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MaN MuSS PLäNE haBEN gaRagENVOLK

Ein Film wie ein Adventskalender, hinter jedem Tor eine andere, wundersame Welt. So ungefähr kann man sich Natalija Yefimkinas Dokumentarfilm vielleicht am besten vorstellen, der das zeigt, was er verspricht: Garagen und ihre Bewohner. Es ist ein Film über die Träume der russischen Männer (und ihrer Frauen), über ihre Leidenschaften ebenso wie über ihre Sorgen und Nöte. In den vier heiligen Wänden ihrer Abstellräume lassen sich von Hobby-Gyms über Metall- und Schnitzwerkstätten bis hin zu dem Probestudio einer Punkband alle möglichen orte der privaten Selbstverwirklichung finden. Aber nicht die Räume sind die eigentlichen Helden hier. Es sind die Menschen, die Yefimkina aus nächster Nähe beobachtet, denen sie tief in ihre gebrochenen russischen Seelen schaut. Besonders berührt ist man von Sergej, der an Parkinson leidet, und akribisch an ein paar Hanteln für seine Tochter bastelt. oder von Viktor, der seine Garage in jahrzehntelanger mühsamer Bauarbeit um vier unterirdische Stockwerke ergänzt hat. Einfach so, weil er graben wollte. Jetzt ist er zu alt und sein Enkel macht für ihn weiter. Aber auch skurrile Typen befinden sich unter ihnen, wie zwei Soldaten, die sich in der Umgebung als Gebirgsjäger probieren. Sie alle werkeln, bauen und beschäftigen sich. „Das Leben“, sagt der Wachtelzüchter Pavel einmal, ist so lang, wie man Pläne hat.“ Nicht alle von ihnen haben die Fertigstellung des Films überlebt. Die Verhältnisse in der kleinen Industriestadt in russischen Norden sind hart. Armut, Krankheiten, zu viel Wodka und die langen, harten Winter haben ihre Spuren hinterlassen. Aus den Garagen heraus entwirft die 1983 in der Ukraine geborene Berlinerin Yefimkina ein Mosaik der Befindlichkeiten einer Nation am Abgrund. Dafür hat sie Menschen gefunden, die uns daran teilhaben lassen, wie sie in ihren bescheidenen Lebenswelten Zuflucht, eine Bestimmung und manchmal sogar die große Liebe finden. D Pamela Jahn

 Start am 16.9.2021

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gaRagENVOLK

So lang man Pläne hat

Deutschland 2020 D 95 min D R: Natalija Yefimkina D B: Natalija Yefimkina D K: Axel Schneppat D S: Markus Schmidt, Barbara Toennieshen, Nicole Fischer D V: missingFILMs Natalija Yefimkina‘s documentary is about Russian men who live out their private passions in garages. According to quail breeder Pavel “life is as long as the plans that you make.“

ÜBER DEuTSChLaND

Die 17jährige Russin Marina Zwetajewa verbringt den Sommer 1910 im Sanatoriumsort Loschwitz bei Dresden. Im Russland des Kriegskommunismus erinnert sie sich 1919 an diese Zeit und überblendet sie in ihrem Text „Über Deutschland“ mit einem Lobpreis der deutschen Kultur. Sie ist auf dem Sprung, eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts zu werden. Bernhard Sallmann verbindet, ergänzt und kontrastiert in seinem Essayfilm ihre Worte mit Bildern künstlerischer Artefakte und Aufnahmen aus einem gegenwärtigen Deutschland im Stillstand (gedreht wurde im März 2020).

 Start am 2.9.2021

Deutschland 2021 D 80 min D R: Bernhard Sallmann D D: Judica Albrecht

FREISTaaT MITTELPuNKT

Ernst otto Karl Grassmé war ein norddeutscher Eigenbrötler, ein Sammler und Tüftler, und, laut eigenem Stempel, „Altonaer Bürgermeister im Exil“. Der Exzentriker, der abgeschieden auf einem zugemüllten Moorgrundstück lebte, war während der Nazizeit zwangssterilisiert worden. Bis zu seinem Lebensende 1992 kämpfte um unangepasste Souveränität. In Konflikt mit den Nachbarn brachten ihn dabei nicht nur die langen Briefe an junge Mädchen der Umgebung. FREISTAAT MITTELPUNKT erzählt über Grassmés Briefe aus seinem Leben und zeigt, was übrig geblieben ist von seinem kleinen Reich.

