen, die Messverfahren zu kategorisieren und somit den aktuellen Forschungsstand zur Operationalisierbarkeit von Unternehmenskultur darzulegen. Dabei sollen unterschiedliche Verfahren untersucht, verglichen und hinsichtlich der Einsetzbarkeit in Unternehmen bewertet werden. Die Masterarbeit beantwortet die Frage, ob es ein Verfahren mit entsprechenden Kennzahlen gibt, auf Basis derer es ad hoc, möglichst objektive, nachvollziehbare und rekonstruierbare Aussagen zur Unternehmenskultur gibt. Als Ergebnis liefert diese Arbeit eine Übersicht über eine
126 SABINE VAN ALMSICK Auswahl aktuell existierender Messmethoden und Kennzahlen zur Operationalisierbarkeit von Unternehmenskultur. Diese Übersicht unterstützt die Findung eines Verfahrens und der damit verbundenen Kennzahlen für das eigene Unternehmen. Die Begriffe Organisationskultur und Unternehmenskultur werden in dieser Arbeite synonym verwendet, obschon „Organisationskultur streng genommen als Oberbegriff zu verstehen ist, der Wirtschafts-Unternehmen und Nonprofit-Organisationen gleichermaßen umfasst“ (Neubauer, 2003, S. 7).
2. Auswertung der Literaturrecherche Bei der Literaturrecherche haben sich elf Messinstrumente herauskristallisiert, die näher betrachtet werden. Die nachfolgende Liste ist alphabetisch sortiert.
AB: Audit Beteiligungskultur CA: Kulturassessment CTT: Cultural transformation tools CultureExcellence ECO: Echelles de Culture Organisationnelle FWCAF: Five Window Culture Assessment Framework GECS: German Ethical Culture Scale KUK: Kurzskala zur Erfassung der Unternehmenskultur Kulturmatcher OCA: Organizational Culture Assessment OCAI: Organizational Culture Assessment Instrument
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 127
3. Beobachtungen 3.1
Grundüberlegungen
3.1.1 Berücksichtigte Ebenen des 3-Ebenen-Modells nach Schein Die unterschiedlichen Messinstrumente zur Bestimmung einer Kultur oder einer Kulturkennzahl sollten sich auf die Ebene der Grundprämissen konzentrieren. Der Grund für diese Empfehlung wird von Schein (1995) deutlich gemacht. Wenn man die Vorgänge in der Tiefenschicht der als selbstverständlich aufgefaßten Prämissen nicht begreift, kann man auch die Bedeutung der oberflächlicheren Phänomene nicht entschlüsseln und sie unter Umständen sogar mißdeuten, weil man naturgemäß dazu neigt, die eigenen kulturellen Vorgaben auf die beobachteten Phänomene zu projizieren (Schein, 1995, S. 35).
Mit diesem Wissen wurden die Messinstrumente und Vorgehensweisen zusätzlich kategorisiert. Sackmann (2007a) und Ashkanasy et al. (2013) nehmen beispielsweise in die Erstellung eines Steckbriefs auf, welche Ebenen des 3-Ebenen Modells nach Schein von der Messmethode erfasst werden. Diese Idee wurde auch in die Steckbriefe der hier betrachteten Messinstrumente aufgenommen. Den Messinstrumenten wurden die abgedeckten Ebenen zugeordnet und daraufhin eine Auswertung in Form eines Schaubildes ( Abbildung 1) angefertigt. Alle Messinstrumente decken Ebene 2 „Werte und Normen“ des 3-Ebenen Modells von Schein ab. Sowohl die Ebene der Artefakte als auch die Ebene der Grundprämissen werden von FWCAF, AB, CA, CTT und CultureExcellence betrachtet. In Abbildung 1 werden alle Messinstrumente, den mit diesem Messinstrument abgedeckten Ebenen zugeordnet. Die Ebenen der Artefakte und der Grundprämissen sind schwer zu messen. Bei den Artefakten geht es um
128 SABINE VAN ALMSICK beobachtbare Phänomene. Über einen standardisierten Fragebogen lässt sich somit diese Ebene nicht abdecken. Damit entfallen die quantitativen Messmethoden für diese Ebene. „Die wichtigste Erkenntnis zu dieser Ebene der Kultur besteht darin, daß sie sich leicht beobachten, aber nur schwer entschlüsseln läßt“ (Schein, 1995, S. 30). Bei der Ebene der Grundprämissen ist es für die quantitativen Messinstrumente ebenfalls schwierig. Schein (1995) schlägt für die Erfassung der Grundprämissen vor, dass geprüft wird, ob alle Artefakte erklärt werden können oder ob Teile noch ungeklärt oder im Gegensatz zu formulierten Werten stehen (Schein, 1995, S. 138). Auch Delobbe et al. (2002) notieren, dass Artefakte und Grundprämissen typischerweise mit qualitativen Ansätzen eruiert werden und Normen und Werte über quantitative Instrumente erforscht werden: „Artifacts and basic assumptions have been typically studied using qualitative approaches. Values and behavioral patterns, this paper’s focus, have been measured using quantitative instruments“ (Delobbe et al., 2002). Das Verstehen der Artefakte setzt die Grundprämissen voraus. Die Voraussetzung für die Bestimmung der Grundprämissen setzt die Bestimmung der Artefakte voraus. Daraus kann gefolgert werden, dass quantitative Messinstrumente die Grundprämissen nicht eruieren können.
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 129 Abbildung 1
Ebenen-Einordnung mente
der
Messinstru-
Abbildung 2 stellt die Zuordnung der Messinstrumente zu den Erfassungsmethoden dar. Alle Messinstrumente, die alle Ebenen nach Schein (1995) abbilden, wie z.B. das FWCAF, das CA, das AB, die CTT und CultureExcellence, verwenden sowohl quantitative als auch qualitative Erfassungsmethoden.
130 SABINE VAN ALMSICK Abbildung 2 Zuordnung der Messinstrumente zu Erfassungsmethoden
Die Messinstrumente, die auch die Ebene der Grundprämissen (Ebene 3) oder Artefakte (Ebene 1) betrachtet haben, haben dazu qualitative Erfassungsmethoden gewählt. 3.1.2 Organisationsübergreifender Vergleich Ein Grund für eine Messung der Unternehmenskultur kann sein, sich mit anderen Unternehmen z.B. der gleichen Branche messen zu möchten. Manche Unternehmen hegen die Hoffnung zu erfahren, warum andere Unternehmen „erfolgreicher“ sind. Sie hoffen auf Antworten nach einer Analyse der eigenen Unternehmenskultur. Eine generelle Kritik an der Vergleichbarkeit von quantitativen Messungen zwischen zwei Unternehmen liefert Levin (2000, S. 84–85): Sie konstatiert, dass die Wahl einer quantitativen Erfassungsmethode zwar angeblich den Vorteil bringt, dass
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 131 diese dann organisationsübergreifende Vergleichswerte liefern, sie bezweifelt jedoch, dass eine Vergleichbarkeit zwischen zwei unterschiedlichen Organisationen möglich ist. Als Grund nennt sie, dass zwei Organisationen eventuell gleiche kulturelle Charakteristiken aufweisen, diese jedoch auf sehr unterschiedlichen Annahmen und Glaubenssätzen basieren. Ein Unternehmen, das als „kollaborativ“ charakterisiert wurde, kann sich sehr von einem anderen mit dieser Charakterisierung unterscheiden: in dem einen Unternehmen bedeutet „kollaborativ“ z.B., in der Öffentlichkeit herzlich und höflich zu sein und offenen Streit oder Konflikte zu vermeiden. Bei einem anderen Unternehmen zeigt sich eine kollaborative Charakteristik in Form von aggressiver Kritik, Infragestellung und Konfrontation von Ideen, unabhängig davon, wer sie vertritt. Im ersten Fall kann die Zusammenarbeit auf der Annahme beruhen, dass es wichtig ist, miteinander auszukommen, während sie im zweiten Fall als der Prozess betrachtet werden kann, durch den die besten Ideen entstehen. Levin schließt daraus, dass fragebogenbasierte Messungen einfach nicht sensibilisiert genug sind, um die feinen Unterschiede zu erkennen, wie sich unterschiedliche Kulturen mit gleichen Charakteristiken aber anderen Wertsystemen voneinander unterscheiden. “are simply not sensitive enough to differentiate the nuances of how different cultures my exhibit similar characteristics based on very different belief systems” (Levin, 2000, S. 85). Alle qualitativen Messinstrumente (AB, CA, CTT, CultureExcellence und FWCAF) sind ausschließlich auf das untersuchte Unternehmen fokussiert. Vergleiche mit anderen Unternehmen sind nicht möglich. Sackmann (2007a) begründet dies damit, dass sich „die Datenanalyse und Ergebnisbewertung an den Spezifika eines Unternehmens orientiert, „[...] ein Vergleich mit anderen Unternehmen [ist] wenig sinnvoll. Dafür werden detaillierte Informationen für einen sinnvollen und notwendigen Entwicklungsprozess geliefert.“ (Sackmann, 2007a, S. 162). Auch
132 SABINE VAN ALMSICK Baetge et al. (2007) konstatiert, dass sich „die empirische Forschung [...] auch konsequenterweise auf fallbezogene Verhaltensbeobachtungen [konzentriert]. [...] So gewonnene Ergebnisse lassen sich auf andere Unternehmen naturgemäß nicht übertragen“ (Baetge et al., 2007, S. 187). Quantitative Methoden hingegen sind direkt darauf ausgelegt, organisationsübergreifend eingesetzt zu werden. Die Fragebögen sind standardisiert. Meist liegen diese in einem digitalen Format vor und verfügen über Auswertungen in Form von Charts und Trendanalysen. 3.2. Handhabbarkeit der Messinstrumente 3.2.1 Dauer und Intervalle einer Kulturmessung Die Auswahl eines Messinstruments kann durch den Aufwand seiner Anwendung bestimmt sein. Umso wichtiger ist es, sich mit der Dauer einer Kulturmessung bzw. den Aufwand für das zu messende Unternehmen zu beschäftigen. Ein entscheidender Unterschied zwischen den qualitativen und quantitativen Messinstrumenten liegt in ihrer Handhabbarkeit. Tabelle 2
Anzahl der Fragen: Quantitative Messinstrumente
Messinstrument
Anzahl Fragen
CTT
80-100
ECO
229
GECS
37
Kulturmatcher
11
KUK
15
OCA
45
OCAI
24
Tabelle 2 stellt die quantitativen Messinstrumente und die Anzahl der zu bearbeitenden Items bzw. Fragen pro
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 133 Messdurchlauf dar. Die dargestellten, quantitativen Erfassungsmethoden basieren auf vordefinierten Kulturkomponenten. Die Fragestellungen werden bei der Konzeption des Instruments entwickelt und können für beliebig viele Abfragen genutzt werden. Ein quantitatives Erfassungsinstrument wird bei Bedarf oder nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst und steht dann wieder für beliebig viele Erfassungsläufe zur Verfügung. Bei den ausgewählten Messinstrumenten handelt es sich um branchenunabhängige Instrumente. Es gibt zudem keine Beschränkung bzgl. der Anzahl der Antwortgebenden. Dauer einer Kulturmessung Einige Erfassungsinstrumente können sogar ohne menschliches Zutun eingesetzt werden, da sie komplett digital verfügbar sind und auf Knopfdruck eine Auswertung liefern (Adler & Fares, 2020, 344 ff.) Besonderes Augenmerk bei den quantitativen Erfassungsmethoden liegt auf der Niedrigschwelligkeit der Umfrage (Cameron & Quinn, 2011, S. 96; Jöns et al., 2006, S. 9). So wird insbesondere darauf geachtet, dass die Bearbeitungszeit eines Fragebogens möglichst niedrig ist (Barrett, 2016, S. 100). Barrett (2016) gibt sogar an, dass die Beantwortung der ersten Fragebogensequenz zum Thema „Werte“ zwischen zehn und fünfzehn Minuten dauert (Barrett, 2016, S. 29). Bei den Messinstrumenten mit qualitativen Erfassungsmethoden sind keine konkreten Bearbeitungszahlen für die Erfassung angegeben. Dieser Prozess zur Messung der Unternehmenskultur umfasst Workshops, Beobachtungen, Interviews und weitere Analysen. Ein Ergebnis ist nicht auf Knopfdruck oder ad hoc zu erwarten. Die Messung von Unternehmenskultur wird im Rahmen der
134 SABINE VAN ALMSICK ausgewählten qualitativen Messinstrumente als Gesamtprozess betrachtet. Das OCAI ist zwar ein quantitatives Messinstrument, die beiden Autoren Cameron und Quinn (2011) empfehlen jedoch, dieses in einen Prozess einzubetten. Sie empfehlen und beschreiben einen neunstufigen Prozess für Veränderungsprozesse, der OCAI Messungen enthält. Die Autoren der anderen quantitativen Messinstrumente empfehlen dies nicht ausdrücklich. Den Zeitraum für einen Kulturwandel, der auf Basis eines um das Messinstrument OCAI gestalteten Prozesses stattfinden kann, quantifizieren Cameron und Quinn (2011) mit mehreren Jahren. Zusätzlich geben sie zu bedenken, dass der Prozess kein gesichertes Ende hat und erneute Schleifen durchaus eingeplant werden sollten: „[...] managers should interpret these tools and this process as a foundation for culture change but not assume that the job is completed by reaching the final step on our nine-step list. Plan on a multiyear effort, and plan on returning to these steps more than once in the process” (Cameron & Quinn, 2011, S. 163). Messintervalle Damit Entwicklungen beobachtet und wahrgenommen werden können, sind mehrere Messungen notwendig. Ein Vergleich der Messungen ist nur dann sinnvoll, wenn die Messung unter möglichst gleichen Voraussetzungen stattfinden kann. Da sich die Dauer einer Messung zwischen quantitativen und qualitativen Messmethoden sehr stark unterscheidet, wirkt sich dieser Umstand auch auf die Häufigkeit und den Abstand zwischen zwei Messungen aus. Quantitative Messverfahren können damit wesentlich häufiger Ergebnisse zu Vergleichszwecken liefern als qualitative Messungen. So ist eine Entwicklung bzw. Veränderung schnell und kostengünstig möglich. Quantitative Erfassungsmethoden sind dafür geeignet, Abweichungen oder Fehlentwicklungen rechtzeitig zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen. In Veränderungsprozessen ist es also ratsam,
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 135 sich beider Methoden zu bedienen. Über qualitative Messungen kann ein tiefes Verständnis der Organisationskultur erlangt werden. Über quantitative Messungen sind gewollte oder ungewollte Abweichungen schnell erkannt und können dadurch bestätigt werden. Auch Sackmann (2007a) rät aus diesen Gründen für das Kulturassessment an, dieses in einer weniger ausgeprägten dafür aber fokussierten Form regelmäßig durchzuführen (Sackmann, 2007a, S. 39). 3.2.2 Auswahlkriterien für ein Projektteam In diesem Abschnitt wird die notwendige Personalwahl für einen Veränderungsprozess, z.B. eine strategische Neupositionierung, mit qualitativen Messinstrumenten betrachtet. Allen qualitativen Messmethoden geht einher, dass sie nicht nur die Messung als solches betrachten. Die Messinstrumente sind daher eher als Audits zu titulieren, die eine Ist-Analyse, ein Soll-Konzept, einen Maßnahmenkatalog und eine Reihe weiterer Prozessschritte enthalten können. In Abbildung 3 wird ein solcher Prozess exemplarisch dargestellt. Nicht nur der zeitliche Aufwand für die Befragten und die Bedienung von fragebogenbasierten Tools ist entscheidend für die Auswahl eines Messinstruments, sondern auch, welches Personal und welche Beratung für die Umsetzung notwendig sind. Sofern ein quantitatives Messwerkzeug eingesetzt wird, ist dies mit geringem Aufwand zu bewerkstelligen. Die Messinstrumente sind i.d.R. bereits mehrfach eingesetzt worden, so dass beispielsweise die Entwicklung von neuen Auswertungen nicht mehr notwendig ist. Die Gruppe, die an der Messung teilnehmen soll, wird ausgewählt, die Zugänge freigeschaltet und die Messung durchgeführt. Der Aufwand für die eigentliche Messung ist damit überschaubar. Tabelle 2 kann entnommen werden, mit wie vielen Fragen pro Person und Messung pro Messinstrument gerechnet werden kann. Eine externe Beratung ist für den eigentlichen Einsatz der Messinstrumente nicht notwendig.
136 SABINE VAN ALMSICK Die Auswahl des Instruments und die Auswertung sowie die Maßnahmen, die sich aus den Ergebnissen ergeben, sollte jedoch durch zusätzliche Beratung begleitet werden. Bei einem qualitativen Messwerkzeug ist der Aufwand wesentlich höher. Das Projektteam wird zusammengestellt, Workshops finden statt, um Kulturdimensionen zu fixieren, Tools und Methoden werden ausgearbeitet usw. Baitsch und Nagel (2014, S. 282) empfehlen, systemfremde Beobachter für die Aufnahme der charakteristischen, kulturellen Elemente einzuplanen. Externe kennen die kulturellen Regeln und Muster nicht und verstoßen damit zwangsläufig gegen diese. Über diesen Weg sind Muster und Regeln identifizierbar. Beim Audit Beteiligungskultur wird nicht explizit empfohlen, mit externen Beratenden oder Prozessbegleitenden zu arbeiten. Es wurde jedoch für die Testläufe des AB der Interviews ausschließlich mit externen Projektmitarbeitenden der Universität Rostock gearbeitet (Martins, 2007, S. 59). Zusätzlich verweist Martins (2007) bei der Erfassung der Artefakte darauf, dass diese für den „Außenstehenden, in diesem Falle den Forscher, durchaus erkennbar und sichtbar [sind]“ (Martins, 2007, S. 54). Herget (2020) konstatiert, dass die Anwendung der CultureExcellence Methode sowohl von externen Beratern oder Beraterinnen wie auch internen Mitarbeitenden begleitet und unterstützt werden kann, da es sich um einen Methoden-Mix handelt. Zum Methoden-Mix gehören quantitative und qualitative Verfahren. Qualitative Verfahren zur Identifikation von gruppenspezifischen Mustern durch Gruppendiskussionen werden bei komplexen Situationen eingesetzt. Für diesen Fall rät Herget (2020) mit externen Beratern zusammen zu arbeiten, da diese über das entsprechende, methodische Vorgehen und Wissen verfügen (Herget, 2020, S. 77). Für die Culture Transformation Tools (CTT) existieren spezielle Fortbildungen für Berater/Beraterinnen, um dieses Tools erlernen und anwenden zu können. Die für
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 137 eine Organisation verantwortlichen Change Agents innerhalb einer Institution sind danach in der Lage einen Kulturwandel zu begleiten (Barrett, 2016, S. 99). Als Voraussetzungen für Gutachter und Gutachterinnen des FWCAF nennt Levin (2000, S. 92), dass die Person über mehrere Eigenschaften verfügen sollte. Auditoren und Auditorinnen sollten über eine scharfsinnige Beobachtungsgabe verfügen, kompetente Interviewer sein und Gruppen ideenreich moderieren können. “[...] the assessor needs to be a keen observer in organizational live, a skilled interviewer, and a resourceful group facilitator.” Das Kulturassessment setzt auf eine induktive Vorgehensweise. Sackmann (2017) konstatiert, dass die „Datenerfassung und Datenanalyse von den Voreingenommenheiten und Unvollkommenheiten des Untersuchenden mit beeinflusst [werden]“ (Sackmann, 2017, S. 213). Zur Lösung dieser Problematik empfiehlt Sackmann (2017, S. 213) , externe Personen mit der Datenerhebung zu beauftragen. Auch Schein (1995) äußert sich zur Wahl des Personals für die Identifikation der Grundprämissen. Er empfiehlt die Hilfe Außenstehender, um die unausgesprochenen Prämissen zu identifizieren und zu verstehen. Er rät dazu, dass diese Prozessbegleitung so wenig wie möglich eingreift oder gar sich selbst als „Experte für die Kultur einer bestimmten Gruppe betrachte[t]“ (Schein, 1995, S. 133). Wahl der zu Befragenden Martins (2007) empfiehlt für das Audit Beteiligungskultur (AB), verschiedene Personenkreise im Unternehmen zu befragen, um ein „möglichst reales Abbild der kulturell relevanten Phänomene im Unternehmen zu erhalten“ (Martins, 2007, S. 59). Dazu zählt er Führungskräfte, Personaler, Betriebsratsmitglieder und Mitarbeiter. Bei CultureExcellence wird empfohlen, die Workshops mit „einem repräsentativ zusammengesetzten Teilnehmerkreis“ (Herget & Mader, 2018, S. 202)
138 SABINE VAN ALMSICK durchzuführen. CultureExcellence enthält auch beispielsweise eine quantitative Erfassungsmethode – die Auditbögen. Diese können entweder in Form von Workshop-Leitfäden oder als Fragebögen für den Selbstbericht genutzt werden (Herget & Mader, 2018, S. 201). Zusätzlich empfehlen Herget und Mader (2018, S. 203) „eine Basiserhebung bei allen Mitarbeitern bzw. einem größeren Teilnehmerkreis anonym durchzuführen, um möglicherweise im persönlichen Austausch nicht geäußerte Bewertungen einzufangen“. Sackmann (2017, S. 211) konstatiert, dass Unternehmenskultur ein kollektives Phänomen ist. Es ist ungeeignet davon auszugehen, dass eine Einzelaussage der Meinung einer Gruppe entspricht oder sich gar für Aussagen über die Unternehmenskultur qualifiziert. Für die Analyse einer Abteilung im Rahmen eines Kulturassessment schlägt sie eine Vollerhebung vor. Für die Analyse eines Unternehmens hält sie eine Repräsentativerhebung über alle Hierarchie-Ebenen (vertikal) und über alle Abteilungen, Sparten und Divisionen (horizontal) für notwendig. Über diese Erhebung können ihrer Meinung nach Subkulturen und deren Facetten aufgespürt werden (Sackmann, 2017, S. 211). Für Barrett (2016) ist ein wesentlicher Schritt für eine hohe Aussagekraft der gesammelten Daten, dass typische demographische Daten im Rahmen einer CTT-Messung abgefragt werden. Dazu zählt er die Stellung in der Hierarchie, Bereichszugehörigkeit, Standort, Geschlecht, Alter, Volkszugehörigkeit, Betriebszugehörigkeit usw. Je mehr Gruppierungen abgefragt werden, desto aussagekräftiger wird das Ergebnis (Barrett, 2016, S. 107). 3.3
Aussagekraft der Messinstrumente
Nach einer Messung sollte feststehen, dass das Mess-Ergebnis Werte liefert, mit denen weitere Maßnahmen bestimmt werden können. Welche Aussagekraft haben die Ergebnisse der Messung von Unternehmenskultur mit den unterschiedlichen
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 139 Erfassungsmethoden und Untersuchungsdesigns? Wie können die Ergebnisse interpretiert werden und wann ist welches Messinstrument geeignet? In diesem Unterkapitel werden die Messinstrumente auf einer inhaltlichen Ebene betrachtet. Dafür werden zu Beginn des Kapitels die Themen, die ein Messinstrument abdeckt, betrachtet. Im Anschluss daran wird untersucht, ob und in welchem Kontext eine Erfassungsmethode eingesetzt wird. Dabei wird näher darauf eingegangen, ob die Messung Bestandteil eines Gesamtprozesses ist, oder das untersuchte Messinstrument einen Gesamtprozess darstellt. Abbildung 3 Beispielablauf für eine qualitative Messmethode
Bei Abbildung 3 handelt es sich um einen exemplarischen Ablauf einer qualitativen Messung. Die qualitativen Messinstrumente AB, CA, CultureExcellence, CTT und FWCAF stellen nicht nur eine Messung in Form einer Abfrage dar, sondern einen ganzen Prozess. Der Start eines Messprozesses ist z.B. das Festlegen des Zwecks der Messung – es soll also bestimmt werden, warum die Unternehmenskultur gemessen werden soll. Danach werden Messinstrumente evaluiert oder sie sind aufgrund der Wahl z.B. bei CTT bereits definiert. Es können demzufolge also ein
140 SABINE VAN ALMSICK oder mehrere qualitative oder quantitative Messinstrumente ausgewählt werden, welche besonders gut geeignet erscheinen, den Messprozess zu unterstützen und Daten zu liefern. Nach der Evaluation folgt die Festlegung des MessSettings. Darunter wird verstanden, welches Team befragt werden soll. Eine Rolle können dabei Abteilungen, Altersgruppen, Geschlechter usw. spielen – also mögliche Subkulturen. Nun folgt die eigentliche Messung. Dieser Teilprozess besteht wiederum aus einzelnen Schritten. Nach der Messung wird das Gemessene einer Beobachtung unterzogen, um zu prüfen, ob die Messergebnisse mit den Beobachtungen übereinstimmen. Alle Beobachtungen werden notiert und im Anschluss analysiert. Eventuell erfolgt eine Korrektur der Messparameter, Fragebögen, der Team-Auswahl etc. und der Teilprozess beginnt von vorne. Sofern die Messung einen Zustand erreicht, in dem keine Korrekturen mehr notwendig sind oder genügend Daten vorliegen, geht der Prozess in eine Maßnahmenphase über. 3.3.1 Unternehmenskultur als Sammlung von Teilaspekten Reigle (2001) merkt an, dass sich Organisationskultur-Erfassungsinstrumente auf ein Kulturelement oder eine Organisations-Charakteristik beschränken. Damit stellt sie fest, dass die von ihr betrachteten Messinstrumente nicht alle Kulturelemente messen. „Existing organizational culture measurement tools measure one element of culture or certain organizational characteristics. However, they are not based on all culture elements as defined in engineering management literature” (Reigle, 2001, S. 3). Auch Beile und Martins (2009) konstatieren, dass die von ihnen untersuchten Kulturerfassungsmethoden nur bestimmte Themenfelder erfassen. Diese Themenfelder richten sich nach inhaltlicher Ausrichtung, Zielgruppe oder Zweck des Verfahrens. (Beile & Martins, 2009, S. 47). In der nachfolgenden Tabelle sind die Themenfelder der untersuchten Messinstrumente aufgeführt. Auch hier
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 141 ist erkennbar, dass die Erfassung von Unternehmenskultur als Ganzes von keinem Instrument dargestellt wird. Qualitative Ansätze versuchen über eine induktive Vorgehensweise möglichst viele Kulturkomponenten abzudecken, wohingegen quantitative Ansätze mit einem vordefinierten Komponenten-Set die Messung realisieren. Tabelle 3
Auflistung Messinstrument und Messgegenstand
Kurzbezeichnung
Was wird gemessen?
CTT
Erfassung unterschiedlicher Bewusstseinsebenen eines Unternehmens auf Basis eines Cultural Values Assessment
OCAI
Erfassung wahrgenommener Werthaltungen in Organisationen
FWCAF
Bewertungsrahmen und Ansatz, der kulturelle Informationen aufzudecken und zu entschlüsseln versucht
ECO
Erfassung interorganisatorische Unterschiede und Akkulturationsprozesse
OCA
Messung von Organisationskultur mit einer organischen und mechanistischen Betrachtungsweise
CA
Stärken und Schwächen Analyse vor Change Projekten mit zielgerichteten Maßnahmen.
KUK
Messung von Strategie, Struktur und Interaktion in Zusammenhang mit Fusionen und Akquisitionen Ergänzende Komponenten: Arbeitszufriedenheit, die Selbstverpflichtung (Commitment) oder das Stressempfinden von Mitarbeitenden
AE
Erfassung der Mitarbeiter-Beteiligung eines Unternehmens
CultureExcellence
Analyse der gegenwärtigen Unternehmenskultur und der gewünschten Unternehmenskultur
GECS
Betrachtung des ethischen Umfelds einer Organisation im deutschsprachigen Raum
Kulturmatcher
Selbsteinschätzung Kulturwunsch und Feststellung der im Unternehmen vorhandenen Kultur(en) -> Fokus Personalbeschaffung / Bewerbungsprozesse
[…]
142 SABINE VAN ALMSICK Abbildung 4 Unternehmenskultur Multigraph
als
gewichteter
Abbildung 4 stellt Unternehmenskultur abstrakt dar. Die Knotenpunkte mit den Ziffern 1-7 entsprechen Komponenten einer Unternehmenskultur. Das kann z.B. Strategie, Mitarbeiterbeteiligung etc. sein. Die Komponenten sind unterschiedlich groß visualisiert, da sie pro Unternehmen, eine andere Bedeutung und damit Gewichtung haben können. Die einzelnen Knoten sind über Kanten mit anderen Knoten verbunden. Dies soll die Abhängigkeit bzw. gegenseitige Beeinflussung symbolisieren. Interessant ist dabei, dass z.B. die Abhängigkeiten zwischen zwei Knoten pro Richtung unterschiedlich sein können. Im oben dargestellten Beispiel sind die Komponenten 3 und 7 über zwei Kanten miteinander verbunden. Angenommen, die Komponente 7 stellt die Mitarbeiterbeteiligung dar und Komponente 3 stellt den Unternehmenserfolg dar. Die verbindende Kante von dem Unternehmenserfolg zur Mitarbeiterbeteiligung würde bedeuten, dass sich der Unternehmenserfolg nur mit einer Gewichtung von 4 auf die Mitarbeiterbeteiligung auswirkt. Die andere Richtung von Mitarbeiterbeteiligung zu Unternehmenserfolg hingegen bedeutet, dass es eine Gewichtung von 8 (also doppelt so hoch wie
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 143 4) gibt und damit die Mitarbeiterbeteiligung einen doppelt so hohen Einfluss auf den Unternehmenserfolg ausübt. Es handelt sich hierbei um ein theoretisches Modell, d.h. ein konkretes Messinstrument zur Operationalisierung der Beeinflussung könnte Teil einer anderen wissenschaftlichen Arbeit sein. Bei Unternehmenskultur handelt es sich um ein latentes, mehrdimensionales und sich gegenseitig beeinflussendes und damit multifaktorielles Phänomen. Jede Komponente z.B. die Komponente 7 (Mitarbeiterbeteiligung) kann weiter differenziert werden. In Abbildung 5 ist diese Differenzierung dargestellt. Komponente 7a könnte beispielsweise der „Einsatz der Beteiligung“ sein und Komponente 7b könnte der „Träger der Beteiligung“ sein. Diese Visualisierung veranschaulicht, wie komplex eine Unternehmenskultur sein kann. Sie ist pro Unternehmen individuell. Vernachlässigt werden im Zuge der Übersichtlichkeit, dass es zusätzliche Kanten von Untergruppierungen z.B. von 7d zu einer Komponente 2 geben könnte. Abbildung 5 Untergruppierungen einer Kulturkomponente
144 SABINE VAN ALMSICK 3.3.2 Kulturmessung als Bestandteil eines Gesamtprozesses Qualitative Ansätze (Abbildung 2) zielen auf Erkenntnisse für weitere Prozessschritte ab. Die Messung ist dabei ein Teil der Gesamtarbeit. Der Gesamtprozess enthält beispielsweise bei den qualitativen Messinstrumenten eine IST-Analyse (qualitativ), Workshops und die dedizierte Abstimmung von Maßnahmen auf Basis der Ergebnisse. Bei allen qualitativen Instrumenten steht nicht die eigentliche Messung, z.B. mit einem quantitativen Tool, im Vordergrund, sondern alle Prozessschritte. Die Messung dient den Zielen:
den Zweck oder die Problemstellung zu fixieren den aktuellen Zustand auf Basis der Problemstellung festzuhalten Maßnahmen zu eruieren den Fortschritt zu messen
Mit der qualitativen Messmethode „Kulturassessment“ können laut Sackmann „Unstimmigkeiten, Widersprüche, Subkulturen und Kulturdynamiken“ (Sackmann, 2007a, S. 137) aufgedeckt werden. Dem gegenüber stehen die quantitativen Messinstrumente. Diese sind fragebogenbasiert. Sie unterscheiden sich in den Dimensionen und den darin enthaltenen Items. Instrumente, die einen Zusammenhang zwischen Kulturkomponenten und wirtschaftlichen Komponenten herstellen, wie z.B. zwischen Erfolg und Unternehmenskultur oder Mitarbeiterpassung und Unternehmenskultur, haben darauf spezialisierte Komponenten verwendet. Andere Komponenten werden außer Acht gelassen. In Abbildung 6 werden die Messinstrumente in zwei Gruppen unterteilt. Bei der einen Gruppe handelt es sich um Messinstrumente, die entweder einen Audit-Charakter (Prozessorientierung) haben oder aber die Empfehlung der Herausgeber/die Herausgeberin ist, dass diese Tools nur in Verbindung mit einem Gesamtprozesses genutzt werden
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 145 sollten. Die Instrumente mit einer Prozessorientierung werden im Folgenden kurz erläutert. Eine Empfehlung von Cameron und Quinn (2011) für die Verwendung des OCAI lautet, dass dieses Messinstrument als Teil eines „Organizational Culture Change“ Prozesses betrachtet werden kann. Sie schlagen dafür einen aus neun Schritten bestehenden Prozess vor (Cameron & Quinn, 2011, 102 ff.). Beile und Martins (2009) beschreiben einen fünfstufigen Ablauf für das „Audit Beteiligungskultur“. Dieser Ablauf enthält eine Ist-Analyse, Workshops, eine Beurteilungskonferenz und Nachzertifizierungen. Das Audit ist so angelegt, dass nicht nur die Beteiligungskultur gemessen wird, sondern zusätzlich Maßnahmen entwickelt werden, mit deren Hilfe die angestrebten und eruierten Ziele erreicht werden sollen (Beile & Martins, 2009, 57 ff.). Der CultureExcellence (Herget, 2020, 48 ff.) Prozess ist sechsstufig und beginnt mit einer IST-Analyse, bei der in der ersten Phase die relevanten Kultur-Faktoren identifiziert werden (Modell-Entwicklung), die sich für den Erfolg des Unternehmens abzeichnen. Im Anschluss an die Modell-Entwicklung folgt das Audit-Konzept mit der Diagnose und Priorisierung, dann das Reifegrad-Modell mit der Auswertung der Potenziale, die Strategie-Entwicklung, die Methodenselektion als Aktions- und Detailplanung und in der letzten Phase die Implementierung und Prozessbegleitung. Der Prozess wird von den Autoren als Management-Instrument zur Gestaltung der Unternehmenskultur bezeichnet. Die Culture Transformation Tools (CTT) sind ebenfalls Teil eines Gesamtprozesses. Barrett (2016) beschreibt, dass der Start einer Befragung aus drei Aufgaben besteht, die die Anpassung der Werte-Vorlagen an die Gegebenheiten der Organisation, die Festlegung Altersgruppen der zu Befragenden und die Auswahl der Sprachen, in der die Befragung durchgeführt werden soll (Barrett, 2016, S. 106).
146 SABINE VAN ALMSICK Das Kulturassessment (CA) umfasst eine Ist-Analyse der bestehenden Kultur, eine Bestimmung der SollKultur und den Vergleich der Ist- und der Soll-Kultur mit den Stärken und Schwächen der vorhandenen Unternehmenskultur. Dieser Vergleich soll auf notwendige Entwicklungen und eine eventuell strategische Neupositionierung hinweisen. Für die Bestandsaufnahme der Ist-Kultur und die Bestimmung der Sollkultur sind Interviews, Workshops, Beobachtungen, Dokumentenanalysen und informelle Gespräche vorgesehen (Sackmann, 2007a, 36 ff.). Das Five Windows Culture Assessment Framework (FWCAF) ist als Gesamtprozess konzipiert. Den Kulturmessenden werden für jedes der fünf Themenbereiche für die Messung Instrumente vorgeschlagen. Dazu zählen z.B. Tiefeninterviews mit Leitfragen, Brainstorming Sessions, Storytelling, Datensammlung und Interpretation, Beobachtungen aufnehmen und interpretieren, sowie Motive eruieren. Der gesamte Prozess hat zum Ziel, aufzudecken, welche Kulturausprägungen es gibt, wie sie funktionieren und welchen Nutzen sie haben. Das FWCAF kann z.B. im Rahmen eines Due Diligence Prozesses angewendet werden. Eine andere Anwendung ist beispielsweise, herauszufinden, welche Kulturkomponenten unterstützend oder hinderlich für die Erreichung von definierten Zielen sind. Das FWCAF ist nicht nur dafür geeignet, einen Veränderungsprozess vorzubereiten, sondern ist als solches bereits ein mächtiges Interventionstool (Levin, 2000, 83 ff.). Die Tools, die in die Kategorie „Wertorientierung“ in Abbildung 6 einsortiert wurden, sind Tools, die standardisiert und für einen bestimmten Zweck eingesetzt werden können, jedoch nicht per Definition in einen Prozess eingebettet sind.
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 147 Abbildung 6 Übersicht Messinstrumente: Wertorientierung, Prozessorientierung
3.4. Bewertung der Ergebnisqualität 3.4.1 Umgang mit Ergebnissen aus quantitativen Messmethoden Wird eine quantitative Messung vorgenommen, so handelt es sich bei den Ergebnissen stets um Momentaufnahmen. Häufiges Wiederholen lässt Trends und Veränderungen erkennen, die analysiert werden können. Eine kritische Betrachtung der Ergebnisse ist angeraten: Quantitative Messinstrumente sind frei von Einflüssen des Organisationsumfeldes und der Bedeutung für das Unternehmen. Für das eine Unternehmen sind eine konservative Haltung und ausgeprägte Hierarchien sehr wichtig und identitätsbildend. Für ein anderes Unternehmen sind andere Werte von viel größerer Bedeutung. Die Abhängigkeiten zwischen Kulturkomponenten ist unternehmensspezifisch. Ebenso die Anzahl der Kulturkomponenten mit ihren Ausprägungen. Zusätzlich ist
148 SABINE VAN ALMSICK unbekannt, welche Kulturkomponenten und -ausprägungen generell existieren. Es handelt sich also um ein schwer zu handhabendes diffuses Gebilde („Wolke“), welches pro Organisation unterschiedlich ist. Zusätzlich ist es nicht statisch, sondern dynamisch. Neue Komponenten und Vernetzungen können entstehen und alte entfallen oder werden irrelevant. Diese diffuse „Kultur-Wolke“ bildet die Basis aller betrachteter Verfahren. Zusätzlich sind die Messinstrumente in ihren Fragestellungen nicht eindeutig, da Sprache und Formulierungen kulturabhängig sind. Konkret heißt dies, dass über Sprache versucht wird, Kultur zu erfassen, die sich wiederum in Sprache manifestiert. Zusätzlich wird das gesamte Umfeld bzw. die Situation, in der sich ein Unternehmen befindet, nicht betrachtet und fließt nicht in die Auswertung ein. Das Ziel, objektive Werte zu erreichen, um Unternehmenskultur zu messen, ist schwer zu erreichen. Fragen und Antwortmöglichkeiten, die einer subjektiven Interpretation des Antwortenden unterliegen, können nur dann „interpretationsfrei“ beantwortet werden, wenn sich Fragender und Antwortender über die Bedeutung der Fragen und Antwortmöglichkeiten einig sind. Dies ist nicht sichergestellt, da diese Tools ohne zusätzlichen Abgleich der Sprachkongruenz eingesetzt werden. Quantitative Messmethoden liefern keine Aussage, welche Subkultur bei der Beantwortung der Fragen gedanklich vorherrschte. So kann ein Selbstbericht mit der Betrachtung der Gesamtorganisation anders ausfallen als ein Selbstbericht, der im Hinblick auf die eigenen Abteilung erstellt wurde. Zusätzlich ist nicht sicherzustellen, dass die Antworten den Wunschzustand oder den IST-Zustand darstellen. Werden die Datenerfassungstools bei vielen Menschen und häufig eingesetzt, so ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass aus vielen subjektiven Wahrnehmungen eine objektive resultieren kann.
