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FLIRT-aLgORIThMuS ICh BIN DEIN MENSCh
ICh BIN DEIN MENSCh
Flirt-Algorithmus
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Deutschland 2021 D 105 min D R: Maria Schrader D B: Jan Schomburg, Maria Schrader D K: Benedict Neuenfels D S: Hansjörg Weißbrich D M: Tobias Wagner D D: Maren Eggert, Dan Stevens, Sandra Hüller, Hans Löw, Wolfgang Hübsch, Annika Meier, Falilou Seck, Jürgen Tarrach, Henriette Richter-Röhl, Monika Oschek D V: Majestic Filmverleih
Spätestens seit Fritz Langs METROPOLIS gehören humanoide Roboter zum filmischen Kanon. Während sie lange vor allem als Bedrohung vorkamen, immer auf dem Sprung, die Menschheit zu unterwandern und die Weltherrschaft zu übernehmen, gibt es in jüngster Zeit immer mehr Filme, die das Thema softer, alltäglicher angehen. Das war zum Beispiel in Spike Jonzes zartrosa Elegie HER der Fall, in dem sich Joaquin Phoenix in die Stimme von Scarlett Johansson verliebt, die ihm als virtuelle Assistentin seines Computer-Betriebssystems zur Seit steht. In der schwedischen Serie „Real Humans“ sind Androiden unterschiedlicher Komplexität längst als Haushaltshilfen und Geliebte im Alltag Realität. Während die Menschen sich immer mehr auf sie verlassen, beginnen einzelne der „Hubots“, sich von ihren Erfinder*innen abzunabeln und auf eigenen Füßen zu stehen.
Auch Maria Schrader interessieren vor allem die subtilen Veränderungen des Alltags, die die immer weitergehende Präsenz von KI (Künstlicher Intelligenz) verursacht. In einer Zukunft, die exakt wie ein Beziehungsdrama-Film der Gegenwart aussieht, soll die Historikerin Alma (Maren Eggert) testweise drei Wochen mit dem Roboter Tom (fantastisch humanoid: Dan Stevens) verbringen, der mithilfe statistischer Daten von Millionen Frauen und Almas persönlichen „Mindfiles“ als ihr idealer Partner programmiert wurde. Ihr Bericht wird der Ethik-Kommission bei der Entscheidung helfen, ob Partnerschaften von Menschen und Roboter*innen in Zukunft zugelassen werden sollen.
Die erste Begegnung zwischen Alma und Tom in einer Bar verläuft uneben. Alma ist eine eher kühle, sehr kluge, hauptsächlich berufstätige Frau und Toms Flirt-Algorithmen „Deine Augen sind wie zwei Bergseen“ prallen an ihr ab. Aber Tom lernt schnell. Er lernt, dass es besser ist, Almas Unordnung unangetastet zu lassen, bestimmte Redewendungen wie „Alles klärchen“ zu vermeiden, auch mal Kontra zu geben oder unerreichbar zu sein. Sogar eine Humorebene entwickelt sich zwischen den beiden. Umso mehr Tom lernt, umso schwieriger ist es für Alma, die Distanz zu wahren und den gutaussehenden Mann nicht als Gegenüber sondern als Maschine zu verstehen.
Ruhig und lakonisch inszeniert Maria Schrader Almas Unbehagen, das vor allem aus dem Umstand rührt, dass Tom so verdammt wie ein Mensch aussieht und zusehends wie ein Individuum reagiert, aber keines ist. „Wenn ich mit dir rede, spreche ich eigentlich mit mir selbst“ sagt Alma einmal. Paradoxerweise sagt sie es zu ihm. Alma diagnostiziert, dass es Menschen zunehmend schwerer fallen wird, mit anderen Menschen umzugehen, wenn sie sich erstmal an die exakt auf sie zugeschnittenen Algorithmen gewöhnt haben, und kann selbst kaum loslassen. Damit formuliert Schrader ein Unbehagen, das sich weniger auf eine fantastische Zukunft zu beziehen scheint als auf eine Gegenwart, in der Kommunikation bereits fortlaufend und größtenteils unbemerkt von KI „optimiert“ wird. Was „echt“ und was ein Algorithmus ist, wird immer undurchschaubarer. Ein bisschen landet sie dabei auch wieder bei der alten binären Erzählung, die eindeutige Gegensätze formuliert – Seele vs. Nicht-Seele – und eine Entscheidung zwischen Mensch und Maschine fordert. D Hendrike Bake
Start am 1.7.2021
In a future that looks exactly like a contemporary relationship drama, historian Alma is meant to spend three weeks with Tom the robot who has been programmed to be her ideal partner with the help of statistical data from millions of women and Alma‘s personal “mindfiles.“
Deutschland 2020 D 99 min D R: Alexander Kluge, Khavn D B: Alexander Kluge, Douglas Candano, Khavn D K: Thomas Wilke, Albert Banzon, Gym Lumbera D M: Sir Henry, Khavn, Tilman Wollf, Diego Mapa D D: Lilith Stangenberg, John Lloyd Cruz, Ian Madrigal D V: rapid eye movies