 Start am 9.9.2021 Deutschland 2021 D 90 min D R: Daniel Sager D B: Daniel Sager, Marc Bauder D K: Börres Weiffenbach, Daniel Sager, Anne Misselwitz, Frank Marten Pfeiffer D S: Hannes Bruun D V: Real Fiction

The documentary portrays the daily job routines of investigative journalists.

hINTER DEN SChLagzEILEN

Investigativ-Journalist*innen bei der Arbeit

Die Wahrheit ist ein verschlüsseltes Video. Wer das Video gesehen hat, kennt die Wahrheit. Die Journalisten Bastian obermayer und Frederik obermaier wissen etwas über Österreichs (heute Ex-)Vizekanzler Heinz-Christian Strache, das keiner weiß und sie keinem sagen dürfen. Noch nicht. Erst müssen die beiden Kollegen aus dem Ressort Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung die Aufnahme in der Redaktion vorliegen haben. Vorher geht gar nichts. Aber auch danach ist der Weg bis zum dem Leitartikel, der im Mai 2019 die „Ibiza-Affäre“ publik macht, noch weit. Gemeinsam mit der Chefredaktion und der Rechtsabteilung muss die hochbrisante Story diskutiert, doppelt und dreifach geprüft sowie eine Veröffentlichung unter Berücksichtigung aller möglichen Risiken und Konsequenzen abgewogen werden. Daniel Andreas Sagers Dokumentarfilm ist nüchtern und zugleich packend wie ein Thriller inszeniert. Zwei Jahre lang hat der Regisseur die Menschen „hinter den Schlagzeilen“ begleitet, fliegt mit ihnen zum Interview mit Edward Snowden nach Moskau und ist dabei, als sie auf Malta den Mord der Bloggerin Daphne Caruana Galizia recherchieren, die wie obermaier und obermayer an der Enthüllung der Panama Papers beteiligt war. Aber auch vor dem weniger attraktiven Büroalltag der Investigativ-Journalisten macht Sager nicht halt, der viel mit Warten zu tun hat und mit Geduld. Sparsam kommentiert wird das Geschehen von den beiden Hauptakteuren selbst, die in ihrer Professionalität und Menschlichkeit ein überzeugendes Plädoyer für seriöse Medienberichterstattung liefern. Am Tag nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos sitzen sie routiniert im Morgenmeeting, der Chefredakteur bittet um Sachlichkeit. Weiter geht’s mit der Aufklärung von Fakten und den vielen Geschichten, die noch im Dunkeln lie-

gen. D Pamela Jahn  Start am 16.9.2021

WaLTER KauFMaNN – WELCh EIN LEBEN

Ein Jahrhundert Zeitzeugenschaft

Ein Leben wie das des Schriftstellers Walter Kaufmann ist in unserer Zeit der minutiösen Lebensplanungen kaum noch vorstellbar: Geboren 1924 in Berlin als Kind einer alleinstehenden jüdischen Verkäuferin, adoptiert von einem gutbürgerlichen jüdischen Ehepaar in Duisburg, mit dem Kindertransport nach England entkommen, durch einen Zufall in Australien interniert. Durch die schriftstellerische Tätigkeit Kontakt zur DDR, dort mit Frau und Kindern ansässig geworden. Sein australischer Pass ermöglicht Kaufmann ein für dieses Land höchst ungewöhnliches Leben: das eines Reiseschriftstellers. Von Hiroshima in die USA der schwarzen Bürgerrechtsbewegung um Angela Davis, von der jungen Revolution in Kuba ins vermeintlich „gelobte Land“ Israel

Walter Kaufmann, born in 1924, escaped to England with the Kindertransport and became a travel writer in the GDR thanks to his Australian passport: his journeys took him from Hiroshima to the US civil rights movement, the Cuban revolution, and Israel. Deutschland 2021 D 101 min D R: Karin Kaper, Dirk Szuszies D K: Tobias Rahm, Dirk Szuszies D M: Benedikt Schiefer D V: Karin Kaper Film

führen seine Wege, und seine Romane und Reportagen berichten aus allen Teilen der Welt von ähnlichen Kämpfen um Frieden und Freiheit, seine Loyalität gehört stets den Unterdrückten.

