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Personalmanagement im Internet
titel / web 2.0
Autor
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Klaus Tochtermann
Alexander Stocker
Reinhard Willfort
Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Know-Center Graz, Vorstand des Instituts für Wissensmanagement an der Technischen Universität Graz und Leiter des Instituts für Vernetzte Medien, Joanneum Research Graz
Projektmitarbeiter und Dissertant am Know-Center Graz
Geschäftsführender Gesellschafter, ISN – Innovation Service Network GmbH
astocker@know-center.at
reinhard.willfort@innovation.at
ktochter@know-center.at
Web 2.0 im Personalmanagement Chancen und Risiken für Unternehmen Das Internet verwandelt sich seit einigen Jahren von einem Medium der passiven Konsumenten hin zu einem Web der aktiven Nutzer, die Blogs schreiben, in Online-Foren diskutieren und Kontakte über Netzwerkplattformen knüpfen. Für Unternehmen bietet das Web 2.0 zahlreiche Chancen, wenn sie sich auf dessen Spielregeln einlassen können. Der Begriff Web 2.0 wird dem Verlagsgründer Tim O’Reilly und dem Publizisten Dale Dougherty zugeschrieben, die im Jahr 2004 die erste Web-2.0-Konferenz organisierten. Während der Vorbereitungen für die Veranstaltung prägten sie beim Brainstorming über die Techniken und Trends des neuen Internets das Schlagwort Web 2.0. Von den älteren Anwendungen des Web 1.0 unterscheidet sich das neue Web durch acht Prinzipien, die O’Reilly als „design patterns“ (Entwurfsmuster) bezeichnet. Zu diesen Prinzipien zählen beispielsweise die Nutzung der kollektiven Intelligenz des Webs („harnessing the collective intelligence“), das implizite und explizite Einbinden von Benutzern („user added value“) und die Tatsache, dass kleine Interessensgruppen die „Masse“ im Internet ausmachen („the long tail“).
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Social Software Einige der von Tim O’Reilly geprägten Prinzipien manifestieren sich in Social Software, einem typischen Phänomen des Web 2.0. Sie unterstützt die Kommunikation und Zusammenarbeit der Nutzer im Internet und erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation. Zur Social Software zählen Anwendungen wie X Wikis (Enzyklopädien, in der die User die Artikel schreiben) wie Wikipedia X Blogs (Tagebücher, in der Blogger ihre Erlebnisse und Meinungen festhalten) wie auf blog.de X Social-Bookmarking-Plattformen (auf denen User Internetseiten markieren und diese „Lesezeichen“ mit anderen teilen) wie del.icio.us oder Mister Wong X Media- und Task-Sharing-Plattformen (für den Austausch von Dokumenten, Fotos,
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Musik oder Videos) wie YouTube und Flickr X Podcasts (Audio- und Videodateien, die über das Internet angeboten werden) wie auf podcast.de X Instant Messaging (Telefonieren oder Chatten in Echtzeit) wie über Skype X Social Networks (Netzwerkplattformen im Web) wie Xing oder LinkedIn Das Phänomen der Social Software ist nicht neu, sondern folgt der ursprünglichen Intention des „Web-Erfinders“ Tim Berners-Lee. Im Jahr 1989, dem Geburtsjahr des Webs, war das Internet noch eine Plattform für den Informationsaustausch. Der von Berners-Lee entwickelte erste Browser fungierte zugleich als Editor für Web-Inhalte. Für die breite Masse der User wurde das Internet jedoch für lange Zeit zu einem Read-Only-Web. Sie konsumierten vorgefertigten Content und ihr Spielraum für Interaktion war gering. Fast 15 Jahre später kehrt das Web nun zu seinen ursprünglichen Wurzeln zurück. Dank Blogs, Wikis & Co. können User über das Internet kommunizieren, kollaborieren und Ideen
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austauschen. Sie werden zu produzierenden Usern, die mithilfe einfacher Tools Inhalte ins Netz stellen, um ihre Ideen zu verbreiten oder virtuelle Gemeinschaften zu bilden.