ORPhEa
Mythos revisited
Aus Orpheus wird ORPHEA: Mit ihrem neuen Film wagen der renommierte deutsche Experimentalfilmer Alexander Kluge und sein philippinischer Kollege Khavn De La Cruz einen Gendertausch der antiken griechischen Sage. Statt einer konventionellen Nacherzählung bieten sie visuelle und musikalische Meditationen, die sich motivisch am Stoff orientieren, aber ganz eigene Wege gehen. Die Musikerin Orphea (Lillith Stangenberg) kann sehr schön singen – aber auch brüllen und Zähne fletschen. Anders als bei Orpheus, der mit seinen Klängen alle Götter betört, ist ihre Musik nicht da, um zu gefallen. An der Seite der Bühne steht ihr Partner Euridiko und ist immer für sie da – bis er eben nicht mehr da ist. Wie in der Sage zieht die Hauptfigur in die Unterwelt, um die geliebte Person zu retten. Doch das reicht ihr nicht: Am liebsten würde sie alle Toten zurückholen. Diese Geschichte erzählt ORPHEA so stark fragmentiert, dass man oft nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Jede Minute fordert die Zuschauer*innen heraus. Die spröden Vignetten Kluges sind schwerer zu verdauen als Khavns betörend-mysteriöse Bilder, doch es gibt sie nur gemeinsam: Khavn zeigt den „Auftritt“, die Reise in den Hades, Kluge dagegen die „Proben“, die Vorbereitung der Heldin. Stangenberg liest und übt, grübelt und kämpft. Wir sehen sie auch als Schauspielerin, die sich mit einer Welt auseinandersetzt, die Frauen* meist nicht als Handelnde, sondern als Objekte der Sehnsucht begreift. Mit zum Teil drastischen Bildern zieht Kluge auch Verbindungen zu Themen wie Krieg und Flucht. ORPHEA ist ein atemloser Ritt durch Songs, Kunstwerke und Assoziationen; ein Film, der oft abstößt und stört und doch in seinen Bann zieht. D Eva Szulkowski
Start am 22.7.2021
Orpheus becomes ORPHEA: renowned German experimental filmmaker Alexander Kluge and his Filipino colleague Khavn De La Cruz do a gender swap of the ancient Greek saga in their fragmentary essay film. Kanada 2020 D 120 min D R: Clark Johnson D B: Garfield Lindsay Miller, Hilary Pryor D K: Luc Montpellier D S: Geoff Ashenhurst, Maureen Grant, Susan Maggi D D: Christopher Walken, Zach Braff, Christina Ricci, Martin Donovan, Adam Beach, Roberta Maxwell D V: MFA+
PERCY
Christopher Walken gegen Monsanto
Filme sind of dann am effektivsten, wenn sie dahin gehen, wo es ungemütlich wird und die Menschen sensibler machen für die Ungerechtigkeiten der Welt, in der wir leben. Clark Johnsons PERCY über den kanadischen Farmer Percy Schmeiser (Christopher Walken) ist so ein Film, ein investigativ engagiertes Drama im besten Sinne des Wortes, das einen klüger und kritischer macht und nachhaltig wütend. Wobei sich der Groll in dieser klassischen und wahren David-und-Goliath-Geschichte nicht allein gegen eine andere Person richtet, sondern gleich gegen eine ganze Firma: Den amerikanischen Konzern Monsanto, der heute zur deutschen Bayer AG gehört. Dieser beschuldigt Schmeiser eines Tages, auf seinen Feldern ohne Lizenz das gentechnisch veränderte Saatgut des Unternehmens verwendet zu haben, was der vehement abstreitet, zumal er, wie er immer wieder inständig betont, traditionsbewusst nur Samen von eigenen Pflanzen anbaue. Gegen den Rat seines Anwalts (Zach Braff) entschließt sich der sture, einsilbige Bauer schließlich zu einem Prozess, der mehrere Jahre dauern und ihn einige Kraft kosten soll. Aber Schmeiser ist nicht allein, zumindest nicht am Anfang. Zunächst steht ihm neben seiner Frau Louise (Roberta Maxwell) noch die hartnäckige Aktivistin Rebecca (Christina Ricci) zur Seite und auch die Öffentlichkeit ist ihm zugetan. Doch je haariger sein Kampf für die Gerechtigkeit wird, um so einsamer wird er. Kein Problem für Walken, der diesen Film ebenso souverän im Griff hat, wie der Mann, den er spielt, seinen Acker. Und auch wenn PERCY in seiner Intensität und Dringlichkeit zum Beispiel hinter Todd Haynes’ DARK WATERS zurückbleibt, in dem Mark Ruffalo unlängst gegen den Chemiekonzern DuPont ins Gefecht zog, ist er trotzdem sehenswert und aufklärend zugleich, und schafft damit auch schon eine ganze
Menge. D Pamela Jahn Start am 1.7.2021
Christopher Walken plays a small farmer, Percy Schmeiser, who goes up against large corporation Monsanto.