Der Film von Karin Kaper und Dirk Szuszies ist verfilmte oral History, die Erzählungen des 97-jährigen Kaufmann werden nur durch Archivmaterial und Zitate aus seinen Werken illustriert. Man erlebt einen wachen Beobachter zeitgeschichtlicher Umwälzungen, der immer das Glück und Überlebensgeschick hatte, sich den Freiraum zum Schreiben zu erhalten. Interessant auch die Wechselwirkungen von Zeitgeschichte und persönlichem Leben, so die Entscheidung für die DDR nach einem ernüchternden Versuch der Spurensuche nach den ermordeten Eltern im verdrängenden Westdeutschland. Die Filmemacher*innen wählen die Rolle der respektvollen Chronisten, erzählt wird, was Kaufmann erzählen will, so scheint es. Nur nebenbei erwähnt wird z.B. sein Arrangement einer Ehe zu dritt. Vielleicht wäre es manchmal ergiebig gewesen, dem Protagonisten als herausfordernde Gesprächspartner zu begegnen.

a-ha – ThE MOVIE

Selten ehrlich

Biografische Dokumentarfilme über noch lebende Künstler geraten schnell zu Lobhudeleien, kein Wunder, welcher Regisseur will schon Jahre mit einem Menschen verbringen, den er doof findet? Doch es geht auch anders, wie Thomas Robsahm und Aslaug Holm mit A-HA – THE MoVIE zeigen, einem Dokumentarfilm über die berühmteste Bands Norwegens, die gleich mit ihrer ersten Single „Take on Me“ einen Welthit landeten, der zu den ikonischsten 80er Jahre Songs zählt. Hier erzählen Magne Furuholmen, Morten Harket und Pål Waaktaar-Savoy ihre Geschichte und lassen dabei wenig aus. Schon, dass sie meist allein zu sehen sind und fast nie als Trio, als Band, deutet die tiefen Risse und Animositäten an, die längst zu Tage getreten sind. Magne etwa ist immer noch sauer, weil zwar er das legendäre Riff zu „Take on Me“ geschrieben hat, aber Pål als hauptsächlicher Komponist gilt. Pål würde wiederum gerne als ernstzunehmender Musiker Anerkennung finden und nicht „nur“ als Autor von Popsongs und der schöne Morten hadert mit dem Leben als unendlich oft fotografierter Posterboy der Band. Irgendwann, als Teenager, Anfang der 80er Jahre in oslo scheinen die drei Freunde gewesen zu sein, doch das ist lange vorbei. Wie eine Zweckgemeinschaft mutet das Trio inzwischen an, doch auch wenn es anfangs so wirkt: Allein des Geldes wegen stehen sie nicht immer noch und trotz allem gemeinsam auf der Bühne. Ein tiefer Respekt vor den Fähigkeiten der Anderen scheint die Band am Leben zu erhalten, vor allem aber das Wissen, dass bei allem Streit und allen Konflikten eins klar ist: Nur als Trio, nur als „a-ha“ sind sie die Weltstars, die sie als Solo-Künstler nicht sind. A-HA – THE MoVIE ist selten ehrlich in Bezug auf Freud und Leid

des Ruhms. D Michael Meyns  Start am 14.9.2021

Norwegian pop band a-ha had a worldwide hit with their first single “Take on Me”. But there are deep cracks and animosities between the band members. Originaltitel: Notes of Berlin: Der Film D Deutschland 2019 D 105 min D R: Mariejosephin Schneider D B: Mariejosephin Schneider, Thomas Gerhold D K: Carmen Treichl D S: Inge Schneider D D: Paul Boche, Anne Müller, Katja Sallay D V: Nico Kupferberg Films

NOTES OF BERLIN

Zettelbotschaften

„Hallo Rawad, melde dich, du wirst Vater“ – eine Zettelbotschaft vor dem nächtlichen Späti irgendwo in Berlin, ohne Telefonnummer oder Abreißoption. Entdeckt vom Kioskbesitzer, der gleich weiß, dass einer seiner Stammkunden damit gemeint ist, und dessen wilder Nacht ganz beiläufig ein jähes Ende bereitet. Das ist nur eine der 14 Episoden in NoTES oF BERLIN, der absurd bis lebensklug die Botschaften der Hauptstadt seziert. Als Quelle dient dabei der gleichnamige Blog des Wahlberliners Joab Nist, der seit 10 Jahren dokumentiert und auf seinen sozialen Kanälen teilt, was die Stadt auf Straßenlaternen, Windschutzscheiben oder Briefkästen zu sagen hat, von verzweifelter Romantik bis zu nüchternem Realismus („Habt ihr schon mal dran gedacht, euch zu trennen?!“). In jüngster Vergangenheit waren Fans nicht nur dazu aufgerufen, gesichtete Fundstücke einzureichen und in den Kommentarspalten zu diskutieren, sondern auch die Geschichten dahinter: Grundlage für den ersten Spielfilm des Blogprojekts ist die interaktive Website „Notes of Berlin Film Lab“, die bereits seit 2014 zum Mitmachen aufruft. Denn: Städtische Episodenfilme wie JE T’AIME PARIS sind beliebt – außer sie verärgern die Fans der porträtierten Stadt so wie BERLIN I LoVE YoU. Das kann bei NoTES oF BERLIN durch die Mitmachphilosophie kaum passieren, auch weil sich der Film viel Zeit lässt, die Charaktere in all ihrer Alltagsweisheit und Verschrobenheit zu zeigen. Andrea Sawatzki hat einen anrührenden Auftritt, aber Hauptdarstellerin ist eindeutig Berlin selbst. So ist der Film am Ende nicht mehr und nicht weniger als ein Spaziergang durch semi-fiktive 24 Stunden der Hauptstadt. Für alle, die es lieben, unbekannten Straßenecken und kleinen Momenten auf die Spur

