DAS KUBIA-MAGAZIN / 12
KULTURELLE NAHVERSORGUNG
AUF DEM LAND UND IM QUARTIER
DAS KUBIA-MAGAZIN / 12 INHALT
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ENTRÉE
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FOYER Anreiz und Starthilfe Fünf Jahre Förderfonds Kultur & Alter Annette Ziegert
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Neues von kubia
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SALON Doing Age while Doing Space Kulturelle Bildungsarbeit für Ältere im Sozialraum Mirko Sporket
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Partizipatives Lernen im Quartier Ältere als Ko-Produzentinnen und -Produzenten der Quartiersentwicklung Janina Stiel und Harald Rüßler
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Showtime im Siegerland Kultur-Momente für Menschen mit Demenz im Kreis Siegen-Wittgenstein Charlotte Boes
Wohnen für Anfängerinnen Völlig verspielt in den Alltag eines Wohnprojekts Imke Nagel
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Vor der Haustür des Museums Die Artgenossen des Lehmbruck Museums begegnen der »Szene« im Duisburger Kantpark Annette Ziegert
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ATELIER Netzwerke // Fortbildungen // Veranstaltungen // Neuerscheinungen
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GALERIE Integration und Dorfentwicklung am Niederrhein Ein Porträt der Kulturgeragogin Nicole Brögmann Kim de Groote
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Glückliche Hühner Ein Gespräch mit Alice Thwaite von Equal Arts aus Nordengland
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LOUNGE Webtipp: Tavolata, die selbstorganisierte Tischgemeinschaft Urlaubstipp: Camp 66
kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion: www.ibk-kubia.de
E N T R É E // 01
ENTRÉE Liebe Leserinnen und Leser, warum in die Ferne schweifen? In diesem Heft beschäftigen wir uns mit der kulturellen Nahversorgung und dem Guten vor der Haustür, denn besonders ältere Menschen haben einen ausgeprägten Wohnortbezug, gerade wenn die Mobilität nachlässt. In der kulturgeragogischen Arbeit sind daher dezentrale, quartiersbezogene und aufsuchende Angebote von großer Bedeutung. Solche Angebote nutzen soziale Bezüge und stärken diese gleichermaßen, so Mirko Sporket, Prodekan des Fachbereichs Sozialwesen der Fachhochschule Münster. In seinem Artikel plädiert er dafür, das Konzept der Sozialraumorientierung aus der Sozialen Arbeit auf die Kulturelle Bildung im Alter zu erweitern. Harald Rüßler von der Fachhochschule Dortmund und Janina Stiel vom Forschungsinstitut Geragogik berichten aus der Erfahrung zweier Forschungsprojekte, wie ältere Menschen zu »Ko-Produzentinnen und -Produzenten der Quartiersentwicklung« werden und daraus neue lebenspraktische Lernformate für ein Mehr an Lebensqualität im Wohnquartier entstehen können. Im ländlichen Siegerland liegt Kultur nicht überall vor der Haustür. Wie mit Engagement und viel Einfallsreichtum eine Vielfalt an kulturellen Teilhabeangeboten für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entstehen können, schildert Charlotte Boes vom Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen. Die »Wohnschule Köln« nimmt alternative Lebens- und Wohnformen im Alter in den Fokus und forscht auch auf der Theaterbühne nach Antworten. Die engagierten Artgenossen am Duisburger Lehmbruck Museum dagegen suchen den Kontakt zur »Szene« im benachbarten Kantpark – zu Menschen, die oftmals kein Obdach haben – und laden sie ein ins Museum. In der Galerie begegnen Sie Nicole Brögmann, die als festangestellte Kulturgeragogin in mehreren Alteneinrichtungen am Niederrhein tätig ist. Und aus dem Nordosten Englands lernen wir, warum Hühner im Pflegeheim wahre Glücksbringer sein können. Vor-Paradies oder Vor-Hölle? Wir danken dem Fotografen Peter Granser für seine Einblicke in das Leben in Sun City, Arizona – einem Wohnort nur für Alte, 24 Stunden Freizeitvergnügen inbegriffen. Wie immer sollen unsere Kulturräume Ihnen Inspiration und Anregung für die eigene kulturgeragogische Arbeit geben. Nicht ganz unwichtig sind dabei auch die Finanzen. Im Foyer geht es daher um die Erfolgsgeschichte des Förderfonds Kultur & Alter des Landes NordrheinWestfalen, der seit 2012 rund 90 innovative und modellhafte kulturgeragogische Vorhaben ermöglicht hat. In dem Artikel von Annette Ziegert erfahren Sie alles Nötige zur Bewerbung, damit Sie Ihr Traumprojekt in die Tat umsetzen können. Antragsschluss ist der 5. Oktober! Verlieren Sie das Naheliegende nicht aus dem Blick, wünscht Ihre Redaktion
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FOYER
ANREIZ UND STARTHILFE FÜNF JAHRE FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER Von Annette Ziegert
Es gibt einen Grund zu feiern: Seit 2012 unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen mit dem Förderfonds Kultur & Alter jährlich Projekte, die die künstlerisch-kulturelle Aktivität und die Kulturelle Bildung Älterer fördern. Und das mit Erfolg. Rund 90 Projekte sind seitdem entstanden, und damit ein großer Schatz an Ausdrucksformen und Formaten, die es Älteren ermöglichen, sich durch Kunst, Kultur und Kulturelle Bildung zu entfalten, Neues zu lernen und mit anderen in Kontakt zu sein. Für viele Ältere gehören Kunst und Kultur immer schon selbstverständlich zu ihrem Leben, für andere sind sie eine willkommene Neuentdeckung und Möglichkeit der Lebensgestaltung im Alter. Mit der wachsenden Zahl alter Menschen steigen auch im Kunst- und Kulturbereich die Bedarfe an attraktiven zielgruppenorientierten Bildungs- und Teilhabeangeboten. Mit einer Veränderung des Erlebens von Alter(n) und dem Bedürfnis nach zeitgemäßen Formen der Gestaltung dieser Lebensphase ergibt sich zudem die Notwendigkeit der Entwicklung und Erprobung neuer Angebote und Formate – und ein erweiterter Markt für Kulturschaffende. IMPULSE GEBEN
Das Land Nordrhein-Westfalen weiß um das Potenzial der aktiven Beteiligung Älterer am Kunstund Kulturleben, sowohl für die Teilnehmenden als auch die Kulturschaffenden. Mit dem Förderfonds Kultur & Alter gibt das Kulturministerium finanziellen Anreiz und Starthilfe, künstlerischkulturelle Aktivitäten um den Bereich der Kulturarbeit mit Älteren zu erweitern bzw. bestehende Aktivitäten neu zu akzentuieren. Im Modus der non-direktiven Förderung werden Projektvorhaben der freien wie öffentlich
geförderten Kunst- und Kulturszene unterstützt. Im Fokus stehen die Teilnahme Älterer am gesellschaftlich-kulturellen Leben, deren Engagement in der Kultur und verbesserte Zugangsmöglichkeiten zu Kunst und Kultur. Seit 2012 stehen dafür jährlich zwischen 100.000 und 138.000 Euro zur Verfügung. Antragstellende können nordrheinwestfälische Kulturschaffende, kommunale und freie Kulturinstitutionen sowie Einrichtungen der Sozialen Altenarbeit sein, die in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, Künstlern oder einer Kultureinrichtung ein zeitlich befristetes Projekt mit älteren Menschen in Nordrhein-Westfalen umsetzen. kubia koordiniert das Antragsverfahren und berät Antragstellende bei der Konzeption von Vorhaben. DER BLICK ZURÜCK
Um die Wirksamkeit des Förderfonds Kultur & Alter zu überprüfen, hat kubia Anfang 2017 insgesamt 58 Projekte der Förderjahre 2012 bis 2015 intern evaluiert. Gegenstand der Evaluation sind die von den Antragstellenden eingereichten Projektdatenblätter sowie die Kurzdokumentationen der in diesem Zeitraum geförderten Projekte. Zusätzlich wurde eine Online-Befragung durchgeführt,
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Förderfonds-Projekt 2016: Die Artgenossen bitten die »Szene im Kantpark« ins Lehmbruck Museum.
die sich an die Künstlerischen Leiterinnen und Leiter der Projekte richtete. Zweck der Evaluation ist es, einen Überblick über die Projektvielfalt dieser Förderjahre zu erhalten, die Wirksamkeit des Förderinstruments zu überprüfen, Desiderate zu benennen und einen Katalog modellhafter Praxis als Grundlage für den Wissenstransfer innerhalb der nordrhein-westfälischen Kulturlandschaft zu erstellen. Folgende Schlüsselfragen bildeten den Ausgangspunkt für die Evaluation: 1) Werden die Ziele des Förderfonds Kultur & Alter erreicht? 2) Welche übertragbaren Formate sind im Rahmen der geförderten Projekte zwischen 2012 und 2015 entstanden? 3) Konnten die geförderten Projekte nach Ablauf der Landesförderung fortgeführt oder weiterentwickelt werden?
Eine Auswahl der Evaluationsergebnisse wird im Folgenden vorgestellt. TEILNEHMERVIELFALT UND REICHWEITE
In den Förderjahren 2012 bis 2015 nahmen rund 2.000 Frauen und Männer aktiv in allen Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens, vorwiegend in Mittel- und Großstädten, an den geförderten Kunst- und Kulturprojekten teil. Zu den Projektteilnehmenden gehörten Frauen und Männer aller Alterskohorten mit und ohne Einschränkungen körperlicher und/oder kognitiver Art sowie mit und ohne Migrationshintergrund. Bei Ausstellungen, Tanz-, Theater- und Filmvorführungen, Lesungen und Buchpräsentationen konnten darüber hinaus mehr als 33.000 Personen Kulturarbeit von und
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mit Älteren erleben und hatten die Möglichkeit, ihr Bild vom Alter(n) zu reflektieren. VIELFALT DER SPARTEN UND FORMATE
Die Betätigungsfelder und Handlungsmöglichkeiten für Ältere im Kunst- und Kulturbereich sind vielfältig. Allein in den Förderjahren 2012 bis 2015 sind über 20 unterschiedliche Projektformate entstanden. Dabei handelt es sich einerseits um Tanz-, Theater-, Hörspiel-, Musik- und Videoproduktionen, die auf die Entwicklung eines eigenständigen ästhetisch-künstlerischen bzw. kulturellen Produkts von und mit Älteren unter professioneller künstlerischer Leitung abzielen. Andererseits sind auch Projekte vertreten, bei denen Ältere gemeinsam mit professionellen Künstlerinnen bzw. Künstlern als Ko-Kuratorinnen und/oder -Produzenten auftreten, wie zum Beispiel in filmischen Auswahlprogrammen, bei Kulturabenden oder in der Konzeption eines Stadtteilprogramms. Bei wiederum anderen Formaten stehen die Vermittlung und Neuakzentuierung von bestehenden künstlerischen Produktionen an Kultureinrichtungen unter
Berücksichtigung zielgruppenspezifischer Bedürfnisse im Vordergrund, wie etwa die Konzertvermittlung für Menschen mit Demenz oder Zugänge zu Musiktheater für Menschen mit (altersbedingten) Seheinschränkungen. ÖFFNUNG DER KULTURSZENE
Die Auswertung hat gezeigt, dass fast drei Viertel der geförderten Antragstellenden aus dem Kulturbereich kommen, davon der größte Teil aus der freien Szene, ein kleiner Prozentsatz sind öffentliche Kunst- und Kulturinstitutionen. Der größte Teil der Künstlerischen Projektleiterinnen und -leiter bzw. -durchführenden hat eine künstlerische, kulturpädagogische oder kunstwissenschaftliche Ausbildung, darunter verfügen einige über kultur- oder musikgeragogische Zusatzqualifikationen. Etwa ein Drittel der Projektleitungen hat mehr als einmal ein Förderfondsprojekt im Auftrag eines oder verschiedener Antragstellenden geleitet. Für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffende bietet die Kulturarbeit mit Älteren nach eigenen Angaben neue Marktchancen.
ZIELE DES FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER
Das Land Nordrhein-Westfalen möchte mit dem Förderfonds Kultur & Alter: // Älteren unterschiedlicher Alterskohorten und kultureller Herkunft sowie mit und ohne (altersbedingte/n) Einschränkungen die Möglichkeit zu Erhalt und Erwerb künstlerischer und kultureller Ausdrucksformen und Kultureller Bildung geben; // multiplikatorische Effekte zur Veränderung und Erweiterung des gesellschaftlichen Blicks auf die kreativ-künstlerischen Potenziale von Älteren erzielen; // die Angebotsvielfalt von Ausdrucksformen und Formaten der Kulturarbeit mit Älteren in allen Kultursparten erhalten und erweitern; // die Kulturarbeit mit Älteren in allen Regierungsbezirken sowie im urbanen und
im ländlichen Raum fördern;
// die Kulturarbeit mit Älteren professionalisieren; // die Kulturszene für die Kulturarbeit mit Älteren sensibilisieren und öffnen; // die Kulturarbeit mit Älteren nachhaltig und strukturell befördern; // übertragbare Formate für die Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens schaffen.
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»Kaspar Hauser und Die Sprachlosen aus Devil Country« vom Dortmunder Sprechchor wurde 2015 gefördert.
NACHHALTIGKEIT
Für mehr als 40 Prozent der Antragstellenden bedeutete die Bewerbung beim Förderfonds Kultur & Alter den Start in die Kulturarbeit mit Älteren. Mehr als die Hälfte der Projekte wurde nach Ende des Förderzeitraums fortgesetzt, in über zwei Dritteln der Projekte wurden die Kooperation mit einem oder mehreren der Kooperationspartner fortgesetzt oder ein neues Projekt entwickelt. Ebenfalls mehr als zwei Drittel der beteiligten Künstlerischen Leitungen bzw. Projektdurchführenden haben nach Projektende die Kulturarbeit mit Älteren fortgesetzt. WISSENSTRANSFER
Um potenziellen Antragstellenden und allen Interessierten einen Einblick in die Förderfondsprojekte und ihre Konzeptionen zu ermöglichen, hat kubia alle Projekte, die seit 2012 gefördert wurden, in Text und Bild dokumentiert. Sie dienen dem Wissenstransfer erfolgreicher Projektkonzepte in neue Kontexte und bieten die Möglichkeit, Kontakt zu den Projektverantwortlichen aufzunehmen und auf erfahrene Kulturschaffende aus
dem Bereich Kultur und Alter aufmerksam zu werden. Eine Auswahl der Projekte, die jeweils im Vorjahr durch den Förderfonds Kultur & Alter unterstützt wurden, wird einmal pro Jahr beim Aktionstag »Lang lebe die Kunst!« präsentiert, den kubia an wechselnden Orten in Nordrhein-Westfalen veranstaltet. In einer Werkschau werden Ausschnitte aus Tanz-, Theater-, Film-, Literatur- und Musikproduktionen der geförderten Projekte gezeigt. Darüber hinaus geben Projektpräsentationen und Workshops Impulse für die kreative Arbeit mit älteren Menschen. Das Programm bietet Fachkräften aus dem Bereich Kultur und Alter und allen Interessierten die Möglichkeit, sich zu informieren und miteinander ins Gespräch zu kommen. Seit Mai 2017 gibt es als zusätzliches Format das Konzeptlabor Förderfonds Kultur & Alter mit verschiedenen Schwerpunkten, wie beispielsweise »Museumsarbeit mit Älteren im ländlichen Raum«, »Digitale Zugänge zu Kunst und Kultur für Ältere mit (altersbedingten) Einschränkungen« oder »Kulturteilhabe von Männern«. In den jeweils dreistündigen Veranstaltungen, die an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen stattfinden, werden ausführliche Informationen zur Antragstellung
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beim Förderfonds Kultur & Alter gegeben und mit den Teilnehmenden antragstaugliche Konzeptideen entwickelt. ERFOLGE UND WÜNSCHE
Es wurde bereits viel erreicht: Die Auswertung der Projekte 2012 bis 2015 hat gezeigt, dass die Ziele des Förderfonds in vollem Umfang erfüllt wurden. Aber es gibt auch Desiderate, die unter anderem zu einer Erweiterung und Neuakzentuierung der Förderkriterien geführt haben. Nach wie vor sind künstlerische Produktionen im Rahmen bereits etablierter Formen der Kulturarbeit und erprobte Konzepte an neuen Standorten Teil des Förderspektrums. Das Hauptaugenmerk der Förderentscheidungen wird künftig allerdings auf Projekten mit besonderer künstlerisch-kultureller Qualität liegen, die innovative modellhafte und nachhaltige Formen und Formate der Kulturarbeit entwickeln. Um die Teilnahme von älteren Menschen mit Migrationshintergrund sowie von Personen mit (altersbedingten) Einschränkungen noch stärker zu befördern, wurde als neues Förderkriterium die Entwicklung inklusiver Projektkonzepte aufgenommen. Die Evaluation der Förderjahre 2012 bis 2015 hat gezeigt, dass die Förderprojekte bislang hauptsächlich in Mittel- und Großstädten durchgeführt wurden. Wünschenswert ist die Entwicklung auch von wohnortnahen Kunst- und Kulturangeboten, besonders im ländlichen Raum, die als weiteres zusätzliches Förderkriterium für das Förderjahr 2018 aufgenommen wurde. DIE ANTRAGSTELLUNG
»Eine Projektidee formuliert in 1.500 Zeichen« – so beginnt eine Bewerbung beim Förderfonds Kultur & Alter. Die Antragstellung passt sich den eng gesteckten Zeitbudgets von Kulturschaffenden an und ist dementsprechend mit wenig Aufwand
verbunden. Ein zweiseitiges Projektdatenblatt plus Kostenplan genügen für die erste Stufe der Antragstellung. Im Projektdatenblatt werden die Rahmenpunkte des beantragten Projekts abgefragt, dessen Ziele und die erwartete Wirkung. Antragsfrist für Projekte des Folgejahrs ist jeweils der 5. Oktober. Die Mitarbeiterinnen und Mitbarbeiter von kubia unterstützen bei formalen Fragen zur Antragstellung, beraten aber auch, wenn es darum geht, eine erste Idee auszugestalten sowie eine gute Projektform oder Kofinanzierung zu finden. Je früher Antragstellende das Beratungsangebot von kubia in Anspruch nehmen, desto intensiver kann die Unterstützung ausfallen. Wir freuen uns auch in diesem Jahr wieder auf neue Projektideen, die das Zukunftsfeld der Kulturarbeit mit älteren Menschen weiterentwickeln! az WEITERE INFORMATIONEN:
Alle Kriterien des Förderfonds und alle Rahmendaten zur Antragstellung sind in den »Förderkriterien« zusammengefasst, die auf der Website des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NordrheinWestfalen und der Website von kubia heruntergeladen werden können. Informationen zum Förderfonds und Dokumentationen der geförderten Projekte 2012 bis 2015 auf der Website von kubia www.ibk-kubia.de/foerderfonds Förderfonds auf der Website des Ministeriums www.mfkjks.nrw > Kultur > Förderprogramme > Kultur und Alter
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NEUES VON KUBIA
LANG LEBE DIE KUNST!