ThE gREEN KNIghT
Panorama der Träume
Seit 40 Jahren und John Boormans EXCALIBUR (1981) gab es keinen ernstzunehmenden Film aus dem Kosmos der Artus-Sagen mehr, lediglich ein paar Krawallfilme wie KING ARTHUR: LEGEND OF THE SWORD von Guy Ritchie. David Lowery, der mit A GHOST STORY einen der faszinierendsten Filme der letzten Jahre gedreht hat, hat nun das Versepos „Sir Gawain and the Green Knight“ aus dem 14. Jahrhundert adaptiert. Wer allerdings ein pralles, heroisches Fantasy-Abenteuer erwartet, wird von THE GREEN KNIGHT eher enttäuscht sein. Dazu ist THE GREEN KNIGHT zu schräg und zu morbide.
Die Legende vom Grünen Ritter ist eine Initiationsgeschichte und ursprünglich relativ schlicht: Der junge Gawain hat noch keine Abenteuer erlebt. Als Initiation in das Rittertum muss er sich der Herausforderung eines riesigen grünen Ritters stellen, der plötzlich in der Tafelrunde erscheint. Gawain hat einen Schlag mit Arthurs Schwert Excalibur frei, aber ein Jahr später muss Gawain sich dem Ritter erneut in der „Grünen Kapelle“ stellen, wo dieser den gleichen Schlag gegen ihn führen wird. Gawain schlägt dem Ritter den Kopf ab. Der grüne Ritter setzt den Kopf wieder auf,
USA/Irland 2020 D 125 min D R: David Lowery D B: David Lowery D K: Andrew Droz Palermo D M: Daniel Hart D D: Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sean Harris, Sarita Choudhury D V: Telepool
David Lowery (GHOST STORY) has taken on the strange epic “Sir Gawain and the Green Knight” and has turned it into an even stranger, hypnotic film that is visually reminiscent of German expressionism and the films of Carl Theodor Dreyer. erinnert an die Bedingung und zieht sich zurück. Ein Jahr später bricht Gawain auf, um die Grüne Kapelle zu finden, und erlebt unterwegs zahlreiche Abenteuer.
In Lowerys Adaption wird aus der Aventiure eine Seelenreise, die nur im Untergang enden kann, und das gleich mehrmals tut. Gawain (Dev Patel) fällt unter die Räuber (oder sind das bösartige übernatürliche Wesen?) und stirbt gefesselt im Wald. Die Kamera schwenkt im Kreis, wobei immer mehr Grün ins Bild kommt, und der eben noch verweste Gawain ist wieder lebendig und weiß sich zu befreien. Eben noch waren seine Waffen, ein Schwert und eine Axt, verschwunden, dann sind sie auf magische Weise wieder da. Vielleicht ist das ganze Abenteuer nur eine Illusion, von Gawains Mutter, die hier an die Figur Morgana le Fey angelehnt ist – die allerdings auch noch in einer anderen Figur auftaucht, herbeigezaubert. An irgendeine Form der „Ritterlichkeit“ scheint Lowery jedenfalls nicht zu glauben. Zahlreiche magische und christliche Symbole tauchen auf, aber für Gawain, der in einigen Versionen der Artuslegende der Erbe des Königs wird, der das Land wieder an die Sachsen verliert, sind alle Ausgänge dieses Abenteuers eine Katastrophe. In wuchtigen Bildern, die unter anderem an deutschen Expressionismus und die Malerei der Präraffaeliten erinnern, hat Lowery ein Panorama der Träume des 14. Jahrhunderts gedreht. D Tom Dorow
DIE LETzTEN REPORTER
Bodenpersonal im Print-Business
Jean Boués Dokumentarfilm erzählt liebevoll vom Bodenpersonal im Print-Business. Die drei Protagonist*innen sind gut ausgewählt. Thomas Willmann, Sportreporter bei der Sächsischen Volkszeitung, verbringt seine Wochenenden auf Amateur-Tournieren, interviewt die zehnjährigen Radpolo-Gewinner ebenso wie den stolzen Großvater, der keinen Wettkampf verpasst, und kritzelt dabei akribisch Zitate und Spiel-Ergebnisse in seinen winzigen Notizblock. Dann schnell ein Foto und ab in die Redaktion, in der er den Bericht mit zwei Fingern in die Tasten haut. Werner Hülsmann schreibt seit 30 Jahren die Society-Kolumne „Werners Cocktailbar“ für die Neue Osnabrücker Zeitung. Mit den Stars der Region ist er auf du und du, und auch seine Texte pflegen einen lässigen Sound zwischen Boulevard und Poesie. „Ich habe versucht, freundlich zu den Menschen zu sein“, fasst er sein Arbeitsleben zusammen. Berufsanfängerin Anna Petersen hat mal ein Praktikum in der SZ gemacht, aber im Münchener Glasturm fühlte sie sich zu weit weg von den Leuten. Lieber sitzt sie im Büro der Landeszeitung Lüneburg, feilt an Reportagen über die Menschen der Region und verspricht Bürger*innen am Telefon, mal nachzuhaken, was denn mit der Weihnachtsbeleuchtung los ist. Jean Boué zeigt die drei bei der täglichen Recherche, aber auch Ausschnitte aus den fertigen Artikeln sind zu hören, so dass man mitbekommt, wie das Handwerk funktioniert, wie der Plausch zur Kolumne wird, das Interview zur Sozialreportage und der Tag in der Turnhalle zur Sportberichterstattung. Durch alle drei Porträts zieht sich der Umbruch im Printbusiness. Auf einmal sind gedruckte Nachrichten alt, bevor sie erscheinen, die nächste Generation liest kein bedrucktes Papier mehr. Möglicherweise sind die drei die letzten ihrer Art. Ebenso sind sie: unverzichtbar.
