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SICHERHEIT 2020

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LITERATURTIPPS

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SICHERHEIT 2020

Oder: wo soll das eigentlich alles enden?

Von Sabine Funk

Die meisten werden die Frage schon einmal gehört haben: wo sehen Sie sich in 1 – 2 – 3 … 20 Jahren? Alternativ erinnern sich die etwas „Älteren“ unter uns noch an die lustige Vorstellung, wo man denn eigentlich im super fernen Jahr 2000 sein würde … Das Jahr 2000 ist ja bekanntermaßen eher unspektakulär vorbeigezogen und die ein oder andere Vorstellung hat sich vielleicht sogar erfüllt – die allermeisten jedoch wohl eher nicht. Ähnlich ging es wohl denjenigen, die – angetrieben von der rasanten Entwicklung, die durch die Ereignisse der Loveparade 2010 losgetreten wurden – glaubten, in 2020 gäbe es „auf jeden Fall“ ein wie auch immer geartetes Veranstaltungssicherheitsgesetz, eine geeignete Ausbildung, weniger Probleme, Softwarelösungen, die Sicherheitskonzepte schreiben usw. usw.. Wie auch schon die Vorstellungen zum Jahr 2000, so sind auch viele der Visionen zum Status der Veranstaltungssicherheit 2020 geplatzt: während sich die technologische Entwicklung nicht mehr stoppen lässt, sind andere Entwicklungen wieder rückläufig, ins Stocken geraten oder auch im Ansatz stecken geblieben.

Software & Technologie oder: nichts ist unmöglich

Diesem Thema müsste man eigentlich ein komplettes Heft widmen – so viel ist bereits entwickelt worden oder wird gerade entwickelt. Von der Gesichtserkennung [1] über Einsatzmöglichkeiten von Drohnen [2] bis hin zu immer „besser“ werdenden Simulationen [3] : die Entwicklungen sind schnell

– ob sie alle auch gut und sinnvoll sind, steht hier nicht zur Diskussion. Fallstricke gäbe es einige: beginnend mit dem Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten bis hin zu einer gewissen Leichtgläubigkeit in Bezug auf angebotene Lösungen.

Gleichzeitig gibt es beeindruckende Anwendungen, die schon jetzt zu relevanten Verbesserungen im Veranstaltungskontext geführt haben [4] – insbesondere im Bereich der Personenstromanalysen ergeben sich nutzbringende Einsatzmöglichkeiten z.B. im Erkennen von Dichten oder dem Monitoring von Personal und / oder Besuchern. „Crowd sensing“, „heatmaps“ oder „digitales Crowd Management“ sind Stichworte, die diese Lösungen beschreiben.

Sicherheit 2020 steht in diesem Themenfeld weiterhin für eine kontinuierliche Entwicklung – hoffentlich jedoch auch für eine wachsende Verantwortlichkeit im Umgang mit den Lösungen. „Wir haben eine Simulation gemacht“ ist keine Lösung, wenn man gar nicht weiß, welche Fragen man mit der Simulation eigentlich beantworten möchte – genauso wie „dafür (für das Sicherheitskonzept / die Risikoanalyse) haben wir eine Software“ eine problematische Antwort ist, wenn am Ende der Software nicht noch ein Mensch sitzt, der die Ergebnisse bewertet.

Interorganisationale Zusammenarbeit

Die Notwendigkeit für die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen ist eine der „großen“ Erkenntnisse, die sich sehr unmittelbar aus den Ereignissen der