Kunst- und Kulturprojekte mit und von Älteren 5. Aktionstag Kultur & Alter // 27. Juni 2017 // Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund Wie vielfältig die Ausdrucksformen und Formate der Kulturarbeit mit Älteren sind, lässt sich auch in diesem Jahr wieder beim Aktionstag »Lang lebe die Kunst!« erleben. Bereits im fünften Jahr präsentiert kubia die Ergebnisse von Projekten, die im Vorjahr durch den Förderfonds Kultur & Alter des Landes NRW gefördert wurden. In einer Werkschau werden Ausschnitte aus Tanz-, Theaterund Literaturproduktionen gezeigt. Darüber hinaus geben Projektpräsentationen und Workshops aus den Sparten Bildende Kunst, Medien, Musik und Theater Impulse für die kreative Arbeit mit älteren Menschen. Lernen Sie in Workshops die Grundlagen des Improvisationstheaters oder die Möglichkeiten der Radioarbeit mit Älteren kennen. Erfahren Sie, wie Musikvermittlung die Kulturarbeit mit Menschen mit Demenz bereichert, wie kunstinteressierte Ältere in einem Museumsprojekt in Kontakt mit der »Szene« eines städtischen Parks treten oder was passiert, wenn jüngere und ältere Menschen mit Fluchtgeschichte eingeladen werden, in einen Briefwechsel miteinander zu treten. Das abwechslungsreiche Programm bietet Fachkräften aus dem Bereich Kultur und Alter und allen Interessierten die Möglichkeit, sich zu informieren, Neues zu entdecken und miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Teilnahme am Aktionstag ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten. ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:
Annette Ziegert Telefon: 02191 79 42 99 ziegert@ibk-kubia.de www.ibk-kubia.de/aktionstag FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER 2018
Auch in 2018 fördert das Kulturministerium des Landes NRW wieder Projekte, die die Stärkung der Kreativität und Kulturellen Bildung älterer, alter und hochaltriger Menschen mit und ohne körperliche/n oder kognitive/n Einschränkungen zum Ziel haben. Die Maßnahmen sollen zur aktiven Teilnahme Älterer am gesellschaftlich-kulturellen Leben, zu deren Engagement in der Kultur und einem verbesserten Zugang zu Kunst und Kultur in allen Kultursparten beitragen.
Förderschwerpunkt in 2018 ist die Kulturteilhabe von älteren Männern. Der Förderschwerpunkt hat zum Ziel, die künstlerisch-kulturelle Aktivität und Kulturelle Bildung dieser Zielgruppe in besonderem Maße zu fördern und deren Anteil in der Kulturarbeit durch passgenaue Konzepte und Angebote zu erhöhen. Der Förderschwerpunkt ist nicht bindend für eine Antragstellung. Antragsberechtigt sind alle nordrhein-westfälischen Kulturschaffenden, kommunale und freie Kulturinstitutionen sowie Einrichtungen der Sozialen Altenarbeit, die in Zusammenarbeit mit einer Künstlerin, einem Künstler oder einer Kultureinrichtung ein nachhaltiges modellhaftes, künstlerisch-kulturelles Projekt mit besonderer künstlerisch-kultureller Qualität mit älteren Menschen umsetzen. Die Projekte müssen in NRW durchgeführt werden. Die Antragsfrist für Projekte, die in 2018 durchgeführt werden, ist der 5. Oktober 2017. Lassen Sie sich frühzeitig vom kubia-Team beraten! KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
Annette Ziegert Telefon: 02191 79 42 99 foerderfonds@ibk-kubia.de www.ibk-kubia.de/foerderfonds WEBINAR ZUM FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER: TIPPS FÜR DIE ANTRAGSTELLUNG
5. September 2017 // 14.00 bis 15.00 Uhr Online // Leitung: Magdalena Skorupa Das Webinar gibt Ihnen die Möglichkeit, sich unkompliziert und umfassend über die Voraussetzungen für eine Antragstellung beim Förderfonds Kultur & Alter zu informieren und beantwortet Ihre persönlichen Fragen. Die Teilnahme am Webinar ist kostenlos und unkompliziert. Sie können über Ihr Telefon und/oder Ihren Internetzugang, an Ihrem Rechner am Arbeitsplatz oder zuhause daran teilnehmen. Vor Seminarbeginn erhalten Teilnehmende detaillierte Information zum technischen Ablauf. WEITERE INFORMATIONEN:
www.ibk-kubia.de/qualifizierung
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FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER Geförderte Projekte 2017 Von den 46 für das Jahr 2017 eingereichten Projektanträgen werden 17 Vorhaben durch den Förderfonds Kultur & Alter des Landes NRW unterstützt. Der Förderschwerpunkt 2017 lautete »Vielsprachigkeit«. ALLES EIN ABENTEUER?!
Die Akteurinnen und Akteure (60 bis 73 Jahre alt) des Theaterensembles Demenzionen entwickeln ein Theaterstück mit szenischer Einführung und Nachbereitung für Hochaltrige und Menschen mit Demenz. // Demenzionen – Theater für Hochaltrige und Menschen mit Demenz, Köln ALTE HELDEN: DAS LIVE-HÖRSPIEL
Die Alten Helden – eine Gruppe theaterinteressierter Älterer am Schauspiel Essen – produzieren in einem offenen Konzept mit den Schwerpunkten Sprache, Stimme, Sound, Erzählung ein Live-Hörspiel. // Schauspiel Essen DIE SPRACHE DER KUNST
Konzeption und Erprobung einer Workshopsprache, die älteren Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen die gemeinsame Teilnahme an künstlerischen Workshops ermöglicht. // Katholisches Bildungswerk Bonn DREI – DAS BALLHAUS BEWEGT
Produktion eines Musiktheaterstücks, das neue und ältere Nachbarinnen und Nachbarn des Düsseldorfer Nordparks zusammenführt. // Musiktheaterprojekt, Friederike Felbeck, Düsseldorf CITY-PERFORMANCE
Amateurschauspielerinnen und -schauspieler unterschiedlicher Herkunftskulturen entwickeln zu den Themen »Flucht« und »Verlust« ein Stationentheater im Siegburger Stadtraum. // facettenreich e. V. – Verein für ein Leben in kultureller Vielfalt, Siegburg HEIMAT
Ein crossmediales Sprachspieltheater, in dem ältere Spielerinnen und Spieler der VolXbühne Mülheim an der Ruhr mit Jugendlichen einer Förderschule den Zusammenhang von Sprache und Heimatgefühl erforschen. // Theater an der Ruhr gGmbH, Mülheim an der Ruhr HÖR.OPER
Live gelesene Audiodeskription und Kulturbegleitung für ältere blinde und sehbehinderte Theaterbesucherinnen und -besucher am Musiktheater. // Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen ES WAR EINMAL ... ODER AUCH NICHT ...
Die Tänzerinnen und Tänzer des Solinger Tanztheaters 55+ beschäftigen sich, ausgehend von ihren eigenen Biografien, mit Formen alternativer Geschichtserzählung. // COBRA Kulturzentrum gGmbH, Solingen
KUNST INKLUSIVE
Konzeption und Erprobung verschiedener inklusiver Museumsworkshops für Menschen mit Demenz und deren Begleitung im Museum Ostwall in Dortmund. // Jutta Schmidt, Dortmund KUNSTPROJEKTE FÜR ZWEI GENERATIONEN
Intergenerationelle Workshops zu den Themen »Wie wir wohnen wollen«, »Wandel der Sprachkultur« und »Straßenfotografie«. // SK Stiftung Kultur, Köln MIT SKATEBOARD UND ROLLATOR
Die 69- bis 94-jährigen Spielerinnen und Spieler des Dimbecker Ensembles und das außerschulische Jugendensemble Realtheater erarbeiten ein Theaterstück im intergenerationellen Dialog. // Realtheater und Bühnen e. V., Mülheim an der Ruhr PEER GYNT VON HENRIK IBSEN
In ihrer neuen Theaterproduktion beschäftigen sich die Spielerinnen und Spieler des SeTA, ausgehend von Ibsens Theaterstoff »Peer Gynt«, mit Fragen der Identität. // Seniorentheater in der Altstadt (SeTA) e. V., Düsseldorf RESONANZRAUM VIDEO
Auf Basis der Videoarbeiten der aktuellen »Videonale«Ausstellung erarbeiten ältere und jüngere Teilnehmende eigene Performances in der Architektur des Kunstmuseums Bonn. // Videonale e. V., Bonn SILVER VOICES – DAS VIDEO
Die Mitglieder des Chorprojekts 60+ »Silver Voices« entwickeln im Rahmen ihrer Gesangsarbeit ein künstlerisches Musikvideo mit einem professionellen Filmemacher. // Jazz Offensive Essen e. V., Essen TAGTÄGLICH
Kulturell interessierte Ehrenamtliche des Lehmbruck Museums Duisburg begegnen mit Kunstgesprächen und gemeinsamen Museumsaktivitäten der »Szene« im städtischen Kantpark. // Die Artgenossen, Duisburg TRANSEUROPAEXPRESS
Ein intergenerationelles Theaterprojekt der Theatergruppe poco*mania e. V. mit älteren Spielerinnen und Spielern unterschiedlicher Herkunft zum Thema »Wert und Zukunft der Europäischen Union«. // poco*mania e. V., Düsseldorf VERGISSNICHTICH
Frauen unterschiedlicher Generationen setzen sich miteinander mit den Themen »Erinnern« und »Vergessen« auseinander und entwickeln aus den Ergebnissen ein Theaterstück. // Cactus Junges Theater, Münster
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BÜHNE FREI! FACHTAG THEATERGERAGOGIK UND DEMENZ
MASTER-STUDIENGANG KULTURGERAGOGIK AN DER FACHHOCHSCHULE MÜNSTER
4. Dezember 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr Melanchthon-Akademie // Köln
Mit dem neuen Studienangebot soll das Feld der Kulturgeragogik weiter professionalisiert werden. Ziel ist es, die Studierenden zu befähigen, auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessene Settings der Kulturvermittlung und kulturellen Partizipation älterer Menschen eigenständig zu planen, zu gestalten und zu evaluieren. Der weiterbildende Studiengang, der zum Wintersemester 2017/2018 startet, eignet sich hervorragend für ein berufsbegleitendes Studium, da er in Teilzeit angeboten wird. Die Regelstudienzeit beträgt fünf Semester.
Theater erreicht Menschen mit allen Sinnen. Wenn kognitive Fähigkeiten nachlassen, können theatergeragogische Angebote für Menschen mit Demenz neue, sinnliche Wege des Ausdrucks und der Kommunikation eröffnen und ihre Kompetenzen ins Rampenlicht rücken. Der Fachtag lädt Theaterfachleute, Kulturgeragoginnen und -geragogen sowie Tätige in Altenhilfe und Pflege ein, sich theoretisch und praktisch dem Themenfeld zu nähern. Fachvorträge am Vormittag beleuchten die Thematik aus altersmedizinischer Sicht, geben einen Überblick über Methoden und Formate in der theatergeragogischen Praxis und stellen anhand der »Oper für Jung und Alt« die Chancen von kultureller Teilhabe mit Demenz vor. Am Nachmittag geht es in parallel stattfindenden Workshops um Menschen mit Demenz auf der Bühne, um die Gelingensbedingungen von demenzfreundlichen (Musik-)Theaterbesuchen, um interaktives Theater im Pflegeheim sowie um Tanz, Bewegung und nonverbale Kommunikation. Dozentinnen und Dozenten sind Prof. Dr. Johannes Pantel, Universität Frankfurt; Jessica Höhn, Theater Demenzionen, Köln; Stephanie Sonnenschein, Oper Köln; Erpho Bell, Theatermacher, Havixbeck; Arti Prashar, Spare Tyre, London und Dr. Fabian Chyle, Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW, Remscheid. WEITERE INFORMATIONEN:
www.ibk-kubia.de/fachtag-theatergeragogik INKLUCAMP: BARRIEREFREIE KUNST UND KULTUR
Kunst und Kultur ermöglichen die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Begabungen und Interessen und eröffnen damit Raum für kulturellen Austausch und gelebte Inklusion. Dort, wo Vielfalt und Gegensätze in inklusiven Gruppen zusammentreffen, gilt es aber auch, mögliche Barrieren abzubauen. Gemeinsam mit UZWEI_Kulturelle Bildung lud kubia am 10. Mai 2017 zum »InkluCamp« ins Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität ein. Bei dem Forum tauschten sich Vertreterinnen und Vertreter aus den verschiedenen Sparten kultureller Praxis, Design, Forschung und Wirtschaft zu den Themen »Inklusion« und »Barrierefreiheit in Kunst und Kultur« aus. Die Veranstaltung war als partizipatives BarCamp angelegt, bei dem jede und jeder Teilnehmende eigene Impulse als 45-minütige Session einbringen konnte. BERICHT UND WEITERE INFORMATIONEN:
www.ibk-kubia.de/inklucamp
WEITERE INFORMATIONEN:
www.kulturgeragogik.de > Masterstudiengang
WEBINAR-TIPP IM JULI MUSIKALISCHE BEGABUNG UND ALTER(N)
3. Juli 2017 // 14.00 bis 15.00 Uhr Online // Leitung: Prof. Dr. Heiner Gembris Musikalische Begabung ist das Potenzial zum Erleben von Musik, zu aktivem Musizieren und musikalischer Kreativität in jeder Form. Wie verändert sich musikalische Begabung im Laufe des Lebens? Heiner Gembris, Leiter des Instituts für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn, stellt anhand von Forschungsergebnissen und praktischen Beispielen dar, was wir heute über die lebenslange Entwicklung musikalischer Begabung sagen können und was wir (noch) nicht wissen. Die Teilnahme am Webinar ist unkompliziert. Sie können über Ihr Telefon und/oder Ihren Internetzugang, an Ihrem Rechner am Arbeitsplatz oder zuhause daran teilnehmen. Vor Seminarbeginn erhalten Teilnehmende detaillierte Information zum technischen Ablauf. ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:
www.ibk-kubia.de/qualifizierung
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KULTURKOMPETENZ+ PRAXISWISSEN FÜR DIE KULTURARBEIT MIT ÄLTEREN HALBJAHR 02/ 2017
WEBINARE FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER: TIPPS FÜR DIE ANTRAGSTELLUNG
5. September 2017 // 14.00 bis 15.00 Uhr Online // Leitung: Magdalena Skorupa Das Webinar gibt Ihnen die Möglichkeit, sich unkompliziert und umfassend über die Voraussetzungen für eine Antragstellung beim Förderfonds Kultur & Alter zu informieren und beantwortet Ihre persönlichen Fragen. INKLUSION UND KULTURELLE BILDUNG – GEMEINSAM FORSCHEN IM KLANG- UND KUNSTLABOR
29. November 2017 // 14.00 bis 15.00 Uhr Online // Leitung: Prof. Dr. Juliane Gerland
NACHBARINNEN: INTERKULTURELLE KUNST- UND MEDIENPROJEKTE MIT ÄLTEREN FRAUEN
9. Oktober 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr Zukunftsakademie NRW // Bochum Leitung: Dörte Redmann In der Arbeit mit älteren Frauen aus unterschiedlichen Herkunftsländern lassen sich ausgehend von biografischen Geschichten und Texten künstlerische Aktionen und szenisches Spiel entwickeln. Anhand praktischer Beispiele werden in dem Workshop künstlerische Herangehensweisen vorgestellt, die sich eignen, lebendige Momente in interkulturellen Gruppen herzustellen. Praktische Übungen regen zum Entwickeln von Ideen für den eigenen Arbeitskontext an. MUSIKALISCHE KOMMUNIKATION MIT DER VEEH-HARFE® IN DER ALTENARBEIT UND DER ARBEIT MIT MENSCHEN MIT BEHINDERUNG
10. November 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr Musik- und Kunstschule Duisburg Leitung: Gabriele Hellwig
Das Webinar befasst sich mit den Wechselbeziehungen von inklusiven und künstlerischen Prozessen. Im Fokus stehen Interaktionen von Menschen mit und ohne Behinderung. Nach einer Klärung der notwendigen Begrifflichkeiten und einer theoretischen Verortung dieser Wechselbeziehung wird am Beispiel der »Kunst- und Klanglabore 30« an der Universität Siegen aufgezeigt, wie sich Studierende und Menschen mit Behinderung mit kunst- und inklusionsbezogenen Fragestellungen auseinandersetzen.