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 149 3.4.2 Umgang mit Ergebnissen aus qualitativen Messmethoden Diese Messungen sind personell, finanziell und zeitlich aufwendiger als vorkonfigurierte, fragebogenbasierte Messmethoden. Sie erheben keinen Anspruch darauf, dass die Messungen dazu dienen könnten, als Vergleich zwischen Unternehmen zu fungieren. Die Ergebnisse einer solchen Erhebung sind auf das untersuchte Unternehmen zugeschnitten. Sie bestehen nicht nur aus Kulturkomponenten, die gemessen wurden. Zusätzlich wird bei diesen Instrumenten der Wunsch- bzw. Zielzustand eruiert. Auch eine Stärken- und SchwächenAnalyse sowie ein Maßnahmenplan, um die zuvor gesetzten Ziele zu erreichen, gehören vielfach zum Lieferumfang einer solchen Erhebung. Zu diesen Erfassungsinstrumenten gehören das Audit Beteiligungskultur, das Kulturassessment, CultureExcellence, Culture Transformation Tools und das Five Window Culture Assessment Framework. Qualitative Messinstrumente haben im Vergleich zu quantitativen Erfassungsmethoden die Möglichkeit, eine zusätzliche Bestätigung der Ergebnisse zu erwirken, indem „Gesagtes“ und „Gelebtes“ miteinander vergleichen wird. Für das Kulturassessment gibt Sackmann (2017) die nachfolgende Empfehlung: Bei der Erfassung der charakteristischen, kulturellen Elemente ist darauf zu achten, dass nicht nur „die grundlegenden Überzeugungen tatsächlich auch gelebt werden, [sondern auch] bei der Erfassung und Analyse ein Abgleich von verbalen Äußerungen mit gelebtem Verhalten [erfolgt]“ (Sackmann, 2017, S. 211). 3.5
Sprache, Subkulturen und Interventionen
3.5.1 Die Bedeutung der Sprache in Messverfahren Die Sprache innerhalb eines Unternehmens ist nach Schein (1995) eine Manifestation der Organisationskultur. Sprache befindet sich innerhalb seines 3-Ebenen Modells auf
150 SABINE VAN ALMSICK der Ebene 1, die er „Artefakte“ nennt (Schein, 1995, 30 ff.). Auch Sackmann (2017) misst Sprache für die Organisationskultur eine Bedeutung zu: „Sprache beeinflusst die Wahrnehmung und das Verständnis von Ereignissen und Situationen. Eine Veränderung der Wortwahl verändert die dahinterliegende Bedeutung [...]“ (Sackmann, 2017, S. 48). Wie können dann Antworten auf Fragen innerhalb eines Fragebogens gegeben und im Anschluss verglichen werden? An einem Beispiel lässt sich diese Problematik gut erörtern. Im KUK-Fragebogen wird eine Einschätzung auf die folgende Aussage gefordert: „Das Unternehmen hat eine hohe/niedrige Leistungsorientierung“ (Jöns et al., 2006, S. 6)
Bei einer fragebogenbasierten Umfrage bleibt es dem Antwortenden selbst überlassen, aus den eigenen Erfahrungen den Begriff „Leistungsorientierung“ zu definieren. So bleibt dem Antwortenden nur der Vergleich mit vorherigen Arbeitgebern oder der Vergleich mit Erzählungen innerhalb des Bekanntenkreises, um eine Einschätzung vornehmen zu können. Dies kann sehr unterschiedlich sein, sodass sich die Frage stellt, ob der Vergleich von zwei Antworten unterschiedlicher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Unternehmens eine Aussagekraft hat. Kennt der Antwortende ausschließlich Unternehmen, bei denen Überstunden und Wochenendarbeiten üblich sind, fällt die Antwort anders aus als bei einem Antwortenden, der diese Erfahrung noch nicht gemacht hat. In späteren Fragen könnte dabei noch zusätzlich herauskommen, dass genau diese Leistungsorientierung hervorragend für neue Ideen ist. Oder aber genau das Gegenteil, dass die Leistungsorientierung für Blockaden bei dem Antwortenden sorgt und ein Arbeiten so nicht funktioniert (Levin, 2000, S. 84–85) Qualitative Messmethoden haben andere Möglichkeiten, mit Fragen umzugehen. In Interviews beispielsweise
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 151 können Begrifflichkeiten erklärt oder Antworten hinterfragt werden. Die Antworten können durch Beobachtung bestätigt oder negiert werden. Eine intensive Beschäftigung mit unterschiedlichen Kulturaspekten kann neue Kulturaspekte aufdecken oder andere Aspekte verdichten. Ein Interview stellt eine soziale Interaktion dar. Diese Interaktion ist nicht reproduzierbar, d.h. sie wird beispielsweise an einem anderen Tag, andere Ergebnisse liefern. Die Tagesform der Interviewpartner/Interviewpartnerinnen und die Geschehnisse vor dem Interview wirken sich auf dessen Ergebnis aus. Hat beispielsweise der Antwortende zuvor ein negatives Erlebnis mit seinem Vorgesetzten gehabt, könnten Einschätzungen z.B. zum Arbeitsklima anders bewertet werden, als wenn ein positives Erlebnis mit seinem Vorgesetzen vorausgegangen ist. Zusätzlich können Sympathie und das Gesprächsklima die Ergebnisse verfälschen. Durch eine umfangreiche Analyse der Interviews und die Sammlung von vielen Daten, die die Unternehmenskultur beschreiben könnten, kann ein umfangreiches und umfassendes Bild der Unternehmenskultur mit qualitativen Erfassungsmethoden gezeichnet werden. 3.5.2 Umgang mit Subkulturen Großgruppen untergliedern sich in der Regel in Kleingruppen. Beobachten kann man dies z.B. bei Unternehmen, die wachsen oder sich restrukturieren (Differenzierung). Sie bilden Abteilungen und Bereiche aus. Jede dieser Untergruppen erzeugt wiederum Subkulturen (Schein, 1995, S. 27). Subkulturen entstehen aus der Differenzierung von Unternehmen. Dazu zählen beispielsweise Differenzierungen „nach Funktionen, nach regionalen Gesichtspunkten, nach Produkten, Märkten und Technologien, nach hierarchischen Ebenen, nach Geschäftsbereichen, nach Kooperationsvereinbarungen mit anderen Unternehmen oder nach
152 SABINE VAN ALMSICK der Opposition zu anderen Gruppen“ (Schein, 1995, S. 223) Nun stellt sich die Frage, ob diese Subkulturen eine gemeinsame Kultur vereint. Schein (1995) stellt fest, dass trotz der Subkulturen „man in Unternehmen auf gemeinsame Prämissen [trifft], die in Krisenfällen oder angesichts eines gemeinsamen Gegners zum Tragen kommen“ (Schein, 1995, S. 27). Sofern sich aus dieser Differenzierung eine stabile Gruppe bildet, die eigene Erfahrungen sammelt, wird diese Gruppe laut Schein (1995, S. 223) eigene Prämissen entwickeln. Diese Prämissen existieren damit parallel zu den Prämissen des Gesamtunternehmens. Welche der betrachteten Erfassungsmethoden sind nun generell geeignet, Subkulturen zu erkennen? Alle betrachteten Erfassungsmethoden mit einer Prozessorientierung, sind dazu geeignet (Abbildung 6). Qualitative Methoden sind geeignet, Subkulturen zu identifizieren und die Analyse daraufhin anzupassen. Quantitative Methoden hingegen erfassen diese Subkulturen nur dann, wenn es sichtbare Abweichungen in den Ergebnissen z.B. zwischen Abteilungen geben sollte. In Kapitel 3.2.2 wird auf die Wichtigkeit der Auswahl des Projektteams und der zu Befragenden eingegangen und die Bedeutung für die Identifikation von Subkulturen erörtert.
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 153 Abbildung 7 Subkulturen eines Unternehmens
Ähnlich wie bei den Komponenten einer Kultur können die Kulturen und Subkulturen über einen gewichteten Multigraphen dargestellt werden. Jeder Knotenpunkt S stellt dabei eine Subkultur dar. Die Dominanz und Präsenz einer Subkultur wird in der Grafik in Form von unterschiedlichen Größen der Kreise (S1 bis S5) dargestellt. Ob eine Beziehung zwischen Subkulturen existiert, wird über die Kanten – also die Verbindungsstrecken zwischen den Knoten visualisiert. Die Stärke der Beziehung – in manchen Fällen eventuell auch Abhängigkeiten – wird über die Zahl an der Kante symbolisiert. Auch hier kann die Beziehung von beispielsweise einer Subkultur S1 zur Subkultur S2 anders gewichtet sein als die Beziehung von Subkultur S2 zu Subkultur S1. Wenn nun die Ebene der Kulturdimensionen, die Ebene der Subkulturen und die Ebene der Unterkomponenten in ein Diagramm zusammengeführt werden, ist mit den wenigen Elementen und Ausschnitten der Beispiele aus den Abbildungen Abbildung 4, Abbildung 5 und Abbildung 7 die Komplexität zur Bestimmung von Unternehmenskultur(en) offensichtlich.
154 SABINE VAN ALMSICK Homma et al. (2014) beschreiben den Umgang und das Verständnis von Unternehmenskultur am Beispiel der unterschiedlichen Kulturen einer Marketing- und einer Produktionsabteilung. Das Selbstverständnis einer Marketingabteilung könnte sich in Kreativität und Spontanität ausdrücken. Während eine Produktionsabteilung eher auf das „penible Einhalten bestehender Arbeitsvorschriften“ Wert legt. Beide Subkulturen haben ihre Existenzberechtigung im Rahmen ihres Aufgabengebiets. Nichtsdestotrotz, kann dies zu erheblichen Konflikten, Missverständnisse und Reibereien in der Zusammenarbeit zwischen den Kulturen führen (Homma et al., 2014, S. 44). Eine weitere Empfehlung für das Kulturassessment gibt Sackmann (2017). Sofern eine Kulturanalyse ein gesamtes Unternehmen umfasst, soll ihrer Meinung nach eine Repräsentativerhebung durchgeführt werden. Der Umfang dieser Erhebung ist sowohl horizontal als auch vertikal über alle Abteilungen und Hierarchieebenen hinweg vorzunehmen. Auf diese Weise können mögliche Subkulturen mit den jeweiligen Werten und Prämissen lokalisiert werden (Sackmann, 2017, S. 211). Für die Planung von Befragungen – ob quantitativ oder qualitativ – sei darauf hingewiesen, dass bei beiden Erfassungsmethoden, eine Sensibilisierung bzgl. der Existenz von Subkulturen stattfinden sollte. Diagrammformen wie z.B. Multigraphen können bei der Visualisierung von Abhängigkeiten helfen. Bei Betrachtung eines Projektes, welches sich mit Veränderungsprozessen beschäftigt konstatiert Schein (1995), dass „der Aufbau eines schlagkräftigen Unternehmens [...] letzten Endes eine Frage der richtigen Verknüpfung von Subkulturen, die die Entwicklung gemeinsamer Ziele, einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamer Ansätze zur Lösung von Problemen begünstigt [ist]“ (Schein, 1995, S. 223–224).
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 155 3.5.3 Interventionen – Auswirkungen einer Kulturerfassung Jedes der Messinstrumente stellt in einem mehr oder weniger großen Umfang eine Intervention dar. Insbesondere bei den qualitativen Messmethoden werden Interviews und Workshops durchgeführt, die sich intensiv mit den eigenen Werthaltungen und Prämissen beschäftigen. Sofern ausschließlich ein Fragebogen für eine sporadische Erhebung von Mitarbeitenden ausgefüllt wird, ist davon auszugehen, dass die Intervention gering ausfällt. Je mehr und je intensiver eine Gruppe das Thema Unternehmenskultur bearbeitet, desto stärker wirkt die Intervention. Die Anwendung durch interne oder externe Berater in Projekten mit Organisationsmitgliedern verändert gleichzeitig die Wahrnehmung, Erwartungen und Qualifikation der Projektteilnehmer und führt unmittelbar zur Beeinflussung der Unternehmenskultur im Unternehmensalltag. (Herget & Mader, 2018, S. 200)
Levin (2000) merkt hierzu an, dass allein das Beschäftigen mit der eigenen Unternehmenskultur, Einfluss ausübt und als Intervention verstanden werden kann: „This form of assessment not only sets the stage for preparing a cultural agenda, but serves as a powerful intervention itself. Organization members come to know their culture and its influence on them“ (Levin, 2000, S. 92). Wimmer et al. (2014) konstatiert, dass die Erarbeitung der zu messenden Kulturdimensionen bereits eine Intervention ist. Die Auswirkungen können dabei bereits Konflikte auslösen und mit der derzeitigen Organisationskultur inkongruent sein. Daher rät er, das Team für die Ausarbeitung der zu betrachtenden Kulturdimensionen sorgfältig auszuwählen und sensibilisiert dafür zu sein, dass dieser Prozess eine Intervention ist. Er macht darauf aufmerksam, dass es ein großer Unterschied ist, ob der Auswahlprozess der Kulturdimensionen „unter Beteiligung der Organisationsmitglieder (und hier noch: mit welchen?) geschieht oder die Durchführung exklusiv an sogenannte Experten delegiert wird“ (Wimmer et al., 2014, S. 283).
156 SABINE VAN ALMSICK 3.6
Zusammenfassung
Die Recherche hat gezeigt, dass es unterschiedliche Kulturauffassungen und Ansätze zur Messung von Unternehmenskultur gibt. Alle ausgewählten Messinstrumente haben sich an der Kulturdefinition von Schein orientiert. Die Messinstrumente unterscheiden sich insbesondere in der Art ihrer Datenerfassungsmethode, die sich in quantitative, qualitative oder einer Mischung aus beiden unterscheiden lassen. Die Ebene der Artefakte wird kaum gemessen, da diese wohl eher als Manifestationsschicht verstanden wird, ebenso wie die Ebene der Grundprämissen, die ausschließlich von qualitativen Messmethoden erfasst wird. Die Ebene der Werte und Normen hingegen wird von allen Instrumenten erfasst. Nach Neubauer (2003) besteht durch die Reduktion auf eine endliche Menge Dimensionen erst die „Möglichkeit der Messbarkeit der Variablen [...] und der Möglichkeit einer Anwendung statistischer Verfahren zur Überprüfung der Zusammenhänge oder Unterschieden“ (Neubauer, 2003, S. 21–22) Ein Vergleich von Ergebnissen zwischen den Unternehmen ist nur bei quantitativen Methoden möglich. Qualitative Ansätze weisen Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit und Replizierbarkeit der Untersuchungen auf. Die quantitativen Messungen betrachten ein zuvor definiertes Spektrum an Kulturdimensionen, so dass nur Elemente erfasst werden, die aller Voraussicht nach im Zusammenhang mit der entsprechenden Kulturdimension stehen. Qualitative Messungen werden von den Autoren als Teil eines Gesamtprozesses betrachtet, der bei Bedarf auch quantitative Messmethoden enthalten kann. Somit ist der zeitliche und personelle Aufwand je nach Erfassungsmethode sehr unterschiedlich. Zu Beginn einer Messung ist die Klärung des Zwecks der Messung sinnvoll, um das geeignete Messinstrument zu evaluieren, Messintervalle abzustecken und einen
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 157 Gesamtprozess zu entwerfen. Zusätzlich ist bei der Wahl der zu Befragenden darauf zu achten, dass sich in Unternehmen Subkulturen bilden können. Eine Auswertungsmöglichkeit nach Subkulturen – sofern diese bekannt sind – kann interessante Aufschlüsse geben. Die Messung von Unternehmenskultur ist zwar möglich, die Ergebnisse eröffnen jedoch Interpretationsspielraum, da sowohl die Sprache als auch das befragte Team Einfluss auf das Ergebnis haben können. Dass Subkulturen existieren können, darf dabei nicht vernachlässigt werden. Je mehr Messungen vorgenommen werden und je größer die Anzahl der Befragten eines Unternehmens ist, desto repräsentativer ist das Ergebnis. Alle Maßnahmen, die zur Messung von Unternehmenskultur realisiert werden, können bereits als Intervention verstanden werden.
4. Fazit Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, die folgenden Fragestellungen zu beantworten und Hilfestellungen zu liefern:
Welche aktuellen Kennzahlen zur Messung von Unternehmenskultur gibt es und wie können Messinstrumente kategorisiert werden? Wie können diese Messverfahren verglichen und im Unternehmen eingesetzt werden? Gibt es ein Verfahren, auf Basis deren es ad hoc, möglichst objektive, nachvollziehbare und rekonstruierbare Aussagen zur Unternehmenskultur gibt. Lieferung einer Übersicht über eine Auswahl aktuell existierender Messmethoden und Kennzahlen zur Operationalisierbarkeit von Unternehmenskultur. Diese Übersicht unterstützt die Findung eines Verfahrens und der damit verbundenen Kennzahlen für das eigene Unternehmen.
Während des Verfassens der Arbeit hat sich herausgestellt, dass die Bezeichnung für die Kennzahlen, die eine
158 SABINE VAN ALMSICK Unternehmenskultur beschreiben, eher Dimensionen, Kulturelemente oder Kulturkomponenten namentlich verwendet werden. Mit diesen Begrifflichkeiten im Hinterkopf, kann erkannt werden, welche Dimensionen (Kennzahlen) für die jeweiligen Messinstrumente erfasst werden. Die Messverfahren wurden unterschiedlich kategorisiert. Zu den Kategorien gehören z.B. die Erfassungsmethode, das Untersuchungsdesign, das Kulturverständnis, die betrachteten Dimensionen, die organisationsübergreifende Vergleichbarkeit und die betrachteten Ebenen auf Basis des 3-Ebenen Modells nach Schein (1995). Eine Beschreibung des Messverfahrens sowie dessen Einsatzzweck hilft der Leserschaft, ein geeignetes Messinstrument für das eigene Unternehmen auszuwählen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Messthema als solches sensibilisiert für den Umgang mit den Ergebnissen. Zusätzlich helfen ergänzende Informationen, die Intention für eine Messung zu hinterfragen und Messinstrumente bedacht einzusetzen. Anhand der Beobachtungen und der Auseinandersetzung mit dem Thema „Messung von Unternehmenskultur“ gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob es ein Verfahren gibt, mit dem ad hoc, möglichst objektiv, nachvollziehbar und rekonstruierbare Aussagen zur Unternehmenskultur gemacht werden können. Dies liegt insbesondere an den vielfältigen Begriffsdefinitionen zu Unternehmenskultur und dem unpräzise formulierten Begriff „Aussagen“ in der Fragestellung. Viele genannte, quantitativen Messmethoden können zügig implementiert werden oder existieren bereits browserbasiert. Die Ergebnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht valide, objektiv und rekonstruierbar. Die Frage ist nun, was mit den Ergebnissen angefangen werden kann und ob diese zweckdienlich sind. Das Kapitel 0 „Handhabbarkeit der Messinstrumente“ gibt Aufschluss über die mögliche Komplexität für den Einsatz einer Messmethode. Der Aufwand für den Einsatz eines quantitativen Messinstruments ist wesentlich niedriger als bei
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 159 quantitativen Messergebnissen; die Aussagekraft jedoch ebenfalls. Wie nun mit den Ergebnissen aus den beiden Erfassungsmethoden umgegangen werden kann und worauf zu achten ist, helfen der Leserschaft noch zusätzlich. Der Umgang mit Sprache und der Umgang mit Subkulturen werden als Aufgabestellungen für einen Messprozess adressiert. Organisationskultur kann mit diesen Ausführungen als mehrdimensionales, multifaktorielles, latentes Phänomen betrachtet werden. Wie können nun Kulturveränderungen im Rahmen eines Veränderungsprojektes realisiert werden? Ein direktes Einwirken auf die Unternehmenskultur mit konkreten Zielen, im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs, ist nicht realisierbar. Damit ist Kultur nicht über Stellhebel veränderbar. Diese Vorstellung hat sich laut Baitsch und Nagel (2014) in der Wissenschaft und auch im Großteil der Praxis der Unternehmensführung etabliert. „Die Annahme, gezielt und mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit auf die Kultur von Unternehmen einwirken zu können, ist nach vielfältiger Enttäuschung weitherum als illusionär erkannt (als sogenannte Steuerungsillusion)“ (Baitsch & Nagel, 2014, S. 271). Warum sollte Unternehmenskultur dennoch gemessen werden? Es besteht die Möglichkeit, dass anhand von Messungen, der Effekt von Veränderungsmaßnahmen abgelesen werden kann. Auch extrinsische Veränderungen wie sie z.B. während der Corona Pandemie in den Jahren 2019-2022 auf Unternehmen einwirkten, können damit genauer betrachtet werden. Kultur-Fehlleitungen werden unter Umständen damit erkannt, so dass ggfs. rechtzeitig gegengesteuert werden kann. Organisationskultur bietet eine wichtige Informationsquelle, um Verhalten in Organisationen verstehen und
160 SABINE VAN ALMSICK untersuchen zu können. Unternehmenskultur kann sich sowohl positiv als auch negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken. Es gibt Organisationen, die erfolgreicher sind als andere. Diese Organisationen können als Vergleich herangezogen werden, um die eigene Kultur zu erfassen und ggfs. zu überdenken (Weinert, 2015, S. 657). Homma et al. (2014, S. 17) formuliert, dass Unternehmen an ihre Leistungsgrenzen stoßen, wenn sie nicht erkennen, welche Kulturfaktoren für Veränderungen herangezogen werden können. Sie würden darüber ihren Wettbewerbsvorteil verlieren. Aspekte der Unternehmenskultur zu identifizieren, die veränderungsbedürftig für Leistungssteigerungen sind, ist für die schnelle Anpassung auf Anforderungen der Umwelt notwendig. Einige der untersuchten Messinstrumente beschäftigen sich mit der Passung von Mitarbeitern und Organisationskultur (Kulturmatcher), sowie mit der Beteiligungskultur in Unternehmen. Weinert (2015, S. 657) äußert, dass eine interessante und passende Kultur anziehend auf Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen wirken kann. Dies kann dazu führen, dass für das Unternehmen besseres Personal und bessere Führungskräfte rekrutiert und dauerhaft beschäftigt werden können. Das Verstehen von subkulturellen, dynamischen Prozessen innerhalb des Unternehmens, kann mit dem Wissen um Subkulturen effizienter angegangen werden. Probleme, die zuvor als Kommunikationsprobleme oder TeamworkProbleme betrachtet wurden, können nun beispielsweise als „Störung der interkulturellen Kommunikation“ bearbeitet werden (Schein, 1995, S. 10). Eine gute Nachricht ist, dass weiterhin an quantitativen Instrumenten geforscht und entwickelt wird, die nicht nur auf bestimmte Themenbereiche wie z.B. Mitarbeiterpassungen, Beteiligungskultur, Innovationskultur usw. spezialisiert sind, sondern auch neue technische Hilfsmittel verwenden.
MESSUNG VON UNTERNEHMENSKULTUR 161 Beispielsweise werden browserbasierte Werkzeuge entwickelt, die mit häufigen (wöchentlich, monatlich, quartalsweise) Kurzumfragen einen Mitarbeiter-Trend zu zuvor definierten Themen liefern. Die Fragestellungen sind dabei stets dieselben. Diese Umfragen nennen sich „Pulse Checks“. Andere Unternehmen erstellen Videoaufnahmen von Bewerbern und untersuchen diese mittels eines KI-Programms. Darüber soll die Passung von Bewerbern geprüft werden. Weitere Tools beschäftigen sich mit der automatischen Analyse von Texten, um Stimmungen in den Texten zu extrahieren. Dieses Verfahren wird „Sediment Analyse“ bezeichnet. Mittels neuer technischer Verfahren könnten die quantitativen Erfassungsmethoden qualitative Erfassungsmethode zunehmend unterstützen und damit die jeweiligen Nachteile reduzieren und die Vorteile ausbauen und ergänzen. Literaturverzeichnis Adler, Lisa J.; Fares, Yasmin (2020): Messung von Unternehmenskultur. In: Klaus P. Stulle (Hg.): Digitalisierung der Management-Diagnostik. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 331–349. Ashkanasy, Neal M.; Wilderom, Celeste; Peterson, Mark F. (Hg.) (2013): The handbook of organizational culture and climate. 2nd edition (Online-Ausg.). Thousand Oaks: Sage. Online verfügbar unter http://sk.sagepub.com/reference/handbook -of-organizational-culture-and-climate. Baetge, Jörg; Schewe, Gerhard; Schulz, Roland; Solmecke, Henrik (2007): Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg: Stand der empirischen Forschung und Konsequenzen für die Entwicklung eines Messkonzeptes. In: Journal für Betriebswirtschaft 57 (3-4), S. 183–219. DOI: 10.1007/s11301-0070027-x.
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Erwartungen von Millennials an Unternehmenskultur Jessica Meyer Die vorliegende Ausarbeitung untersucht die Erwartungen von im Gesundheitssektor tätigen Millennials an Unternehmenskultur. Millennials machen aktuell einen großen Anteil der Arbeitnehmer in Deutschland aus und für sie ist die Unternehmenskultur ein wesentlicher Aspekt bei der Arbeitgeberwahl. Basis der Untersuchung ist das 3-Ebenen Modell der Unternehmenskultur nach Schein. Der Fokus liegt hierbei auf den Erwartungen an Artefakte sowie an gewählte Überzeugungen und Werte von Unternehmen. Diese wurden mit teilstandardisierten Leitfadeninterviews untersucht. Im Rahmen der Untersuchung wurde deutlich, dass sich der Großteil der Erwartungen auf die Menschen im Unternehmen bezieht, insbesondere auf Führungskräfte. Eine bedeutende Rolle kommt außerdem den äußeren Rahmenbedingungen zu, besonders der Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort. This paper examines the expectations of Millennials working in the healthcare sector with regard to corporate culture. Millennials currently make up a large proportion of employees in Germany, and for them, corporate culture is a key aspect in their choice of employer. The study is based on Schein's 3-level model of corporate culture. The focus here is on the expectations of artifacts as well as chosen beliefs and values of companies. These were investigated using partially standardized guided interviews. In the course of the investigation, it became clear that the majority of expectations relate to the people in the company, especially to managers. The external framework conditions also play a significant role, especially flexibility in terms of working hours and location. 167
168 JESSICA MEYER
1. Einleitung Unternehmen sehen sich derzeit mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Sie sind darauf angewiesen, sich auf verschiedene Megatrends und ihre Auswirkungen einzustellen, um am Markt bestehen zu können. Hierzu gehören u.a. die Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung. Insbesondere im Gesundheitswesen spielt darüber hinaus der Fachkräftemangel eine bedeutende Rolle (BMAS, 2017, S. 53). Dies macht Millennials, d.h. die zwischen 1980 und 1995 geborenen Arbeitnehmer (Schein, 2018, S. XXI), zu einer wichtigen Zielgruppe von Arbeitgebern, da sie zurzeit rund ein Drittel der Arbeitnehmer ausmachen (Lutermann, 2019, S.72; Nink, 2018, S. 277). Es wird zunehmend wichtiger, sich mit den Erwartungen dieser Generation auseinander zu setzen, um sie gewinnen und auch an das Unternehmen binden zu können. Für Millennials sind eine „positive Unternehmenskultur und transparente Unternehmenskommunikation […] wesentliche Einflussfaktoren bei der Wahl eines Arbeitgebers […] ebenso wie der Vorgesetzte“ (Ruthus 2014, S. 23), sodass der Gestaltung der Unternehmenskultur eine große Bedeutung zukommt. Firmen müssen daher geeignete Strategien entwickeln, um für potenzielle Mitarbeitende durch eine positiv wahrgenommene Unternehmenskultur attraktiv zu sein (Ewinger, Ternès, Koerbel & Towers, 2016, S. 16). Hier besteht insbesondere im Gesundheitswesen Entwicklungsbedarf (Heiß, 2019a), für den die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten möchte. Die Datenerhebung erfolgt im Rahmen einer qualitativen Untersuchung mittels problemzentrierter Interviews orientiert an Mayring (Mayring, 2016, S. 67 ff.). Diese Arbeit bezieht sich auf die Definition der Unternehmenskultur nach Edgar Schein, einem Vorreiter in Bezug auf die Unternehmenskultur, der als Mitbegründer der Organisationskultur und -psychologie gilt. Er versteht unter Unternehmenskultur
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 169 [a] pattern of basic assumptions – invented, discovered, or developed by a given group as it learns to cope with its problems of external adaption and internal integration – that has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems. (Schein, 1985, S. 9)
Das von Edgar Schein entwickelte Modell der Unternehmenskultur wurde als Basis für diese Untersuchung ausgewählt, weil es eines der am meisten beachteten Modelle in diesem Feld ist und vielen danach entstandenen Modellen als Orientierung diente (Herget & Strobl, 2018, S. 14). Schein (2018) beschreibt drei Ebenen, auf denen Unternehmenskultur analysiert werden kann: 1. Artefakte (Gebäude, sicht- und beobachtbare Strukturen, Prozesse, Verhaltensweisen) 2. Überzeugungen und Werte 3. Grundlegende Annahmen.
2. Aktueller Forschungsstand und existierende Literatur 2.1
Generation Y
Zu den häufig zitierten Studien gehört die Shell-Jugendstudie, bei der es sich um eine Langzeitberichterstattung handelt (Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2015). In der Studie aus dem Jahr 2015 werden die Jugendlichen als pragmatisch, experimentierfreudig und anpassungsfähig beschrieben. Sie bestätigt darüber hinaus das weit verbreitete Bild der Millennials als sehr anspruchsvoll. Die Befragten erwarten von Arbeitgebern Berufe mit interessantem und erfüllendem Tätigkeitsprofil, einen sicheren Arbeitsplatz, Flexibilität und die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie (ebd.). Ebenfalls häufig zitiert wird die Studentenstudie von Ernst & Young (2016). Sie untersuchte Werte, Ziele und Perspektiven von Studenten in Deutschland und belegt eine sehr hohe Bedeutung der Familie sowie von Freunden. Im Arbeitsalltag seien ein guter Führungsstil,
170 JESSICA MEYER Weiterbildungsmöglichkeiten, Coaching und eine ausgeprägte Feedbackkultur relevant. Das Kienbaum Institut (2017) untersuchte die Karriereorientierung von Millennials und bestätigte die gefundenen Werte von Ernst & Young. Bei der Wahl eines Arbeitgebers haben eine kollegiale Atmosphäre sowie die WorkLife-Balance den größten Einfluss. Darüber hinaus seien Sicherheit und Beständigkeit wichtig. Insgesamt fällt auf, dass viele Studien ein besseres Verständnis der Millennials im beruflichen Kontext zum Ziel haben und Unternehmen bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung unterstützen sollen. Widersprüchlich sind die Studienergebnisse bezüglich der Unterschiedlichkeit von Erwartungen im Vergleich zu anderen Generationen. Hier belegen einige Studien, dass die Generation Y teilweise andere Ansprüche an die Kultur von Unternehmen äußert als die Generationen vor ihr (Ewinger et al., 2016, S. 15; Lichtsteiner, 2017, S. 48; Torsello, 2019, S. 1335). Gleichzeitig kommen andere Autoren zu dem Schluss, dass Millennials Erwartungen äußern, die alle Generationen gemeinsam haben, die aber nur von Millennials offen eingefordert werden (z.B. Bund, 2014, S. 114-115). 2.2
Unternehmenskultur
Bereits in den 1930er Jahren bestand die Idee, „dass das Funktionieren großer Systeme maßgeblich der Existenz informeller Strukturen zuzuschreiben sei“ (Sackmann, 2017, S. 2). Das heißt dem, was heute unter dem Begriff der Unternehmenskultur verstanden wird. Die systematische Unternehmenskulturforschung begann Anfang der 1980er Jahre. Seitdem ist Unternehmenskultur ein fester Bestandteil der Managementtheorie, -forschung und -praxis (ebd., S. 1). Ausgelöst durch den zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg Japans auf dem Weltmarkt, entstand zunächst ein großes Interesse an kulturvergleichender Managementforschung
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 171 (Heinen, 1987, S. 4 ff.; Sackmann, 2017, S. 2 ff.). Da sich die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen aufgrund der nationalkulturellen Unterschiede nicht unmittelbar übertragen ließen, veränderte sich der Fokus hin zur Untersuchung besonders erfolgreicher US-amerikanischer Unternehmen. 1982 erschien die Studie „In Search of Excellence“ von Peters und Waterman. Sie untersuchte Erfolgsfaktoren von amerikanischen Unternehmen aus verschiedenen Industriezweigen und belegt die Bedeutung weicher Faktoren (Stil, Systeme, Stammpersonal und Selbstverständnis) für den Unternehmenserfolg (Peters & Waterman, 1984, S. 33). Auch Kotter und Heskett bestätigten durch vier Studien zwischen 1987 und 1991, dass sich die Unternehmenskultur „nachhaltig auf den langfristigen Unternehmenserfolg auswirken [kann]“ (Kotter & Heskett, 1993, S. 21). Nach den Studienergebnissen von Kotter und Heskett „erbringen nur kontextuell oder strategisch angemessene Kulturen herausragende Erfolge“ (Kotter & Heskett, 1993, S. 45). Nach anfänglicher Euphorie kam es zu einer Ernüchterung, als festgestellt wurde, dass sich Unternehmenskulturen nicht direkt beeinflussen und managen lassen (Gontard, 2002, S. 2; Sackmann, 2017, S. 9). Trotzdem blieb die Unternehmenskultur ein wichtiges Thema für Unternehmen (Sackmann, 2017, S. 10). In den letzten Jahren wurde die Unternehmenskultur häufig in Zusammenhang mit ihrer Bedeutung für die Gewinnung und Bindung von Fachkräften untersucht. Nach einer Studie des IBE wurde die Förderung einer nachhaltigen Unternehmenskultur im Rahmen des HR-Reports 2012/2013 als wichtigstes HR-Thema benannt (Hays AG & IBE, 2013, S. 3). In der neueren Literatur zum Thema Unternehmenskultur finden sich zunehmend Hinweise auf Besonderheiten bezüglich der Generation Y (z.B. bei Homma, Bauschke & Hofmann, 2014, S. 35 f.; Schein, 2018, XXI-XXIII), dieses Thema wird aber in der Regel nur am Rande behandelt.
172 JESSICA MEYER
3. Relevanz des Themas und Ableitung des Forschungsbedarfs 3.1
Die Situation im Gesundheitssektor
Arbeitgeber im Gesundheitswesen kämpfen derzeit mit einem schlechten Image, das u.a. durch negative Berichterstattung über die Verdichtung der Arbeit und veraltete Führungsstrukturen geprägt wird. Sie werden sich, bedingt durch den Fachkräftemangel, zukünftig bei potenziellen Mitarbeitenden bewerben müssen. Um diese gewinnen und halten zu können, wird ein Kulturwandel benötigt (Lutermann, 2019, S. 68). Im Gesundheitswesen ist nach Auffassung von Heiß eine Transformation dringend erforderlich, um diverse bestehende Probleme zu lösen. Hierzu zählen die höheren Anforderungen, geringe Erlöse, langsame Fortschritte in Bezug auf die Digitalisierung etc.. Eine Reform der Führungskultur ist notwendig, weil Millennials ansonsten nicht bereit sind, in dem bestehenden System zu arbeiten. Sie bringen aber viele Eigenschaften mit, von denen das Gesundheitswesen profitieren könnte, wie eine hohe Affinität zu digitalen Medien sowie die Bereitschaft Neues zu gestalten (Heiß, 2019c, S. 3–6). Darüber hinaus hat die Unternehmenskultur auch im Gesundheitssektor einen direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Je ähnlicher sich Produkte und Dienstleistungen sind und je besser sie verglichen werden können, desto stärker hängt die Wettbewerbsfähigkeit von der Attraktivität der Unternehmenskultur ab (Berner, 2012, S. 13). 3.2
Die Bedeutung der Generation Y
Die Generation Y wird nach dem Renteneintritt der Babyboomer den größten Anteil der Arbeitnehmer in Deutschland ausmachen (Ewinger et al., 2016, S. 12). Unternehmen, die Erwartungen der Generation Y nicht genau genug
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 173 kennen, können sich nicht darauf einstellen. Hierdurch bleiben Chancen ungenutzt, bei ihnen als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und Fachkräfte zu gewinnen bzw. zu halten. Dies ist umso bedeutender, da der Eintritt der Generation Y in den Arbeitsmarkt das Kräfteverhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugunsten der Arbeitnehmer verändert (Parment, 2009, S. 67). 3.3
Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Gewinnung und Bindung von Millennials
Der Einfluss emotionaler Aspekte des Arbeitgeberangebotes ist für Millennials bedeutsamer, was dazu beiträgt, dass die Unternehmenskultur und das Image der Arbeitgebermarke immer wichtiger werden und zum Erfolg des Unternehmens entscheidend beitragen können (Parment, 2013, S. 12). Um Millennials zu binden, müssen Unternehmen „sich darauf einstellen, innovative Milieus bereitzuhalten, ein hohes Maß an Selbstbestimmung und -organisation zu gewähren und weite Handlungsspielräume möglich zu machen“ (Habscheid-Führer & Grothaus, 2016, S. 6). 3.4
Ableitung des Forschungsbedarfs
In Bezug auf die Unternehmenskultur wurden insbesondere die persönlichen Werte der Millennials häufig untersucht und beschrieben (z. B. Haller, 2015; Moskaliuk, 2016). Allerdings bleibt z.B. das Erleben im Arbeitsalltag hinter der Bedeutung und den Wünschen der Millennials zurück (Hartmann & Kibbat, 2016, S. 2). Hinzu kommt, dass die Beschreibung der Erwartungen oftmals sehr allgemein gehalten ist und sich für Arbeitgeber keine konkreten Maßnahmen ableiten lassen. Es existiert außerdem wenig Literatur über Millennials, die speziell auf den Gesundheitssektor eingeht. Im Rahmen dieser Arbeit sollen daher folgende Forschungsfragen beantwortet werden:
174 JESSICA MEYER 1. Welche Erwartungen haben Millennials, die bei einem Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen im Gesundheitssektor tätig sind, an die Artefakte des Unternehmens? 2. Welche Erwartungen haben diese Millennials an die gewählten Überzeugungen und Werte des Unternehmens?
4 Methodik und Untersuchungsdesign 4.1
Forschungsverständnis
Basis der Untersuchung ist ein konstruktivistischer Ansatz. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass es keine objektive Wirklichkeit geben kann, weil das Wissen von Menschen immer auf inneren Deutungsprozessen basiert. Durch Interviews erhobene Daten erfassen die soziale Wirklichkeit nur ausschnittsweise und sind immer auch als Reaktion auf bestimmte Reize und die Interviewsituation zu verstehen (Atteslander, 2006, S. 160-162). Die Befragten werden im Rahmen der Untersuchung als Experten für die Erwartungen der Generation Y angesehen, da sie dieser Generation selbst angehören. Dabei wird ein gleichberechtigter Diskurs angestrebt. 4.2
Wissenschaftliche Herangehensweise und Begründung der Methodenwahl
Bei der Erhebung von Daten zur Unternehmenskultur bestehen spezifische Schwierigkeiten, da es sich dabei u.a. um eine komplexe soziale Realität handelt, die nur teilweise bewusst ist. Die vorliegende Untersuchung zielt auf das Verstehen individueller Sichtweisen einzelner Mitarbeitender ab. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Sinngebung der Befragten sowie ihre Werte, weshalb ein qualitativer Ansatz gewählt wurde (Döring & Bortz, 2016, S. 63). Für die Exploration dieser Aspekte sind qualitative Leitfadeninterviews besonders geeignet. Es wurde bewusst ein induktives Vorgehen gewählt, bei dem weniger
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 175 Personen, diese aber ausführlicher, interviewt werden. Auf der Grundlage von offenen Forschungsfragen werden Erwartungen der Millennials an die Unternehmenskultur beleuchtet, beschrieben und ausgewertet. 4.3
Feldzugang und Sampling
Die Interviewpartner wurden im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der Autorin gesucht, wobei der Erstkontakt über das Unternehmen hergestellt wurde. Es wurden nur Mitarbeitende mit Berufserfahrung in verschiedenen Kontexten berücksichtigt, da Unternehmenskultur erst im Vergleich zu anderen Kulturen erkennbar wird. Die genaue Festlegung der Kriterien für die Stichprobenauswahl sowie deren Umsetzung kann der Abbildung 4.1 entnommen werden. Kriterium
Zusammensetzung der Stichprobe
Mitarbeitende, die zwischen 1980 und 1995 geboren wurden
Berücksichtigt wurden die Geburtsjahrgänge 1982 bis 1992 (Mitarbeitende, aus den ersten und letzten Jahrgängen wurden bewusst nicht berücksichtigt, um eine eindeutigere Abgrenzung zu anderen Generationen zu ermöglichen)
Heterogen zusammengesetzte Gruppe mit Vertreter*innen der folgenden Gruppen: - Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung - Führungskraft - Angehörige*r des Betriebsrates - Mitarbeitende aus dem Bereich Verwaltung/ HR
Die Stichprobe war wie folgt zusammengesetzt: - 2 Führungskräfte - 5 Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung Davon - 1 Angehöriger des Betriebsrates - 1 Mitarbeiter*in aus dem Bereich Verwaltung/ HR
Mitarbeitende mit unterschiedlichen Qualifizierungsniveaus entsprechend der unterschiedlichen Qualifizierungsniveaus im Unternehmen
Die Stichprobe beinhaltete Mitarbeitende mit staatlich anerkanntem Berufsabschluss sowie mit Studienabschluss (Bachelor of Arts und Master of Arts), aber keine promovierten
176 JESSICA MEYER Mitarbeitenden (anteilig kleinste Gruppe der Mitarbeiter). Berücksichtigung von Mitarbeitenden aus verschiedenen Geschäftsbereichen sowie von verschiedenen Standorten des Unternehmens
Es wurden Mitarbeitende von drei verschiedenen Standorten sowie aus vier verschiedenen Geschäftsbereichen befragt.
Anteil weiblicher bzw. männlicher Interviewpartner*innen entsprechend der Gesamtverteilung im Unternehmen
Die Stichprobe umfasste zwei männliche und fünf weibliche Interviewpartner*innen.
Tabelle 4.1: Festlegung der Kriterien für die Stichprobenauswahl sowie deren Umsetzung (eigene Darstellung)
4.4
Durchführung der Interviews
Die Interviews dauerten 75 bis 94 Minuten. Im Vorfeld wurden zwei Pre-Tests durchgeführt, um die Schlüssigkeit, Verständlichkeit und Vollständigkeit der Fragen zu überprüfen. Im Anschluss wurde der Fragebogen gekürzt und teilweise umformuliert. Die Interviews wurden grundsätzlich offen geführt, sodass die Interviewten ihre Erwartungen möglichst frei formulieren konnten. Die Erstellung des zugrundeliegenden Interviewleitfadens erfolgte theoriegeleitet auf Basis des Modells von Schein sowie der verschiedenen Interviewphasen nach Misoch (2019, S. 68-69). Bei der Formulierung der Fragen wurde u.a. darauf geachtet, sich an das Sprachniveau der Interviewten anzupassen und Fachtermini zu vermeiden. Um eine größtmögliche Offenheit zu ermöglichen, beziehen sich die Fragen auf die ideale Kultur eines fiktiven Unternehmens. Die Interviewerin begegnete den Interviewten mit einer freundlichen Haltung und hielt sich insgesamt mit ihren Redeanteilen zurück. Sie gab Erzählanregungen durch einfache, offene Fragen und wandte das aktive Zuhören an (Atteslander, 2006, S. 124). Die über Skype durchgeführten Interviews wurden aufgezeichnet, um vollständige Informationen zu erhalten.
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 177 Besonderheiten wurden in ergänzenden Interviewberichten dokumentiert. 4.5
Datenauswertung
Nach Durchführung der Interviews wurde der Inhalt wörtlich transkribiert und nur inhaltlich irrelevante Hörbestätigungen ausgelassen. Dabei wurden die Transkriptionsregeln nach Claussen, Jankowski und Dawid (2020, S. 4851) angewandt und die Angaben anonymisiert. Für die Auswertung wurde die zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt, die einen hermeneutischen Ansatz verfolgt (Mayring, 2015, S. 29-30). Bei der qualitativen Inhaltsanalyse erfolgt eine systematische Analyse von Texten, indem das „Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet [wird]“ (Mayring, 2016, S. 114). Im Vorfeld erfolgt immer eine Festlegung des angestrebten Abstraktionsniveaus (Mayring, 2016, S. 115), das in diesem Fall konkrete Erwartungen der befragten Personen, aber keine allgemeinen Erwartungen von möglichen dritten Personen umfassen sollte. Außerdem sollten unternehmensunabhängige Erwartungen an Unternehmenskultur erfasst werden. Die beiden oberen Ebenen des Modells der Unternehmenskultur von Schein wurden als vorläufige, deduktive Oberkategorien genutzt. Sie wurden durch induktiv generierte Kategorien ergänzt, die sich beim Durcharbeiten des Materials ergaben und bei Bedarf modifiziert. Hierdurch kam es zu einem Wechsel zwischen deduktiver und induktiver Kategorienbildung. Die Konstruktion von Kategorien und die Zuordnung von Textstellen erfolgte regelgeleitet. Die Kategorien wurden im Verlauf des Prozesses mehrfach rücküberprüft und entsprechend überarbeitet (Mayring, 2015, S. 61). Hierdurch entstand das, in Abbildung 4.2 dargestellte, endgültige Kodesystem.
