INDIEKINO MAGAZIN #05, Januar/Februar 2020

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D SORRY WE MISSED YOU Unversöhnlicher denn je D MILES DAVIS – BIRTH OF THE COOL Musik und Stil D DIE ­WÜTENDEN Auf dünnem Eis D BROTHERS Pakt des Schweigens D DAS VORSPIEL Darstellerische Finesse D 1917 Atemberaubende Kamera D MILCHKRIEG IN DALSMYNNI Korrupte Kooperative D INTRIGE Dilemma D QUEEN & SLIM Polit-Pop D LITTLE JOE Schleichendes Unbehagen D WEATHERING WITH YOU Es regnet ständig D LINDENBERG! MACH DEIN DING Die Furcht wegsaufen D FREIES LAND Schurkereien im Oderbruch D VARDA PAR AGNÈS Das Leben und die Bilder D JUDY Träume? Die hatte ich mal D DAS FREIWILLIGE JAHR Ohne große Worte

Magazin FÜR unabhängigeS KINO

D 5 D JANUAR/FEBRUAR 2020

indiekinoMAG

LITTLE JOE – START AM 9.1.2020


SIXTEEN FILMS UND WHY NOT PRODUCTIONS P R ÄS E N T I E R E N

Herausragendes politisches Kino! SPIEGEL ONLINE

Ergreifend gespielt und mit dem Herz am richtigen Fleck. BERLINER MORGENPOST

Ein packendes Werk. Großes Kino. LA CROIX

REGIE

K E N L OAC H

SORRY WE MISSED YOU DREHBUCH

PAU L L AV E R T Y K R I S H I TC H E N

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RHYS STONE

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K AT I E P R O C T O R

/NFPKINO

AB 30. JANUAR IM KINO


Editorial Das neue Jahr beginnen wir mit einer extra-dicken Ausgabe. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist im Kino im Januar immer viel los, und zum anderen hat die Berlinale ihren Termin verschoben und findet jetzt erst Ende Februar (20.2.–1.3.) statt. Dieses Jahr gibt es deshalb ein Januar/ Februar-Heft, das alle Filme bis Mitte Februar vorstellt, und ein Februar/ März-Heft, das dann Mitte Februar mit der Berlinale-Vorberichterstattung einsetzt. Und was ist so los im Januar? Es wird politisch und musikalisch, und sehr unterschiedliche neue Arbeiten von Veteranen des Arthouse Kinos – Ken Loach (83), Terrence Malick (77), Abel Ferrara (69), Roman Polanski (86) und Rosa von Praunheim (77) – zeigen, dass man nicht alle alten weißen Männer über einen Kamm scheren sollte. Begeistert hat uns vor allem SORRY WE MISSED YOU von Ken Loach, der ganz nah am Alltag der Leute ist, die nicht so oft auf der Leinwand zu sehen sind, weil sie weder glamourös noch gefährlich noch kreativ sind, sondern sich mit ihren Familien gerade so am Existenzminimum durchhangeln. Mitreißendes Kino, bei dem die Frage, ob der selbständige Paketbote Ricky das Päckchen rechtzeitig zustellen kann, weitaus spannender ist als die, ob Luke Skywalker das Universum rettet. Am meisten Kopfzerbrechen hat uns die Frage gemacht, wie wir mit Roman Polanski und seinem neuen Film INTRIGE umgehen sollen, der in Venedig mit dem silbernen Löwen ausgezeichnet wurde. Unmittelbar vor Kinostart des Films in Frankreich hat eine weitere Frau Polanski der Vergewaltigung beschuldigt. Der Fall liegt viele Jahre zurück, und das Verbrechen, wenn es denn stattgefunden hat, ist verjährt. Aber es ist bei weitem nicht die einzige Anschuldigung, und in den USA läuft seit 1977 ein Verfahren gegen den Regisseur. In Frankreich haben Frauen die Premiere gesprengt und zum Boykott des Films aufgerufen. Wir haben uns für eine Besprechung entschieden (Seite 22). Geben wir damit möglicherweise einem mehrfachen Vergewaltiger Raum? Wäre Nicht-Beachtung Zensur? Wo verläuft die Grenze, wo sollte sie verlaufen? Lassen sich Werk und Leben trennen? Was tun mit Künstler*innen, deren Ästhetik man liebt, oder deren Politik man schätzt, deren Handlungen man aber verwerflich findet? Diese Fragen beschäftigen uns. Die Antworten sind im Fluss. Wir wünschen euch ein gutes Jahr 2020! Eure INDIEKINO Redaktion Die Februar/März-Ausgabe von INDIEKINO erscheint am 18.2.


INDIEINHALT

50 „GENREFILME NEIGEN DAZU, AM ENDE ALLE PROBLEME ZU LÖSEN“ INTERVIEW MIT JESSICA HAUSNER ZU LITTLE JOE

06 Magazin 10 „MAN MUSS RAUS UND SICH EINMISCHEN, NICHT NUR DASITZEN UND JAMMERN“ INTERVIEW MIT KEN LOACH ZU SORRY WE MISSED YOU 14 MUSIK UND STIL MILES DAVIS – BIRTH OF THE COOL 16 AUF DÜNNEM EIS DIE WÜTENDEN

52 Weiter im KINO 54 Kinohighlights 58 Kinderfilme 61 Kinoadressen, Impressum, Abo 62 Nachbild

Neu im JANUAR/FEBRUAR 29 48 28 56 48 18 20 47 28 38

1917 Albrecht Schnider – Was bleibt Alkohol – Der globale Rausch Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Bombshell – Das Ende des Schweigens Brothers Butenland Character One: Susan Congo Murder Crescendo – #makemusicnotwar

42 47 42 23 20 35 20 22 39 40 48 20 27

Darkroom – Tödliche Tropfen Enkel für Anfänger Freies Land Das Freiwillige Jahr Das geheime Leben der Bäume La Gomera Gundermann Revier Intrige Jojo Rabbit Judy Just Mercy Klavierstunden Knives Out – Mord ist Familiensache

49 38 50 48 18 44 37 19 14 21 20 26 30 26

Die Kunst der Nächstenliebe Lindenberg! Mach dein Ding Little Joe Little Women The Lodge Looking at the Stars Der Marktgerechte Mensch Milchkrieg in Dalsmynni Miles Davis – Birth of the Cool Mystify: Michael Hutchence Nachlass – Passagen Una Primavera Queen & Slim Romys Salon

10 43 34 37 24 36 46 19 32 34 30 16

Sorry We Missed You Spuren Swans – Where Does A Body End Tommaso Varda par Agnès Ein verborgenes Leben Vom Gießen des Zitronenbaums Das Vorspiel Weathering With You Weisser, weisser Tag Why Don’t You Just Die Die Wütenden

Starts der Woche 56 Als Hitler das rosa Kaninchen stahl 20 Gundermann Revier

2.1. 40 27 14 26

Judy Knives Out – Mord ist Familiensache Miles Davis – Birth of the Cool Una Primavera

28 18 42 50 19 30 34

Alkohol – Der globale Rausch Brothers Freies Land Little Joe Milchkrieg in Dalsmynni Queen & Slim Swans – Where Does A Body End

9.1.

D4

D JANUAR/FEBRUAR 2020

16.1.

23.1.

6.2.

29 48 47 38 20 38 37 46 32

20 39 20 19 16

20 28 47 23 22 18 37 24

Butenland Congo Murder Enkel für Anfänger Das Freiwillige Jahr Intrige The Lodge Tommaso Varda par Agnès

48 35 44 43 34

Bombshell – Das Ende des Schweigens La Gomera Looking at the Stars Spuren Weisser, weisser Tag

1917 Albrecht Schnider – Was bleibt Character One: Susan Crescendo – #makemusicnotwar Klavierstunden Lindenberg! Mach dein Ding Der Marktgerechte Mensch Vom Gießen des Zitronenbaums Weathering With You

30 Why Don’t You Just Die

Das geheime Leben der Bäume Jojo Rabbit Nachlass – Passagen Das Vorspiel Die Wütenden

30.1. 42 48 49 48 21 26 10 36

Darkroom – Tödliche Tropfen Just Mercy Die Kunst der Nächstenliebe Little Women Mystify: Michael Hutchence Romys Salon Sorry We Missed You Ein verborgenes Leben

13.2.

Starts ab 20.2. in unserer Februar/März-Ausgabe



INDIEMAGAZiN

FILMFESTIVAL MAX OPHÜLS PRIZE

Der Ehrenpreis beim Max Ophüls Filmfestival geht 2020 an Rosa von Praunheim. Der Regisseur und Aktivist prägte mit seinem über 150 Kurz- und Langfilme umfassenden Schaffen den schwulen und queeren Film (nicht nur) in Deutschland und scheute dabei nie vor Tabubrüchen zurück. Das Filmfestival, das vom 20. bis 21.1. zum 42. Mal in Saarbrücken an den Start geht, hat sich seit 1980 der Förderung des deutschsprachigen Nachwuchsfilms verschrieben, und so stehen neben der Würdigung einer Legende auch diesmal wieder junge und innovative Filme in vier Wettbewerben im Mittelpunkt. Für alle, die es von weit her nach Saarbrücken zieht, bietet das Festival in Kooperation mit der Bahn ein Veranstaltungsticket an. Wer es nicht schafft, kann Rosa von Praunheims jüngste Arbeit DARKROOM – TÖDLICHE TROPFEN (Besprechung auf Seite 42) , der am 30.1. startet, schauen. ffmop.de

STUTTGARTER FILMWINTER Vom 16.-19.1. erforscht der „Stuttgarter Filmwinter – Festival for Expanded Media“ in Grenzgängen von Film und Medienkunst die Abwesenheit. Der Verein Wand 5, der das Festival seit über 30 Jahren ausrichtet, hat ein Programm mit Filmen, Ausstellungen, Workshops, Performances und anderen experimentierfreudigen Veranstaltungen zusammengestellt, die es im FITZ! Cinema, im Theater tri-bühne und dem Kunstbezirk in Stuttgart zu sehen und erleben gibt. Zentrum des Filmprogramms sind die drei Wettbewerbe zu Kurzfilm, Medien im Raum und Network Culture. Das „Warm Up“ zum Festival ist bereits im Gange und mündet am Abend vor dem offiziellen Festivalbeginn in einer Ausstellung und Musikperformance. Für jüngere Gäste haben die Kurator*innen ein eigenes Kinder- und Jugendprogramm zusammengestellt. filmwinter.de FragMANts

Hessischer Dokfilmtag

Am 26.1. findet zum allerersten Mal der “Hessische Dokumentarfilmtag“ statt. Als Motto hat sich die Regionalgruppe des bundesweiten Dokumentarfilmverbandes AG DOK „Näher an der Wirklichkeit“ gewählt: „In einer Zeit des Verlustes der Glaubwürdigkeit in den Medien und in der Politik soll die Bedeutung des Dokumentarfilms, der von der Nähe zu ihren Protagonisten und Themen lebt, hervorgehoben werden.“ Alles über Spielorte, Gäste und Termine demnächst unter: hessischer-dokumentarfilmtag.de D6

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INDIEMAGAZIN

AUSSTELLUNG: MAXIMILIAN SCHELL Eine Sonderausstellung zu ­ aximilian Schell (1930-2014), einem der ersten deutschen Nachkriegs-Schauspieler, denen in Hollywood der DurchM bruch gelang, findet noch bis 19. April im Frankfurter Filmmuseum statt. Fotos aus dem Nachlass geben im Foyer einen ersten Überblick über die vielfältige Karriere des Schauspielers, Regisseurs und Produzenten. Vertieft wird die Betrachtung dann mit Filmmaterial, gezeigt auf 20 Monitoren, das in seine künstlerische Laufbahn eintauchen lässt. Außerdem gehören Dokumentaraufnahmen und Interviews, Dokumente und Objekte zur Ausstellung. Der Oscarpreisträger Schell wirkte über fünf Jahrzehnte hinweg in zahlreichen internationalen Produktionen mit. Für seine Rolle im Film JUDGMENT AT NUREMBERG (Urteil von Nürnberg, USA 1961, Regie: Stanley Kramer) erhielt er 1962 den Oscar. Außerdem stand er selbst hinter der Kamera, unter anderem als Regisseur des Dokumentarfilms MARLENE (D 1984) über Marlene Dietrich. dff.film

JUNG & ABGEDREHT

Junge Filmschaffende zwischen 14 und 27 zeigen beim 8. Hanauer Jugendfilmfestival „Jung & Abgedreht“ am 26.1. unter dem Motto „Schön kurz“ ihre Kurzfilme im Kinopolis. Auf dem Programm stehen etwa ein Kammerspiel auf der Toilette (BYE, Regie: Elias Grünthal, 17), eine Influencer-Parodie (JEDEM SEINS, AMIGO!, R: Hoang Quynh Nguyen, 22) oder ein Animationsfilm über das Tourette-Syndrom (TIC TIC TACK, R: Theresa Lucas, 22). Andere Filme thematisieren Rassismus, psychische Gesundheit, Technologie­ nutzung oder den Klimawandel. jungundabgedreht.de

AUGUST

VALERIE

DIEHL PACHNER

MATTHIAS

SCHOENAERTS

BRUNO

GANZ

MARIA

SIMON

»Terrence Malicks bester Film seit ‘The Tree of Life’.« INDIEWIRE.COM

»Kino in seiner mächtigsten und heiligsten Form.« VARIETY

EIN

VERBORGENES LEBEN EIN FI LM VON

TERRENCE MALICK www.ein–verborgenes–leben.de

AB 30. JANUAR 2020 IM KINO

»Stilistisch und intellektuell überwältigend.« PROGRAMMKINO.DE


INDIEMAGAZiN

Swatted

TRANSMEDIALE

Die transmediale, das Berliner Festival für Medienkunst und digitale Kultur, beschäftigt sich 2020 unter dem Titel „End to End“ mit Netzwerkkulturen. Vom 28.1. bis zum 2.2. setzen sich Künstler*innen und Denker*innen in Bildern, Filmen, Vorträgen und Diskussionen mit diesem und weiteren Themen des digitalen Zeitalters auseinander. Am „Film & Video Tag“, Donnerstag, 30.1., läuft neben fünf Kurzfilmen der Dokumentarfilm PRESENT.PERFECT. (US/HK 2019) von Shengze Zhu, der ausschließlich aus Livestream-Film­ material von chinesischen Streaming-Sites besteht. Einige Programmpunkte, darunter auch Gespräche mit den Kurator*innen, richten sich in der Rubrik „Student Forum“ speziell an Studierende. transmediale.de

WELTWEITE VORFÜHRUNG VON BAMBERGER KURZFILMTAGE Die Kurzfilmtage, ältestes Festival Bayerns, finden vom 27.1. bis SHOAH Claude Lanzmann arbeitete elf Jahre, von 1974 bis 1985, Bamberger 2.2. statt. An sieben Tagen laufen 150 Filme, schwerpunktmäßig aus

lang an SHOAH, einem 9½-stündigen Interview-Film, in dem Opfer und Täter der systematisch betriebenen Ermordung von Juden durch das Deutsche Reich zu Wort kommen. Der Film gilt als »epochales Meisterwerk der Erin­ne­rungskultur« und ist dennoch nur selten in ganzer Länge im Kino zu sehen. Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz am 27.1.2020 hat das internationale literaturfestival berlin [ilb] Individuen, Schulen, Universitäten, und kulturelle Institutionen zu einer weltweiten Filmvorführung von SHOAH aufgerufen Damit knüpft das ilb an die Serie der weltweiten Lesungen an, die es seit 2006 zu verschiedenen Themen, vor allem auf die Menschenrechte bezogen, organisiert hat. literaturfestival.com D8

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dem deutschsprachigen Raum, in sechs Locations. Dazu gehören die Kinos Lichtspiel und Odeon, aber auch die Stadtbücherei, der MorphClub und das Künstlerhaus Villa Concordia, eine idyllisch am Ufer der Regnitz gelegene Barockvilla. Festivalbesucher*innen lernen also neben den Filmen auch die Bamberger Kulturlandschaft von verschiedenen Seiten kennen. Lokale Filmschaffende zeigen im Wettbewerb „Regionalfilm“ ihre Arbeiten. Das Aufspüren und Unterstützen junger Nachwuchstalente steht im Vordergrund – unter anderem zeigten Oscarpreisträger wie Florian Henckel von Donnersmarck und Pepe Danquart hier ihre ersten Werke. bambergerkurzfilmtage.de


BEST OF GENRENALE VOL. 1 Das Genrenale-Filmfestival wurde einst als

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dreckiger kleiner Gegenpol zur großen anspruchsvollen Berlinale gegründet, findet aber schon länger nicht mehr parallel statt. Das Festival hat sich den Genres verschrieben, die es im deutschen Kino schwerer haben. Nun gehen neun Kurzfilme aus dem letztjährigen Festivalprogramm auf Torrnee, in denen es absurd, schwarzhumorig und etwas blutig wird. Ein Familienstreit und eine Warteschlange auf einem Selbstmörderdach sind da noch die profansten Situationen. Aliens, Dämonen, mörderisches Nasenbluten, ein Vopo-Kommissar mit speziellen Fähigkeiten, und ein Selfie sind schon ein anderes Kaliber. Vom LASERPOPE ganz zu schweigen. cinemaobscure.blogspot.com

VERLOSUNG: MEIN LEBEN MIT AMANDA Als die siebenjährige Amanda bei einem Terroranschlag ihre Mutter verliert, muss ihr Onkel, der 24-jährige David mitten in der eigenen Trauer für sie da sein. MEIN LEBEN MIT AMANDA erzählt sehr zart davon, wie Amanda und David zusammenwachsen und findet die emotionalsten Momente nicht in der großen Geste oder in den hilflosen Ritualen, mit denen die Gesellschaft den Schock zu mildern versucht, sondern in kleinen Details und Alltagsmomenten. Im Kino war Mikhaël Hers schöner Film leider nur kurz zu sehen, jetzt gibt es die Gelegenheit, dies wenigstens zu Hause nachzuholen. Bei Interesse schreibt uns bis zum 15.1. eine Mail an info@indiekino.de

Ein Film von

arsenalfilm.de

H . PÁ L M A S O N

WEISSER WEISSER TAG Ab 13. Februar im Kino


INDIEFEATURE

„Man muss raus und sich einmischen, nicht nur dasitzen und jammern“ Interview mit Ken Loach zu SORRY WE MISSED YOU

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INDIEFEATURE Ken Loach muss man eigentlich nicht vorstellen. Zum Oeuvre des Regisseurs gehören Klassiker wie KES (1969), RIFF RAFF (1991), LADYBIRD, LADYBIRD (1994), LAND AND FREEDOM (1995), THE NAVIGATORS (2001), JUST A KISS (2004), LOOKING FOR ERIC (2009), JIMMY’S HALL (2014) und Cannes-Gewinner I, DANIEL BLAKE (2016). In seinen Filmen, die mal mehr Komödie, mal mehr Drama, und meist irgendwo dazwischen angesiedelt sind, ist Loach immer fest auf der Seite der Underdogs, seien es Bauarbeiter, Putzfrauen, Sozialist*innen im Spanischen Bürgerkrieg oder irische Wiederstandkämpfer*innen. Einen O.B.E (das britische Equivalent zum Bundesverdienstkreuz) lehnte er ab: „…it’s not a club you want to join when you look at the villains who’ve got it.“ Bereits mehrfach hat der mittlerweile 82-Jährige seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft angekündigt, aber es dann im Ruhestand – zum Glück! – nicht ausgehalten. Das Interview führte Thomas Abeltshauser mit Ken Loach im September auf dem Filmfest in San Sebastián.

INDIEKINO: Nach I, DANIEL BLAKE, der 2016 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, haben Sie angekündigt, das sei wahrscheinlich Ihr letzter Film. Nun sind Sie inzwischen 80 und machen fleißig weiter. Ihr neues Sozialdrama SORRY WE MISSED YOU handelt von einer Familie, die unter den Folgen der Finanzkrise von 2008 leidet. Was treibt Sie an?