D Hendrike Bake Start am 24.6.2021
Jean Boué’s documentary is a loving portrait of three staff members working in the dying print industry business.
DER aTEM DES MEERES
Schnee weht über das Watt. Eisschollen türmen sich auf. Eine Lore rumpelt einen einsamen Schienenstrang am Wasser entlang. Vögel ziehen durchs Bild. DER ATEM DES MEERES ist eine Bild-und-Ton-Collage zum Wattenmeer, die auf Erklärungen verzichtet und deren großer Erzählbogen sich vage am Verlauf eines Jahres orientiert, während der Film im Kleinen dem Auf und Ab der Gezeiten folgt. Besonders viel Spaß macht die Tonebene: Das Wasser rauscht. Der Wind pfeift. Die Orgel raunt. Unterwasserwesen machen seltsame Unterwassergeräusche.
Start am 29.7.2021
Originaltitel: Silence of the Tides D Deutschland/Niederlande 2020 D 105 min D R: Pieter-Rim de Kroon
ROaMERS
Der ruhelose NAS hat sich mit dem Plan, 1000 Tage lang täglich ein Video zu produzieren, eine Fangemeinde aufgebaut, die in die Millionen geht. Immobilienmakler Matt hält es nie länger als zwei Monate an einem Ort aus, Jonna umsegelt die Welt und das argentinische Paar Kim und Paolo vermarktet mit ihren individualisierten Pornos auch das private Glück. Der Film kombiniert das Material der Vlogger mit eigenen Aufnahmen, die auch klar machen, dass das selbstgewählte Leben der Protagonist*innen auch neue Abhängigkeiten mit sich bringt.
Start am 22.7.2021
Deutschland 2021 D 97 min D R: Lena Leonhardt
hOMO COMMuNIS
Der Dokumentarfilm porträtiert Gruppen und Initiativen, hauptsächlich aus Deutschland, die versuchen, eine Gegenbewegung zu schaffen zu einer Welt, die sich trotz aller Vernetztheit individuell isolierend anfühlt. Darunter sind die Klimaaktivist*innen von „Ende Gelände“ im Hambacher Forst, „Soziale Landwirtschaften“, bei denen Kund*innen persönlich bei der Ernte helfen, und kooperative Werkstätten, aber auch die Megakooperative „Cecosesola“, die in Venezuela die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung übernimmt.
Start am 8.7.2021
Deutschland 2020 D 100 min D R: Carmen Eckhardt
LaNDRETTER
LANDRETTER erzählt vom leidenschaftlichen Engagement von Menschen, die sich für das Landleben einsetzen: Karin Berndt, Bürgermeisterin im sächsischen Seifhennersdorf, protestierte jahrelang gegen die Schließung der Schule im Ort. Biobäuerin Maria Heubuch aus Leutkirch im Allgäu setzte sich als Mitglied des Europäischen Parlaments vehement gegen die Landkonzentration in Europa ein, und Hobby-Astronom Günther Wuchterl aus Großmugl in Niederösterreich möchte den Sternenhimmel über dem Ort zum Unesco-Weltkulturerbe zu erklären.
Start am 1.7.2021
Deutschland/Österreich 2019 D 83 min D R: Gesa Hollerbach
EIN FILM VON François Ozon
Ab 8. Juli Im Kino
SOMMER 85
Très retro
SOMMER 85 ist nach Aidan Chambers Roman Dance on My Grave (Tanz auf meinem Grab: ein Leben in vier Teilen) von 1982 entstanden. François Ozon hat die Handlung aus dem englischen Southend-on-Sea ins französische Le Tréport verlegt, einen eher proletarischen Bade- und Fischerort in der Normandie. In traumhaftem Retro-16-mm entwirft Ozon eine postkartenschöne Sommer-Sonne-80er-Jahre-Idylle mit existentiellen Untertönen. Der 16-jährige Alexis, später Alex ist mit seinen Eltern erst kürzlich hergezogen. Die Sommerferien verbummelt er am Kieselstrand. Im Hintergrund dräuen Zukunftsentscheidungen. Abitur oder Beruf? Der Vater drängt, er soll eine Ausbildung machen, die Mutter sagt, er soll seinem Herzen folgen, guckt aber auch sehr unglücklich, wenn von Literaturwissenschaft die Rede ist. Im Moment aber ist der Sommer wichtiger.