178 JESSICA MEYER
Abbildung 4.2: Darstellung (Screenshot MAXQDA)
des
endgültigen
Kodesystems
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 179
5. Darstellung der Ergebnisse In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der durchgeführten Analyse dargestellt. Abbildung 5.1 zeigt die Anteile der Hauptkategorien an der Gesamtheit der kodierten Textstellen. Hier wird deutlich, dass sich der Großteil der kodierten Textstellen auf Erwartungen an Menschen im Unternehmen (45 Prozent) sowie Erwartungen an äußere Rahmenbedingungen bezieht (33 Prozent).
Abbildung 5.1: Anteile der Hauptkategorien an der Gesamtheit der kodierten Textstellen (eigene Darstellung)
180 JESSICA MEYER 5.1
Erwartungen an Menschen im Unternehmen
5.1.1 Allgemeiner Umgang Allgemein wird eine offene und freundliche Atmosphäre erwartet. Außerdem ist mehreren Befragten ein respektvoller, wertschätzender und höflicher Umgang wichtig. Gewünscht werden ein ehrlicher, offener bzw. transparenter Umgang und ein aufrichtiges, authentisches Miteinander. Von Einzelnen wurden darüber hinaus ein gleichberechtigter Umgang, eine soziale Verpflichtung untereinander sowie ein Zusammenhalt aller Kollegen genannt. 5.1.2 Zusammenarbeit Diesbezüglich wurde von mehreren Interviewpartnern direkt oder indirekt Kollegialität als wichtiger Aspekt genannt. Es wurden eine hohe Bedeutung des Zusammenhalts im Team sowie der Zusammengehörigkeit und der Identifikation mit dem Team erkennbar. Auch Ehrlichkeit spielt hier eine Rolle, insbesondere eine direkte, persönliche Ansprache bei auftretenden Problemen. Zu den weiteren Erwartungen gehören ein offener, fairer Umgang sowie eine gerechte Arbeitsverteilung. Eine humorvolle und lockere Zusammenarbeit wird ebenfalls begrüßt. Die befragten Führungskräfte wünschen sich außerdem eine lösungsorientierte Vorgehensweise. Umgang mit Konflikten Es wird von mehreren Interviewpartnern die Erwartung geäußert, dass Konflikte offen angesprochen werden. Einige von ihnen wünschen sich zur Konfliktklärung eine unterstützende dritte Person, z.B. eine Vertrauensperson aus dem Team oder einen externen Mediator. Mehrere Interviewpartner geben außerdem an, dass sie sich einen ruhigen und sachlichen Umgang mit Konflikten wünschen. Insbesondere bei größeren Konflikten sei es wichtig, sich Zeit und Raum für die Konfliktlösung zu nehmen sowie die
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 181 gefundene Lösung nach einiger Zeit zu reflektieren und ggf. noch einmal anzupassen. Umgang mit Fehlern Die Befragten wünschen sich einen offenen, lösungsorientierten und konstruktiven Umgang mit Fehlern. Fehler sollen als zum Arbeitsalltag gehörig sowie als Chance zum Lernen gesehen werden. 5.1.3
Erwartungen an Führungskräfte
Erwartungen an Führungskräfte machen 41 Prozent der kodierten Textstellen in der Hauptkategorie „Erwartungen an Menschen“ aus. Damit stellt dies den bedeutendsten Bereich dar. Allgemeine Erwartungen Insbesondere die direkte Führungskraft hat auf die Mitarbeiterzufriedenheit einen entscheidenden Einfluss. Von Führungskräften werden eine ausgeprägte Empathie-Fähigkeit sowie ausgeprägte sozial-kommunikative Kompetenzen erwartet. Die Mitarbeitenden sollen fair und respektvoll behandelt und Sachverhalte neutral und ruhig aufgenommen werden. Führungskräften sollen außerdem über Flexibilität in der Kommunikation und im Leiten von Gruppen verfügen. Sie sollen an den notwendigen Stellen Verantwortung übernehmen, sich aber gleichzeitig mit den Mitarbeitenden auf Augenhöhe befinden. Darüber hinaus wird eine Konstanz in den Aussagen der Führungskraft gefordert. Aufgaben/Zuständigkeiten von Führungskräften Die Befragten erwarten u.a., dass sich die Führungskraft um die Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit kümmert. Außerdem soll sie die Mitarbeitenden unterstützen und als Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung stehen. Zu den weiteren Aufgaben einer Führungskraft wird die (gerechte) Aufgabenverteilung gezählt. Sie soll aktiv am Geschehen
182 JESSICA MEYER teilnehmen, sich einen Überblick verschaffen und unmittelbar handeln, wenn nötig. Zu ihren Zuständigkeiten gehört nach Einschätzung der Befragten außerdem Abteilungsbzw. Unternehmensziele zu definieren und realistisch zu planen. Sie soll dabei die Mitarbeitenden einbeziehen sowie deren Wissen und Erfahrungen berücksichtigen. Führungskräfte sollen eine Vorbildfunktion einnehmen und beispielsweise auf die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden achten. Außerdem erwarten die Befragten Feedback, einen stärken-orientierten Personaleinsatz und eine aktive Unterstützung bei der Weiterentwicklung. Ansprechbarkeit bzw. Erreichbarkeit von Führungskräften 80 Prozent der befragten Mitarbeitenden erwarten, dass Führungskräfte kurzfristig ansprechbar sind, insbesondere für persönlich als wichtig erachtete Themen oder fachliche Fragen. Eine Person wünscht sich eine räumliche Nähe zur Führungskraft und eine permanente Zugänglichkeit. Zum Teil fällt auf, dass die Befragten einerseits angeben, es muss nicht immer eine sofortige Rückmeldung geben, andererseits aber die Bedeutung schneller Rückmeldungen betonen. Bei den Aussagen wird teilweise deutlich, dass die Hemmschwelle die Führungskraft zu kontaktieren per Telefon, Mail oder Chatfunktion höher erscheint als im persönlichen Kontakt. Entscheidungen Die Mehrheit der Befragten erwartet, dass Mitarbeitende in Entscheidungen einbezogen werden. Die Führungskraft soll das übergeordnete Ziel definieren, aber es sollte eine ständige Rückkopplung und ggf. eine Anpassung stattfinden. Für den Großteil der Befragten spielt der eigene Entscheidungs- bzw. Gestaltungsspielraum eine wesentliche Rolle. Wichtig ist, dass ein klarer Rahmen vorgegeben wird, der Handlungssicherheit vermittelt, dass gleichzeitig aber viel Entscheidungsfreiheit besteht. Voraussetzung, um
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 183 Entscheidungen akzeptieren zu können, sei deren Nachvollziehbarkeit sowie das Gefühl, gehört und gesehen zu werden. Der Vorgesetzte sollte in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen und diese nach außen zu vertreten Mindset der Führungskräfte Den am häufigsten genannten Aspekt stellt das Vertrauen in die Arbeitsleistung und die positiven Absichten der Mitarbeitenden dar. Es wird als wichtig angesehen, zunächst allen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Hierzu zählt z.B., Arbeitszeiten nicht zu kontrollieren und den Mitarbeitenden im Homeoffice zu vertrauen, dass sie ihre Arbeit erledigen. Hierarchien Zwei der befragten Personen geben explizit an, flache Hierarchien zu bevorzugen. Hierbei sind auch die Nähe und Augenhöhe zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden sowie Ansprechbarkeit und Offenheit der Führungskraft relevant. Ein klassisch-hierarchisches System, in dem Entscheidungen Top-Down getroffen werden, wird abgelehnt. Eine Person lehnt dagegen sehr flache Hierarchien ab. Sie geht davon aus, dass viele nicht einschätzen können, was es bedeutet, wenn niemand in der Hierarchie übergeordnet ist und Entscheidungen trifft. Grundsätzlich begrüßt auch sie einen kollegialen, gleichberechtigten Umgang und Partizipation. 5.1.4 Kollegen Geschätzt werden insbesondere fachlich kompetente, respektvolle und motivierte Kollegen mit positiver Stimmung, mit denen man sich über verschiedene Themen austauschen kann. Darüber hinaus wird positiv bewertet, wenn man sich mit Kollegen fachlich ergänzen, inspirieren und gut zusammenarbeiten kann, sich gegenseitig unterstützt, sich vertrauen und aufeinander verlassen kann. Eine Vielfalt im Team wird ebenfalls begrüßt, genauso wie
184 JESSICA MEYER Kritikfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Loyalität. Optimalerweise teilen Kollegen auch den eigenen Humor. Abgelehnt werden dagegen Kollegen, die sehr problemorientiert sind. 5.1.5 Kommunikation Die Erwartungen an Kommunikation umfassen 24 Prozent der kodierten Textpassagen innerhalb der Hauptkategorie „Erwartungen an Menschen“ und stellen damit den zweitgrößten Bereich dar. Allgemeine Erwartungen Die Mehrheit der Befragten äußert den Wunsch nach einer offenen, ehrlichen und klaren bzw. transparenten Kommunikation. Ziele und Erwartungen sollen klar formuliert, Rollen definiert sowie Prozesse, Strukturen und mögliche Konsequenzen des Handelns transparent kommuniziert werden. Darüber hinaus besteht die Erwartung an eine verbindliche Kommunikation und der Wunsch danach, mit einer Person etwas vertraulich besprechen zu können. Wichtig sei außerdem ein angemessener Tonfall. Meetings Die Mehrheit der Befragten legt Wert auf regelmäßige Meetings, wobei die gewünschte Frequenz zwischen mindestens einmal wöchentlich und monatlich liegt. Auf eine Agenda und eine klare Zielsetzung legen drei Befragte Wert. Positiv bewertet werden eine lockere, entspannte Atmosphäre sowie Möglichkeiten, wichtige Themen anzusprechen, Fragen zu klären und sich auszutauschen. Trennung bzw. Vermischung von Berufs- und Privatleben In diesem Punkt unterscheiden sich die Erwartungen der Befragten deutlich. Teilweise wird eine klare Trennung von Berufs- und Privatleben bevorzugt, teilweise wird beschrieben, dass man kein Problem damit habe, wenn sich Beruf
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 185 und Privates mischen und Freundschaften unter den Kollegen entstehen. Anrede Innerhalb der Befragung sprachen sich die Interviewpartner eindeutig für das Duzen als bevorzugte Form der Anrede innerhalb des Unternehmens aus. Dies wird als zeitgemäß und persönlicher beschrieben. Außerdem bewirke es automatisch Augenhöhe, größere Offenheit und Nähe und erleichtere es, Fragen zu stellen. In der Kommunikation nach außen und mit Kunden wird die Anrede mit „Sie“ bevorzugt. 5.2
Erwartungen an Rahmenbedingungen
Diesbezüglich stellen Erwartungen an die Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort mit 25 Prozent der kodierten Textstellen den größten Bereich dar, gefolgt von Erwartungen an Büros und an zusätzliche Arbeitgeberleistungen (jeweils 17 Prozent). 5.2.1 Gebäude Nur für einen Interviewpartner ist das Gebäude eines Unternehmens irrelevant. Für die anderen sind z.B. die Helligkeit und Modernität des Gebäudes wesentlich. Modernität beinhaltet auch, in einem gesunden und sicheren Gebäude zu arbeiten, das gut in Stand gehalten wurde. Darüber hinaus soll es sauber und gepflegt wirken. Das Gebäude sollte über eine Küche, Besprechungsräume, größere Pausenräume, evtl. eine Dachterrasse und optimalerweise Duschen verfügen. 5.2.2 Standort Vier der Befragten äußerten Erwartungen an den Standort eines Unternehmens. Sie wünschen sich ein zentral gelegenes Büro mit guter Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr bzw. alternativ eine gute Erreichbarkeit mit dem Auto und Parkmöglichkeiten. Weitere Wünsche
186 JESSICA MEYER beziehen sich auf die Möglichkeiten der Pausengestaltung. Der Standort sollte z.B. nah an Grünflächen sein. Positiv wahrgenommen werden darüber hinaus eine Nähe zu Cafés, Einkaufs- und Essensmöglichkeiten. 5.2.3 Büros In diesem Abschnitt werden die geäußerten Erwartungen an Büroausstattung und -besetzung dargestellt. Büroausstattung Auch die Büros sollten modern eingerichtet und ausgestattet sein. Dabei wurden insbesondere Stühle und Tische häufig benannt. Mehrere Interviewpartner wünschen sich einen höhenverstellbaren Schreibtisch, verbunden mit der Möglichkeit zeitweise im Stehen zu arbeiten und eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung mit bequemen Stühlen. Besetzung der Büros Keiner der Befragten wünscht sich ein Einzelbüro. Der Großteil der Befragten fühlt sich mit insgesamt zwei bis vier Personen im Büro am wohlsten. Mehr als drei bzw. vier Personen in einem Büro werden von der Mehrheit als anstrengend bzw. ablenkend empfunden. Die optimale Besetzung der Büros ist aber auch aufgaben- und sympathieabhängig. Zwei Interviewpartner sprechen sich für Desk-Sharing aus, weil dies den Austausch und das Teamgefühl fördert. 5.2.4 Informationstechnologie Eine grundlegende und mehrfach genannte Erwartung an die IT besteht in ihrer Funktionsfähigkeit. Darüber hinaus soll es sich um moderne Informationstechnologie handeln. Zwei Interviewpartner bezeichnen sich als „iPhone-Verfechter“ bzw. „Apple-Fan“, geben aber gleichzeitig an, dass ihnen die Funktionsfähigkeit wichtiger ist als die Marke. Ein Interviewpartner schätzt je nach Aufgabe digitales Arbeiten über Microsoft-Teams. Insbesondere für kreatives Arbeiten
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 187 begrüßt er aber die gemeinsame Arbeit vor Ort an einem Monitor mit interaktivem Display. 5.2.5 Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort Flexibilität stellt für alle Befragten einen wesentlichen Faktor dar. Sie wünschen sich u.a. eine größtmögliche Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten und möchten sich die Arbeit frei einteilen können. Mehrere Befragte sprechen sich für die flexible Wahl des Arbeitsortes aus, hauptsächlich für eine Kombination aus Arbeit im Homeoffice und im Büro. Zwei Interviewpartner möchten nur gelegentlich im Homeoffice arbeiten und zwei Befragte schließen einen reinen Telearbeitsplatz für sich aus. 5.2.6 Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten Die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, scheint für die Befragten insgesamt wenig relevant. Zwei Interviewpartner finden es gut, die Option zu haben zwischen Teil- und Vollzeitarbeit zu wechseln. 5.2.7 Gehälter Die Befragten erwarten ein nachvollziehbares Gehaltsgefüge und eine Transparenz der finanziellen Entwicklungsmöglichkeiten. Gehälter machen neben zeitlichen Aspekten den größten Teil der Rahmenbedingungen aus und werden als Ausdruck von Anerkennung und Wertschätzung wahrgenommen. 5.2.8 Zusätzliche Arbeitgeberleistungen Alle befragten Personen erwähnen die bestehenden zusätzlichen Arbeitgeberleistungen positiv. Sie werden als Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung gesehen, es wird aber auch beschrieben, dass sie schnell als selbstverständlich gelten. Weitere gewünschte Angebote stellen für die Befragten z.B. eine Kantine mit leckerem und gesundem Essen, die Beteiligung an Beiträgen für Sportangebote, Massagen am Arbeitsplatz und zusätzliche Urlaubstage dar.
188 JESSICA MEYER Außerdem ist eine Ausweitung der Gesundheitsaktivitäten gewünscht. 5.2.9 Dresscode Die Mehrheit der Interviewpartner gibt an, keinen Wert auf einen bestimmten Dresscode zu legen, hat aber (zumindest für sich selbst) konkrete Vorstellungen, welche Kleidung für die Arbeit nicht angemessen ist, z.B. Sportkleidung. Grundsätzlich wird von fast allen Befragten, insbesondere im Kontakt mit Kunden, Wert auf ordentliche, seriöse und gepflegte Kleidung gelegt. 5.2.10 Feiern und Rituale Zu Erwartungen an Feiern und Rituale äußern sich die Befragten unterschiedlich. Eine Person gibt an, keinen Wert auf firmeninterne Feiern zu legen. Andere Interviewpartner schätzen vom Unternehmen angebotene Feiern dagegen sehr und nennen insbesondere eine jährliche Weihnachtsfeier, aber auch gelegentliche teaminterne Feiern. Diese Feste werden auch als Ausdruck der Wertschätzung seitens der Führungsebene gesehen und der Austausch aller Mitarbeitenden in dieser Atmosphäre geschätzt. Zu viele Feiern sind aber nicht gewünscht, da sich diese schwer mit dem Privatleben vereinbaren lassen. 5.3
Erwartungen an Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten
Fast alle Interviewpartner formulieren von sich aus Erwartungen an Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Genannt werden in diesem Zusammenhang neben klassischen Fort- und Weiterbildungen auch Coaching, Austauschmöglichkeiten auf Mitarbeiter- oder Führungsebene und gegenseitige Unterstützung sowie kollegiale Beratung. Führungskräfte sollen Entwicklungsbedarfe und -chancen bei Mitarbeitenden erkennen und sie entsprechend fördern.
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 189 5.4
Erwartungen an Feedback
Feedbackgespräche sollten es nach Auffassung der Befragten ermöglichen, Dinge zu klären und ein positives und/oder negatives Feedback zu geben. Dabei sei es wichtig, eine offene Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Mehrere Interviewpartner legen Wert auf ein gegenseitiges, ehrliches Feedback auch zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft. Die befragten Führungskräfte wünschen sich, dass die Mitarbeitenden das Vertrauen haben, auch Missstände anzusprechen. Die ideale Führungskraft tritt mit Mitarbeitenden in einen respektvollen Dialog auf Augenhöhe, nimmt Feedback an und ist veränderungsbereit. 5.5
Erwartungen an Prozesse
Prozesse sollen nach Einschätzung der Befragten strukturiert, planbar, transparent und effizient sein. Erwartet wird auch eine Klärung von Zuständigkeiten und Schnittstellen. Prozesse sollen von den Beteiligten mitgestaltet werden, damit sie im Arbeitsalltag umgesetzt werden. Bestehende Prozesse sollen verschriftlicht, gemeinsam reflektiert und auf Verbesserungsmöglichkeiten untersucht werden. 5.6
Erwartungen an Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit
Den Interviewpartnern ist es wichtig, sich bei der Arbeit auch selbst verwirklichen und sich damit identifizieren zu können. Dies beinhaltet einen großen Gestaltungsspielraum und die Möglichkeit, eigene Projekte, Ziele, Wünsche und Bedürfnisse kreativ verwirklichen zu können. Erwartet werden eine Vielseitigkeit der Arbeitsinhalte und Abwechslung durch unterschiedliche Projekte und Zielgruppen. Mehrere Interviewpartner äußern, dass ihnen der Sinn ihrer Arbeit sehr wichtig ist.
190 JESSICA MEYER 5.7
Erwartungen an Geschichten bzw. Mythen
Beschrieben wird der Wunsch, dass Kunden positiv von der Zusammenarbeit mit dem Unternehmen berichten und sich mit dessen Werten identifizieren können, Außerdem, dass sie erzählen, dass das Unternehmen sozial, authentisch und zuverlässig agiert, ein gutes Standing am Markt hat und viel für die Mitarbeitenden tut. 5.8
Erwartungen an Werte und gewählte Überzeugungen des Unternehmens
Die Erwartungen an Werte und Überzeugungen des Unternehmens machen den drittgrößten Anteil der kodierten Textstellen aus. Werte und Überzeugungen in Bezug auf Mitarbeitende Als wichtiger Wert wird ein Grundvertrauen in die Mitarbeitenden genannt, verbunden mit der Überzeugung, dass alle gute Arbeit leisten und positive Absichten verfolgen Außerdem soll das Unternehmen für die Werte Kollegialität, Zusammengehörigkeit, gegenseitige Identifikation und Unterstützung stehen, des Weiteren für Respekt, Ehrlichkeit und Transparenz sowie Gleichberechtigung. Zusätzlich werden ein aufrichtiges Miteinander, Offenheit, Partizipation, Weiterentwicklung, Begegnungen auf Augenhöhe und Authentizität als Werte benannt. Das Unternehmen soll Wert auf korrekte Umgangsformen, leistungsgerechte Vergütung und ausreichende Erholungszeit für Mitarbeitende legen. Sonstige Werte und Überzeugungen eines Unternehmens Die Befragten erwarten, dass ihre Werte und Überzeugungen mit denen des Arbeitgebers übereinstimmen. Können sie sich nicht mit den Produkten oder Dienstleistungen identifizieren, ist es kein attraktiver Arbeitgeber. Abgelehnt
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 191 werden Unternehmen, die der Umwelt oder Menschen schaden und sich nicht an Gesetze halten. Das Unternehmen soll Wert auf die Qualität seiner Produkte oder Dienstleistungen legen.
6. Diskussion 6.1
Darstellung der Ergebnisse und Fazit
Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf Grund des begrenzten Umfangs dieses Kapitels auf die Erwartungen in den drei Hauptkategorien, die den Großteil der kodierten Textstellen ausmachen. Hierzu zählen 1. Erwartungen an Menschen im Unternehmen (insbesondere Erwartungen an Führungskräfte, Kommunikation und Zusammenarbeit) 2. Erwartungen an äußere Rahmenbedingungen (insbesondere Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und -ort, Büros sowie zusätzliche Arbeitgeberleistungen) 3. Erwartungen an gewählte Überzeugungen und Werte des Unternehmens Die beiden ersten Hauptkategorien sind nach Schein zu den Artefakten zu zählen und werden nachfolgend zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage herangezogen. Erwartungen an die Artefakte von Unternehmen Auf der Ebene der Artefakte stehen Erwartungen an das beobachtbare Verhalten von Führungskräften an erster Stelle. Führungskräfte sollen über hohe sozial-kommunikative Kompetenzen z. B. im Leiten von Gruppen verfügen, sich um die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeitenden kümmern, sie in Entscheidungen einbeziehen, unterstützen und fördern, Sicherheit vermitteln und gleichzeitig größtmögliche Entscheidungsfreiheiten gewähren, permanent ansprechbar sein, Verantwortung übernehmen und sich trotzdem auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden bewegen. Diese Ergebnisse bestätigen die hohe Bedeutung
192 JESSICA MEYER des Führungsstils für die Mitarbeitergewinnung und -bindung, die u.a. im Rahmen der Studie von Ernst und Young festgestellt wurde (Ernst & Young, 2016, S. 26), ebenso die These, dass Führung für die Arbeitgeberattraktivität eine entscheidende Rolle spielt (Hartmann & Kibbat, 2016, S. 1). Auch die von Lutermann (2017, S. 50) beschriebenen Erwartungen an eine permanente Ansprechbarkeit für sach- und projektbezogene Fragestellungen sowie eine persönliche Karriereförderung werden bestätigt. Neben dem Wunsch nach schneller Rückmeldung wurden Wünsche nach einer offenen, ehrlichen, klaren bzw. transparenten, verbindlichen und respektvollen Kommunikation geäußert. Die Mehrheit der Befragten legt Wert auf regelmäßige Meetings. Es konnte bestätigt werden, dass Millennials ein hohes Maß an Kommunikation sowie ausführliche und schnelle Informationen erwarten, vermutlich weil sie ständige Kommunikation und schnelles Feedback gewohnt sind ( Barsh et al., 2016, S. 3; Mangelsdorf, 2014, S. 22; Parment, 2013, S. 7). Bezogen auf die Art der gewünschten Kommunikation sind auch den Interviewpartnern die in der Literatur beschriebenen Werte Authentizität, Respekt, Integrität sowie Transparenz wichtig (Haller, 2015, S. 279; Mangelsdorf, 2014, S. 25). In Bezug auf die Zusammenarbeit wurde von mehreren Interviewpartnern Kollegialität als wichtiger Aspekt genannt. Es wird positiv bewertet, wenn man sich mit Kollegen fachlich ergänzen kann, sich gegenseitig inspiriert und unterstützt, sich vertrauen und aufeinander verlassen kann. Eine Vielfalt im Team wird ebenfalls begrüßt. Auch diese Aussagen bestätigen vorliegende Forschungsergebnisse, wie die hohe Bedeutung von Interaktionsmustern, die auf Kollaboration ausgerichtet sind (Haller, 2015, S. 279). Dass Millennials insgesamt viel eher bereit sind, neue Wege auszuprobieren und dabei Fehler in Kauf zu nehmen, wurde ebenso bestätigt, wie der Wunsch daraus zu lernen (Steiner, 2019, S. 131).
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 193 Flexibilität ist allen Befragten wichtig. Sie wünschen sich eine größtmögliche Arbeitszeitflexibilität und möchten sich die Arbeit frei einteilen können. Mehrere Befragte sprechen sich für die flexible Wahl des Arbeitsortes aus, hauptsächlich für eine Kombination aus Arbeit im Homeoffice und Präsenzzeit im Büro. Die hohe Bedeutung von Flexibilität und Freiheit (Calmbach et al., 2016, S. 30) wurde somit im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bestätigt. Für die Mehrheit der Befragten sind außerdem die Helligkeit, Modernität und Sauberkeit des Gebäudes sowie der Büros wesentliche Aspekte. Büros sollen mit funktionsfähiger, moderner Informationstechnologie ausgestattet und modern eingerichtet sein. Mehrfach wurde der Wunsch nach einem höhenverstellbaren Schreibtisch bzw. Steharbeitsplatz geäußert. Dies könnte dem vorhandenen starken Bezug aller Befragten zu Gesundheitsthemen zuzuschreiben sein. Der Großteil fühlt sich mit insgesamt zwei bis vier Personen im Büro am wohlsten. Die optimale Besetzung der Büros ist aber auch personen- und aufgabenabhängig. Der Standort soll, wie beschrieben, zentral gelegen und gut erreichbar sein, gerne nah an Grünflächen, Cafés, Einkaufs- und Essensmöglichkeiten. Die in der Literatur beschriebenen Anforderungen an den physischen Arbeitsplatz und Technologien, insbesondere die Anforderungen an Standort, Helligkeit und Modernität sowie IT wurden somit bestätigt, während die Angaben zur Bürobesetzung und den gewünschten Steharbeitsplätzen Erkenntnisse darstellen, die in den der Autorin bekannten Studien nicht untersucht wurden. Die bestehenden zusätzlichen Arbeitgeberleistungen werden von den Befragten positiv bewertet und als Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung gesehen. Sie wünschen sich weitere Gesundheitsaktivitäten, z.B. in Form von Angeboten, die auch aus dem Homeoffice nutzbar sind.
194 JESSICA MEYER Erwartungen der Millennials an die gewählten Überzeugungen und Werte von Unternehmen Den wichtigsten Aspekt stellt nach Ansicht der Befragten ein Grundvertrauen in die Mitarbeitenden dar, verbunden mit der Überzeugung, dass alle gute Arbeit leisten und positive Absichten verfolgen. Darüber hinaus soll das Unternehmen insbesondere für soziale Werte stehen. Hierzu gehören nach Ansicht der Befragten Zusammengehörigkeit, gegenseitige Identifikation, Kollegialität, Unterstützung, Offenheit, Respekt, Ehrlichkeit, Authentizität, Fairness, Partizipation sowie Gleichberechtigung. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Haller (2015, S. 279) und Mangelsdorf (2014, S. 25). Außerdem wird erwartet, dass die Werte und Überzeugungen der Befragten mit denen des Arbeitgebers übereinstimmen. Andernfalls wird das Unternehmen nicht als attraktiver Arbeitgeber gesehen. Dies stimmt mit der Erkenntnis von Moskaliuk (2016, S. 8) überein, dass Millennials berufliche Aufgaben suchen, die zu ihren eigenen Werten passen. Darüber hinaus soll das Unternehmen Wert auf eine leistungsgerechte Vergütung und ausreichende Erholungszeit für Mitarbeitende legen, auch dies deckt sich mit den in der Literatur beschriebenen Erwartungen (Parment, 2013, S. 27). Es ist den Befragten wichtig, dass das Unternehmen Wert auf die Qualität der Produkte bzw. Dienstleistungen legt, sodass sie sich damit identifizieren und stolz auf das Unternehmen sein können. Das Vorhandensein eines Leitbildes scheint dagegen keine bedeutende Rolle zu spielen, Abschließend kann festgehalten werden, dass die Unternehmenskultur für die Befragten einen hohen Stellenwert hat. Sie äußern ihre Erwartungen an Unternehmenskultur ausführlich und deutlich. Insbesondere den direkten Führungskräften und ihrem Verhalten kommt eine sehr große Bedeutung zu, ebenso wie der Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und -ort sowie den Werten und Überzeugungen des Unternehmens.
ERWARTUNGEN VON MILLENNIALS AN UNTERNEHMENSKULTUR 195 Es wird nachvollziehbar, warum viele Autoren Millennials als sehr anspruchsvoll beschreiben. Andererseits ermöglichen die klaren Erwartungsäußerungen dem Unternehmen, diese zu berücksichtigen, ohne Vermutungen über Maßnahmen anstellen zu müssen, die sich ggf. als nicht wirksam erweisen. Das Unternehmen steht vor der Herausforderung, die hohen und teilweise widersprüchlichen Erwartungen so gut wie möglich zu erfüllen, um die Mitarbeitenden gewinnen und an das Unternehmen binden zu können. 6.2
Empfehlungen für Unternehmen
Führung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Unternehmenskultur. Deshalb sollte das Unternehmen Führungskräfte durch entsprechende Weiterbildungen sowie ausreichend Zeit für die Mitarbeiterführung bei der Ausübung ihrer Aufgabe unterstützen. Der Wunsch nach ausgeprägter Kommunikation sowie schneller und umfassender Information bedeutet für das Unternehmen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die formale und informelle Kommunikation fördern. Hierzu gehören z.B. regelmäßige Meetings und Möglichkeiten zu informellem Austausch (gemeinsame Aktivitäten, „Meetingpoints“ etc.). Außerdem sollten Führungskräfte auf eine authentische, ehrliche und respektvolle Kommunikation achten, genauso wie auf eine Beteiligung der Mitarbeitenden an Entscheidungen, ausführliche Informationen, schnelles Feedback sowie Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Das Unternehmen sollte kollegiales Verhalten der Mitarbeitenden fördern und belohnen sowie bei der Mitarbeiterauswahl auf ausgeprägte soziale Fähigkeiten achten. Den Führungskräften kommt eine Vorbildfunktion zu, sowohl im Hinblick auf kollegiales Verhalten als auch bezüglich des lösungsorientierten, konstruktiven Umgangs mit Fehlern.
196 JESSICA MEYER Da den Befragten Flexibilität bezüglich Arbeitszeit und -ort und ein Grundvertrauen der Führungskräfte sehr wichtig ist, sollte den Mitarbeitenden ein möglichst großer Spielraum eingeräumt werden. Hierzu gehören eine freie Wahl des Arbeitsortes und ein umfangreicher Gleitzeitrahmen bzw. Vertrauensarbeitszeit. Es sollten Präsenzarbeitsplätze in einem zentral gelegenen, gepflegten, modernen und hellen Gebäude mit Büros für zwei bis vier Personen zur Verfügung gestellt werden, die die Mitarbeitenden nach Wunsch nutzen können. In Bezug auf Werte und Überzeugungen ist es wichtig, diese gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu entwickeln bzw. zu den Unternehmenswerten passende Mitarbeitende auszuwählen.
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Teamidentität in virtuellen Teams Anne Biekowski Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich gleichermaßen – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Entstehung einer Teamidentität in virtuellen Teams. Schwerpunktmäßig wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, in virtuellen Teams eine Teamidentität zu schaffen. Zudem werden die Aspekte, die für die Entstehung einer Teamidentität bei dieser Art von Teamarbeit von Bedeutung sind, näher betrachtet. Im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse wurden Vertrauen, Kommunikation und Kultur als wesentliche Faktoren für die Entstehung einer Teamidentität identifiziert. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass alle drei Faktoren sich gegenseitig beeinflussen und gleichermaßen beachtet werden müssen, damit eine starke Teamidentität in virtuellen Teams entsteht. Handlungs-empfehlungen für die Führungskräfte eines virtuellen Teams werden abschließend aufgezeigt. This article deals with the emergence of a team identity in virtual teams. The main focus is on the research question under which conditions it is possible to create a team identity in virtual teams. In addition, the aspects that are important for the development of a team identity in this type of teamwork are considered in more detail. As part of a systematic literature review, trust, communication and culture were identified as essential factors in the formation of a team identity. The results of the analysis show that all three factors influence each other and must be considered equally in order to create a strong identity in virtual teams. 201
202 ANNE BIEKOWSKI Finally, recommendations for action for the managers of a virtual team are shown.
1. Einleitung Unternehmen befinden sich heutzutage in einem permanenten Wandlungsprozess. Dieser führt dazu, dass sich Unternehmen ständig an veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen. Um ihr langfristiges Bestehen sicherzustellen, ändern zunehmend mehr Unternehmen ihre strategische Ausrichtung und expandieren auf internationalen Märkten.[1] Infolge der globalen Zusammenarbeit und den neuen Vernetzungen erscheint es nur konsequent, dass Teams aus Mitgliedern zusammengesetzt werden, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Der Zugriff auf das Fachwissen, die Qualifikationen und Potentiale der Teammitglieder werden als ein entscheidender Vorteil im weltweiten Wettbewerb angesehen. Die Zusammensetzung eines Teams erfolgt somit nicht mehr aufgrund seiner räumlichen Verfügbarkeit, sondern wegen den benötigten fachlichen Kompetenzen.[2] Diese neue Art des Zusammenarbeitens wird nicht nur in international agierenden Unternehmen zunehmend gefordert. Der Trend des virtuellen Arbeitens steigt in nahezu allen Branchen an und betrifft einen Großteil der Mitarbeitenden.[3] Die virtuelle Zusammenarbeit bringt sowohl für Mitarbeiter als auch für Führungskräfte neue Herausforderungen mit sich. Da sich Führung auf Distanz von dem gewohnten Führungsverhalten unterscheidet, steigen die Anforderungen an das Management an. Virtuelle Teams lassen sich mit traditionellen Methoden nicht mehr erfolgreich führen. Damit die Teamarbeit weiterhin erfolgreich gelingt, müssen die Führungskräfte ihr Führungsverhalten anpassen.[4] Aktuell findet Führung im virtuellen Kontext zumeist nicht aufgrund fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse statt. Dies führt dazu, dass zahlreiche Teams ihre Potentiale nicht ausschöpfen oder in ihrer Zusammenarbeit scheitern.[5] Es scheint vor allem eine ausgeprägte
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 203 Teamidentität für den Erfolg virtueller Teamarbeit von Bedeutung zu sein.[6] Der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema wird jedoch als gering eingeschätzt. Die Bedingungen, welche zur Entstehung einer Teamidentität beitragen und diese fördern, werden in diesem Beitrag daher in den Fokus genommen.
2. Begriffsbestimmung Virtuelle Teams In der Literatur lässt sich eine Vielzahl von Definitionen der Begriffe Team und Gruppe finden. Als Gruppe wird der Zusammenschluss von mindestens zwei Personen bezeichnet, welche zumeist aufgrund eines gemeinsamen Ziels miteinander interagieren. Die Entstehung einer Gruppe kann aus unterschiedlichen Gründen erfolgen und muss nicht zwangsweise aus dem Arbeitskontext heraus geschehen.[7] Als Arbeitsgruppe werden die Mitarbeiter bezeichnet, welche aufgrund einer gemeinsamen Aufgabe und dessen Ausführung kooperativ interagieren. Die gemeinsame Ausrichtung in der Zusammenarbeit wird innerhalb einer Gruppe als nicht so stark angesehen wie bei einem Team.[8] Ein Team umfasst die Mitglieder einer Gruppe, welche innerhalb eines Unternehmens bewusst eine Einheit bilden und sich aufgrund eines Teamgedankens miteinander verbinden. Der Teamgedanke bedeutet, dass „die Leistung eines Teams größer sein kann als die Summe der Einzelleistungen.“[9] Der Fokus bei einem Team liegt somit auf dem Mehrwert, der sich aus diesem Zusammenschluss ergibt.[10] Da sich im Zusammenhang mit virtuellen Arbeitsgruppen vor allem der Begriff Teams durchgesetzt hat[11], werden die Begriffe in diesem Beitrag ebenfalls synonym verwendet. Als virtuelle Teams werden Arbeitsgruppen verstanden, welche dezentralisiert von unterschiedlichen Orten aus, häufig global verteilt, mit Hinblick auf ein
204 ANNE BIEKOWSKI gemeinsames Ziel zusammenarbeiten. Durch die Verteilung der Teammitglieder und dem Einfluss verschiedener Zeitzonen erfolgt die Zusammenarbeit zeitlich versetzt oder asynchron.[12] Die Zusammenarbeit virtueller Teams ist durch ein hohes Maß an Distanz gekennzeichnet und somit von traditionellen Teams[13] abzugrenzen. Traditionelle Teams arbeiten an einem Standort zur selben Zeit zusammen und treffen regelmäßig in Präsenz aufeinander. Teams, deren Mitglieder gleichermaßen virtuell sowie in Präsenz zusammenkommen, werden als hybride Teams bezeichnet.[14] Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die Art der Kommunikation. Diese zeichnet sich in traditionellen Teams überwiegend durch persönlichen Kontakt und regelmäßigem informellen Informationsaustausch aus.[15] Die Interaktion der Mitglieder virtueller Teams findet hingegen fast ausschließlich mittels digitaler Kommunikationsmedien statt. Diese zielen darauf ab, die Kommunikation der Teammitglieder sowie die Wissens- und Informationsweitergabe sicherzustellen.[16] Je nach Auftrag oder Zielsetzung der Zusammenarbeit kann diese auf eine kurz- oder langfristige Dauer angelegt sein. Teamidentität Der Begriff Identität bezeichnet die Vorstellung einer Person, sich von anderen Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften zu unterscheiden und unabhängig von der Situation dauerhaft derselbe Mensch zu sein. Das Gefühl einer Identität entsteht bei Individuen durch das Vertrauen auf das Aufrechterhalten dieser stabilen Merkmale, auch über einen längeren Zeitraum hinweg.[17] Der Begriff der Identität ist von dem der Identifikation abzugrenzen. Als Identifikation wird der Prozess der Auseinandersetzung mit bestehenden Normen und Eigenschaften einer Gruppe beschrieben, bei dem über ein Gefühl der Zugehörigkeit die Identität ausgebildet wird.[18] Wenn sich die Teammitglieder als Teil eines Ganzen wahrnehmen und
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 205 sich von anderen Personen entsprechend abgrenzen, ist eine Teamidentität vorhanden. Als Teamidentität kann somit die Persönlichkeit eines Teams bezeichnet werden, welche alle Merkmale umfasst, die das Team ausmachen.[19] Teams mit einer ausgeprägten Identität zeichnen sich durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus.[20] Im Zusammenhang mit der Ausprägung dieses Gefühls wird von einer Kohäsion gesprochen.[21] Bei einer Kohäsion handelt es sich um den inneren Zusammenhalt einer sozialen Gruppe. Der Begriff beschreibt das Maß der Bindung einzelner Mitglieder an das gesamte Team. Kohäsion verdeutlicht, welche Bedeutung die Gruppe für den Einzelnen einnimmt, welche Anreize es für die Zugehörigkeit zu dieser gibt und welche Aspekte dazu führen, dass die Mitglieder in ihrer Gruppe verbleiben.[22]
3. Entstehung einer Teamidentität Die Entstehung einer Identität innerhalb eines Teams kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Ein Team besteht nicht isoliert von seinem Unternehmen, sondern ist in dessen Unternehmenskultur eingebunden. Somit beeinflusst ein Unternehmen die Identität eines Teams gleichermaßen, wie auch das Team durch seine Identität das Unternehmen prägt.[23] Zur Identitätsbildung der Mitarbeitenden werden regelmäßig Maßnahmen des Corporate Designs eingesetzt.[24] Beim Corporate Design geht es darum, durch ein abgestimmtes und einheitliches Erscheinungsbild die gemeinsame Identität des Unternehmens nach außen zu kommunizieren. Dies geschieht beispielsweise durch einheitliche Logos und Schriften. Das Corporate Design zielt darauf ab, die Corporate Identity auszudrücken. Die Corporate Identity umfasst die zentralen Werte und Normen, an denen sich innerhalb eines Unternehmens orientiert wird. Die gemeinsame Vorstellung darüber, wie sich das Unternehmen von anderen abgrenzt und durch welche
206 ANNE BIEKOWSKI Verhaltensweisen es sich auszeichnet, zählen ebenfalls dazu.[25] Damit ein gemeinsames Verständnis von einer eigenen Identität in einem Team entsteht, können auf die Maßnahmen des Corporate Designs zurückgegriffen werden. Dadurch wird die Unterscheidung des Teams zu anderen Arbeitsgruppen sichtbar. Dies gilt nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch für die Wirkung und Wahrnehmung durch externe Anspruchsgruppen. Je markanter die Teamidentität ist, desto größer wird die Abgrenzung zu anderen Teams wahrgenommen.[26] Die Wahrnehmung anderer Teams ist für die Ausbildung einer eigenen Identität von Bedeutung. Aufgrund der Abgrenzung zu anderen Gruppen wird dessen Andersartigkeit hervorgehoben. Die Teammitglieder fokussieren sich folglich auf die Aspekte, welche sie als Team ausmachen. Durch diesen Prozess entsteht ein starkes Wir-Gefühl in der Gruppe. Dies lässt sich damit erklären, dass Menschen sich mit den Personen, welche ihnen ähnlich sind leichter identifizieren als mit fremden Gruppen. Diese Zuordnung und Abgrenzung aufgrund bestimmter Eigenschaften erfolgt anhand subjektiver Einschätzungen und wird bereits von Kindheit an erlernt. Teilweise laufen diese Prozesse unbewusst ab.[27] Demnach geht ein starkes Wir-Gefühl in einem Team damit einher, dass sich die Mitglieder über die Eigenschaften ihrer Gruppe bewusst werden. Dabei wird vor allem der Austausch über die gemeinsamen Werte und Einstellungen als wichtig angesehen. Die Identität eines Teams wird durch die Identifikation mit denselben Werten und einer gemeinsamen Haltung hergestellt. Je größer die Schnittmenge von den individuellen Werten der Teammitglieder mit denen des gesamten Teams ist, desto ausgeprägter wird die Teamidentität. Der Austausch über Wertvorstellungen ist demnach relevant, da dieser die Gemeinsamkeiten der Gruppe verdeutlicht.