Die Veeh-Harfe® eignet sich sowohl für die Altenarbeit als auch für die Arbeit mit Menschen mit Demenz oder mit geistigen und psychischen Einschränkungen. Der Workshop gibt Hintergrundinformationen zur Geschichte und zum Einsatz des Instruments. Mit Notenschablonen bekannter Melodien wird das Spielen der Veeh-Harfe® praktisch erprobt. Auch das Stimmen der Harfe sowie das Setzen einfacher Lieder in die Veeh-Harfen®-Schrift werden vermittelt.
WORKSHOPS
20. November 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr Haus der Evangelischen Kirche // Essen Leitung: Jutta Stratmann
JULCHEN UND TIMMI KOMMEN ZU BESUCH KLAPPMAULPUPPEN IN DER ARBEIT MIT MENSCHEN MIT DEMENZ
21. September 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr AWO Seniorenzentrum Wilhelm-Augusta-Stift // Bielefeld // Leitung: Sabine Meyer Julchen ist 40 cm groß, hat blonde, wirre Zöpfe und trägt Flip-Flops. Während eines Besuchs der vorlauten Handpuppe werden Augen wach, Hände gehalten und Worte gefunden, denn Julchen öffnet Türen. Der Workshop vermittelt mithilfe von praktischen Übungen und Beispielen die grundlegende Handhabung und verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Handpuppen in der Arbeit mit Menschen mit Demenz.
FÖRDERMÖGLICHKEITEN FÜR DIE KULTURELLE ALTENARBEIT
In der Praxis geht es immer wieder darum, die Finanzierung von Projekten mittels verschiedener Fördermöglichkeiten zu sichern. Der Workshop gibt einen Überblick über die Förderprogramme und -voraussetzungen für Kulturprojekte in der Alten- und Generationenarbeit. Neben den formellen Rahmenbedingungen ist auch die Erstellung einer überzeugenden Projektskizze von Bedeutung. Hierzu gibt es praktische Beispiele und Tipps. ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:
www.ibk-kubia.de/qualifizierung
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SALON
DOING AGE WHILE DOING SPACE KULTURELLE BILDUNGSARBEIT FÜR ÄLTERE IM SOZIALRAUM Von Mirko Sporket
Konzepte, die sich am Sozialraum orientieren, spielen in der Altenhilfe in den letzten Jahren eine immer größere Rolle, wobei hier insbesondere Fragen der Versorgung und infrastrukturelle Aspekte im Vordergrund stehen. Der Beitrag von Mirko Sporket, Professor für Alter(n)ssoziologie an der Fachhochschule Münster, fragt vor diesem Hintergrund danach, inwiefern die Sozialraumorientierung auch für die kulturelle Bildungsarbeit von und mit älteren Menschen nutzbar gemacht werden könnte und welche Fragen sich hieraus ergeben.
Dass viele Menschen heutzutage ein hohes Lebensalter erreichen, kann einerseits mit einigem Recht als eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte gesehen werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den vergangenen 150 Jahren kontinuierlich gestiegen – und zwar um etwa 2,5 Jahre pro Dekade. Sie liegt für Männer in Deutschland derzeit bei 78 Jahren, für Frauen bei etwa 83 Jahren. Eine Verlangsamung dieses Prozesses oder gar dessen Ende sind derzeit nicht abzusehen. Der Historiker Arthur E. Imhof (1988) nennt dies den Wandel von der unsicheren zur sicheren Lebenszeit. Wir können also damit rechnen, alt zu werden. Ein differenzierter Blick auf die Daten zeigt aber zugleich, dass dieser Zugewinn an Lebensjahren keine reine Erfolgsgeschichte ist, und zwar aus den folgenden Gründen: Erstens gestaltet sich – je nachdem, welche Gruppen man in den Blick nimmt – die Lebenserwartung recht unterschiedlich. So beträgt die Differenz in der durchschnittlichen Lebenserwartung zwischen Menschen, die über wenige finanzielle Mittel verfügen und jenen, die über überdurchschnittlich viele finanzielle Mittel verfügen, bis zu zehn Jahre. Etwa zehn Jahre Unterschied in der Lebenserwartung, je nachdem, ob man wohlhabend ist oder eben nicht! Ein im
Grunde skandalöser Zustand. Ein zweiter Aspekt, der das Erzählen der Geschichte der gestiegenen Lebenserwartung als reine Erfolgsgeschichte nicht erlaubt, ist die Tatsache, dass von vielen Menschen die sogenannten gewonnenen Jahre nicht bei guter Gesundheit erlebt werden, sondern oftmals von chronischen und Mehrfacherkrankungen geprägt sind, die einen Einschnitt in die erlebte Lebensqualität jener Menschen bedeuten. SCHEITERN IM ERFOLG
In der Demografie und der Epidemiologie wird dies als »Failure of Success« bezeichnet, also als das »Scheitern im Erfolg«. Wir sind zwar erfolgreich darin, die Lebensdauer zu verlängern. Gleichzeitig scheitern wir aber daran, insbesondere die gesundheitsbezogene Lebensqualität in gleichem Maße zu steigern. In engem Zusammenhang damit sind, drittens, weitere spezifische Problemlagen im Alter zu sehen, die einschränkend auf die erlebte Lebensqualität im Alter wirken können und die sich nicht zuletzt aus den mit dem Alter von Paul B. Baltes (1999) beschriebenen zunehmenden Verlusterfahrungen ergeben. Hier sind zum Beispiel eine eingeschränkte Mobilität, zunehmende Einsamkeits- und Rückzugstendenzen, der
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Beim Förderfonds-Projekt »Landpartie« unter Leitung der Choreografin Birgit Aßhoff war ein ganzes Dorf auf den Beinen.
Verlust sozialer Beziehungen sowie sozialer Rollen und eine damit zusammenhängende erlebte Funktionslosigkeit zu nennen. Außerdem steigen die Armutsrisiken, von denen insbesondere ältere Frauen betroffen sind, sowie das Risiko einer zunehmenden Abhängigkeit von anderen Menschen und einer geringeren gesellschaftlichen Teilhabe. Die Verlusterfahrungen können einzeln oder auch in ihrer Gesamtheit als Einschränkungen der Lebensqualität wahrgenommen werden. Wir wissen, dass sozial benachteiligte Gruppen stärker von den eben benannten Altersrisiken betroffen sind und sie deshalb natürlich auch eine stärkere Unterstützung im Umgang mit diesen Problemlagen benötigen. Soziale Ungleichheit, so könnte man formulieren, setzt sich nicht nur im Alter fort, sondern verschärft sich möglicherweise in einigen Bereichen und hat dramatische Folgen für die Lebenssituation und die Lebensqualität vieler älterer Menschen.
SCHÖNE NEUE ALTERSWELT
Mit den eben genannten Aspekten soll freilich nicht dem Defizit-Modell des Alters und einer damit einhergehenden Negativ-Stereotypisierung das Wort geredet werden – viel zu lange dominierte ein Altersbild, das von der generellen und gleichsam naturgesetzlichen Abnahme der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit ausging. Gleichwohl sind aber auch eben diese Aspekte Teil des Alternsprozesses, wie ihn viele Menschen erleben, und natürlich müssen wir diese Risiken in den Blick nehmen. Denn die »schöne neue Alterswelt«, wie Silke van Dyk et al. (2010) sie in ihrer Diskursanalyse recht trefflich beschreiben, also die Welt des aktiven, erfolgreichen und produktiven Alters, die den politischen Diskurs in weiten Teilen dominiert, blendet die typischen sozialen Problemlagen vieler Älterer in Teilen aus oder verschiebt sie in ein höheres Alter. Immer wieder steht die Frage im Fokus, welchen Beitrag zur Gesellschaft die Älteren (und meist sind damit die jüngeren Älteren
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gemeint) noch zu leisten in der Lage sind. Vorrangig geht es dabei um Beiträge in den Feldern Konsum, Arbeit und Engagement. Felder, zu denen vor allem sozial benachteiligte Gruppen nur beschränkten Zugang haben. Ihnen wird im Grunde durch eine solche Perspektive das Produktivsein abgesprochen und sie erscheinen eher als Objekte sozial- und versorgungspolitischen Handelns denn als eigenständige Subjekte. AUTOPRODUKTIVITÄT DES ALTERS
Jenseits dieser semantischen Fragen und den ihnen zugrunde liegenden »neuen Anforderungen« an das Alter geht es in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen – und so auch in der Kulturarbeit bzw. der kulturellen Bildungsarbeit mit älteren Menschen – vor allem um die Frage, wie angesichts der eben skizzierten Problemlagen und der zu beobachtenden sozialen Ungleichheiten, Lebensqualität im Alter gefördert werden kann. Dies vor allem mit dem Blick auf die Nutzung der jeweiligen Potenziale und Ressourcen, die jedoch nicht – zumindest nicht vorrangig – einer wie auch immer gearteten Gesellschaft zugutekommen müssen, sondern vor allem – und in erster Linie – den Menschen selbst. Der Wiener Soziologe Anton Amann (2007) hat hierfür in einem wunderbaren Aufsatz den Begriff der »Autoproduktivität« entwickelt, den er abgrenzt vom Begriff der »Heteroproduktivität«. Mit Heteroproduktivität ist die mehr oder weniger klassische output-orientierte Produktivitätsvorstellung gemeint, die auf ein Außen der produktiven Handlung zielt und die auch den Diskurs über produktives Altern dominiert. Der Begriff der Autoproduktivität hingegen versucht auch jene Handlungen in den Blick zu bekommen, die vor allem auf die individuelle Nutzenstiftung gerichtet sind und die der Aufrechterhaltung der eigenen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit dienen, also der Selbstsorge und dem Autonomieerhalt. In diesen produktiven Tätigkeiten sieht Amann einen wesentlichen Beitrag zur Lebensqualität.
Diese Tätigkeiten können natürlich mittelbar auch gesellschaftliche Effekte zeitigen. Diese sind aber nicht das wesenhafte Ziel und das eigentliche Movens und, wenn überhaupt, von eher sekundärem Interesse, wenn es um die Frage der individuellen Lebensqualität geht. Betrachtet man die vielfach dokumentierten positiven Wirkungen kultureller Aktivitäten im Alter, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit, soziale Beziehungen, Selbstwirksamkeit, Persönlichkeitsbildung und Teilhabeerfahrungen, so sind dies autoproduktive Tätigkeiten par excellence, die in der Lage sind, Lebensqualität herzustellen, zu wahren oder zu verbessern und persönliche Entwicklungsgewinne zu generieren. Die hier interessierende Kategorie des Raums ist bei Amann ebenso mitgedacht, wenn er schreibt, dass wir nur zu einem tieferen Verständnis und damit auch zu einer gelingenden Gestaltung autoproduktiver Tätigkeiten älterer Menschen gelängen, wenn wir den Blick auf die lebensweltliche Einbettung dieser Tätigkeiten richteten. Amann spricht hier auch von kleinen Lebenswelten, die in der modernen Gesellschaft jene Ausschnitte der Welt darstellten, die die Subjekte sinnhaft ausgestalten würden. Zu diesen kleinen Lebenswelten gehört natürlich auch das Lebensumfeld, der Raum, in dem Menschen sich bewegen. SOZIAL BEDINGTE RAUMKONSTRUKTIONEN
Und so ist es auch nur folgerichtig, dass der Raum in neueren Konzepten, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie eine alternde Gesellschaft gestaltet werden kann, gerade in den letzten Jahren eine immer größere Rolle spielt. Zu denken ist hier nur an die zahlreichen Initiativen und Projekte zur alternsgerechten Quartiersentwicklung oder an den »Siebten Altenbericht« der Bundesregierung, der die lokalen Bezüge sorgender Gemeinschaften ins Zentrum rückt. Im Vordergrund steht in diesen Ansätzen in erster Linie die Frage, wie eine dezentralisierte Wohlfahrtsproduktion vor Ort durch
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die bedarfsgerechte Anpassung und Verbesserung von Pflege-, Sorge- und Versorgungsstrukturen, der Wohnangebote und Infrastruktur erreicht werden kann. Dies ist sicherlich von einiger Bedeutung, auch und gerade für die Frage der Förderung der Lebensqualität. Für die Kulturelle Bildung im Alter greift ein solches Raumverständnis jedoch vermutlich zu kurz, da Raum hier lediglich als Angebotsstruktur gedacht wird, die zwar verändert werden kann, die aber selbst keiner Deutung unterliegt. Demgegenüber haben sich seit dem »Spatial Turn« in der Soziologie seit Ende der 1980er Jahre andere Raumvorstellungen entwickelt, die stärker auf die soziale Bedingtheit von Raumkonstruktionen abheben und die auch für die kulturelle Bildungsarbeit (allerdings schwerpunktmäßig mit Kindern und Jugendlichen) fruchtbar gemacht wurden (vgl. z. B. Hübner 2015). Der Raum wird hier nicht als dem Sozialen bzw. dem Handeln vorgängig gedacht, sondern gleichzeitig als Bedingung und Ergebnis sozialen Handelns. Martina Löw hat dies in Anlehnung an Anthony Giddens als die Dualität von Raum beschrieben. Die Idee hinter dieser theoretischen Figur der Dualität von Raum ist, dass Räume einerseits im Handeln entstehen und sie, gleichsam als Ergebnis dieses Handelns, als räumliche Struktur Teil der gesellschaftlichen Struktur sind und damit zur Bedingung für weiteres Handeln werden (Löw 2001). Sozialer Raum ist in diesem Sinne immer auch gemachter Raum, den die Subjekte in ihrem Handeln und in Koproduktion herstellen und verändern können. Ähnlich argumentieren Lothar Böhnisch und Wolfgang Schröer (2010), wenn sie sagen: »Erst über die Tätigkeit des Menschen wird ein Territorium zum sozialen Raum und die Menschen erfahren dementsprechend den Raum als Ortszusammenhang von zugänglichen Möglichkeiten und einschränkenden Verwehrungen.«
SOZIALRAUMORIENTIERUNG DER KULTURELLEN BILDUNG IM ALTER
Zentral bei einem solchen Raumverständnis ist der Begriff der »Aneignung« und damit verbunden die Frage, wie Menschen sich Räume aneignen, Räume zu ihren eigenen Räumen machen und dadurch möglicherweise die Deutungshoheit über enteignete Räume zurückgewinnen können. Während der Sozialraum und die Frage der Aneignung von Raum in der kulturellen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen im Kontext von Sozialisationsprozessen bereits eine recht große Rolle spielen, liegen für die Frage, wie sich ältere Menschen »ihren« Raum aneignen oder eben nicht, bislang kaum Erkenntnisse vor. Das bedeutet, dass sich eine sozialraumorientierte kulturelle Bildungsarbeit mit älteren Menschen nicht auf die eher versorgungsorientierten Fragen beschränken kann, wie zum Beispiel Angebote im Stadtteil oder im Quartier besser aufeinander abgestimmt werden, welche Synergien geschaffen oder wie Akteurinnen und Akteure sich besser miteinander vernetzen können. Das alles ist zwar notwendig und wichtig, hinreichend ist es aber nicht. Eine sozialraumorientierte kulturelle Bildungsarbeit für ältere Menschen müsste primär danach fragen, wie sie ältere – und vor allem: benachteiligte ältere – Menschen dabei unterstützen kann, sich »ihre« Räume anzueignen oder Räume zu »ihren« Räumen zu machen. Dieses »Spacing«, also die eigensinnige Nutzung und Wandlung des Sozialraums, könnte dann als Entwicklungsaufgabe im Alter betrachtet werden, wobei insbesondere die biografische Verschränktheit der älteren Menschen mit ihrer sozialräumlichen Umgebung berücksichtigt werden müsste: Doing age while doing space!