Am Meer lernt Alexis David kennen: abgebrochene Schule, aufgerollte T-Shirts, rote Suzuki, zwei Jahre älter und selbstbewusster. Von David geht eine eigentümliche Anziehungskraft aus, eine Verwegenheit und Todesverachtung, die Alexis, und nicht nur ihn, verzaubert. Ohne Zögern und Umstände lässt er sich verführen, verbringt ab sofort seine ganze Freizeit mit David und beginnt, im maritimen Bedarfsladen, den David seit dem Tod seines Vaters zusammen mit der Mutter betreibt, zu jobben. Jede Minute möchte er mit ihm verbringen. Im Off erzählt er „Ich war so verliebt, dass ich immer mit ihm zusammen sein wollte. Aber auch wenn ich mit ihm zusammen war, war es nicht genug.“ David jedoch bleibt ungreifbar, entzieht sich, folgt eigenen Obsessionen. Über das Motorradfahren sagt er: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich schnell fahre. Ich sehe die Geschwindigkeit vor mir, aber ich erreiche sie nie.“
Wie immer ist Ozons Inszenierung – über die Farben, das Licht oder die Liebe zum Detail in der Ausstattung – sehr sinnlich und zugleich in der Konstruktion kühl-analytisch. Die Geschichte einer ersten Liebe ist in eine Thriller-Rahmenhandlung und dann zusätzlich noch die Ich-Erzählung eines werdenden Autors eingebettet. Der Film beginnt mit Alex, der von einem Polizisten abgeführt wird, in die Kamera schaut und sagt: „Wenn ihr kein Interesse am Tod habt, dann ist diese Geschichte nichts für euch.“ Die angekündigte Katastrophe und die verschachtelte zeitliche Konstruktion beschweren und zerstückeln das pastellbunte Teenagerdrama im Kern des Films.
Ob diese Techniken der Distanzierung gelungen sind, ist die Frage. Es wäre vielleicht nicht nötig, die Morbidität und Transgressivität, die in diesem (jedem?) Sommer der Liebe auch präsent sind, derart auszubuchstabieren. Wer nach dem elaborierten Spannungsaufbau der Rahmenerzählung eine große Thrillerenthüllung erwartet, wird enttäuscht werden. Gewollt sind sie jedoch auf jeden Fall, denn Ozon war noch nie daran interessiert, einfach nur eine Geschichte zu erzählen, die so passiert sein könnte, oder eine universelle Erfahrung zu formulieren. Sein Thema, sei es in ANGEL oder UNE NOUVELLE AMIE, ist die Gegenwart des Imaginären: Teil der Wirklichkeit ist immer auch das Bild, das wir uns von ihr machen. Eine Vorstellung kann so sehr im Raum stehen wie ein Schrank, und die erste Liebe, von der SOMMER 85 erzählt, ist mindestens ebenso eine Kopf-Konstruktion, wie die Erzählstruktur von Ozons Film. Die Aufgabe besteht darin, den Schrank zu verrücken. „Die einzige Sache, die zählt, ist seiner Geschichte zu entkommen.“, sagt Alex. D Hendrike Bake
Originaltitel: Été 85 D Frankreich 2020 D 100 min D R: Francois Ozon D B: Francois Ozon D K: Hichame Alaouié D S: Laure Gardette D M: Jean-Benoît Dunckel D D: Valeria Bruni Tedeschi, Melvil Poupaud, Benjamin Voisin, Philippine Velge D V: Wild Bunch
Start am 8.7.2021
Summer of 1985: 16 year old Alexis meets David by the seaside. David is a high school dropout with rolled up t-shirts and a red Suzuki who is two years older and more confident. David has a strange appeal, a defiance, and isn‘t afraid of anything, which charms Alexis, and not just him.