Das ist die Herausforderung. Aber man muss es auf ein individuelles Drama herunterbrechen, sonst ist es bloße Propaganda. Wir wollten eine einfache, kleine Geschichte erzählen, bei der deutlich wird, es ist nur die Spitze des Eisbergs, und durch die eine wirtschaftliche Struktur sichtbar wird. Wir haben unzählige solcher Geschichten gehört.

Ken Loach: Es passiert einfach zu viel Schlimmes! Jedes Mal, wenn ich die Nachrichten einschalte, denke ich: Darüber müssten wir was machen. Ich bin ständig mit Paul Laverty, meinem Drehbuchautor, in Kontakt und wir reden über alles Mögliche. So kam es auch zu SORRY WE MISSED YOU. Wir sprachen lange über die sich rasant verändernde Arbeitswelt. Noch vor einer Generation hatten viele Menschen das ganze Leben denselben Arbeitsplatz, der die Sicherheit brachte, um eine Familie zu gründen, ein Haus zu bauen und sein Leben zu planen. Das verschwindet gerade.

Wie gewinnen Sie das Vertrauen der Betroffenen, sich Ihnen zu öffnen?

Können Sie das erläutern?

Sie haben die beiden Hauptrollen mit Laien besetzt, die aus ähnlichen Verhältnissen kommen. Um es glaubwürdiger zu machen?

Zwei Drittel aller neuen Jobs sind prekär und ohne jede Sicherheit. Viele sind mittlerweile vermeintlich selbständig, und alles Risiko ist auf den einzelnen Arbeiter abgewälzt, weil er nun ein unabhängiger Anbieter einer Leistung ist und kein Festangestellter. So hat er keinen Lohnausgleich bei Krankheit, keinen bezahlten Urlaub und im Falle des Lieferdienstfahrers in meinem Film auch keine Versicherung für sein eigenes Fahrzeug. Wenn da irgendwas schiefläuft, ist er dran. Das war die Grundidee, Paul fing dann an zu recherchieren, sprach mit Betroffenen, die ihm ihre Erfahrungen schilderten. Paul wollte das auch als Familiengeschichte erzählen, denn dort wird der Stress sichtbar, dem die Menschen mehr und mehr ausgesetzt sind. SORRY WE MISSED YOU setzt damit auf gewisse Weise fort, was Sie bereits in I, DANIEL BLAKE thematisiert hatten. Und beide sind in Newcastle angesiedelt. Daniel Blake ist Opfer bürokratischer Sanktionen und um die Ecke wohnt eine Familie, in der beide Eltern prekäre Arbeiter sind, die ums Überleben kämpfen. Es sind zwei Seiten derselben Situation. Wie schwierig ist es, ein soziales oder politisches Thema in einen Spielfilm zu verwandeln?

Paul Laverty ist sehr gut darin. Er versuchte es zunächst über die Gewerkschaften, aber alle hatten Angst. Also ging er frühmorgens zu Fuhrparks und kam mit den Fahrern ins Gespräch. Er sagte von Anfang an, dass es um einen Film geht und sicherte ihnen Anonymität zu. Mit einigen Fahrern verbrachte er dann einen ganzen Tag im Wagen und erlebte ihren Arbeitsalltag.

Unbedingt! Ricky ist eigentlich selbständiger Klempner, Debby gibt Nachhilfe für Schüler. Beide wollten schon lange schauspielern, und es wirkt sehr authentisch, weil sie diese Welt sehr genau kennen. Die bittere Ironie ist, dass die Mutter als Heimpflegerin arbeitet, um so ihre eigene Familie zu ernähren, aber dadurch keine Zeit mehr hat, sich um sie zu kümmern. Wir haben viel mit Frauen in diesem Beruf gesprochen. Viele haben 20 Minuten pro Klienten und erhalten dafür nur ein Drittel des Mindeststundenlohns, der bei 8,50 Pfund liegt. Also bekommen sie weniger als drei Pfund, brauchen aber oft eine halbe Stunde und mehr, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Leuten zu kommen, die Anfahrt wird nicht vergütet. Das sind Armutstarife! Die Auseinandersetzungen innerhalb der Familie verlaufen immer ähnlich. Wollen Sie damit zeigen, dass wir Menschen Gewohnheitstiere sind? Sind wir das etwa nicht? Der Vater versucht, eine Art Autorität aufrechtzuerhalten, die traditionelle patriarchale Struktur. Die Rolle der Mutter ist auszugleichen, für Frieden zu sorgen. Und der Sohn ist der Gefangene in JANUAR/FEBRUAR 2020 D

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INDIEFEATURE diesem Szenario. Sie sind festgefahren in dieser Dynamik, das wollte ich durch den immer gleichen Ablauf verdeutlichen. Die Körpersprache, wie sich jemand bewegt und im Raum positioniert, sagt sehr viel über einen Menschen aus. Sie kämpfen seit Jahrzehnten für soziale Gerechtigkeit und prangern mit Ihren Filmen die Ausbeutung und den Sozialabbau in Großbritannien an. Die Rechtspopulisten sind dort wie in großen Teilen Europas auf dem Vormarsch, die Linke scheint dem wenig entgegensetzen zu können. Sind Sie von ihren alten Mitstreitern enttäuscht? Die Fronten, was rechts und was links ist, sind heute klarer als je zuvor. Die Rechten glauben an einen freien Markt, eine kapitalistische Wirtschaft und eine globalisierte Produktion, in der sich die Bourgeoisie die billigsten Arbeiter suchen kann, um sie auszubeuten. Das ist für mich die Rechte. Die Linke steht für gemeinsame Güter und Planwirtschaft, um den Planeten zu retten und Gerechtigkeit am Arbeitsplatz herzustellen. Die Grenzen sind eindeutig, es gibt da keinen Mittelweg. Die Verzweiflung über die Linke kenne ich, seit ich denken kann – es ist die einfache Ausflucht für Leute, die sich nicht einmischen wollen. Gehen Sie zu irgendeinem Gewerkschaftstreffen und sie werden Leute finden, die bereit sind zu kämpfen. Ich bin nicht verzweifelt, sondern im Gegenteil sehr hoffnungsvoll. Weite Teile der Arbeiterklasse wählen heute populistische und nationalistische Parteien. Wie erklären Sie sich diesen Rechtsruck? Geschichte wiederholt sich. Hitler und Mussolini wurden auch gewählt. Es gibt natürlich ein großes reaktionäres Element innerhalb der Arbeiterklasse, das können wir nicht leugnen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie durch die herrschende Klasse für deren Profitmaximierung ausgebeutet wird. Doch die Versprechen des Kapitalismus sind sehr stark und werden durch die Medien und ihre Vergötterung von Unternehmern gefüttert, auch wenn es den meisten immer schlechter geht und wir unsere Umwelt zerstören. Aber viele glauben diese Lügen. In ihren Augen sind nicht die Verantwortlichen schuld, sondern die anderen, die auch arm sind, oft eine andere Hautfarbe haben. Sie nehmen ihnen vermeintlich die Arbeitsplätze und Wohnungen weg. Es ist immer einfacher, nach unten zu treten. Das ist eine Denkweise, die wir bekämpfen müssen. Aber ich habe auch Hoffnungen, vor allem in die Jugend, die gerade für das Klima auf die Straße geht. Wir müssen ihnen zuhören! Sonst droht es zu verpuffen, weil sie sehen, dass sich nichts ändert. Jetzt geht es darum, diese Proteste und Forderungen in eine kohärente politische Bewegung zu überführen. Hier ist vor allem die Linke gefordert. Wieso sind Sie trotz allem optimistisch? Wenn es um Veränderung geht, gibt es natürlich immer Meinungsverschiedenheiten. Aber bei allem was schief läuft in Großbritannien, haben wir mit Jeremy Corbyns Labour Party zumindest eine starke linke Oppositionspartei, mit einem Programm, das Punkte fordert wie einen radikalen Wandel zu ökologischer Produktion, erhöhte Investitionen in den öffentlichen Dienst, Gewerkschaftsrechte für alle, um die Ausbeutung durch prekäre Arbeitsverhältnisse und die Privatisierung des Gesundheitssystems zu beenden, und vieles mehr. Und die Chancen stehen gut, dass wir mit diesem Programm die Wahlen gewinnen könnten, wir sind die stärkste D 12

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sozialistische Partei in ganz Europa. Wo ist da Enttäuschung? Dieses Gerede ist kontraproduktiv. Ich bin voller Hoffnung. Aber man muss raus und sich einmischen, nicht nur dasitzen und jammern. Zugleich wird die Kritik lauter, die Linke habe die klassische Arbeiter­ familie vergessen. Wer sagt das? Der freie Markt beutet die Menschen aus und darunter leiden vor allem die Familien. Alleine der mentale Stress, davon handelt ja auch mein Film. Die Leute schuften 12, 14 Stunden und lassen sich am Arbeitsplatz, ob als Krankenschwester oder als Fahrer eines Lieferservices, nichts anmerken. Und wenn sie nach Hause kommen, sind sie völlig erschöpft, ungeduldig und gereizt. Und darunter leiden die Kinder. Das ist doch offensichtlich. Im Kino gibt außer Ihnen diesen Menschen kaum noch jemand eine Stimme. Weil die Investoren und Finanziers nicht daran interessiert sind. Es lässt sich damit kein Geld verdienen. Und sie entscheiden, was produziert wird. Also nicht wir Filmemacher haben diese Menschen vergessen, es gibt schlicht immer weniger Möglichkeiten, ihre Geschichten zu erzählen. Wir hatten früher mehr Freiheiten. Ist Ihr Anspruch dabei, auf bestimmte Situationen und soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, oder verstehen Sie Ihr Kino auch als Medium, um Dinge zu verändern? Zuallererst geht es darum zu zeigen, dass es passiert, auf eine Art, die glaubwürdig ist. Ich halte es mit Bertold Brecht: „Und ich dachte immer: die allereinfachsten Worte müssen genügen. Wenn ich sage, was ist, muss jedem das Herz zerfleischt sein.“ Es ist wichtig, Missstände klar zu benennen, und alleine das sollte uns wütend machen. Und wenn es mir gelingt, dadurch Leute aufzurütteln und es eine Bewegung oder politische Organisation oder Gewerkschaft gibt, die sich für diese Belange einsetzt, liegt es am Zuschauer, ob er nach dem Kinobesuch einfach nach Hause geht oder sich informiert und engagiert. Aber nehmt es zumindest wahr, ignoriert es nicht! Mehr kann ein Film nicht leisten. Trotz allem gibt es in SORRY WE MISSED YOU kleine Hoffnungs­schimmer … Mein Ansatz ist, mit Empathie zu beobachten. Ich will nicht nur die Umstände erklären, sondern auch die Solidarität feiern, die Unterstützung, Zuneigung und den Humor, die ich auch bei den am meisten Ausgebeuteten noch immer entdecken kann. Erreichen Sie mit Ihren Filmen, die Leute, die es konkret betrifft? Viele gehen sonst gar nicht ins Kino, vor allem ins Arthousekino. Aber wir hatten über 700 Filmvorführungen bei Gewerkschaftsgruppen, Selbsthilfeorganisationen, Fußballvereinen und Pubs, oft in den ärmsten Gegenden des Landes. Bei vielen waren Paul und ich selbst dabei und redeten mit den Menschen. Es war deutlich, dass wir mit der Geschichte einen Nerv treffen. D Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser


Großbritannien 2019 D 100 min D R: Ken Loach D B: Paul Laverty D S: Jonathan Morris D M: George Fenton D D: Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone, Katie Proctor D V: NFP marketing & distribution

Sorry We Missed You Unversöhnlicher denn je

Ken Loach ist wütend. Sehr wütend. Während Pedro Almodóvar und Martin Scorsese selbstreflexiv zurückblicken, Woody Allen sich in nostalgischen Träumereien verliert und Clint Eastwood sich mit Senioren-Gangstern amüsiert, ist Ken Loach gegenwärtiger und unversöhnlicher denn je. Sein neuer Film SORRY WE MISSED YOU knöpft sich die Ich-AG vor. Ricky Turner aus Newcastle macht sich als Paketbote selbstständig. Wenn alles gut läuft, werden er und seine Frau Abbie, die als ambulante Altenpflegerin arbeitet, das Häuschen abbezahlen können. In der Hoffnung auf ein Leben, das wenigstens ein bisschen komfortabler ist, verkaufen die ­Turners Abbies Kleinwagen und schaffen sich einen Lieferwagen an. Womit sie nicht gerechnet haben, ist der erbarmungslose Druck. Für den Fall, das eben mal nicht alles gut läuft, gibt es keinen Puffer: Jede Verspätung wird mit Sanktionen bestraft, und wenn Ricky ausfällt, muss er einen Ersatzfahrer bezahlen. Das erste, was ein Kollege ihm gibt, ist eine Plastikflasche – in die kann er pinkeln, wenn keine Zeit zum Aussteigen ist. Während zuhause Sohn Seb die Schule schwänzt und dringend Aufmerksamkeit bräuchte, rast Ricky durch die Stadt, die Katastrophe immer dicht auf den Fersen. Auch wenn hier und da, im Privaten, noch Orte der Wärme und Geborgenheit zu finden sind, wird erschreckend deutlich, dass es für die Turners keinen Plan B gibt. Wie zu Beginn der Industrialisierung haben die kleinsten Rädchen im globalen Getriebe – auch in Europa – so gut wie keinerlei Absicherung und kaum Perspektiven mehr. Ken Loach und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty inszenieren das mit einer Dringlichkeit und Energie, die 60 Jahre jüngere Filmemacher*innen gesetzt und müde wirken lässt. Diese politische Zwei-Mann-Bewegung hat offenbar nicht vor, die Klappe zu halten, solange es Missstände gibt, die benannt werden müssen. Und das ist sehr gut so. D Hendrike Bake

Start am 30.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Ken Loach takes the ‘I Incorporated’ world to task: Ricky Turner from Newcastle becomes a self-employed parcel carrier. If everything goes well, he and his wife Abbie, an outpatient geriatric nurse, can pay off their little house….

AB 23. JANUAR IM KINO


INDIEFEATURE

“Ich möchte mich so fühlen, wie Miles Davis spielt” sagt die Autorin Farah Griffin in Stanley Nelsons exzellentem Dokumentarfilm MILES DAVIS – BIRTH OF THE COOL. Wer würde das nicht gern? Kaum ein anderer Musiker ist so unmittelbar identifizierbar. Es reicht einer dieser klaren, entweder gedämpften, oft vibrationslosen Töne, die immer klingen als würden sie direkt über einem Abgrund schweben, als wären sie immer kurz davor zu zersplittern oder zu implodieren, oder einer der messerscharfen ungedämpften Töne, die in die Stille schneiden: Das kann nur Miles sein, mit all seiner Eleganz, Präzision, unsentimentaler Romantik und Wut. Regisseur Stanley Nelson hat vor MILES DAVIS – BIRTH OF THE COOL zahlreiche politische Dokumentarfilme gemacht, darunter den mit zwei Emmys ausgezeichneten FREEDOM RIDERS, über Bürgerrechtsaktivist*innen, die in den 60er Jahren die Rassentrennung durch gemeinsame Bus- und Zugfahrten bekämpften, aber auch Filme über die Black Panthers und über den Mord an Emmett Till. Sein Film über Miles Davis ist eine der besseren Musikerbiografien der letzten Jahre, ohne dass sie sich formal unbedingt von anderen unterscheidet. Es gibt Fotocollagen, die historische Ereignisse und Zeitkolorit vermitteln, viele Fotoporträts und Filmaufnahmen von Miles Davis, eine Off-Erzählung mit Texten aus D 14

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Miles Davis’ Autobiografie und viele Talking Heads. Die Musik selbst könnte mehr Raum bekommen, Nelson legt stets nach wenigen Sekunden Text über die Stücke und schiebt Davis’ eigentliche Kunst in den Hintergrund, aber immerhin lässt Nelson die richtigen Leute reden, und alle haben tatsächlich etwas zu sagen. Und so klappert der Film nicht nur die wichtigsten künstlerischen und biografischen Stationen in Davis’ Leben ab, sondern zeigt auch die kulturelle Relevanz von Davis’ Musik und Stil: die Ablehnung jeder Spur von „Minstrelsy“ im Bebop, also allem, was an die rassistischen „Blackface“-Shows des 19. Jahrhunderts erinnerte, in denen das Stereotyp der immer fröhlichen, tanzenden und singenden, naiv-tumben Schwarzen vermittelt wurde. Dann die Entstehung einer neuen, eleganten, selbstbewussten Schwarzen Männlichkeit im Rassengrenzen überschreitenden Cool-Jazz, die sich in den totschicken und sündhaft teuren Brooks-Brothers-Anzügen, die Davis trug, ebenso spiegelte wie in den urbanen, soundorientierten Arrangements seit den Aufnahmen zu „Birth of the Cool“ von 1949. „Birth of the Cool“ war auch die erste der epochalen Kooperationen von Davis mit dem Arrangeur Gil Evans, die klassische Musik und Jazz zu neuen Klangwelten verbanden. Miles Davis erste Ehefrau, die Tänzerin Frances Taylor, weckte bei Davis die Begeisterung für Flamenco, die zu „Sketches of Spain“ (1960) führen


INDIEFEATURE

Miles Davis – Birth of the Cool Musik und Stil

sollte, seine zweite Ehefrau, die feministische Funk-Musikerin Betty Davis, die mit Sly Stone und Jimi Hendrix befreundet war, inspirierte Davis zu den Jazz-Rock-Funk-Experimenten seit „Bitches Brew“ (1970). Nelsons Film verschweigt nicht die dunklen Seiten von Davis’ Geschichte, die Alkohol- und Kokainsucht oder die Arroganz, mit denen er Musikerkollegen behandelte (Archie Shepp: „He said: Who are you? Shepp? Fuck you! You can’t sit in with me!“). Aber er zeigt auch den alltäglichen Rassismus, dem Davis in den USA ausgesetzt war. Weniger deutlich wird der Film, wenn es um Davis’ Gewalttätigkeiten gegenüber Frauen geht. Frances Taylor berichtet zwar von einem Schlag ins Gesicht, nachdem sie bei einem Clubbesuch angemerkt hatte, dass Quincy Jones ein attraktiver Mann sei. „Das war der erste, aber unglücklicherweise nicht der letzte“, sagt Taylor. Aber Nelson lässt die Interviews mit Davis’ Partnerinnen auf einem versöhnlichen Schlussakkord enden. „Ich bereue nicht, ich vergebe nicht, aber ich liebe“ sagt Frances Taylor, die Davis auch gezwungen hatte, ihr Engagement bei der ersten Broadway-Produktion von „West Side Story“ aufzugeben. Angesichts der zahlreichen Geschichten über Davis Gewalt gegen Frauen, die im Film nicht erwähnt werden, wirkt das im Film wie eine Absolution.

Miles Davis war eine komplexe Persönlichkeit und eine kulturelle Ikone. Wenn der Schlagzeuger Lenny White sagt: „Wir wollten nicht nur spielen wie Miles Davis, wir wollen Miles Davis sein“, sieht das von heute aus betrachtet vielleicht ein wenig anders aus. Aber der Wunsch, sich so fühlen, wie Miles Davis gespielt hat, das lässt sich kaum vermeiden. Ein paar Töne aus „Sketches of Spain“ oder „Kind of Blue“ und jeder Widerstand schmilzt. D Tom Dorow

USA 2019 D 113 min D R: Stanley Nelson D S: Lewis Erskine, Natasha Livia Mottola, Yusuf Kapadia D M: Miles Davis D V: Piece of Magic Entertainment

Start am 2.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Stanley Nelson’s film about Miles Davis is one of the better musician’s biographies in recent years, without being formally different from the others.