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DER AUTOR:
Prof. Dr. phil. Mirko Sporket ist Diplom-Sozialwissenschaftler und seit 2013 Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Alter(n) und Demografie am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund und hat am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock das Max Planck International Research Network on Aging (MaxNetAging) geleitet. Seine Arbeitsschwerpunkte und Lehrgebiete sind Alternssoziologie und soziale Gerontologie, Arbeits- und Organisationssoziologie, Demografie sowie allgemeine Soziologie. LITERATUR:
Anton Amann (2007): Produktives Arbeiten und flexibles Altern: Forschungsprogrammatische Überlegungen zu einem Sozialprodukt des Alters. In: Ursula Pasero / Gertrud M. Backes / Klaus R. Schroeter (Hrsg.): Altern in Gesellschaft. Ageing – Diversity – Inclusion. Wiesbaden
Paul B. Baltes (1999): Alter und Altern als unvollendete Architektur der Humanontogenese. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 32 (6), S. 433-448 Lothar Böhnisch / Wolfgang Schröer (2010): Soziale Räume im Lebenslauf. In: sozialraum.de, 2 (1) [www.sozialraum.de/soziale-raeume-im-lebenslauf.php, letzter Zugriff: 28.03.2017] Kerstin Hübner (2015): Der Sozialraum als Bildungslandschaft. Wie sozialraumorientierte Kulturelle Bildung zur Teilhabe befähigt. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online [www.kubi-online.de/artikel/ sozialraum-bildungslandschaft-sozialraumorientiertekulturelle-bildung-zur-teilhabe, letzter Zugriff: 28.03.2017] Arthur E. Imhof (1988): Von der unsicheren zur sicheren Lebenszeit. Fünf historisch-demographische Studien. Darmstadt Martina Löw (2001): Raumsoziologie. Frankfurt a. M. Silke van Dyk / Stephan Lessenich / Tina Denninger / Anna Richter (2010): Die »Aufwertung« des Alters. Eine gesellschaftliche Farce. In: Mittelweg 36, 19 (5), S. 15-33
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IM VOR-PARADIES SUN CITY ZU DEN FOTOS VON PETER GRANSER IN DIESEM HEFT
In Sun City, Arizona, darf nur wohnen, wer über 55 ist. In die gut bewachte Senioren-Community gelangen Jüngere nur mit Passierschein. Die Planer dieses »Vor-Paradieses« haben dessen 38.000 Bewohnerinnen und Bewohner buchstäblich in die wohltemperierte Wüste geschickt. Hier amüsiert man sich (bis) zu(m) Tode, ob beim Bowling, Schwimmen, Tanzen, Barbecue oder Schießen. Der österreichische Fotograf Peter Granser dokumentierte dieses barrierefreie Utopia eines unbeschwerten Lebens im Alter in dem Fotoband »Sun City«, der 2006 veröffentlicht wurde. Die eindringlichen Fotos zeigen verwundert, jedoch ohne Zynismus, ein Zusammenleben, das in perfekter Symmetrie und fern aller Bedrohungen der Gegenwart verläuft. Will man so alt werden? af WEITERE INFORMATIONEN:
www.petergranser.de
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PARTIZIPATIVES LERNEN IM QUARTIER ÄLTERE ALS KO-PRODUZENTINNEN UND -PRODUZENTEN DER QUARTIERSENTWICKLUNG Von Janina Stiel und Harald Rüßler
Dem Wohnquartier kommt als lebensweltlichem Nahraum im Alter eine besondere Bedeutung zu – gerade bei zunehmender Barriere- und Distanzempfindlichkeit. Der Sozialraum beeinflusst aber nicht nur die Lebensqualität – als sozial produzierter Raum kann er auch bedarfsgerecht (um-)gestaltet werden. Wenn kommunale Strukturen die Beteiligung Älterer an der Quartiersentwicklung ermöglichen, können Wohnquartiere auch als bedeutsame, neue Lernkontexte der Altersbildung begriffen werden. Umweltattribute (Saup 1993), wie etwa die (niedrigschwellige) Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Orten und sozialen Gruppen im Wohnumfeld, die inner- und außerhäusliche Sicherheit, die Vertrautheit mit der Umgebung, unterstützende wie auch stimulierende Angebote im Quartier, beeinflussen die Lebensqualität im Alter – das Wohlbefinden, die Selbstständigkeit, die Teilhabechancen und die Partizipationsbereitschaft. Die meisten älteren Menschen möchten – auch bei möglicherweise eintretendem Unterstützungsoder Pflegebedarf im vertrauten Umfeld bleiben. Dazu kann Quartiersentwicklung einen Beitrag leisten. Hierbei können insbesondere ältere Menschen, die aufgrund ihrer oftmals langjährigen Verbundenheit mit dem Quartier gute Kennerinnen und Kenner ihres Wohnumfelds sind, eine mitentscheidende Rolle spielen – sie werden dann zu »Ko-Produzenten und -Produzentinnen der Quartiersentwicklung« (Rüßler et. al. 2015). Die im Folgenden beschriebenen Begrifflichkeiten machen die Zielrichtung deutlich, um die es in Bezug auf »lernende Quartiere« geht. PARTIZIPATION UND KO-PRODUKTION
»Partizipation« meint sowohl die Teilhabe an gesellschaftlichen Lebensbereichen (soziale Partizipation)
als auch die Einflussnahme auf unterschiedlichen Ebenen der politischen Willensbildung (politische Partizipation). Im Zentrum von Partizipation steht das »Mit« (Roth 2011, S. 78), das heißt: Mitsprache, Mitwirken, Mitgestalten, Mitbestimmen bzw. Mitentscheiden. Um die Reichweite von Partizipation darzustellen, werden häufig Stufenmodelle bemüht, beginnend mit dem Informiert-werden, als ersten Schritt der Beteiligung, über Angehört-werden bis hin zum Mitbestimmen sowie -entscheiden und zur Selbstorganisation. Mit Bezug auf Quartiersentwicklungsprozesse, die kaum durch alleinige Formen bürgerschaftlicher Selbstorganisation zu bewerkstelligen sind, bietet sich der Begriff der »Ko-Produktion« an. Ko-Produktion meint die kooperative Herstellung, Gestaltung und Entwicklung von Artefakten (Produkte, technische Systeme, Konzepte), von (neuen) Dienstleistungs- und/oder Hilfe- und Unterstützungsformen (z. B. neue intermediäre Rollen) sowie einer neuen Lebenspraxis (z. B. neue Formen integrierter Versorgung im Wohnquartier). Werden ältere Menschen als Ko-Produzentinnen und -Produzenten begriffen, sind sie nicht nur an der Gestaltung ihres Quartiers entscheidend beteiligt. Sie wirken ebenso an der Entwicklung von Ideen zur Ergänzung der repräsentativen
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lokalen Demokratie mit, zum Beispiel durch direktdemokratische Beteiligungsformen. Gestärkt wird damit nicht nur die Rolle der (älteren) Bürgerinnen und Bürger als kompetente Mitgestalterinnen und Mitgestalter bei der Quartiersentwicklung, gestärkt wird damit zugleich ihre individuelle und kollektive Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung (Empowerment). LERNEN UND BILDUNG
Partizipationsprozesse sind stets mit Lernerfahrungen verknüpft und können auch als Bildungsprozesse verstanden werden. Die Älteren bringen in unterschiedlichen Beteiligungssettings ihre Handlungsprobleme zum Ausdruck und bearbeiten sie im Rahmen moderierter Arbeitsgruppen. »Zum Lernen kommt es immer dann, wenn das Subjekt in seinem normalen Handlungsvollzug auf Hindernisse oder Widerstände gestoßen ist und sich dabei vor einer ›Handlungsproblematik‹ sieht, die es nicht mit den aktuell verfügbaren Mitteln und Fähigkeiten, sondern nur durch den Zwischenschritt oder (produktiven) Umweg
des Einschaltens einer ›Lernschleife‹ überwinden kann.« (Holzkamp 1996, S. 29) Dieses als »expansiv« bezeichnete Lernen ist »eine Form des selbstbestimmten Lernens, bei dem das Subjekt lernend seine Handlungsfähigkeit erweitert« (Kolland/ Klingenberg 2011, S. 23). Dieses Lernverständnis wurde im Sinne eines »partizipativen Lernansatzes für die Geragogik« fruchtbar gemacht (Schramek/Bubolz-Lutz 2016). Es kann sowohl auf non-formale Kontexte bezogen werden (z. B. in VHS-Kursen, Gewerkschaften oder Parteien) als auch auf informelle (eher beiläufiges Lernen im täglichen Leben). Diesen handlungsorientierten Lernkontexten kommt gerade im Alter eine besondere Bedeutung zu. Auf den Zusammenhang von Partizipation und Lernen konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen. Sie beziehen sich auf zwei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die in Gelsenkirchen durchgeführt wurden und werden: »Lebensqualität Älterer im Wohnquartier« (LiW) und »Ältere als (Ko-)Produzenten von Quartiersnetzwerken im Ruhrgebiet« (QuartiersNETZ).
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QUARTIERSKONFERENZEN ALS LERNORTE
Das bereits abgeschlossene LiW-Projekt ist vor allem der Frage nach dem Zusammenhang von Partizipation und Lebensqualität im Wohnumfeld nachgegangen (Rüßler et al. 2015). Die eingeführten Quartierskonferenzen »Gut leben in meinem Quartier« sind ein zentrales Instrument partizipativer Quartiersentwicklung. Etwa alle sechs Wochen treffen sich ältere Bürgerinnen und Bürger sowie andere lokale Akteurinnen und Akteure nach wie vor, um gemeinsam relevante Handlungsfelder im Quartier zu bestimmen (Phase 1), sich ihr Quartier hinsichtlich der Handlungsfelder anzueignen, das heißt, sich auszutauschen und Informationen zu sammeln (Phase 2) sowie eine konkrete Maßnahmenplanung zu formulieren und sukzessive umzusetzen (Phase 3). Die wissenschaftliche Begleitung der Quartierskonferenzen in vier Quartieren Gelsenkirchens – über evaluative Fragebögen an die Teilnehmenden, teilnehmende Beobachtung unterschiedlicher Themen- bzw. Arbeitsgruppen sowie (Experten-) Interviews mit den Beteiligten – hat aufgezeigt, dass Lernen bei der Quartiersentwicklung, wie beschrieben, auf vielfältige Weise stattfindet. Für die beteiligten Bürgerinnen und Bürger haben die Konferenzen eine Bedeutung als öffentliche Informationsbörse. Hier »hört und sieht man, was so passiert in Schalke.« Der Aussage »Ich bringe Neues in Erfahrung« stimmten auf den Konferenzen stets zwischen 80 und 100 Prozent der Anwesenden zu. Sie sind damit ein Ort des Austauschs von Informationen und Neuigkeiten im Quartier, machen Partizipation überhaupt erst möglich (Information als erste Stufe von Partizipation) und sichern damit die Teilnahme am lokalen Leben. Auch die Arbeitsweise in den moderierten Arbeitsgruppen (z. B. zu Sicherheit und Sauberkeit) erweist sich als ein komplexer Lernkontext: Sich in der Gruppe zu artikulieren und verständigungsorientiert zu kommunizieren, ist eine Lernanfor-
derung, besonders für statusungleiche Gruppen und auch für die Moderierenden, die darauf achten, lernen zu müssen, Partizipationsungewohnte gleichberechtigt teilhaben zu lassen. Lernkontexte stellen auch die sozialräumlichen Beteiligungsmethoden dar (Deinet 2009), die unter anderem in den Konferenzen eingesetzt wurden und werden. Bei der Nadelmethode beispielsweise tragen die Beteiligten über das Markieren auf einem Stadteilplan ihr nahräumliches Wissen zusammen, zum Beispiel über Orte mit kulturellen, sportlichen und anderen Angeboten. Bei einer anschließenden Stadtteilbegehung zu diesen Orten lernen sie ihr Quartier besser kennen (»Diese Gegend ist mir vollkommen unbekannt. Hier bin ich nie langgegangen.«) und erfassen Handlungschancen und -beschränkungen. Gerade partizipationsungewohnte Ältere können in einem solchen Prozess lernen, dass sie selbst oder gemeinsam mit anderen tatsächlich Veränderungen im Quartier bewirken können (Stichwort: »Empowerment«), wie einer der Teilnehmer formuliert: »Ich komme jetzt aus ‘nem Bereich, wo viele Betroffene und Menschen sind, die ihr ganzes Leben bestimmt wurden, [...] vom Vorarbeiter, vom Meister. [...] Und plötzlich im Alter wird der damit konfrontiert, da kommt einer und sagt ›Hör mal zu: Du kannst jetzt mal sagen, was du möchtest. Du kannst jetzt mal machen, was du möchtest und kannst dich einbringen hier‹.« BÜRGERSCHAFTLICH ENGAGIERTE ALS LERNBEGLEITER
Ziel des noch bis Ende Oktober 2018 laufenden QuartiersNETZ-Projekts ist eine reale und digitale Vernetzung der Quartiersbewohnerinnen und -bewohner, Dienstleister, Institutionen, kommunalpolitisch Zuständigen und weiterer (zivilgesellschaftlicher) Quartiersakteure in vier exemplarisch ausgewählten Wohnquartieren. Dies erfolgt zum einen (vermittelt) über die Quartierskonferenzen, zum anderen durch verschiedene Arbeitsgruppen,
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in denen Wissenschaftlerinnen, Vertreter der lokalen Ökonomie, ältere Bürgerinnen und Bürger unter anderem gemeinsam passende technische Lösungen für eine bessere Vernetzung entwickeln. Sie werden unterstützt durch technische Innovationen (digitale Quartiersplattformen) und entsprechende neue technische und soziale Produkte (Interaktionsmedien, Partizipationskonzepte, intermediäre Unterstützungs- und Dienstleistungsstrukturen etc.). Neben der Anpassung von Medien und Technik an die Bedürfnisse älterer Menschen gilt es daher, Zugänge und Lernmöglichkeiten im Umgang mit Medien und Technik zu schaffen. »Lebenslanges Lernen wird mehr denn je auch im Umgang mit (neuen) Medien zur Maxime für ein gutes und gelingendes Altern. Nicht nur, um mit dem medialen Umweltdruck Schritt zu halten, sondern auch, um Medien als gewinnbringende Ressource für ein gutes Altern nutzen zu können.« (Claßen et al. 2014, S. 141) In diesem Sinne hat auch die im Rahmen der Bestandsaufnahme durchgeführte schriftliche Befragung zu Projektbeginn ergeben, dass drei Viertel der befragten Älteren annehmen, dass sie mithilfe von Technik im Alter länger eigenständig leben können. Und über die Hälfte hat Lust, den Umgang mit modernen Kommunikationsgeräten zu lernen oder zu verbessern. Ebenso viele geben an, dass sie zu diesem Zweck Hilfe von Ehrenamtlichen annehmen würden. Deshalb engagieren sich im QuartiersNETZ-Projekt ältere, technikaffine Personen als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren oder Wissensvermittelnde, als »Technikbotschafterinnen und -botschafter«. Diese neuen »Intermediären« bieten informelle Unterstützung an: persönliche Beratung, Sprechstunden und Informationsveranstaltungen, zum Beispiel zu Smartphones oder Videotelefonie. Die Angebote sind regelmäßig gut besucht. Der Aufbau von Gruppen mit Technikbotschafterinnen und -botschaftern auf Quartiersebene ist sinnvoll, da gerade Personengruppen, die bisher wenig
vernetzt sind, eher »von informellen Angeboten im direkten Wohnumfeld und über das soziale Umfeld wie Familie, Nachbarschaft oder Verein« (ebd., S. 142) erreicht werden können. Ältere, die das Internet nicht nutzen, hält besonders auch der subjektiv eingeschätzte Lernaufwand vom Erlernen dieser Technik ab. Mit zunehmender Nutzungserfahrung wird dieser Aufwand jedoch als geringer eingeschätzt als ursprünglich angenommen (ebd., S. 141). Die älteren Technikbotschafterinnen und -botschafter wirken als Vermittelnde, das heißt, sie zeigen, dass TechnikLernen im Alter möglich ist, Spaß macht und den Alltag bereichern kann. Ziel der Technikbegleitung ist es, dass mehr und mehr Ältere – die dies möchten(!) – die »digitale Kluft« mit passgenauer Unterstützung überwinden lernen, damit sie von den Potenzialen der Informations- und Kommunikationstechnologie profitieren können. Technikbegleitung ist damit ein neues Engagementfeld, das sich ältere, aber auch jüngere technikinteressierte Menschen erschließen lernen, um sich als Lernbegleitende im Quartier einzubringen. AUSBLICK
Partizipativ angelegte Lernprozesse mit einem hohen Grad an Selbst- und Mitbestimmung zielen »auf die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Individuums« (Köster et al. 2008, S. 38). Sie sind nicht nur in formalisierten Kontexten denkbar, sondern auch stärker »zugehend« zu entwickeln – also integriert in den Alltag und Lebensraum der Lernenden. Avancieren Ältere zu Ko-Produzentinnen und Ko-Produzenten der Quartiersentwicklung, entstehen neue Lernformate, die Lernen als Teil der Lebenspraxis und des Engagements für ein Mehr an Lebensqualität im Wohnquartier ausweisen. So gesehen sind Wohnquartiere auch Orte des (gemeinsamen) Lernens – hierzu gehört auch zu lernen, für eigene und kollektive Interessen einzutreten.