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 207 Dadurch wird außerdem das Zusammengehörigkeitsgefühl für die Mitglieder spürbar.[28] Die Teammitglieder müssen sich in diesem Zusammenhang auch mit dem tieferen Sinn ihrer Zusammenarbeit beschäftigen. Dies gelingt durch die Beantwortung der Frage, welche Überzeugungen, Glaubenssätze und Ansichten das Team im Inneren ausmachen.[29] Neben diesen Aspekten ist auch die Beziehung der Teammitglieder relevant. Diese wird durch einen intensiven Austausch miteinander ausgebaut.[30] Die Einstellungen einzelner Teammitglieder zu kennen, sich mit ihren Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, um diese für zukünftige Handlungen einschätzen zu können, führt zu Vertrauen und gegenseitigem Verständnis.[31] Jedes Teammitglied bringt individuelle Stärken, Fachwissen und unterschiedliche Fähigkeiten in die Teamarbeit mit ein.[32] Die Kenntnis der Mitglieder über diese Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale befriedigt ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen. Diese Aspekte beeinflussen den Prozess der Identifikation mit dem Team positiv.[33] Je intensiver die Auseinandersetzung der Mitglieder mit dem eigenen Team ist, desto deutlicher wird die gemeinsame Verbundenheit der Gruppe. Infolgedessen bildet sich eine nachhaltige Identität innerhalb des Teams heraus.[34] Besonderheiten virtueller Teamarbeit Virtuelle Teamarbeit ist durch einen hohen Grad an Virtualität gekennzeichnet. Dies stellt ein wesentliches Merkmal dar und nimmt einen Einfluss auf sämtliche Bereiche der Zusammenarbeit. Die Virtualität wirkt sich beispielsweise auf die Art und Weise der Kommunikation der Teammitglieder aus. Diese kommen sehr selten für persönliche Treffen zusammen. Somit fehlen weitestgehend die persönlichen Kontakte und der Face-to-Face Austausch mit den Kollegen. Dies führt dazu, dass die informelle Kommunikation auf ein Minimum reduziert wird. Zwischen- bzw.
208 ANNE BIEKOWSKI Pausengespräche, welche in Präsenzteams als selbstverständlich angesehen und zwischen den Arbeitsphasen spontan geführt werden, entfallen bei virtuellen Teams. In den meisten Teams findet die Kommunikation insofern nahezu ausschließlich auf der Sachebene statt. In diesem Kontext tauschen sich die Mitarbeitenden nur über arbeitsrelevante Aspekte aus. Die Kommunikation ist folglich auf einen reinen Informationsaustausch im Rahmen der Aufgabenausführung beschränkt. Ein weiteres Merkmal der Kommunikation stellt die Asynchronität sowie das geringe Maß an persönlichem Feedback dar.[35] Des Weiteren nimmt die Körpersprache im virtuellen Raum einen besonderen Stellenwert ein. Aufgrund der eingeschränkten digitalen Möglichkeiten wird diese Art der kommunikativen Ausdrucksweise häufig vernachlässigt,[36] was einen negativen Einfluss auf das Miteinander innerhalb des Teams haben kann. Ein weiterer Aspekt, welcher im Zusammenhang mit der Kommunikation steht, ist die sprachliche Vielfalt. Aufgrund der globalen Verteilung sprechen die Teammitglieder häufig verschiedene Muttersprachen und müssen sich im Arbeitskontext in einer Fremdsprache verständigen. Dies erschwert die Kommunikation, da sich nicht alle Teammitglieder bei der Anwendung einer fremden Sprache gleichermaßen sicher fühlen. Zudem ist die Chance, dass sich die Kollegen missverstehen dadurch erhöht.[37] Aufgrund der örtlichen Verteilung der Teammitglieder rücken auch kulturelle Aspekte in den Fokus der Betrachtung. Die Mitglieder kommen aus verschiedenen Ländern und gehören somit unterschiedlichen Kulturkreisen an. Diese unterscheiden sich aufgrund von Wertvorstellungen und Normen voneinander. Zum Beispiel ist das Verständnis von Pünktlichkeit oder der angemessene Ausdruck von Gefühlen innerhalb der Kulturen verschieden,[38] was sich auf das Verhalten und Handeln der Beteiligten auswirkt. Da unterschiedliche Verhaltensweisen oft als fremd erscheinen
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 209 und häufig nicht nachvollziehbar sind, können sie schnell zu Irritationen und Konflikten führen.[39] Als ein weiterer Faktor, dem bei der virtuellen Teamarbeit ein besonderer Stellenwert zugesprochen wird, ist das Vertrauen zu nennen. Vertrauen wird als wichtig angesehen, da es als Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zählt. Das Fehlen von Vertrauen führt zu mehr Kontrolle sowie Ängsten und Stress bei den Mitarbeitenden.[40] Vorhandenes Vertrauen stärkt hingegen die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen sowie der Mitglieder an ihr Team.[41] Gegenseitiges Vertrauen wird durch Faceto-Face Kontakte aufgebaut und vertieft. Vor allem wiederholte Begegnungen und persönliche Gespräche stärken den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses im Team.[42] Ein regelmäßiger Kontakt der Teammitglieder und dessen persönliche Kommunikation werden von einigen Autoren als zwingende Voraussetzung für den Vertrauensaufbau angesehen.[43] Aufgrund der Virtualität fallen diese Aspekte jedoch geringer aus. Dies führt dazu, dass es den Mitgliedern schwerer fällt sich auf ihre Kollegen zu verlassen. Dies lässt sich damit begründen, dass im virtuellen Raum nur Ausschnitte der Handlungen und Verhaltensweisen von Personen gezeigt werden. Es bleibt oftmals unklar, ob und wie beispielsweise Vereinbarungen und Absprachen eingehalten werden. Dies ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die Vertrauensbildung.[44] Die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit virtueller Teammitglieder wird aus diesem Grund häufiger kritisch hinterfragt, da sie nicht wie im persönlichen Miteinander gleichermaßen sichtbar werden. Dies führt zu Verzerrungen sowie Unsicherheiten und hemmt den Vertrauensaufbau.[45] In virtuellen Teams ist der Aufbau von Vertrauen deutlich erschwert.[46]
210 ANNE BIEKOWSKI
4 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse Die vorliegende Untersuchung, basiert auf einer systematischen Literaturanalyse. Dabei werden Forschungsergebnisse aus dreizehn Studien miteinander verglichen. Die Literatur wird schwerpunktmäßig in Hinblick auf die spezifischen Merkmale virtueller Teams sowie die Voraussetzungen für die Entstehung einer Teamidentität untersucht. Aufgrund der zuvor dargestellten Merkmale virtueller Teams werden vor allem die Faktoren Kommunikation, Vertrauen sowie Kultur genauer betrachtet. Kulturelle Verschiedenheiten und Vertrauensaufbau Anhand der Studien von Murnyati Tjaya, Moick und Shachaf wird deutlich, dass Kultur als eine Einflussgröße für die Entstehung einer Teamidentität angesehen werden kann. Die Studien tragen zu der Erkenntnis bei, dass kulturelle Aspekte beispielsweise den Aufbau von Vertrauen beeinflussen und sogar blockieren können. Murnyati Tjaya stellt diesbezüglich heraus, dass vor allem Normen und Werte einen Einfluss auf den Vertrauensaufbau in Teams haben. Personen, welche dieselben Werte und Einstellungen teilen, gelten als vertrauenswürdiger. Da Werte und Normen kulturell geprägt sind, unterscheiden sie sich je nach Land und Kultur. Die Bereitschaft anderen Menschen zu vertrauen und sich selbst vertrauensvoll zu verhalten, entsteht somit in Abhängigkeit der eigenen Kultur.[47] Moick betrachtet ebenfalls die Entstehung von Vertrauen im interkulturellen Kontext und bestätigt die Aussagen von Murnyati Tjaya. Moick gibt diesbezüglich an, dass Angehörige verschiedener Kulturen durch die Unterschiedlichkeiten dieser verunsichert werden. Zum Beispiel können die Teammitglieder zu Beginn einer Zusammenarbeit nicht einschätzen, ob eine Absprache eingehalten wird oder
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 211 eine mündliche Zusage auch eine Verbindlichkeit nach sich zieht. Diese Unsicherheiten hemmen den Vertrauensaufbau.[48] Dieser Aspekt wird von den Ergebnissen Shachafs unterstützt. Laut seiner Studie befördern kulturelle Unterschiede Missverständnisse innerhalb eines Teams. Dies begründet Shachaf mit der komplexer werdenden Kommunikation. Diese wirkt sich negativ auf den Vertrauensaufbau, das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie insgesamt auf die Identifikation mit anderen Teammitgliedern aus.[49] In Bezug auf die Identifikation mit der Gruppe sowie der Entstehung einer Teamidentität stellt Murnyati Tjaya fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Vertrauen und dem Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. Als ein Beispiel aus ihrer Studie sind Mitglieder einer kollektivistischen Kultur zu nennen, welche vor allem Familienangehörigen und engen Freunden Vertrauen entgegenbringen. Der Vertrauensaufbau mit fremden Personengruppen gestaltet sich dahingegen als schwierig.[50] In kollektivistischen Kulturen bildet das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Wenn sich die Teammitglieder zu ihrem Team nicht zugehörig fühlen, wird der Vertrauensaufbau somit erschwert.[51] Zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangen Webster und Wong, die in ihrer Untersuchung auch einen Zusammenhang zwischen Vertrauen und dem Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe erkennen. Die Autoren gehen zwar nicht schwerpunktmäßig auf kulturelle Aspekte ein, leiten jedoch wichtige Erkenntnisse aus In-Group und OutGroup Prozessen ab. Bei Teammitgliedern, welche gemeinsam in Präsenz arbeiten, ist das Maß an entgegengebrachtem Vertrauen höher. Dies zeigt sich vor allem bei semivirtuellen Teams, dessen Mitglieder virtuell und in Präsenz zusammenarbeiten. Die Mitglieder des Präsenzteams bilden dabei eine In-Group. Diese innere Gruppe bildet einen engeren Kreis, ist durch das persönliche Aufeinandertreffen im Umgang miteinander vertrauter und weist eine stärkere
212 ANNE BIEKOWSKI Bindung zueinander auf. Die anderen Teammitglieder, welche ausschließlich virtuell dazukommen, werden dabei zu Angehörigen einer Out-Group. Dieser Gruppe wird weniger Vertrauen entgegengebracht und es fällt den Mitgliedern schwerer sich miteinander zu identifizieren.[52] Daraus resultierend stellen Webster und Wong in ihrer Untersuchung fest, dass es für die Identität eines Teams von Bedeutung ist, ob die Teammitglieder in Präsenz aufeinandertreffen. Die Autoren geben an, dass sich sowohl in traditionellen als auch in virtuellen Teams eine starke Identität entwickeln kann. Einen negativen Einfluss hat diesbezüglich vor allem die gemischte bzw., hybride Zusammensetzung von Mitgliedern. Dort würde sich eine intensivere Teamidentität mit den Präsenzmitgliedern ausbilden und die anderen Mitglieder ausgrenzen.[53] Die Ergebnisse von Murnyati Tjaya ergänzen die Erkenntnisse von Webster und Wong bezüglich der Gruppenprozesse. Die Autorin zeigt auf, dass sich die Identifikation mit der eigenen Gruppe durch die Wahrnehmung einer Fremdgruppe erhöht.[54] Inwiefern die Wahrnehmung einer Out-Group jedoch für die In-Group von Bedeutung ist, ist abhängig von der jeweiligen Kultur der Gruppenmitglieder. Kollektivistische Kulturen haben beispielsweise ein eigenes Verständnis von ihrer In-Group. Die einzelnen Gruppenmitglieder werden als Individuum nicht hervorgehoben, sondern als Teil eines Ganzen betrachtet. Jeder Angehörige ist somit „ins Netzwerk von untereinander abhängigen Beziehungen eingeschlossen.“[55] Eine strikte Trennung zwischen Gruppe und Individuum findet im Gegensatz zu individualistischen Kulturen nicht statt.[56] Inwiefern eine Identifikation mit dem gesamten Team erfolgreich gelingt, ist folglich auch abhängig von der Kultur des jeweiligen Teammitglieds bzw. seiner kulturellen Herkunft. Boedecker sieht aufgrund der beschriebenen Gruppenprozesse eine Herausforderung in der Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls für ein kulturell gemischtes Team. Ihre Einschätzung begründet sie damit, dass ein
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 213 Zusammenhalt im Team durch den Fokus auf Gemeinsamkeiten gestärkt wird. Die Wahrnehmung von Unterschiedlichkeiten sorgt dahingegen für das Gegenteil.[57] Des Weiteren erkennt die Autorin einen negativen Einfluss bei einer zu starken Identifikation der Teammitglieder mit ihrer eigenen Kultur. Je stärker sich Angehörige einer Kultur mit dieser identifizieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie andere Kulturen und dessen Angehörige ablehnen. Diese Haltung beeinflusst das gesamte Team und dessen Zusammenhalt. Je nach Teamgröße kann es zu einer Bildung von Untergruppen kommen, die sogar miteinander in Konkurrenz treten. Das Entstehen einer Teamidentität ist dadurch nicht möglich.[58] Van Knippenberg und van Schie äußern sich in ihrer Forschungsarbeit ebenfalls zu dem Einfluss der Größe und Vielfältigkeit eines Teams auf dessen Identitätsbildung. Die Autoren haben festgestellt, dass sich Mitarbeiter mit ihrem Team eher identifizieren als mit dem gesamten Unternehmen. Diese Beobachtung begründen van Knippenberg und van Schie mit den vorhandenen Gemeinsamkeiten, welche von den Teammitgliedern wahrgenommen werden. Aufgrund der geringeren Mitgliederanzahl weisen kleinere Gruppen mehr Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen miteinander auf. Je größer und vielfältiger das Team ist, desto schwieriger werden die Identifikation und somit auch die Bildung einer Identität.[59] Kulturelle Aspekte und Kommunikation Ein weiterer Aspekt, welcher durch die Kultur der Teammitglieder beeinflusst wird, ist die Kommunikation. Boedecker, Shachaf und Uber Grosse gehen in ihren Studien auf das Verhältnis zwischen kulturellen Aspekten und der Kommunikation in einem virtuellen Team ein. Boedecker stellt diesbezüglich zunächst heraus, dass es eine gemeinsame Ausgangssprache sowie Regeln über ihren Gebrauch für alle Teammitglieder geben muss, damit sie miteinander in Interaktion treten können. In den meisten Teams ist
214 ANNE BIEKOWSKI Englisch die gemeinsame Sprache, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Teammitglieder Englisch oft sehr unterschiedlich beherrschen. In ihrer Studie vergleicht Boedecker mexikanische mit deutschen Teams und gibt an, dass die mexikanischen Mitglieder unsicherer im Umgang mit der englischen Sprache sind. Als Folge daraus führen die Mexikaner ihre Gespräche überwiegend mit nationalen Kollegen, da sie sich mit ihnen in ihrer Landessprache unterhalten können. Der Austausch mit deutschen Teammitgliedern wird dahingegen reduziert. Die Hemmungen im Umgang mit der Fremdsprache führen außerdem dazu, dass Teammitglieder sich auf den Austausch der wesentlichen Arbeitsinhalte konzentrieren. Die aufgezeigte fachliche Fokussierung ist u.a. mit der notwendigen Übersetzungsleistung zu begründen, welche aufgrund des Zeitaufwands umgangen wird.[60] Die Kommunikation innerhalb des Teams erscheint dadurch zunehmend formaler und unpersönlicher. Informelle Gespräche finden in den Teams selten statt. Dadurch wird der Kontaktaufbau zu anderen Teammitgliedern über die Kulturgrenzen hinweg erschwert. Zudem kann es dazu kommen, dass das Team aufgrund der Sprachbarrieren in einzelne Subgruppen zerfällt. Die Integration der Mitglieder in das Team wird dadurch beeinflusst und die Teamidentität geschwächt.[61] Boedecker gelangt in ihrer Studie außerdem zu der Erkenntnis, dass auch bei vorhandenen Sprachkenntnissen eine Interaktion mit Teammitgliedern aus anderen Nationen nicht automatisch gewährleistet ist. Dies begründet die Autorin erneut mit dem Vorhandensein von Unsicherheiten aufgrund kultureller Differenzen. Ein starker Teamzusammenhalt und ein Zusammengehörigkeitsgefühl werden somit erschwert. Die Bedenken gegenüber der fremden Kultur und Sprache wird laut Boedecker als eine Hauptursache für das erschwerte Entstehen einer Teamidentität angesehen.[62] Genkova verweist in ihrer Studie ebenfalls darauf, dass eine gemeinsame Ausgangssprache nicht ausreicht,
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 215 damit eine erfolgreiche Kommunikation interkultureller Teams gewährleistet ist. Jedes Teammitglied hat in Abhängigkeit seiner Kultur eigene Interaktionsmuster und Erwartungen an die Kommunikation der Teammitglieder. Die eingeschränkten Möglichkeiten in der Kommunikation erschweren diesen Austausch.[63] Ein gegenseitiges Verständnis für die Sprachbarrieren sowie die spezifische Ausdrucksweise der Teammitglieder werden beispielsweise als Voraussetzung angesehen, damit die Zusammenarbeit gelingen kann.[64] Genkova verweist in diesem Kontext darauf, dass für die Kommunikation in virtuellen Teams vor allem zu Beginn eines Gespräches eine Aufwärmphase einen Beitrag zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre leisten kann. Ein „Gefühl von Gemeinsamkeit [wird dadurch] trotz räumlicher Distanz […] erzeugt.“[65] In der Studie von Shachaf wird auch auf den Zusammenhang zwischen Kultur und Kommunikation eingegangen. Die Ergebnisse seiner Untersuchung zeigen einerseits, dass die kulturelle Vielfalt des Teams die Kommunikation negativ beeinflussen kann. Dies begründet er damit, dass sich die Art der Kommunikation in den Kulturkreisen unterscheidet. In einigen Ländern wird überwiegend direkt kommuniziert, während in anderen Nationen eine indirekte Sprache bevorzugt wird. Als Resultat entstehen Missverständnissen sowie ein geringes Verständnis der Mitglieder füreinander. Andererseits äußert sich Shachaf positiv in Hinblick auf die Diversität des Teams, da eine Heterogenität der Teammitglieder bei der Problemlösung und Entscheidungsfindung vorteilhaft ist.[66] Uber Grosse kommt zur selben Erkenntnis. Die Autorin hebt die verschiedenen Herangehensweisen der Teammitglieder in Bezug auf Problemlösungen und Herausforderungen aufgrund der Diversität ebenfalls als positiv hervor. Außerdem sei jedes Teammitglied aufgrund seiner Verortung in einer anderen Kultur ein Experte für die Gegebenheiten in seinem Land. Ein Vorteil, der von virtuellen Teams genutzt werden sollte.[67] Wenn es virtuelle Teams somit
216 ANNE BIEKOWSKI schaffen, diese Aspekte als wesentliche Eigenschaften ihres Teams zu erkennen und als ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Teams hervorzuheben, kann von ihnen ein wertvoller Beitrag zu der Entstehung eines starken WirGefühls geleistet werden. Der Fokus auf eine gemeinsame Aufgabe, welche von einem Team bearbeitet wird, kann ebenfalls zu einer starken Identifikation führen. Van Knippenberg und van Shie verweisen vor allem auf den Zeitraum der gemeinsamen Bearbeitung, welcher für die Entstehung einer Teamidentität relevant erscheint. Nach einer bestimmten Zeit weisen die Mitglieder eines Teams ein gemeinsames Erleben und eine gemeinsame Vergangenheit auf, welche das Zugehörigkeitsgefühl stärkt. Je länger der Zeitraum ist, desto intensiver sei die Wahrnehmung einer gemeinsamen Identität.[68] Virtualität als Einflussgröße Aufgrund der Virtualität der Teamarbeit lassen sich auch Auswirkungen auf die Kommunikation und das Vertrauen erkennen. Krämer stellt in ihrer Studie fest, dass die Virtualität das Vertrauen der Teammitglieder sowie ihre Kommunikation miteinander verändert.[69] Die Studie zeigt, dass es für virtuelle Teams schwieriger ist, relevante Informationen „auf einem hohen qualitativen Niveau und mit möglichst wenig Missverständnissen auszutauschen.“[70] Krämer begründet dies damit, dass Hinweisreize wahrgenommen und interpretiert werden müssen. Eine Aufgabe, die aufgrund der Virtualität jedoch nicht immer vollständig gelingt.[71] Des Weiteren kann durch die Ergebnisse festgehalten werden, dass der kommunikative Austausch der Teammitglieder unter hoch virtuellen Bedingungen besser gelingt, wenn gegenseitiges Vertrauen innerhalb des Teams als Grundlage vorhanden ist. Fehlt das Teamvertrauen im virtuellen Raum, werden die Gespräche reduziert und die Kommunikation insgesamt erschwert.[72]
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 217 Geister bestätigt in ihrer Studie, dass die virtuellen Arbeitsbedingungen einen Einfluss auf die Kommunikation der Teammitglieder nehmen. Durch die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten in virtuellen Teams findet die informelle Kommunikation in einem geringeren Umfang als in Präsenzteams statt. In Gesprächen werden somit weniger Emotionen übermittelt. Außerdem tauschen sich die Teammitglieder weniger über persönliche Aspekte aus. Die Kommunikation fällt somit insgesamt sachlicher aus.[73] Moick bestätigt durch ihre Aussage, dass die Kommunikation in einem virtuellen Team als komplexer angesehen werden kann als in traditionellen Teams. Ein wichtiger Aspekt, den die Autorin hervorhebt, ist die Erkenntnis, dass aufgrund der fehlenden Face-to-Face Kommunikation die Gespräche sachlicher und unpersönlicher werden. Dies führt dazu, dass die Gesprächsteilnehmer anonymer im Umgang miteinander sind und der Vertrauensaufbau demnach gehemmt wird. Es kann als ein wesentlicher Grund genannt werden, wieso das Entstehen eines Wir-Gefühls blockiert wird.[74] Jarvenpaar und Leidner zeigen in ihrer Studie auf, dass die informelle Kommunikation von virtuellen Teams einen wesentlichen Beitrag zum Vertrauensaufbau leistet. Vor allem zu Beginn der Zusammenarbeit und beim Hinzukommen neuer Mitglieder ist der informelle Austausch von Bedeutung. Beispielsweise führen persönliche Gespräche zu einem höheren Maß an Vertrauen und zu mehr Kommunikation bei der Zusammenarbeit insgesamt. Die Autoren heben hervor, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Vertrauen und Kommunikation in virtuell arbeitenden Teams gibt.[78] Klostermann stellt Vertrauen als Grundlage für eine erfolgreiche virtuelle Teamarbeit heraus. Kommunikation ist dabei ein wesentlicher Faktor, welcher den Aufbau von Vertrauen begünstigt und sicherstellt. Zudem wird die Kommunikation als eine Voraussetzung für weitere Prozesse wie beispielsweise die Koordination der Teammitglieder
218 ANNE BIEKOWSKI angesehen. Vor allem zu Beginn der virtuellen Teamarbeit ist die Kommunikation untereinander von hoher Bedeutung und gilt als unverzichtbar für den Erfolg der Zusammenarbeit.[79] In der Studie von Breuer geht die Autorin auch auf die Einflussfaktoren für den Vertrauensaufbau in virtuellen Teams ein. Dazu zählt Breuer beispielsweise Integrität, Transparenz sowie die Kompetenzen der Teammitglieder. Die wahrgenommene Integrität hat vor allem einen positiven Einfluss auf den Aufbau von Vertrauen innerhalb eines virtuellen Teams. In traditionellen Teams erscheint dies vergleichsweise weniger relevant. Den Erkenntnissen von Breuer nach sollte bei virtueller Teamarbeit somit verstärkt darauf geachtet werden, dass die Teammitglieder sich authentisch verhalten und ihre getroffenen Absprachen einhalten.[80] Webster und Wong haben aus ihren Untersuchungsergebnissen ebenfalls Erkenntnisse in Bezug auf die Kommunikation im virtuellen Raum erhalten. Die Autoren stellen fest, dass sich Mitglieder von Präsenzteams schneller miteinander austauschen und persönlicher kommunizieren. Aufgrund des persönlichen Aufeinandertreffens kann zudem die Körpersprache der Teammitglieder besser wahrgenommen sowie gedeutet werden. Das Gesagte kann somit besser eingeschätzt werden. Die Autoren schlussfolgern, dass virtuelle Teammitglieder eine längere Zeit für eine gemeinsame Identitätsbildung benötigen.[81] Des Weiteren konnten Webster und Wong feststellen, dass regelmäßige Treffen in Präsenz dazu führen, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl eines Teams gestärkt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass Mitglieder aus Präsenzteams ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl miteinander verbindet. Das wahrgenommene Vertrauen wurde außerdem als höher beschrieben.[82] Uber Grosse spricht den Treffen in Präsenz ebenfalls eine Bedeutung zu. Die Führungskräfte, welche in ihrer Studie interviewt wurden, sehen den persönlichen Kontakt
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 219 zwischen den Teammitgliedern vor allem zu Beginn der Zusammenarbeit als enorm wichtig an. Einen frühzeitigen Kontakt begründen die Führungspersonen mit dem positiven Einfluss auf das Vertrauen und dem Wir-Gefühl des Teams.[83] In virtuellen Teams sind außerdem Unterschiede in der Kommunikation bei den Mitgliedern zu erkennen, welche bereits in Präsenz zusammengearbeitet haben. In Präsenzteams finden auch während der virtuellen Teamarbeit mehr persönliche und informelle Gespräche statt. Im Verlauf der virtuellen Zusammenarbeit kann die informelle Kommunikation der Teammitglieder somit durch ein persönliches Treffen positiv beeinflusst werden.[84] Zudem macht es einen Unterschied, wenn die Mitglieder des Teams bereits Vorerfahrungen mit virtueller Zusammenarbeit gemacht haben. Ihnen fällt es insgesamt leichter mit ihren virtuellen Kollegen zu kommunizieren.[85] Die Untersuchung von Uber Grosse zeigt außerdem, dass persönliche Kontakte der Teammitglieder durch den Einsatz bestimmter Medien gefördert werden können. Videokonferenzen und Telefongespräche sind zentrale Medien, die „in der Kennenlernphase den Aufbau einer Gruppenkohäsion und Vertrauen“[86] fördern. In Bezug auf die Kommunikationsmedien zeigen die Ergebnisse von Genkova, dass die Präferenz bei der Medienauswahl abhängig von der jeweiligen Kultur ist. Deutsche Teammitglieder bevorzugen bei ihrer Zusammenarbeit den persönlichen Austausch ohne zwischengeschaltete Medien. Ein Telefonat oder Videogespräch stellt keinen adäquaten Ersatz für einen persönlichen Kontakt dar.[87] Im Gegensatz dazu nehmen die persönlichen Kontakte für die amerikanischen Teamkollegen eine geringere Bedeutung ein.[88] Moick stellt in ihrer Studie fest, dass zwischen Kommunikation und Vertrauen Wechselwirkungen bestehen. Vertrauen beeinflusst beispielweise die Kommunikation, da sich die Teammitglieder intensiver miteinander
220 ANNE BIEKOWSKI austauschen, wenn sie sich aufeinander verlassen können. Dementsprechend stellt eine regelmäßige Kommunikation der Teammitglieder den Vertrauensaufbau sicher und sorgt dafür, dass sich das Teamvertrauen nach und nach ausbildet.[89] Aufgrund der fehlenden persönlichen Kontakte in virtuellen Teams ist der Vertrauensaufbau erschwert.[90] Vor allem die informellen Gespräche sind aufgrund ihrer positiven Auswirkung auf das Zusammengehörigkeitsgefühl des Teams von Bedeutung. Die Kommunikation leistet somit einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung eines Gruppenverständnisses im Team.[91] Zusammenführung der Ergebnisse Die Ergebnisse der Untersuchung haben gezeigt, dass die Faktoren Kultur, Vertrauen und Kommunikation einen Einfluss auf die Entstehung einer Teamidentität in virtuellen Teams nehmen. Durch die verschiedenen kulturellen Hintergründe der einzelnen Teammitglieder werden vor allem die unterschiedlichen Einstellungen, Werte und Sichtweisen deutlich. Insbesondere bei kulturellen Aspekten, welche sich nicht miteinander vereinbaren lassen, kann es innerhalb des Teams zu Konflikten und Unsicherheiten im Umgang miteinander kommen. Dies beeinflusst die Teamidentität negativ, da die wahrgenommenen Unterschiedlichkeiten die Entstehung eines starken Wir-Gefühls hemmen. Je vielfältiger und diverser das Team ist, desto schwieriger wird der Fokus auf das Gemeinsame. Die Studien haben außerdem verdeutlicht, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen zur Entstehung von Subgruppen innerhalb eines virtuellen Teams beitragen kann. Die Subgruppen können auch entstehen, wenn einige Teammitglieder in Präsenz zusammenarbeiten und weitere Teammitglieder ausschließlich virtuell dazukommen. Es gilt somit die Art der Zusammensetzung zu vermeiden, da die Entstehung einer Teamidentität erschwert wird.
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 221 Damit trotz der kulturellen Vielfalt sowie Heterogenität des Teams eine Teamidentität entstehen kann, muss die Auseinandersetzung mit den kulturellen Aspekten als eine wesentliche Führungsaufgabe angesehen und innerhalb eines virtuellen Teams gefördert werden.[92] Die Führungskraft soll zunächst ein Bewusstsein für die Verschiedenheiten der Teammitglieder sowie die Kulturenvielfalt des Teams entwickeln und dazu in der Lage sein, ihren Führungsstil entsprechend anzupassen. Die Art und Weise des Führungsverhaltens orientiert sich auch an den kulturellen Besonderheiten eines Landes. Das bedeutet, dass beispielsweise das Führungsverhalten in einem Land erfolgreich sein kann und in einem anderen gar nicht funktioniert.[93] Die Führungskraft muss sich somit an die unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten in ihrem Team anpassen und Verhaltensweisen zeigen, welche über kulturelle Grenzen hinweg stabil bestehen können.[94] Des Weiteren sollte die Führungskraft sich selbst mit den Werten des Teams identifizieren und sie aktiv in das Team hineintragen. Dabei sollte eine regelmäßige Auseinandersetzung der Teammitglieder mit der Frage nach den gemeinsam geteilten Werten anvisiert werden. Dadurch wird das Wir-Gefühl des Teams gestärkt, welches sich im Verlauf der Zusammenarbeit immer stärker ausprägt und dazu führt, dass die Teammitglieder sich langfristig als eine Einheit wahrnehmen und somit eine eigene Identität entsteht. Im Zusammenhang mit den kulturellen Unterschieden sollte der Fokus der Führungskraft auf der Förderung des gegenseitigen Verständnisses der Teammitglieder füreinander liegen. Dabei sollte die Führungskraft vor allem sicherstellen, dass eine akzeptierende Haltung gegenüber der kulturellen Diversität innerhalb des Teams gelebt wird. Als eine Möglichkeit, sich mit verschiedenen Kulturen auseinanderzusetzen und für kulturelle Differenzen zu sensibilisieren, sind interkulturelle Trainings zu nennen. Die Förderung der interkulturellen Kompetenzen führt außerdem
222 ANNE BIEKOWSKI zu einer größeren Akzeptanz im Team und beugt Missverständnissen sowie Konflikten vor. Da derartige Trainings die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und deren Angehörigen gefördert wird, werden Unsicherheiten im Umgang mit diesen reduziert.[95] Es ist eine Voraussetzung für das Entstehen einer Teamidentität. Der Faktor Kultur hat einen großen Einfluss auf die Kommunikation in einem virtuellen Team. Die Analyse der Studien zeigt, dass sich die Art und Weise der Kommunikation in verschiedenen Kulturkreisen voneinander unterscheidet. In einigen Regionen wird eine indirekte, in anderen eine direkte Sprache bevorzugt. Zudem stellt die Kommunikation in einer gemeinsamen Ausgangssprache, welche nicht zugleich die Muttersprache von allen Teammitgliedern ist, eine Herausforderung für eine erfolgreiche Teamarbeit dar. Im Zusammenhang mit der Kommunikation eines virtuellen Teams konnte durch die Studien außerdem herausgestellt werden, dass die räumliche Distanz die Entstehung einer Teamidentität negativ beeinflusst. Aufgrund der globalen Verteilung im virtuellen Raum sind persönliche Treffen der Teammitglieder kaum möglich. Dadurch ist vor allem die informelle Kommunikation stark eingeschränkt. Aufgrund der Verteilung und Virtualität kann die Distanz nicht beseitigt werden. Um die Kommunikation positiv zu beeinflussen, muss die Führungskraft somit aktiv die Steuerung der Kommunikation übernehmen.[96] Als ein Beispiel könnte die Führungskraft regelmäßig innerhalb der online Meetings Möglichkeiten schaffen, bei denen sich die Teammitglieder neben arbeitsspezifischen Aspekten auch informell austauschen. Durch den Einsatz ausgewählter Kommunikationsmedien und digitaler Tools kann dies unterstützt werden. Zudem können virtuelle Pausenräume zur Verfügung gestellt werden, um für die Teammitglieder bewusst Zeit und Raum zu schaffen und folglich den informellen Austausch zu fördern. Dadurch wird eine „emotionale Nähe“[97] geschaffen, welche dafür sorgt, dass sich die
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 223 Mitglieder als ein Team wahrnehmen und miteinander in Interaktion treten.[98] Die Kommunikation übernimmt in virtuellen Teams die wichtige Funktion die sozialen Beziehungen der Teammitglieder sicherzustellen und ein Teamverständnis herbeizuführen. Durch die Studien wurde verdeutlicht, dass dies nicht automatisch geschieht, aber von großer Bedeutung für eine Teamidentität ist. Ein Aspekt, der demnach ebenfalls als eine wesentliche Aufgabe der Führungskraft angesehen werden sollte. Der Faktor Kommunikation beeinflusst das Vertrauen innerhalb eines virtuellen Teams. Anhand der Studien kann gezeigt werden, dass Vertrauen als Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sowie die Entstehung einer Teamidentität angesehen werden kann. Die Kommunikation der Teammitglieder trägt zu einem vertrauensvollen Umgang miteinander bei. Ohne den kommunikativen Austausch untereinander wäre die Bildung von Vertrauen nicht möglich. Gleichermaßen wirkt das Vertrauen auch auf die Kommunikation ein. Bei Teammitgliedern, welche sich weniger vertrauen, fällt die Kommunikation insgesamt geringer aus. Die Führungskraft sollte in diesem Zusammenhang den Fokus auf eine gelingende Kommunikation legen. Gerade zu Beginn der Teamarbeit kann die Führungskraft die Möglichkeit einer Auftaktveranstaltung nutzen, bei der die Teammitglieder sich (virtuell) kennenlernen können. Die Kennenlernphase sollte auch bei der virtuellen Zusammenarbeit nicht unterschätzt werden, da somit sichergestellt wird, dass die Teammitglieder auf gemeinsame Erfahrungen zurück greifen.[99] Eine gemeinsame Vergangenheit und geteilte Erlebnisse tragen zur Stärkung der Teamidentität bei. Literaturverzeichnis Geister, S. (2005). Feedback in virtuellen Teams. Entwicklung und Evaluation eines Online-Feedback-Systems. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.
224 ANNE BIEKOWSKI Genkova, P., Gajda, A. & Wörmann, S. (2012). Ist Kultur virtuell erkennbar? Einflussvariablen der interkulturellen Kommunikation bei virtuellen Teams. In U. Reuter (Hrsg.), Von der digitalen zur interkulturellen Revolution (S. 249-268). Baden-Baden: Nomos. Herrmann, D., Hüneke, K. & Rohrberg, A. (2006). Führung auf Distanz. Mit virtuellen Teams zum Erfolg. Wiesbaden: Springer Gabler. Herzfeldt, E. & Sackmann, S. A. (2019). Kommunikation und Kooperation in virtuellen und internationalen Teams. In S. Einwiller, S. A. Sackmann & A. Zerfaß (Hrsg.), Handbuch Mitarbeiterkommunikation (S. 1-18). Wiesbaden: Springer Gabler. Jarvenpaa, S. L. & Leidner, D. E. (1999). Communication and Trust in global virtual teams. Organization Science, 10(6), 791-815. Kauffeld, S., Handke, L. & Straube, J. (2016). Verteilt und doch verbunden: Virtuelle Teamarbeit. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie, 47(1), 43–51. Keite, L. (2019). Corporate Identity im digitalen Zeitalter. Leitfaden zu einer starken Unternehmensidentität. Freiburg: Haufe. Klostermann, M., Ontrup, G., Thomaschewski, L. & Kluge, A. (2021). Something Old or Something New? An Empirical Study on the Instant Adjustment to Virtual Teamwork During COVID-19. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 65(4), 215-230. Krämer, S. (2009). Informations- und Kommunikationsmanagement in virtueller Teamarbeit. Hamburg: Verlag Dr. Kovač. Lehmann, K. (2003). Auswahl von Mitgliedern virtueller Teams. Entwicklung und Validierung eines Online-Testverfahrens. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Moick, M. (2009). Erfolgsfaktoren virtueller Teams. Bedeutung und Wirksamkeit der Erfolgsfaktoren Kommunikation, Vertrauen und Identität in virtuellen Teams. Diplomarbeit, Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt. Murnyati Tjaya, J. (2008). Eine kulturvergleichende Studie zum Vertrauensaufbau am Beispiel deutscher und indonesischer Arbeitsgruppen. Hamburg: Verlag Dr. Kovac. Müller, S. (2018). Virtuelle Führung. Erfolgreiche Strategien und Tools für Teams in der digitalen Arbeitswelt. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 225 Osterloh, M, & Weibel, A. (2006). Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen. Wiesbaden: Springer Gabler. Reinke, M. et al. (2021). Virtuelle Zusammenarbeit: kreativ und inspirierend. Methoden und Tools für besseres Co-Working. Freiburg: Haufe. Rumpf, J. (2018). Führung durch Mausklick? Herausforderungen für Führungskräfte in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt mit virtuellen Teams. In C. von Au (Hrsg.), Führen in der vernetzten virtuellen und realen Welt. Digitalisierung, Selbstorganisation, Organisationsspezifika und Tabuthema Tod (S. 51-67). Wiesbaden: Springer Fachmedien. Shachaf, P. (2008). Cultural Diversity and information and communication technology impacts on global virtual team. An exploratory study. Information & Management, 45(2), 131142. Tröster, C. (2018). Führen von multinationalen Teams. Eine kognitive Analyse sowie Implikationen für die Führung multinationaler Teams. In C. von Au (Hrsg.), Führen in der vernetzten virtuellen und realen Welt. Digitalisierung, Selbstorganisation, Organisationsspezifika und Tabuthema Tod (S. 7993). Wiesbaden: Springer Fachmedien. Uber Grosse, C. (2002). Managing Communication within Virtual Intercultural Teams. Business Communication Quarterly, 65(4), 22-38. van Dick, R. (2004). Commitment und Identifikation mit Organisationen. Göttingen: Hogrefe. van Dick, R. & West, M. A. (2005). Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung. Göttingen: Hogrefe. van Knippenberg, D. & van Schie, E. C. M. (2002). Foci and correlates of organizational identification. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 73(2), 137–147. Wald, P. M. (2021). Virtuelle Führung. Mit neuen Medien führen. In I. Rybnikova & Lang, R. (Hrsg.), Aktuelle Führungstheorien und Konzepte (S. 385-432). Wiesbaden: Springer Nature. Webster, J. & Wong, W. K. P. (2008). Comparing Traditional and Virtual Group Forms. Identity, Communication and Trust in Naturally Occurring Project Teams. The International Journal of Human Ressource Management, 19(1), 41-62. Wirtz, M. A. (2021). Dorsch – Lexikon der Psychologie (20., überarbeitete Auflage). Bern: Hogrefe.