Loveparade 2010 ergeben haben. Die Arbeit von Koordinierungsgruppen gehört inzwischen zum regelmäßigen Standard bei Veranstaltungen einer bestimmten Größenordnung oder Komplexität und dies wird sicher – und hoffentlich auch so bleiben. Aber – und das gehört genauso zu der Entwicklung – der Elan ist häufig wieder auf ein Mindestmaß zusammengeschrumpft – ähnlich wie die Motivation der Beteiligten, sich auf die Zusammenarbeit einzulassen und eine dafür notwendige Kompromissbereitschaft. Konnte man in den Jahren 2011 /-12 /-13 enorme Veränderungen und auch den Willen hierzu erkennen, so scheint es, als wäre in den nachfolgenden Jahren vielen Beteiligten klar geworden, dass diese Zusammenarbeit auch bedeutet, entweder mal einen Schritt zurück oder auch mal einen über die originäre Grenze hinaus zu gehen. Gleichermaßen haben sich selbstauferlegte Verantwortlichkeiten herausgebildet, die weniger mit Kernkompetenzen als mit Profilierungswillen zu tun hatten und die den notwendigen Prozess der respektvollen Zusammenarbeit auf Augenhöhe auf andere Art torpedierten. [5] Auch die Organisation der Zusammenarbeit offenbarte Lücken: da, wo Wille zumindest nicht durch Routine ersetzt werden konnte, offenbarte sich die Herausforderung dieses anspruchsvollen Konstruktes.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Sicherheit 2020 auch für das (Wieder)Erstarken der Koordinierungsgruppe steht, deren Etablierung für die Veranstaltungssicherheit so wichtig ist wie kaum eine andere organisationale Entwicklung.

Münsterplatz Ulm

Qualifizierung & Standardisierung

Auch hier war die Loveparade eine einschneidende Zäsur – gefragt danach, was sich danach ändern sollte, war eine sehr einhellige Meinung, dass es „in Zukunft“ sowohl mehr Standards als auch bessere Qualifizierungen geben müsse – was sich weder in der einen noch der anderen Sache realisiert hat. Für einige Bereiche kristallisieren sich best practice Lösungen heraus [6] – dass etwa Einlässe über eine druckmindernde Zuführung verfügen sollten oder dass auch Ordnungskräfte, die bei Veranstaltungen arbeiten, zumindest eine Grundqualifizierung brauchen. Aber schon allein die gescheiterten Versuche, die unterschiedlichen Ansätze miteinander zu verbinden oder die alles überdeckende Frage, „was das denn alles kostet“ genauso wie die mühsame Weiterentwicklung und Aktualisierung von Themen zeigt, wie groß die Anstrengungen sein müssen, um hier noch zeitnahe Fortschritte machen zu können – vielleicht braucht es aber auch den Aufschub auf die Agenda 2025.

Rechtliches

Zumindest in diesem Bereich sieht 2020 hoffentlich einen deutlichen Fortschritt: die Implementierung eines eigenständigen Sicherheitsdienstleistungsgesetzes, das die Branche der Sicherheits- & Ordnungsdienste endlich aus dem Schatten des Gewerberechtes herausholt und ihr die Bedeutung zuspricht, die sie in der Realität hat. Und wenn es besonders gut läuft, dann klärt das Sicherheitsdienstleistungsgesetz auch ein für alle mal die faktische Abgrenzung zwischen Sicherheits- und Ordnungsaufgaben – was ein wirklicher Fortschritt für die Veranstaltungssicherheit 2020 wäre.

Dies sind nur einige der Themen, die uns auch 2020 – und vermutlich auch 2025 beschäftigen werden – dazu kommen noch eine ganze Reihe inhaltlicher Fragen, z.B. wie sich das Thema der Bedrohungslagen und unseren Umgang damit entwickelt: werden wir akzeptieren, dass sich die Zeiten geändert haben und dass es einfach Teil unseres täglichen Lebens ist, vorbereitet zu sein?

Oder werden wir immer noch hysterisch aufschreien, wenn das Thema Vorsorge zur Sprache kommt? [7] Werden wir die Professionalisierung der Sicherheitsbranche – zumindest sofern es den Veranstaltungsbereich betrifft – sehen? Oder wird unter