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Quartierskonferenz – Ältere sichten die Fotos der Stadtteilbegehung und ordnen sie zu Maßnahmepaketen. DIE AUTORIN UND DER AUTOR:
Janina Stiel war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund und im LiW-Projekt und arbeitet seit 2015 beim Forschungsinstitut Geragogik (FoGera). Dort leitet sie das Teilprojekt »Technikbegleitung« im QuartiersNETZ-Projekt. Prof. Dr. Harald Rüßler lehrt und forscht an der Fachhochschule Dortmund, seit 2002 im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften im Bereich der Sozial- und Politikwissenschaften sowie der Sozialen Gerontologie. Er war Projektleiter des LiW-Projekts und leitet im QuartiersNETZ-Projekt die Teilprojekte »Evaluation« und »Partizipationsmodell«. Außerdem leitet er die Arbeitsgruppe »(Stadt-)Gesellschaften im Wandel«. LITERATUR:
Katrin Claßen / Frank Oswald / Michael Doh / Uwe Kleinemas / Hans-Werner Wahl (2014): Umwelten des Alterns. Wohnen, Mobilität, Technik und Medien. Stuttgart Ulrich Deinet (Hrsg.) (2009): Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden Klaus Holzkamp (1996): Wider den Lehr-Lern-Kurzschluß. Interview zum Thema »Lernen«. In: Rolf Arnold (Hrsg.): Lebendiges Lernen. Baltmannsweiler, S. 29-38 Franz Kolland / Heinrich Klingenberg (2011): Lebenslanges Lernen im späteren Lebensalter. Grundlagen und Begriffsklärungen. In: Andrea Waxenegger (Hrsg.): Lernen und Bildung im späteren Lebensalter. Leitlinien und Prioritäten 20. Graz, S. 17-32
Dietmar Köster (2008): Entwicklungschancen in alternden Gesellschaften durch Bildung: Trends und Perspektiven. In: Heiner Gembris (Hrsg.): Musik im Alter. Soziokulturelle Rahmenbedingungen und individuelle Möglichkeiten. Frankfurt a. M., S. 31-51 Roland Roth (2011): Partizipation. In: Thomas Olk / Birger Hartnuß (Hrsg.): Handbuch Bürgerschaftliches Engagement. Weinheim / Basel, S. 77-88 Harald Rüßler / Dietmar Köster / Janina Stiel / Elisabeth Heite (2015): Lebensqualität im Wohnquartier. Ein Beitrag zur Gestaltung alternder Stadtgesellschaften. Stuttgart Winfried Saup (1993): Alter und Umwelt. Stuttgart Renate Schramek / Elisabeth Bubolz-Lutz (2016): Partizipatives Lernen – ein geragogischer Ansatz. In: Gerhard Naegele et al. (Hrsg.): Teilhabe im Alter gestalten. Aktuelle Themen der Sozialen Gerontologie. Wiesbaden, S. 161-179 WEITERE INFORMATIONEN:
»Lebensqualität Älterer im Wohnquartier« (LiW) www.liw.fh-dortmund.de »Ältere als (Ko-)Produzenten von Quartiersnetzwerken im Ruhrgebiet« (QuartiersNETZ) www.quartiersnetz.de
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SHOWTIME IM SIEGERLAND KULTUR-MOMENTE FÜR MENSCHEN MIT DEMENZ IM KREIS SIEGEN-WITTGENSTEIN Von Charlotte Boes
Im Jahr 2016 hat das Thema kulturelle Teilhabe von Menschen mit und ohne kognitive/n Einschränkungen im Siegerland Fahrt aufgenommen. Nicht nur die drei Museen im Kreis Siegen-Wittgenstein bereichern mit ihren Teilhabe-Angeboten das Programm, sondern auch die Veranstaltungen im Jahresrhythmus. Neben Gottesdiensten, Ausflugsangeboten und Konzerten war im Herbst 2016 die Varietéveranstaltung im Kulturhaus Lÿz in Siegen ein Highlight, weiß Charlotte Boes vom Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen zu berichten. »Herr S. kam zu uns ins Museum und guckte unruhig herum. Er sprach kein Wort. Während der Begrüßung stand er immer wieder auf. Ich ging mit ihm in die Maschinenhalle. Da merkte ich schon, wie sich sein Blick veränderte. Er wirkte ruhiger. Und als ich die Maschinen anmachte, fing er an zu erzählen. Er zeigte auf Teile der Maschine und schien ganz versunken. ›Er war so zufrieden wie schon lange nicht mehr‹, hat mir seine Ehefrau hinterher erzählt.« Davon berichtet Manfred Leh vom Technikmuseum Freudenberg, wo seit März 2016 einmal im Monat »Museums-Momente« für Menschen mit Demenz angeboten werden. (Kulturelle) Teilhabe wird im Kreis SiegenWittgenstein schon seit 2012 großgeschrieben. Seitdem schwingen Menschen mit und ohne Demenz in der Tanzschule Im Takt in NetphenDreis-Tiefenbach im Rahmen der bundesweiten Initiative »Wir tanzen wieder!« gemeinsam das Tanzbein. 2014 entstanden dann die »MuseumsMomente«. Das Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen im Caritasverband Siegen-Wittgenstein e. V. hat das Projekt mit verschiedenen Partnern initiiert. Um das Angebot im ländlich geprägten Siegerland nachhaltig zu etablieren, sind die Initiatorinnen einen etwas anderen Weg gegangen als in anderen Regionen.
KULTURELLE TEILHABE DANK STARKER PARTNER
Von Beginn des Projekts an wurden neben dem volkskundlichen Museum Wilnsdorf auch regionale Partner der Altenhilfe eingebunden. Dabei war die Mischung das Entscheidende: Sowohl Einrichtungen der stationären, teilstationären und der häuslichen Versorgung haben an der gesamten Konzeption und Umsetzung der »MuseumsMomente« für Menschen mit Demenz mitgewirkt. Dadurch entstand von Anfang an ein hoher Identifikationsgrad aller Beteiligten mit dem gemeinsamen Projekt. Für die Auftaktveranstaltung im Februar 2014 im Wilnsdorfer Museum konnte die Bürgermeisterin der Gemeinde Christa Schuppler als Schirmherrin gewonnen werden. KULTUR FÜR DEN DIALOG
Die monatlichen Führungen nahmen die Siegerländerinnen und Siegerländer seit dem ersten »Museums-Moment« gut an. Die von den Kooperationspartnern geschulten Museumsführerinnen und -führer sammelten entsprechend schnell Erfahrungen in der Praxis. Belohnt wurde diese Arbeit nicht zuletzt mit einem 2. Platz beim »Zukunftspreis Siegen-Wittgenstein«.
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»Museums-Momente« im Museum für Gegenwartskunst in Siegen
Der Erfolg der »Museums-Momente« sprach sich nicht nur im Kreis Siegen-Wittgenstein herum. Auch überregionale Anfragen erreichten das Museum. So war es keine Frage, das Angebot auch auf andere Museen zu erweitern. Im Jahr 2015 konnten mit dem Museum für Gegenwartskunst in Siegen und dem Technikmuseum Freudenberg zwei etablierte Museen im Kreis als weitere Partner hinzugewonnen werden. Das bewährte Konzept – basierend auf der Kooperation unterschiedlich motivierter Partner vor Ort, demenzspezifischen Schulungen, der Schirmherrschaft einer Bürgermeisterin bzw. eines Bürgermeisters, der weitreichenden Öffentlichkeitsarbeit und einer gelungenen Auftaktveranstaltung – hat auch in diesen Museen seit 2016 regelmäßige monatliche Führungen für Menschen mit Demenz etabliert. »Die Veranstaltungen sind immer ein Gewinn und eine Freude für mich!«, so die Museumspädagogin Kirsten Schwarz, die die Führungen im Museum für Gegenwartskunst verantwortet.
Dass letztlich alle etwas davon haben und es keine Einbahnstraße ist, von der »nur« Menschen mit Demenz profitieren, zeigen die »MuseumsMomente« nachhaltig. »Diese Projekte tragen mehr zur Enttabuisierung bei als jeder Vortrag und jede Fachtagung. Hier kommt es zur Begegnung zwischen Menschen und man merkt, dass man keine Angst voreinander haben muss«, meint Birgitt Braun vom Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen. MUT FÜR AUSSERGEWÖHNLICHES
Der Erfolg der »Museums-Momente« ermutigte das Demenz-Servicezentrum, ein bislang von Menschen mit kognitiven Einschränkungen wenig frequentiertes Kulturangebot zu entwickeln: eine Varietéveranstaltung im Kulturhaus Lÿz in den späten Nachmittagsstunden. Auch hier sind neben den Kulturschaffenden des Kulturhauses von Beginn an weitere Kooperationspartner in
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die Planung eingebunden. Die einstündige Varietéveranstaltung ist als Vorpremiere zum Auftakt des etablierten Programms »LÿzMixVarieté« konzipiert und wird für Menschen mit und ohne kognitive/n Einschränkungen angeboten. Die doppelte Premiere im Oktober 2016 war schnell ausverkauft, und es hätten nach den Anfragen zu urteilen noch zahlreiche Veranstaltungen mehr sein können. Nach diesem Erfolg war allen Beteiligten klar, dass dieses Angebot verstetigt werden muss. Angedacht ist, jedes Jahr im Rahmen einer Vor-premiere ein solches Format anzubieten. Zu dieser Veranstaltung wurde ein kostenloser Fahrdienst für Teilnehmende ins Lÿz angeboten. Ein aus Sicht der Initiatorinnen wesentlicher Bestandteil für die niedrigschwellige Teilhabe an Kultur im eher ländlichen Raum. DAS ALLES UND NOCH VIEL MEHR ...
Die kulturelle Teilhabe im ländlich geprägten Siegerland ist keine Ausnahme mehr, sondern wird mehr und mehr zur Normalität: Neben den beschriebenen Projekten werden auch Ausflüge in die Region angeboten. 2016 fand außerdem erstmals ein Kammerkonzert des WDR Sinfonieorchesters in Kooperation mit dementia+art, der Kölner Initiative für kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz, und dem Förderverein des Tagespflegehauses Eremitage in Wilnsdorf statt.
»Wir sind auf dem richtigen Weg«, ist das Fazit aller beteiligten Akteurinnen und Akteure. Die Angebote werden von einem breiten Publikum angenommen, in hohem Maße auch von Menschen mit kognitiver Einschränkung, die im häuslichen Umfeld leben. Der Erfolg liegt in der guten Kooperation mit den motivierten Partnern unterschiedlichster Couleur vor Ort. Und der Weg ist noch nicht zu Ende. Neben der Verstetigung der vorhandenen Angebote sollen in diesem Jahr »Stadtspaziergänge« in Siegen entwickelt werden. In Freudenberg gibt es Überlegungen, die »Museums-Momente« auf ein zweites Museum auszuweiten und mit Stadtspaziergängen zu verbinden. Es geht also weiter im Siegerland mit gelebter Teilhabe von Menschen mit und ohne kognitive Einschränkungen. DIE AUTORIN:
Charlotte Boes, Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin, MScN arbeitet für das Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen im Caritasverband SiegenWittgenstein e. V. mit den Schwerpunkten personenzentrierter Ansatz, Dementia Care Mapping (DCM), kulturelle Teilhabe und Angebote zur Unterstützung im Alltag. WEITERE INFORMATIONEN:
www.demenz-service-suedwestfalen.de
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WOHNEN FÜR ANFÄNGERINNEN VÖLLIG VERSPIELT IN DEN ALLTAG EINES WOHNPROJEKTS Von Imke Nagel
Wie will ich im Alter wohnen und leben? Und wie könnte dies konkret aussehen? Als Antwort brachte das achtköpfige Ensemble Völlig verspielt unter Leitung von Theaterpädagogin Maria Schneider ein Stück zum Alltag in einem Wohnprojekt auf die Bühne. Gegründet hat sich die Gruppe im Rahmen des vom Evangelischen Bildungswerk Nordrhein und der Melanchthon-Akademie in Köln initiierten Bildungsangebots »Wohnschule Köln«. kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel besuchte die Aufführung »Wohnen für Anfängerinnen« des Wohnschul-Ensembles, die im Wohnprojekt Beginenhof e. V. in Köln-Widdersdorf bereits zum dritten Mal auf die Bühne gebracht wurde. Die »Wohnschule Köln« wurde 2013 vom Evangelischen Bildungswerk Nordrhein (eeb) in Düsseldorf und der Melanchthon-Akademie in Köln ins Leben gerufen und in enger Zusammenarbeit mit Workshop- und Seminarteilnehmenden weiterentwickelt. Unter Leitung der Mitinitiatorin Karin Nell, Referentin für Erwachsenenbildung und Kulturarbeit im Evangelischen Zentrum für Quartiersentwicklung beim eeb, und dem Mitinitiator Joachim Ziefle, stellvertretender Akademieleiter der Melanchthon-Akademie, lädt die »Wohnschule« dazu ein, sich in Gesprächsrunden, Workshops, Exkursionen und Beratungen mit eigenen Wünschen und Vorstellungen rund um das Wohnen zu beschäftigen. Damit bietet sie Orientierung und Weiterentwicklung in der Auseinandersetzung mit alternativen Wohnformen. Die Theaterpädagogin Maria Schneider besuchte die »Wohnschule Köln« anfangs selbst als Teilnehmerin. Im Rahmen eines Workshops und einer EFI-Schulung (Erfahrungswissen für Initiativen) entwickelte sie 2016 die Idee eines Theaterangebots innerhalb der »Wohnschule«. WOHNPROJEKT AUF DER BÜHNE
In einer einstündigen Alltagsrevue zeigen die ausschließlich weiblichen Spielerinnen des achtköpfi-
gen Wohnschul-Ensembles Szenen, denen eigene Erfahrungen, Überlegungen, Ängste und Wünsche rund um das Leben in einem Wohnprojekt zugrunde liegen. Zwei Darstellerinnen philosophieren beim gemeinsamen Bier. »Vielleicht könnte ich nach Neuseeland fahren«, überlegt eine der beiden. »Du könntest auch einfach hierbleiben«, so die andere. »Hierbleiben« bedeutet – so zeigen die Darstellerinnen zwischen 65 und 73 Jahren – sich dem Alltag des gemeinsamen Wohnprojekts mit all seinen Chancen und Herausforderungen zu stellen. Das Leben unter einem Dach macht Frauen und Männer mit dem gemeinsamen Wunsch, nicht allein alt zu werden, einander zu Verbündeten. So lernen sich die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner mit allen Schwächen und Stärken kennen. Das erfordert einen guten Umgang mit Konflikten, eigenen Grenzen und denen der anderen. KULTUR DES MITEINANDERS
Soll der Gemeinschaftsraum mit Sofa, und wenn ja, mit wessen Sofa, oder ganz ohne Sofa eingerichtet werden? Schnell wird deutlich, dass in dem präsentierten Wohnprojekt Frauen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Ideen aufeinandertreffen. Das gemeinsame Wohnen verlangt
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viel Kommunikation, viel »Miteinander-reden«. Ideen müssen abgestimmt, Kompromisse gefunden werden. Das ist mitunter schwierig angesichts der vollen Terminkalender, wie die Protagonistinnen auf der Bühne anschaulich zeigen. Ob es um den geplanten Besuch in der Massagepraxis, das ehrenamtliche Tanzen mit Kindern, um die eigenen Enkelkinder oder um den wöchentlichen Chortermin geht, es ist schwer, einen Termin für einen Abend mit allen zu finden. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Wohnkultur kommen die Spielerinnen auf der Bühne auch aufgrund ihrer Verschiedenheit bisweilen an ihre Grenzen, etwa wenn eine fest davon überzeugt ist, dass man demonstrieren und sich politisch engagieren sollte, eine andere aber lieber bei einer Tasse Tee einen Kompromiss sucht. Und dennoch zeigt das Ensemble Völlig verspielt mit seinem Stück, dass ein Wohnprojekt mit allen ihm innewohnenden Unwägbarkeiten auch zu einer Kultur des Miteinanders führen kann. Das Projekt des Füreinander-da-Seins gelingt, wenn bei abendlichen Gesprächen in der Küche oder gemeinsamem Feiern die Verbundenheit gepflegt wird. GESPIEGELTE ERFAHRUNGEN
Die Spielerinnen reflektieren in dem Theaterstück zudem den Anspruch, offen für Neues zu bleiben. Denn ohne Interesse an Neuem sei man alt, so ihr Konsens. Dass die Mitwirkenden ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Neuem nicht verlieren, beweist die gelungene theatrale Beschäftigung des Ensembles mit der alternativen Wohnform. Die Aufführung im Beginenhof, einem generationsübergreifenden Wohnprojekt von Frauen für Frauen des Vereins Beginen Köln e. V., erntete viel Beifall bei den Zuschauerinnen. Viele von ihnen – selbst Bewohnerinnen des dort angesiedelten Projekts – sahen eigene Erfahrungen auf der Bühne des Gemeinschaftsraums gespiegelt.
Der vereinseigene Raum beherbergt verschiedene Kulturangebote, die insbesondere Frauen aus dem Wohnprojekt im Beginenhof planen und begleiten. Angebote wie die Treffen zu Themengesprächen am Frühstückstisch oder das selbst organisierte Flüchtlingscafé ermöglichen eine Öffnung in das Wohnviertel und eine Belebung desselben. Die intensive Auseinandersetzung mit den zwischenmenschlichen Herausforderungen, die das gemeinsame Wohnen in einer großen Gruppe mit sich bringt, haben es Ensemble-Leiterin Maria Schneider erleichtert, eine gereifte Entscheidung in Bezug auf ihre eigene Wohnsituation zu treffen: In Kürze wird sie aus ihrer Wohnung im Stadtzentrum aus- und in ein Wohnprojekt am Stadtrand einziehen. Die Theaterpädagogin wird von dort weiterhin in das Stadtzentrum fahren, nicht nur um Kontakte zu pflegen und ihr Lieblingscafé zu besuchen: Sie wird den Weg auch gern antreten, um mit dem Ensemble Völlig verspielt neue Rollen zu erproben. in WEITERE INFORMATIONEN:
www.melanchthon-akademie.de > Programm > Engagement fördern
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VOR DER HAUSTÜR DES MUSEUMS DIE ARTGENOSSEN DES LEHMBRUCK MUSEUMS BEGEGNEN DER »SZENE« IM DUISBURGER KANTPARK Von Annette Ziegert
An der Schnittstelle von Engagement, Bildung und Partizipation besteht für Ältere an Museen viel Handlungspotenzial. Wie Beteiligung von älteren Menschen im Museum konkret aussehen kann, zeigt das Projekt der Artgenossen im Duisburger Lehmbruck Museum mit der »Szene« des benachbarten Kantparks, das durch den Förderfonds Kultur & Alter unterstützt wird. Erhard benutzt das Wort »Szene« nicht. Er selbst bezeichnet sich als Außenseiter, der sich kaum wahrgenommen fühlt und allgemein wenig Interesse an seiner Person verspürt. Umso mehr habe ihn der Handzettel mit der Einladung der Artgenossen überrascht, ins Lehmbruck Museum zu kommen. So ganz genau wisse er noch nicht, was man da eigentlich von ihm wolle. Was es dem Museum bringe, wenn er dort hinkommt. Er traue dem Ganzen noch nicht so richtig. »Werde ich aber noch rausfinden!« GLEICHWERTIGKEIT IN GESPRÄCHEN
Gemeinsam mit acht anderen Frauen und Männern nimmt Erhard heute Morgen an den Museumsaktivitäten der Artgenossen teil, einer Gruppe von ca. 15 Älteren, die sich einmal pro Monat im Lehmbruck Museum trifft. Jeden zweiten Monat laden sie Frauen und Männer aus der »Szene« zu ihrer Runde ein. Sie sprechen miteinander über die dauerhaft ausgestellten Werke im Museum und die Skulpturen im Park, sehen sich die Wechselausstellungen an, besuchen Künstlerateliers oder laden Künstlerinnen und Künstler ins Museum ein, um mit ihnen bildnerisch-kreativ aktiv zu werden. Den Abschluss jedes Treffens bildet ein gemeinsamer Imbiss mit Kaffee und Brötchen.