Schweiz 2020 D 98 min D R: Gitta Gsell D B: Gitta Gsell, Yusuf Yesilöz D K: Peter Guyer D S: Bernhard Lehner D M: Benedikt Jeger D D: Burak Ates, Dimitri Stapfer, Beren Tuna, Serkan Tastemur, Zeki Bulgurcu D V: Edition Salzgeber
BEYTO
… und Mike und Seher
Beyto ist ein Goldjunge. Einziges Kind türkischer Eltern, hat sich der junge Mann bestens in seinem Lebensort Schweiz eingefunden. Er ist Überflieger in der IT-Ausbildung, angehender Schwimmstar, beliebter Kumpel und ein zugewandter Sohn, der im elterlichen Betrieb mithilft. Doch mit Schwimmtrainer Mike verbindet Beyto mehr als die Liebe zum Sport und sein ComingOut schüttelt die Verhältnisse durcheinander. Die Eltern schleppen ihn unter einem Vorwand in ihr Dorf in der Türkei, wo er sich vom sozialen Druck und den Tränen seiner Mutter genötigt sieht, Cousine Seher zu heiraten. Zurück in der Schweiz ist Mike verletzt und Beyto ist zerrissen zwischen der Verantwortung gegenüber seiner Familie und der Liebe zu Mike. Seher, Freundin und Vertraute Beytos seit Kindertagen, wird schließlich zur progressivsten Figur, in dem sie eine Lösung bietet, die nicht einfach eine Flucht oder einen Bruch mit dem „alten Leben“ beinhaltet, sondern einen Weg einschlägt, der für alle Freiheit verspricht, ohne mit ihrer Herkunftsfamilie zu brechen. Dabei kann auch Mike, der von Beyto ein radikales Bekenntnis zu seiner Sexualität fordert, Fingerspitzengefühl für die Komplexität von Identitätsprozessen lernen. Regisseurin Gitta Gsell nahm den Roman „Hochzeitsflug“ ihres Freundes Yusuf Yesiloz zur Grundlage und arbeitete mit Burak Ates als Beyto und Ecem Aydin als Seher mit zwei bis dahin unbekannten Gesichtern. BEYTO ist eine spannende und wichtige Perspektive auf das Thema, die sich der einfachen Behauptung intoleranter Milieus verwehrt und auch die komplexen Anrufungen Beytos betont. Vieles fliegt aber im Tempo des Films vorbei, Gsell lässt wenig Raum, die Veränderungen der Figuren nachzuvollziehen und streift dadurch, aber auch gestalterisch, immer wieder
die Gefilde des TV-Melodrams. D Clarissa Lempp Start am 1.7.2021
Beyto is a high achiever at his IT apprenticeship, a budding swimming star, a good friend, and a caring son. He‘s also romantically involved with swim coach Mike. When his parents pressure him to marry his cousin Seher, Seher, Beyto, and Mike are forced to find a solution to the dilemma. Kanada/Grossbritannien 2020 D 104 min D R: Brandon Cronenberg D B: Brandon Cronenberg D K: Karim Hussain D M: Jim Williams D D: Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Rossif Sutherland, Tuppence Middleton, Sean Bean,Jennifer Jason Leigh D V: Kinostar
POSSESSOR
Psycho-Körperhorror
Dass Brandon Cronenberg die Gene seines Vaters in sich trägt, wird gleich in der ersten Einstellung offensichtlich. In der steckt sich die junge Holly (Gabrielle Graham) einen Metallstab in den Kopf. Mit einem kleinen Gerät regelt sie ihre Emotionen, lacht oder weint in den Spiegel, bevor sie den Toilettenraum verlässt und in den Ballsaal tritt, wo sie einem feisten Partygast ein Messer in die Kehle rammt, eine mitgeführte Waffe auf sich selbst richtet und die Worte „holt mich raus“ spricht. Abdrücken wird sie nicht, das erledigen die Polizisten. Doch als die Frau im Kugelhagel stirbt, erwacht andernorts eine andere. Tasya Vos (Andrea Riseborough) betritt den Körper ausgewählter Wirte. Die Wahl trifft eine mysteriöse Organisation, zu der ihre Ausbilderin Girder (Jennifer Jason Leigh) gehört. Die Interessen sind machtgetrieben und monetär. Doch der Wechsel der Identitäten hinterlässt tiefe Spuren bei Tasya und sie wird zunehmend unberechenbarer. Die Vorliebe für Körperhorror teilt Brandon Cronenberg eindeutig mit seinem Vater David. Doch anders als beispielsweise in EXISTENZ ist der virtuelle Wechsel der Identitäten deutlich ausgeklügelter. Auch POSSESSOR ist stellenweise blutig, und Cronenberg treibt seinen Plot gnadenlos voran. Aber der Sohn hat seine Vorbilder eindeutig auch im psychischen Horror britischer Prägung. Das konstante Unbehagen wird durch die experimentelle Bildsprache gefördert. Die Protagonistin sehnt sich nach einem normalen Leben mit ihrem Sohn. Andererseits will sie beweisen, dass sie ihrem Job gewachsen ist und verliert zunehmen die Kontrolle über ihren Wirt. Für den Betrachter bleibt ein Gefühl des Grauens zurück – und die Gewissheit einen der außergewöhnlichsten Genrebeiträge der letzten Jahre gesehen
zu haben. D Lars Tunçay Start am 1.7.2021
An innovative body horror film directed by Cronenberg’s son Brandon Cronenberg. Agent Tasya Vos assassinates people while inhabiting the bodies of selected hosts. Her employer is a mysterious organisation whose interests are motivated by power and money. The job is wearing her down.