226 ANNE BIEKOWSKI Anmerkungen [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13]
[14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [36] [37] [38] [39] [40] [41] [42] [43] [44] [45] [46] [47] [48] [49]
Vgl. Wald, P. M., 2021, S. 385f Vgl. Kauffeld, S. et al., 2016, S. 43 Vgl. Boos, M. et al., 2017, S. 1 Vgl. Herrmann, D. et al., 2006, S. 36f Vgl. Fajen, A., 2018, S. 6 Vgl. Alter, U., 2019, S. VII Vgl. Wirtz, M. A., 2021, S. 750 Vgl. Müller, S., 2018, S. 1 Alter, U., 2019, S. 11 Vgl. Alter, U., 2019, S. 11 Vgl. Müller, S., 2018, S. 1 Vgl. Müller, S., 2018, S. 1 Die Begriffe traditionelle Teams, Präsenzteams und Face-to-FaceTeams werden in der Arbeit synonym verwendet. Vgl. Rumpf, J., 2018, S. 58 Vgl. Frindte, W. et al., 2019, S. 253 Vgl. Block, C. H., 2000, S. 173 Vgl. Döring, N., 2003, S. 325 Vgl. von Dick, R., 2004, S. 45 Vgl. Brinkmann, R., 2018, S. 303 Vgl. von Dick, R., 2004, S. 52 Vgl. Döring, N., 2003, S. 331 Vgl. Döring, N., 2003, S. 331 Vgl. Brinkmann, R., 2018, S. 303 Vgl. Brinkmann, R., 2018,S. 303 Vgl. Keite, L., 2019, S. 23f Vgl. Brinkmann, R., 2018, S. 303 Vgl. Abels, H., 2019, S. 261 Vgl. Brinkmann, R., 2018, S. 303 Vgl. van Dick, R. et al., 2005, S. 71 Vgl. Brinkmann, R., 2018, S. 319 Vgl. Buchner, D., 1994, S. 103 Vgl. van Dick, R. et al., 2005, S. 71 Vgl. Buchner, D., 1994, S. 103 Vgl. Abels, H., 2019, S. 267 Vgl. Herzfeldt, E. et al., 2019, S. 6 Vgl. Müller, S., 2018, S. 1 Vgl. Frindte, W., 2019, S. 253 Vgl. van Dick, R., 2004, S. 32 Vgl. Abels, H., 2019, S. 271 Vgl. Reinke, M. et al., 2021, S. 64 Vgl. Osterloh, M. et al., 2006, S. 17 Vgl. Osterloh, M. et al., 2006, S. 57f Vgl. Osterloh, M. et al., 2006, S. 209 Vgl. Osterloh, M. et al., 2006, S. 57f Vgl. Eichenlaub, A., 2010, S. 100 Vgl. Lehmann, K., 2003, S. 25 Vgl. Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 184 Vgl. Moick, M., 2009, S. 96 Vgl. Shachaf, P., 2008, S. 133
TEAMIDENTITÄT IN VIRTUELLEN TEAMS 227 [50] [51] [52] [53] [54] [55] [56] [57] [58] [59] [60] [61] [62] [63] [64] [65] [66] [67] [68] [69] [70] [71] [72] [73] [74] [75] [76] [77] [78] [79] [80] [81] [82] [83] [84] [85] [86] [87] [88] [89] [90] [91] [92] [93] [94] [95] [96] [97] [98] [99]
Vgl. Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 83 Vgl. Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 83 Vgl. Webster, J. et al., 2008, S. 54 Vgl. Webster, J. et al., 2008, S. 52 Vgl. Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 197 Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 197 Vgl. Murnyati Tjaya, J., 2008, S. 197 Vgl. Boedecker, S., 2012, S. 61 Vgl. Boedecker, S., 2012, S. 62 Vgl. van Knippenberg, D. et al., 2000, S. 145 Vgl. Boedecker, S., 2012, S. 220 Vgl. Boedecker, S., 2012, S. 221f Vgl. Boedecker, S., 2012, S. 224 Vgl. Genkova, P., 2012, S. 352 Vgl. Genkova, P., 2012, S. 366 Genkova, P., 2012, S. 365 Vgl. Shachaf, P., 2008, S. 133 Vgl. Uber Grosse, C., 2002, S. 27 Vgl. van Knippenberg, D. et al., 2000, S. 140 Vgl. Krämer, S., 2009, S. 140 Krämer, S., 2009, S. 140 Vgl. Krämer, S., 2009, S. 140 Vgl. Krämer, S., 2009, S. 120 Vgl. Geister, S., 2005, S. 49 Vgl. Moick, M., 2009, S. 69 Vgl. Geister, S., 2005, S. 161 Vgl. Geister, S., 2005, S. 50 Vgl. Jarvenpaa, S. L. et al., 1999, S. 807 Vgl. Jarvenpaa, S. L. et al., 1999, S. 806 Vgl. Klostermann, M. et al., 2021, S. 223f Vgl. Breuer, C. et al., 2017, S. 14 Vgl. Webster, J. et al., 2008, S. 44 Vgl. Webster, J. et al., 2008, S. 52 Vgl. Uber Grosse, C., 2002, S. 31f Vgl. Uber Grosse, C., 2002, S. 31f Vgl. Uber Grosse, C., 2002, S. 26f Uber Grosse, C., 2022, S. 37 Vgl. Genkova, P., 2012, S. 360 Vgl. Genkova, P., 2012, S. 356 Vgl. Moick, M., 2009, S. 93 Vgl. Moick, M., 2009, S. 62 Vgl. Moick, M., 2009, S. 90 Vgl. Tröster, C., 2018, S. 90 Vgl. Tröster, C., 2018, S. 84 Vgl. Tröster, C., 2018, S. 91 Vgl. Rumpf, J., 2018, S. 63 Vgl. Rumpf, J., 2018, S. 61 Rumpf, J., 2018, S. 61 Vgl. Rumpf, J., 2018, S. 61 Vgl. Brinkmann, A. et al., 2022, S. 53
Teil 3 Netzwerke, Ambidextrie und Wissensmanagement
Vom Netzwerk zur Kooperation – Voraussetzungen und Handlungsempfehlungen zur Steigerung der Kooperationswahrscheinlichkeit in Netzwerken Dusan Todorovic Netzwerke und Kooperationen sind in aller Munde. Ein gutes Netzwerk steigert die Erfolgswahrscheinlichkeit. Durch eine Kooperation lassen sich Probleme effizienter lösen. Die Begriffe werden sowohl in der Alltagssprache als auch im wissenschaftlichen Diskurs zur Beschreibung unterschiedlich wirkender Phänomene teils synonym verwendet. Doch was ist ein Netzwerk? Und was ist eine Kooperation? Wie hängen die Phänomene Netzwerk und Kooperation zusammen? Ist die Unterscheidung der Termini eine akademische Übung oder können daraus Implikationen für zielgerichtetes Handeln abgeleitet werden, das zur Entstehung und Entwicklung von Netzwerken und Kooperationen beiträgt? Networks and cooperations are omnipresent. A good network increases the probability of success. Problems can be solved more efficiently through cooperation. Both in everyday language and in scientific discourse, the terms are sometimes used synonymously to describe phenomena that are, at least in appearance, different. But what is a network? And what is cooperation? How are the phenomena of network and cooperation related? Is the distinction between the terms an academic exercise or can implications for goal-oriented action be derived from it? And how do these implications contribute to the emergence and development of networks and cooperations? 231
232 DUSAN TODOROVIC
1. Einleitung „Die Zukunft gehört den Netzwerken“, meint der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx (Gehre, 2013). „Die Netzwerkgesellschaft“ titelt Politikwissenschaftler Dirk Messner (Messner, 1995) ebenso wie Soziologe Manuel Castells die heutige Gesellschaft als „network society“ bezeichnet (Castells, 2000). „Kooperation statt Konkurrenz“, ist der Ausweg aus der Krise für den alternativökonomischen Wirtschaftstheoretiker und Philosophen Christian Felber (Felber, 2009), während Banken mit den ursprünglich noch als Konkurrenten gesehenen FinTechs kooperieren (PricewaterhouseCoopers, 2018). Daimler kooperiert mit BMW bei der Entwicklung autonomer Fahrsysteme und bei Carsharing-Diensten, um Innovationen voranzutreiben und dem Konkurrenzdruck zu begegnen (Manager-Magazin.de, 2019). Jeden Monat nutzen 2,3 Milliarden Menschen das soziale Netzwerk Facebook, während das Business-Network LinkedIn von 300 Millionen frequentiert wird (Statista.de, 2019). Man(n) macht Karriere über Netzwerke (Groll, 2017). Im globalen Wettbewerb um Kapitalund Humanressourcen investiert die öffentliche Hand in solche Kooperationen und Regionalentwicklungsnetzwerke (Bachinger, 2012, S. 1). Im Kreis der Kolleginnen, Kollegen werden jene, die es schaffen, mit ihrem Netzwerk ein Geschäft an Land zu ziehen, als gute Networker bezeichnet. Auf den ersten Blick wird die große Bedeutungsbandbreite sowie Relevanz von Netzwerk und Kooperation im allgemeinen Sprachgebrauch offensichtlich.
2. Begriffliche und theoretische Grundlagen – Netzwerk und Kooperation Netzwerk- bzw. Kooperationstypen – eine Übersicht Wie in der Einleitung erörtert wurde, ist die Verwendung des Begriffes Netzwerk im Sprachgebrauch sehr breit. So
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 233 können bspw. virtuelle Unternehmen als Netzwerke bezeichnet werden (Prien, 2005, S. 18). Aber auch die Überwindung formaler Hierarchie und Organisationsstruktur zur Zielerreichung innerhalb einer Organisation durch informelle, persönliche Beziehungen kann als informelles Netzwerk bezeichnet werden (Ziegenhorn, 2005, S. 38). Es schließen sich Organisationen oder Unternehmen zu Netzwerken zusammen, um bestimmte politische Themen zu verfolgen. Wenn Sie selbst an Ihr berufliches Umfeld denken, so bilden Ihre beruflichen Bekanntschaften Ihr persönliches berufliches Netzwerk. Nach Bauer zeichnen sich Netzwerke durch Potenzialität oder die Möglichkeit, sich zu verbinden aus. Sie können sich Netzwerke zugespitzt als Telefonbuch von Möglichkeiten vorstellen. Netzwerke sind idealtypisch offene Heterarchien mit loser Koppelung. Ihr Gegenpol stellen Hierarchien oder hierarchische Organisationen als Kooperationsform mit starrer Koppelung und starren Strukturen dar. Netzwerke erhalten und koordinieren sich über Vertrauen bzw. zerfallen, wenn kein Vertrauen herrscht oder es zerstört wurde. Die Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteure begegnen sich selbstbestimmt und auf Augenhöhe. In Organisationen übernimmt hierarchische Macht die Koordinationsfunktion. Wird eine einzelne Person Teil einer Organisation, so muss diese ihre Selbstbestimmung zum Teil aufgeben und sich dem Hierarchiegefüge unterwerfen. Dabei ist zu beachten, dass sich Macht und Vertrauen, Unterwerfung und Selbstbestimmung nicht kategorisch ausschließen, sondern in unterschiedlichen Kooperationsformen unterschiedlich ausbalanciert sind (Bauer, 2017, S. 63 f.). So werden Sie in einem bei einem Unternehmen einen höheren Grad an Selbstbestimmung der einzelnen Mitglieder beobachten können als beispielsweise beim Heer. Zwischen den beiden Polen Netz und Organisation können wir eine Vielzahl von Kooperationsformen und netzwerkähnlichen Strukturen beobachten.
234 DUSAN TODOROVIC Teller und Longmuß (2007) wiederum unterscheiden folgende Netzwerk- und Kooperationstypen, wobei die Autoren selbst keine eindeutige Abgrenzung von Netzwerk und Kooperation vornehmen und nur von Netzwerken sprechen. Die beispielhafte Auflistung in der folgenden Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Tabelle 1: Übersicht von Netzwerk- und Kooperationstypen Marktorientierte Netzwerke, die zu einer direkten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit führen. Bspw.: strategische Netzwerke (z. B.: Produktionsnetzwerke, Zuliefernetzwerke) Verbundnetzwerke (z. B.: Branchennetzwerke, Verkehrsverbünde) virtuelle Unternehmen Projektnetzwerke (Arbeitsgemeinschaften im Baugewerbe, Innovationsnetzwerke) Gemeinwohlorientierte Netzwerke, die einen Nutzen für eine Gruppe, Gemeinschaft oder Region ohne unmittelbare wirtschaftliche Ziele schaffen wollen. Bspw.: Gemeinschaftsnutzungseinrichtungen (z. B.: der Nachbarschaftsgarten) Akteursnetzwerke (z. B.: Gemeinschaftseinkauf, Public Pressure Groups) Tauschverbund (z. B.: Tausch von Kompetenzen in Zeitbörsen, gegenseitige Verleihung von Investitionsgütern) Intermediäre Netzwerke, die nicht direkt wirtschaftliche Vorteile verschaffen, jedoch langfristig solche ermöglichen können. Bspw.: Erfahrungsaustauschnetzwerke (z. B.: Beratungsnetzwerke, Forschungsnetzwerke, Karrierenetzwerke, Intervisionsgruppen) Lern- und Qualifizierungsverbünde Regionalentwicklungsnetzwerke informelle Netzwerke bzw. persönliche Netzwerke Quelle: vgl. Teller & Longmuß, 2007, S. 60 ff., 72f.; Aderhold, 2005, S. 116
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 235 Die unterschiedlichen Typen haben fließende Grenzen (Teller & Longmuß, 2007, S. 62) und lassen sich voneinander nicht immer scharf abtrennen. Ein Netzwerk bzw. eine Kooperation können mehreren Typen zuordenbar sein. Auch können sich informelle und formalisierte Netzwerke innerhalb anderer Netzwerk-, Kooperations- und Organisationstypen entwickeln. Auch wenn alle oben genannten Phänomene als „Netzwerke“ bezeichnet werden, unterscheiden sie sich grundlegend in ihren Eigenschaften in Hinsicht auf die Organisationsform, Hierarchiestruktur, Laufzeit, die Intensität der Kooperation, das Maß an Vertrauen, Größe und Reichweite oder die vorherrschende Beziehungsqualität1. Definitorische Abgrenzung von Netzwerken und Kooperationen Ein Netzwerk ist zunächst ein Begriff, der ein Geflecht aus Knoten und Verbindungen dieser Knoten beschreibt. Diese Knoten können im sozialwissenschaftlichen Kontext je nach Betrachtungsweise Personen und/oder Organisationen (soziale Systeme) sein, die miteinander im Austausch stehen. Ausgehend von Sydow ist ein Netzwerk eine Organisationsform, die „das Gegenmodell zur tief integrierten und/oder breit diversifizierten Unternehmung“ darstellt (Sydow, 2006, S. 1). Ebenso sieht dies Holger Siebert, für den „Netzwerke eine Koordinationsform zwischen Markt und Hierarchie“ sind (Siebert, 2010, S. 9). Diese Betrachtungsweise grenzt das Phänomen für die Praxis des Netzwerkmanagements nicht hinreichend ein, da sie unterstellt, dass – wie Bauer beobachtet – ein Netzwerk schon „per se organisationalen Charakter“ hätte. Daher wird unter falschen Voraussetzungen angenommen, dass ein Netzwerk auch steuerbar sei (Bauer, 2017, S. 63). Bauer hält fest: „Erst wenn sich einzelne Knoten zu konkreten Anlässen oder Ereignissen verknüpfen, entsteht eine zielgerichtete Kooperation von mehr oder minder flüchtigem Charakter. Erst die lässt sich managen“ (Bauer, 2017, S. 63).
236 DUSAN TODOROVIC Netzwerke stellen die soziale Infrastruktur und als solche das Potenzial zukünftiger Zusammenarbeit dar. Aderhold pointiert den Unterschied zwischen Netzwerk und Kooperation: „Eine sich auf der Basis von Potenzialität bildende und wieder vergehende Koordinationsform ist Kooperation. Potenzialität bezeichnet demnach das Netzwerk der latent angelegten sozialen Beziehungen, Aktualisierung, die darauf aufbauende manifestierte Form der aktiven zweckorientierten Zusammenarbeit, die Kooperation“ (Aderhold, 2005, S. 132). Bachinger spricht von „latenten Netzwerkpools“, aus denen sich, ein gemeinsames Thema oder Problem vorausgesetzt, „aktivierte Netzwerke“ bilden können, deren Mitglieder ein gemeinsames Ziel bzw. ein Set an komplementären Zielen verfolgen (Bachinger, 2012, S. 11, 34 f.). Bei Aderhold würde diese Unterscheidung analog jener zwischen Netzwerken und Kooperationen entsprechen. Eine Kooperation hat durch die zeitlich befristete Verfolgung eines oder mehrerer gemeinsamer Ziele meist auch einen projekthaften Charakter. In der Praxis spricht man daher häufig von Kooperationsprojekten. In Tabelle 2 sind einige Unterschiede zwischen Netzwerken und Kooperationen dargestellt. Tabelle 0: Eigenschaftsunterschiede zwischen Netzwerken und Kooperationen (in Anlehnung an Bienzle et al., 2007, S. 30) Eigenschaft Größe Abgrenzbarkeit Offenheit
Ziele Nutzen
Netzwerk viele Teilnehmende unbegrenzt offen für neue Teilnehmender, Wachstum als Strategie multiple Ziele, komplexes Zielgemenge strategische Potenzialität
Kooperation wenige Teilnehmende begrenzt geschlossene Partnerschaft/Aufnahme neuer Partnerinnen, Partner nur bei Bedarf wenige, konkrete Ziele Herstellung oder Nutzung von
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 237
Zielgruppen
viele Zielgruppen
Laufzeit
potenziell unendlich wenige, dauerhafte Strukturen; Beziehungen keiner bis geringer
Strukturen Formalisierungsgrad Steuerbarkeit
keine bis geringe, zielgerichtete Steuerbarkeit
Produkten oder Dienstleistungen wenige, klar definierte Zielgruppen befristet temporäre Kooperationsstrukturen mittlerer bis hoher Steuerung durch Management
3. Voraussetzungen für Kooperationsentstehung in Netzwerken Will man auf die Potenzialität positiv einwirken, um die Wahrscheinlichkeit von Kooperationen zu erhöhen, erscheint die Schaffung bzw. Verbesserung der Voraussetzungen zielführend. Doch was sind die relevanten Hebel? Diese Arbeit betrachtet folgende Voraussetzungen genauer:
Beziehungsintensität und Größe Vertrauen Reziprozität Komplementäre Ressourcen und Kompatibilität Gemeinsame Ziele und Themen Intermediäre und Netzwerkmanager
Diese Voraussetzungen beziehen sich auf das Handeln in Netzwerken und Kooperationen. Eine weitere Voraussetzung wäre nach Payer die Kooperationsfähigkeit2 der einzelnen Akteure, genauer der dahinter stehenden Organisationen, auf den Ebenen der Mitarbeiter, Leistungen, Prozesse, Informationssysteme, Organisationsstruktur und Organisationskultur (Payer, 2002, S. 46). Diese ebenso wichtigen intraorganisationalen Voraussetzungen werden in dieser Arbeit jedoch nicht genauer beleuchtet.
238 DUSAN TODOROVIC Beziehungsintensität und Größe Nach Granovetter lassen sich interpersonelle Beziehungen in Bezug auf ihre Intensität in strong ties, weak ties und absent ties differenzieren. Die Intensität definiert Granovetter wie folgt: „the strength of a tie is a (probably) linear combination of the amount of time, emotional intensity, the intimacy (mutual confiding3), and the reciprocal services which characterize the tie” (Granovetter, 1973, S. 1361). Absent ties meinen die Abwesenheit jeglicher Beziehung bzw. auch Beziehungen ohne substantielle Signifikanz, die über ein gegenseitiges Zunicken oder eine lediglich namentliche Bekanntschaft hinausgeht (ebd.). Diese sind zumindest mittelbar für die Kooperationsentstehung in Netzwerken relevant4. Auf der anderen Seite sind weak und strong ties zentrale Elemente eines Netzwerks beziehungsweise einer Kooperation, wobei schwache Bindungen eher für Netzwerke und starke Bindungen für Kooperationen typisch sind. Bachinger zeigt auf, dass schwache bzw. latente Bindungen „durch immaterielle Ressourcenflüsse, in Form von Information und [Anm. des Autors: einsetzendem] Vertrauen geprägt“ sind, während eine starke Bindung durch „materiell sichtbare Ressourcenflüsse in Form von getauschten Gütern, Dienstleistungen, Kapital und explizitem Wissen“ manifest wird. Weak ties stellen dabei die Voraussetzung von strong ties dar (Bachinger, 2012, S. 33f). Starke Bindungen fußen zu einem hohen Grad auf Vertrauen und einer auf Erfahrung basierenden Erwartung über das zukünftige Verhalten des Partners. Dadurch hat die Beziehung routinehaften Charakter, was Ressourcen schont, da Grundlagen der Zusammenarbeit nicht jedes Mal von neuem ausgehandelt werden müssen. Strong ties haben einen stabilisierenden Effekt auf Netzwerke/Kooperationen und stellen zudem eine Gründungsressource für Kooperationen dar (Fried & Knoll, 2005, S. 81, S. 84, S. 87)5. Auf der anderen Seite fordert die Pflege starker Beziehungen einen höheren Ressourceneinsatz. Mit zunehmender Anzahl starker Bindungen können immer
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 239 (vermutlich überproportional) weniger schwache Bindungen gepflegt bzw. überhaupt eingegangen werden. Die Konsequenzen sind relationale Eingeschlossenheit, der „Umstand, dass bestehende Beziehungen die Entstehung neuer, vorteilhafter Beziehungen behindern oder sogar gänzlich unmöglich“ machen und kognitive Eingeschlossenheit, das „Fehlen der Fähigkeit neue Perspektiven und Ressourcen über Netzwerke zu generieren“ (ebd., S. 84 f.). Das Netzwerk und seine Mitglieder verlieren an Innovationspotenzial, da dieser vom Zufluss von frischen, nicht-redundanten Informationen abhängt (Bachinger, 2012, S. 107). Umgekehrt kann eine höhere Anzahl von weak ties für Innovationen im Netzwerk vorteilhaft sein (Fried & Knoll, 2005, S. 82), wodurch sich die Potenzialität im Netzwerk erhöht. Allerdings sind Netzwerke, die überwiegend nur aus schwachen Bindungen bestehen, insoweit problematisch, dass zu wenige Anknüpfungspunkte vorhanden sein könnten und ein Auseinanderfallen droht. Ein solches müsste „durch aktives Eingreifen“ von Schlüsselpersonen (bspw. Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanagern) und somit zusätzlichen Ressourcenaufwand verhindert werden (Quiling, Nicolini, Graf, & Starke, 2013, S. 16). Neben den oben erwähnten Autoren plädiert auch Burt für die Vorteile von weak ties. Diese haben eine brückenbauende Funktion und helfen structural holes zu überwinden. Sie verbinden Netzwerkteile (social clusters), die sonst als Inseln die Verbindung zueinander verlieren würden (vgl. Burt, 1992, S. 72f). Burt zeigt auch empirisch, dass gute Ideen und in Folge Innovation am ehesten um jene Netzwerkakteure entsteht, die structural holes überbrücken können (Burt, 2004, S. 359ff). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Netzwerke in Bezug auf Ihre Potentialität von einer zunehmenden Zahl an schwachen Bindungen und somit ihrer Größe profitieren können. Neben dem Größenwachstum eines Netzwerks können die Aufgaben von Netzwerkmanagern
240 DUSAN TODOROVIC einerseits in der Brückenfunktion als Intermediär und andererseits im Ausbalancieren6 schwacher und starker Bindungen liegen. Vertrauen Wie Preise auf Märkten oder Autorität in Hierarchien ist Vertrauen das koordinierende Medium in Netzwerken (Duschek, Wetzel, & Aderhold, 2005, S. 156). Vertrauen ist die Basis interorganisationaler Kooperationen (Schweer & Siebertz-Reckzeh, 2012, S. 18). Es dient der Reduktion von Ungewissheit und ermöglicht soziale Handlungen (Bachmann & Lane, 2006, S. 80 f.). Wöllert und Jutzi verweisen diesbezüglich auf Heidenreich: „Vertrauen ist notwendig, um die mit Netzwerkbeziehungen immer verbundenen Unsicherheiten, Risiken, Offenheiten und Ambiguitäten zu ertragen“ (Heidenreich, 2001, S. 10 zitiert in Wöllert & Jutzi, 2005, S. 63). Vertrauen führt zu Erwartungen über das zukünftige Verhalten des Gegenübers. Investieren eine oder mehr Seiten Vertrauen in die jeweils anderen und wird dieses über die Zeit nicht enttäuscht, sondern werden durch das Eintreten des Erwarteten positive Erfahrungen gemacht, so entsteht mit der Zeit gegenseitiges Vertrauen. Ähnlich interpretieren auch Fried und Knoll das Entstehen von Vertrauen: „So lässt sich bspw. Vertrauen als Integrationsquelle sozialer Beziehungen über häufige, erfolgreiche Kontakte aufbauen […]“ (Fried & Knoll, 2005, S. 81). Der Aufbau von Vertrauen dauert lange und kostet Ressourcen, während es sehr schnell zerstört werden kann. Auf dieser Eigenschaft beruht die koordinative Funktion von Vertrauen (Bachinger, 2012, S. 184). Wird Vertrauen durch opportunistisches Verhalten ausgenutzt, so werden die Investitionen in den Vertrauensaufbau wertlos. Besonders in Netzwerken kann sich die Information über einen Vertrauensbruch rasch ausbreiten. Die Kosten opportunistischen Verhaltens sind hoch, da sich das zerstörte Vertrauen zwischen zwei Partnern auch auf deren
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 241 Vertrauensbeziehungen mit anderen Akteuren im Netzwerk auswirken kann. Besteht jedoch zwischen Partnern Vertrauen, senkt dies den Bedarf an Kontrolle und damit auch die Transaktionskosten der Beziehung (Bachinger, 2012, S. 184). In Netzwerken liegt die Herausforderung vordergründig in der Vertrauensbildung, während in Kooperationen das Vertrauen als Kooperationsbasis aufrechterhalten werden muss, um den Bestand der Kooperation zu sichern (ähnlich: Duschek, Wetzel, & Aderhold, 2005, S. 160 f.). Tabelle 3 bildet ausgewählte Erfolgsfaktoren des Vertrauensaufbaus ab. Tabelle 3: Erfolgsfaktoren des Vertrauensaufbaus
Transparenz gegenseitiger Erwartungen und Risiken Transparenz von Misstrauen und Skepsis Transparenz von Strategien Einhalten von Vereinbarungen Wiederholende Bewährung Gemeinsame positive Erfahrungen Gemeinsame Lern- und Gestaltungsmöglichkeiten Regelmäßiger Meinungsaustausch und Erfahrungsaustausch Informelle Beziehungen (persönliche Kontakte) Intermediäre / Netzwerkmanager
Quelle: ähnlich: Wöllert & Jutzi, 2005, S. 63f; Funken & Hörlin, 2012, S. 42f; Luhmann, 2000, S. 25 zitiert nach Ziegenhorn, 2005, S. 38; Sing, 1995, S. 146; Duschek, Wetzel, & Aderhold, 2005, S. 156; Teller & Longmuß, 2007, S. 111f. S. 115; Schweer & Siebertz-Reckzeh, 2012, S. 19
Reziprozität „Ihre Funktionsbedingung ist Vertrauen, ihr Funktionsprinzip Reziprozität“, hält Königswieser fest (Königswieser, 2006, S. 279). Reziprozität kann als Gegenseitigkeit bzw. Wechselseitigkeit im Austausch verstanden werden. Sie ist der Fachbegriff für das Prinzip des menschlichen „wie du mir so ich dir“- Verhaltens. Ebenso ist sie ein Messgrad für Beziehungssymmetrie, da sie unterscheiden lässt, ob Beziehungen einseitig oder gegenseitig sind. Sie kann auch als ein Indikator der Beziehungsintensität verstanden werden (Quiling et al., 2013, S. 16; Fried & Knoll, 2005, S.
242 DUSAN TODOROVIC 81). Reziprozität in Netzwerken spiegelt die Bereitschaft einerseits andere Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteure zu unterstützen und andererseits für empfangene Unterstützung zu einem späteren Zeitpunkt eine Gegenleistung zu erbringen. Die Gegenleistung muss dabei nicht von der Empfängerin, vom Empfänger selbst erbracht werden, es kann genügen, dass diese von seinem Netzwerkumfeld erfolgt. Ebenso muss die Gegenleistung nicht exakt der empfangenen Leistung entsprechen. Häufig werden soziale Anerkennung bzw. die Steigerung der Reputation als Gegenleistung akzeptiert (Bachinger, 2012, S. 231). Der Zusammenhang von Reziprozität und Vertrauen wird im Austauschverhalten sichtbar. In einer jungen Beziehung mit kaum ausgeprägtem Vertrauen findet der Austausch tendenziell nach dem „tit-for-tat“-Prinzip statt. Gibt eine Partnerin, ein Partner der anderen Partnerin, dem anderen Partner eine Leistung (bspw. Informationen), erwartet sie, er im unmittelbaren Gegenzug eine Gegenleistung. Wird diese Erwartung enttäuscht, kann dies die Beziehung schwächen oder abbrechen lassen. Bei fortschreitender Dauer und zunehmender Häufigkeit der Interaktion – und somit entstehendem Vertrauen – gewähren sich die Interaktionspartnerinnen, Interaktionspartner „Kredite“ über Leistung und Gegenleistung. Eine unmittelbare Gegenleistung wird nicht mehr erwartet (Fried & Knoll, 2005, S. 84). Schafft es ein Netzwerk, eine Reziprozitätsnorm als Wert der Interaktion zu etablieren, so steigert dies die Bereitschaft der Akteurinnen, Akteure in das Netzwerk zu investieren, ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten (Bachinger, 2012, S. 231 f.). Eine Leistung in eine Netzwerkpartnerin, einen Netzwerkpartner zu investieren, kann zugleich auch ein Signal für Kooperationsbereitschaft und Vertrauen darstellen (ähnlich: Duschek et al., 2005, S. 156).
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 243 Komplementäre Ressourcen und Kompatibilität Komplementäre Ressourcen sind häufig „Kernkompetenzen der einzelnen Partner, welche untereinander nicht redundant sind und sich funktional in der Wertschöpfung unterstützen“ (Bachinger, 2012, S. 133). Die Zusammenführung komplementärer Ressourcen in einer Kooperation führt zu Synergieeffekten (Bachinger, 2012, S. 133, S. 237). Zwei Akteurinnen, Akteure können sich gemeinsam Vorteile verschaffen, indem sie durch den wechselseitigen Zugriff auf die Ressourcen des anderen Potenziale erschließen können, die sie allein, aus eigener Kraft, nicht erschließen können (Roehl & Rollwagen, 2005, S. 169). Komplementäre Ressourcen können beispielhaft unterschiedliches Know-how, Kapitalressourcen, Kulturen, breit gestreute Ideen und Interessen oder unterschiedliche personelle Qualifikationen, aber auch ein komplementäres, soziales Kapital in Form von sich ergänzenden Kontaktnetzwerken sein (Bachinger, 2012, S. 343). Vereinfacht gesprochen wird man nur dann kooperieren, wenn dies die eigenen Handlungsmöglichkeiten erweitert, da ansonsten die notwendige Leistung auch allein erbracht werden könnte. Dies spricht auf den ersten Blick für eine maximale Verschiedenartigkeit von Kontakten in einem Netzwerk, um maximale Potenzialität zu erreichen. Hier sind insoweit Grenzen gesetzt, als dass konfliktäre Interessenlagen in zu heterogenen Netzwerken die Bildung gemeinsamer Ziele behindern können (ähnlich: Wöllert & Jutzi, 2005, S. 63). Eine zu hohe Heterogenität kann auch dann problematisch werden, wenn die Anschlussfähigkeit bzw. Kompatibilität von Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteuren nicht mehr gegeben ist bzw. die Akteurinnen, Akteure nichts mehr gemeinsam haben. Denn „als Netzwerkpartner gelten nur jene, die Anschlussfähigkeit besitzen“ (Fried & Knoll, 2005, S. 82 f.). Um die Synergieeffekte komplementärer Ressourcen in einer Kooperation ausnutzen zu können, ist neben einer strategischen und organisationalen Kompatibilität insbesondere die „kulturelle Anschluss-
244 DUSAN TODOROVIC fähigkeit“ wichtig. (Fischer, 2009, S. 158 f.; Bachinger, 2012, S. 133). Gemeinsame Ziele und Themen Erst durch gemeinsame Ziele kann sich Kooperation entwickeln. Sie geben dem Einsatz komplementärer Ressourcen einen Sinn. Gemeinsam heißt dabei nicht, dass sich die Ziele zweier oder mehrerer Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteure, die sich zu einer Kooperation zusammenschließen, vollständig decken müssen. Auch sich ergänzende, komplementäre Ziele können als gemeinsame verstanden werden, da sich die komplementären Ziele mehrerer Akteurinnen, Akteure zu einem einen gemeinsamen Zielkomplex verbinden lassen. Grundsätzlich kann bei einer Vielzahl an Akteurinnen, Akteuren auch von einer Vielzahl an Zielen ausgegangen werden. Eine Kooperation entsteht dann, wenn es gelingt aus dieser Vielzahl an Zielen ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit herauszuschälen (ähnlich: Bachinger, 2012, S. 34). Bachinger zeigt auch empirisch, dass umso stärker die Zielkongruenz der individuellen Ziele und der übergeordneten Kooperationsziele ist, umso stärker auch die Bereitschaft der Partnerinnen, Partner in die Kooperation zu investieren und die notwendigen, komplementärem Ressourcen zur Verfügung zu stellen ist (Bachinger, 2012, S. 312). Die Zielkongruenz stärkt die Mitwirkungsmotive (Teller & Longmuß, 2007, S. 111). Verschwindet das gemeinsame Ziel, da es erreicht wird oder an Relevanz verliert, ohne dass ein neues gefunden wird, so löst sich die Kooperation auf. Wobei die Wahrscheinlichkeit von jenen Akteurinnen, Akteuren, die bereits einmal in einer Kooperation aktiv wurden, erneut zu kooperieren höher ist (Aderhold, 2005, S. 135; Bachinger, 2012, S. 334). Ein zentraler Beitrag des Netzwerkmanagements zur Entstehung von Kooperationen ist „Netzwerkziele so zu gestalten, dass erstens die Interessen aller Beteiligten
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 245 berücksichtigt sind und zweitens keine Erwartungen geweckt werden, die am Ende durch die Vernetzung nicht zu erfüllen sind“ (Bachinger, 2012, S. 344). Teller und Longmuß plädieren dafür, die Erwartungen der Akteurinnen, Akteure und ihre Erfüllung transparent zu halten (Teller & Longmuß, 2007, S. 115). Durch die Schaffung von kommunikativen Räumen zur Zielfindung können Netzwerkmoderatorinnen, Netzwerkmoderatoren die Potenzialität verbessern bzw. dadurch die Potenz realisieren und eine Kooperation initiieren. Koordination und Intermediäre Intermediäre sind – im Kontext von regionalen Netzwerken – für Wöllert und Jutzi Vermittlerinnen, Vermittler „zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären“. Ihre Rolle ist die eines Brückenbauers zwischen sonst nicht verbundenen Teilen von Netzwerken. Ebenso sichern sie den Informationsfluss, wo keine Verbindungen zwischen Gruppen im Netzwerk bestehen und somit structural holes bestehen (Burt, 2004, S. 353). Dabei geht es allerdings um mehr als nur die Informationsübertragung. Intermediäre sprechen die Sprachen unterschiedlicher Akteursgruppen, kennen ihre Handlungslogiken und Werte. Sie können daher als „Übersetzer“ zwischen den Sphären dienen, zur Kompatibilität und „Anschlussfähigkeit von Kommunikation und Interaktion beitragen“ (Wöllert & Jutzi, 2005, S. 66 f.; ähnlich: Fried & Knoll, 2005, S. 90). Intermediäre können institutionelle Organisationen, Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager und Netzwerkmoderatorinnen, Netzwerkmoderatoren oder auch einzelne Akteurinnen, Akteure im Netzwerk sein. Intermediäre in Netzwerken beteiligen sich in der Regel nicht direkt an Kooperationen, die in ihrem Netzwerk entstehen. Ihr Beitrag ist, dass sie positiv zur Kooperationswahrscheinlichkeit im Netzwerk sowohl durch ihr persönliches Handeln als durch Schaffung von Strukturen und Routinen beitragen können.
246 DUSAN TODOROVIC Eine der wichtigsten Aufgaben von Intermediären ist ein Netzwerk von Kontakten (Personen wie Organisationen) aufzubauen. Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager achten beim Aufbau von Kontakten besonders auf thematische Nähe der Kontakte und somit die Möglichkeit gemeinsame Ziele zu finden. Dies können beispielsweise Unternehmen, Organisationen und Personen sein, die in verwandten Branchen tätig sind oder gemeinsame Interessen haben. Ebenso können Intermediäre durch ihr direktes Engagement Vertrauen zwischen Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteuren erhöhen, „indem sie sowohl auf das Verhalten, als auch auf die Interaktionsbeziehungen der Beteiligten untereinander Einfluss nehmen“ (Wöllert & Jutzi, 2005, S. 64). Dies könnte durch das Weiterempfehlen von Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteuren und somit durch die explizite oder implizite Übernahme einer Bürgenrolle erfolgen. Abseits des ihres persönlichen Engagements können Intermediäre andererseits durch das Schaffen von institutionellen Rahmenbedingungen und Strukturen, die Partnerwahl ermöglichen bzw. beschleunigen, indirekt auf die Kooperationswahrscheinlichkeit einwirken (ähnlich: Duschek et al., 2005, S. 158). Beispielsweise können Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager die Entstehung von Kooperationen fördern, indem sie Gelegenheiten zum Austausch schaffen. Dies können Networking-Events oder Konferenzen sein. Häufig werden auch kleinere Formate wie Erfahrungsaustauschrunden (ERFA-Runden) oder After Work-Meetups organisiert, um das Vertrauen zwischen Netzwerkkontakten zu erhöhen. In großen Netzwerken stellen Intermediäre auch Strukturen, die die Partneridentifikation und Partnerselektion erleichtern, zu Verfügung bzw. nutzen diese selbst. Dies können Kontaktlisten, Kompetenzdatenbanken oder Bedarfsdatenbanken sein, die eine Netzwerkmanagerinnen, ein Netzwerkmanager entweder für sich selbst führt
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 247 oder transparent allen Netzwerkteilnehmerinnen, Netzwerkteilnehmern zur Verfügung stellt.
4. Der Netzwerk-Kooperations-Zyklus Bevor sich eine Kooperation aufgrund einer Idee und eines Anstoßes entwickeln kann, braucht sie zunächst eine Grundlage und einen Nährboden. Zunächst müssen sich zwei oder mehrere Akteurinnen, Akteure finden, die über komplementäre Ressourcen verfügen und deren individuelle Ziele und Eigeninteressen sich mit den Handlungsproblemen oder Bedarfen der anderen Akteurinnen, Akteure zu einem gemeinsamen Zielkomplex verbinden lassen. Zudem muss zwischen den potenziell passenden Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartnern zumindest ein anfängliches Vertrauen herrschen, sodass sie bereit sind über Ihre Bedarfe, Ressourcen und Erwartungen offen zu sprechen. Die auf Vertrauen aufbauende Offenheit erlaubt den handelnden Personen ihre Kooperationsmöglichkeiten zu erkennen und diese zu einem gemeinsamen Zielkomplex zu konkretisieren, die am besten passenden Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartner auszuwählen und sich mit diesen auf Regeln der Zusammenarbeit zu einigen und eine Kooperation zu beginnen. Die Entstehung einer Kooperation zwischen Netzwerkkontakten lässt sich in Phasen darstellen bei denen idealtypische Aufgaben erfüllt werden sollten. Die in weiterer Folge und in Abb. 0.1 dargestellten Phasen und Dynamiken des Netzwerk-Kooperations-Zyklus bauen auf dem Phasenmodell nach Howaldt und Ellerkmann auf, das mit Elementen aus dem Funktionsmodell von Sydow (Sydow, 2006, S. 409 ff.): angereichert wurde. Zusätzlich wurde due Phase des Netzwerkaufbaus, in der die Potenzialität gestärkt wird, eingeführt. Die erste Phase, der (1) Netzwerkaufbau und Netzwerkphase,
248 DUSAN TODOROVIC kann dem Netzwerkmanagement zugeordnet werden. Die zweite und dritte Phase (2) Idee und Anstoß sowie (3) Selektion und Konkretisierung sind der fließende Übergang vom Netzwerk zur Kooperation. Die folgenden Phasen, (4) die Konstituierung, (5) die Arbeitsphase und (6) die Metamorphosen sind dem Kooperationsmanagement zuzuordnen. Der (7) Abschluss oder Abbruch als letzte Phase kann als das Ende einer erfolgreichen Kooperation betrachtet werden oder den Abbruch in einer früheren Phase einer entstehenden oder laufenden Kooperation sein. Beispielsweise, weil keine Kooperationsbasis gefunden werden kann oder wenn in der Arbeitsphase erkannt wird, dass die gemeinsame Zielerreichung doch nicht möglich ist. Unabhängig des Grundes lassen sich aus Abschlüssen bzw. Abbrüchen von (entstehenden) Kooperationen Erfahrungen und Learnings für künftige Kooperationsanbahnungen und Kooperationen ableiten. Diese Erfahrungen im Netzwerk zugänglich zu machen, kann Impulse geben, die positiv auf die Netzwerkarbeit wirken (ähnlich: Bachinger, 2012, S. 341 f.). Die Phase des Abschlusses oder Abbruches kann sowohl als Teil des Netzwerkmanagements als auch des Kooperationsmanagements verstanden werden. Im Gegensatz zu Howaldt und Ellerkmann wird die Evaluierung im hier dargestellten Netzwerk-KooperationsZyklus nicht als eigenständige Phase, sondern wie bei Sydow (2006, S. 412 f.) als Funktion verstanden, die alle Phasen durchzieht und eine der Grundlagen der reflexiven Steuerung darstellt.
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 249 Abb. 0.1: Netzwerk-Kooperations-Zyklus als Phasenmodell
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Duschek et al., 2005, S. 148
In den einzelnen Phasen verfolgen Aufgaben von Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager, Kooperationsmanagerinnen, Kooperationsmanager und Kooperationsakteurinnen, Kooperationsakteure unterschiedliche Aufgaben. Dabei ist die Abgrenzung der Phasen nicht immer eindeutig und einzelnen Aufgaben wird in verschiedenen Phasen nachgegangen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Phasen, zwischen Netzwerk und Kooperation kann sehr dynamisch sein und muss nicht linear erfolgen. Abschluss und Abbruch in den einzelnen Phasen sind ebenso möglich, wie Metamorphosen der Kooperation bis hin zur Entstehung von formalen Organisationen. Beispielsweise können Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartner in der Arbeitsphase erkennen, dass ihnen bestimmte Ressourcen fehlen und daher wieder ihr Netzwerk ausbauen, sprich auf Akquise von neuen, komplementären Partnerinnen, Partnern im Netzwerk gehen. Die Tabelle 0 bildet die idealtypisch-phasenbezogenen Aufgaben des Netzwerkmanagements bzw. Kooperationsmanagements ab.
250 DUSAN TODOROVIC Tabelle 0: Phasen des Netzwerk-Kooperations-Zyklus Phase
Aufgaben, Besonderheiten
Netzwerkaufbau / Netzwerkphase
Netzwerkwachstum (Ausbau von weak ties) Akquise von (komplementären) Netzwerkpartnerinnen, Netzwerkpartnern Förderung der Vernetzung Suche nach komplementären Ressourcen (Akteurinnen, Akteuren) Aufbau von Datenbanken (Kontaktlisten, Bedarfs- und Ressourcendatenbanken, …) Vertrauensaufbau Förderung von Reziprozität – erste, einseitige oder gegenseitige Unterstützung (z. B. Erfahrungsaustausch) Sichtbarmachen von Erwartungen, Bedarfen und Ressourcen Anstöße zur Zielfindung Suche nach gemeinsamen Zielen Verbindung konkreter Eigeninteressen mit Handlungsproblemen von potenziellen Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartnern und übergreifenden Zielsetzungen Aufbau der Kooperationsbasis Selektion und Deselektion von Partnerinnen, Partnern aus dem Netzwerk Klärung der Erwartungshaltungen & Zielkonkretisierung Erste Regeln der Zusammenarbeit Allokation von Ressourcen der potenziellen Partner Erste positive Erfahrungen und Zunahme von Vertrauen Klärung von (organisationalen) Strukturen Zielvereinbarungen Formalisierung Grundlegende Spielregeln Verträge Gemeinsame Arbeit an der Zielsetzung Output (Produkte, Dienstleistungen, Strukturen) Konflikte und deren Bearbeitung Veränderung der Zielsetzung und Arbeitsschwerpunkte (z. B. neue Projekte) Verstetigung dauerhafter Unternehmenskooperation
Idee und Anstoß
Selektion und Konkretisierung
Konstituierung
Arbeitsphase
Metamorphosen
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 251
Abschluss oder Abbruch
E. Evaluierung (1.-7.)
Aufbau rechtlich-verbindlicher Strukturen, wie eigenständiger GmbHs, Joint Ventures etc. Durchführung von Merger und Akquisitionen „Letzte Metamorphose“ Zielerreichung Bewertung der Zusammenarbeit Formale Beendigung Verlust der Kooperationsbasis (ursprüngliches Ziel, Vertrauen, Ressourcen gehen verloren) Mitnahme von Learnings für zukünftige Kooperationen Bewertung und Beurteilung von Zielen, Strukturen, Partnerinnen, Partnern, Kontakten, Leistungsbeiträgen, Ressourcen Prozessbegleitendes Monitoring, einmalige/wiederkehrende Evaluationsverfahren Reflexive Steuerung
Quelle: in Anlehnung an Howaldt & Ellerkmann, 2011, S. 23 ff., und Sydow, 2006, S. 409 ff.