JANUAR/FEBRUAR 2020 D

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INDIEFEATURE

Die Wütenden Auf dünnem Eis

Schon die Eröffnungssequenz macht die Parallele deutlich: Eine Menschenmenge vor dem Arc de Triomphe in Paris. Die Tricolore weht vielfach im Wind. Der Nationalstolz wird gefeiert. Eine Momentaufnahme wie aus der Französischen Revolution. Aber die Bilder sind aktuell, von der vergangenen WM 2018. Darüber liegt in übergroßen Lettern der Titel: LES MISÉRABLES. Doch die Parallelen in Ladj Lys Sozialdrama zu Victor Hugos Klassiker gehen tiefer. Da wäre zunächst der Stadtteil Montfermeil vor den Toren der Hauptstadt, in weiten Teilen der Handlungsort von Hugos Werk. Auch 150 Jahre später herrscht dort bittere Armut und soziale Ungerechtigkeit. Regisseur Ly weiß, wovon er erzählt, wuchs er doch selbst in Montfermeil auf und war mittendrin in den blutigen Ausschreitungen von 2005, die auch seinen Film inspirierten. Hier ist es der junge Polizist Stéphane (Damien Bonnard), der aus der Provinz in den sozialen Brennpunkt kommt, um dort Dienst zu schieben. An seinem ersten Arbeitstag erlebt er die Spannungen in dem Viertel zunächst vom Rücksitz des Peugeots aus, während ihn seine neuen Kollegen in die D 16

D JANUAR/FEBRUAR 2020

Fronten und Verhaltensweisen einführen. Gwada (Djibril Zonga) ist der ruhige Pol, Chris (Alexis Manenti) der Psycho, der überzeugt davon ist, mit harter Hand mehr zu erreichen. Es gibt den selbsternannten Bürgermeister, einen Gangsterboss, der als Sprachrohr für die Gemeinde dient, die Muslimbruderschaft, die im Hintergrund die Strippen zieht. Und dann gibt es die Jungen, Gewaltbereiten, die sich nichts sagen lassen. Solange hier niemand die Nerven verliert, bleibt es ruhig. Doch am Rande des Viertels haben die Roma ihr Lager aufgeschlagen, ein Wanderzirkus. Der junge Issa kommt auf die Idee, ein Löwenjunges zu entführen und entfesselt damit einen Krieg, zwischen dessen Fronten Stéphane und seine Kollegen geraten. Regisseur Ladj Ly versteht seinen Film als Warnung an die Politik. 15 Jahre nach den schweren Ausschreitungen in den Banlieues hat sich nichts geändert. Eine neue Generation ist herangewachsen. Es ist an der Politik, sich um sie zu kümmern. Ly gelingt ein lebensnaher Einblick in eine Welt abseits des Systems. Ein Mikrokosmos mit eigenen Regeln und Gesetzen,


„Roman Polanskis bester Film seit DER PIANIST“ Filmstarts.de

filmfestspiele venedig 2019

silberner löwe großer preis der jury

EIN FILM VON

ROMAN POLANSKI

in dem eine Handvoll Polizisten versucht, für Ordnung zu sorgen. Ein täglicher Eierlauf, der einen hochspannenden Film ergibt, den Kameramann Julien Poupard in vibrierende Bilder umsetzt. Ein intensiver Film, der unter die Haut geht und Hugos Worte im letzten Akt schmerzhaft ins Gedächtnis ruft: „Merkt Euch, Freunde! Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner.“ D Lars Tunçay

INTRIGE Ab 6. Februar im Kino

Originaltitel: Les Misérables D Frankreich 2019 D 103 min D R: Ladj Ly D B: Ladj Ly, Giordano Gederlini, Alexis Manenti D K: Julien Poupard D S: Flora Volpelière D D: Damien Bonnard, Alexis Manenti, Djebril Zonga D V: Wild Bunch/Alamode/Central Film

Director Ladj Ly found Victor Hugo’s “Les Misérables“ in the Parisian Banlieues of today.

/Intrige.DerFilm PHOTO GUY FERRANDIS / ALL RIGHTS RESERVED

Start am 23.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Kardeşler D Türkei/Deutschland/Bulgarien 2017 D 103 min D R: Ömür Atay D B: Ömür Atay D D: Yiğit Ege Yazar, Caner Şahin, Gözde Mutluer D V: Filmdisposition Wessel

Brothers

Großbritannien 2019 D 100 min D R: Veronika Franz, Severin Fiala D K: Thimios Bakatakis D S: Michael Palm D M: Danny Bensi, Saunder Jurriaans D D: Richard Armitage, Riley Keough, Jaeden Martell, Lia McHugh, Alicia Silverstone D V: SquareOne

The Lodge

Pakt des Schweigens

Slowburn-Horror

Wie fremdgesteuert funktioniert Yusuf (Ege Yazar) in der Jugendstrafanstalt. Seit vier Jahren besteht sein Leben aus der täglichen Routine aus Aufstehen, Bett Machen, Arbeiten, Hofgang. Besuch hatte er in all den Jahren nie. Dann taucht plötzlich sein Bruder Ramazan (Caner Sahin) auf. Yusufs Entlassung steht kurz bevor, und Ramazan begleitet ihn in sein neues Leben, der Arbeit in der familiären Raststätte. Der 17-Jährige will aber eigentlich nur seine Mutter endlich wiedersehen, ihr gegenüber treten und sagen, dass er unschuldig hinter Gittern saß. Doch die Begegnung wird seine Erwartungen nicht erfüllen, und in dem stillen, verschlossenen Yusuf reift eine Wut gegen jene, die seine Zeit im Gefängnis zu verantworten haben, gebremst nur von der eigenen Schuld, die er auf sich geladen hat. Ömür Atays BROTHERS beginnt fast schon etwas zu langsam. Am Anfang wirkt der Debütfilm wie ein undurchdringliches Geflecht von Andeutungen. Die Gründe für Yusufs Haft lässt Atay lange im Dunkeln. Doch es lohnt sich, Geduld zu haben, die Gesten und Blicke der Brüder genau zu studieren, ihre Worte aufzunehmen. Denn mit dem Auftauchen einer weiteren Figur verdichtet sich die Handlung in der zweiten Hälfte des Films zu einem starken Finale: Yasemin (Gözde Mutluer) ist in dem Motel der Brüder gestrandet. Ihr Verlobter ist mit uneingelösten Versprechen abgezogen. Ihre Figur und die der Mutter auf der einen, die Brüder und der Onkel auf der anderen verbinden sich am Ende zu einem kraftvollen Porträt der türkischen Gesellschaft – das Patriarchat, die Blutsbande, die bedingungslose Hörigkeit gegenüber den Älteren. Im Zentrum steht Yusuf, ein Kind, das zum Mann werden musste, um für die Familie einzustehen, still aber stark verkörpert von Ege Yazar. D Lars Tunçay

Dass den österreichischen Filmemacher*innen Severin Fiala und Veronika Franz nach dem Erfolg ihres elegant konstruierten Horrorfilms ICH SEH, ICH SEH die österreichische Filmproduktionslandschaft zu eng würde, war abzusehen. Ihr neuer Film THE LODGE ist eine britisch-französisch-amerikanische Koproduktion, die unter dem Hammer Films Label erscheint. Wäre THE LODGE ein paar Wochen früher erschienen, wäre der Film das perfekte Weihnachtsgegengift gewesen. Zwei Kinder, der Teenager Aidan und seine acht Jahre alte kleine Schwester Mia trauern um ihre vor einem halben Jahr plötzlich verstorbene Mutter. Ihr Vater Richard lässt sie kurz vor den Weihnachtsfeiertagen mit seiner neuen Verlobten Grace (Riley Keough) für ein paar Tage auf einer eingeschneiten, aber gut ausgestatteten Jagdhütte allein. Die Hütte spielt offenbar eine große Rolle im Leben der Familie, denn die Kinder besitzen ein großes Puppenhaus, das der Originalhütte detailgetreu nachempfunden ist, und in dem Puppen symbolträchtige Stellungen einnehmen. Das erinnert stark an die Modelle, die Tony Colette in Ari Asters HEREDITARY baut, was vermutlich Zufall ist, zumal Fiala/Franz und Aster ähnliche Themen umkreisen. Die Kinder finden schnell heraus, dass Grace die einzige Überlebende einer christlichen Selbstmordsekte ist, und bemerken, dass ihr die Madonnenbilder und Kruzifixe in der Hütte Unbehagen bereiten. Bald geschehen seltsame Dinge, und wie schon in ICH SEH, ICH SEH bleibt oft unklar, was Realität und was Halluzination ist. THE LODGE ist ein psychologischer Slowburn-Horrorfilm, der mehr mit Atmosphäre als mit Schocks arbeitet und mehrere Wendungen nimmt, die weniger überraschend sind, als dass sie ständig als Möglichkeiten über der Geschichte schweben. Der antireligiöse und morbide Stil von Fiala und Franz wirkt trotz der internationalen Produktion mindestens so österreichisch wie die Filme von Ulrich Seidl. D Tom Dorow

Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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D JANUAR/FEBRUAR 2020

After four years in juvenile detention, Yusuf gets out of jail and is just 17. His big brother wants to drag him into crime again, but Yusuf flees from the family and the memories of his crime.

Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

The first US film from Austrian directing duo Severin Fiala and Veronika Franz (GOODNIGHT MOMMY). Two children drive to a mountain cabin with their soon-to-be stepmother. Mysterious things happen.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Deutschland 2019 D 99 min D R: Ina Weisse D B: Ina Weisse, Daphne Charizani D K: Judith Kaufmann D S: Hansjörg Weißbrich D D: Nina Hoss, Ilja Monti, Simon Abkarian, Sophie Rois D V: Port-au-Prince

Das Vorspiel

Milchkrieg in Dalsmynni

Darstellerische Finesse

Korrupte Kooperative

Zuweilen korrespondieren Filme auf so stupende, wenn auch nicht intendierte Art miteinander, dass es verlockend ist, sie in Relation zueinander zu setzen. DAS VORSPIEL, Regie Ina Weisse, ist ein Film über Enttäuschung, Verhärtung, über eine Frau ohne Mitte. Ein Film über Musik-Besessenheit, ein Film über eine Frau (Nina Hoss) zwischen fünf Männern (Sohn, Vater, Mann, Liebhaber, Geigen-Schüler). Ihrer Mitte ist auch Lara, Protagonistin in Jan-Ole Gersters im November gestarteten gleichnamigen Film verlustig gegangen. Beide, Pianistin Lara und Violinistin Anna, haben auf eine Karriere als Musikerin verzichten müssen. Bei Lara war es das vernichtende Urteil eines Professors, bei Anna eine Angststörung. Einmal fliegt Anna ob ihrer Nervosität bei einem Konzert der Violinbogen weg. Voller Wut fokussiert sie sich auf den Geigen-Unterricht. In beiden Filmen kommt es zu Übergriffigkeiten Musikschülern gegenüber, in beiden entlädt sich die Frustration der Hauptfiguren. Andere müssen büßen fürs eigene Versäumnis. Die sich sukzessive verhärmenden Gesichtszüge Annas machen sie zu einer Art Leidensgenossin Laras. Ganz so niederdrückend wie Jan-Ole Gersters Zweitling ist das mit Humor-Momenten gespickte VORSPIEL aber nicht. So wie LARA ohne das kühl kontrollierte Spiel Corinna Harfouchs kaum denkbar ist, prägt auch Hoss ihren Film. Beeindruckend die Sequenz, in der ihr Eleve wider Erwarten doch zum Jahrgangs-Konzert erscheint: Was sich während des Auftritts auf Hoss’ Gesicht abspielt, wie sich stückweise Erleichterung, Freude breit macht, wie sich schließlich Hoss’ Augen langsam mit Tränen füllen, zeugt von darstellerischer Finesse und einem Sinn für Ökonomie. Beide, LARA und DAS VORSPIEL, sind Berlin-Filme. Während man im streng durchkomponierten LARA BVG-Stationen und andere Orte erkennt, versinkt Ina Weisses Berlin in einer die Unentschlossenheit ihrer Hauptfigur spiegelnden Unschärfe. D Matthias von Viereck

Start am 23.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

Originaltitel: Héraðið D Island 2019 D 90 min D R: Grímur Hákonarson D B: Grímur Hákonarson D K: Mart Taniel D D: Arndís Hrönn Egilsdóttir, Hinrik Ólafsson, Sigurður Sigurjónsson, Hannes Óli Ágústsson D V: Alamode Filmdistribution

DAS VORSPIEL is a film about disappointment, about music obsessiveness, about a women without a center amongst five men (son, father, husband, lover, violin student).

Nahe der isländischen Kleinstadt Dalsmynni betreiben Inga und Reynir einen Milchhof, der schon lange in seiner Familie ist. Zu zweit schaffen sie die Arbeit kaum, und es wäre einfacher, die Schulden abzuzahlen, wenn sie nicht verpflichtet wären, nur mit der örtlichen Genossenschaft Handel zu treiben. Als Reynir bei einem Unfall stirbt, ist es eine Erleichterung für Inga, dass die Genossenschaft den Hof führt, während sie trauert, und sie kaum noch gebraucht wird. Aber dann erzählt ihr ein Arbeiter, dass Reynir abtrünnige Bauern an die Genossenschaft verraten und so in den Ruin getrieben hat. Voller Wut schreibt Inga auf Facebook über die mafiösen Methoden der Genossenschaft und findet kurz darauf heraus, wie richtig sie mit den Anschuldigungen liegt. Wenn Inga in Dalsmynni bleiben und den Hof behalten will, soll sie den Mund halten. Das Fernsehen interessiert sich für ihre Geschichte. Von den anderen Milchbauern ist dagegen keine Hilfe zu erwarten. Dafür sind sie zu träge und passiv und scheuen die Aufregung. Inga aber ist ganz die störrische Bäuerin und hat keine Angst vor dramatischen Aktionen und einer Nacht hinter Gittern. Doch alleine kann sie nicht gegen die Genossenschaft siegen. Grímur Hákonarsons (STURE BÖCKE) MILCHKRIEG funktioniert auf verschiedenen Ebenen, die sich erst im Nachhinein voll erschließen. Nicht nur geht es um Ingas innerliche Abrechnung mit einem Ehemann, der sie belogen hat, und ihre Anstrengung, sich von seinem Andenken zu befreien und als Bäuerin ernstgenommen zu werden. Im Kampf gegen den AgrarDon im Strickpulli wird auch die Frage angeschnitten, wie sich Vereinigungen, die einmal die Interessen der Mitglieder verteidigt haben, so entwickeln, dass sie nur noch die eigenen Interessen – auch zum Nachteil der Mitglieder – verfolgen, und ab wann es ganz allgemein im Leben an der Zeit ist, eigene Wege zu gehen. D Christian Klose

Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

After the death of her husband and shortly before filing for bankrupcy, Icelandic dairy famer Inga goes against the local cooperative, accusing them of operating a mafia scheme.

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INDIEKRITIKEN

Gundermann Revier

Das geheime Leben der Bäume

„Wo nischt ist, ist alles möglich.“ Anhand seiner Songs führt Grit Lemkes schöner und persönlicher Film lose durch Gerhard Gundermanns Karriere von den Anfängen mit der Brigade Feuerstein, über die Soloerfolge bis hin zu den Nachwendeauftritten. Auch, dass Gundermann für die Stasi arbeitete, kommt vor. Aber Lemkes Blick ist wesentlich weiter, schweifender und fängt in Beobachtungen, die in ihrer Knappheit und Präzision etwas von einem Gedicht haben, einen Landstrich und eine Generation ein, die in den letzten 30 Jahren komplett umgekrempelt wurden.

Das Buch „Das geheime Leben der Bäume“ des Forstwirtschaftlers und Försters Peter Wohlleben stand seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2015 monatelang auf den Sachbuch-Bestsellerlisten. Wohlleben verband enormes Fachwissen und eine Fülle von „Fun Facts“ – wie etwa die Tatsache dass paarungswillige Bäume miteinander kommunizieren und hungernde Bäume einander aushelfen – mit der Vorstellung vom Wald als einem nahezu utopischen Gesellschaftssystem. Jetzt erklärt Wohlleben in der Filmfassung das Leben der Waldbewohner noch einmal persönlich.

Start am 12.12.2020

D 2019 D 98 min D R: Grit Lemke

Start am 23.1.2020

Deutschland 2020 D R: Jörg Adolph

Klavierstunden

Nachlass – Passagen

Beim Klavierunterricht in Irland gibt es acht Prüfungen in unterschiedlichen Leistungsklassen. Jedes Jahr bereiten sich 30.000 Klavierschüler*innen auf die Prüfungen vor. Der charmante und rührende Dokumentarfilm von Ken Wadrop porträtiert einige von ihnen und ihre Lehrer*innen, von dem unbefangenen kleinen Jungen, der bei seiner ersten Stunde einfach in die Tasten haut, über eine achtjährige Überfliegerin, ein junges Mädchen mit Muskelschwäche, bis zu einer Frau, die nach tragischen Erlebnissen wieder mit dem Klavierspielen begonnen hat.

Im Dokumentarfilm NACHLASS beschäftigten Christoph Hübner und Gabriele Voss sich mit den Hinterlassenschaften nach der Nazizeit. Sie porträtierten Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, Kinder und Enkel der Täter- und Opfergeneration. NACHLASS – PASSAGEN entstand im gleichen Zeitraum. Aus einer weiteren Perspektive geht es um Beobachtungen und Gespräche mit Historikern, Kuratoren, Therapeuten, Juristen. Diese zusätzlichen Episoden wurden zu neun kurzen Einzel-Filmen montiert.

Start am 16.1.2020

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Originaltitel: Making the Grade D Irland 2017 D 85 min D R: Ken Wardrop

Start am 23.1.2020

Deutschland 2017 D R: Christoph Hübner, Gabriele Voss D D: Barbara Brix, Ulrich Gantz, Jürgen Grislawski, Adi Kantor, Erda Siebert

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN

Mystify: Michael Hutchence

Butenland

Videoclipregisseur Richard Lowenstein zeichnet das Leben und die Karriere des 1997 verstorbenen INXS-Frontmanns Michael Hutchence nach, mit einer Masse an Archiv- und Privataufnahmen des Sängers. Kommentare von Freunden wie Bono und Kylie Minogue, Verwandten und INXS-Bandmitgliedern ermöglichen einen Blick hinter die Fassade, die er der Klatschpresse zeigte, und erzählen von einem zerrissenen Menschen, der depressive Phasen, aggressive Schübe und Drogenprobleme hatte, seine Familie und Freunde aber auch intensiv liebte.

Seit 2007 führen Karin und Jan Gerdes den elterlichen Hof von Jan als ein Altersheim für Kühe. Um das Projekt zu finanzieren, nehmen sie Feriengäste auf und haben die Tierschutzstiftung Hof Butenland gegründet. Filmemacher Marc Pierschel hat die beiden auf Hof Butenland über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren mit der Kamera begleitet. Sein Film schildert den Alltag auf einem Hof, auf dem es keine Nutztiere mehr gibt, und hinterfragt den gegenwärtigen Status von Nutztieren in unserer Gesellschaft.