Deutschland 2019 D 87 min D R: Arne Körner D B: Arne Körner, Akin Sipal D K: Martin Prinoth, Max Sänger D S: Arne Körner D M: Sebastian Gille, Passierzettel D V: missingFILMs Polen/Deutschland 2020 D 100 min D R: Andreas Voigt D B: Andreas Voigt D K: Marcus Lenz Maurice Wilkerling, Sebastian Richter, Andreas Voigt, Wojciech Ostrowski D S: Ina Tangermann D V: barnsteiner Film
gaSMaNN
Bernd hasst alles
Bernds Leben hat vier Teile: Familie, Freunde, Liebe und Beruf. Was so anständig und zufrieden klingt, ist jedoch eine ziemliche Ödnis. Die Zeit mit seinem Sohn, die von den Begegnungen mit der aggressiven Exfrau gerahmt wird, ist ermüdend. Seine Karriere als Theaterschauspieler läuft schleppend. Wenigstens die nächtlichen Autofahrten mit seiner Freundin sind ein wenig befreiend. Und der Stammtisch mit seinen Freunden. Es sind die beruflichen Zweifel und seine zweifelhaften Freunde, denen dieser Film gehört. Am St. Pauli Theater in Hamburg hat Bernd eine neue Rolle, er soll einen „Gasmann“ spielen, einen SS-Offizier. Bernd hasst das Stück, er hasst den eitlen Regisseur, seinen strebsamen Kollegen und sowieso alles. Die Proben für den Gasmann zeigen Bernd, dass er auf der Bühne ebenso wenig begeisterungsfähig – und begeisternd – ist wie im Leben. Außerdem scheint sich eine leise Annäherung des Schauspielers Bernd an seine Nazirolle zu vollziehen. Die Proben sind eine großartige Parodie des Theaters („Alle Texte raus! Wir machen jetzt nur noch Körper, nur noch Raum!“) und auch die Kippenpausen zwischendurch ergeben witzige, präzise Szenen. Rauchen tun in diesem Film sowieso alle, überall und jederzeit. Das unterstützt nicht nur die betont abgehalfterte Retroästhetik, sondern ist auch eine dankbare Beschäftigung für einen Protagonisten, der weder viel tut, noch sagt, noch denkt. Nur in seiner literarischen Stammtischrunde blüht Bernd ein wenig auf, wenn sie alle um den Tisch sitzen, ihre Texte vorlesen und sich gegenseitig pseudointellektuelle Worthülsen zuschnipsen. Bei einem Ausflug in ein Landhaus entwickelt sich eine Dynamik, die an Marco Ferreris DAS GROSSE FRESSEN erinnert. Ausgearbeitet wird diese Entwicklung nicht – GASMANN geht da lieber nochmal
schweigend eine rauchen. D Yorick Berta Start am 22.7.2021
Bernd has a new role at the St. Pauli Theater in Hamburg. He is going to play a “gas man”, an SS officer. Bernd hates the play, he hates his vain director, his ambitious colleagues, and everything else.
gRENzLaND
Verlassen, Kommen, Bleiben
Nach GRENZLAND – EINE REISE von 1992, kurz nach dem Fall der Mauer gedreht, ist dies der zweite Film von Andreas Voigt über die Region zwischen Deutschland und Polen, über eine Landschaft, und über Begegnungen mit Menschen beidseitig der Oder und Neisse. Viele von ihnen haben eine Migrationsgeschichte, andere sind Richtung Westen gezogen, einige sind geblieben. Immer geht es um das Verlassen, das Kommen, das Bleiben und die Suche nach den Wurzeln. Was zutage tritt, sind in der Regel die biografischen Brüche mit ihren zum Teil einschneidenden Konsequenzen. Das Porträt der Grenzregion ist manchmal bizarr, häufig aber bewegend, weil die Menschen wie die Landschaft eine große Melancholie in sich tragen. Die Palette der Emotionen reicht von einem pragmatischen, fatalistischen oder depressiven, bis hin zu einem leicht zwanghaft optimistischen Lebensgefühl. Da ist Carla, die in den Westen musste, um arbeiten zu können, aber sich scheinbar mit allem arrangieren kann, solange sie materiell abgesichert ist, oder ein älterer Werkzeugmacher, dem fehlt, dass er sich auf etwas freuen kann, er dümple nur so vor sich hin, sagt er, und da ist Sallman, der aus Syrien stammt, seine neue Arbeit und alles prima findet, bis seine Zuversicht erste Risse bekommt. Stärker als in den Filmen von Volker Koepp bevorzugt Andreas Voigt einen psychosozialen Blickwinkel. Dabei kommen auch diejenigen vor, die einen eher schlichten Begriff von „Heimat“ haben, der entweder seltsam oder national und gefährlich ist. Deutlich wird aber auch, dass die identitätspolitischen Aspekte nicht ohne den Verweis auf die gesellschaftlichen, also kapitalistischen Verwerfungen zu haben sind. GRENZLAND ist ein reichhaltiger und komplexer Film, der, ohne zu zerfasern, nach jeder neuen Begegnung unterschiedliche Diskurse ermöglicht. D Michael Schmitz
Start am 8.7.2021
After filming GRENZLAND – EINE REISE 1992 shortly after the wall came down, Andreas Voigt’s second film revisits the region between Germany and Poland.