Wissenstransfer Auch Arbeitgeber können vom Web 2.0 profitieren. Beispiel Wissensmanagement: Das klassische IT-gestützte Wissensmanagement funktioniert meist nach der Top-down-Methode: Ein Expertenteam oder ein Mitglied der Leitungsebene legt fest, wie Wissensmanagement im Unternehmen auszusehen hat. Das Maß der „Fremdorganisation“ ist hoch und die Mitarbeiter haben wenig Einfluss auf Abläufe und Strukturen. Die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Top-down-Ansatz häufig auf Widerstand stößt. Die Mitarbeiter lassen sich ungern vorschreiben, wann und wie sie ihr Wissen weitergeben. Im Zeitalter des Web 2.0 entstehen neue Wege des Wissenstransfers. Zugleich setzt sich eine andere Einstellung zum Wissensaustausch durch. In Unternehmen, die sich mit Instrumenten des Web 2.0 beschäftigen, initiieren die Mitarbeiter den Wissenstransfer selbst – über Instrumente wie Wikis oder Blogs. Das hat einige Vorteile: Zum einen steht die Social Software überwiegend kostenlos zur Verfügung. Zum anderen bringen viele Mitarbeiter bereits Erfahrung im Umgang mit den Werkzeugen mit, denn Xing, Wikipedia & Co. haben das Interesse am Wissensaustausch per Internet geweckt. „Information Sharing“ wird zum Normalfall. Vor allem in wissensintensiven Organisationen decken Mitarbeiter ihren kontextspezifischen Informationsbedarf zunehmend direkt am Arbeitsplatz. Dabei tauschen sie sich nicht nur mit Kollegen aus oder nutzen vorhandene Dokumente aus den Datenbanken der Organisation, sondern suchen auch gezielt im Internet nach Informationen, die ihnen noch fehlen. Das Web mutiert zu einem sozialen Lernsystem – und internetaffine Mitarbeiter werden zum Bestandteil der Kultur, die das Web 2.0 prägt. Schon im „alten“ Web suchten Mitarbeiter – oft aus der IT-Abteilung - im Netz nach Lösungen für Probleme in ihrer Organisation. Dabei griffen sie auf klassische Web-Applikationen wie Diskussionsforen zurück. Mit dem Web 2.0 rücken neue Instrumente wie Wikis, Blogs oder RIAs (Rich Internet Applications) in
den Vordergrund, also Anwendungen, die eine intuitive Benutzeroberfläche haben und somit einfach zu bedienen sind.
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ihrer Kontakte und dem Unternehmen, ihr Geschäft zu verbessern.
Personalmarketing Doch auch Social Software liegt brach, wenn die Mitarbeiter den Nutzen nicht erkennen. Eine Befragung unter 168 Unternehmen, die das Online-Lexikon Wikipedia nutzen, kam im Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass Wikis dann nachhaltig eingesetzt werden, wenn sie a) die Reputation des Einzelnen erhöhen, b) die Organisation dabei unterstützen, ihre Prozesse zu verbessern und c) von den Mitarbeitern als Arbeitserleichterung betrachtet werden. Nicht alle Unternehmenswikis werden diesen Ansprüchen gerecht. Der Studie zufolge kommen die Vorteile eines Wikis dann am besten zum Tragen, wenn es genutzt wird, um Aufgaben mit einem hohen Innovationsgrad zu lösen. Außerdem sollten die aktiven Mitarbeiter andere Wiki-User als glaubwürdige und zuverlässige Informationslieferanten anerkennen. Wissensaustausch über ein firmeneigenes Intranet funktioniert demnach nur dann, wenn eine Vertrauenskultur im Unternehmen herrscht und die Mitarbeiter gerne gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten.