zu gehen. D Anna Hantelmann  Start am 9.9.2021

Joab Nist’s blog NOTES OF BERLIN, which posted the notes found on Berlin street lamps, windscreens, and post boxes was turned into the interactive website “Notes of Berlin Lab” in 2014, where the stories behind the notes are told: which is the source this anthology.

Deutschland/Österreich 2020 D 111 min D R: Philipp Stölzl D B: Eldar Grigorian D K: Thomas W. Kiennast D D: Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Rolf Laasgård D V: STUDIOCANAL

SChaChNOVELLE

Psychogramm eines Unbeugsamen

Das beindruckende, das teils erschütternde Psychogramm eines Unbeugsamen. Die Neuverfilmung der „Schachnovelle“. Jenem Text, der zu einer Art Abschiedsbrief Stefan Zweigs werden sollte: Nur Monate nach Fertigstellung des kaum 90 Seiten langen Werks wählte der Humanist und Pazifist im brasilianischen Exil den Freitod. Ähnlich wie das literarische Vorbild beginnt auch die Adaption von Philipp Stölzl (NoRDWAND) damit, dass sich der Protagonist zur Nazizeit ins südamerikanische Exil begibt (o-Ton Stefan Zweig: „Auf dem großen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte …“). Der bald einsetzende Rückblick offenbart all die Torturen, die er zuvor hat erleiden müssen. Darunter vor allem die monatelange „Sonderbehandlung“ im Hotel Métropole durch die Nazis – im Film vor allem repräsentiert durch einen ebenso fies höflichen wie zutiefst diabolischen Albrecht Schuch. Wie Bartok (in der Text-Vorlage: „Dr. B.“) mittels nachgespielter Schachpartien der geistigen Deprivation in der Isolationshaft zu trotzen sucht: dafür findet der Film zutiefst bewegende Bilder. Das Herz des Film freilich, ist unbestreitbar oliver Masucci (WERK oHNE AUToR), der sich in den letzten Jahren zu einem der spannendsten hiesigen Kinodarsteller entwickelt hat. Viel mehr als etwa an Ingmar Bergmans Klassiker des Schach-Kinos, DAS SIEBENTE SIEGEL muss man an Terrence Malicks famosen, wenn auch viel zu wenig beachteten Film A HIDDEN LIFE denken. Dort gibt August Diehl einen Geistesverwandten Bartoks – einen dem Nazi-Terror gegenüber ähnlich Standhaften. „Alles, was ich zu geben fähig war“, so heißt es in einem Brief Stefan Zweigs, „verdanke ich einer gewissen Begeisterung; ich verstand es, andere mitzureißen …“. Wie wahr.

D Matthias von Viereck  Start am 23.9.2021

The impressive, partially shocking psychological portrait of an indomitable character. Philip Stölzl adapted Stefan Zweig’s last text, “The Royal Game”. (TASTE THE WASTE)

TRÄUM WEITER!

SEHNSUCHT NACH VERÄNDERUNG

AB 30.9. IM KINO!

PETR KOTLÁR

ALS JUNGE UDO KIER LECH DYBLIK

EIN FILM VON VÁCLAV MARHOUL

JITKA ČVANČAROVÁ STELLAN SKARSGÅRD HARVEY KEITEL JULIAN SANDS JÚLIA VALENTOVÁ ALEKSEI KRAWTSCHENKO BARRY PEPPER PETR VANĚK

Maske: IVO STRANGMÜLLER · Kostüme: HELENA ROVNÁ · Tongestaltung: PAVEL REJHOLEC · Schnitt: LUDĚK HUDEC · Szenenbild: JAN VLASÁK · Kamera: VLADIMÍR SMUTNÝ Basierend auf dem Roman THE PAINTED BIRD von JERZY KOSIŃSKI · Buch, Produktion und Regie: VÁCLAV MARHOUL

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