gLÜCK
Großstadtlichterliebe
Sascha ist Sexarbeiterin. Sie ist Anfang 40 und seit Jahren im Berliner Bordell „Queens“ tätig. Mit einem ewigen Lächeln bewegt sie sich souverän durch ihre Welt. Warten im Pausenraum, aufreihen vor den potentiellen Freiern, Sex, Wäsche waschen, dazwischen rauchen, schwatzen, mit den Kolleginnen flachsen und wieder warten. Als die neue Kollegin Maria erscheint, fühlt sich Sascha sofort angezogen von ihr. Die Mittzwanzigerin ist cool, tätowiert, trägt lange Vintage-Mäntel und einen angesagten Vokuhila-Look. Sie schreibt feministische Gedichte und ist queer. Auch Maria ist von der beliebten und lockeren Sascha angetan, und es entspinnt sich ein Flirt über Blicke und Kurznachrichten, ein Date im Imbiss und eine erste gemeinsame Nacht im „Park Inn Hotel“, weit oben über den Großstadtlichtern Berlins. Sascha und Maria sind kurz glücklich miteinander.
Maria, die aus Italien stammt, schickt ihrem Vater täglich Nachrichten. Das Geld fließe und sie plane, ganz Berlin zu kaufen. Auch in Saschas Leben gibt es eine Familie. Ihr 11-jähriger Sohn Max lebt mit dem Vater in Brandenburg, zwischen Windrädern und Patchwork-Idylle. Die Zugfahrten aufs Land bringen Sascha auch in eine Vergangenheit zurück, in der sie ihre Rolle nicht gefunden hat. Als Sascha Maria auf ein Dorffest einlädt, um ihr Max vorzustellen, gerät sie in die Mühlen dieses abgelegten Lebens. Den Anmachen der Männer tritt sie widerspenstig gegenüber, während Maria spielerisch damit umgeht und von Saschas aggressivem Gegenhalten eher abgestoßen wird. Die Souveränität Saschas wackelt mit der geballten Demonstration von Männlichkeit und Heterosexualität, und auch ihre Beziehung zu Maria gerät ins Schwanken. Regisseurin und Autorin Henrika Kull konzentriert sich auf ihre beiden Protagonist*innen. Die Kamera von Carolina Steinbrecher kommt ihnen nahe, so nah, dass oft die Hintergründe verschwimmen, vorbeiziehen wie die Brandenburger Landschaft am Zugfenster, sich Bilder auflösen in flackernden Lichtern oder einem Gesicht. Kull recherchierte über Jahre in verschiedenen Bordellen und arbeitete in einigen selbst hinter der Bar oder als Assistenz der Hausdame. Für den Dreh kehrte sie mit den Darsteller*innen an einen dieser Orte zurück. Die Warteräume, die Kolleginnen, die Hausdame sind „echt“. Maria-Darsteller*in Adam Hoya ist selbst Sexarbeiter*in, Dichter*in, Model, Schauspieler*in und Instagram-Performer*in und war unter ihrem alten Namen Eva Collé im Doku-Kunstwerk SEARCHING EVA zu sehen.
Die Verdichtung von Realität und Spielfilm ist in GLÜCK kein prätentiöser Kunstgriff. Das semi-dokumentarische bzw. semi-fiktionale Konzept, das auch bei NOMADLAND, dem Oscar-Gewinner 2021, angewendet wurde, erhebt die Erzählung aus einer klischierten Fiktion in eine selbstbewusste Darstellung eines Milieus. Die Falle der Viktimisierung oder Romantisierung von Sexarbeit schnappt nicht zu. Katharina Behrens, als Sascha in ihrer ersten Kino-Hauptrolle, und Adam Hoya spielen die feinen Nuancen zwischen Zuwendung, Widerstand, Verletzlichkeit und Leichtigkeit, die die Figuren so charismatisch machen. Sie eignen sich ihre Körper an. Bestimmen über ihre Sexualität, in einem Job, der oft als das Ende jeder Selbstbestimmung gesehen wird. Henrika Kull wollte die subversive Kraft von selbstbestimmten Sexarbeiter*innen hervorheben. Frauen aus dem Trotz geboren, heißt es in Marias Gedicht, das im Film zitiert wird. Ein Trotz, der aus ihrer Rolle als „Ware Frau“ Kapital schlägt und die Frauen nicht zu Machtlosen macht, sondern zueinander führt, wachsen lässt und eben auch Momente des Glücks ermöglicht.
Deutschland 2021 D 90 min D R: Henrika Kull D B: Henrika Kull D K: Carolina Steinbrecher D S: Henrika Kull, Anna-Lena Engelhardt, Hannah Schwegel D M: Dascha Dauenhauer D D: Katharina Behrens, Adam Hoya, Nele Kayenberg, Jean-Luc Bubert, Petra Kauner D V: Edition Salzgeber
Sascha and Maria meet each other while working in a Berlin brothel and fall in love. Director Henrika Kull films in a semi-documentary form which incorporates real locations and actual sex workers. D Clarissa Lempp Start am 22.7.2021