Start am 30.1.2020

Australien 2019 D 102 min D R: Richard Lowenstein

Start am 6.2.2020

Deutschland 2020 D 82 min D R: Marc Pierschel

GOLDEN GLOBE NOMINIERUNGEN BESTER FILM DRAMA

BESTE REGIE SAM MENDES VOM REGISSEUR VON

SKYFALL

ZEIT IST DER FEIND A B 16. J A N U A R I M K I N O

BESTE FILMMUSIK


INDIEKRITIKEN

Intrige Subtile Verweise

Kann man den Künstler und sein Kunstwerk unabhängig voneinander betrachten? Diese Frage stellt sich in diesen Tagen besonders oft. Darf man noch Woody-Allen-Filme sehen? Darf man sich über den Literaturnobelpreis für Peter Handke freuen? Und was macht eigentlich Roman Polanski? Der macht es Freunden wie Feinden mit seinem neuen Film INTRIGE besonders schwer, einen Text über ein neues Werk zu schreiben, ohne auf die Vergangenheit des Künstlers einzugehen. Das ist in diesem Fall umso bedauerlicher, als die gleichermaßen fast dokumentarische, aber auch enorm spannend inszenierte Nachzeichnung der Dreyfus-Affäre ein Film ist, der zwar Ende des 19. Jahrhunderts spielt, aber auch viel über das 21. Jahrhundert erzählt. Basierend auf einem Tatsachen-Roman von Robert Harris zeichnet Polanski mit größter Genauigkeit den Justiz-Skandal nach, der ab 1894 die Dritte Französische Republik erschütterte. Gleich in der ersten Szene sieht man, wie der jüdische Hauptmann Albert Dreyfus (Louis Garrell) öffentlich degradiert und vor den Augen von tausenden, meist antisemitischen Parisern gedemütigt wird. Er wurde für schuldig befunden, militärische Geheimnisse an den Erbfeind, das Deutsche Reich, verraten zu haben. Verbannt auf die vor der Küste Südamerikas gelegene Teufelsinsel hätte Dreyfus wohl nie wieder seine Heimat erblickt, wenn nicht der Zufall einen Mann an die Spitze des Nachrichtendienstes gebracht hätte, der zwar selbst Antisemit, aber auch eine durch und durch rechtsgläubige Person war: Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin). Schon nach kurzer Amtszeit findet Picquart deutliche Hinweise, die auf Dreyfus’ Unschuld hindeuten, doch in den Führungsspitzen von Militär und Regierung will davon niemand etwas wissen: Im Gegenteil. Bald sieht sich Picquart selbst einer weitreichenden Intrige gegenüber, die die vorangegangenen Lügen und Täuschungen vertuschen soll. Konservativ und klassisch inszeniert Polanski das, verlässt sich ganz auf die hyperrealistische Ausstattung, die das Paris der Jahrhundertwende lebendig macht, seine exquisiten Darsteller und die unglaublich präzisen Bilder seines polnischen Kameramanns Pawel Edelman. Verweise auf den zunehmenden Antisemitismus der Gegenwart, auf Fake-News und eine D 22

D JANUAR/FEBRUAR 2020

Originaltitel: J’accuse D Frankreich/Italien 2019 D 126 min D R: Roman Polanski D B: Robert Harris, Roman Polanski D K: Pawel Edelman D S: Hervé de Luze D M: Alexandre Desplat D D: Emmanuelle Seigner, Jean Dujardin, Louis Garrel, Mathieu Amalric D V: Weltkino

Mobkultur, die ihre Opfer sucht, ohne sich um die Fakten zu kümmern, bleiben subtil; jeder, der in den letzten Jahren auch nur sporadisch die Entwicklungen, die Krisen der Demokratie verfolgt hat, wird nicht anders können, als Parallelen zu sehen. Ob man allerdings auch Parallelen zwischen dem Schicksal Dreyfus’ und dem von Polanski gesehen hätte? Wohl kaum, doch genau solche Parallelen versuchte Polanski in einem weitreichenden Interview, das vor der Weltpremiere von INTRIGE beim Filmfestival von Venedig erschien, anzudeuten. Ja, Polanski wurde von der Presse übel mitgespielt, vor allem als er nach dem Mord an seiner damaligen Frau Sharon Tate einige Zeit als Verdächtiger galt. Und ja, er hat wie Dreyfus Exil erlebt: 1977 wurde er wegen Vergewaltigung einer damals 13-Jährigen angeklagt – eine Tat, die er nicht abstreitet. Der Fall sollte in einem Vergleich beigelegt werden, und als der Richter sich dennoch zu einem Strafverfahren entschloss, floh Polanski aus den USA und hat seine Wahlheimat seither nicht mehr betreten können. Aber sich als Opfer einer antisemitischen Verschwörung hinzustellen mutet angesichts der Umstände reichlich absurd an, eigentlich sogar obszön. Mit diesem Vergleich beschädigt Polanski seinen eigenen Film, missbraucht in gewisser Weise die Dreyfus-Affäre für seine eigenen Zwecke. Umso bedauerlicher ist das, da INTRIGE ein bemerkenswerter Film ist, der in Venedig zu Recht mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, aber eben leider auch ein Film, der nicht isoliert von seinem Autor betrachtet und gewürdigt werden kann. D Michael Meyns

Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Roman Polanski’s new, controversial film is about the antisemitic Dreyfus affair of 1894. The original title of the film was J’ACCUSE, based on Emile Zola’s famous article in which he accused the military court of convicting Dreyfus without evidence.

Termine unter www.indiekino.de


Deutschland 2019 D 86 min D R: Ulrich Köhler, Henner Winckler D B: Ulrich Köhler, Henner Winckler D K: Patrick Orth D S: Laura Lauzemis D D: Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert D V: Grandfilm

Das freiwillige Jahr Ohne große Worte

„EIN HOCHSPANNENDES PORTR ÄT: INTENSIV, FORSCHEND, TR AURIG, ROMANTISCH, TRIUMPHAL, TR AGISCH, BER AUSCHEND UND UNFASSBAR EHRLICH.“ VARIETY

MILES DAVIS

Eine große Reise soll es werden: ein Jahr Costa Rica, im Freiwilligendienst eines Krankenhauses. Jettes Gepäck ist schon im Auto, als sie sich noch vom Pferd in ihrem Garten verabschiedet und ihr Vater Urs sie zur Eile ruft. Auf dem Weg zum Flughafen möchte er noch bei seinem Bruder halten, um Jettes Fotoapparat abzuholen. Als dieser die Tür nicht aufmacht, PIECEOFMAGIC.COM/MILESDAVIS was öfters vorzukommen scheint, beginnt Urs, sich Sorgen zu machen und verschafft sich gewaltvoll Zutritt zu der Wohnung. Während Urs im ersten Stock des Gebäudes immer hektischer wird – seine Tochter muss J A N B ÜL OW IST schließlich ihren Flug erwischen – wartet Jette unten auf ihn, verwirrt, MILESDAVIS_82x122mm_INDIEKINO_2.indd 1 aber weniger gestresst, als plötzlich ihr Freund Mario (Thomas Schubert) vorbeikommt, der sie spontan zum Flughafen fährt. Ulrich Köhlers und Henner Wincklers DAS FREIWILLIGE JAHR entspinnt sich an den kleinen Momenten, den Zufällen, den Blicken und schreibt durch diese, von Patrick Orths Kamera aufmerksam beobachtet, seine Geschichte. Es wird dann nicht die Geschichte einer großen Reise. Wirklich begeistert schien Jette (Maj-Britt Klenke) von Anfang an nicht, ihr Vater (Sebastian Rudolph) dafür umso mehr. Am Flughafen machen sie und Mario kehrt, drehen um und fahren ins Grüne, übernachten im Auto, schalten die Handys aus, um von den besorgten Eltern nichts mitzubekommen. Jettes Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Reise steht im Kontrast zu der Verschmitztheit, die sie zwischen Schlafsäcken im Auto auslebt. Doch lange währt die Zeit ohne Verpflichtung nicht; nach einem Streit tauchen die Eltern auf. Was zu Beginn des Films nach liebevoller Zuwendung des Vaters aussah, ist bald als ungesunde Erwartung zu erkennen: Die Tochter soll die weite Welt sehen, die er in seinem Dorf nicht mitbekommt. Ein wie beiläufig daherkommendes Familiendrama, dessen Figuren ohne viele Worte tief blicken lassen. Und eine kleine Reise in Richtung Veränderung tritt Jette vielleicht doch noch an. D Lili Hering

BIRTH OF THE COOL

AB 2. JANUAR IM KINO

Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Father Urs convinces daughter Jette to do a voluntary social year in South America – but she doesn’t really want to leave the province.

DIE UNGLAUBLICHE GESCHICHTE VON UDO LINDENBERG EIN FILM VON HERMINE HUNTGEBURTH

AB 16.01.2020 NUR IM KINO!

Termine unter www.indiekino.de

09/12/2019 09:37:20


INDIEFEATURE

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D JANUAR/FEBRUAR 2020


INDIEFEATURE

Agnès Varda sitzt auf einer Theaterbühne, zeigt Ausschnitte aus ihren Arbeiten und erzählt. Die zu dem Zeitpunkt 90-jährige, 2019 verstorbene Regisseurin gibt eine persönliche Filmgeschichtsstunde, so subjektiv und uneitel wie in ihren Filmen, offen für Zufälle und hochinteressiert an Details, Randständigem, scheinbar Unwichtigem. Sie gibt keine Anleitung, sondern erzählt von ihren Erfahrungen, Erlebnissen und Veränderungen im Verhältnis zum Finden, Inszenieren und Filmen von Bildern. Vardas Name ist ein großer in der Filmgeschichte. 1954 drehte sie mit LA POINTE-COURTE de facto den ersten Nouvelle Vague-Film, Jahre bevor die männlichen Kollegen unter diesem Label berühmt wurden. Doch Ruhm und Ranglisten scheinen nie treibende Motivation für ihr Schaffen gewesen zu sein. Völlig selbstverständlich ist Varda immer ihren subjektiven Interessen und Wahrnehmungen gefolgt. Ein Film über die Kindheit ihres Mannes Jacques Demy, ein fiktives Biopic über ihre Freundin Jane Birkin und ein erotischer Kurzfilm mit der islamischen Architektur in den Hauptrollen als Antwort auf die langweiligen Stereotypen des erotischen Kinos – ihre Themen sind das eigene Leben, geliebte Menschen, Merkwürdigkeiten und Widersprüche, der Feminismus. Sie war Fotografin, drehte Kinospielfilme und ließ sich von der Digitaltechnik zu direkten, unaufwändigen Dokumentarfilmen inspirieren. Zuletzt entdeckte sie die Installationskunst für sich und recycelte das in Zeiten digitaler Projektion überflüssig gewordene analoge Material ihrer Kinoerfolge unter anderem als Tapete. Immer neue Themen, neue Methoden – „Das Material führt einen“ ist eine ihrer wenigen generellen Aussagen. Dieses Arbeits- und Selbstporträt inspiriert zur Kreativität, bietet Hintergrundwissen für Kenner*innen ihrer Filme und lädt ein, ihr Werk kennen zu lernen. D Susanne Stern

Varda par Agnès Das Leben und die Bilder

Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

The exuberant French documentarian Agnès Varda passed away last year. In VARDA PAR AGNÈS, arriving in cinemas posthumously, she assembled director talks, lectures, and anecdotes and made a charming self-portrait.

Originaltitel: Varda par Agnès D Frankreich 2019 D 115 min D R: Agnès Varda D D: Agnès Varda D V: Film Kino Text

JANUAR/FEBRUAR 2020 D

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INDIEKRITIKEN Originaltitel: Kapsalon Romy D Niederlande/Deutschland 2019 D 90 min D R: Mischa Kamp D B: Tamara Bos D K: Melle van Essen D S: Sander Vos D M: Jacob Meijer, Alexander Reumers D D: Vita Heijmen, Beppie Melissen, Noortje Herlaar, Guido Pollemans D V: farbfilm

Romys Salon

Una Primavera

Oma-Enkelin-Team

Privat & politisch

Romys Oma Stina ist eine sehr bestimmte und selbstständige Frau, die sich in nichts reinreden lässt, vor allem nicht, wenn es um den Betrieb ihres Friseursalons geht. Deshalb ist Romy auch alles andere als begeistert, dass sie nun jeden Nachmittag nach der Schule bei ihrer Oma verbringen soll. Sie würde ja gerne helfen, doch ihre Oma schickt sie ja doch nur sofort nach oben in die Wohnung und überlässt Romy sich selbst. Als Romy jedoch eines Nachmittags in den Salon kommt, bittet ihre Oma ihr zu helfen, denn trotz neuer Kasse, kommt sie mit all den Zahlen nicht zurecht. Und überhaupt, irgendetwas scheint mit Oma nicht zu stimmen. Romys wacher Blick beobachtet erstaunt, wie ihre sonst so selbstbewusste Oma immer zerstreuter wird und hektisch versucht zu verbergen, dass sie die einfachsten Rechnungen nicht mehr bewältigen kann. „Mal fühlt es sich an als wäre mein Kopf voll und dann ist er leer.“, vertraut Stina ihrer Enkeltochter an. Der Film erzählt nicht allein von einer stolzen, älteren Frau, die an Alzheimer erkrankt, sondern vor allem Romys Geschichte. Durch ihre Augen erleben wir, wie die Krankheit ihrer Oma immer weiter fortschreitet, aber auch wie frei und unbeschwert das Leben immer noch sein kann. Sowohl Romy als auch ihre Oma können nur schwer akzeptieren, dass es ihre kleine Welt rund um den Salon bald nicht mehr gibt. Romy sieht, wie unglücklich ihre Oma in ihrem neuen Leben ist und hat das Gefühl, dass das allen anderen völlig egal ist. Und so trifft sie einen Entschluss: Sie will mit ihrer Oma nach Dänemark fahren. An den Ort, von dem sie so viel erzählt und an dem sie so glücklich war. Durch die Sicht dieses jungen, starken Mädchens, wird einem wieder bewusst, was wirklich zählt. Denn für Romy ist nur eins wichtig: aufeinander aufzupassen und dafür zu sorgen, dass es jedem gut geht. D Karla Kabot

Start am 30.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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D JANUAR/FEBRUAR 2020

Österreich/Deutschland/Italien 2018 D 80 min D R: Valentina Primavera D B: Federico Neri, Valentina Primavera D K: Valentina Primavera D M: Macarena Solervicens D V: Fugu Filmverleih

Romy and her grandma are a good team in grandma’s hair salon, but the usually confident grandma becomes more and more scatterbrained.

Valentina Primavera hat einen sehr privaten und zugleich außerordentlich politischen Film über ihre Familie gedreht. Sie hat damit angefangen, als ihre Mutter Fiorella aus der italienischen Kleinstadt, in der sie seit ihrer Kindheit lebt und drei Kinder großgezogen hat, zu Valentina nach Berlin geflüchtet ist. Nach über 40 Ehejahren hat Fiorella ihren Mann verlassen. Valentina möchte diesen Umbruch, sie nennt es „einen Moment der Tapferkeit“, festhalten. Nach einigen Wochen reist Fiorella zurück und reicht die Scheidung ein. Valentina begleitet sie zum Gericht, in die neue Wohnung und ins alte Haus, um dort Sachen abzuholen, und Fiorella gestattet es, dass ihre Tochter dabei auch Momente der Schwäche, der Verzweiflung und des Zauderns filmt. Zunächst ist da vor allem Wut. Unter Tränen erzählt Fiorella im Auto auf dem Weg zum Gericht, wie sie mit 19 geheiratet hat und dann schwanger und vom Ehemann verprügelt bei ihren Eltern saß, wie die sie immer wieder zu ihm zurück geschickt haben, wie es dann so weiter ging mit drei Kindern und keinem Ausweg. Wieder und wieder verwünscht sie Bruno. Doch später kommen Bedenken hinzu. Hätte sie wirklich das Haus, in dem sie Jahrzehnte gelebt, das sie selbst entworfen hat, aufgeben sollen? Was macht sie nun einsam in der neuen Wohnung? In das alte Leben will sie nicht zurück, aber ein neues zeichnet sich nicht ab. Vor allem deshalb nicht, weil ihr ganzes Umfeld sie zurück in die alte Rolle zu drängen scheint. Es ist ihre Entscheidung, heißt es bei den Frauen – aber nun soll sie sich auch nicht beschweren. Das eigentliche Opfer ist hier doch Bruno, sagen die Männer der Familie. Es wird bedrückend klar, dass ein Moment der Tapferkeit nicht ausreicht, um das zähe patriarchale Familiengefüge umzuformen, das wie ein Gummiball immer wieder in seine alte Form zurück will. Es bräuchte Tausende Momente – und die Bereitschaft auch der anderen Familienmitglieder für eine Veränderung. D Hendrike Bake Start am 2.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Valentina Primavera has made a very private yet incredibly political film about her family: after 40 years of marriage her mother Fiorella leaves her husband, but the path towards a new life is difficult.

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Originaltitel: Knives Out D USA 2019 D 130 min D R: Rian Johnson D B: Rian Johnson D K: Steve Yedlin D M: Nathan Johnson D D: Daniel Craig, Lakeith Stanfield, Chris Evans, Ana de Armas, Michael Shannon, Jamie Lee Curtis, Toni Collette, Katherine Langford, Christopher Plummer, Don Johnson, Jaeden Lieberher D V: Universum

»Voller temperamentvoller weiblicher Energie.« variety

Knives Out – Mord ist Familiensache Whodunnit

Harlan Thrombey ist tot. Am Abend seines 85. Geburtstags hat der weltberühmte Krimiautor sich in seinem Dachzimmer, das niemand unbemerkt betreten kann, selbst die Kehle aufgeschnitten. Dieses für den Toten AB 9. JANUAR IM KINO angemessen komplizierte Ableben schockiert die versammelte Familie, www.MilchkriegInDalsmynni.de /MilchkriegInDalsmynni.Film aber als der Verdacht aufkommt, es könnte Mord gewesen sein, können alle möglichen Erb*innen von Harlans beachtlichem Vermögen sofort auf eine Person mit Motiv zeigen. Daher wurde Meisterdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig als Südstaaten-Columbo) engagiert, um Licht in die unzähligen familiären Verbindungen und Konflikte zu bringen, und, so es denn Mord war, die Schuldigen zu finden. Unterstützt wird er von Harlans südamerikanischer Pflegerin Marta (Ana de Armas), vor der die Familie kaum Geheimnisse hat, und die auf Grund einer allergischen Reaktion auf Lügen vor Blanc nichts verbergen kann. Nachdem Rian Johnsons erster Film BRICK den Hardboiled-Krimi ins moderne High-School-Milieu transplantierte, inszeniert er hier einen Whodunnit, der immer haarscharf auf der Schneide zwischen Krimi und Satire balanciert. KNIVES OUT übt sich in Exzess: von einem All-Star-Ensemble AB (unter anderem Jamie Lee Curtis, Don Johnson und Toni Collette), das 16. JANUAR eine reiche weiße Familie des 21. Jahrhunderts in allen ihren Facetten IM KINO darstellt, über ein Haus, das bis in jede verwinkelte Ecke durchdekoriert ist –„Er lebte auf einem Cluedo-Spielbrett“, wie es eine Figur sagt – bis hin zu einem Plot, der zuerst sehr amüsant Erinnerungen und Aussagen mit der Wahrheit kontrastiert, und dann plötzlich in eine ganz andere, verworrenere Richtung abbiegt. Einige der Spuren und Hinweise laufen Buch und Regie:Buch Rita Ziegler und Regie: Rita Ziegler BuchBuch und undRegie: Regie: Rita RitaZiegler Ziegler Buch und Regie: Rita Ziegler Kamera: IsabelleKamera: Casez Kamera: Isabelle Casez Kamera: Isabelle Isabelle Casez Buch und Regie: Casez Rita Ziegler Kamera: Isabelle Casez Montage: ValérieMontage: Smith Montage: Valérie Montage: Valérie Valérie Smith SmithSmith Kamera: Isabelle Casez dabei natürlich ins Leere, aber der Film hat bis zum letzten „Sir, ein Frage Montage: Valérie Smith Produzent: Reinhard Manz Produzent: Reinhard Produzent: Produzent: Reinhard Reinhard Manz Manz Manz Montage: Valérie Smith Produzent: Reinhard Manz Produzent: Reinhard Manz noch …“ ein so großes Arsenal im Ärmel, dass die Frage, wer Harlan EIN EINDOKUMENTARFILM DOKUMENTARFILM EIN DOKUMENTARFILM EIN DOKUMENTARFILM EIN DOKUMENTARFILM Thrombey getötet hat, bald die Unwichtigste ist. D Christian Klose EIN VON VONDOKUMENTARFILM RITA RITA ZIEGLER ZIEGLER VON RITA ZIEGLER VON RITA ZIEGLER MitUnterstützung Unterstützung von: von: Mit Unterstützung von: Mit Unterstützung von:Mit Mit Unterstützung von: Kanton Kanton Luzern, Luzern, Kulturförderung Kulturförderung Swisslos Swisslos Kanton Luzern, Kanton Luzern, Kulturförderung Swisslos Kanton Luzern, Kulturförderung Swisslos Swisslos Mit Unterstützung von: Kulturförderung ErnstGöhner Göhner Stiftung StiftungStiftung Ernst Göhner Ernst Göhner Stiftung Ernst Ernst Göhner Stiftung Kanton Luzern, Kulturförderung Swisslos SRG SRGSuccès Succès passage antenne antenne SRG passage Succès SRG Succès passage antenne SRG passage antenne antenne Ernst Succès Göhner Stiftungpassage Galerie GalerieGalerie Thomas Thomas Schulte Schulte Thomas Schulte Thomas Schulte SRG Succès passage antenne Galerie Thomas SchulteGalerie ©© 2019 2019point pointduduvue vueDOC, DOC,Rita RitaZiegler Ziegler © 2019 point vue DOC, Rita Ziegler Galerie Schulte ©Thomas 2019dupoint du vue DOC, Rita Ziegler © 2019 point du vue DOC, Rita Ziegler © 2019 point du vue DOC, Rita Ziegler