5. Handlungsempfehlungen für die Praxis Um die Wahrscheinlichkeit der Kooperationsentstehung zu fördern sind Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager in formalisierten Netzwerken ebenso wie Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteure in informellen Netzwerken gefordert die Potenzialität ihres Netzwerks zu verbessern, ergo auf die Voraussetzungen für Kooperationsentstehung einzuwirken. In Expertinnen- und Experteninterviews mit Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanagern, die entweder selbst für das Management eines formalisierten Netzwerks oder für die Vernetzung ihrer Organisation im jeweiligen Ökosystem verantwortlich waren, wurden in der Praxis erfolgreiche Handlungsempfehlungen erhoben und mit diesen die Ergebnisse der bisherigen Forschungsliteratur angereichert. Nicht betrachtet wurde die Einführung und Ausgestaltung von Strukturen des Netzwerkmanagements (wie bspw. Steuergruppen, Beiräte, Arbeitskreise, usw.)
252 DUSAN TODOROVIC formalisierter Netzwerke. Die zuvor erörterten Voraussetzungen Netzwerkgröße, Vertrauen, Reziprozität, komplementäre Ressourcen und gemeinsame Ziele wurden in den Interviews bestätigt. Ebenso wurde von den Befragten bejaht, dass sich Koordination und intermediäres Handeln positiv auf die Voraussetzungen für Kooperationsentstehung und die Potenzialität von Netzwerken auswirken. Die folgende Tabelle 0 fasst die gesammelten Handlungsempfehlungen und ordnet diese den Voraussetzungen für Kooperationsentstehung zu. Tabelle 0: Handlungsempfehlungen für intermediäres Handeln von Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanagern und Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteuren Voraussetzung Netzwerkgröße
individuelle Handlungsebene Kontakte bei (digitalen) Events aufbauen
strukturelle Handlungsebene Events, die auf Kennenlernen abzielen
Kontakte über soziale Medien aufbauen
Speeddating / Matchmaking-Sessions
Kontakte durch weiterempfehlung aufbauen Kontakte speichern persönliche Treffen
Vertrauen
Intros, gegenseitige Vorstellungen von Kontakten
Übernahme einer Bürgenrolle persönliche Treffen
Empfehlungssysteme Kooperationen mit komplementären Netzwerken oder Multiplikatoren eingehen Kontaktdatenbanken Gemeinsame Erfahrungen ermöglichen (Studienreisen, Workshops, …) Events und regelmäßige Kontakt und Austauschmöglichkeiten (z.B. ERFA-Runden)
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 253
Reziprozität
Zusammenarbeit im Kleinen anregen
angenehmen, informellen Rahmen bei Events schaffen
Nur realistisch-erfüllbare Erwartungen wecken
Regeln für Umgang mit vertraulichen Informationen
Erwartungstransparenz anregen und vorleben Handeln auf Augenhöhe einfordern
Missbrauch bestrafen, eigennützige Mitglieder ausschließen Reziprozität im Netzwerkleitbild einbinden
Erfahrungsaustausch fördern
ERFA-Runden
Reziprozität als Norm kommunizieren und selbst danach handeln
komplementäre Ressourcen
In Vorleistung (ohne sofortige Gegenleistung) gehen Kenntnis über Bedarf und Ressourcen der Kontakte gewinnen
neue Netzwerkkontakte bedarfsorientiert identifizieren und gewinnen
Strukturen für Sichtbarkeit von Bedarfen und Ressourcen aufbauen Online-Datenbanken und MatchmakingPlattformen Events, die auf Kennenlernen abzielen
gemeinsame Ziele
Erwartungshaltung, Bedarf transparent machen
Vorstellungsrunden Events, die auf Zusammenarbeit abzielen
Kontakte motivieren, über Herausforderungen offen zu sprechen
Events, die auf Kennenlernen abzielen
Verflechtung fördern
254 DUSAN TODOROVIC Intros, Vorstellungen durch Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager
Online-Datenbanken & Matchmaking-Plattformen
Kooperationsideen aufzeigen
Speeddating- und Matchmaking-Sessions
Quelle: ergänzte Darstellung in Anlehnung an Todorovic, 2020, S. 43 ff.
Zur besseren praktischen Handhabe lassen sich die Handlungsempfehlungen auch den Phasen Netzwerkaufbau sowie Idee und Anstoß zuordnen. Handlungsempfehlungen für die Netzwerkphase und den Netzwerkaufbau In der Netzwerkphase geht es einerseits darum, möglichst viele, für die Netzwerkziele relevante Kontakte aufzubauen. Ebenso gilt es die Verflechtung bzw. Vernetzung unter den Kontakten zu stärken. Zugleich müssen Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager das Wissen über ihre Kontakte aufbauen und speichern. Je nach Professionalisierungsgrad und Größe des Netzwerks setzen Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager unterschiedliche Instrumente ein. In einem privaten oder beruflichen informellen Netzwerk können Erfolge schon mit einem gut gepflegten Adressbuch erzielt werden. Größere Netzwerke werden auf Mitgliederdatenbanken oder CRM-Systeme setzen müssen, um der Datenmenge zu begegnen. Das Netzwerkmanagement größerer Netzwerke wird darüber hinaus auch Strukturen schaffen und ihren Netzwerkmitgliedern – zum Teil gegen Zahlung einer Gebühr – als Ressource zur Verfügung stellen. Das kann beispielsweise das Veranstalten einer Konferenz oder eines Networking-Events sein oder auch der Aufbau und das Zugänglichmachen von Online-Datenbanken und Matching-Plattformen, bei denen die Mitglieder andere Mitglieder mit Kooperationspotenzial über Suchbegriffe identifizieren können.
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 255 Eine weitere zentrale Aufgabe in der Netzwerkphase und beim Netzwerkaufbau ist der Vertrauensaufbau. Dabei gilt es sowohl Vertrauen zwischen den Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteuren untereinander als auch zum Netzwerkmanagement aufzubauen und zu pflegen. Eine Netzwerkmanagerin, ein Netzwerkmanager mit gutem Ruf kann mit einer Vernetzung auch Türen öffnen und einen Leumund mitgeben. Zugleich muss sie, er sich bewusst sein, dass die Qualität der Vernetzung auf sie bzw. ihn und ihren bzw. seinen Ruf zurückwirkt. Daher gilt es für die Netzwerkmanagerin, den Netzwerkmanager sowohl die Passung als auch die Qualität der zu vernetzenden Teilnehmerinnen, Teilnehmer realistisch einzuschätzen und keine übertriebenen Erwartungen zu wecken, da sie oder er sonst das Vertrauen in sie oder ihn selbst verspielen. Netzwerkmanagerinnen, Netzwerkmanager können zudem potenzielle Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartner anleiten, mit ihren Erwartungen offen umzugehen und diese gegenseitig transparent zu machen. Solche Vernetzungen dienen einerseits dem Netzwerkaufbau und der Verflechtung, sind aber auch erste Schritte, die zur Ideenfindung und Anstoß einer Kooperation beitragen. Handlungsempfehlungen in „Idee und Anstoß“Phase Ist ein hinreichend großes Netzwerk aufgebaut und die Vernetzung der Akteurinnen, Akteure untereinander gestärkt, geht es in weiterer Folge darum, eine tragfähige Idee zu finden und gemeinsame bzw. komplementäre Ziele zu identifizieren. Dieser Schritt erfordert die Verbindung konkreter Eigeninteressen mit den Handlungsproblemen potenzieller Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartner und übergreifenden Zielsetzungen. Anstöße zur Zielfindung können durch das Netzwerkmanagement oder durch die Netzwerkakteurinnen, Netzwerkakteure selbst ausgehen. Auf der Strukturebene gilt es, kommunikative Räume zu schaffen und zu nutzen, in denen Netzwerkkontakte
256 DUSAN TODOROVIC gemeinsame Zielkomplexe erkennen können. Beispiele für solche kommunikativen Räume wären Veranstaltungen, Pitch-, Speeddating- und Matchmaking-Sessions sowie Online-Datenbanken, die Bedarfe und Ressourcen der Netzwerkmitglieder sichtbar machen. Auf der individuellen Handlungsebene können Intermediäre, die mögliche gemeinsame Ziele und für diese dienliche komplementäre Ressourcen ihrer Netzwerkkontakte erkennen, bei Intros und Vernetzungen der Kontakte ihre Beobachtungen mit diesen Teilen, ergo selbst einen Beitrag zur Ideenfindung leisten und eine Kooperationsanbahnung anstoßen. Gleichermaßen wie in der Netzwerkphase sollten die Akteurinnen, Akteure bedacht sein, die Erwartungen der Beteiligten zu erkennen, so weit wie möglich transparent zu machen und zugleich keine unrealistischen Erwartungen zu wecken.
Resümee Die theoretische wie auch praktische Unterscheidung von Netzwerken und Kooperationen kann als handlungsrelevant betrachtet werden. Insbesondere die Aufgaben, das Netzwerk im Sinne eines Kontaktepools zu vergrößern und zugleich eine Transparenz von Teilnehmern und deren Kooperationsbedarfen wie -ressourcen zu schaffen, können für das Netzwerkmanagement als zentral betrachtet werden. Interventionen, die auf das Kennenlernen und den Vertrauensaufbau zwischen den Teilnehmern abzielen, rücken in Netzwerken in den Vordergrund, während sich in Kooperationen die Partner bereits kennen und das Vertrauen hier aufrechterhalten werden muss. Einerseits, durch das Schaffen von Strukturen, die helfen die Erwartungshaltungen, Ressourcen und Bedarfe der Netzwerkkontakte sichtbar zu machen, und andererseits durch individuelle Anleitung einzelner Teilnehmerinnen, Teilnehmer für Erwartungstransparenz zu sorgen, können sowohl die Kooperationswahrscheinlichkeit erhöht, als auch vermeidbare Konflikte vorgebeugt werden. Netzwerkmanager
VOM NETZWERK ZUR KOOPERATION 257 haben die Aufgabe die Potenzialität ihres Netzwerks zu maximieren. In der Alltagssprache gesprochen hat der Netzwerkmanager für ausreichend fruchtbare Erde in seinem Netzwerkgarten zu sorgen, während der Kooperationsmanager die darauf wachsenden Pflanzen pflegt und womöglich deren Früchte am Markt verkaufen kann. Anmerkungen 1) Genauer zu Eigenschaftsdimensionen von Netzwerken und Kooperationen u. a. bei Teller und Longmuß, 2007, S. 62 ff.; Quilling, 2013, S. 15 f., sowie Bachinger, 2012, S. 33 ff. 2) Payer spricht zwar von Netzwerkfähigkeit, meint damit aber „Fähigkeit einer Organisation, mit anderen Organisationen in Netzwerken die eigenen Kernkompetenzen mit den Kernkompetenzen anderer in einer Weise zu verknüpfen, dass daraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile generiert werden können. Weiter ist Netzwerkfähigkeit immer auch die Fähigkeit, Nutzen aus der Vernetzung zu ziehen“ (Payer, 2002, S. 46). 3) Gegenseitiges Vertrauen 4) Eine solche mittelbare Relevanz lässt sich in folgendem, fiktivem Beispiel erkennen: Der Geschäftsführer eines Autozulieferers und ein Bankier pflegen eine langjährige, private Bekanntschaft. Der Bankier kennt einen Entwickler für autonome Fahrsysteme und hat nach seiner Rückkehr aus den USA seine Eigentumswohnung finanziert. Auf einer Abendveranstaltungsreihe, zu der ein Automotive Netzwerk regelmäßig einlädt, haben sich der Entwickler und der Geschäftsführer zwar gesehen, aber niemals miteinander gesprochen. Der Bankier besucht eine dieser Veranstaltungen und stellt den Kontakt mittels gegenseitiger Vorstellung zwischen den beiden her. Da sie sich schon ein paarmal gesehen haben, sind sie sich nicht völlig fremd und haben erste Anknüpfungspunkte. Einige Monate später sucht der Entwickler beim Bankier um Finanzierung eines gemeinsamen Projektes mit dem Autozulieferer an. 5) Fried und Knoll (2005) beziehen sich mit „Gründungsressource“ auf Unternehmensgründungen auf Basis von Netzwerken. Aus der Perspektive, dass Kooperationen und Unternehmen beide durch Formalisierung und organisationale
258 DUSAN TODOROVIC Strukturierung aus Netzwerken entstehen können, wird diese Sichtweise hier auf Kooperationen übertragen. 6) Ausbalancieren meint hierbei explizit nicht, dass es um eine Gleichverteilung der beiden Bindungstypen geht.
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Wie Unternehmen im Mittelstand durch Ambidextrie die Herausforderungen wachsender Komplexität beherrschen Andrea Gageik Unternehmen durchlaufen nach ihrer Gründung über die Zeit verschiedene Entwicklungsphasen, die bestimmte Ziele zur Neuorganisation steigender Binnenkomplexität verfolgen. Die Entwicklungsphasen werden am Modell von Glasl & Lievegoed erörtert. Zusätzlich befeuert eine volatile makro-ökonomische Umwelt das Komplexitätsgeschehen der Unternehmen. Im unternehmerischen Sinn kann der steigenden Außenkomplexität durch Evolution von bekanntem Wissen als auch durch Revolution von neuartigem Wissen begegnet werden. Im Zusammenhang von Evolution und Revolution werden strategische Prämissen der Exploitation und Exploration gemäß James G. March erörtert, die zu einer strategischen Ausrichtung der kontextuellen Ambidextrie führen. Die Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen der Unternehmensphase und der strategischen Schwerpunktsetzung der Exploitation und Exploration unter disruptiven Komplexitätszuwachs in mittelständischen Unternehmen. Die Ergebnisse der empirischen Befragung zeigen, dass die Exploitation und Exploration annähernd ausgeglichen steigen, wenn ein Unternehmen in die nächste Entwicklungsphase eintritt. Die beidhändigen strategischen Reaktionsweisen führen zu paradoxen Anforderungen für die Unternehmensleitung, die ausbalanciert werden müssen. Im Fazit kann das Ausgleichen der widersprüchlichen Führungsanforderungen an der Double-Bind-Theorie nach 261
262 ANDREA GAGEIK Gregory Bateson begründet werden und wird zur zentralen Meta-Kommunikationsaufgabe von Führung. After company foundation, organizations go through different development phases over existence in time to pursue certain goals to aim at a reorganization as the response to an increasing internal complexity. The development phases explained further are reasoned utilizing the model of Glasl & Lievegoed. In addition, a volatile macro-economic environment is fuelling the complexity of companies. In an entrepreneurial sense, the increasing external complexity can be countered by the evolution of already known knowledge as well as by the revolution of new knowledge. In conjunction with evolution and revolution, the tactical premises of exploitation and exploration of James G. March are leading to a contextual strategic orientation of ambidexterity. The Thesis examines the correlation between a company phase and the strategic focus area of exploitation and exploration under a disruptive increase of complexity in medium-sized companies. The results of the empiric study proof that exploitation and exploration both increased almost in a fully balanced way when a company entered the next evolution phase. The two-handed strategic answer leads to paradoxical requirements towards management, which must be balanced in a suitable way. In the conclusion Gregory Bateson's double-bind-theory justifies a balancing perspective towards contradictory leadership requirements. Thus, meta-communication becomes the central mission of leadership.
1. Einleitung Wachsende Komplexität gehört zu den großen Herausforderungen im Management von Unternehmen. Sie entsteht zum einen in den unterschiedlichen Phasen der Unternehmensentwicklung durch veränderte strategische,
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 263 organisatorische und kulturelle Anforderungen und zum andern durch veränderte Rahmenbedingungen, Trends und Einflussfaktoren von außen. Unternehmen sind heute mehr denn je mit der Unvorhersehbarkeit des Marktes konfrontiert. Seit Jahren beeinflussen zum Beispiel die Internationalisierung und demografische Verschiebungen das Wirtschaftsgeschehen. Auch Megatrends wie der Klimawandel und die Digitalisierung haben die Komplexität im Managementalltag massiv erhöht. Weltweite soziale und geopolitische Herausforderungen mit ihren teils unabsehbaren Folgen wie die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine kommen hinzu. Unsere Welt ist in vielerlei Hinsicht durch den Anstieg von disruptiver Komplexität komplett aus den Fugen geraten. „Disruption“ bezeichnet im Wirtschafts- und Managementkontext eine tiefgreifende Veränderung aufgrund störender Faktoren (aus englisch „disruption“ = „Störung“, „Unterbrechung“). Disruptive Komplexität bezeichnet folglich die Zunahme von Komplexität durch und mit einschneidenden Veränderungen. Diese Entwicklungen nehmen in rasantem Tempo in nahezu allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen zu. Haltegriffe für eine wirtschaftliche Orientierung von Unternehmen sind innerhalb kurzer Zeit weggebrochen. Eine explosionsartig zugenommene Unsicherheit stellt vielfach ungekannte Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit der Führungsverantwortlichen (Schumacher & Wimmer, 2020, S. 10). Offensichtlich fällt es Unternehmen schwer, mit der Vielzahl von Widersprüchlichkeiten, die aus den neuen Anforderungen resultieren, einen guten Umgang zu finden. Ein wichtiger Erfolgsfaktor zur Zukunftssicherung der Unternehmen bildet die Einsicht, dass sowohl inkrementelle Neuerungen als auch radikale Innovationen notwendig sind. Das heißt: Impulse für Wachstum und unternehmerische Entwicklung entstehen zum einen schrittweise durch Fortentwicklung und Optimierung bestehender Strukturen und Ressourcen – also langsam anwachsend durch
264 ANDREA GAGEIK Evolution, und zum andern abrupt durch Innovationen – also Revolution oder Disruption. Diese beiden zentralen Treiber der Unternehmensentwicklung erfordern eine komplett unterschiedliche Art und Weise des Managements (ebd., S. 11). Für die Fähigkeit, beides gleichermaßen gut zu beherrschen und in der Balance zu halten, hat sich der Begriff „Ambidextrie“ durchgesetzt: deutsch „Beidhändigkeit“. Die Veränderungen in unserer Welt führen zwangsläufig zur Notwendigkeit einer strategischen Beidhändigkeit von Evolution und Revolution (Maier, 2015, S. 110). Wie das Prinzip der Beidhändigkeit gelingt, worauf es ankommt und welche strategischen Schwerpunkte Unternehmen und ihre Führung in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen setzen, ist Gegenstand der folgenden Betrachtungen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich das Prinzip des ambidextren Managements mit der schwierigen Balance zwischen Effizienzsteigerung und Innovation über die verschiedenen Entwicklungsphasen hin verändert. Gibt es Zusammenhänge zwischen Unternehmensentwicklungsphasen und den strategischen Marktanforderungen an die Entscheider in Unternehmen unter disruptiver Komplexität? Welche strategischen Ansätze verfolgen Führungskräfte, um disruptive Komplexität zu beherrschen?
2. Theoretische Bezüge der Unternehmensentwicklung in komplexen Umfeldern Harte und weiche Faktoren der Unternehmensführung In den Organisationstheorien geht die wissenschaftliche Betriebsführung auf Frederick Winslow Taylor (1856 1915) zurück. Sie ist weithin als Scientific Management bekannt. Im Kern geht es um die effizienteste
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 265 Vorgehensweise bei Arbeitstätigkeiten durch Analyse der Arbeitsprozesse. Sie basiert auf wissenschaftlicher Auswahl des Personals und Trennung zwischen Kopfarbeit und Handarbeit. Henry Ford übertrug dieses Grundprinzip auf die Herstellung von Automobilen und begründet damit den Fordismus. Später kam es zur Fließfertigung durch eine durchdachte Anordnung von Mensch und Maschine. Viele Grundprinzipien gelten bis auf den heutigen Tag (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 17, S. 80 f.; Wimmer, 2009, S. 21). Bereits früh begleiteten wissenschaftliche Studien auch menschliche Aspekte der Industrialisierung in der Kritik über die fehlende humane Perspektive der effizienten Betriebsführung (Greif, 2004, S. 21 ff.). Dies wird begrifflich als Human-Relations-Ansatz zusammengefasst. Den Durchbruch ergaben die Hawthorne-Studien (benannt nach den Hawthorne Werken, Western Electric) in den Jahren 1924-1932. Sie wurden von dem Soziologen Elton Mayo initiiert. Er führt u.a. eine Untersuchung durch, um herauszufinden, wie die Aufmerksamkeit von Führungskräften Arbeitsergebnisse beeinflussen. Die Leistung der Arbeitskräfte wurde, so das Ergebnis, durch die persönliche Zuwendung von Führungskräften entscheidend verstärkt (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 18). Im Laufe der Forschungsgeschichte wurde immer deutlicher, wie sich die Ansätze der Ambidextrie im Spannungsfeld von harten und weichen Führungsfaktoren widerspiegeln. Kreative Lösungen lassen sich dabei nach De Wit & Meyer durch die Hegelsche Dialektik mit der These, Antithese, Synthese finden, in der ein breites Spektrum der Ansichten aus beiden Gedankenwelten in die Lösung integriert wird (De Wit & Meyer, 2010, S. 18). Unternehmensentwicklung in Phasen Ein späterer situativer Ansatz der Unternehmensführung stellt die Gültigkeit eines überdauernden Organisationsprinzips infrage und setzt auf sich anpassende Organisationsformen (Kieser & Kubicek, 1992, S. 57).
266 ANDREA GAGEIK Unternehmen erfahren demnach immer wieder neue Ordnungsmuster, die nach Steuerung zwischen dem System und seiner Umwelt verlangen. Angefangen von der Gründung durchlaufen Unternehmen unterschiedliche Reifephasen, bei jeder neuen Phase müssen Spannungsfelder im Übergang zu einer neuen Ausrichtung ausgeglichen werden. Hierzu bietet das Modell der beiden Sozialökonomen Friedrich Glasl und Bernard Lievegoed, das sie in ihrem Buch über dynamische Unternehmensentwicklung beschreiben, eine gute theoretische Basis. Es unterscheidet vier Phasen: die Pionier-, die Differenzierungs-, die Integrations- und die Assoziationsphase (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 39 ff.), die im nachfolgenden Kapitel genauer beschrieben werden. Der Übergang in eine nächste Reifephase wird jeweils durch Komplexitätszuwachs ausgelöst und durch bestimmte Kontextfaktoren zusätzlich beeinflusst. Der praktische Nutzen dieses Modells liegt darin, die Krise rechtzeitig vorhersehen und durch geeignete Managementaktionen vermeiden zu können. Ansätze zur Erklärung zunehmender Komplexität Entwickelt sich ein Unternehmen nicht weiter, besteht die Gefahr des Scheiterns (Vahs, 2019, S. 304 ff.). Eine Begründung des Scheiterns kann eine Zeitschere sein, in der sich die Komplexität der relevanten Umwelt schneller entwickelt als die Anpassung der Organisation (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 68 f.). Komplexitätsfaktoren, wie sie bei Wachstumsübergängen entstehen, lassen sich aber auch mit den Erklärungsmustern der Synergetik und der Kybernetik aufzeigen: Die Synergetik (synergētikos = mitarbeitend) beschreibt Formen des Zusammenwirkens und befasst sich mit komplexen Systemen, die aus vielen miteinander wechselwirkenden Elementen bestehen und durch eine ständige Zufuhr von Information in funktionalen
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 267 Strukturen der Selbstorganisation gehalten werden (Spektrum, n.d.). Die Kybernetik (kybernetes = Steuermann) beschäftigt sich mit der Steuerung und Regelung in dynamischen Systemen. Das Verhalten eines Systems wird dabei durch die Art der Beziehungen zwischen dem System und der Umwelt charakterisiert (Gabler Wirtschaftslexikon, 2018). Komplexität bringt folglich Wechselwirkungen verschiedener Elemente zum Ausdruck, die in den Austauschbeziehungen mit ihrer dynamischen Umwelt stehen und nach Steuerung verlangen. Eine Antwort auf die organisationale Überlebensfähigkeit im Rahmen komplexer Austauschbeziehungen von System und Umwelt liefert der Stanford Professor James G. March (March, 1991, S. 72 f.). Er unterstreicht die Notwendigkeit der Balance zwischen Exploitation als inkrementelle Verbesserung und der Exploration als das Erschließen von Neuland. Die beidhändige Führung (Ambidextrie) wird in den anschließenden Kapiteln weiterverfolgt, in denen Exploitation und Exploration das Fundament liefern.
3. Grundlagen der dynamischen Unternehmensentwicklung Nach der Gründung eines Unternehmens findet üblicherweise im weiteren Wachstum der Organisation ein Reifeprozess statt. Lievegoeds Konzept der Evolution sozialer Systeme vergleicht diesen Prozess mit dem Wachstumsprozess bei Pflanzen, Tieren und Menschen, um daraus wichtige Inspirationen zur Führungs- und Organisationslehre zu beziehen (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 14). Wachstum in diesem Konzept ist ein diskontinuierlicher Prozess. Er erfolgt in Sprüngen und ist nicht umkehrbar. Dabei verläuft die Entwicklung durch eine Reihe von Phasen, in der sich bisherige Elemente neu ordnen müssen. Eine neue Phase unterscheidet sich von der vorherigen
268 ANDREA GAGEIK immer durch einen höheren Grad an Komplexität und eine höhere Fähigkeit, diese zu bewältigen (ebd., S. 45 f.). Um die Dominanz des bisherigen Subsystems zu überwinden, kommt es zu Entwicklungskrisen. Die Entwicklung sozialer Systeme verläuft fast immer unvollständig. Dadurch finden sich in komplexeren Sozialstrukturen immer Reste aus vorherigen Entwicklungsstadien (ebd., S. 47). Wenn sich Organisationen entwickeln, spielen diese Vorerfahrungen eine große Rolle, die den Übergang in die nächste Phase mehr oder minder schwer machen (Schichtel, 2016, S. 146). 3.1
Die Entwicklungsphasen eines Unternehmens
Wachstum ist ein Naturprinzip. Jede Organisation macht nach der Gründung verschiedene Wachstumsphasen mit. Dabei entsteht ein Gebilde, das sich erst differenziert und sich schließlich auf einer höheren Ebene der Komplexität erneut integriert. Übertragen auf den Organisationskontext führt jede Entwicklungsphase zu einem dominanten Prinzip, antwortet damit auf entscheidende Herausforderungen und konzentriert sich auf ein bestimmtes Kernproblem. Bei der Lösung ergeben sich jedoch andere Randprobleme, diese wachsen sich zum nächsten Kernproblem und Aufbruch in die nächste Phase aus (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 53). Die Unterscheidung der vier Reifephasen nach Glasl & Lievegoed hilft dabei, die unterschiedlichen Herausforderungen für Unternehmen und dessen Management im Zuge der unternehmerischen Entwicklung zu verstehen und auf der Basis geeignete Maßnahmen aufzusetzen. 3.1.1 Die Pionierphase – Das Unternehmen als Großfamilie Die Organisationsstruktur ist rund um Personen gebaut. Die Pionierpersönlichkeiten haben dabei zumeist implizite, nicht ausgesprochene Visionen. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dieser Vorbildperson und handeln ganz in
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 269 ihrem Geiste. Intensive Kontakte zu Kunden und Mitarbeitern werden gepflegt und Sonderwünsche finden Berücksichtigung. Die Führung ist charismatisch-autokratisch, es wird kaum geplant, sondern improvisiert. Damit dominiert das soziale Subsystem, die Ausformung des technisch-instrumentellen Subsystems spielt eine untergeordnete Rolle. In der überreifen Pionierphase können sich Probleme durch mangelnde Struktur und fehlende Übersichtlichkeit ergeben. Deshalb sieht die Unternehmensleitung die Kernaufgabe darin, eine klare logische Arbeitsteilung zu schaffen (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 55). 3.1.2 Die Differenzierungsphase – das Unternehmen als Apparat Das Unternehmen bemüht sich um Transparenz, Logik sowie Steuerbarkeit. Anweisungen werden vorgeschrieben, um Improvisation auszuschalten. Es finden techno-strukturelle Ansätze Anwendung, die Standardisierung und Koordination hervorbringen, nach deren Prinzipien auch der Markt analysiert wird. „Planende, ausführende und kontrollierende Funktionen werden logisch getrennt“ (ebd., S. 56). Beratende Stabsstellen werden neben den Linienfunktionen eingerichtet. Man konzentriert sich auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Sachzwänge. Das Denken bewegt sich zumeist von innen nach außen. Die Organisation kann in die Entwicklungskrise kommen, denn die Übertreibung von Prinzipien kann dazu führen, dass mehr geplant wird als nötig. Die Organisation wird starr und das Menschliche geht verloren. Die Führung steht vor der Aufgabe, sich neu auf die Wertschöpfung für die Kunden zu konzentrieren (ebd., S. 56). 3.1.3 Die Integrationsphase – Das Unternehmen als Organismus In dieser Phase stehen Sinn und Mission als das bindende Element im Mittelpunkt, was eine gemeinsame Ausrichtung schafft. Die Organisation ist zudem auf Kundenbedürfnisse
270 ANDREA GAGEIK ausgerichtet und in überschaubare Einheiten gegliedert, die sich mit ganzheitlichen Aufgaben beschäftigen. Die kleinen Einheiten organisieren sich in Selbstkontrolle. Zentrale Stabsstellen bieten Dienstleistungen beratend an. Die Führung ist situationsgerecht angepasst und fördert Teamarbeit sowie hohe Mitarbeiterbeteiligung. Bei der Funktionsausübung wird der ganze Mensch mit Kopf, Herz und Hand angesprochen. Dem kulturellen Subsystem wird eine große Beachtung geschenkt. Eine Entwicklungskrise wird ausgelöst, wenn sich die Organisation zu sehr in Strategie-Konstrukten der eigenen Welt verstrickt, wogegen sich Lieferanten und andere Stakeholder wehren. Kernaufgabe weiterer Entwicklung ist es, zu den externen Leistungspartnern eine partnerschaftliche Beziehung aufzubauen (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 57 f.). 3.1.4 Die Assoziationsphase – das Unternehmen als Glied im Soziotop Diese Phase öffnet die Organisation und bezieht die Umwelt mit ein. Lieferanten bauen aufgrund einer gemeinsamen Strategie langjährige Vertrauensbeziehungen auf. Auf Basis dieses Vertrauens helfen sich Kunde und Lieferant aus und teilen die wirtschaftlichen Vorteile fair miteinander. Es werden möglichst autonome Gruppen gebildet, damit werden reibungslose Schnittstellen in die Hände der Menschen gelegt, die für die Prozesse zuständig sind. Eine Lernorientierung erfordert die permanente Verbesserung aller Leistungen als tägliches Anliegen. Eine durchgängige Wertschöpfung richtet sich auf den gesamten Prozess von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Entsorgung von Produkten. In der Reifezeit dieser Phase besteht die Gefahr von Machtnetzwerken, die Monopolstellungen anstrebenden, denen staatliche Lenkungsorgane hilflos gegenüberstehen. Dies fordert Innovationen in den makro-politischen Institutionen, um Machtmissbrauch zu verhindern (ebd., S. 58 f.).
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 271 Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die genannte phasenweise Entwicklung.
Abbildung 2: Dialektik der Phasenentwicklung (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 200, Fig. 47) [sic]
Bisher spricht man von vier Entwicklungsphasen Über eine fünfte Phase, die weniger orts- und zeitgebunden ist, wird spekuliert (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 59).
272 ANDREA GAGEIK 3.2
Komplexität im Führungsalltag
Wachstumsphasen einer Organisation gehen einher mit dem Zuwachs an Komplexität. Darin liegt eine bedeutende Herausforderung für die Führung eines Unternehmens. Zusätzlich wird Komplexität durch die Dynamik und das Tempo der Veränderungen in unserer Umwelt verstärkt. Individuen und Organisationen sind bemüht, durch Erfahrung mehr Intelligenz im Umgang mit Komplexität zu gewinnen (March, 2016, S. 16). Die Schlussfolgerungen beruhen jedoch häufig auf alten Vorerfahrungen. Mit tradiertem Rezeptwissen wird man der Komplexität, mit der wir heute konfrontiert sind, nicht mehr gerecht (Groth, 2016, Vorwort). Wird Komplexität jedoch bewusst bewerkstelligt, erhalten die beteiligten Menschen Fähigkeiten zur Entwicklung vorausschauender Erneuerung, um das Unternehmen auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten (Glasl & Lievegoed, 2021, S. 125). Der erfolgreiche Umgang mit Komplexität schafft die Voraussetzungen für den Umgang mit weiter steigender Komplexität (Malik, 2015, S. 166). 3.2.1 Komplexitätsdefinition und Möglichkeiten der Varietätsveränderung Komplexität bedeutet, dass Zusammenhänge undurchschaubarer und damit schwerer verständlich werden. Im wissenschaftlichen Sinne bedeutet Komplexität, „dass reale Systeme ungeheuer viele Zustände aufweisen können“ (Malik, 2015, S. 168). Die Anzahl der unterscheidbaren Elemente einer Menge, die wir nicht zu erfassen vermögen, bezeichnet man als Varietät. Komplexität hat ihre Ursache im Wesentlichen in der Interaktion dieser Elemente (ebd., S. 168). Komplexe Systeme sind also durch eine große Anzahl unterschiedlicher Elemente geprägt, die in sehr verschiedener Weise miteinander interagieren und die Fähigkeit zu sprunghaften Veränderungen aufweisen (Bick & DrexelWittbecker, 2008, S. 27).
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 273 Übertragen auf den Wirtschaftskontext ist Komplexität offenkundig, wenn sie durch Millionen von Wirtschaftsbeziehungen bestimmt wird (Malik, 2015, S. 169). Daraus ergeben sich vielfältige, aber ungewisse interdisziplinäre Verhaltensmöglichkeiten (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 33 f.). Verstärkung und Reduktion als Möglichkeiten der Varietätsveränderung Wenn die Merkmale komplexer Handlungssituationen in Vernetztheit, Dynamik und Intransparenz liegen (Dörner, 2007, S. 58 f.), die eine Instabilität erzeugen (Kruse, 2020, S. 43 ff. ), haben wir eine Situation immer nur insoweit unter Kontrolle, als dass wir die mannigfaltigen Zustände, zu denen das System generell in der Lage wäre, limitieren können. Die allgemeine Lösung dieses Problems ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Kybernetik; „Wir können ein System mit einer gegebenen Komplexität nur mithilfe eines mindestens ebenso komplexen Systems unter Kontrolle bringen“ (Malik, 2015, S. 173). Zu berücksichtigen sind demnach nicht nur einzelne, sondern eine Fülle vielfältiger Situationen und Optionen. Ein Ziel kann es sein, die Varietäten einzuschränken, um Situationen zu beherrschen. Malik unterscheidet zwei Möglichkeiten der Varietätsveränderung: Verstärkung und Reduktion (ebd., S. 178). Ein Überangebot an Möglichkeiten, das sich aus zu großer Komplexität ergibt, führt zum Verlust zielgerichteter Steuerung (Bick & Drexel-Wittbecker, 2008, S. 28). Auch der Organisationsberater Torsten Groth plädiert dafür, sich um Vereinfachungen zu bemühen, da kein System über genügend Ressourcen verfügt, um eine vollkommene Beschreibung von sich selbst oder anderen Umwelten anzufertigen (Groth, 2017, S. 42). Werden komplexe Sachverhalte beim Analysieren jedoch auf zu wenige typische Variablen reduziert, verlieren sie das Charakteristikum der Komplexität (Malik, 2015, S. 182). Wer sich auf sinnlos detaillierte Prozess-
274 ANDREA GAGEIK beschreibungen und monokausale Handlungsregeln verlässt, greift als Scheinflucht aus der Komplexität zu einem süßen Gift (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 90). 3.3
Ambidextrie: die beidhändige Führung
Ambidextrie bedeutet, einfach formuliert, mit der linken Hand so geschickt zu sein wie mit der rechten (Derndinger & de Groot, 2020, S. 13). Für den Unternehmenskontext definieren die Managementforscher Tushman und O’Reilly (1996) die organisationale Ambidextrie als die Fähigkeit, inkrementelle und radikale Innovation zugleich zu verfolgen. Im Kern des Konzeptes steht die Co-Existenz von Exploration sowie Exploitation (Tushman & O'Reilly, 1996, S. 24 ff.). Es geht sowohl darum, das Kerngeschäft durch kontinuierliche Optimierung auf etablierten Märkten auszuschöpfen (Exploitation), als auch darum, künftige ganz neue Geschäftspotenziale zu erschließen (Exploration) (Tushman, 2020, S. 4). Gemäß Henderson & Clark stellt inkrementelle Innovation eine Anpassungsleistung bestehender Konzepte dar, um Stabilität zu gewährleisten (Henderson & Clark, 1990, S. 12). Inkrementelle Innovation schließt an vorhandenes Wissen an und strebt nach einer starken Position in einem gesättigten Markt. Im Rahmen des Verteilungsmarktes ist Exploitation als „inkrementelle Innovation zur Konsolidierung“ (Duwe, 2020, S. 25) zu verstehen. Radikale Innovation durchbricht den Prozess der Anpassungsleistung, erklärt bestehende Anwendungen für redundant und nimmt neue Lösungen und Technologien in den Blickwinkel (ebd., S. 25). Radikale Innovation stellt bestehende Märkte grundlegend infrage (Tushman & Anderson, 1986, S. 462 f.) James G. March beschreibt die Ausnutzung von Bestehendem und die Erkundung von Neuem als den Kern organisationalen Lernens (March, 1991, S. 74 ff.). Eine einseitige unternehmerische Ausrichtung kann zur Verschwendung von Ressourcen führen und langfristig die
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 275 Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens gefährden; so entsteht strategisch die Notwendigkeit eines Gleichgewichts inkrementeller und radikaler Innovation (Schumacher & Wimmer, 2020, S. 11). Ambidextrie bedeutet im Management also die Balance zwischen Ausschöpfen von Bestehendem (Exploitation) und Erschließung von Neuem (Exploration) im Wachstum von Unternehmen. Die wissenschaftliche Ambidextrie kristallisiert vier Schwerpunkte von Beidhändigkeit heraus:
Sequenzielle Ambidextrie Strukturelle Ambidextrie Kontextuelle Ambidextrie Intellektuelle Ambidextrie (Duwe, 2020, S. 27 f.)
Sequenzielle Ambidextrie Sequenzielle Ambidextrie bedeutet gemäß Robert Duncan, dass Organisationen in der Zerreißprobe zwischen Exploration und Exploitation beide Aktivitäten chronologisch durchführen (Duncan, 1976; zitiert nach Duwe, 2020, S. 27). Sequenzielle Ambidextrie als – ‚alle Jahre wieder‘ – liegt vor, wenn die Organisation in entscheidenden Teilen nach Exploit oder Explore agiert, um anschließend in den anderen Modus umzuschalten (Frey & Töpfer, 2021, S. 55). Im heutigen beweglichen Umfeld, in dem alles gleichzeitig stattfinden muss, scheint dies nicht mehr zeitgemäß (Duwe, 2020, S. 28). Strukturelle Ambidextrie Strukturelle Ambidextrie bedeutet den Aufbau von dualen Strukturen als getrennte organisatorische Einheiten für Exploitation und Exploration (Gibson & Birkinshaw, 2004, S. 209 ff.). Dabei hat die Explorationseinheit eigene Strukturen, Prozesse und Leistungsparameter (Maier, 2015, S. 97). Strukturelle Ambidextrie als – ‚hier so, da anders‘ – geht davon aus, dass beide Modi aufgrund ihrer
276 ANDREA GAGEIK Unterschiedlichkeit so kontradiktorisch sind, dass sie nicht zeitgleich stattfinden können. Deshalb werden Explore and Exploit organisatorisch voneinander getrennt (Frey & Töpfer, 2021, S. 58). Kontextuelle Ambidextrie Kontextuelle Ambidextrie tritt auf, wenn Exploitation und Exploration innerhalb eines Führungskontextes parallel stattfinden, so dass „das gegenwärtige und das zukünftige Geschäft innerhalb einer Organisationseinheit balanciert werden muss“ (Duwe, 2020, S. 28). Die Führungskraft hat wachsam und reaktionsschnell zu entscheiden, in welchem Kontext die Aktivität stattfindet (Maier, 2015, S. 97). Die kontextuelle Ambidextrie als – ‚Kinder, vertragt Euch‘ – vereint Widersprüchlichkeit, indem man sie ineinander integriert und diese so gut wie gleichzeitig erfolgen lässt (Frey & Töpfer, 2021, S. 59). Intellektuelle Ambidextrie Die Neurowissenschaftlerin Nancy Andreasen geht Rahmen der Ambidextrie noch einen Schritt weiter und beschäftigt sich mit der intellektuellen Ambidextrie. Beidhändigkeit ist nicht mehr nur durch den Kontext bedingt, sondern als Cross-over-Fähigkeit einzelner Personen zu sehen (Duwe, 2020, S. 28 f.). Individuelle Ambidextrie steht noch wenig reflektiert am Anfang der Forschung. Nur sehr wenige Menschen sind gleichzeitig Rechtsund Linkshänder; das ambidextre Managen eines Unternehmens ist genauso anspruchsvoll (Derndinger & de Groot, 2020, S. 14). Beim Ringen um bestehende Modelle und disruptive Innovation entstehen häufig interne Konflikte. Nur ein geschicktes Gleichzeitig zwischen Bewahren und Umbruch scheint erfolgreich. Führung, die sich meist auf das Funktionieren der aktuellen Operationen bemüht, kann ohne den beständigen Blick nach vorn nicht erfolgreich sein, darf aber gleichzeitig den Erfolg der Gegenwart nicht aus den Augen verlieren (ebd., S. 15).