Heute stehen drei Werke von Tinguely, Kounellis und Hanson der neu konzipierten Dauerausstellung auf dem Programm. Anfangs ist die Beteiligung am Gespräch über die Kunstwerke noch zögerlich, aber nach und nach nimmt die Diskussion Fahrt auf. Bei Jannis Kounellis’ Werk »Untitled (Zwei Fenster)«, einer Wandinstallation aus alten Brettern, Fenstern und Fundstücken, beteiligen sich die meisten. Das Gesehene wird mit eigenen Erfahrungen verknüpft. Die Teilnehmenden hören einander interessiert zu, kommen durch den dialogischen Vermittlungsansatz indirekt über das Kunstwerk miteinander ins Gespräch. ES BEGANN MIT BLIND DATES
Ihren Ursprung haben die Artgenossen im intergenerationellen Ausstellungsprojekt »Hey, Alter ...!«, das von Dezember 2012 bis März 2013 im Lehmbruck Museum stattfand. In dessen Rahmen gab es verschiedene intergenerationelle Vermittlungsangebote, darunter die »Blind-Date-Führungen«: arrangierte Begegnungen, bei denen sich Schülerinnen und Schüler und Ältere, die einander vorher nicht kannten, zu gemeinsamen Kunstgesprächen im Museum trafen. Moderiert wurden die Kunstgespräche bereits damals von interessierten älteren Museumsbesucherinnen und -besuchern. Als Folgeprojekt wurde der »Generation Guide« produziert, ein Audioguide, der 14 Schlüsselwerke des
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Lehmbruck Museums in Form von Gesprächen älterer mit jüngeren Teilnehmenden vorstellt. Aus beiden Projekten hat sich eine Gruppe Älterer gefunden, die Lust hatte, sich dauerhaft im Museum zu engagieren, selbst Museumsaktivitäten zu gestalten und sich dafür immer wieder neue Gesprächspartnerinnen und -partner zu suchen. ENGAGEMENT HAND IN HAND
Koordiniert werden die Artgenossen von der Kunstvermittlerin Friederike Winkler, einer freien Mitarbeiterin des Lehmbruck Museums, die mit ihnen auch die Treffen mit der »Szene« plant und vorbereitet. Geht es um die Treffen, übernehmen die Artgenossen selbst die Führung: Sie produzieren Handzettel, sprechen die »Szene« persönlich auf der Straße an, bereiten den Imbiss vor, moderieren die Gespräche zu den Kunstwerken. »Dadurch, dass wir selbst Kunstwerke vorstellen und uns entsprechend vorbereiten müssen, lernen wir das Museum natürlich auch noch mal viel intensiver kennen«, so einer der Artgenossen. Unterstützt wird die Gruppe bei der Kontaktaufnahme zur »Szene« auch von Vertrauenspersonen, wie von dem Kontakt- und Bezirkspolizisten Michael Werzinger, der für den Bezirk rund um das Duisburger Lehmbruck Museum zuständig ist. Er kennt die Gewohnheiten der »Szene«, ihre Orte, ebenso wie Nadine Bolte von der Aids-Hilfe und der Vertreter einer Selbsthilfegruppe. Dass diese Vertrauenspersonen enorm hilfreich sind, war eine der Erfahrungen, die die Artgenossen im Laufe ihres Anfang 2016 gestarteten Projekts gemacht haben. »Es gab eine Menge Dinge, die wir vorher nicht wussten«, so eine Artgenossin. DIE SITUATION IM DUISBURGER KANTPARK
Wie sie darauf gekommen seien, ein Projekt mit der »Szene« zu starten, ist eine der Fragen, die ich den Artgenossen bei meinem Besuch im Lehmbruck Museum stellen möchte. Die Frage hat sich
so gut wie erübrigt, als ich vom Bahnhof durch den Kantpark auf das Museum zulaufe und sehe, wie präsent die »Szene« hier ist. Der Park, in dem das Museum liegt, wird nicht nur als Treffpunkt und Aufenthaltsort genutzt, sondern dient auch als Umkleide, Schlafort und Toilette. Und so war das Projekt der Artgenossen zu Beginn auch keineswegs erwartungsfrei. Wer das Museum und die Skulpturen im Kantpark kennen und schätzen lerne, würde vielleicht auch anders mit dem Museumsumfeld umgehen. MUSEUM ALS LERN- UND BEGEGNUNGSORT
»Wir lernen durch das Projekt alle enorm viel«, sagt Sybille Kastner, Co-Leiterin der Kunstvermittlung am Lehmbruck, die sich als »Kontaktperson, Scharnier und Lobbyistin« von Museumsseite aus empfindet. Sie meint damit auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums – und berührt die Frage, wer in einem Museum eigentlich wen was lehrt oder lernt, von wem gelernt werden könnte und wie viel Mitgestaltung Museen bislang zulassen. Nach gut einem Jahr Projektzeit steht fest: Das ursprüngliche Ziel hat sich nicht erfüllt, die Situation im Park ist unverändert. Dafür aber sind Begegnungen zwischen Duisburgerinnen und Duisburgern entstanden, die es ohne das Museumsprojekt wahrscheinlich nicht geben würde. Auch Erhard will wiederkommen: »Mir hat gefallen, wer was zu dem Kunstwerk von Kounellis gesagt hat«, sagt Erhard. »Da war egal, ob das einer von uns war oder einer von den Artgenossen«. Auf der Rückfahrt im Zug nach Köln geht mir das Wort »Dominoeffekt« durch den Kopf, und dass ich Erhard gern gefragt hätte, für welche Duisburgerinnen und Duisburger er selbst ein Kunstgespräch im Museum vorbereiten würde. az WEITERE INFORMATIONEN:
Die Artgenossen im Lehmbruck Museum www.lehmbruckmuseum.de > Kunstvermittlung > Generationen im Dialog
DAS LETZTE HEMD AFRA BANACHS BESTATTUNGSWÄSCHE
LIEBLINGSSTÜCK
»Wie man sich bettet, so liegt man« – so heißt es nicht nur bei Bertolt Brecht. Für die Stilbewussten, die diese These ernst nehmen, kann die eigene Bestattung schon mal zum Leidwesen werden: Was soll ich nur anziehen? Die Modedesignerin Afra Banach aus Dortmund hat darauf die richtige Antwort. Für das »Abschiednehmen. Persönlich, würdevoll, zart« hat sie eine eigene Kollektion moderner Talare entworfen, in denen man sich durchaus sehen lassen kann. Zur Auswahl stehen etwa der Talar »Eternity« mit blauen Sternen, das Modell »Silence«, ein weißer Talar mit abgesetzter schwarzer Borte, oder »Love« in Rosa mit dunkelroten Rosenapplikationen. Wer mag, kann sein Totenhemd aber auch individuell gestalten lassen: mit aufgestickten Lieblingsblumen, Netzen aus bunten Wollfäden oder einem aufgedruckten Vers. Dazu gibt es die passenden Accessoires sowie Sargwäsche – alles aus ökologisch abbaubarem Naturmaterial, versteht sich. Zu der diplomierten Grafik-Designerin Afra Banach, Jg. 69, kommen vor allem Menschen ab 50 Jahren, die auf ihr eigenes Begräbnis gut vorbereitet sein wollen. Eine Einzelanfertigung kostet zwischen 150 und 300 Euro, ein Totenhemd aus der Kollektion ist etwa für 80 bis 100 Euro zu haben. Aber was soll’s: Man stirbt ja schließlich nur einmal. Dafür kann man notfalls auch sein letztes Hemd geben. hb WEITERE INFORMATIONEN:
www.leichenhemd.com
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ATELIER
NETZWERKE QUARTIER UND LÄNDLICHER RAUM ALTENGERECHTE QUARTIERE.NRW
ZWAR-NETZWERKE NRW
Die Lebensqualität im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit hängt entscheidend davon ab, ob Menschen ihre Lebensentwürfe selbst bestimmen können. Dazu sind entsprechende Strukturen notwendig. Der »Masterplan altengerechte Quartiere.NRW« des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW bietet den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Informationen, Unterstützung und Anregungen zur Gestaltung altengerechter Quartiere. Koordiniert wird der Masterplan vom Landesbüro altengerechte Quartiere.NRW. Auf seiner Internetseite stellt das Landesbüro einen Modulbaukasten sowie eine Projektlandkarte zur Verfügung. Unter dem Titel »Kultur im Quartier« sind quartiersbezogene kulturelle und künstlerische Aktivitäten für und von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie unter »Quartier gestalten« vielfältige Fördermöglichkeiten für Projekte zu finden.
Die ZWAR (Zwischen Arbeit und Ruhestand) Zentralstelle NRW unterstützt Kommunen darin, eine Infrastruktur für Netzwerke im Stadtteil aufzubauen. Ziel ist es, älteren Menschen die Teilhabe, Mitgestaltung und bürgerschaftliches Engagement zu ermöglichen. In den Netzwerkgruppen treffen sich Menschen ab 55 Jahren, um gemeinsam und in Eigenregie ihre Freizeit nach ihren Wünschen zu gestalten, zum Beispiel organisieren sie Besuche von Theater oder Kino, sportliche Aktivitäten oder Gruppenreisen. Viele ZWAR-Teilnehmende verbessern die Lebensqualität in ihrem Wohnumfeld durch ihr eigenes Engagement, etwa durch Nachbarschaftshilfe, Vorlesen in der Schule, die Unterstützung von Menschen mit Behinderung oder die Organisation von Stadtteilfesten. Durch die Zusammenarbeit in einem der über 200 Netzwerke in NRW gestalten sie den demografischen Wandel aktiv mit. Eine Studie des Centrums für Alternsstudien der Universität zu Köln aus dem Jahr 2016 bestätigt die Wirksamkeit des Netzwerkkonzepts und bescheinigt ZWAR seine Wirksamkeit als Instrument der kommunalen Quartiersentwicklung.
WEITERE INFORMATIONEN:
www.aq-nrw.de TRAFO – MODELLE FÜR KULTUR IM WANDEL
Zahlreiche ländliche Regionen Deutschlands leiden unter der Abwanderung oder an der Überalterung der Bevölkerung und, damit verbunden, an sinkenden Einnahmen ihrer Gemeinden. Als freiwillige Aufgabe der Daseinsvorsorge stehen gerade öffentlich geförderte Kunst- und Kultureinrichtungen zur Disposition. Betroffen sind sowohl Theater von Klein- und Mittelstädten wie auch Regional- und Heimatmuseen, Stadtbüchereien, Musikschulen und Volkshochschulen. Vor diesem Hintergrund hat die Kulturstiftung des Bundes das Programm »TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel« ins Leben gerufen. Von 2016 bis 2020 unterstützt TRAFO Kultureinrichtungen in vier Modellregionen mit bis zu 13,5 Millionen Euro: im Oderbruch, in Südniedersachsen, in der Saarpfalz und auf der Schwäbischen Alb. Dort werden Transformationsprojekte ausgewählter Kultureinrichtungen gefördert, die mit partizipativen, kooperativen und identitätsstiftenden Ansätzen Beispiele dafür geben, wie kleine Einrichtungen in ländlichen Räumen zu zeitgemäßen, anregenden Kultur- und Lernorten werden.
WEITERE INFORMATIONEN:
ZWAR Zentralstelle – www.zwar.org ZWAR-Wirksamkeitsstudie der Universität zu Köln – http://kups.ub.uni-koeln.de/6715 KEYWORK – SOZIALE PLASTIK IM QUARTIER E. V.
WEITERE INFORMATIONEN:
Der gemeinnützige Verein Keywork e. V. – Soziale Plastik im Quartier wurde 2013 in Düsseldorf gegründet. Er ist im Atelier der Kunstschule Werksetzen beheimatet. Der Grundgedanke besteht darin, dass alle Stadtteilbewohnerinnen und -bewohner für die Gestaltung des sozialen, kulturellen und politischen Lebens im Quartier verantwortlich sind. Zentrales Anliegen des Vereins ist es, den Keywork-Ansatz kontinuierlich weiterzuentwickeln, das Konzept auf andere Quartiere auszuweiten sowie ein überregionales Keywork-Netzwerk aufzubauen. Arbeits- und Entwicklungsschwerpunkte von Keywork e. V. sind unter anderem: Kunst und Schule, Theater sowie Performances und Quartiersaktionen, Kunst und Demenz, neues Freiwilligen-Engagement sowie Stadtund Quartiersentwicklung.
www.trafo-programm.de
WEITERE INFORMATIONEN:
www.keywork.info
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NEBENAN.DE AUSTAUSCH IN DER NACHBARSCHAFT
»Entdecke deine Nachbarschaft!« – so das Motto von nebenan.de, der Plattform für den verbesserten und vereinfachten Dialog innerhalb der Nachbarschaft. Egal, ob jung oder alt, zugezogen oder alteingesessen – nebenan.de steht allen offen, die Freude an einer lebendigen und sich unterstützenden Nachbarschaft haben. nebenan.de will einen Beitrag zu den gesellschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit leisten, denn gerade die unmittelbare Nachbarschaft kann dafür sorgen, Herausforderungen – etwa dem demografischen Wandel, der Anonymisierung der Gesellschaft, dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und der Gewährleistung von Sicherheit im Quartier – zu begegnen. WEITERE INFORMATIONEN:
www.nebenan.de
FORTBILDUNGEN ZUR QUARTIERSARBEIT MARKT DER IDEEN – QUARTIERSAKADEMIE NRW
Die Quartiersakademie NRW qualifiziert seit 2016 zivilgesellschaftlich engagierte Menschen, Vetreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung für ihre Arbeit im Quartier. Die vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr angestoßene und geförderte Quartiersakademie spannt die Fäden für das zukünftige Netzwerk für bürgerliches Engagement im Ruhrgebiet: Die Veranstaltungsreihe unterstützt als eine Art Markt der Ideen und Initiativen den Praxisaustausch zu bereits erfolgreich durchgeführten Quartiersprojekten. In Tandems und Trias diskutieren engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Quartiersinitiativen mit Fachvertreterinnen und -vertretern über zukunftsweisende Themen. WEITERE INFORMATIONEN:
www.quartiersakademie.nrw.de QUALIFIZIERT FÜRS QUARTIER – DIENSTLEISTUNGS- UND NETZWERKMANAGEMENT EVANGELISCHES JOHANNESWERK IN BIELEFELD
Dienstleistungen privater Anbieter für das Quartier ergänzen ambulante und stationäre Angebote und stärken moderne Wohn- und Lebensformen. Im Mittelpunkt der Fortbildung für Führungskräfte, Projektentwicklerinnen sowie Berater steht die Konzeptentwicklung eines Dienstleistungsnetzwerks, in dem Pflege, Assistenz und Betreuung in der gemeinsamen Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger liegen. »Qualifziert fürs Quartier« vermittelt grundlegende Kenntnisse und
Handlungswissen zum Aufbau lokaler Netzwerke und Kooperationen, zu Methoden der Sozialraumorientierung, zur Dienstleistungsentwicklung, zu Methoden der Bürgerbeteiligung, zum Aufbau eines Welfare Mix sowie zum inklusiven Sozialraum. WEITERE INFORMATIONEN:
www.johanneswerk.de/de/einrichtungen/qualifiziertfuers-quartier INNOVATIVE KONZEPTE DER QUARTIERSENTWICKLUNG EVANGELISCHES ERWACHSENENBILDUNGSWERK NORDRHEIN IN DÜSSELDORF
In der Fortbildung »Innovative Konzepte der Quartiersentwicklung – Haltungen, Strategien, Methoden und Instrumente der Quartiersentwicklung – generationengerecht, inklusiv, solidarisch« geht es um die aktive gemeinschaftliche Gestaltung neuer sozialer Strukturen, aufbauend auf den Prinzipien sozialraumorientierten Arbeitens. Dabei wird das Konzept einer Caring Community, einer neuen Nachbarschafts- und Sorgekultur mit echten Teilhabe- und Teilgabe-Chancen, zugrunde gelegt. Die Fortbildung vermittelt Strategien und handhabbare Methoden zur Umsetzung des Konzepts im beruflichen und privaten Umfeld. WEITERE INFORMATIONEN:
www.eeb-nordrhein.de > Programm WIE WOLLEN WIR WOHNEN? WORKSHOP FÜR JUNG UND ALT
SK Stiftung Kultur Köln 3. bis 7. Juli 2017 // Max-Ernst-Gesamtschule, Köln Wie soll mein Lebensraum aussehen? Was ist mir wichtig? Reicht mir ein Dach über dem Kopf oder muss es ein eigener Raum für mich sein? Muss ich mich entscheiden, ob ich in einer kleinen Wohnung in der Stadt oder in einem Haus mit Garten auf dem Land wohnen möchte? Sind Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäuser eine Option? Im Generationendialog setzen sich die Teilnehmenden des Workshops für zwei Generationen mit unterschiedlichen und gemeinsamen Vorstellungen und Erfahrungen auseinander und blicken sowohl zurück als auch nach vorn. Ausgewählte Kunstwerke dienen als Diskussionsanstoß. In Tandems erarbeiten die Teilnehmenden Gedanken, Positionen, Texte und Fotografien und veröffentlichen sie im Generationenblog. WEITERE INFORMATIONEN:
SK Stiftung Kultur – www.sk-kultur.de/medienkunst Generationenblog – www.generationenblog.de
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VERANSTALTUNGEN THE CULTURE HEALTH & WELLBEING INTERNATIONAL CONFERENCE 2017
19. bis 21. Juni 2017 // City Hall, College Green, Bristol, BS1 5TR Auf der internationalen Konferenz diskutieren Expertinnen und Experten die Rolle von Kunst und Kreativität für Gesundheit, Pflege und Wohlbefinden im Lebenszyklus. Die Tagung möchte durch die Interdisziplinarität das gemeinsame Lernen und den Dialog zwischen Forschenden, politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen sowie Fachkräften anregen und Impulse aus Praxis, Politik und Forschung sammeln. WEITERE INFORMATIONEN:
www.culturehealthwellbeing.org.uk IMMER WEITER MIT DER BILDUNG – MEDIALE LERNKULTUREN IM HÖHEREN ERWACHSENENALTER 7. JAHRESTAGUNG VON GESELLSCHAFT – ALTERN – MEDIEN E. V.