dem Druck der Auftraggeber und / oder der Branche selbst alles beim Alten bleiben? Werden wir den Handlungs- & Änderungsdruck, den die Ereignisse der Loveparade hervorgebracht hat, auch ohne weiteren Anlass zumindest teilweise aufrechterhalten oder ist es vielleicht sogar gut, dass wir ohne Druck agieren und uns verändern können? Können wir uns ohne Druck verändern? Unabhängig davon, wie diese Fragen beantwortet werden: Visionen allein helfen nicht. Sich vorzustellen, wie schön alles sein könnte oder was alles nötig wäre und gemacht werden müsste, reicht nicht. Es braucht Strategien, die Visionen zu erreichen (aber Achtung „warten, dass sich die anderen kümmern“ ist keine gute Strategie). Grundpfeiler für diese Strategien sind neben dem richtigen Umgang mit den technologischen Möglichkeiten vor allem Zusammenarbeit und Qualifizierung. Nur, wenn wir (mindestens) diese drei Faktoren berücksichtigen, werden wir die Vision einer tatsächlichen und umfassenden Veranstaltungssicherheit vielleicht dann 2025 erreichen. Für 2020 ist es dafür leider schon zu spät.

[1] www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Biometrie/Gesichtserkennung_ pdf.pdf__blob=publicationFile&v=1

[2] www.tuv.com/landingpage/de/c2f/main-navigation/smart-factory/drones.html

[3] www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0375960118310892

[4] www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/mehr-sicherheit-dank-app-crowd-management-am-zueri-faescht

[5] www.spiegel.de/kultur/musik/fusion-festival-kann-nun-stattfinden-mit-polizei-a-1269980.html

[6] www.basigo.de/basigo-guide.html

[7] www.bbk.bund.de/DE/Home/home_node.html Alle Links zuletzt abgerufen am 24.09.2019.

ENDE DES ARTIKELS

DER PREIS DER SICHERHEIT

Biometrische Gesichtserkennung:

Wenn informationelle Selbstbestimmung und Sicherheit theoretisch gegeneinander ausgespielt werden, die Realität uns aber schon längst überholt hat.

Von Sabine Funk

Die Sicherheitsbehörden nutzen sie, die chinesische Regierung, Facebook oder Taylor Swift: die biometrische Gesichtserkennung. Facebook hat die Funktion gerade erst seit einer 8-jährigen Sperre wieder eingeführt [1] , die deutsche Polizei nutzt sie bereits seit 2008 [2] und hat gerade erst ein durchaus umstrittenes [3] Forschungsprojekt abgeschlossen, in dem die biometrische Gesichtserkennung als Unterstützungsinstrument polizeilicher Fahndung am Bahnhof Berlin Südkreuz getestet wurde [4] . Hierzu sollten Personen mit Hilfe von intelligenter Videoanalysetechnik in Menschenmengen automatisiert detektiert und identifiziert werden.

Die Diskussionen um das Projekt offenbaren dabei die – nicht überraschenden – Sichtweisen – beginnend mit der höchst unterschiedlichen Bewertung des Projekterfolges – was nicht verwunderlich ist, da jede Seite schließlich Argumente braucht– die einen dafür, die anderen dagegen. Während also der Abschlussbericht die sehr guten Projektergebnisse und die Relevanz in Bezug auf die zu erreichenden Verbesserungen hervorhebt, erhebt der Chaos Computer Club nicht nur Kritik, sondern legt auch noch den Finger in die offensichtliche Wunde. „Damit wurden nicht nur absichtlich und unzulässig die Erkennungsraten manipuliert, vielmehr sind mit einem solchen Testvorgehen Rückschlüsse auf reale Szenarien in einem Bahnhof gar nicht mehr möglich. Schließlich hat es nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, wenn die biometrischen Systeme Vergleiche von vorher als gut klassifizierten Gesichtsbildern vornehmen, die am gleichen Ort entstanden sind. So müssten in der Realität Fotos der Verdächtigen an allen Bahnhöfen mit allen dort verbauten Kameras angefertigt werden – eine vollkommen unsinnige und erneut die Ergebnisse verfälschende Testannahme. Wenn solche Versuchsmethoden als Begründung für eine künftige Gesetzgebung zum flächendeckenden Einsatz herhalten sollten, sind sie nicht aussagekräftig für eine reale Verwendung.“ [5]

In der Kurzform sind die Argumente simpel und jeweils in sich durchaus nachvollziehbar:

PRO

Intelligente Gesichtserkennung – im allerbesten (noch nicht erreichten) Fall auch im Rahmen der (bewegten) Videoüberwachung hilft, z.B. Straftäter zu erkennen und stellt so einen unmittelbaren Gewinn für die Erhöhung der Sicherheit dar.