Start am 2.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

VON RITA ZIEGLER

A homage to good old-fashioned whodunnits including a famous victim, a dysfunctional family, and a flamboyant master detective (Daniel Craig) with the nice name of Benoit Blanc.

www.mindjazz-pictures.de AlbrechtSchniderWasBleibt Termine unter www.indiekino.de

VON RITA ZIEGLER


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Mordene i Kongo D Norwegen 2018 D 164 min D R: Marius Holst D B: Stephen Uhlander D K: John Andreas Andersen D S: Olivier Bugge, Coutté Søren, B. Ebbe, Vidar Flataukan, Sverrir Kristjánsson D M: Johannes Ringen Johan Söderqvist D D: Aksel Hennie, Tobias Santelmann, Ine F. Jansen, Dennis Storhøi D V: Real Fiction Filmverleih

Congo Murder Einfaltspinsel in Afrika

Deutschland 2020 D 99 min D R: Andreas Pichler D B: Andreas Pichler D K: Martin Rattini D S: Florian Miosge D V: Tiberius Film

Alkohol – Der globale Rausch Doku zur Droge

Als Joshua French (Aksel Hennie) 2009 im Kongo landet, wartet Tjostolv Moland (Tobias Santelmann) schon auf ihn. Die beiden Ex-Soldaten kennen Afrika. Gemeinsam haben sie als Söldner in Uganda gekämpft. Nun ist Joshua zurück aus ihrer Heimat Norwegen, wo seine Frau wartet. Tjostolv ist anders. Er kann nicht zurück in ein normales Leben. Er ist süchtig nach Afrika, ein Thrill-Junkie, immer auf der Suche nach dem nächsten Fix. Joshua lässt sich davon anstecken. Nur auf dem Schlachtfeld fühlen sich die beiden ausgebildeten Kämpfer wirklich lebendig. Da sind sie im viertgrößten Staat Afrikas genau richtig. Im Kongokrieg führt das Militär eine blutige Schlacht gegen die Rebellen unter der Führung des Tutsi Laurent Nkunda. Tjostolv hat ein Treffen mit ihm arrangiert. In seinem Auftrag sollen sie in die feindlichen Linien vordringen und die gestohlenen Schätze zurückholen. Begeistert stürzen sich Tjostolv und Joshua ins Abenteuer. Doch die Reise endet gleich bei der ersten Station und die beiden Weißen rennen um ihr Leben. „Es gehört zur menschlichen Natur, Krieg zu führen.“ Die Stimme von Joshua, der die Geschichte aus dem Knast heraus erzählt, macht von vornherein klar, womit wir es zu tun haben: Mit zwei moralisch höchst fragwürdigen Figuren, die sich mit einer Mischung aus Naivität und Einfältigkeit ins Abenteuer stürzen. Das macht es allerdings äußerst schwer, jedwede Form von Empathie für sie aufzubringen. Wenn Joshua Rechtfertigungen absondert wie „Tjostolv war kein Mörder. Er war ein Killer. Das sind zwei unterschiedliche Dinge“ – dann wird man das Gefühl nicht los, die Filmemacher wollen Zustimmung provozieren, ernten aber nur Kopfschütteln. Wenn über das Schicksal der selbsternannten „Schwachköpfe“ in der zweiten Hälfte des Films im Gerichtssaal entschieden wird, fährt der Film endgültig gegen die Wand. D Lars Tunçay

Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

D 28

D JANUAR/FEBRUAR 2020

Congo, 2009. Two Norwegians are hunted by the military. They’re accused of murder, theft, illegal possession of firearms, and espionage.

ALKOHOL – DER GLOBALE RAUSCH thematisiert die so einfache wie provokante Tatsache, dass Alkohol eine Droge ist. Und zwar die gefährlichste aller Drogen: Jährlich sterben drei Millionen Menschen an den Folgen von Alkohol, das sind mehr als durch kriminalisierte Drogen, Verkehrsunfälle und (nüchterne) Gewaltverbrechen zusammen. Diese und ähnliche Fakten präsentiert Andreas Pichlers solider Dokumentarfilm im Gespräch mit Suchtexpert*innen, Wissenschaftler*innen und ehemaligen Alkoholsüchtigen. Dabei stehen zum einen die neurophysiologischen Tatsachen, die Alkohol zur Droge machen, im Vordergrund. Zum anderen thematisiert ALKOHOL die nicht anders als kriminell zu nennenden Machenschaften der drei großen Alkoholkonzerne Anheuser-Busch (Beck’s, Budweiser, Stella Artois), Heineken (Desperados, Paulaner), Diageo (Guinness, Bailey’s, Smirnoff), deren Hauptaugenmerk neben Lobbyarbeit in Europa die Erschließung der wachsenden Märkte in den prekarisierten Ländern Afrikas ist. So informativ und schockierend diese Machenschaften und die wissenschaftlichen Fakten rund um Alkohol sind, so sehr beschränken sie das Phänomen Alkohol auf die Aspekte Suchtmittel und Ware. Dadurch verschwindet die kulturhistorische Seite des Themas Alkohol und mit ihr weitere wichtige Fragen: Zu welchem Zeitpunkt wurde die künstliche Trennung zwischen Alkohol und anderen, nunmehr illegalisierten Drogen eingeführt? Und warum ist Alkohol als soziales Schmiermittel in unserer Gesellschaft so allgegenwärtig? Diesen Fragen nachzugehen würde helfen, das Phänomen in seiner gesamten Bandbreite zu beleuchten. Damit wären die Verdrängungsmechanismen ausgeschaltet, die den Drogenstatus von Alkohol von der Konsumart abhängig machen und ihn damit immerzu den Anderen – den Alleine-Trinkenden, den Nicht-Genießenden, den Säufer*innen – zuschieben. D Yorick Berta Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

The documentary illuminates the neurophysiological facts that make alcohol into a dangerous drug and thematises the manipulations of alcohol corporations.

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INDIEKRITIKEN

1917

Großbritannien/USA 2019 D 119 min D R: Sam Mendes D B: Sam Mendes, Krysty WilsonCairns D K: Roger Deakins D S: Lee Smith D M: Thomas Newman D D: Andrew Scott, Benedict Cumberbatch, Richard Madden D V: Universal Pictures

Atemberaubende Kamera

Der Oscar für die beste Kamera dürfte in diesem Jahr wieder an Roger Deakins gehen. Es hat seit Alfred Hitchcocks THE ROPE schon viele „One Take“-Filme gegeben, also Filme, die wirken, als gäbe es in ihnen keinen Schnitt, zuletzt etwa den Holocaust-Film SON OF SAUL (2015) von László Nemes, den Berlin-Thriller VICTORIA (2015) von Sebastian Schipper oder das Schauspieler-Drama BIRDMAN (2014) von Alejandro Iñárritu. Aber das, was Regisseur Sam Mendes und Roger Deakins in 1917 zeigen, hat man so noch nie gesehen. 1917 ist schlichtweg atemberaubend. 1917 erzählt die Geschichte von zwei britischen Soldaten im ersten Weltkrieg, die sich durch das Niemandsland schlagen müssen, um eine wichtige Nachricht an das Kommando eines Bataillons zu überbringen, das am nächsten Morgen einen Angriff auf die offenbar im Rückzug befindlichen deutschen Stellungen plant. Die Deutschen haben sich aber nur zum Schein auf eine tiefer gelegene Stellung zurückgezogen, wo Verstärkung und gewaltige Artillerie das britische Bataillon erwarten – eine historisch verbürgte deutsche Militärstrategie, die auch bei den Rückzugsgefechten gegen die sowjetischen Armee im 2. Weltkrieg angewendet wurde. Sollten die Briten angreifen, wäre das Bataillon verloren. Einer der beiden Soldaten, Lance Corporal Blake (Dean-Charles Chapman, der in „Game of Thrones“ den naiven Teenager-König Tommen spielte), hat einen Bruder unter den 1.600 bedrohten Briten, deshalb hat das Oberkommando gerade ihn für den gefährlichen Einsatz ausgewählt. Der andere, Lance Corporal Schofield (George MacKay) ist zufällig in der Nähe, als der Auftrag erteilt wird.

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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Director Sam Mendes and cinematographer Roger Deakins filmed the story of two British soldiers in World War I who had to go through no man’s land to deliver an important message in one breathtaking take.

1917 wirkt oft wie ein Horrorfilm. Das Terrain, durch das die beiden Männer schleichen, rennen und kriechen, ist ein einziger Alptraum aus Ratten, Ruinen, Bombenkratern, verwesenden Leichen und zerfetzten Körperteilen. Wenn etwas passiert, dann so plötzlich wie ein Jump-Scare im Horrorfilm: eine Explosion, ein Schuss, Schocks ohne Vorwarnung. Die Kamera, die stets bei den Soldaten bleibt, zieht einen in die Handlung hinein, lenkt die Aufmerksamkeit, rückt Details im Vorübergehen ins Bild, wiegt in prekärer Sicherheit, verweigert aber meist den Überblick und die Orientierung. Dem Film ist die minutiöse Planung der Szenen und Kamerabewegungen jederzeit anzusehen, aber sie überlagert nie die Handlung. Selbst in Szenen, die ungläubiges Staunen über die technische Finesse des Films hervorrufen, bleibt der Aufwand der Erzählung verpflichtet und verstärkt ihren Effekt. Wie Roger Deakins eine lange Sequenz gefilmt hat, die vor einem brennenden Haus beginnt, und dann zur Verfolgungsjagd durch eine von Leuchtgranaten erhellte, zerstörte Stadt wird, und schließlich von der Dämmerung des Morgens zum vollen Tageslicht übergeht, ist mir ein Rätsel. Wie schafft man es, so viele völlig unterschiedliche Lichtstimmungen ohne einen Schnitt in die Kamera zu bannen? Natürlich weist der Abspann ein gigantisches technisches Personal aus. Vermutlich war ein CGI-Team monatelang allein damit beschäftigt, die Schienen, auf denen sich die Kamera bewegt, aus dem Bild zu retouchieren. Aber wie schafft man den nahtlosen Übergang von offenbar mit der Steadycam gedrehten Szenen, also solchen, bei denen die Kamera mitsamt einem stabilisierenden Apparat getragen wird, zu solchen, die aussehen, als seien sie Dolly-Fahrten, bei denen die Kamera auf einen Wagen montiert ist? Ich werde nur selten zum totalen Technik-Junkie, aber 1917 hat mich tatsächlich fasziniert und unglaublich staunend auf der Sitzkante erwischt. 1917 ist ein Kriegsfilm, der Erfahrungen von Soldaten zeigen will. Es gibt durchaus heroisches Verhalten in diesem Film, das aber weder belohnt wird, noch aus irgendwelchen Idealen erwächst, und schon gar nicht national verklärt wird. Kriegsfilme stehen Deutschland immer unter dem Verdacht der Gewaltverherrlichung, oft nicht zu Unrecht. Sam Mendes’ Film ist da eher unverdächtig. D Tom Dorow JANUAR/FEBRUAR 2020 D

29 D


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Papa, sdokhni D Russland 2018 D 95 min D R: Kirill Sokolov D K: Dmitriy Ulyukaev D S: Kirill Sokolov D D: Aleksandr Kuznetsov, Vitaliy Khaev, Evgeniya Kregzhde, Mikhail Gorevoy, Elena Shevchenko D V: Drop-Out Cinema

Why Don’t You Just Die? Eklige Situationen

Matvey klopft bei den Eltern seiner neuen Freundin. Am Esstisch beäugt Papa Andrey den jungen Mann argwöhnisch, und das Misstrauen des bulligen Kriminalkommissars ist gerechtfertigt: Statt Blumen hat Matvey einen Hammer mitgebracht, und die Absicht, Papa für das, was er seiner Tochter angetan hat, zu bestrafen. Was das sein soll, weiß Andrey nicht, aber wie man mit einem untalentiertem Mörder umgeht, schon. Weitere Fragen kann man auch klären, wenn der junge Mann im Badezimmer angekettet hängt. Nur hat Matvey auch ein paar Tricks auf Lager und die Situation eskaliert sehr schnell und blutig, in einem Patt mit schlechten Überlebenschancen für alle Anwesenden. Vielleicht kann ein Anruf bei Tochter Olya die Situation aufklären. Oder Mutti macht erstmal Tee für alle. Kirill Sokolovs erster Langfilm hat keine Botschaft und ein Minimum an Subtext, aber auch nur, wenn man die russische Gesellschaft als korrupten, gewalttätigen Moloch sieht. Dafür hat der Film einen Heidenspaß an cartoonartiger Gewalt in Zeitlupe, ekligen Situationen in extremer Großaufnahme und dem Verschütten von sehr viel Kunstblut. Die bürgerliche Wohnung wird im Laufe des Films zusammen mit ihren Bewohner*innen zerlegt und jede Einstellung ist liebevoll in satten Farben nach Comic-Art arrangiert. Immer wieder halten die Kämpfenden ein und versuchen, den häuslichen Frieden wiederherzustellen und eine vernünftige Lösung zu finden. Aber Dreck am Stecken haben alle, und eine Tasche voller Geld ist auch im Spiel. Der Kampf eskaliert Runde um Runde, bis sich zeigt, wer von ihnen am längsten nicht sterben kann, und wer schon frühzeitig die kitschige Tapete aus tiefstem Herzen dekoriert. Aber bis dahin knabbert Andrey noch ein paar Mal an seiner Beruhigungssalami. Ein großer Spaß über die ganze Familie, aber nicht für die ganze Familie D Bernhard Lommel

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

D 30

D JANUAR/FEBRUAR 2020

A garishly violent chamber piece in a small russian flat where nobody has a clear conscience or gets out unbloodied.

USA 2019 D 132 min D R: Melina Matsoukas D B: James Frey, Lena Waithe D S: Pete Beaudreau D D: Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Chloë Sevigny, Sturgill Simpson D V: Universal Pictures

Queen & Slim Polit-Pop

Der Debütspielfilm der Video-Regisseurin Melina Matsoukas, die unter anderem Beyoncés „Formation“ und „Lemonade“ gedreht hat, ist eine Schwarze Bonnie & Clyde-Geschichte, die furios beginnt, dann zum Roadmovie wird, und am Ende das Gefühl hinterlässt, man hätte gerade ein Video zum Entwurf eines Pop-Albums gesehen, das noch nicht existiert. Der Film beginnt in einem realistischen Stil: Queen & Slim treffen sich zu einem Tinder-Date. Sie ist eine erfolgreiche Menschenrechts-Anwältin, er ein netter, ambitionsloser Kirchengänger, dessen Nummernschild TRUSTGOD lautet. Es funkt nicht, und das Restaurant gefällt Queen auch nicht: „Findest du das hier wirklich gut?“, fragt sie. „It’s Black owned“ – Die Eigentümer sind Schwarz. Das stiftet dann doch eine gewisse Verbundenheit zwischen beiden, aber nicht genug für ein zweites Date. Auf dem Heimweg führt ein kurzes Gefrickel auf dem Telefon dazu, dass Slims Auto in der Spur schwankt. Die folgende Polizeikontrolle eskaliert nach einem einfachen Satz: „Können Sie sich bitte beeilen? Mir ist kalt“ sagt Slim, und schon ist die Waffe draußen. Als der Polizist auf Queen schießt, kommt es zu einem Gerangel und Slim erschießt den Polizisten. Diese Szenen sind unglaublich präzise geschrieben und inszeniert. Hier der Satz, der eine plötzliche Wende einleitet, da Queens angedeutete Bewegung, die sofort die Polizeigewalt auslöst. Dem Film gelingen immer wieder genaue Szenen und brillante Dialoge. Aber wenn Melina Matsoukas die realistische Geschichte in ein politisches Pop-Melodrama überführt, geht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Figuren und der Handlung verloren. Der Realismus des Anfangs schwächt auch den Effekt der übergroßen Pop-Gesten, mit denen der Film endet und die zwischendurch wirken wie flüchtig hingeworfene Ideen und überdeutliche Botschaften. QUEEN & SLIM ist ein Debütfilm, der sich viel vornimmt und vielleicht den Keim eines völlig neuen Stils enthält. D Tom Dorow

Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

QUEEN & SLIM is a black Bonnie & Clyde story that begins in a fury, turns into a road movie, and leaves you feeling like you just saw a video draft for a pop album that doesn’t exist yet.

Termine unter www.indiekino.de



D 32

D JANUAR/FEBRUAR 2020


INDIEFEATURE

Einer der hellsten Sterne am Anime-Himmel ist derzeit Makoto Shinkai, nach dem 2018 ein Asteroid benannt wurde, und dessen Meisterwerk YOUR NAME – HEUTE, GESTERN UND FÜR IMMER als erster seiner Filme überhaupt im vorletzten Jahr bei uns ins Kino kam. YOUR NAME erzählte eine komplexe, herzzerreißende Geschichte um einen Jungen und ein Mädchen, die sich eines Tages im Körper des anderen wiederfinden und erst in der Zeit vor und zurück reisen und eine Katastrophe verhindern müssen, bevor sie einander finden und die Welt wieder im Lot ist. Shinkais jüngster Film WEATHERING WITH YOU ist weder ganz so rührend noch ganz so spannend wie der Vorgänger, aber das war auch kaum zu erwarten. Dafür bietet WEATHERING ein wahres Fest an Meister-Animationen, denn es regnet nahezu ständig im Tokio einer nahen Zukunft, in der der Klimawandel bereits eingetreten zu sein scheint. Dort versucht der 16-jährige Hodaka, der von der Insel seiner Eltern abgehauen ist, sich alleine und ohne Ausweis durchzuschlagen, bis er als Mädchen-für-Alles und Juniorschreiber im schäbigen Souterrain-Büro von Keisuke Suga landet, der ein Okkultismus-Magazin herausgibt. Bei seinen Recherchen trifft Hodaka auf Hina, die eine besondere Gabe hat: Sie kann für einen kurzen Moment die Sonne scheinen lassen. Hodaka und Hina starten ein Online-Business, und Hina bringt die Welt zum Leuchten – für eine Hochzeit, für ein Kinderfest, für ein Feuerwerk oder eine Totenfeier. Allerdings scheint sich mit jedem Mal ein wenig mehr von ihr in Wasser aufzulösen, und am Ende stellt sich für die beiden angesichts einer Welt, die immer tiefer im Wasser zu versinken scheint, eine sehr zeitgenössische Frage nach persönlichem Glück und gesellschaftlicher Verantwortung. D Hendrike Bake

Weathering with You Es regnet ständig

Originaltitel: Tenki no ko D Japan 2019 D 111 min D R: Makoto Shinkai D B: Makoto Shinkai D K: Ryôsuke Tsuda D M: Radwimps D V: Universum Film

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

There’s constant rain in Tokyo of the near future where climate change seems to have come into effect. 16 year old Hodaka tries to make it on her own and meets Hina, who has a special gift: she can let the sun shine for a short moment.