23. bis 24. Juni 2017 // Volkshochschule Leipzig Lebenslanges Lernen avanciert zunehmend zu einer politischen Forderung. Konjunktur haben nicht nur Begriffe wie »Selbstbestimmung«, »Selbstständigkeit« und »Selbstverwirklichung«. Auch das Potenzial der wissens- und erfahrungsbasierten Mitwirkung Älterer für den Zuwachs bzw. Erhalt von Produktivität wird hervorgehoben. Medien spielen bei all dem eine zentrale unterstützende wie impulsgebende Rolle. Neben Weiterbildungsmaßnahmen zur expliziten Förderung der Medienkompetenz für eine aktive gesellschaftliche Teilhabe nutzen viele Angebote den Einsatz digitaler Medien zur Unterstützung von Bildungsprozessen im Alter. Für den Verein Gesellschaft – Altern – Medien (GAM) e. V. sind mediale Lernkulturen mit Blick auf formelle wie informelle Bildungsprozesse Erwachsener höheren Alters von zentralem Interesse und daher thematischer Fokus der Jahrestagung 2017 in Leipzig. WEITERE INFORMATIONEN:
www.gesellschaft-altern-medien.de > Veranstaltungen DEUTSCHER GENERATIONENFILMPREIS 2017 PREISVERLEIHUNG AUF DEM BUNDES.FESTIVAL.FILM
23. bis 25. Juni 2017 // Mainzer Kammerspiele Der deutsche Generationenfilmpreis zeigt »ungewöhnliche Geschichten, bewegende Erlebnisse, Alltagsbeobachtungen, mutige Statements – und verrückte Ideen.« Er präsentiert, welches Bild junge Menschen vom Alter haben und was ältere Menschen interessiert. Gefragt waren auch im Jahr 2017 wieder Spielfilme, Dokumen-
tationen oder auch Videoclips von Filmschaffenden der Altersgruppen bis 25 und ab 50 Jahren zu allen Themen sowie zum Jahresthema »Mensch – Maschine – Megabyte«. Die diesjährige Ausschreibung endet wieder mit dem Bundes.Festival.Film in Mainz, bei dem das Bundesfamilienministerium die besten Filme aus den Top 50 mit insgesamt 7.000 Euro auszeichnet. WEITERE INFORMATIONEN:
www.deutscher-generationenfilmpreis.de ELIXIR FESTIVAL INTERNATIONALES FESTIVAL ZU TANZ UND ALTER
23. bis 27. Juni 2017 // Sadler’s Wells Theatre, Rosebery Avenue, London Zum 2. Mal findet im Juni das Elixir Festival statt, das die Kreativität im Alter und das Lebenswerk von Tänzerinnen und Tänzern feiert, die die Kunstrichtung verändert haben und weiterhin beeinflussen. Neben dem Haupt-Bühnenprogramm »KnowBody II« bietet das Festival Seminare, Workshops und drei KurzprogrammSerien. Die Auswahl soll eine Vielfalt von Tanzstilen und -ansätzen regional und international zeigen. Die fünfbis achtminütigen Stücke stammen entweder von einem Choreografen oder einer Choreografin über 60 Jahre oder werden von Tänzerinnen und Tänzern aufgeführt, die älter als 60 Jahre alt sind. WEITERE INFORMATIONEN:
www.sadlerswells.com > Learning > Take Part > Elixir Festival 2017 LEBENSMUTIG ZERTIFIKATSLEHRGANG BIOGRAFIEARBEIT
September 2017 bis März 2018 // Kloster Steinfeld, Eifel Biografiearbeit stellt den Menschen und sein Erleben in den Mittelpunkt. Sie regt das Erinnern an, deckt Ressourcen auf und ermutigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Biografiearbeit hilft, das gegenwärtige Leben zu reflektieren, Chancen zu erkennen und Schritte für die Zukunft zu planen. In der Fortbildung lernen die Teilnehmenden die Biografiearbeit und ihre kreativen Methoden kennen. Teilnehmende erinnern ihre eigenen Geschichten und lassen sich von den Lebensgeschichten anderer inspirieren. Sie erleben, wie Biografiearbeit wirkt und erfahren, wie sie biografische Bildungsangebote planen und anleiten können. WEITERE INFORMATIONEN:
www.lebensmutig.de > Seminarreihen
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FACHTREFFEN KUNST- UND KULTURGERAGOGIK UND MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES FACHVERBANDS KUNST- UND KULTURGERAGOGIK
17. bis 19. November 2017 // Bundesakademie Wolfenbüttel Das Fachtreffen (18. bis 19.11.2017) bietet bereits qualifizierten Kunst- und Kulturgeragoginnen und -geragogen ein Forum, um sich mit Kolleginnen und Kollegen über eigene Projekte und Konzepte auszutauschen, zu beraten und sich weiterzubilden. Ein fachlicher Input für die weitere Arbeit ergänzt das Treffen. Am 17.11.2017 findet um 16.00 Uhr die Mitgliederversammlung des Fachverbands Kunst- und Kulturgeragogik e. V. statt. WEITERE INFORMATIONEN:
www.bundesakademie.de > Programm > Bildende Kunst > Tagungen und Fachtreffen
NEUERSCHEINUNGEN DAS STARKE SUBJEKT NEUES HANDBUCH IN DER SCHRIFTENREIHE KULTURELLE BILDUNG
Die Anforderungen an die individuelle Lebensgestaltung in der modernen Gesellschaft steigen. Der Mensch muss in jeder Hinsicht stark sein, um sein eigenes Projekt des guten Lebens zu gestalten. Das Handbuch erläutert zentrale Begriffe, die in Theorie und Praxis der kulturellen Bildungsarbeit eine wichtige Rolle spielen. Der Beitrag von Kim de Groote und Almuth Fricke in dem Band beschäftigt sich damit, wie kulturgeragogische Angebote und deren Ressourcenorientierung und Empowermentstrategien zum Wohle des alternden Menschen und für ein Altern in Würde genutzt werden können. Gerd Taube / Max Fuchs / Tom Braun (Hrsg.) (2017): Handbuch Das starke Subjekt. Schlüsselbegriffe in Theorie und Praxis. Schriftenreihe Kulturelle Bildung. Band 50. München: kopaed, 510 S. ISBN 978-3-86736-450-8 KUNST UND DEMENZ – EIN LEITFADEN FÜR MODELLPROJEKTE
Mit dem Leitfaden legt das Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen in Görlitz den Abschlussbericht für das Projekt »Kultur, Kunst und Kulturvermittlung für Menschen mit Demenz« vor. Das Buch gibt einen Überblick über die Alterungsprozesse und das Krankheitsbild Demenz und stellt Forschungsergebnisse zu künstlerischen Kompetenzen und Ressourcen demenziell veränderter Menschen sowie eine Vielzahl von erfolgreichen Kulturprojekten für diese Zielgruppe vor. Matthias Theodor Vogt / Kristina Fondis / KarlHeinz Menzen / Gisela Thiele (2017): Kunst und Demenz. Ein Leitfaden für Modellprojekte. Görlitz: Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen, 230 S. DOI: 10.1696/KULTUR-UND-DEMENZ
LIVE-AUDIODESKRIPTION, MÖGLICHKEITEN INKLUSIVEN THEATERMACHENS
Larissa Blumenauer untersuchte in ihrer Masterarbeit die Inklusion seh- und hörbehinderter Menschen im Sprechtheater in Deutschland. Die Grundlage dafür bilden Experteninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern von Behindertenverbänden und Theatern. Welche Maßnahmen können Theater ergreifen, um Veranstaltungen barrierefrei zu gestalten? Welche Handlungsfelder ergeben sich daraus für das Theatermanagement? Wie lässt sich eine effiziente und dauerhafte Umsetzung erreichen? Larissa Blumenauer (2016): Live-Audiodeskription, Gebärdensprachdolmetschen und Übertitelung. Möglichkeiten und Chancen eines inklusiven Theatermanagements. Bonn: DTHG-Service. 238 S. ISBN 978-3-9818035-0-1 ZEITSCHRIFT »POLITIK UND KULTUR« ZU KULTUR IN DER PROVINZ
Wie steht es um die Kultur und die Kulturpolitik abseits der Metropolen? Vor welchen Herausforderungen stehen Kulturakteure und -akteurinnen abseits urbaner Zentren? Wie macht Kultur in schrumpfenden Regionen das Leben lebenswerter? Welche Vernetzungsstrategien gibt es in der »Provinz«? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich die Ausgabe 1/2017 der Zeitung des Deutschen Kulturrates. Dargestellt werden unter anderem das Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes TRAFO für strukturschwache Regionen sowie kulturelle Interventionen und Vernetzungsstrategien in schrumpfenden Regionen, etwa in der Stadt Hoyerswerda oder im Landkreis Minden-Lübbecke. DOWNLOAD:
www.kulturrat.de > Publikationen > Zeitung Politik & Kultur FACHZEITSCHRIFT ANGEWANDTE GERONTOLOGIE APPLIQUÉE, THEMA KULTUR UND KUNST
Die neue Fachzeitschrift »Angewandte Gerontologie Appliquée« der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie transferiert theoretisches Wissen in die gerontologische Praxis und fördert die multidisziplinäre Zusammenarbeit. Die Ausgabe 1/2017 beschäftigt sich mit dem Thema »Kultur und Kunst« und beinhaltet Beiträge unter anderem von kubia-Leiterin Almuth Fricke zur Disziplin Kulturgeragogik, thematisiert das internationale, multidisziplinäre Forschungsprojekt »Art for Ages« zu Musik mit betagten Menschen und stellt das Museumsund Kulturtaxi aus der Schweiz vor. WEITERE INFORMATIONEN:
www.econtent.hogrefe.com/toc/aga/current
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GALERIE
INTEGRATION UND DORFENTWICKLUNG AM NIEDERRHEIN EIN PORTRÄT DER KULTURGERAGOGIN NICOLE BRÖGMANN Von Kim de Groote
Die Kunsthistorikerin Nicole Brögmann arbeitet seit über zwei Jahren als festangestellte Kulturgeragogin in verschiedenen stationären Altenhilfe-Einrichtungen des Katholischen Alten- und PflegehilfeNetzwerks (KAN) am Niederrhein. Damit bringt sie Kunst und Kultur in die Häuser und macht das Quartier lebendig. kubia-Mitarbeiterin Kim de Groote besuchte die Kulturgeragogin vor Ort. »Endlich sind Sie wieder da!« Erleichterung und große Freude strahlen Nicole Brögmann entgegen, als sie das Seniorenzentrum Herz-Jesu-Kloster in Kleve betritt. Die Kunsthistorikerin und Kulturgeragogin war zwei Wochen im Urlaub und wurde augenscheinlich sehnlichst vermisst. Im Flur warten schon einige Bewohnerinnen des Seniorenheims darauf, sich wie jeden Montag und Dienstag im Kurs »Kultur Vital« über Kunst auszutauschen. Heute hat Nicole Brögmann Werke von Künstlerinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert ausgewählt. Bilder von Suzanne Valadon und Marie Laurencin erleuchten an der Wand und inspirieren die Teilnehmenden – unter ihnen ein einzelner Mann –, sich über Farben, Stile und Motive auszutauschen, die Darstellungen miteinander zu vergleichen oder Parallelen zu ihrem Leben zu ziehen. »Stellen Sie sich mal vor, so ein Auftreten 1928 in Kleve!« Entsetzen macht sich breit in der Gruppe ob der sehr freizügig geschnittenen Bluse von Suzanne Valadon auf ihrem Selbstporträt. Nachdem heute diese beiden Künstlerinnen im Fokus standen, wird an Werke vergangener »Kultur-Vital«-Stunden erinnert. »Ach, wie hieß die noch? – Die Mexikanerin? – Frida Kahlo!« Vieles ist hängengeblieben, anderes wird puzzleartig wieder zusammengesetzt. Die eine Bewohnerin
erinnert sich an dieses, die andere an jenes. Seit Kursbeginn Anfang 2015 haben die Damen und der Herr schon viele Künstlerinnen und Künstler kennengelernt und sind hörbar zu Kunstexpertinnen bzw. zum Kunstexperten mutiert. ICH MÖCHTE NICHT KEGELN
Bei diesem Lernprozess begleitet Nicole Brögmann die Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Altenhilfe-Einrichtungen am Niederrhein. Sie empfindet dies als großes Glück und als ein Geschenk für sich als Kunsthistorikerin. Alles begann damit, dass Brögmann sich beruflich in einer Umbruch-Situation befand und sich nach einer neuen, sinngebenden Herausforderung sehnte. Als Angehörige eines pflegebedürftigen Familienmitglieds beobachtete sie, dass keine adäquaten Kulturangebote für Hochaltrige existierten. In den Museen fand sie nichts, in den Altenheimen gab es in der Regel eher klassische Angebote: Kegeln, Bingo, Gedächtnistraining. »Sicherlich gibt es Menschen, denen diese Angebote etwas bedeuten«, so Brögmann. Doch der Personenkreis, mit dem sie bislang gearbeitet hatte, ein kultur- und bildungsinteressiertes Publikum, verortete sie dort nicht. »Auf einmal sitzt man da und kegelt, obwohl man
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nie gekegelt hat. Ich zumindest möchte auch im hohen Alter nicht kegeln und nicht basteln, sondern hoffe, dass dann auch kulturelle Angebote im Pflegeheim stattfinden, an denen ich teilnehmen könnte. Und die Leute können nicht mehr zur Volkshochschule kommen, das kriegen sie körperlich nicht mehr hin.« Als Brögmann im Internet auf kubia stieß, war die Entscheidung gefallen: Sie will Kulturgeragogin werden! Kurz darauf meldete sie sich zum einjährigen Zertifikatskurs an der Fachhochschule Münster an. EXPERIMENT KULTURGERAGOGIK
Im Rahmen ihres Praxisprojekts, das sie für die Zertifizierung zur Kulturgeragogin durchführte, kontaktierte sie das KAN in Kleve, das unter anderem Träger von zwölf stationären AltenhilfeEinrichtungen am Niederrhein ist. Dort traf sie auf eine sehr offene Geschäftsführung und auf Pflegeleitungen, die sich auf das Experiment Kulturgeragogik einlassen wollten und ihr viel Vertrauen entgegenbrachten. »Ohne die tägliche Unterstützung und Offenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sozialen Dienste und des Pflegepersonals wäre meine Arbeit nicht durchzuführen. Sie helfen, die Bewohnerinnen und Bewohner zu motivieren, an den Angeboten teilzunehmen und in den unterschiedlichen Stationen abzuholen und auch zurückzubringen. Das ist eine große Hilfe.« Dadurch bekam Brögmann die große Chance und den Freiraum, einfach auszuprobieren, was funktioniert. Und das funktioniert: Von der Arbeitsgruppe Dorfgeschichten in Kalkar-Grieth, in der regelmäßig Begegnungen mit den Flüchtlingen im Dorf organisiert werden, über ein Tablet-Projekt, bei dem sich Seniorenheimbewohnerinnen und -bewohner im Alter von 74 bis 93 Jahren gemeinsam mit Studierenden der Hochschule Rhein-Waal auf die Spuren der Kunst begeben, bis hin zum »Kulturcafé« in Kleve und dem Kursangebot »Kultur Vital«. Erfolg versprechen die unterschiedlichsten Quartiers- und
Dorfangebote, in denen Brögmann – je nach Thema – Filme zeigt, Kunstwerke bespricht, Texte oder Gedichte liest, Ausflüge ins Museum unternimmt oder mit den Teilnehmenden praktisch arbeitet, kurz: nahezu alle Kunst- und Kulturangebote, die Nicole Brögmann in die Häuser bringt. Brögmann sprudelt vor Ideen, langweilig wird es für die Teilnehmenden daher nie werden. WERTSCHÄTZUNG DER KUNST
Nicole Brögmann weiß, dass von ihrer Arbeit nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner profitieren. Beim Kulturcafé in Kleve kommen die älteren Menschen regelmäßig mit Bildenden Künstlern, Schriftstellerinnen oder referierenden Kunst- und Kulturschaffenden ins Gespräch. »Eine Schriftstellerin sagte mir, sie habe noch nie so interessierte Zuhörer und Zuhörerinnen bei einer Lesung gehabt«, so Brögmann. »Da kommen Fragen auf und Diskussionen in Gang, wie es die Künstlerinnen und Künstler sonst nicht erleben. Diese Leute sind hoch interessiert, hören sehr genau zu, versuchen herauszufinden, was diesen Menschen bewegt, warum er oder sie das macht. Sie sehen Dinge, stellen Fragen, da wäre ich überhaupt nicht drauf gekommen. Das ist unglaublich! Mit Menschen mit so viel Lebenserfahrung ins Gespräch zu gehen, die sich so darin vertiefen, das ist eine unglaubliche Wertschätzung, wie die Künstlerinnen und Künstler es von Laien selten erfahren. Dadurch entdecke ich auch selbst neue Themen und lerne, Dinge anders zu sehen, in der Kunst, in der Literatur oder Sachen aus der Region.« Man merkt, Nicole Brögmann brennt für ihre Arbeit. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen in den Seniorenheimen im Austausch mit anderen bleiben, dass sie an der Gesellschaft teilhaben, aber sie will sie auch fordern, sich mit den ästhetischen Seiten des Lebens auseinanderzusetzen, ganz gleich, ob jemand einen Schlaganfall hatte, ob jemand im Rollstuhl sitzt oder dement ist. Sie bietet auch denjenigen Zugang zu Kunst und Kultur, die dazu in
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ihrem bisherigen Leben keine Möglichkeit hatten. Sie möchte ihnen die Chance geben, Neues zu lernen und sich mit Neuem zu beschäftigen. IM AUFTRAG DER ÄLTEREN UNTERWEGS
Die an den Kulturangeboten Teilnehmenden haben absolutes Vertrauen in Nicole Brögmann. Sie gibt sich nicht als »die Kluge«, sondern tauscht sich mit den Nachwuchsexpertinnen und -experten auf Augenhöhe aus. Sie sieht sich einfach als diejenige, die im Moment mobiler ist und die Kulturgegenstände wie Bilder, Skulpturen, Bücher und Filme auswählt, die sich die Gruppe dann gemeinsam
ansehen kann. Vor allen Dingen geht es Nicole Brögmann darum, die Menschen für Kunst und Kultur zu begeistern – und das gelingt ihr sichtlich ausgezeichnet. »Wenn ich meine Arbeit gut machen will, dann muss ich immer alle Bewohnerinnen und Bewohner in meinem Kopf haben, jede Woche, ob ich im Urlaub bin oder im Museum«, so Brögmann. »Ich bin immer in ihrem Auftrag unterwegs und frage mich: Könnte sie das interessieren? Wie kann ich sie gedanklich abholen? Was würde funktionieren? Wie kann ich sie weiter motivieren? Das ist mein Kernjob.« kdg
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GLÜCKLICHE HÜHNER EIN GESPRÄCH MIT ALICE THWAITE VON EQUAL ARTS AUS NORDENGLAND
Seit mehr als 20 Jahren macht sich Alice Thwaite nun schon als Ko-Leiterin der gemeinnützigen Organisation Equal Arts im nordenglischen Gateshead für ein kreatives Alter(n) stark. Mit einer Vielzahl von kreativen Programmen setzt sie sich dafür ein, alten Menschen Zugang zu Kultur und künstlerischen Aktivitäten zu verschaffen. Eines ihrer Erfolgsmodelle heißt »HenPower«. kubia-Leiterin Almuth Fricke sprach mit ihr darüber, warum Hühner in der Verbindung mit Kunst einfach glücklich machen.