Umstritten – der Einsatz von Drohnen

CONTRA

Das System läuft auf eine anlasslose Personenüberwachung hinaus, da „Menschen nicht wie mit anderen Videosystemen einfach nur beobachtet, sondern während der Überwachung durch ihre Körpermerkmale identifiziert“ [6] werden.

Judith Horchert vom Spiegel stellt dementsprechend auch fest, dass der Test am Südbahnhof auch ein Test für die persönliche Freiheit sei. [7] Rechtlich gesehen, ist ohnehin zweifelhaft, ob alles, was technisch möglich ist, auch umsetzbar ist, betrachtet man die bereits existierenden Vorgaben zur Videoüberwachung oder den Stopp des sogenannten Streckenradars (Section Control), für den es erst eine Änderung des Polizeigesetzes brauchte, um den Betrieb der Pilotanlage doch zu ermöglichen. [8]

So weit, so gut und / oder gruselig – je nach Sichtweise und Einstellung zum Thema. Aber was ist mit den ganzen Anwendungsbeispielen, die schon lange Teil unseres Lebens sind?

Taylor Swift hatte die Technologie zuletzt während ihrer Reputation-Tour eingesetzt, um Stalker zu erkennen. [9] Allerdings kam heraus, dass das beauftragte Unternehmen seine Technologie zu weitaus mehr nutzte, als nur die Sicherheit zu erhöhen. Die Firma verwendete seine Smart-Screens auch, um Kennzahlen für Werbung und Marketing zu erfassen. Die Kameras waren hinter Kiosken installiert, die als „Selfie-Stationen“ gekennzeichnet waren, und scannten so die Gesichter, die mit den Bildschirmen interagierten. Informationen, was mit den Datensätzen passiert, wurden nicht veröffentlicht. Damit erfüllen sich – wenn auch auf andere Art und Weise – alle Befürchtungen, die im Hinblick auf die ungeregelte Verwendung der Technologie schon seit langem geäußert wurden. Obwohl – wer fürchtet das eigentlich? Nicht wenige Menschen haben ihr Leben und Handeln ohnehin bereits komplett offengelegt: durch Bonuskarten, entsprechende Apps oder o.g. Facebook Funktionen.

Macht da eine zusätzliche Gesichtserkennung und Zuordnung überhaupt noch einen Unterschied? Oder hat es nicht in Wirklichkeit doch Vorteile? Schließlich rufen doch alle nach mehr Sicherheit im öffentlichen Raum, insbesondere, wenn es wieder eine (die Öffentlichkeit empörende) Straftat gegeben hat. „Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass“ fasst die häufig vertretene Haltung wohl zielführend zusammen – aber letztendlich gilt wohl eher „wer das eine will, muss das andere mögen“. Ein Mehr an Sicherheit durch schnelleres Erkennen eines Täters – oder in der weitergedachten Version – von verdächtigem Handeln bedeutet nahezu automatisch die präventive – sprich anlasslose – Überwachung. Eine Überwachung, die wir ohne Rückfragen hinnehmen, um unsere Lieblingskünstlerin zu sehen. „Ist ja für die Sicherheit“.

ENDE DES ARTIKELS

[1] www.verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/datenschutz/ gesichtserkennung-bei-facebook-das-sollten-nutzer-wissen-23818

[2] www.netzpolitik.org/2018/ gesichtserkennung-bei-der-bundespolizei-jede-achte-abfrage-ein-treffer/

[3] www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/berlin-suedkreuz-thomas-de-maiziere-praesentiert-gesichtserkennung-a-1164313.html

[4] www.bundespolizei.de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/2018/10/181011_ abschlussbericht_gesichtserkennung_down.pdf?__blob=publicationFile

[5] www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz

[6] www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz [

7] www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/gesichtserkennung-am-berliner-suedkreuz-ein-test-fuer-unsere-freiheit-a-1160867.html

[8] www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/ Hannover-Streckenradar-Section-Control-ist-wieder-erlaubt

[9] www.theguardian.com/technology/2019/feb/15/ how-taylor-swift-showed-us-the-scary-future-of-facial-recognition

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