JANUAR/FEBRUAR 2020 D

33 D


INDIEKRITIKEN Kanada 2019 D 124 min D R: Marco Porsia D K: Marco Porsia D S: Marco Porsia D D: Michael Gira, Jarboe, Amanda Palmer, Blixa Bargeld, Kid Congo Powers, Thurston Moore D V: Edition Salzgeber

Swans – Where Does a Body End?

Originaltitel: Hvítur, Hvítur Dagur D Island/Dänemark/Schweden 2019 D 109 min D R: Hlynur Pálmason D B: Hlynur Pálmason D K: Maria von Hausswolff D S: Julius Krebs Damsbo D M: Edmund Finnis D D: Ingvar E. Sigurðsson, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Hilmir Snær Guðnason, Björn Ingi Hilmarsson D V: Arsenal Filmverleih

Weisser, weisser Tag Island im Nebel

Extrem körperlich

Ein Körper endet nicht, meint Michael Gira. Sich selbst sieht der Gründer und Kern der Band Swans auch nur als temporäre Ansammlung von Molekülen, die dennoch mit der ganzen sie umgebenden Welt in Kontakt steht. Ähnlich kosmisch geht Gira auch an seine Band heran. Swans entstanden Anfang der 1980er aus der New Yorker No-Wave Szene und haben seitdem immer wieder ihren Stil und mehrfach auch ihre gesamte Besetzung außer Gira ausgetauscht. Konstant geblieben sind der langsame, schwere Sound und die extrem lauten Livekonzerte, bei denen Gira seine Band eher wie ein Dirigent führt als ihr als Sänger/Gitarrist voranzustehen, und sich einzelne Lieder im Laufe der Tour auf die doppelte Länge entwickeln können. Marco Borsia konzentriert sich in seinem Dokumentarfilm auf die Person Giras, seine Entwicklung und die Einflüsse aus TV-Religion und bildender Kunst, die er in den Stil der Band hat einfließen lassen. Zusätzlich zu den Interviews mit Gira, Konzert- und Backstageaufnahmen, die teilweise auf körnigem 16mm-Format gedreht zum dreckigen Sound der Band passen, sprechen (Ex-)Swans wie Jarboe, Mitstreiter wie Blixa Bargeld, und Fans wie Amanda Palmer und Devendra Banhart über die Band und den Mann in ihrem Zentrum. Dabei sind auch Widersprüche erlaubt: Swans-Musik ist extrem körperlich, speist sich aber aus Giras sensiblen und komplizierten Überlegungen. Auch spricht er offen über sein stetes Gefühl des Scheiterns und seine Alkoholprobleme. Borsia zeigt auch Giras zuweilen diktatorische Züge bei der Arbeit, während alle Interviewten die enge Bindung betonen, die Gira zu den Musikern und seinen Fans spürt. WHERE DOES A BODY END gibt einen umfassenden und mitreißenden Einblick in die gesamte Bandgeschichte, und macht Lust darauf, sich im Erlebnis Swans so vollständig wie nur möglich aufzulösen. D Christian Klose

Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

D 34

D JANUAR/FEBRUAR 2020

In his documentary about the industrial-noise-rock band Swans, director Marco Borsia chooses to focus on band founder Michael Gira.

Vor lauter Nebel ist alles ein einziges großes Weiß an dem Tag, als Ingimundurs Frau mit dem Auto von der Straße abkommt und stirbt. An weißen Tagen, wenn Himmel und Erde verschmelzen, sprechen die Toten mit den Lebenden, heißt es in Island. In langen Einstellungen aus der gleichen Perspektive fängt die Kamera aus der Ferne ein, wie sich Ingimundurs einsam gelegenes Haus im Lauf der zwei Jahre nach dem Unfall verändert. Erst danach nähert sie sich Ingimundur. Der ehemalige isländische Polizist hat den Tod seiner Frau noch nicht überwunden. Seine Tochter Elín, seine Enkelin Salka, um die er sich liebevoll kümmert, und sein Schwiegersohn sollen bald in sein Haus einziehen. Als seine Tochter ihm einen Karton mit Habseligkeiten der Mutter bringt, entdeckt Ingimundur, dass seine Frau Kontakt zu einem Mann namens Olgeir hatte. Der Gedanke daran lässt ihn nicht mehr los. Wie Ingvar Eggert Sigurðsson diesen wortkargen, von tiefer Trauer angetriebenen Ingimundur mit all seiner Liebe, aber auch seiner immer stärkeren Besessenheit spielt, ist großartig – und brachte ihm neben einer Nominierung als bester Darsteller bei den European Film Awards 2019 bei der Semaine de la Critique in Cannes den „Louis Roederer Foundation Rising Star Award“ ein. Auch Sigurðssons Zusammenspiel mit seiner talentierten Filmenkelin Ída Mekkín Hlynsdóttir berührt. Regisseur Hlynur Pálmason, bekannt für den vielfach prämierten WINTER BROTHERS, erzählt in seinem zweiten Langfilm WEISSER, WEISSER TAG in langsamem Tempo und setzt wie schon bei WINTER BROTHERS auf die grandiose Kameraarbeit von Maria von Hausswolff. Die Bildsprache bietet Raum für Interpretationen und schafft zusätzliche Ebenen, die das Geschehen reflektieren: ein Stein, der ein Kliff herabrollt, oder der weiße Nebel, in dem Ingimundur gefangen scheint wie in seiner Trauer. D Stefanie Borowsky

Start am 13.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

An ex-policeman and widower renovates a house for his children’s family, but gets more and more obsessed with the idea that his wife had an affair before she died. An Icelandic film without any frills.

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Originaltitel: La Gomera D Rumänien/Frankreich 2019 D 97 min D R: Corneliu Porumboiu D B: Corneliu Porumboiu D K: Tudor Mircea D S: Roxana Szel D D: Vlad Ivanov, Catrinel Marlon, Rodica Lazar, Agusti Villaronga D V: Alamode Film

La Gomera Trockener Humor

Corneliu Porumboiu ist einer der wichtigsten Vertreter der rumänischen Neuen Welle und ist mittlerweile einer der internationalen Regiestars auf Filmfestivals, aber in Deutschland sind seine Filme bisher knapp unter dem Radar geblieben, zumindest beim Publikum. Das könnte sich mit LA GOMERA ändern. In der verwickelten Noir-Geschichte, die Porumboiu hier erzählt, spielt die berühmte Pfeifsprache Silbo, die auf La Gomera einst zur Kommunikation in der bergigen Landschaft benutzt wurde und heute vor allem als Kulturgut gepflegt wird, eine wichtige Rolle. Der korrupte Bukarester Polizist Christi ist im Begriff aufzufliegen, seine Wohnung ist komplett verwanzt und mit Überwachungskameras ausgestattet, die Christi allerdings allesamt bereits entdeckt hat. Die schöne und gewitzte Gilda will aber nun mal ihren Freund Zsolt aus dem Gefängnis befreien, und dafür braucht sie Christi. Gilda gibt sich als Luxus-Prostituierte aus, um Christi die notwendigen Anweisungen zu übermitteln. Sie schläft mit ihm vor den Überwachungskamera, und Christi ist verliebt. Der absurde Plan für Zsolts Befreiung erfordert, dass Christi die Pfeifsprache erlernt, weil die von Außenstehenden nicht einmal als Sprache, sondern als Vogelgesang gedeutet werde. Dafür fährt Christi ins Hauptquartier der Gangster nach La Gomera. LA GOMERA hat Witz und überraschende Pointen und folgt, anders als Porumboius frühere Filme, klassischen Genre-Konventionen. Das macht LA GOMERA zugänglicher, aber doch weniger originell als die Vorgänger, zumal auch die Gender-Konventionen des Noir-Films übernommen werden. Das konsequente, spröde Understatement in Poromboius Inszenierung, die Trockenheit des Humors und eine entzückende Schlusswendung machen den Film aber zu einem äußerst charmanten Kinovergnügen. Dass Porumboiu noch nicht in Hollywood ist, bleibt eines der großen Mysterien des europäischen Kinos. D Tom Dorow Start am 13.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Corneliu Porumboiu has made a funny, intricate crime thriller about a prison escape that involves a policeman having to learn the whistling language of the residents of La Gomera.

„Lustig und herzergreifend“ Trouw

Ein Film von

Nach dem Roman von

www.romyssalon.de

Ab 30. Januar im Kino


INDIEKRITIKEN

Ein verborgenes Leben Das Ewige und das Menschliche

In seinem neunten Spielfilm EIN VERBORGENES LEBEN erzählt Regisseur Terrence Malick erneut ein von einem Paar, das eng mit der Natur verbunden ist und von der Dunkelheit, die die Menschen in die Welt gebracht haben, auseinandergerissen wird. Wie bei seinem allerersten Film, dem lyrischen BADLANDS von 1973, der lose auf den Charles StarkweatherMorden basierte, ist das Vorbild auch hier eine wahre Geschichte. Franz Jägerstätter war ein österreichischer Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg. Als er zum Militärdienst in der deutschen Armee eingezogen wird, erschüttert das seine spirituelle aber auch seine reale Welt. Er hat nie Kampfhandlungen erlebt, aber von Grausamkeiten gehört, die im Namen von Nazideutschland begangen werden. Er verweigert Hitler den Treueschwur. Ausgehend von Jägerstätters Entschluss verhandelt der Film Fragen nach dem Glauben an das Gute im Menschen, Bedeutungen von Liebe und Opfer, und schließlich die Rolle der Kirche in Kriegszeiten. Die Natur spielt in EIN VERBORGENES LEBEN eine entscheidende Rolle, und der Kontrast der widerstreitenden Kräfte – hier das Ewige, dort die fragile, flüchtige Menschlichkeit des Paares – bildet den Kern des Films. Was das Ewige angeht, hat Franz Jägerstätter (August Diehl) keine Zweifel. Er ist eine treue Seele und ein gläubiger Christ. Wir sehen ihn als Ehemann seiner Frau Franziska, genannt Fani (Valerie Pachner), als Vater seiner drei Mädchen, als treusorgenden Sohn seiner alten, alleinstehenden Mutter (den Vater verlor er im vorhergehenden Krieg), als loyalen Bürger, Bauern, guten Freund. Nach Franz’ Verhaftung bleibt Fani im Dorf zurück und muss sich um die drei Mädchen kümmern – voller Groll, dass Franz es gewagt hat, nach seinem eigenen Gewissen zu entscheiden. Er schafft es nicht, wegzusehen und zu tun was von ihm verlangt wird, sie muss gegen die eigene Natur ankämpfen, um ihn zu verstehen und ihm schließlich zu vergeben. Franz wird seine Entscheidung durchziehen, aber er braucht dazu ihre „Einwilligung“. Die erteilt ihm Fani bei ihrem letzten Besuch im Gefängnis, bei dem sie ihn eigentlich gemeinsam mit dem örtlichen Pfarrerkollegen D 36

D JANUAR/FEBRUAR 2020

Originaltitel: A Hidden Life D USA 2019 D 173 min D R: Terrence Malick D B: Terrence Malick D K: Jörg Widmer D S: Rehman Nizar Ali, Sebastian Jones D M: James Newton Howard D D: Matthias Schoenaerts, August Diehl, Bruno Ganz, Michael Nyqvist, Martin Wuttke, Tobias Moretti D V: Pandora Film

und dem Pflichtverteidiger davon überzeugen wollte, die Widerrufserklärung zu unterzeichnen. Fanis erneuter Glauben an ihren Ehemann ist das ultimative Zeichen ihrer Liebe, und indem sie Franz versichert, dass sie auf seiner Seite ist, wie auch immer er sich entscheidet, erkennt sie den Kampf an, den er über den größten Teil des Films mit sich ausgefochten hat. Er wird mit ihren Wünschen für Glück und Liebe in den Tod gehen. So seltsam das scheinen mag, ist das für Malick der tiefste vorstellbare Akt der Liebe zwischen zwei Menschen. Die Erzählung aus dem Off, die die Geschichte bestimmt, beginnt als Korrespondenz zwischen Franz und Fani und wird nach und nach von Fanny übernommen. Der Film nimmt sich Zeit, um zu veranschaulichen, was für beide auf dem Spiel steht, und beleuchtet dabei vor allem die elende Position der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg, auf die Jean Renoirs Worte aus LA RÈGLE DU JEU zutreffen: „Das Schreckliche an diesem Leben ist, dass jeder seine Gründe hat.“ Sogar die Geistlichen haben Gründe, sich gegen christliche Ideale zu wenden und wegzuschauen. In dem er das Richtige tut, wird Franz Leid und Abweisung erfahren, schließlich wird er getötet werden und später von der gleichen Kirche, die für ihn weder Kraft noch Verständnis aufbrachte, selig gesprochen werden. Für Terrence Malick ist das „verborgene Leben“, mit dem Franz belohnt wird, jedoch nicht die nachträgliche Fast-Heiligsprechung, sondern das Wissen darum, dass seine ergebene Frau an seiner Seite geblieben ist und ihn genug geliebt hat, um ihn zu verlieren. D Tanja Bresan, Übersetzung: Hendrike Bake

Start am 30.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Like in his very first film, the lyrical BADLANDS (1973), A HIDDEN LIFE is also modeled after a true story. Franz Jägerstettet was an Austrian conscientious objector in World War II. When he was drafted, he refused the oath of allegiance to Hitler.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Deutschland 2019 D 99 min D R: Leslie Franke D B: Herdolor Lorenz D K: Hermann Lorenz, Stefan Corinth, Felix Nasser, Severin Renke, Christophe Orcand, Edie Laconie, Carmine Grimaldi D S: Herdolor Lorenz, Leslie Franke D V: Edition Salzgeber

Der marktgerechte Mensch Ausbeutungs-Eldorado

Es gibt zu wenig Filme und andere Medien, die darauf hinweisen, dass auch in Deutschland Millionen Menschen bei minimalem Einkommen ohne Krankengeld, Recht auf Urlaub oder Hoffnung auf Rente arbeiten. Der crowdfinanzierte Film DER MARKTGERECHTE MENSCH von Leslie Franke und Herdolor Lorenz beginnt als Reportage über prekäre Arbeitsbedingungen im Lieferdienst, Bekleidungseinzelhandel, im akademischen Mittelbau und auf „Crowdworking-Plattformen“. Später weitet sich der Blick auf die gesundheitlichen und sozialen Folgen der neoliberalen Politik seit den 80er Jahren. Der Film macht aber auch deutlich, dass der Prozess der Auflösung aller gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten für Unternehmen sich mit der globalen Digitalisierung noch einmal beschleunigt hat und noch lange nicht abgeschlossen ist. DER MARKTGERECHTE MENSCH ist immer dann ein aufregender und relevanter Film, wenn er die Situation von Arbeitenden direkt in Augenschein nimmt, ob in Deutschland, Osteuropa oder, gegen Ende, in Äthiopien, wo aktuell die Textilindustrie ein neues Ausbeutungs-Eldorado gefunden hat. Dort beträgt der Monatslohn gerade um die 30 Euro. Die Crowdworker, die in postindustriellen Ländern pro Auftrag bezahlt werden, wissen dagegen nie, wieviel sie am nächsten Tag verdienen. Das hängt von ihrer Auftragslage ab, die abhängt von ihren Bewertungen und ihrem Punktestand, den die Unternehmen auch durch vollkommene Überwachung der Computer ermitteln – per Webcamzugriff, Tastenanschlagszählungen und Screenshots. Weniger überzeugend sind die „positiven“ Beispiele, mit denen die Filmemacher*innen Leslie Franke und Herdolor Lorenz Alternativen aufzeigen wollen. Unternehmen, die sich der „Gemeinwohl-Ökonomie“ verschrieben haben, sind sicher lobenswert. Aber solange das Gemeinwohl nicht im Zentrum allen Wirtschaftens steht, helfen kleine Paradiese nicht weiter. D Hannes Stein

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

The crowd-funded film by Leslie Franke and Herdolor Lorenz is a report on the precarious working conditions and the health and social consequences of neo-liberal politics since the 1980s.

Originaltitel: Tommaso D Italien 2019 D 115 min D R: Abel Ferrara D B: Abel Ferrara D K: Peter Zeitlinger D S: Fabio Nunziata D M: Joe Delia D D: Willem Dafoe, Cristina Chiriac, Anna Ferrara D V: Neue Visionen

Tommaso und der Tanz der Geister Ferrara, metatextuell

Seit Jahren lebt der amerikanische Regisseur Abel Ferrara in Rom, ist mit der Schauspielerin Cristina Chiriac verheiratet. Das Paar hat eine Tochter Namens Anna und arbeitet immer wieder an einem aufwändigen Filmprojekt, das in Sibirien spielen soll. In TOMMASO UND DER TANZ DER GEISTER, dem neuen Film von Abel Ferrara spielt Willem Dafoe den amerikanischen Regisseur Tommaso, der in Rom mit seiner Frau Nikki und der Tochter Deedee lebt (gespielt von Chiriac und Anna Ferrara) und angesichts der Probleme, einen aufwändigen Film, der in Sibirien spielen soll, zu drehen, zunehmend verzweifelt und in Wahnvorstellungen abdriftet. Das auch noch ein großer Teil des Films in Ferraras ausladendem römischen Appartement gedreht wurde, muss man kaum erwähnen. Ein filmisches Selbstporträt also oder doch ein fiktiver Film über einen Filmregisseur? Ganz sicher kann man sich da nicht sein, zumal Dafoe auch noch ein guter Freund Ferraras ist und seine Figur deutlich an die Macken und Abgründe des New Yorkers anlehnt. Allerdings auch an sich selbst, etwa wenn er als Tommaso einen Schauspielworkshop leitet, in dem er seinen Schülern Ratschläge gibt, die ziemlich genau den Ansatz spiegeln, den Dafoe immer wieder beschrieben hat. Mit Bildern von Werner Herzogs Stammkameramann Peter Zeitlinger, ist TOMMASO ein improvisierter, schnell gedrehter Film, mal authentisch, wenn reale Orte und Personen eingebunden werden, mal artifiziell, wenn etwa Tommaso seine Kreuzigung imaginiert, was wiederum deutlich auf eine von Dafoes bekanntesten Rollen als Christus verweist. Doch all die Metatextualität sollte nicht übersehen lassen, dass Ferrara und Dafoe hier einen faszinierenden, auch ernüchternden Blick auf den kreativen Prozess werfen, der meist wenig glamourös und statt dessen voller Hindernisse abläuft, Hindernisse, die zum Teil von außen kommen, vor allem aber von innen, im Kampf mit den eigenen Dämonen. D Michael Meyns Start am 6.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Tommaso (Willem Dafoe) has decided to leave art behind and dedicates his time to being a house husband, but secretly the yearning for his old life keeps getting greater.

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INDIEKRITIKEN Italien 2019 D 102 min D R: Dror Zahavi D K: Gero Steffen D S: Fritz Busse D M: Martin Stock D D: Peter Simonischek, Daniel Donskoy, Sabrina Amali D V: Camino

Crescendo #makemusicnotwar Young Adult Drama

Peter Simonischek spielt den Dirigenten Eduard Sporck als Respektsperson mit Vergangenheit. Als Sporck gefragt wird, ob er ein israelisch-palästinensisches Jugendorchester zusammenstellen möchte, das als symbolträchtiges kulturelles Rahmenprogramm bei der nächsten Nahost-Konferenz in Österreich auftreten soll, lehnt er zunächst ab, lässt sich dann aber doch breitschlagen. Schon beim Vorspielen wird klar, dass die Musiker*innen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zusammen kommen – während die Israelis gut ausgebildet, pünktlich und in Überzahl erscheinen, haben ihre palästinensischen Kolleg*innen bereits Schwierigkeiten, die Checkposten zu durchqueren. Nach kürzester Zeit bricht Streit aus, vor allem die beiden Violinen – der Israeli Ron (eitel und dominant: Daniel Donskoy) und die Palästinenserin Layla (aufbrausend und misstrauisch: Sabrina Amali) haben es aufeinander abgesehen. Sporck beschließt, das Unterfangen in ein Südtiroler Kloster zu verlegen, um Ruhe in die Sache zu bringen. Die Musik stellt er erstmal hintan. Das Orchesterprojekt mutiert zu einer Art Schullandheim-Aufenthalt, und in dieser eher spannungsarmen Mittelphase des Films funktioniert CRESCENDO am besten. In Stuhlkreisen und Gruppenübungen lernen die Jugendlichen einander kennen und miteinander sprechen, und es wird deutlich dass Regisseur Dror Zahavi, der in Israel und Deutschland zuhause ist, sehr genau um die Befindlichkeiten weiß und nichts beschönigen will. Dass ein Vorzeige-Konzert die Gräben überwinden und Verletzungen heilen kann, glauben die wenigsten der Teilnehmer*innen – aber einige wären wenigstens bereit, es zu versuchen. Mit dem Näherrücken des Konzertes zieht die Dramatik des Films an, die Glaubwürdigkeit nimmt ab und der Film wandelt noch einmal seine Form – zum Young Adult-Drama mit Liebe, Gefahr und klassischer Musik. D Toni Ohms

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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Conductor Eduard Sporck is meant to assemble an Israeli-Palestinian youth orchestra as a symbolic cultural supporting program at the next Middle East conference in Austria.