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 277 Wieviel Exploit oder Explore genau gegeben sein muss, um einen Optimalzustand zu erreichen, stellt eine besondere Herausforderung dar, da es in permanenter Veränderung immer schwieriger wird, die strategisch stabilisierende Ausrichtung des Geschäfts vorzunehmen (Frey & Töpfer, 2021, S. 21). Im aktuellen dynamischen Umfeld, in dem sich die Unternehmensführung immer wieder neu erfinden muss, ist die Auseinandersetzung mit Strategien in der kontextuellen Ambidextrie zukunftsweisend. 3.3.1 Exploitation und Exploration Exploitation Im Exploit-Modus, im Englischen ‚to exploit = ausnutzen‘, ist man bestrebt, einen gegenwärtigen Zustand möglichst gut zu bewerkstelligen und weiter zu verbessern (Frey & Töpfer, 2021, S. 19). Bei der Exploitation geht es um einen Kampf um Schnelligkeit und Effizienz, bei dem das Volumengeschäft im Vordergrund steht. Dabei wird in Automatisierung zur Produktionssteigerung investiert. Über die radikale Senkung von Herstellkosten verspricht man sich einen Wettbewerbsvorteil. Prozesse werden dabei systematisch optimiert, um die größtmögliche Leistung aus der Organisation herauszuholen (Frey & Töpfer, 2021, S. 34 f.; O’Reilly & Tushman, 2004, S. 74 ff.; Stöckmann, 2010, S. 66 ff.). Eine konsequent auf Kosten, Profit und Effizienz ausgerichtete Vorgehensweise (O'Reilly & Tushman, 2004, S. 74 ff.) weist unter anderem auf die Züge des Fordismus hin, die bis heute eine Relevanz haben. Der Organisationstheoretiker James March definiert, dass Exploitation Wert aus den vorhandenen Kompetenzen generiert (March, 1991, S. 85). Dadurch erklärt sich eine geringfügige Veränderung der Technologie, es wird aus dem verfügbaren Bestand geschöpft auf einem sich konsolidierenden Markt. Eine Strategie der Beständigkeit und
278 ANDREA GAGEIK Stabilität steht im Fokus der Unternehmensführung (Duwe, 2020, S. 120 f.). Zentrale Merkmale sind umfangreiche Regelwerke, Fokus auf Dokumentation, Abgleich mit Kennzahlen, ausführliche Funktionsbeschreibungen sowie hohe Wertschätzung von Anwenderwissen (Frey & Töpfer, 2021, S. 34 f.). Dabei werden in einer Top-down-Strategie Anweisungen gegeben, so steuert die Führungskraft zentral die notwendige Kommunikation, um ein einheitliches Verständnis zu schaffen und die Umsetzung zu beschleunigen (Duwe, 2020, S. 165). Bei dieser Form des rationalen Handelns besteht die Auffassung, dass Unternehmen vorausschauen, indem sie auf die Historie zurückschauen (Gavetti & Levinthal, 2000, S. 133 ff.). Die Intelligenz wird also dadurch erhöht, dass man sich auf historische Nachweise stützt (March, 2016, S. 22). Exploitation bezieht sich auf „Lernen durch lokale Suche“ und […] „auf Erfahrung beruhender Verfeinerung“ (Stöckmann, 2010, S. 67) als auch der Wiederholung von verlässlichen Routinen (ebd., S. 67). Somit entsteht eine „Unternehmenskultur des straffen Planens“ (Duwe, 2020, S. 125). Manchmal entwickeln sich Organisationen dabei jedoch zu unbeweglichen anstatt effizienten Gebilden (ebd., S. 125). Exploration Explorative Innovationen reagieren auf Umweltveränderungen mit der Entwicklung neuer Kundenleistungen und „basieren auf der Abkehr von altbekanntem Wissen“ (Stöckmann, 2010, S. 70), indem neue Fähigkeiten ausgebildet werden. Im Explore-Modus, im Englischen ‚to explore = auskundschaften‘, ist das Unternehmen kreativ, fügt Strukturen ad-hoc zusammen und stellt Grundannahmen infrage (Frey & Töpfer, 2021, S. 19).
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 279 Exploration steht für ein Lernen durch Experimentieren mit neuen Alternativen (Stöckmann, 2010, S. 67). Dabei werden Endergebnisse weniger klar, was dazu führt, dass Entscheidungen mit Wissen getroffen werden, welches erst erschlossen werden muss (Frey & Töpfer, 2021, S. 47). Exploration reduziert die Geschwindigkeit, mit der Fähigkeiten in der Organisation ausgebildet werden können. March schreibt dazu „slower learning allows for greater exploration“ (March, 1991, S. 76). Exploration steht zusammenfassend in der Überzeugung für neues organisationales Lernen. Neues organisationales Lernen benötigt einen kommunikationsbasierten Führungsstil, der „Verantwortung und Entscheidungsgewalt aus der Führungsetage herauslöst und hinein in die Teams“ (Duwe, 2020, S. 164) bringt. Das Orchestrieren von Netzwerken und die Ausbildung eines beweglichen Mindsets ist eine Kernaufgabe von Führung (ebd., 164 f.). Beim neuen organisationalen Lernen werden Leitbilder und Kultur an sich verändernde Umweltbedingungen angepasst (Sharma & Chrisman, 1999, S. 19) Die Unternehmenskultur wird von den neuen Erfahrungen der Einzelnen beeinflusst; die Unternehmenskultur kann nur von denen lernen, die sich von dem aktuellen Code der Organisation unterscheiden (March, 1991, S. 76). Aus der Explore-Perspektive ist die Welt komplex. In ihr gibt es kein einfaches Regelwerk, in dem man nachschlagen könnte. Probleme müssen erst erschlossen werden (Frey & Töpfer, 2021, S. 47). Als zentrale Merkmale gelten flache Hierarchien, gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse, Regeln als Gegenstand von Verhandlungen, hohe Bedeutung von selbstgesteuertem Lernen sowie eine offene und konstruktive Fehlerkultur (Frey & Töpfer, 2021, S. 49 f.). Die unterschiedlichen strategischen Anforderungen zwischen Exploitation und Exploration können zusammenfassend aus der Tabelle 2 entnommen werden, die im Gelingen eines beidhändigen Unternehmertums auf die
280 ANDREA GAGEIK Wichtigkeit einer fesselnden Vision und gemeinsam getragenen Werten hinweisen (O'Reilly & Tushman, 2004, S. 81). Tabelle 2: Unterschied Exploitation – Exploration (O'Reilly & Tushman, 2004, S. 80)
3.4
Fazit der dynamischen Unternehmensentwicklung
Unternehmen müssen in wachsender Komplexität auf immer höheren Ebenen neue Anforderungen bewältigen. Komplexität wird zudem durch eine sich immer schneller ändernde Umwelt disruptiv befeuert. Die Unternehmensleitung kann in komplexen Umwelten günstige Umstände durch Varietätsveränderung schaffen. So wie die Unternehmensphasen verschiedene Ausrichtungen auf ‚Ordnung und Struktur‘ oder ‚Vernetztheit und Mitgestaltung‘ anstreben, kann Führung auf strategische Schwerpunkte durch ‚Veranlassung von Regeln‘ oder ‚Geben von Freiräumen‘ setzen, was die Überleitung zur Ambidextrie bildet. Diese Beidhändigkeit von Evolution und Revolution vereint gegenwärtige und zukünftige
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 281 Überlebensfähigkeit von Unternehmen (Levinthahl & March, 1993, S. 105). Der Ökonom Christoph Stöckmann spricht über exploitative und explorative Innovation in einem Zwillingskonzept als das zentrale Ergebnis von Entrepreneurship (Stöckmann, 2010, S. 44).
4. Unternehmensentscheidungen unter Gesichtspunkten der kontextuellen Ambidextrie Eine spezifische Herausforderung reifer Unternehmen ist häufig die Abnahme von Innovationsfähigkeit. Im Rahmen der disruptiven Umwelt wird ein Unternehmen jedoch nicht erfolgreich bleiben, wenn nur verwaltet wird, was geschaffen wurde (Stevenson & Jarillo-Mossi, 1986, S. 10). Bei einem Unternehmen wissensdurstiger Forscher ist jedoch meist so wenig Struktur zu finden, dass die Umsetzungsfähigkeit in Gefahr steht. Andererseits werden stark reglementierte Organisationen unempfänglich für Rückmeldungen. Ein Miteinander der beiden Modi zu erzielen, ist für ein Unternehmen unerlässlich. Unter Bezugnahme der kontextuellen Ambidextrie sind die beiden Phänomene Exploitation und Exploration als ergänzend anzusehen, es muss im jeweiligen Kontext entschieden werden, welcher Modus zum Zuge kommt (Frey & Töpfer, 2021, S. 20). In den Anforderungen an die sich ergänzenden Modi von Exploitation und Exploration leuchtet ein, dass sowohl inkrementelle Anpassungen existierender Prozesse als auch revolutionäre Anpassungen an Umweltbedingungen als strategische Erneuerung vorzunehmen sind (Kollmann & Stöckmann, 2008, S. 13). 4.1
Strategische Aspekte im ambidextren Management
Ambidextrie erfordert das Bewusstsein für eine strategische Agenda (Maier, 2015, S. 250). Hier hilft die Unterscheidung von sechs strategischen Dimensionen als
282 ANDREA GAGEIK entrepreneuriale Orientierung durch Christoph Stöckmann. Bei jeder dieser Dimensionen kommt es auf die Balance zwischen Exploitation und Exploration an, um zu einer wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der Organisation zu gelangen (Stöckmann, 2010, S. 89 f.).
Abbildung 3: Konzeptionelles Modell für Entrepreneurship in Exploitation und Exploration (Stöckmann, 2010, S. 90, Abbildung 7)
1. Risikoneigung Unter Unsicherheit abwartend handeln, um Verluste zu minimieren vs. unter Unsicherheit kühn handeln, um Gewinne zu maximieren (Stöckmann, 2010, S. 191) 2. Innovativität Änderungen des Produktportfolios waren in den letzten drei Jahren marginal vs. Änderungen des Produktportfolios in den letzten drei Jahren waren gewichtig (ebd., S. 192)
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 283 2 a Exploitative Innovation
Fortlaufende Verfeinerung der Effizienz und Leistungserstellung Fortwährende Reduzierung von Kosten der Leistungserstellung ohne Qualitätseinbußen
(ebd., S. 203) 2 b Explorative Innovation
Offenheit für Herausforderungen, die über das bisherige Angebot hinausgehen Entwicklung kreativer Wege, um Kundenbedürfnisse zu befriedigen
(ebd., S. 200) 3. Proaktivität Reagieren auf Aktionen der Wettbewerber vs. Initiieren von Aktionen, auf die Wettbewerber reagieren (Stöckmann, 2010, S. 194) 4. Wettbewerbsaggressivität Wetteifer gegenüber Konkurrenten vs. Konfliktvermeidung mit Konkurrenten (ebd., S. 195) 5. Autonomie Zwischenergebnisse müssen Vorgesetzten vorgelegt werden vs. eigenverantwortliches Handeln der Mitarbeitenden Initiierung von Änderungen der Arbeitsabläufe durch die übergeordnete Hierarchie vs. Ermutigung von Mitarbeitenden, Verbesserungen eigenständig umzusetzen (ebd., S. 196) 6. Gelegenheitsorientierung Das Handeln wird durch bestmögliche Nutzung vorhandener Ressourcen bestimmt vs. das Handeln ist auf die Suche
284 ANDREA GAGEIK nach neuen Marktchancen strategisch fokussiert (ebd., S. 199) Das Erklärungsmodell macht deutlich, dass Ambidextrie im Management bedeutet, paradoxe Führungsanforderungen zu erfüllen (Schumacher & Wimmer, 2020, S. 12). Es müssen permanent gegensätzliche Anforderungen synchronisiert werden. Tradierte Selbstgewissheiten von Führung scheinen fehl am Platz, vielmehr stellt die Ambidextrie hohe Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit und Konfliktbearbeitungskompetenzen in Organisationen. In der Ambidextrie spielen der CEO und das TopmanagementTeam eine zentrale Rolle in einem hochanspruchsvollen Unterfangen (ebd., S. 14). „Integrierte Unternehmensentwicklung ist und bleibt Chefsache“ (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 116). Wie aber können diese diametralen Gegensätze in der Managementpraxis ausgeglichen werden?
5. Ausgleichen von kontradiktorischen Anforderungen der Ambidextrie In der kontextuellen Ambidextrie kann sich eine Organisation nicht dauerhaft für die eine oder andere Seite entscheiden, wenn beide Funktionen für Organisationen in disruptiven Situationen überlebenswichtig sind (Simon, 2007, S. 74 f.). Zur Überlebensfähigkeit der Organisation ist das Pendeln zwischen Innovation und Tradition entscheidend. Dafür muss immer wieder neu balanciert werden und bewusst mit Paradoxien umgegangen werden (ebd., S. 84). Stabilität entsteht erst durch die eigene Beweglichkeit (Duwe, 2020, S. 211). Eine Ambiguitätstoleranz, resultierend aus der Unentscheidbarkeit zwischen Tradition und Innovation, bedeutet für Führungskräfte, Unklarheit zu ertragen und Widersprüchlichkeit nicht sofort durch eine Schwarz-Weiß-Logik zu beseitigen. Die Unentscheidbarkeit wird zum Normalfall,
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 285 in dem dennoch Entscheidungen herbeizuführen sind (Simon, 2007, S. 87). 5.1
Double-Bind-Theorie und Meta-Kommunikation
Für die Lösung von Unentscheidbarkeit ist ein Blick in die Double-Bind-Theorie vielversprechend; sie wurde von Gregory Bateson begründet (Bateson et al., 1956; zitiert nach Kutz, 2018, S. 3). Es wurde beobachtet, dass Schizophreniepatienten häufig aus Herkunftsfamilien mit paradoxen Kommunikationsstrukturen kamen. Ein Paradoxon mit Scheinalternativen führt geradewegs in eine unaushaltbare Situation. Paradoxe Kommunikation, übertragen auf den Unternehmenskontext, entsteht dadurch, dass sich gegenseitig ausschließende Anweisungen in derselben Interaktion angeordnet werden – wie Exploitation und Exploration. Egal, welcher Auftrag erfüllt wird, der Handelnde kann es nur falsch machen. Die zusätzliche Besonderheit der Double-Bind-Falle: Dem Adressaten ist es durch ungeschriebenes Gesetz verboten, diesen paradoxen Zustand zu thematisieren (Kutz, 2018, S. 3 ff.). Gelingt es jemandem, sich durch Meta-Kommunikation aus der Double-Bind-Situation zu befreien, steht die Lösung für das Vorhandensein und Fördern von Kreativität (Bateson, 1972, zitiert nach Lutterer, 2009, S. 65 f.). Gemäß der Double-Bind-Theorie kann die Integration der beiden Welten in der kontextuellen Ambidextrie nur durch Meta-Kommunikation gelingen. Simon verfasst hierzu: „Wer funktionieren will, muss eine gewisse Dissoziationsfähigkeit besitzen, die es ihm ermöglicht, diese Unterschiedlichkeit in seinem Verhalten zu realisieren“ (Simon, 2013, S. 106). Das ist aber noch kein Garant, dass sich beide Welten der Exploitation und Exploration auch vertragen, sie müssen den Mehrwert und die gegenseitige Duldung ansteuern (Duwe, 2020, S. 177). Somit kann man die Unternehmensführung als querdenkende Paradoxien-Künstler bezeichnen (Littmann & Jansen, 2000, S. 17 f.). Ein Querdenker muss jedoch systemisch und kontextbezogen denken: Eine einzige Maßnahmenform wird nicht für alle Fälle die richtige
286 ANDREA GAGEIK Veränderung bewirken (Varga von Kibed & Sparrer, 2016, S. 120). Von der Führung ist eine verbindende Vision gefragt, die das gegenwärtige Geschehen in den Bezug einer langfristigen Strategie für die Zukunft setzt (Duwe, 2020, S. 149). Die Unternehmensführung wird zum Systemintegrator, Vernetzer, Vermittler und Verbinder. Die Verständigung zwischen den ambidextren Welten wird zu einer Kommunikationsaufgabe (ebd., S. 178).
6. Empirische Erkenntnisse: Strategische Ambidextrie in der dynamischen Unternehmensentwicklung Die Erkenntnisse der empirischen Untersuchung können Führungskräften helfen, dem Anspruch der Beidhändigkeit möglicherweise noch besser gerecht zu werden und sich strategisch darauf einzustellen. In einem diesem Beitrag zugrundliegenden Befragungsprojekt wurde dieser Aspekt eingehend analysiert. In der Untersuchung konnten die Befragungsergebnisse von 30 Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen berücksichtigt werden. In welcher Unternehmensphase sie sich befinden, wurde auf Basis von sieben Kategorien in Anlehnung an Frank Strikker ermittelt (Strikker, 2007, S. 71 f.):
Vision Strategien Leitungsprozesse Organisationsstruktur Gestaltungsraum Einkommenspolitik Equipment (Anhang 1)
In der nachfolgenden Tabelle werden die Kategorienunterschiede in den jeweiligen Entwicklungsphasen kurz beschrieben:
hohe Identität der Pionierpersonen mit Zielen, Visionen, Grundwerten, Vorbildfunktionen – alle handeln in ihrem Geiste Strategien und Konzeptionen folgen implizit der Gedankenwelt der Pioniere, viel Improvisation, Kreativität, Spontaneität, Kundentreue
1. Vision
2. Strategien
Impulsieren einer informalen Gemeinschaft
Pionierphase Unternehmen als Familie oder Stamm
Kernaufgabe
Bild
Phase Metapher
rationales Definieren der Position, Märkte werden von innen nach außen betrachtet und ‚bearbeitet’ nach Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung festgelegt; Steuerbarkeit, Kontrollierbarkeit, Ordnung als Leitgedanke
Aufbauen eines steuerbaren Apparates
Differenzierungsphase Unternehmen als konstruierter Apparat
partizipativ als Lernprozess gestaltet, Dialogprinzip, ‚lernendes Unternehmen’, Initiative, Verantwortung, Selbstorganisation werden gefördert
Entwickeln eines ganzheitlichen lebendigen Organismus bewusste Arbeit an Mission = Leitbild, Credo, orientiert auf Kundennutzen
Integrationsphase Unternehmen als lebendiger Organismus
Tabelle 2: Unternehmensentwicklung (Strikker, 2007, S. 71 f.)
Assoziative Vernetzung mit vielen Umwelten/ Außenbeziehungen Unternehmen gedeihen als Biotop, Position wird durch gesellschaftlichen Nutzen im Dialog definiert Leitsätze werden proaktiv mit Umfeld als Schicksalsgemeinschaft gelebt, neue Wege und Qualitäten der Beziehungsgestaltung zum ‚Umfeld’ (Kunden,
Assoziationsphase Unternehmen als Glied im Biotop
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 287
weder Formalisierung noch Festlegung, breite Kammstruktur um Pioniere und Subpioniere, Flexibilität
Charismatisch-autokratische Führung, direkte, informale, persönliche Kontakte, Wärme, jeder kennt Zusammenhänge und ist allround; Aufgabenkonzentration um Personen, durch Allround-Funktionen Erfolgserlebnisse
Beweglichkeit, Improvisation nach handwerklichen Gesichtspunkten,
3. Struktur
4. Gestaltungsraum
5. Leistungsprozesse
288 ANDREA GAGEIK
Standardisierung und Routine, Verfahren geplant, formalisiert,
Formalisierung, funktionale Gliederung, StabLinie, Führungsebenen spezialisiert in konstituierende, organisierende und delegierende Führung sachorientertes Führen, technokratisch und bürokratisch instrumentalisierte Kontakte, kaum Teamarbeit Kühle, Distanz und Abgrenzungen, rationale Aufgabenteilung und Spezialisierung, Festlegung in Stellenbeschreibungen, Trennung von Planung, Ausführung, Kontrolle Mischung von formaler und informeller Struktur, föderative Vernetzung relativ autonomer Unternehmensbereiche, auf Kunden/Produktgruppen bezogen situatives Führen, strategische Personalentwicklung, formale und informale Kontakte, viel Teamarbeit, Wärme und Nähe, viel Sinnvermittlung, Eigenverantwortung, interne KundenLieferanten-Beziehungen; sachliche und mitarbeiterbezogene Kriterien für Funktionsinhalte: Job Enrichment= integrierte Funktionen, Flexibilität innerhalb von Rahmenvorgaben flexible Prozesssteuerung durch
Ausweitung des Prozessdenkens und der Selbststeuerung,
Lieferanten, Wettbewerb, Gesellschaft) durchlässige Grenzen der Organisation, interne und externe Vernetzung relativ selbststeuernder Bereiche, Nahtstellenorgane mit Externen hohe Durchlässigkeit der Führung, situativ, Personalentwicklung auch im Unternehmensbiotop, Mitarbeiter als Bürger, Unternehmensund Umfeldentwicklung’, Ausbau des Job Enrichment, erweiterter Aufgaben- und Prozesshorizont, Nahtstellenmanagement, externes Job-Rotation
Ausgerichtet an Vorstellungen der Pionierpersonen
Gebäude, Maschinen, Werkzeuge usw. werden als völlig untergeordnet erlebt, improvisierend gebraucht
6. Materielle Ressourcen
7. Equipment/ Instrumente
Sonderanfertigungen statt Standards
Durch technische Orientierung hoher Stellenwert, Logik der Technik prägt als „Sachzwang“ auch das Soziale, Informationstechnologie hat zentrale Stellung
mechanisiert und möglichst automatisiert, zentrale Koordinationsstellen Standardisiert nach Vorgaben und Tarifen, analog der definierten Struktur und Form
Räume und Ausstattung nach soziotechnischen Kriterien, „soft technology“ erlaubt Teambedienung, Informationstechnologie dezentral genutzt
Betroffene, Mischung von Selbst- und Fremdplanung/-steuerung Einkommen wird über Flächentarife und Vorgaben hinaus an einzelne Zielabsprachen gekoppelt
Nahtstellenmanagement, Verzicht auf Pufferzonen und Sicherheitsnetze (z.B. Just-in-time) Ausgerichtet an unternehmerischen Handeln aller Mitarbeiter/innen bezogen auf Gewinn/Verlust des Gesamtunternehmens, des eignen Bereiches und zur Qualität der eigenen Leistung Anlagen auf Teamentwicklung ausgerichtet, wesentliche Vereinfachung der Unterstützung durch Roboter, Daten-Highway, äußerst sparsamer Einsatz von Raum und Kapital
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 289
290 ANDREA GAGEIK
Nach den Gesichtspunkten der Exploitation und Exploration wurden wiederum spezifische Schwerpunkte definiert: Strategische Schwerpunkte der Exploitation:
1. ORGANISCHES WACHSTUM SCHAFFEN 2. EFFIZIENZ STEIGERN 3. BISHERIGES WISSEN ANPASSEN 4. PRODUKTIVITÄT STEIGERN 5. KOSTENBEWUSSTSEIN SCHAFFEN 6. STABILITÄT HERSTELLEN 7. BEZIEHUNGEN REGELN 8. ENTSCHEIDUNGSPROZESSE KLÄREN 9. WETTBEWERB BEFEUERN 10. TRANSPARENTE KOMMUNIKATION STEUERN Strategische Schwerpunkte der Exploration: 1. MITARBEITENDEN AUTONOMIE ZUSCHREIBEN 2. VERTRAUENSVOLLE BEZIEHUNGEN PFLEGEN 3. ORIENTIERUNG AUF DEN KUNDENNUTZEN SCHAFFEN 4. REAKTIONSGESCHWINDIGKEIT BESCHLEUNIGEN 5. NEUARTIGKEIT ZULASSEN 6. SPANNUNGSKOMPETENZ AUSBAUEN 7. UNTERNEHMENSKULTUR UND -SINN ENTWICKELN 8. GELEGENHEITSORIENTIERUNG ZULASSEN 9. KOMMUNIKATIVE VERNETZUNG DYNAMISIEREN 10. LERNFÄHIGKEIT DER ORGANISATION ANREGEN 6.1
Befragungsergebnisses zur Bestimmung der Unternehmensphase
Die Befragungsergebnisse ergaben, dass sich 12 Unternehmen in der Differenzierungsphase (Phase 2) und 16 Unternehmen in der Integrationsphase (Phase 3) befinden. In der Bewertung der sieben Elemente der Unternehmensphasen nach Glasl & Lievegoed (2021) über alle Unternehmen hinweg wurden Leistungsprozesse und Einkommenspolitik am höchsten bewertet und können der Phase 3
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 291 zugeordnet werden. Alle weiteren Elemente tendieren zwischen Phase 2 und 3, die Organisationsstruktur und Equipment sogar deutlich in Richtung der Phase 2. Hier erweist sich, dass die Unternehmensleitung schwerpunktmäßig eine Anpassung im Handeln der Mitarbeitenden stimuliert, die durch finanzielle Anreizsysteme gratifiziert werden. Die Organisationsstruktur, die Unternehmensziele durch ein Geschäftsmodell beeinflusst sowie die normative Ebene, um ebenfalls die geringere Wertung in den Visionen aufzugreifen, geraten in Vergessenheit. Die Anpassung auf operativer Ebene allein führt aber nicht konsequent zu notwendigen Veränderungen in allen Bereichen. In komplexen Umwelten gelten partizipative Strategien und ein gemeinsamer Leitbild-Charakter als essenziell, um günstige Umstände für Erfolg zu schaffen. Der visions- und kulturprägende Faktor stellt eine wichtige integrierende Kraft des Managementpotenzials dar (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 179). Im schnellen technologischen Fortschritt der makroökonomischen Umwelt dürfen auch Investitionen in Equipment und Ausstattung nicht vernachlässigt werden. Sowohl in der Differenzierungsphase als auch in der Integrationsphase sind Exploitation und Exploration unter komplexen Kontextbedingungen in den Befragungsergebnissen nahezu ausgeglichen. 6.2
Befragungsergebnisse der strategischen Schwerpunkte im Vergleich
Exploitation: In den einzelnen strategischen Elementen sind in der Exploitation ‚Organisches Wachstum schaffen‘ und damit schwarze Zahlen schreiben, ‚Kostenbewusstsein steigern‘ als Vertrauen in die finanzielle Zukunft und ‚Bisheriges Wissen anpassen‘ als bewährte Lösungen verändern, führend. Am schwächsten bewertet ist ‚Wettbewerb befeuern‘ als Wettbewerbsaggressivität. Die Ergebnisse zeigen auf, dass bei disruptivem Komplexitätszuwachs die Unternehmen
292 ANDREA GAGEIK den Fokus auf sich selbst und wirtschaftliches Handeln ausrichten. Der starke Fokus auf Wirtschaftlichkeit kann als ein Zusammenhang mit den geringeren Investitionen in Equipment gedeutet werden. Exploration: In der Exploration sind am höchsten bewertet ‚Reaktionsgeschwindigkeit beschleunigen‘, um sich flexibel auf den Wandel einzustellen, und ‚Vertrauensvolle Beziehungen pflegen‘ mit Vertrauen als Grundlage im Bewusstsein der einzelnen Menschen. Aber auch ‚Orientierung am Kundennutzen‘ mit dem Antizipieren von Trends, die ‚Lernfähigkeit der Organisation‘ als bewegliches Mindset und den ‚Mitarbeitenden Autonomie zuschreiben‘ für Spielräume in Eigeninitiative, werden als hoch angesehen. Das Schlusslicht bildet ‚Neuartigkeit zulassen‘ als Befähigung zu unternehmerischer Gelegenheit. Auch ‚Spannungskompetenz ausbauen‘ als Bewusstsein für Paradoxien ist geringer bewertet. Es liegt jedoch in der Natur der Exploration, Neuartigkeit zu erschließen, die sich von der Tradition abhebt. Erstaunlich scheint auch, dass die Balance zwischen Exploitation und Exploration immer wieder organisationale Paradoxien aufwirft, deren Konflikte gelöst werden müssen. Die Notwendigkeit für Spannungskompetenz wird durch die Probanden dieser Stichprobe jedoch als weniger wichtig erachtet. Letztlich haben die Entscheider verstanden, dass es in der Krise eine Unterstützung durch vertrauensvolle Beziehungen der Mitarbeitenden benötigt. Zum Ausbau vertrauensvoller Beziehungen muss der Förderung von Kommunikation eine erhöhte Bedeutung zugeschrieben werden. Auch wird der Reaktionsgeschwindigkeit im Erkennen von Trends erheblicher Wert beigemessen, da disruptive Veränderungen der Umwelt immer schneller auf die Unternehmen zukommen. Die Eigeninitiative von Mitarbeitenden kann wesentlich zur Reaktionsfähigkeit beitragen.
DURCH AMBIDEXTRIE DIE HERAUSFORDERUNGEN BEHERRSCHEN 293
7. Resümee und Ausblick Organisationen durchlaufen über die Zeit verschiedene Entwicklungsphasen, in denen sie sich auf immer höheren Ebenen der Komplexität neu organisieren müssen. Jede Entwicklungsphase verfolgt dabei nach einer Krise als Form eines Wendepunktes einen neuen spezifischen Fokus (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 131). Der Umgang mit Komplexität eröffnet vielfältige Verhaltensmöglichkeiten, die entweder in der Reduktion oder im Steigern der Binnenkomplexität münden. Als eine weitere Verhaltensmöglichkeit kann disruptivem Komplexitätszuwachs mit den strategischen Stoßrichtungen der Exploitation und Exploration begegnet werden, indem auf Effizienz oder Neuartigkeit gesetzt wird. In den heutigen dynamischen Anforderungen wird das paradoxe Spannungsverhältnis beider Strategiekomponenten in einer kontextuellen Ambidextrie zum unternehmerischen Motor (ebd., S. 126). In dem Moment, wo unterschiedliche Organisationsmodi wie Exploit und Explore nebeneinander existieren, gibt es unvermeidliche Widersprüche. Dies ist kein Fehler im System, sondern ergibt sich logisch aus der ambidextren Ausrichtung der Organisation (Frey & Töpfer, 2021, S. 74). Die Vermittlung in diesem strategisch verketteten Konzept wird zu einer wesentlichen Führungsaufgabe (Frey & Töpfer, 2021, S. 18). Diese kontextuelle Vermittlungsaufgabe der paradoxen Gegensätze kann nur mit hybriden Denkansätzen der Exploitation und Exploration gelingen (Abegglen & Bleicher, 2021, S. 138 ff.) Meta-Kommunikation, wie sie in der Double-Bind-Theorie beschrieben wird (Kutz, 2018, S. 3 ff.) ist dafür ein wesentlicher Erfolgsfaktor, die Organisationen zum Austragungsort von ‚Sowohl-als-auch‘ macht. Mit Meta-Kommunikation ist die Benennung von Unterschiedlichkeit gemeint, die eine Umwandlung von Irritierendem in Fortschritt verfolgt. Der Ausbau von
294 ANDREA GAGEIK Spannungskompetenz und der konstruktive Umgang mit Konflikten spielen hierfür eine zentrale Rolle. Kommunikation wird so zur zentralen Handlungskompetenz, auch als interner Vorläufer eines BusinessÖkosystems in hochgradig vernetzten globalen Märkten (Duwe, 2020, S. 77). Der Führung kommt in disruptiver Komplexität die Rolle zu, Stakeholder durch eine gemeinsame Vision zusammenzuhalten. Manchmal hat Führung die Anforderungen einer Phase zu gut verinnerlicht, die Vergessenskurve, angeregt durch eine faszinierende Vision, wird in strukturellen Organisationsübergängen zu einer wichtigen Voraussetzung (Maier, 2015, S. 104). Explorationstaktiken stellen immer auch ein Risiko dar. Die Befragung zeigte eine geringere Ausprägung der Innovationsbereitschaft, um Neuartigkeit zuzulassen. Die befragten Unternehmen wollen flexibel sein, aber mit dem Sicherheitsnetz von Gewinnen, bevor sie investieren. Unternehmerisches Risiko im Exploring richtet sich im ersten Schritt aber darauf, etwas von diesem Sicherheitsnetz mit dem Vertrauen auf die eigene Vision aufzugeben. Man kann die kontextuelle Ambidextrie daher nicht ohne individuelle Leadership-Fähigkeiten denken, die im Rahmen dieser Arbeit nicht bearbeitet wurden. Um die empirische Relevanz zu steigern, ist die konkrete Ausarbeitung von Meta-Kommunikations-Methoden zudem hilfreich. In der Zusammenführung der Entwicklungsphasen mit der strategischen Bedeutung von Exploitation und Exploration kann gesagt werden, dass sich die Gewichtung der ambidextren Beidhändigkeit umso stärker ausprägt, je weiter fortgeschritten die Unternehmensphase ist. Literaturverzeichnis Abegglen, C. & Bleicher, K. (2021). Das Konzept Integriertes Management, Visionen, Missionen, Programme (10. Auflage). Frankfurt, New York: Campus Verlag.
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Wie können Organisationen individuelles und implizites Wissen externalisieren, um eine dauerhafte Veränderungsfähigkeit generieren und gewährleisten zu können? Marco Ortenburger Ziel dieser Master-Thesis ist es, einen Überblick über den Einsatz von Wissensmanagement in Unternehmen und dessen Verwendung in Bezug auf Veränderungsprozesse zu geben. Diesbezüglich wurden acht Experteninterviews durchgeführt und mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Das Ergebnis dieser Interviews zeigt auf, dass Wissensmanagement laut der acht Experten kaum eingesetzt wird, um Wissen an die Organisation zu binden. Anhand der Erkenntnisse wird die Frage beantwortet, ob Unternehmen individuelles und implizites Wissen externalisieren, um eine dauerhafte Veränderungsfähigkeit generieren und gewährleisten zu können. Im weiteren Verlauf wird eine Methodenkombination erarbeitet, die ein einfaches Umsetzen und Implementieren einer strategischen Wissensspeicherung, ermöglichen kann. Hieraus ergeben sich die Mehrwerte für anstehende Veränderungsprozesse. Ebenso richtet sich diese Master-Thesis an Praktiker und Unternehmen, die das Wissensmanagement in der Organisation einführen möchten. The aim of this master's thesis is to get an overview of the use of knowledge management in companies and its use in relation to change process. In this regard, eight expert interviews were carried out and evaluated using Mayring’s qualitative content analysis. The result of these interviews shows that knowledge management is rarely used to bind knowledge to the organization. Based on the findings, the 299
300 MARCO ORTENBURGER question is answered whether companies externalize individual and implicit knowledge in order to be able to generate and guarantee a permanent ability to change. In the further course, a combination of methods will be worked out, which can enable a simple implementation and realization of strategic knowledge storage. This results in the added value for upcoming change processes. This master's thesis is also aimed at practitioners and companies who want to introduce knowledge management into their organization.
1. Einleitung 1.1
Ausgangssituation
Veränderungen stellen Unternehmen und Organisationen vor große Herausforderungen. Organisationen müssen sich im Laufe der Zeit immer wieder unterschiedlichen Anpassungen unterziehen, um am Markt bestehen oder wirtschaftlich erfolgreich sein bzw. bleiben zu können (Laue, 2019, S. 3). Unterschiedliche Auslöser können für eine Veränderung verantwortlich sein. Hierunter fallen sog. externe wie interne Treiber, die ebenso in Kombination miteinander, Change Prozesse initiieren können. Die Digitalisierung, eine organisatorische Umstrukturierung, die Neuausrichtung der Unternehmenskultur oder das Ziel einer flachen Hierarchie, können hierbei als solche Auslöser beschrieben werden. Die Herausforderungen einer Veränderung der Unternehmensumwelt können sich dabei durch das Akronym VUKA beschreiben lassen. VUKA steht dabei für Aspekte wie: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Es beschreibt zum einen die schnelle Veränderung einer Unternehmensumwelt, die Unsicherheiten und Komplexitäten mit sich bringt und dabei eine Mehrdeutigkeit (Ambiguität) von Informationen erzeugt (Gerhardt, 2020). Die Auswirkungen dieser Veränderungen haben Konsequenzen, sowohl für das Unternehmen als auch für die
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 301 betroffenen Mitarbeiter. Konsequenzen können für die Betroffenen eine Neuausrichtung der Tätigkeit oder Neuorientierung innerhalb und außerhalb der Organisation sein. Für Unternehmen stellt dies die Gefahr von Wissensverlusten dar. Im Laufe der Entwicklung von Organisationen werden Erfahrungen jeglicher Art gemacht und gesammelt. Zusätzlich wird durch Fluktuation Wissen in Bewegung gebracht. Durch gezielte und strategisch ausgerichtete Rekrutierung werden Mitarbeiter mit notwendigen Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen an das Unternehmen gebunden. Eine natürliche Abwanderung von Mitarbeitern durch den Renteneintritt, befristete Arbeitsverträge, Erziehungsurlaube oder den Tod eines Mitarbeiters zwingen Unternehmen immer wieder zur Rekrutierung von Personal (Gallup, 2021). Erfahrungsbildung, Wissensaufbau und Qualifizierung von Mitarbeitern eines Unternehmens können unter dem Begriff Humankapital zusammengefasst werden. Unternehmen setzen im erheblichen Maße Kapital ein, um die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter zu ermöglichen, um somit einen Nutzen für die Organisation zu erzielen. „Die dadurch entstehenden betriebsspezifischen Kompetenzen sind von der Konkurrenz gar nicht oder nur schwer durch hohe finanzielle und zeitliche Investitionen nachzuahmen und können daher wichtige Wettbewerbsvorteile darstellen (Güth, Decius, Horvat, Schper, & Virgillito, 2018, S. 34). Nguyen und Pfleiderer postulieren, dass ein Unternehmen durch Bildung das innenwohnende Humankapital steigern kann, was im Weiteren die Produktivität und somit das Wachstum der Organisation fördert (Nguyen & Pfleiderer, 2012). 1.2
Zielsetzung und Vorgehensweise
Der Fokus dieser Master-Thesis liegt auf dem Wissensmanagement als Erfolgsfaktor für Change Prozesse. In dieser
302 MARCO ORTENBURGER Arbeit wird ein Einblick in die theoretischen Grundlagen von Wissensmanagement stattfinden. Zur Ermittlung des Status quo in Bezug auf das Wissensmanagement innerhalb von Organisationen wird eine qualitative Erhebungsmethode angewandt. Diese Master-Thesis soll einen wissenschaftlichen Beitrag leisten, inwieweit ein funktionierendes Wissensmanagement als Erfolgsfaktor für Change Prozesse fungieren kann. Hierbei wird kein Vollständigkeitsanspruch gestellt. In dieser Arbeit soll folgender Forschungsfrage nachgegangen werden: Können Organisationen individuelles und implizites Wissen externalisieren, um eine dauerhafte Veränderungsfähigkeit zu generieren und zu gewährleisten? Dazu sollen vier Hypothesen geprüft werden. Hypothese 1 Hypothese 2 Hypothese 3 Hypothese 4
Wissensmanagement als Erfolgsfaktor für Change Prozesse Die Notwendigkeit einer Anpassung der Unternehmenskultur, um Wissensmanagement nachhaltig implementieren zu können. Unternehmen betreiben Wissensmanagement nicht ausreichend Mitarbeiter sind für eine erfolgreiche Implementierung und nachhaltiges Wissensmanagement notwendig
Ziel dieser Master-Thesis ist es zu analysieren, ob und in welcher Form, Wissensmanagement in Organisation betrieben wird. Ebenso soll der Frage nachgegangen werden, ob ein implementiertes Wissensmanagement in Veränderungsprozessen eingesetzt werden kann und wenn ja, wie? Zusätzlich geht diese Arbeit der Frage auf den Grund, welche Voraussetzungen für ein funktionierendes Wissensmanagement innerhalb der Organisation gegeben sein müssen, um aus Wissensmanagement, einen Erfolgsfaktor zu kreieren. Nach der Beschreibung der Ausgangssituation, der Zielsetzung und der Vorgehensweise, werden im
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 303 zweiten Schritt die notwendigen Definitionen aus dem Bereich Change Management und Wissensmanagement erarbeitet. Im dritten Schritt wird der aktuelle Forschungsstand in Wissenschaft und Praxis sowie die Ableitung der Forschungsfrage dargestellt. Nachdem die Ableitung der Forschungsfragen erfolgt ist, wird im Aufbau des Forschungsdesigns, der Aufbau des Interviewleitfadens sowie die Auswertungsmethode beschrieben. Die nächsten Schritte beziehen sich auf die Evaluation der Experteninterviews. Die Auswertung der Ergebnisse sowie die Bildung der Hypothesen inkl. Überprüfung findet in Kapitel 4 statt. Die Voraussetzungsempfehlung wie auch eine Methodenkombination für die Implementierung eines Wissensmanagements, wird in Kapitel 5 näher beleuchtet. Die Schlussbetrachtung in Kapitel 6 bezieht sich auf die erarbeiteten Ergebnisse und Erkenntnisse sowie ein Ausblick auf die prognostizierte Entwicklung und weitere Forschungsmöglichkeiten gegeben.
2. Definitionen 2.1
Wissen
Karl Erik Sveiby schreibt in seinem Buch „Wissenskapital – Das unentdeckte Vermögen“: „Der Begriff Wissen hat verschiedene Aspekte. Er kann folgende Bedeutung haben: Information, Bewusstsein, Erkenntnis, Weisheit, Kenntnis, Wissenschaft, Fachkenntnisse, Fertigkeit, Einsicht, Kompetenz, Know-how, praktische Fähigkeit, Befähigung, Lernen, Klugheit, Sicherheit usw. Die Definition hängt davon ab, in welchem Zusammenhang der Begriff verwendet wird (Sveiby, 1998, S. 55). Der Ursprung für die von Sveiby aufgelisteten Eigenschaften von Wissen bildet sich auf der Basis von Kognition. Der Begriff „Kognition“ stammt aus dem Lateinischen und bildet einen Sammelbegriff für Prozesse und Strukturen. (Hänsel, Baumgärtner, Kornmann, & Einnigkeit, 2016). Aus Cognitio kann das Wort
304 MARCO ORTENBURGER cognoscere abgeleitet werden und bedeutet: erkennen, kennenlernen, kennen lernen und bemerken. Kognitive Fähigkeiten sind somit die Wahrnehmung, das Erinnern, die Problemlösung und die Orientierung. Aus diesen Fähigkeiten wird durch Erfahrungen, Lernen und Erleben Wissen gebildet. Das Bilden von Erfahrungen ermöglicht, Konstrukte für Verhaltensweisen abzuleiten. Diese Ergebnisse führen zu Entwicklung, Bildung und schließlich zu Wissen. Es besteht somit ein evolutionsbedingtes Entwickeln von Fähigkeiten und Erfahrungen, das sich auf Personen wie auch auf Organisationen auswirkt. Die Folge solcher Entwicklungen ist eine Bildung von sog. impliziten Wissen. Michael Polanyi forschte auf diesem Gebiet in den vierziger und fünfziger Jahren und veröffentlichte 1966 seine Erkenntnisse und Ergebnisse in Form eines Buches mit dem Titel „The Tacit Dimension“. Nach seinen Erkenntnissen basiert explizites Wissen immer nur auf implizitem Wissen, welches geteilt wird (Polanyi, 2016). Implizites Wissen ist somit ein individuell gebildetes Erfahrungskonstrukt, welches häufig schwer zu artikulieren ist. Nach den Ausführungen von Polanyi führt implizites Wissen zu explizitem Wissen, welches auch kodiertes Wissen genannt werden kann. Hierunter zählen alle Informationen und Daten, die gespeichert werden können und somit der Masse zugänglich sind.