Netzwerke knüpfen Den Austausch von Informationen unterstützen auch virtuelle Netzwerkplattformen wie Xing oder LinkedIn. Für Arbeitgeber sind Netzwerkplattformen vor allem deshalb so interessant, weil sie Wissensaustausch über die Grenzen des firmeneigenen Intranets hinweg fördern können. Beispiel IBM: Der IT-Konzern rief schon vor einiger Zeit ein virtuelles Netzwerk ins Leben, um die Zusammenarbeit von Mitarbeitern, ehemaligen Mitarbeitern und Kollegen aus der Industrie zu forcieren. Das Netzwerk „The Greater IBM Connection“ bietet den Teilnehmern vielfältige Möglichkeiten, sich auszutauschen. So hält das Netzwerk Treffen in der virtuellen Welt Second Life ab (www.secondlife.com), in der jeder Benutzer seinen Avatar durch digitale Städte und Gebäude steuern kann. Auch auf den Netzwerkplattformen Xing und LinkedIn unterhält IBM eigene Gruppen. Der Konzern versteht unter Innovation Kollaboration und kollektive Intelligenz – typische Schlagworte des „neuen Internets“. Eine Symbiose aus Online-Networking und Offline-Events hilft den Mitarbeitern bei Aufbau und Pflege
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Da immer mehr Menschen ihre Kontaktbedürfnisse und ihren Wissensbedarf zumindest teilweise über das Internet decken, wird das Web auch zu einem zentralen Medium für Personalmarketing und Employer-Branding. Viele Bewerber informieren sich im Internet ausführlich über einen potenziellen Arbeitgeber. Dabei beschränken sie sich längst nicht mehr auf die offiziellen Karrierewebsites der Organisationen, sondern stoßen darüber hinaus auf inoffizielle Einträge: In anonymen Mitarbeiterblogs wie „Mini-Microsoft“ oder den „Nestlé Suisse Real News“ lassen sich Beschäftigte kritisch über ihr Unternehmen aus – und kratzen damit am perfekten Arbeitgeberimage. Für Personalisten können Portale wie diese wichtige Informationsquellen darstellen, denn sie zeigen, wie eine kritische Gruppe der Beschäftigten das Unternehmen wirklich wahrnimmt. Weniger kritisch sind offizielle Mitarbeiterblogs, die Unternehmen gezielt im Produkt- und Personalmarketing einsetzen. Bei Baumax (www.blogmax.at) und Frosta (www. blog-frosta.de) berichten Mitarbeiter in Weblogs über ihren Arbeitsalltag und geben ihrem Unternehmen damit ein persönliches Gesicht. Auch intern kann ein Blog ein gutes Mittel sein, um zum Beispiel über die Aktivitäten der Personalabteilung oder des Marketings zu berichten. Einige CEOs haben das Instrument bereits für sich entdeckt. Ein besonders prominentes Beispiel ist der FastLane Blog von Bob Lutz, Vizepräsident von General Motors (http://fastlane.gmblogs.com). Die Top 100 unter den deutschsprachigen Business-Blogs finden sich nach Branchen sortiert unter www.top100-business-blogs.de.
Fazit und Ausblick Ob Blogs, Wikis oder Netzwerkplattformen: Das Web 2.0 birgt zahlreiche Chancen für das Personal- und Wissensmanagement, wenn sich die Unternehmen darauf einlassen. Das neue Web lebt davon, dass die Akteure ihren eigenen Motivationslagen folgen – doch die Angst vor Kontrollverlust ist in vielen Organisationen noch groß. Unternehmen, die Web-2.0-Anwendungen einsetzen, öffnen sich sowohl intern als auch nach außen. Mit-
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tel- oder langfristig können sich dadurch die vorhandenen Rollen und Prozesse verändern, sodass eine neue Kultur entsteht. Die Personalabteilungen dieser aktiven Unternehmen stehen vor der Aufgabe, den Mitarbeitern Medienkompetenz zu vermitteln, damit sie im Sinne der Selbstorganisation des Web 2.0 „produktiv“ werden können.