Wie sind Sie zu Equal Arts gekommen und was motiviert Sie dazu, künstlerisch mit älteren Menschen zu arbeiten? Als ich 1993 zu Equal Arts kam, beschäftigte sich die Organisation vor allem mit dem Thema »Behinderung und Kunst«, besonders mit Blick auf Jugendliche. Zusätzlich führten wir damals ein Tanzprojekt in drei Pflegeheimen durch, das unglaublich erfolgreich war. Mir wurde bewusst, dass ein großer Bedarf an derartigen Angeboten besteht, tatsächlich aber sehr wenig für diese große Gruppe von Menschen getan wird. Daher beschloss ich, mich auf die Arbeit mit Älteren zu konzentrieren. Meine Großmutter hat mich mit großgezogen und ich stand ihr sehr nah. Sie hatte Demenz und lebte in einem Pflegeheim. Ihr gefiel unser Tanzangebot besonders gut. Ich sah aber auch in anderen Pflegeheimen, wie viel Freude unsere Arbeit den Menschen dort bereitete. Beeinflusst hat mich die Arbeit von Susan Perlsteins Organisation Elders Share the Arts in New York. Ich hatte einen Vortrag von Susan bei einer Tagung im Sadler’s Well Theater in London gehört und war begeistert von der Idee, das Feld des Kreativen Alter(n)s selbst voranzutreiben. Seitdem beobachte ich, wie stark dieses Feld insgesamt gewachsen ist. Aber auch Persönlichkeiten wie Dr. Gene Cohen und später Anne Basting (die Erfinderin von TimeSlips) aus den USA, die Kolleginnen und Kollegen der Green Candle Dance Company
und von Entelechy Arts aus London sowie von dem irischen Bealtaine Festival haben Einfluss auf meine Arbeit genommen. 2010 erhielt ich ein Winston Churchill Reisestipendium, das es mir ermöglichte, Projekte in Irland und den USA zu besuchen. Später war ich dann selbst im Auswahlgremium der Stiftung, die ein Fünfjahresprogramm in dem Bereich aufgelegt hatte. Mich begeistert, die älteren Menschen in den Einrichtungen zu besuchen und zu sehen, welche Wirkung die künstlerische Arbeit auf sie hat. Ein Teilnehmer schrieb mir kürzlich, wie wichtig dieses Angebot für ihn sei: »Eines der wichtigen Dinge ist der Qualitätsanspruch all dieser Künstler, ihre Liebe zum Detail und ihr herzlicher Umgangston mit uns.« Mich motiviert es zu sehen, wie künstlerische Kreativität den Menschen hilft, im positiven Sinne alt zu werden, und wie sie erstaunliche Talente und Interesse zutage fördert. Künstlerische Arbeit ist das Herzstück der Angebote von Equal Arts. Erzählen Sie uns Näheres über die Ziele und Reichweite Ihrer Aktivitäten! Unser Ziel ist es, die Welt zu verändern! Und jedem älteren Menschen einen Zugang zu einem breiten, kreativen Angebot zu verschaffen. Wir stehen einer stark alternden Bevölkerung gegenüber und es ist wichtig, diesen vielen alten Menschen
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Mit Fantasie und Kunst werden Pflegeeinrichtungen zu lebenswerten Orten.
die Möglichkeit zu geben, ihre Kreativität zu entfalten und so ihrem Leben und dem Leben anderer mehr Sinn zu verleihen. Wichtig ist uns auch, die Qualität unserer Arbeit weiter zu erhöhen, damit noch mehr Kultur- und Pflegeeinrichtungen den Wert dieser Arbeit erkennen. Momentan organisieren wir Kulturangebote in mehr als 60 Heimen landesweit und arbeiten mit Kulturorganisationen und Museen zusammen, um deren Angebot für ältere Menschen attraktiver und fantasievoller zu gestalten. Wir beobachten beispielsweise, dass viele Museen sich auf die Biografiearbeit mit Älteren konzentrieren. Auch wenn diese Methode sehr gewinnbringend sein kann, sollten Ältere nicht immer nur zurückschauen müssen, sondern auch selbst kreativ sein dürfen. Sie sind Mitglied einer Arbeitsgruppe, die den britischen Premierminister zu einem demenzfreundlichen Kulturbereich berät. Warum sind Kreativität und Kunst so effektive Mittel, um die Lebensqualität von Menschen mit einer Demenz zu fördern? Und welcher »Zutaten« bedarf es, damit die Kultur »demenzfreundlich« wird?
Kreativität bedeutet, Fantasie einzusetzen und originelle Ideen zu entwickeln, um etwas Neues zu schaffen und die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Wenn kognitive Funktionen nachlassen, wird die Fähigkeit über andere Kanäle zu kommunizieren – über die Musik, die Kunst, den Tanz – umso wichtiger. Es ist erwiesen, dass die Künste es den Menschen ermöglichen, die Person hinter der Demenz zu erkennen und nicht nur die Krankheit zu sehen. Die benötigten »Zutaten« sind gut ausgebildete Pflegekräfte sowie Künstlerinnen und Künstler, die fantasievolle Angebote gestalten, die zugleich herausfordernd und zugänglich sind. Jahrelang haben sich Kultureinrichtungen damit beschäftigt, wie sie Kinder erreichen können. Wir glauben, es ist genauso wichtig, ältere Menschen einzubeziehen. Eines Ihrer bekanntesten Programme heißt »HenPower«. Warum ist das Angebot so erfolgreich und wo ist die Verbindung zur Kunst? »HenPower« ist entstanden, weil einer der älteren Herren, mit dem wir in einer Einrichtung
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arbeiteten, seine Hühner sehr vermisste. Die Einrichtungsleitung fragte uns, ob wir nicht welche beschaffen könnten. Die Hühner waren bald so beliebt bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, den Pflegekräften und den Angehörigen, dass wir daraus ein Kreativ-Projekt entwickelt und künstlerische Mal- und Bastel-Aktionen rund um die Hühner initiiert haben. Wir benutzen die Hennen als »Vehikel«, um die Pflegeeinrichtungen dazu zu bringen, mit mehr Fantasie darüber nachzudenken, wie sie ihre Klientinnen und Klienten beschäftigen. Wir haben eine Million Pfund akquiriert, um das Projekt in ganz England zu verbreiten (mittlerweile hat es internationale Ableger in den Niederlanden, in Australien und in Taiwan!). Ich denke, »HenPower« ist so erfolgreich, weil es Pflegekräften, Bewohnerinnen und Bewohnern wie ihren Angehörigen ermöglicht, in einer anderen Weise in Kontakt zu treten und weil es eine Prise »Chaos« und Kreativität ins Heim bringt. Es macht Pflegeeinrichtungen zu interessanteren und weniger sterilen Orten. Was sind die aktuellen Herausforderungen für Equal Arts und welche Pläne und Visionen haben Sie für die Zukunft? Die Finanzierung ist für uns immer ein Problem. Andererseits müssen wir auch sicherstellen, dass wir qualitätsvolle Programme anbieten, die unsere Arbeit wirklich nach vorne bringen, unser Profil schärfen und den Status des Kreativen Alter(n)s anheben, zum Beispiel, indem wir Künstlerinnen
Hühner sorgen für kreatives Empowerment.
und Künstler dafür bezahlen, Angebote zu machen, statt es als etwas anzusehen, was genauso gut von Freiwilligen gemacht werden könnte. Wir finanzieren uns hauptsächlich aus Lotteriegeldern, ein kleiner Teil kommt aus dem Gesundheitssektor, ein weiterer aus dem Kulturbereich. Es ist jedoch weiterhin schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, dass dies ein lohnenswerter und aufregender Arbeitsbereich ist, der auf die Potenziale der alten Menschen schaut, statt sie als eine Bürde für die Gesellschaft zu betrachten. af WEITERE INFORMATIONEN:
www.equalarts.org.uk
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LOUNGE
ZU TISCH! WEBTIPP: TAVOLATA, DIE SELBSTORGANISIERTE TISCHGEMEINSCHAFT
Niemand is(s)t gern allein. Denn Essen in Gesellschaft macht nicht nur viel mehr Spaß, sondern fördert auch den gesunden Appetit. Viele ältere Menschen sind oft einsam, vermissen den regelmäßigen Kontakt zu Gleichaltrigen und sehnen sich nach einer geselligen Tischrunde. Doch wen sollen sie zum Essen einladen? Und aus welchem Anlass? Im Jahr 2010 initiierte das Kulturprozent des Schweizer Migros-Genossenschafts-Bunds die »Tavolata«: In diesem Projekt organisieren engagierte ältere Menschen lokale Tischrunden, denen sich interessierte Altersgenossinnen und -genossen aus der Umgebung anschließen können. Ein-bis zweimal im Monat finden die Teilnehmenden in den selbstorganisierten Tischgemeinschaften an einem öffentlichen oder privaten Ort zusammen. Beim gemeinsamen Kochen und anschließenden Essen kommen sie ins Gespräch, lernen sich kennen und entdecken gemeinsame Interessen. Dabei dienen sieben einfache »Tavolata«-Spielregeln als Start- und Orientierungshilfe für einen guten und nachhaltigen Gruppenzusammenhalt. Insbesondere die Regelmäßigkeit der »Tavolata«-Treffen fördert das soziale Miteinander der Menschen im dritten Lebensalter und trägt sowohl zur Stärkung des psychischen Wohlbefindens als auch zu einer abwechslungsreichen und gesunden Ernährung bei. Seit der Initiierung verzeichnet die »Tavolata« einen großen Zuwachs. Über 1.000 Menschen haben sich mittlerweile den ca. 200 lokalen »Tavolata«-Tischgemeinschaften über eine »Suche-Biete«-Website in der deutschen und der französischen Schweiz angeschlossen. ks WEITERE INFORMATIONEN:
www.tavolata.ch
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UNVERGESSLICHE SOMMER URLAUBSTIPP: CAMP 66
Warum sollen nur Kinder und Jugendliche eine Ferienfreizeit auf dem Zeltplatz verbringen? Diese Frage stellte sich Wolfgang Angerhausen vom Nachbarschaftsnetzwerk 55plus, als er 2016 mit dem »Camp 66« das erste Hütten-Camp für Ältere initiierte. Anregung für das Camp fand er während seines Zelturlaubs in Italien. Drei ältere Damen brachten sich dort bester Laune ins Zeltplatzleben ein. Auch bei der Gestaltung der Campingfreizeit in der Nähe von Moers sind alle Camperinnen und Camper involviert. In einem zweitägigen Vorbereitungstreffen überlegen sie, welche Aktivitäten sie gern in der bevorstehenden gemeinsamen Woche umsetzen möchten: von Bogenschießen über Slacklining bis hin zu Tai Chi. Eher spontan geht es zu, wenn sich alle Campmitglieder – der 50-Jährige noch Berufstätige ebenso wie die 85-Jährige mit ihrem Rollator – auf dem Campingspielplatz treffen. Auch das Gitarrenspiel am abendlichen Lagerfeuer verlockt mitunter zur spontanen Polka. Einige der Camperinnen und Camper wollen auch in ihrem Alltag ein Mehr an Aktivität und Spontaneität verwirklichen. Initiator Wolfgang Angerhausen beeindrucken vor allem die Begegnungen, die Ausgelassenheit und Lebendigkeit in der Gruppe. Das »Camp 66« im Sommer 2017 ist in jedem Fall schon geplant – und ausgebucht. Alle Moerserinnen und Moerser aus dem ersten Hüttenlager sind wieder dabei. in WEITERE INFORMATIONEN:
Interkulturelles Nachbarschaftsnetzwerk 55plus Moers-Meerbeck www.unser-quartier.de/meerbeck55plus
ibkkubia INSTITUT FÜR BILDUNG UND KULTUR E. V. KUBIA – KOMPETENZZENTRUM FÜR KULTURELLE BILDUNG IM ALTER UND INKLUSION Küppelstein 34, D-42857 Remscheid Fon + 49(0)2191. 794 297, Fax +49(0)2191. 794 290 info@ibk-kubia.de www.ibk-kubia.de, www.theatergold.de www.facebook.com/ibkkubia V.i.S.P.: Almuth Fricke Redaktion: Almuth Fricke (af), Imke Nagel (in), Katarzyna Salski (ks), Dr. Kim de Groote (kdg), Annette Ziegert (az), Helga Bergers (hb), Redaktionsdepot Übersetzung S. 40ff.: Almuth Fricke © Fotografien: Cover, S. 2, 8, 18, 27, 41: Peter Granser/laif aus seinem Buch »Sun City«, Benteli Verlag; U 2, S. 14: Reinhold Deleker; S. 4: Klaus-Dieter Brüggenwerth; S. 6: Edi Szekely; S. 17 links: Lisa Glahn; S. 17 rechts: Walter Ackers; S. 20: Janina Stiel; S. 23: Thomas Schmidtke; S. 25: Thomas Kellner, Museum für Gegenwartskunst; S. 32: Afra Banach privat; S. 39 links: Jenny Lüde, rechts: Nicole Brögmann privat; S. 42: Equal Arts/Phyllis Christopher; S. 43: Equal Arts/Ant Clark, S. 44: Migros-Kulturprozent; S. 45: Nachbarschaftsnetzwerk 55plus Moers-Meerbeck © Illustrationen: U 2, S. 17, 20, 26, 29, 39, 43, 45: Jeannette Corneille Gestaltung: Maya Hässig, Jeannette Corneille, siebenzwoplus, Köln Druck: Druckhaus Süd, Köln ISSN: 2193-6234 7. Jg., Heft 12/2017 © 2017 für alle Beiträge und Entwürfe sowie der gesamten g rafischen Gestaltung liegt beim Institut für Bildung und Kultur (ibk) e. V. Alle Rechte vorbehalten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der R edaktion wieder. Kulturräume erscheint zweimal jährlich.
Thema der Ausgabe 13/2017: Mode und Design Gefördert vom:
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