Deutschland 2019 D 139 min D R: Hermine Huntgeburth D B: Alexander M. Rümelin, Christian Lyra, Sebastian Wehlings D K: Sebastian Edschmid D D: Jan Bülow, Claude Albert Heinrich, Charly Hübner, Julia Jentsch, Martin Brambach, Detlev Buck, Ruby O. Fee, Albecht Ganskopf, Jeanette Hain D V: DCM Filmdistribution

Lindenberg! Mach Dein Ding Die Furcht wegsaufen

Lindenberg war ein erfolgreicher Session-Schlagzeuger in Hamburg, der mit der Band City Preachers, Klaus Doldinger und Peter Herbolzheimer zusammengespielt hat. Mit „Hoch im Norden“, der B-Seite seiner ersten Solo-Single, hatte Lindenberg sofort Erfolg. Hermine Huntgeburths Rockbiografie erzählt die Geschichte eines Jungen, dessen Vater Alkoholiker ist, und der wegen eines Kindheitstraumas zwar im Rampenlicht stehen will, aber tatsächlich „Panik“ hat. Der Udo Lindenberg, den Jan Bülow in ihrem Film sehr überzeugend spielt, ist nicht unbedingt sympathisch. Lindenberg ist hier jemand, der mit seinem Gepäck eigentlich nicht durchkommen sollte, es aber trotzdem irgendwie schafft. Das geht nicht ohne Widersprüche ab. Ein bisschen Ranmachen hier, ein bisschen Vertrauen brechen da, Leute benutzen, Leute verraten, sich bei den gleichen Leuten wieder einschleimen, die Furcht wegsaufen, jede Beziehung als Material betrachten, die Selbstinszenierung als authentisch verkaufen, die Inszenierung anderer als hohl beschimpfen („Leider nur ein Vakuum“), zwischendurch mal eben rassistisches Zeug quasseln: „ … dann geh ich in den Busch und mach Musik mit den (N-Wort)“. Wenn LINDENBERG ein Gefühl hinterlässt, ist es das eines andauernden Taumels. Huntgeburth zeigt Lindenbergs Hamburg als eine Welt, in der Beziehungen selten viel länger halten, als der Song, den sie inspirieren, etwa wenn Udo „Paula aus St. Pauli, die sich immer auszieht“ oder das „Mädchen aus Ost-Berlin“ trifft. LINDENBERG schmeckt nach Herrengedeck am Tresen und zeigt sehr deutlich, wie schwierig und neu es in den 70er Jahren war, einen abweichenden Lebensstil zu pflegen. Udo fällt dabei immer wieder auf die Fresse, steht aber wieder auf, bis zum Triumph mit „Andrea Doria“, einem Song, der vom Untergang erzählt. D Hannes Stein

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

More than a film about a musical career, LINDENBERG is about how someone with a lot of baggage shouldn’t find success but somehow does, though it does not happen without conflict.

Termine unter www.indiekino.de


USA 2019 D 108 min D R: Taika Waititi D B: Taika Waititi D K: Mihai Malaimare Jr. D S: Tom Eagles D M: Michael Giacchino D D: Roman Griffin Davis, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Thomasin McKenzie, Rebel Wilson, Stephen Merchant

„EIN WILDER TRIP!“ FILMSTARTS.DE

Jojo Rabbit Witze salvenweise

1944: Der zehnjährige Johannes Betzler bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung für das Jungvolk vor. Dabei geht allerdings etwas schief, er hat den Namen „Jojo Hasenfuss“ weg und muss verletzt zuhause bleiben. Bei seiner Mutter (Scarlett Johansson) ist es schön, aber seit sie allein sind, muss er sich genauso um sie kümmern, wie sie um ihn. Und sie ist auch viel außer Haus. Für alle Fragen und Probleme hat Jojo einen imaginären Freund: den sehr kindischen Hitler (Regisseur Taika Waititi). Der kann Jojo aber kaum helfen, als der das jüdische Mädchen Elsa entdeckt, die sich im Haus versteckt. Als guter Nazi hasst Jojo alle Juden natürlich, doch etwas an Elsa fasziniert ihn, und außerdem kann sie ihm alle Juden-Geheimnisse erzählen, wenn er sie nicht verpetzt. Mit denen macht man ihn bestimmt zum Pimpf. JOJO RABBIT könnte kein europäischer Film sein. In Levys MEIN FÜHRER war die Nazi-Elite zwar auch schon zu albernen Witzfiguren geworden. Die Shoah war hier aber so präsent, dass jedes Lachen schnell verstummte. JOJO umgeht das Grauen, indem er alles aus einer rein kindlichen Perspektive zeigt. Die Bedrohung, der Elsa ausgesetzt ist, wird nur sehr kurz erwähnt, und die Nazis sind Klamauktruppen, die an ihre Kameraden bei Mel Brooks und Ernst Lubitsch erinnern. Der eine echte emotionale Tiefschlag, den der Film austeilt, ist schlau konstruiert, und spricht, unabhängig vom historischen Kontext, eine kindliche Urangst an. Vor allem weist sich der Film als klar künstlisch aus, indem ungewohnt farbenfrohe wenn auch historisch verbriefte Kleidung verwendet wurde, und andererseits die Handlung von zwei anachronistischen Rocksongs eingerahmt wird, die Jojos Gefühle zu Anfang und Ende seiner Entwicklung spiegeln. Wenn man diese Verfremdung akzeptiert, und Witze salvenweise verträgt, findet sich darin eine emotional ehrlich bewegende Geschichte. D Christian Klose

Start am 23.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Ten-year-old Jojo discovers that his mother is hiding a Jewish girl. Not even his imaginary friend Hitler knows what to do. Taika Waititi’s garish comedy offers jokes in volleys, but it also contains an emotionally moving story.

AB 13. FEBRUAR IM KINO www.LaGomera-film.de

/LaGomera.film

British Shorts Anzeige Indiekino_Layout 1 14.12.19 17:11 Seite 1

“British Shorts” 13. British Shorts Film Festival

16.–22.1.2020 im Sputnik Kino, HAU Hebbel am Ufer, Acudkino, City Kino Wedding, Kino Zukunft, Silent Green Programm & Ticketinfos ab 2.1. auf www.britishshorts.de

Termine unter www.indiekino.de


INDIEFEATURE

Judy JUDY erzählt von den letzten Tagen Judy Garlands. Garland (Renée Zellwegger) tingelt mit ihren zwei Kindern im Grundschulalter über drittklassige Bühnen und wohnt in erstklassigen Hotels, in denen sie dann die Zeche prellt. Niemand will sie mehr, zu schwierig, zu fertig, zu unzuverlässig, zu alkoholkrank. „Träume? Die hatte ich mal, sie haben mir fürchterliche Kopfschmerzen gemacht!“ Judys Existenz hängt an einem seidenen Faden und sie weiß das, kann aber nicht aus ihrer Haut. Wenn ihr jemand blöd kommt, teilt sie aus, sonst auch. Renée Zellwegger spielt die Frau, die am Ende ihrer Weisheit ums Überleben und ums Sorgerecht kämpft, mit vollem Einsatz auf dem schmalen Grad zwischen hochgradiger Anspannung und totalem Kontrollverlust. Sie ist das absolute lebendige Zentrum eines ansonsten sehr vorhersehbar erzählten Films. Ob man JUDY mag, hängt sehr davon ab, wie gerne man zwei Stunden mit Renée Zellwegger unter Hochspannung verbringen möchte. Auf einer Party lernt Judy den jungen Engländer Mickey kennen, der ihr ein Engagement in London vermittelt. Drei Monate lang soll sie als Headlinerin den Club füllen. Garland sagt widerstrebend zu und lässt ihre Kinder beim Exmann zurück. Bereits am ersten Abend findet ihre Assistentin sie betrunken im Hotel und schleift sie auf die Bühne. So geht es weiter. Während sich in der Gegenwart das Desaster immer mehr verdichtet, erzählen Musical-bunte Rückblenden vom Kind Judy Garland, dem singenden Superstar von THE WIZARD OF OZ. Wann immer die kleine Judy aus der drakonischen Routine ausbrechen möchte, pfeift das Studio sie zurück. In der Öffentlichkeit ist sie das Mädchen von nebenan, das auch mal Burger isst. Hinter den Kulissen darf sie vom Burger nicht mal abbeissen. Pillen zum Aufwachen, Pillen zum Einschlafen und Pillen zum Dünnbleiben nimmt sie auch als Erwachsene noch. JUDY zeichnet eine direkte Abwärtskurve vom Kinderstar zum Drogenwrack. D Toni Ohms D 40

D JANUAR/FEBRUAR 2020

Träume? Die hatte ich mal.


INDIEFEATURE

Start am 2.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Renée Zellweger plays Judy Garland at the end of her career with full commitment walking the fine line between high tension and losing control.

Großbritannien 2019 D 118 min D R: Rupert Goold D B: Tom Edge D K: Ole Bratt Birkeland D S: Melanie Oliver D M: Gabriel Yared D D: Renée Zellweger, Bella Ramsey, Rufus Sewell, Michael Gambon D V: eOne

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INDIEKRITIKEN Deutschland 2018/2019 D 128 min D R: Christian Alvart D B: Christian Alvart D K: Christian Alvart D S: Marc Hofmeister D D: Trystan Pütter, Felix Kramer, Nora von Waldstätten, Marius Marx, Leonhard Kunz, Marc Limbach D V: Telepool

Freies Land

Deutschland 2019 D 89 min D R: Rosa von Praunheim D B: Ute Eisenhardt, Nico Woche, Rosa von Praunheim D K: Lorenz Haarmann D S: Mike Shephard, Rosa von Praunheim D M: Andreas M. Wolter, Heiner Bomhard D D: Bozidar Kocevski, Heiner Bomhard, Katy Karrenbauer D V: missingFILMs

Darkroom – Tödliche Tropfen

Schurkereien im Oderbruch

Böse Schwule Christian Alvarts FREIES LAND ist ein Remake des spanischen Thrillers LA ISLA MINIMA (2014) von Alberto Rodríguez Librero, der vor fünf Jahren den Goya als bester spanischer Film gewann und für den Auslands-Oscar nominiert wurde. Das Original spielt in den Sumpflandschaften des Guadalquivir-Deltas südlich von Sevilla kurz nach Ende des Franco-Faschismus und vor dem Putschversuch der Guardia Civil. Alvart (ANTIKÖRPER, DOGS OF BERLIN) verpflanzt die Geschichte in den Oderbruch 1992. Alvarts Film übernimmt dabei selbst Einstellungsfolgen des Originals, etwa die beeindruckenden Kamerafahrten über die Sumpflandschaften und eine Verfolgungsfahrt über Marschwiesen und Binnendeiche. Aber die Idee, die spanische Situation von 1980 mit der in Ostdeutschland 1992 gleichzusetzen, führt hier zu größerem Unfug. So hängen hier in den Hotelzimmern und in Telefonzellen Parolen in Frakturschrift, die eher aus der Nazizeit stammen. „Fasse dich kurz!“, „Die Arbeiterklasse ist uns teuer!“. Die SED benutzte weder Frakturfonts, noch imaginierte sie eine Trennung zwischen sich selbst und der Arbeiterklasse. Teuer umworben wurden die Arbeiter dagegen von den Nazis. Man könnte das Detail für einen Fauxpas der Ausstattung halten, wenn der Film nicht auch eine Geschichte aus dem Faschismus erzählen würde, aber so tut, als sei die Stasi-Praxis mit der Gestapo- oder Guardia Civil-Praxis identisch, was mindestens problematisch ist. Auch die katholisch-strengen Moralvorstellungen der postfaschistischen spanischen Gesellschaft scheinen in der sexuell freizügigen DDR fehl am Platz. Wer da nicht so pingelig ist, der findet eine deftige Genre-Story vor, in der sich ein West-Kommissar (sensibel, still, kann nicht schießen, hat aber viel Sex) und ein Ost-Kommissar (brutal, Wurst, Bier, finstere Vergangenheit, krank) in der winterlichen Ödnis des Oderbruchs treffen, um eine Mordserie an jungen Mädchen aufzuklären. D Tom Dorow Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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Christian Alvart’s remake of the Spanish thriller LA ISLA MINIMA (2014) is set in the Oderbruch in 1992. A West German inspector and an East German inspector meet in order to investigate a series of murders targeting young girls.

In seinem Regiestatement bemerkt Rosa von Praunheim: „Ich glaube, dass man heute auch böse Schwule zeigen kann, nachdem die Schwulenbewegung viel Positives verändert hat.“ Lars, den von Praunheim dem schwulen Serienmörder Dirk P. nachempfunden hat, der im Jahr 2012 in Berlin in wenigen Monaten drei Männer mit K.O.-Tropfen ermordete und es bei zwei weiteren versuchte, wirkt auf den ersten Blick völlig harmlos. Der Anfang-Dreißigjährige mit Geheimratsecken ist gerade erst mit seinem Freund Roland aus Saarbrücken nach Berlin gezogen und scheint eher häuslich. Während Roland sich mit anderen Männern trifft, verwandelt Lars lieber die neue gemeinsame Wohnung in einen (Alp)traum aus Blumenmotiven. Die ziehen sich auch durch die Montage, die zwischen vielen verschiedenen Zeitebenen – Kennenlernen in Saarbrücken, Umzug nach Berlin, die Morde in der Szene, Erinnerung an die Kindheit bei der Oma und schließlich, in der Gegenwart, Gerichtsverhandlung und Zwangsverwahrung – hin und her springt. Rolands Band (Triangel, Ukulele, singende Säge) trägt Blumen im Haar, das neue Sofa ist ein florales Gedicht und dann ist da noch dieses Unheil verkündende Bild der tiefdunklen Rosen vor Omas Neubauwohnung in Saarbrücken. Wie fast immer bei von Praunheim sieht der Film auf den ersten Blick schlichter aus als er ist, was vor allem an der lakonischen Ausstattung und dem Anti-Method-Acting der Darsteller*innen liegt. Auf den zweiten Blick ist DARKROOM eine souverän verschachtelte Geschichte über schwules Leben mit vereinzelten, gut platzierten poetischen Momenten. Es soll nicht Rosa von Praunheims letzter Film über böse Schwule bleiben: „Mein übernächster Film wird über die homoerotische Freundschaft von Hitler zu seinem Jugendfreund in Linz und Wien sein – hoffentlich ein Skandal, der zu meinem 80. Geburtstag 2022 ins Kino kommen soll.“ D Eva Wildte

Start am 30.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

In a few months of 2012 Dirk P. killed three men with roofies in Berlin. The case served as inspiration for Rosa von Praunheim’s story of a gay serial killer

Termine unter www.indiekino.de


Deutschland 2019 D 81 min D R: Aysun Bademsoy D B: Aysun Bademsoy D K: Ute Freund, Isabelle Casez D S: Maja Tennstedt D V: Edition Salzgeber

Spuren

Gedenken und Mahnung

Neun Männer mit Migrationshintergrund wurden zwischen 2000 und 2007 von rechten Terroristen, dem sogenannten NSU, ermordet. Sie lebten in Hamburg, München, Rostock, Dortmund, waren Friseure, Kioskbetreiber, Restaurantbesitzer, Blumenhändler; Väter, Söhne, Ehemänner, Brüder und Freunde. Der Dokumentarfilm SPUREN unternimmt eine Reise quer durch dieses Deutschland, in die dunkelsten Ecken unserer jüngsten Vergangenheit. Regisseurin Aysun Bademsoy besuchte Orte der Verwundung und der Heilung, begleitete und interviewte die Angehörigen dreier Mordopfer, Mehmet Kubasik, Süleyman Tasköprü und Enver Simsek. In der Berichterstattung um den NSU fanden sie selten so wirklich statt, die Mütter, Töchter, Brüder, Freund*innen, denen die Nazis dieses Leid angetan hatten. Viele wollten nicht sprechen – zu groß das Misstrauen gegenüber den Medien und der Justiz, von der sie sich im Stich gelassen fühlen. Umso berührender ist es zu sehen, wie zwischen Bademsoy und ihren Gesprächspartner*innen Vertrautheit entsteht. Dem Dokumentarfilm gelingt es, sowohl einfühlsam die sehr ähnlichen und doch so unterschiedlichen Einzelschicksale zu schildern als auch die Systematik und die Tragweite der Mordserie schmerzhaft deutlich werden zu lassen: Alle Opfer waren Kleinunternehmer, hart arbeitende Bürger auf dem Weg in den Mittelstand, die Deutschland zur Heimat gemacht hatten für sich und ihre Familien. „Es [hätte] auch meinen Vater oder meine Brüder treffen können“, beschreibt Aysun Bademsoy, was die Taten des NSU auch für sie und viele andere Deutsche mit Migrationshintergrund bedeuten. SPUREN erzählt nicht in erster Linie vom Sterben, sondern vom Leben dieser Männer und derer, die sie lieb hatten. Er ist ein stilles Gedenken und zugleich eine laute Mahnung an unseren Staat, der den Leidtragenden seines Rassismus noch immer nicht gerecht geworden ist. D Eva Szulkowski

Start am 13.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

Nine men with a migrant background were murdered by right-wing terrorists, the so-called NSU, between 2000 and 2007. In this empathetic documentary, director Aysun Bademsoy accompanies and interviews the loved ones of three murder victims.

AB 23. JANUAR IM KINO


INDIEFEATURE

Ballett und Kino, das ist eine beliebte Kombination – ob romantisch-vorhersehbar wie in SAVE THE LAST DANCE, düster wie in BLACK SWAN oder bewegend wie in GIRL oder BILLY ELLIOT. Man glaubt, die Ballettwelt zu kennen: eine harte Ausbildung, ständiger Konkurrenzdruck und ein frühes Karriereende, weil der Körper erschöpft aufgibt. Doch in São Paulo gibt es eine besondere Ballettschule, die der Dokumentarfilmregisseur Alexandre Peralta in LOOKING AT THE STARS porträtiert. In der brasilianischen Megacity hat Fernanda Bianchini 1995 die weltweit einzige professionelle Ballettakademie für Menschen mit Sehbeeinträchtigung D 44

D JANUAR/FEBRUAR 2020

gegründet, die Fernanda Bianchini Association of Ballet and Arts for the Blind (AFB). Peralta gibt berührende Einblicke in die Ausbildung und die Lebenswege einzelner Tänzer*innen und Lehrer*innen an der AFB. Geyza, die mit neun Jahren ihre Sehkraft verlor, tanzt seit 17 Jahren Ballett. Das Tanzen veränderte ihr Leben. Heute ist sie nicht nur die Primaballerina der AFB-Ballettkompanie, sondern unterrichtet auch dort. Der einfühlsame und engagierte Ballettlehrer Cesar beschreibt Ballett als eine sehr visuelle Kunst – Ballettschüler*innen lernen durch Zuschauen. An der AFB


INDIEFEATURE

Looking at the Stars Tanzen nach Gefühl

lernen sie, indem sich Lehrende und Lernende anfassen, während sie die Arm- oder Beinbewegungen ausführen. Pirouetten etwa, die schon für sehende Tänzer*innen nicht leicht zu lernen sind, stellen die sehbeeinträchtigten Tanzeleven vor die zusätzliche Herausforderung, mit den Augen keinen Punkt fixieren zu können, um das Gleichgewicht zu halten. Doch die Balletttänzer*innen lassen sich durch nichts vom Tanzen abhalten. Mit großer Disziplin trainieren sie auf tänzerisch hohem Niveau – und treten längst auch auf renommierten internationalen Bühnen auf.