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 305
Abbildung 4 Eisberg-Theorie nach Sigmund Freud (eigene Darstellung, 2021)
Aus Abbildung eins lässt sich ableiten, dass externalisiertes und somit verfügbar bzw. abrufbares Wissen nur die Spitze des Eisberges ist. Implizites Wissen, welches weder sichtbar noch leicht transferierbar ist, bildet die Basis und das Fundament allen verfügbaren Wissens. Nonaka und Takeuchi entwickelten auf der Grundlage von Polanyis Definition des impliziten Wissens das SECI-Modell.
Abbildung 5 Nonaka‘s Wissensspirale (eigene Darstellung, 2021)
306 MARCO ORTENBURGER In vier Phasen wird implizites Wissen durch Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung, wieder neues implizites Wissen. Dieses Modell wird auch die Wissensspirale genannt, bei der anfänglich impliziten Wissen sozialisiert, also von anderen kopiert und nachgeahmt. Die Externalisierung führt dazu, dass einzelindividuelles Wissen für andere zur Verfügung gestellt wird und in Kombination verschiedener Wissensbereiche neues implizites Wissen durch die Internalisierung gebildet wird. Durch die Betrachtung dieses Modells entsteht ein Kreislauf, der immer wieder neues implizites Wissen generiert. Siehe hierzu Abbildung 2. „Wissen ist das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt!“ (Zitat Marie Freifrau von Ebner Eschenbach). Sveiby postuliert, dass Wissen mit und durch Verbreitung wächst und an Wert zunimmt. Wissen, welches extern eingekauft und durch unterschiedlichste Wege mit der Belegschaft verteilt wird, steigert das Wissen und somit den Wert an Informationen für das Unternehmen (Sveiby, 1998). 2.2
Daten/Informationen
Durch Daten werden kontextbezogene Informationengebildet die individuell interpretiert und bewertet werden. Diese Eigenschaften in Zusammenhang mit persönlichen und individuellen Empfindungen und Gefühlen bilden das Konstrukt, das als Wissen bezeichnet werden kann.
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 307
Abbildung 6 Die Wissenstreppe nach North (North, 2021, S. 37 verändert und erweitert)
Zusammen mit den Erfahrungen, entstehen Kompetenzen, welche sich dann als Wettbewerbsfähigkeit für Organisationen zeigen können. Die Herausforderung für den organisationalen Kontext liegt in der Umsetzung des Wissensmanagements durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden. 2.3
Wissensmanagement
Wissensmanagement bezieht sich, wenn die aktuellen Studien, Literatur und Meinungen miteinander verglichen werden, auf die Identifikation, Lokalisation und Speicherung sowie der Externalisierung von Wissen. Wissensmanagement dient somit der Bildung von Entscheidungen und Handlungen im Rahmen des organisationalen Handelns eines Unternehmens. Erste frühe Erkenntnisse beziehen sich auf die Versorgung von Entscheidungsträgern mit Informationen, um die Qualität von Entscheidungen zu steigern (Lehner, 2014, S. 31). Wissensmanagement beschreibt
308 MARCO ORTENBURGER das Organisieren, Steuern und Planen von Wissen, welches in unterschiedlichen Bereichen, Ebenen und Formen in einem Unternehmen vorrätig sind. Hierzu zählt auch die Bildung von Wissen. Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung von Mitarbeitern sind Aufgaben des Wissensmanagement. Ebenso wichtig wie die Berücksichtigung des internen Wissens, ist die Beachtung von Erfahrungen, Anforderungen und Kompetenzen von Lieferanten, Kunden und Kooperationspartner. Die Summe aller notwendigen Daten, Informationen und Zeichen müssen gespeichert und der Organisation, an den jeweiligen Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden (Sveiby, 1998). Die Implementierung eines Wissensmanagements kann durch ein Projektteam und in enger Zusammenarbeit mit dem Change Management, eingeführt und als Institution innerhalb der Organisation dauerhaft verankert werden. 2.4
Methodologie des Wissensmanagement
Methodologie ist die Lehre von Methoden innerhalb eines Bereiches. Die Ableitung des Wortes „Methode“ stammt von dem griechischen Wort methodos und bedeutet, „den Weg zu etwas hin“. Methodik, abgeleitet von griechisch methodike, also „der Kunst des planmäßigen Vorgehens“, bezieht sich dabei auf entwickelte „rote Fäden“, um ein zuvor formuliertes Ziel zu erreichen (Schilling, 2020, S. 133). Methoden bilden hierbei unterschiedlichste Werkzeuge, um dieses Ziel erreichbar zu machen. Methoden gibt es für unterschiedlichste Managementdisziplinen und beschränken sich somit nicht ausschließlich auf das W.M. Methodenorientiertes Arbeiten bietet für das Management, Struktur und Klarheit innerhalb der Prozesse. Dem Wissensmanagement-Beauftragten stellt sich immer wieder die Frage, ob die richtigen Werkzeuge verwendet werden bzw. ob andere oder weitere noch besser geeignet wären, die Unternehmensziele zu unterstützen (Mittelmann, 2011, S. 13).
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 309 2.5
Kernaktivitäten von Wissensmanagement Methoden
Innerhalb dieser Master-Thesis kann aufgrund der Vielzahl von Methoden, Modellen und Werkzeugen nur ein eingeschränkter Blick auf Methoden geworfen werden. Dieser Blick soll den roten Faden und die Zielsetzung von zwei ausgewählten Modellen veranschaulichen. Die Kernaktivitäten von Methoden des Wissensmanagements gelten hierbei der Erzeugung, der Speicherung, der Verteilung und der Anwendung von Wissen (Heisig, 2002). Die Auswahl des richtigen Werkzeuges bzw. der richtigen Methoden setzt voraus, dass Ziele identifiziert und klar kommuniziert werden. Hieraus ergibt sich dann die Wahl der Methode oder der Methodenkombination.
Abbildung 7 Kernaktivitäten von Wissensmanagement Methoden eigene Darstellung (Heisig, 2002)
Als Ziele können hier normativer, strategischer oder operativer Natur sein, die teilweise unterschiedliche Herangehensweisen durch das Management erfordern. Normative Ziele des W.M. haben Einfluss auf die Organisation und deren Aufbau. Ebenso auf die Unternehmenspolitik wie auch auf die Unternehmenskultur. Strategische Ziele sind langfristig angelegte Operationen, welche in Prozesse integriert und gemanagt werden. Operative Ziele beziehen sich auf den Alltag einer Organisation und bedingen konkreter
310 MARCO ORTENBURGER Umsetzungsmaßnahmen und klarer Kommunikation. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Aufgaben für das Wissensmanagement, das mit Hilfe von Bausteinen erfolgen kann.
Abbildung 8 Bausteine des Wissensmanagement (Probst, Raub , & Rombardt, 2010)
2.6
Methoden Klassifikation
Um einen Überblick der unterschiedlichen Methoden und deren Zielorientierung zu erhalten, bietet sich das Schaubild „Überblick der Methoden des Wissensmanagement“ von Lehner an. Lehner bezieht sowohl die Kernaktivitäten wie auch die abzuleitenden Ziele und deren Bausteine in seine Darstellung ein. Hieraus entsteht eine Übersicht, bei der einige der gängigsten Methoden und deren Wirksamkeit für die einzelnen Prozesse des Wissensmanagements dargestellt werden. Zu erkennen ist ebenfalls, dass neben den Schwerpunkten der einzelnen Methoden auch andere Aufgabenbereiche mit übernommen werden können. Die dargestellten Methoden erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. (vgl. Lehner 2014). Sie zeigen für die einzelnen Wissensprozesse, wie die Zieldefinition Wissensbewertung, Wissensidentifizierung, geeignete Methoden auf. Hinzu werden Methoden für die Bereiche Wissenserwerb, -
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 311 entwicklung, -verteilung sowie die Nutzung und die Bewahrung von Wissen berücksichtigt.
Abbildung 9 Überblick über die Methoden des Wissensmanagement (Lehner, 2014)
Wie eingangs erwähnt, werden Methoden nicht nur im Bereich des Wissensmanagements eingesetzt. Methoden finden sich ebenfalls im Change Managements. 2.7
Change Management
„Die Welt verändert sich heute so schnell, dass die grundlegenden Systeme, Strukturen und Kulturen, die sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt haben, den neuen Anforderungen nicht mehr standhalten können
312 MARCO ORTENBURGER (Kotter, 2014, S. V). Das Change Management sieht sich der Herausforderung gegenüber, Veränderungen konzeptionell und strategisch so zu kontrollieren, dass sich hieraus ein Vorteil für die Organisation ergibt Mit Hilfe von Methoden und Werkzeugen soll eine nachhaltige und erfolgreiche Veränderung geschaffen werden. Auslöser für Veränderungsprozesse können unterschiedlicher Natur sein und ebenso unterschiedlich sind auch die Methoden und Modelle, um Veränderungen erfolgreich zu gestalten. Grundsätzlich kann jedoch eine erste Unterscheidung getroffen werden. Hierbei handelt es sich laut Leao et al. um sog. evolutionäre, revolutionäre und unerwartete Gründe. Evolutionär sind hierbei wirtschaftlich notwendige Veränderungen. Revolutionäre Veränderungen beziehen sich hierbei u.a. auf radikale Neugestaltungen von Unternehmensstrukturen oder die Einführung neuer Prozesse. Um ein Beispiel zu nennen, kann aus aktuellem Anlass das Einführen von Wissensmanagement verwendet werden. Hierbei können Unverständnis und Unsicherheiten, begründet in der Neueinführung eines Wissensmanagements und der Teilung von Wissen, entstehen. 2.8
Kernaktivität des Change Management
Analog den Kernaktivitäten im Wissensmanagement hat auch das Change Management zentrale Aufgaben, die es zu erarbeiten gilt. In diesem Fall besteht der erste Schritt darin Analysen für den zu verändernden Bereich zu erstellen. Hierbei geht es darum, die Shareholder, die Risiken und die Erfolgsfaktoren zu erfassen. Schritt zwei bezieht sich auf die Phase der Initiierung. Koalitionen, bei denen Verantwortlichkeiten, Zugehörigkeiten und MultiplikatorenNetzwerke berücksichtigt und aufgebaut werden. Der dritte Schritt sieht vor, dass die ersten Konzepte und die erste Change Architektur konzeptioniert werden. Daraus leiten sich für den vierten Schritt die Maßnahmen aus der Architektur ab. Eine kontinuierliche Anpassung der Maßnahmen, Interventionen und Architektur steht im
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 313 fünften Schritt an. Die Evaluation im sechsten Schritt, schließt die Lernkurve. Erfahrungen und Wissen können durch koordiniertes und gesteuertes Speichern zukünftige Veränderungsprozesse vereinfachen und erleichtern (Lehner, 2014).
Abbildung 10 Kernaktivitäten Change Management (eigene Darstellung in Anlehnung an Krüger), 2021)
Die einzelnen Phasen sind interpendent und beeinflussen sich wechselseitig. Somit können Anpassungen einer Phase immer durch die Erkenntnisse und Reflexion einer anderen Phase stattfinden. 2.9
Methoden des Change Management
Methoden existieren in den verschiedensten ManagementDisziplinen. Dies bezieht sich auch auf das Projekt, Change- oder Wissensmanagement. Das Ziel ist jeweils, ein nachhaltiges und erfolgreiches Ergebnis zu generieren. Ziele leiten sich hierbei von den Unternehmensstrategien ab (Lauer, 2019). Abhängig von der Organisationsstruktur und des Veränderungsprozesses, stehen unterschiedliche Methoden und Werkzeuge zur Verfügung. Die Entwicklung der ersten Change Methoden wurde durch Pioniere wie Kurt Lewin mit seinem 3-Phasen-Modell (Lauer, 2019, S. 70) oder aber durch John P. Kotter mit seinem 8-Phasen-Modell geprägt (Kotter, 2018).
314 MARCO ORTENBURGER Das 3-Phasen-Modell von Lewin, wurde von unterschiedlichen Autoren übernommen und weiterentwickelt. Darunter fallen neben dem acht Phasen Modell von Kotter, das fünf-Phasen-Modell von Krüger, das Konzept der lernenden Organisation oder das Modell der Komplexität dynamischer Systeme. Innerhalb dieser Master-Thesis kann auf die Einzelheiten der Methoden und Modelle keine nähere Aufmerksamkeit gelenkt werden. Das Ziel ist eine Darstellung, die Entwicklung innerhalb des Change Managements aufzeigen.
3. Aktueller Forschungsstand International agierende Firmen haben das Potenzial von Wissen erkannt und setzen auf entwickelte Methoden und Werkzeuge wie Theorieerkenntnisse und IT-basierte Lösungen. Dennoch haben sich, nach Ansicht des Autors dieser Arbeit, die wissenschaftlichen Bemühungen in den letzten Jahren reduziert. In wissenschaftlichen Kreisen besteht eine Einsicht darüber, dass Wissen ein hohes Gut ist, welches bewahrt werden muss, um nachhaltigen Erfolg haben zu können. Dennoch wird das Potenzial nicht oder rudimentär genutzt (Herbst, 2000). 3.1
Ableitung der Forschungsfrage
Aus dem Status quo ergibt sich eine Forschungslücke in Bezug auf KMU´s und die Implementierung eines Wissensmanagements innerhalb der Organisation. Die Forschungsfrage lässt sich durch die oben genannten Fragen ableiten: Wie können KMU´s individuelles und implizites Wissen externalisieren, um eine dauerhafte Veränderungsfähigkeit generieren und gewährleisten zu können? Es entstehen somit folgende Fragen, die innerhalb dieser Master-Thesis nachgegangen werden soll:
Wie wird in Unternehmen und Organisationen, Wissensmanagement betrieben?
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 315
Welche Voraussetzungen müssen von Organisationsseite her bestehen, um Wissensmanagement erfolgreich implementieren zu können? Kann Wissensmanagement als Erfolgsfaktor für Veränderungsprozesse angesehen werden? Kann Wissensmanagement in Veränderungsprozessen eingesetzt werden?
4. Forschungsdesign Die Forschungsfrage und die darunter stehenden Hypothesen sollen durch eine qualitative Erhebung beantwortet werden. Hierzu wurden im Vorfeld Experteninterviews geführt. Durch die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring werden die einzelnen Interviewergebnisse analysiert, um aus individuellen Aussagen auf das Allgemeine schließen zu können (Mayring, 2015). Der Autor führte die Experteninterviews telefonisch oder mit Hilfe von Online-KonferenzTools durch. Die einzelnen Interviews wurden dazu parallel aufgezeichnet und eigenständig transkribiert, welche als Basis für die qualitative Inhaltsanalyse dienen. 4.1
Interviewleitfadens und Experten
Um einen vergleichbaren Ablauf der Interviews gewährleisten zu können wurde im Vorfeld ein Interviewleitfaden erarbeitet, der durch zwei Testinterviews überprüft und verbessert wurde. Um einen strukturierten Ablauf der Interviews erzielen zu können hat sich der Autor für einen teilstrukturierten Interviewleitfaden entschieden, bei dem die Experten genug Freiraum für ihre Ausführungen zu lassen. Die Auswahl der Experten fand parallel zur Entwicklung des Interviewleitfadens statt. Hierbei wurde durch den Autor darauf geachtet, nur Personen in das Auswahlverfahren mit einzubeziehen, die durch ihre Tätigkeit und Funktion mit Veränderungsprozessen in Kontakt kommen könnten. Eine Auswahl von insgesamt 16 Experten aus unterschiedlichen Branchen wurden durch den Autor angesprochen und um Teilnahme gebeten. Insgesamt 14 Personen sagten zu. Aus
316 MARCO ORTENBURGER dieser Liste wurden 8 Interviewteilnehmer ausgewählt. Es wurde bei der Auswahl auf Diversität im Bereich der Branchen, Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche geachtet. 4.2
Auswertung der Ergebnisse
Alle Experten waren auf unterschiedliche Weise mit Veränderungen in Kontakt gekommen. Hieraus ergibt sich, dass alle Experten auch eine Einschätzung und Begründung für misslungene Veränderungsprozesse abgeben konnten. Es zeigte sich, dass zum einen aus Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt wurde und zum anderen benötigtes Wissen nicht abrufbar war. Somit bewerteten alle Experten, dass Wissen und somit Wissensmanagement eine eminente Rolle für die strategische Veränderungsfähigkeit von Unternehmen haben. Anhand der erarbeiteten Forschungsergebnisse wird der Autor geeignete Methoden des Wissensmanagements sowie Voraussetzungsempfehlungen zusammenfügen. Nach Ansicht des Autors sind für eine Methodenkombination Voraussetzungen notwendig, die die Wirksamkeit steigern können. Somit wird der Versuch unternommen, eine Voraussetzungsempfehlung zu erläutern. Auf Basis der Voraussetzungen wird eine Methodenkombination empfohlen, die das Wissensmanagement nachhaltiger gestalten lässt.
5. Voraussetzungsempfehlungen Eine Erkenntnis dieser Master-Thesis beschreibt die Interpendenz zwischen Mitarbeitern und Organisationen. Die wechselseitigen Abhängigkeiten bezieht sich auf die Akzeptanz der Mitarbeiter einer Organisation in Bezug auf das zu implementierende oder bestehende Wissensmanagement. Ohne die Bereitschaft zur Wissensteilung kann kein Wissensmanagement entstehen. Veränderungen kreieren in vielfältiger Weise Widerstände. Die Befürchtung, dass geteiltes Wissen missbraucht werden könnte und sich hieraus Nachteile für den Wissensträger ergeben, hemmt
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 317 Mitarbeiter, ihr Wissen zu teilen. Ein vertrauensvoller Umgang mit geteiltem Wissen kann diese Ängste abbauen und Mitarbeiter motivieren. Akzeptanz und Verständnis sowie die Bereitschaft, Wissen mit der Organisation zu teilen, fordert Vertrauen und Verständnis gegenüber den Mitarbeitern. Die Verantwortung liegt hier bei den Führungskräften und deren Umgang mit Veränderungen, Wissensteilung und Fehlerkultur. Dies gilt es zu entwickeln, auf- und auszubauen. Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer sozialen Beziehung ist die Kommunikation. T. Parson entwickelte mit Hilfe seiner Systemtheorie ein Verhaltenssystem-Schema. Verhaltenserwartungen und Handlungen werden aufeinander angepasst, um ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen (Wiese, 2008, S. 5). Die Voraussetzungsempfehlungen lauten daher:
Vertrauen aufbauen Persönliche Motivation aufbauen / stärken Kompetenzen der Mitarbeiter wertschätzen Kompetenzen ausbauen Kommunikation fördern Zeiten für den Austausch einplanen
Erreicht werden kann dies durch eine strategische Ausrichtung der Unternehmenskultur durch die Geschäftsleitung. Ein verbindlicher Leitfaden verpflichtet die Mitarbeiter zur Einhaltung der Vorgaben. Die Führungskräfte haben die Aufgabe, die Einhaltung zu kontrollieren und zu fördern. 5.1
Methodenkombination
Die Methodenkombination zielt auf eine einfache, aber effektive Implementierung von Wissensmanagement in Organisationen ab. Dies bietet zum einen die Möglichkeit, dass Abläufe koordiniert und gesteuert werden können, und zum anderen Wissensmanager für Rückfragen bereitstehen. Wissensmanager gehen auf die Abteilungsleiter und Führungskräfte zu und identifizieren und selektieren
318 MARCO ORTENBURGER vorhandenes Wissen der Mitarbeiter. Die selektierten Informationen werden durch die Führungskräfte und Wissensmanager in ein Expertenverzeichnis zusammengestellt. Aus diesen Experten bilden sich Gruppen mit gleichen Interessen und gleichen Tätigkeitsbereichen, um Ideen, Erkenntnisse und Meinungen zu diskutieren und zu erarbeiten. Solche Arbeitsgruppen werden auch Communities of Practice (CoP) genannt. Das Ziel dieser Gruppen ist es, fachspezifische Themen und Probleme identifizieren, zu sammeln, zu systematisieren, beurteilen, auszutauschen und zu verbreiten.
Abbildung 11 Ziele der Community of Practice (eigene Darstellung nach Lave und Wenger 2021)
Durch die ständige Zusammenarbeit innerhalb der CoP´s werden neue Erfahrungen durch Best Practice erarbeitet. Ebenso werden Erfahrungen reflektiert, um aus abgeschlossenen Prozessen zu lernen. Anhand der folgenden Abbildung wird der Weg der Implementierung mit seinen einzelnen Schritten beschrieben.
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 319
Abbildung 12 Implementierung Wissensmanagement (eigene Darstellung, 2021)
Erster Schritt dieser Modellkombination bezieht sich auf die Implementierung des Wissensmanagements. Damit die Verbindlichkeit und Durchdringungswirkung ausreichend sind, sieht der Autor vor, das Wissensmanagement an einer Stabsstelle zu platzieren. Die Vorgaben der Geschäftsleitung in Bezug auf den Umgang mit Wissen können durch zuständige Mitarbeiter vertreten werden. In einer starken und engen Zusammenarbeit oder angeschlossen an Human Ressources können hier Vorteile durch Verbindlichkeit und Präsenz erzeugt werden. Eine enge Führung und Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ist ebenso unumgänglich wie der enge Austausch zwischen Wissensmanagement und Führungskräften. Um Vertrauen schaffen zu können, ist eine offene Kommunikation,
320 MARCO ORTENBURGER unabdingbar. Fragen, Befürchtungen und Ängste müssen von den Wissensmanagern aufgenommen und individuell beantwortet oder abgebaut werden. Im zweiten Schritt werden durch die Zusammenarbeit von Führungskräften und Wissensmanagern Datenbanken erstellt, in denen die Mitarbeiter mit ihrem Expertenwissen und den Kompetenzen hinterlegt werden. Das Ziel dieses Expertenverzeichnisses ist es, eine Form von OrganisationGelbe-Seiten zu entwickeln. Hierbei werden neben den Fähigkeiten und Qualifikationen aus den einzelnen Fachbereichen die Kontaktdaten hinterlegt. Damit Personen aus der Organisation bei Fragen zu speziellen Themen den richtigen Ansprechpartner identifizieren können. Stammdaten Blatt / Mitarbeiter Sprachen
Niveau
x
Deutsch x
Englisch
Russisch
Chinesisch
x
Französisch
Spanisch
Japanisch
Türkisch
Deutsch = Muttersprache; Englisch = B2; Französisch = A2
Job Schwerpunkt Projektmanagement / Vertrieb / Status
FK
x
AN
sonstiges
Fachkenntnisse Wissensmanagement, Projektmanagement (Projektleiter) Vertriebscoach, Business Coach
Qualifikationen x
Ausb.
x
Studium
x
sonstiges
Business Coaching und Change Management (M.A.) Projektleiter (DVA) Projekterfahrung Projekt "Vertriebsumbau 2020" - Projektteilnehmer Projekt 123 (Projektleiter) Projekt 873 (Anfoderungsmanager)
Ausschüsse /
Wirtschaftsausschuss; Ausbildungsausschuss
Abbildung 13 Expertenverzeichnis (eigene Darstellung, 2021)
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 321 Im nächsten Schritt bilden sich durch gemeinsame Interessen und Themenbereiche Arbeitsgruppen. Diese Gruppen arbeiten unabhängig und ohne Leitung sowie ohne zeitliche Vorgaben. Einzig das Engagement und die Motivation der einzelnen Experten entwickelt die Gruppe. Das Ziel dieser Gruppe ist es, Wissen zu bewahren, auszubauen und zu lernen. Sog. Communities of Practice (CoP) haben hierbei das Ziel, Innovationen und Ideen zu aufkommenden Themen zu erarbeiten und Erfahrungen und Wissen mit der Organisation zu teilen.
Abbildung 14 Struktur Communities of Practice nach Wenger & Lave (eigene Darstellung,2021)
Die Idee der Communities of Practice ist das freiwillige Zusammenfinden von Personen einer Organisation. Nach
322 MARCO ORTENBURGER Wenger und Lave gibt es drei Kernelemente, die in ihren Schnittpunkten die Stärken von CoP´s darstellen. Im ersten Element geht es um die Entwicklung und die Arbeit einer solchen Gemeinschaft. Hierbei ist eine Vermischung von unterschiedlichen Abteilungen oder Organisationsteilen gewollt und auch bevorzugt. Die einzelnen Erfahrungen und Wissensstände der CoP-Teilnehmer werden in einfacher Weise ausgetauscht. Der Austausch findet zum einen durch soziale Interaktionen statt, aber auch durch die Erarbeitung von Lösungen für aufkommende Problemstellungen. Die Dynamik der CoP hängt von den einzelnen Mitgliedern und deren Engagement ab. Hieraus ergibt sich auch die Zeit, in der eine CoP aktiv ist oder sich selbst wieder auflöst. Es besteht zudem die Option, dass sich aus einer CoP eine andere entwickelt, bzw. sich Teile zu einer neuen zusammenschließen. Innerhalb dieser Gruppe wird eine interne, nicht von außen vorgegebene Gruppenleitung bestimmt. Um organisatorische Unterstützung gewährleisten zu können, werden bei Bedarf Assistenten aus der CoP ausgewählt. Administrative Aufgaben, das Organisieren von Arbeitsmaterial, geeigneten Räumlichkeiten und die Kommunikation in der Organisation können dadurch gewährleistet werden. Diese Struktur bietet im Vergleich zu anderen Modellen einen entscheidenden Vorteil. Durch seine agile Struktur, welche dem grundsätzlichen Verständnis der VUKA Welt entspricht, bietet es die Basis für Innovationen und neue Ideen. Hierbei bezieht sich VUKA auf die Volatilität in der Art der Veränderungen, der Unsicherheit in der prognostizierbaren Vorhersehbarkeit von Ereignissen, der Komplexität der Interdependenzen von Ereignissen und Handlungen sowie der Ambiguität in der Mehrdeutigkeit der Faktenlage gekennzeichnet sind (Kühl & Schäfer, 2019). Das zweite Element (Domain) konzentriert sich auf die Wissensbereiche einer CoP. Etienne Wenger konstatiert “Membership therefore implies a commitment to the domain, and therefore a shared competence that
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 323 distinguishes members from other people (You could belong to the same network as someone and never know it.). The domain is not necessarily something recognized as “expertise” outside the community. A youth gang may have developed all sorts of ways of dealing with their domain: surviving on the street and maintaining some kind of identity they can live with. They value their collective competence and learn from each other, even though few people outside the group may value or even recognize their expertise” (Wenger, 2011). Die Gruppe vereint unterschiedliches Wissen, verschiedene Erfahrungen und Ideen. Die Kohäsion dieser Gruppe erklärt sich durch einen gemeinsamen Interessenskern. Auf Grund der gleichen Interessen werden unterschiedliche Wissensstände durch einfachen Austausch von Erfahrungen geteilt. Hieraus ergibt sich das dritte Element, welches sich mit der Praxis auseinandersetzt. Das Ziel dieses Elementes ist es, die ausgetauschten Erfahrungen und das gesammelte Wissen in der Praxis zu nutzen und somit der Organisation durch neue Erkenntnisse und Lösungen, einen Mehrwert zu bieten. Durch die enge Zusammenarbeit, den Austausch und die Erarbeitung von Lösungswegen wird implizites Wissen expliziert. Neu gewonnenes Wissen wird genutzt und somit wieder zu implizitem Wissen gewandelt. Die Lernfähigkeit einer CoP wird somit sichergestellt. Im Sinne von Nonaka und Takeuchi wird so Wissen weiterentwickelt (Nonaka & Takeuchi, 2012). Der Mehrwert bildet sich unter anderem durch die Verbreitung des Wissens in den jeweiligen Abteilungen der CoP Mitglieder. Somit partizipieren alle Abteilungen von den Erkenntnissen, Lösungen und Ideen der Community. Ein weiterer Mehrwert ergibt sich durch die Erstellung von Dokumenten, Ablauf-Referenzmodellen, Standards und Instrumenten, welche der Organisation zur Verfügung gestellt werden. Diese Mehrwerte können für einzelne Aufgaben, Projekte oder Veränderungsprozesse herangezogen werden.
324 MARCO ORTENBURGER Die beiden vorgestellten Methoden für das Wissensmanagement ergeben für die Organisation entscheidende Vorteile. Durch die Entwicklung und den Aufbau eines Expertenverzeichnisses können Mitarbeiter effizient, benötigte Informationen durch die hinterlegten Wissensträger, abfragen. Unnötige Umwege, um die Bedarfe zu klären, entfallen. Prozesse können somit effektiver und effizienter gestaltet werden. Ebenso besteht auch die Möglichkeit, durch diese Expertenverzeichnisse Projekt-Teams mit Spezialisten und Experten aufzubauen. Hierdurch können Erfahrungen und Wissen direkt an der notwendigen Stelle eingebracht oder angefordert werden. Communities of Practice können sich hieraus ebenfalls entwickeln, da Mitarbeiter einer Organisation mit gleichen Interessen oder Aufgaben zusammenfinden. Durch die agile Struktur der CoP`s, bietet sich die Möglichkeit, Innovationen, Ideen und Lösungsansätze in Gemeinschaften, zu erarbeiten. Der Autor dieser Master-Thesis wählte diese beiden Methoden aufgrund der Agilität und der Machbarkeit im Sinne der schnellen Implementierung. Es bedarf im Auge des Autors keiner großen Aufwendungen, um sowohl das Expertenverzeichnis wie auch die CoP´s zu ermöglichen. Das Expertenverzeichnis kann in bestehenden HR-IT-Systemen eingearbeitet und somit einfach in den Arbeitsprozess aufgenommen werden. Die Möglichkeit, dass sich Communities of Practice bilden und entwickeln können, setzt ein Minimum an finanziellen Kosten, voraus. Es werden keine speziellen Organisatoren oder Führungskräfte benötigt, da diese Systeme selbstoperierend agieren. Somit wird die Basis für selbstorganisierendes Lernen geschaffen. Im Sinne der VUKA World kann somit agil, schnell und komplexen Situationen angepasst, reagiert und gearbeitet werden. Im weiteren Wirkungskreis kann das Wissensmanagement mit den gewählten Methoden für das Veränderungsmanagement herangezogen und genutzt werden. Durch das Expertenverzeichnis können Wissensträger schnell
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 325 identifiziert und direkt in die Veränderungen einbezogen werden. CoP´s können sich auf Grundlage von Veränderungsprozessen neu entwickeln oder zusammensetzen. Abbildung 12 zeigt auf, wie die einzelnen Methoden im Sinne der Organisation bei Veränderungsprozessen eingesetzt und genutzt werden können.
Abbildung 15 Methodenkombination (eigene Darstellung, 2021)
Die Organisation hat in diesem Fall zwei Kernaufgaben. Zum einen sollte die Unternehmenskultur im Sinne des Wissensmanagements und der Unternehmenskommunikation angepasst werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Führungskräfte im Hinblick auf die Expertenverzeichnisse die Mitarbeitergespräche regelmäßig durchführen und darauf achten, die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter zu thematisieren. Es müssen Freiräume geschaffen werden, die eine Entwicklung von CoP´s unterstützen. Zum anderen sind räumliche Möglichkeiten bereitzustellen oder zu schaffen, in denen die CoP´s zusammenkommen können. Dies bezieht sich sowohl auf virtuelle wie auch physische Räume, die dafür geeignet sind. Hierzu zählt auch die optimale Ausstattung mit Arbeitsmitteln.
326 MARCO ORTENBURGER
6. Schlussbetrachtung Zu Beginn dieser Master-Thesis wurde anhand der Wissenschaft und Praxis der Status quo ermittelt. Zum einen wurde die theoretische Herleitung der Begriffe Wissensmanagement und Change Management, realisiert. Zum anderen wurde durch eine qualitative Erhebung der Status quo ermittelt. Im Bereich der theoretischen Herleitung zeigte sich, dass eine Vielzahl von Studien und eine umfangreiche Literatur zu beiden Themengebieten, existiert. Durch die Ermittlung des Status quo konnte aufgezeigt werden, wie sich die Umsetzung bzw. der Einsatz von Wissensmanagement gestaltet. Die theoretische Herleitung bildet die Grundlage für das weitere Vorgehen. Hierzu wurden Experteninterviews geführt und anschließend mit qualitativen Erhebungsmethoden erarbeitet. Die Auswahl der Experten erfolgte anhand von Voraussetzungen, die jeder Experte, durch seine Tätigkeit, seine Erfahrungen und seine Ausbildung, erfüllte. Ebenso wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass Experten aus unterschiedlichen Branchen gewählt wurden. Somit ergibt sich ein umfassender Eindruck in Bezug auf die Umsetzung von Wissensmanagement in Organisationen. Die Ergebnisse der ausgewerteten Experteninterviews konnten aufzeigen, wie Wissensmanagement in den jeweiligen Organisationen umgesetzt wird und welche Hürden bestehen. Diese Erkenntnisse und die hinreichenden Anregungen und Ideen der Experten konnten für die Sammlung von geeigneten Methoden herangezogen werden. Hieraus entstand eine Methodenkombination, welche Organisationen ohne größere Aufwendungen realisieren können. Sie bietet allerdings auch noch weitere Forschungsmöglichkeiten. Weitere Forschungen könnten auf Basis der ermittelten und vorgeschlagenen Methodenkombination z.B. eine Studie über die Wirksamkeit der Methodenkombination über einen längeren Zeitraum sein. Eine weitere Studie
INDIVIDUELLES UND IMPLIZITES WISSEN EXTERNALISIEREN 327 könnte sich mit der Realisierbarkeit einer solchen Methodenkombination bei KMU´s auseinander setzen. Wissensmanagement, bzw. erfolgreich externalisiertes Wissen kann in einzelnen Phasen von Veränderungsprozessen, herangezogen und verwendet werden. Der situative Einsatz und Nutzen von Wissen und Erfahrungen, kann einzelne Phasen eines Veränderungsprozesses, effizienter und effektiver ablaufen lassen. Empfehlenswert ist jedoch, das Wissensmanagement in die Planung einer Veränderung mit einzubeziehen. Hier zeigen sich die Vorteile eines implementierten und organisierten Wissensmanagement. Erfahrungen und Experten-Knowhow kann direkt genutzt werden. Mitarbeiter sind eingebunden und können mit Engagement die Prozesse unterstützen. Literaturverzeichnis Eppler, M., & Burkhard, R. (07 2007). Visual representations in knowledge management: Framework and cases. Journal of Knowledge Management, S. 112-122. doi:10.1108/136732 70710762756 Gallup. (2021). Engagement Index 2020 Arbeitsumfeld & Führungskultur in Zeiten der Corona-Pandemie. Gallup. Abgerufen am 02. 05 2021 von file:///C:/Users/User/Down loads/Engagement-Index-Deutschland-2020.pdf Gerhardt, C. (2020). Zeitlose Elemente der Führung Psychologisch sicher führen im Wandel. Hamburg: Springer Fachmedien Wiesbaden. doi:10.1007/978-3-658-27876-2_3 Grillitsch, W., Müller-Stingl, A., & Neumann, R. (Januar 2007). Successful Sharing of Projekct Knwoledge: Initation, Implementation and Istrututionalisation. (T. E. (EJKM), Hrsg.) Güth, S., Decius, J., Horvat, D., Schper, N., & Virgillito, A. (2018). Strategisches Kompetenzmanagement von Produktionsbeschäftigten – Innovations- und Wachstumsimpulse in nicht forschungsintensiven kleinen und mittleren Unternehmen. In D. Ahrens, G. Molzberger, & D. Ahrens (Hrsg.), Kompetenzentwicklung in analogen und digitalisierten Arbeitswelten (S. 34 ff.). Bremen, Wuppertal: Springer Verlag. doi:10.1007/978-3-662-54956-8
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Autor:innen Becker, Kristin Dipl. Schauspielerin, Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, seit 20 Jahren als Schauspielerin, Improvisationstrainerin und Theaterpädagogin tätig, mehrjährige Erfahrung als Trainerin und Coach in Unternehmen, Forschung und Entwicklung von innovativen Coachingmethoden auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, verschiedene Lehraufträge zu folgenden Themen: Rede und Präsentation, Stimme-Sprache-Körper, wirkungsvolle Kommunikation. Biekowski, Anne Studium Business Coaching und Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, Studium Sozialpädagogik und Management (B.A.) an der internationalen Berufsakademie in Leipzig. Führungspositionen in nonprofit Unternehmen, zuletzt Einrichtungsleitung bei der Stadtverwaltung Leipzig. Langjährige Erfahrungen im Bereich Sterbe- und Trauerbegleitung. Seit 2020 Resilienztrainerin. Gageik, Andrea Chief People Officer der schwedischen Fagerhult Group mit 14 globalen Markenunternehmen im Industriesektor der professionellen Beleuchtung. Hier gestaltet sie den Wandel vom Produkt- zum Lösungsanbieter, bei dem Nachhaltigkeitsziele sowie Smart Building Anwendungen innovationstreibend sind. Die Weiterentwicklung der dezentral gesteuerten Gruppe legt besonderes Augenmerk auf Kulturaspekte, Führungs-leitlinien, Diversity & Inclusion, Zusammenarbeit und eine Lernorientierung als stetige Selbsterneuerung. Sie hat nunmehr 25 Jahre HR-Erfahrung in verschiedenen Industrien (FMCG, Banking Services, Chemie) in Europäischen und Globalen Führungsrollen, die 331
332 COACHING UND CHANGE IM BLICKPUNKT operatives HR, Leadership Development, Total Rewards, Mergers & Acquisitons sowie Health & Safety umfassen. Studium Business Coaching und Change Management. Horoba, Barbara absolvierte ihr Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) nebenberuflich an der Europäischen Fernhochschule in Hamburg. Ausbildung zur Bankkauffrau und 20 Jahre Konzernerfahrung u. a. im zentralen HR-Bereich. Seit 2005 selbstständig als Business Coach und Beraterin. Sie begleitet branchenübergreifend Unternehmen zu den Themen Nachfolge, Führung, Teamentwicklung sowie Konfliktklärung. Luhn, André Dr. Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, Studium Wirtschatsingenieurwesen (Dipl.-Wirt.-Ing. (FH)) an der Fachhochschule Erfurt, sowie Promotion Ökonomie und Unternehmensführung (PhD.) an der Paneuropäischen Universität Bratislava. Führungsfunktionen in internationalen Konzernen, sowie mittelständischen Unternehmen, zuletzt Senior Vice President. Seit 2023 CEO der Morat Swoboda Motion GmbH. Mehrjährige Erfahrungen als Coach. Meyer, Jessica Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg. U.a. Supervisorin (EASC), Coach (EASC), Projektmanagerin (IHK), NLP-Master und Mediatorin (univers.). Langjährige Führungs- und Projekterfahrung im Gesundheitswesen (u.a. Leitung interprofessioneller Therapiezentren im stationären und ambulanten Bereich). Derzeit als Coach und Organisationsentwicklerin in einem Unternehmen der Sozialwirtschaft mit ca. 1500 Mitarbeiter*innen sowie freiberuflich tätig. Tätigkeitsschwerpunkte: Beratung und Coaching
AUTOR:INNEN 333 von Führungskräften, Supervision, Teamentwicklung und Organisationsdiagnostik. Ortenburger, Marco Studium Business Coaching und Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, Ausbildung zum Versicherungskaufmann in Mannheim. Langjährige Führungs- und Spezialisten-Positionen in der Assekuranz. Langjähriger Betriebsratsvorsitzender am Standort Mannheim. Seit 2023 zertifizierter Coach des EASC. Mehrjährige Erfahrung als Business Coach mit dem Schwerpunkt Vertrieb und Führung. Strikker, Frank Prof. Dr. seit 2015 Studiengangsleiter Euro-FH Hamburg Masterstudiengang Business Coaching und Change Management, seit 2023 Leitung des Mastereinstiegsprogramm, seit 2002 geschäftsführender Gesellschafter SHS CONSULT GmbH Bielefeld, arbeitet engagiert an den Schnittstellen von Wissenschaft und Wirtschaft und verbindet seit vielen Jahren die Erkenntnisse von Theorien mit den praktischen Erfahrungen als Berater, Trainer und Coach. Von 2002 bis 2009 hatte er eine Vertretungsprofessur an der Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft und von 2010 bis 2012 leitete er den MBA an der Fachhochschule der Wirtschaft Paderborn. Strikker, Heidrun Langjährige Praxiserfahrung im Vorstandsstab Personal und in der Führung als Leiterin der Personalentwicklung eines Medienkonzern. Anliegen als Coach und kreative Beraterin ist die komplementäre Verbindung von Organisationsentwicklung und Professionalisierung in Beratung und Coaching u.a. durch neue Qualifizierungen für Profis. Seit 2010 didaktische Leiterin der Coaching-Präsenzausbildung im Masterstudium „Business Coaching und Change Management“ an der Euro-FH, seit 2002 geschäftsführende
334 COACHING UND CHANGE IM BLICKPUNKT Gesellschafterin von SHS CONSULT GmbH in Bielefeld, Impulsgeberin für Motivation zum Handeln, Verbindung der Generationen und Komplementarität. Todorovic, Dusan Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, Studium Volkswirtschaftslehre (Mag.rer.soc.oec.) an der Wirtschaftsuniversität Wien. Führungsfunktionen im Sozialbereich und in der Marktkommunikation. Seit 2019 Leitung von Innovationsnetzwerken in der Austria Wirtschaftsservice GmbH. Tätigkeit als Moderator und Speaker. van Almsick, Sabine Studium Business Coaching & Change Management (M.A.) an der Europäischen Fernhochschule Hamburg. Gründerin des Softwarehauses Medial – Gesellschaft für digitale Medien mbH, zuletzt Business Development, Strategieberatung und Prokuristin bei I-D Media AG.
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