Literaturtipps
Webtipps
What is Web 2.0? Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. Von Tim O`Reilly. (30.09.2005), im Internet unter: www.oreillynet.com. Creativity @ Work für Wissensarbeit. Von Reinhard Willfort, Klaus Tochtermann und Aljoscha Neubauer. Shaker Verlag 2007.
www.know-center.at www.innovation.at www.neurovation.at www.top100-business-blogs.de www.secondlife.com
Neurovation: Kreativitätstool für Wissensarbeiter Das Web 2.0 fördert den sozialen Ideenaustausch im Internet. Dadurch ergeben sich auch interessante Möglichkeiten, kreative Wissensarbeit zu unterstützen. Die Webplattform Neurovation.net gibt Mitarbeitern am Arbeitsplatz kreative Impulse. Entwickelt wurde die Lösung in einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Universität Graz (Institut für Psychologie), der ISN (Innovation Service Network GmbH), einem Spin-off der TU Graz, sowie dem Know-Center Graz, einem Kompetenzzentrum für Wissensmanagement.
wiederum in das Programm eingibt. Auf diese Weise entstehen Assoziationsketten, die den Prozess der Ideenfindung im Gang halten. Alle Schritte dieses Prozesses speichert Neurovation automatisch. Jeder Nutzer hat eine eigene Kreativumgebung und kann seine Sitzungen beliebig unterbrechen und neu aufrufen.
„Neurovation“ – eine Wortschöpfung aus „Neurowissenschaft“ und „Innovation“ – verbindet neueste Erkenntnisse der Gehirnforschung mit praxisbezogenen Erfahrungen des Innovations- und Wissensmanagements. Wissensarbeiter, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit darauf verwenden, neues Wissen zu generieren, können das webbasierte Programm an ihrem Arbeitsplatz nutzen, um Ideen zu entwickeln und festzuhalten. Der Grundgedanke der Applikation: Neue Ideen entstehen meistens durch Reize von außen. Das Programm Neurovation macht sich dieses Prinzip zunutze, indem es die Gedanken und Lösungsansätze der User mit Anregungen aus fremden Wissensgebieten verknüpft. Sie können Begriffe eingeben oder Bilder hochladen, auf die Neurovation reagiert, indem es Wort-Bild-Kombinationen in zufälliger Abfolge einspielt. Diese Reize lösen beim Betrachter neue Gedanken aus, die er
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Neurovation zeigt Bilder, um die Betrachter auf neue Ideen zu bringen.
Untersuchungen der Karl-Franzens-Universität Graz haben gezeigt, dass gezielte Interventionen den Prozess der Ideenfindung unterstützen. Pausen und Ablenkungen, die uns zum Lachen bringen, können unsere Kreativität buchstäblich ankurbeln. Falls vom Nutzer gewünscht, unterbricht Neurovation die Sitzungen von Zeit zu Zeit, um witzige Cartoons oder Filme zu zeigen. Hin und wie-
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der fordert das Programm seine User auch auf, vom Arbeitsplatz aufzustehen und sich zu bewegen. Diese Unterbrechungen sollen Denkblockaden vorbeugen und den Nutzer in eine positive Stimmung bringen. Wenn der Ideenfluss stockt, können sich die Mitarbeiter über das Programm Anregungen bei anderen „kreativen Geistern“ holen. Mehrere Nutzer können gleichzeitig an einer Problemstellung arbeiten. Außerdem unterstützt Neurovation die synchrone oder asynchrone Kommunikation verschiedener User über E-Mails und ein internes Messaging System. So können sich Mitarbeiter eines Unternehmens über die Plattform mit Kunden, Lieferanten oder kreativen Querdenkern aus anderen Organisationen zu einer virtuellen Innovation-Community vernetzen. 22 Unternehmen haben das Programm bereits getestet. Darunter waren Organisationen unterschiedlicher Branchen wie IT, Maschinenbau, Werbung, Beratung und Softwareentwicklung. Die Erfahrungen der Anwender zeigen, welche Resultate sich mit Neurovation erzielen lassen. Ihre Arbeitsergebnisse mit der neuen Software reichen von kleinen Impulsen für neue Produktnamen bis hin zu Ideen für die Konstruktion einer Anlage zur Verpackung von Brennholz. Da die Wissensintensität der Arbeit in hiesigen Breitengraden steigt, sind kreative Lösungen in nahezu allen Branchen und Arbeitsumgebungen gefragt. Neurovation ermöglicht ein vernetztes Arbeiten an Projekten und sorgt dafür, dass Ideen nicht mehr verloren gehen.