Originaltitel: Olhando para as Estrelas D Brasilien/USA 2016 D 90 min D R: Alexandre Peralta D B: Alexandre Peralta, Melissa Rebelio Kerezsi D K: Alejandro Ernesto, Guan Xi D S: Alexandre Peralta D M: Samuel Jones, Alexis Marsh D V: W-Film

Start am 13.2.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

In the Brazilian mega city of São Paulo, Fernanda Bianchini founded the only professional ballet academy for people with visual impairments in the world. A documentary.

D Stefanie Borowsky

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INDIEKRITIKEN

Bombshell – Das Ende des Schweigens Der private US-TV-Sender „Fox News“ des Medienmoguls Richard Murdoch ist für seine erzreaktionäre Propaganda bekannt. Ein Jahr vor den Missbrauchs-Vorwürfen gegen Harvey Weinstein hätte der Skandal um sexuelle Belästigungen durch den Fox-CEO Roger Ailes eine Initialzündung zur #metoo-Bewegung sein können. War er aber nicht, wohl auch, weil die Anklägerinnen zuvor stramm rechte und antifeministische Positionen vertreten hatten. Mit Nicole Kidman, Margot Robbie und Charlize Theron. Start am 13.2.2020

Originaltitel: Bombshell D USa 2019 D 108 min D R: Jay Roach D D: Nicole ­Kidman, Charlize Theron, Margot Robbie, John Lithgow, Kate McKinnon, Allison Janney, Malcolm McDowell, Mark Duplass, Ashley Greene, Connie Britton

Just Mercy Verfilmung des autobiografischen Buches von Bryan Stevenson, der die „Equal Justice Initiative“ gründete, die sich für die Verteidigung von zu Unrecht und von zum Tode Verurteilten einsetzt. Michael B. Jordan spielt Stevenson als jungen, idealistischen Anwalt, der gerade erst Harvard abgeschlossen hat. In Alabama gerät er an den Fall von Walter McMillian (Jamie Foxx), der einen grausamen Mord begangen haben soll. Es gibt hinreichend Beweise für seine Unschuld, aber auch einen zwiespältigen Zeugen, der McMillan schwer belastet … Start am 30.1.2020

USA 2019 D 136 min D R: Destin Daniel Cretton D D: Michael B. Jordan, Brie Larson, Jamie Foxx, O’Shea Jackson Jr., Rafe Spall, Tim Blake Nelson

Little Women

Die Kunst der Nächstenliebe

Die Romane „Little Women“ und „Good Wifes” von Louisa May Alcott zählen zu den meistverfilmten Stoffen der Filmgeschichte. Liz Taylor, Joan Bennett, Katherine Hepburn, Janet Leigh und Wynona Ryder haben bereits in LITTLE WOMEN-Versionen gespielt. Nun hat Greta Gerwig als Regisseurin die fetteste mögliche Besetzung aufgebracht. Wer soll denn da widerstehen, wenn Saoirse Ronan dem verwuschelten Timothée Chalamet auf einer frischen Wiese einen Korb gibt? Außerdem mit dabei: Emma Watson, Laura Dern und Meryl Streep.

Isabelle (Agnès Jaoui) ist das personifizierte Helfersyndrom: Sie bringt Flüchtlingen Französisch bei, hetzt von der Klamottenspende zur Suppenküche und nervt ihre Familie beim Shopping. Sie ist die grob geschnittene Schablone, um die LES BONNES INTENTIONS seine recht haarsträubende Handlung entfaltet: Als die neue Sprachlehrerin junge Sofie auftaucht und sich sofort super mit den Jugendlichen versteht, bricht ein Konkurrenzkampf aus, und Isabelle beschließt, ihre Schüler*innen zu beeindrucken, indem sie ihnen zum Führerschein verhilft …

Start am 30.1.2020

D 46

D JANUAR/FEBRUAR 2020

USA 2019 D 134 min D R: Greta Gerwig D D: Saoirse Ronan, Florence Pugh, Emma Watson, Meryl Streep, Laura Dern, Timothée Chalamet, Louis Garrel, Bob Odenkirk, Chris Cooper

Start am 30.1.2020

Originaltitel: Les bonnes intentions D Frankreich 2018 D 103 min D R: Gilles Legrand D D: Agnès Jaoui, Tim Seyfi, Alban Ivanov

Termine unter www.indiekino.de


NINA HOSS

SIMON ABKARIAN JENS ALBINUS

SOPHIE ROIS

Enkel für Anfänger Rentnerin Karin (Maren Kroymann) will im fortgeschrittenen Alter noch Großmutter werden. Zum Glück ist es für diesen Wunsch nie zu spät – selbst wenn man nie Kinder bekommen hat. Denn heute gibt es ganze Datenbanken mit Leih-Omas und -Opas. Diese Entdeckung macht Karin dank ihrer Schwägerin Philippa (Barbara Sukowa), die Paten-Oma für die kleine Leonie ist und mit ihrem unkonventionellen Hippie-Lebensstil die Freiheit schlechthin verkörpert. Unfreiwillig ist der gemeinsame Schulfreund und gealterte Dandy Gerhard (Heiner Lauterbach) auch mit von der Partie. Start am 6.2.2020

Deutschland 2019 D R: Wolfgang Groos D D: Maren Kroymann, Heiner Lauterbach, Barbara Sukowa, Dominic Raacke, Günther Maria Halmer, Lavinia Wilson, Palina Rojinski

»Ein Film Noir, gespannt wie eine Geigensaite kurz vor dem Zerreißen« LE MONDE

DAS VORSPIEL SILBERNE MUSCHEL FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN

Character One: Susan Susan ist Anfang 50, und hat alles schon erlebt. Sie hat die schönsten Ecken der ganzen Welt gesehen und war die Königin der Berliner Technoszene. Aber sie kämpfte auch mit einer bipolaren Störung, den Folgen sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit, und einer aktuellen Lebenssituation, in der sie auf Sozialhilfe und eine Betreuerin angewiesen ist. Dass Missbrauchte sich nicht trauen, darüber zu reden, regt Susan auf. Deswegen redet sie selbst, ganz Berliner Darstellerin, von dem, was sie erlebt hat und versprüht Energie wie eine, deren Geschichte noch lange nicht auserzählt ist.

Start am 16.1.2020

EIN FILM VON

INA WEISSE

BERLIN-PREMIERE

AM 22. JANUAR 2020 20:30 UHR KINO IN DER KULTURBRAUEREI IN ANWESENHEIT VON REGISSEURIN INA WEISSE UND HAUPTDARSTELLERIN NINA HOSS

Deutschland 2019 D 80 min D R: Tim Lienhard

Berlin Branderburg

WWW.DASVORSPIEL-FILM.DE

AB 23. JANUAR IM KINO


INDIEKRITIKEN Originaltitel: It Must Be Heaven D Frankreich 2019 D 97 min D R: Elia Suleiman D B: Elia Suleiman D K: Sofian El Fani D S: Véronique Lange D D: Elia Suleiman, Gael Garcia Bernal, Ali Suleiman, Gregoire Colin D V: Neue Visionen

Vom Giessen des Zitronenbaums Absurde Odyssee

In VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS spielt sich der Filmemacher selbst und erlebt während seiner Odyssee von Nazareth nach Paris und New York allerlei Absurdes. Die große Polizei- und Waffenpräsenz gepaart mit politischer Verdrossenheit erinnert ihn auf Schritt und Tritt an zuhause. Und das obwohl er doch eigentlich nur weg von Palästina wollte, wo er einfach keine Ruhe bekommt und selbst das Gießen seines Zitronenbaums ihm von einem übergriffigen Nachbarn nicht vergönnt wird. Berühmt wurde Suleiman vor fast 20 Jahren mit dem Film GÖTTLICHEN INTERVENTIONEN über den Alltag von Palästinensern und Israelis, der unter anderem den Jurypreis in Cannes 2002 gewann. Und auch bei seinem lang erwarteten Nachfolger, der im Originaltitel IT MUST BE HEAVEN heißt und ebenfalls in Cannes Premiere feierte, handelt es sich um eine Tragikomödie voller absurder Episoden und stummer Beobachtungen. Nicht zu Unrecht wird Elia Suleiman mit Jacques Tati, Jim Jarmusch und Buster Keaton verglichen: Gesprochen wird nicht viel, im Mimikspiel und in den Details des Alltags liegen dagegen allerhand Botschaften. Nicht immer sind die treffsicher, und so lässt sich bei der Eingangsszene in Paris fragen, ob es sich hier um puren Voyeurismus eines männlichen Blickes auf vorbeigehende Frauen in kurzen Röcken handelt – oder etwas anderes. Und der kleine Vogel, den Suleiman in sein Zimmer lässt und der ihm ständig über die Tasten fliegen will – kann er Überbringer einer Nachricht sein, oder ist er nur eine niedliche Nebenfigur? Den besten Kurzauftritt hat definitiv Gaël Garcia Bernal als mexikanischer Filmemacher, der mit seiner Thematik der mexikanischen Eroberung beliebter bei den internationalen Filmemachern zu sein scheint als Suleiman selbst, dessen Filmprojekt als nicht palästinensisch genug bewertet wird. Bei so viel Selbstironie ist der Grad zur Selbstbeweihräucherung schmal, doch mit fantastisch fotografischen Einstellungen, die auch mal an Wes Anderson denken lassen, bleibt Suleiman verspielt und unantastbar. D Anna Hantelmann Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

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Elia Suleiman plays himself as an Palestinian in exile who encounters the same absurdities everywhere he travels to.

Schweiz 2019 D 75 min D R: Rita Ziegler D K: Isabel Casez, Martina Radwan, Rita Ziegler D S: Valérie Smith D M: Terry Riley, Colin Vallon D V: mindjazz pictures

Albrecht Schnider – Was bleibt Eine Form stellt sich ein

Rita Zieglers Film über den Schweizer Maler Albrecht Schnider ist ein Film, der beobachtet, wie Kunst entsteht. Ein sehr ruhiger, konzentrierter und ungemein sinnlicher Film, der, ähnlich wie Henri-Georges Clouzots Film PICASSO (1956) den Prozess des Malens und Übermalens zeigt, aus dem sich das endgültige Werk entwickelt. Schnider bereitet eine Ausstellung in New York vor, in der er seine zeichnerische Methode auf Ölgemälde übertragen will. Zuvor war Schnider vor allem durch seine großformatigen, abstrakten Acrylbilder bekannt geworden, die minutiös geplant sind, aber aus einer an die écriture automatique der Surrealisten erinnernde Zeichentechnik entstanden sind. Die Bilder für die neue Ausstellung werden klein, ungefähr 60x30cm. Seit 14 Tagen malt Schnider eine schwarze Linie auf weißem Hintergrund. Wiederholung und Zufall, sagt der Maler, sind der Kern seiner Arbeit. Es ginge nicht um einen inneren Ausdruck, sondern darum, „Ja“ zu sagen, wenn sich eine Form einstellt. Das Malen des Bildes dauert zehn bis fünfzehn Sekunden. Der Pinsel setzt am unteren Rand der Leinwand auf, fährt, mit einigen Schlenkern und Kringeln in die Höhe, wo eine freie Form das Gebilde krönt, bevor der Strich abfällt. Er warte darauf, dass das Bild ihn anblickt, sagt Schnider. Er malt und wischt das Gemalte wieder fort, malt erneut, wischt. Auf der Leinwand beginnt sich eine graue Spur in der Mitte des Bildes abzuzeichnen, die Schnider so lange stehen lässt, bis er sich entschließt, sie auch wieder weiß zu übermalen. Plötzlich ist der Moment da, und die Form stimmt. Als hätte das Beobachten der Arbeit gelehrt, mit nach ihr zu suchen, wird sofort offensichtlich, dass hier etwas gelungen ist. Nicht nur etwas „verführerisch Hübsches“, nichts, was Schnider mit den Worten „das hier ist nur Geschwätz“ abtun wird. „Es ist wie eine Versöhnung mit der ganzen Welt“, sagt Schnider. „Zumindest für heute.“ D Tom Dorow

Start am 16.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

A documentary about the measured Swiss painter of abstract forms and landscapes.

Termine unter www.indiekino.de


» Ein furioser, tief bewegender Film. « SCREEN DAILY

» Ein schillerndes Familien-Melodram, herzzerreißendes, großes Kino! « YORCKER

JUliA StocKler CArol DuarTe

BRAZIL‘S OSCAR® ENTRY

BESTER AUSLÄNDISCHER FILM 92TH ACADEMY AWARDS 2020

DiE

SeHNsuChT DeR SChWESTeRN GusMÃO

Ein tropiSChes melodRaM von KarIM AÏnouZ

Ab 26. Dezember im Kino


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„Genrefilme neigen dazu, am Ende alle Probleme zu lösen“ Interview mit Jessica Hausner zu LITTLE JOE

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In ihren Filmen entwirft die Österreicherin Jessica Hausner Szenarien, die einerseits einen klaren Realitätsbezug haben – in ihrem „Horrorfilm“ HOTEL (2004) sind die dunklen Flure das Unheimlichste, ihr „Mysterienspiel“ LOURDES (2009) ist an realen Pilgerstätten gedreht, und AMOUR FOU (2014) bricht den Liebestod von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel auf zermürbende Debatten herunter – und zugleich in eine sehr eigene, minutiös durchgestaltete Welt führen. In diesen entschleunigten Universen kann jederzeit alles passieren, und nichts davon muss wahr sein. Mit ihrem jüngsten Film LITTLE JOE war Hausner im Wettbewerb von Cannes zu Gast, die Hauptdartsellerin Emily Beecham erhielt dort den Preis für die beste Darstellerin.

INDIEKINO: Frau Hausner, was hat Sie daran gereizt, eine Pflanzenzüchterin in den Mittelpunkt Ihrer Geschichte zu stellen? Jessica Hausner: Mir ging es von vornherein darum, dass die Hauptfigur eine Wissenschaftler*innen sein sollte. Mich interessiert die Rolle von Wissenschaftlern in unserer heutigen Gesellschaft sehr. Ich denke, sie gewinnen immer mehr an Bedeutung, denn wir glauben ihnen immer mehr, was sie sagen. Außerdem kam mir in dem Zusammenhang diese FRANKENSTEIN-Idee in den Sinn und die Geschichte ist in gewisser Weise eine Variation davon: Eine Wissenschaftlerin kreiert ein Monster. Das Besondere ist hier jedoch, dass sie gleich zwei Monster schafft, von denen eines ihr eigenes Kind ist. Und über beide diese Monster verliert sie, langsam aber sicher, die Kontrolle.

Will man LITTLE JOE einem Genre zuordnen, denkt man zunächst an Science Fiction. Würden Sie dem zustimmen? Meine Filme stehen oft mit herkömmlichen Genrebezeichnungen in Widerspruch, weil ich versuche, sie so wahr wie möglich zu gestalten. Und in dem Fall habe ich versucht, eine mögliche wissenschaftliche Erklärung zu finden. Deshalb war ein Neurologe in unserem Team, ein Pflanzen-Gentechniker und einer, der auf Menschen spezialisiert ist. Gemeinsam haben wie versucht, eine Brücke zu finden, eine Erklärung, wie eine Pflanze in den menschlichen Körper eindringen kann. Und dann hatte einer der Wissenschaftler die Idee, dass ein Virus, der von der Pflanze ausgeht, zu einem menschlichen, krankheitserregenden Virus mutiert, mehr wie in einem realen Horrorfilm. Und das ist tatsächlich möglich? Ja, ist es. Es ist eine Theorie, die funktioniert. Aber wie in allen meinen Filmen, ist nicht nur die Realität möglich, auch Wunder sind es. Man kann

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sich auf nichts wirklich verlassen. Vielleicht ist es unwahrscheinlich. Aber ich habe bewusst nach einer Theorie gesucht, bei der man denkt: Kann das wirklich so sein? Soll ich das glauben, oder nicht? Gibt es filmische Referenzen, die Sie im Hinterkopf hatten, wie etwa INVASION OF THE BODY SNATCHERS, um nur ein Beispiel zu nennen? Ich denke eher, dass Filme wie INVASION OF THE BODY SNATCHERS genau die Art von Genreklassikern sind, die ich mit LITTLE JOE zu untergraben versucht habe. Der Film spielt mit dem Genre, ist aber deshalb nicht automatisch auch ein Genrefilm. Man muss die Ironie verstehen, die darin liegt, um seine wahre Freude an dem Film zu haben. Denn wer auf Zombies hofft, die plötzlich um die Ecke kommen, der wird enttäuscht werden. Der Humor im Film ist wirklich wichtig. Deshalb sieht auch die Pflanze ein bisschen lächerlich aus. So dass man von Anfang an versteht, dass der Film sich in gewisser Weise auch lustig darüber macht. Darin liegt die feine Ironie. Jemand hat den Film neulich als Horror-Komödie bezeichnet, vielleicht kommt das der Sache am nächsten. Empfinden Sie Genrebezeichnungen grundsätzlich als etwas Altmodi­sches? Ja. Ich denke heutzutage ist es nicht mehr angemessen, Geschichten zu erzählen oder Filme zu drehen, die klar und eindeutig sind, beziehungsweise die sich klar einordnen lassen und die einem am Ende alle Antworten servieren, so dass man als Zuschauer*in zufrieden nach Hause gehen kann. Ich nehme die Wirklichkeit um mich herum als extrem gespalten war. Es gibt so viele verschiedene Wahrheiten, so viele verschiedene Aspekte und so viele Informationen über alles. Und Genrefilme neigen eher dazu, am Ende alle Probleme zu lösen, wohingegen ich versuche, in meinen Filmen die Verstörung zu thematisieren, die dabei entsteht, wenn es auf alle Fragen immer mehr als eine Antwort gibt.

Nicht nur die Ästhetik der Pflanze, auch die des Films insgesamt ist sehr eigenwillig und außergewöhnlich, und zudem auffallend zeitlos. Die Zeitlosigkeit lag mir besonders am Herzen, danach habe ich gesucht. Und manchmal ist das gar nicht so einfach zu erreichen, allein was die Kleidung angeht. Denn man muss erst mal ein Kostümdesign schaffen, das nicht automisch mit einer bestimmten Periode, einem bestimmten Jahrzehnt in Verbindung gebracht wird. Die Kostümbildnerin ist meine Schwester, Tanja Hausner. Wir haben bisher an allen meinen Filmen zusammengearbeitet. Sie hatte eine interessante Art, an die Sache heranzugehen, zumal sie sehr spezielle, sehr helle Farben gewählt hat, auch weil das die Zuschauer davon ablenkt, darüber nachzudenken, um welches Jahr es sich handeln könnte. Zudem gibt es dem Film eine eher surreale Note. Sie haben bereits die Vormachtstellung der Wissenschaft in unserer heutigen Gesellschaft angesprochen. Bedeutet Genmanipulation für Sie auch die Gefahr einer totalitären Herrschaft? Das ist die politische Seite der Frage. Ich denke, ein Teil der Wissenschaft ist bereits ziemlich totalitär. Ich habe den Eindruck, dass die Wissenschaft in der Hinsicht heute die Religion ersetzt hat. Früher hatte die Religion die Antworten auf alle Fragen, und die Priester erklärten uns den Unterschied zwischen Gut und Böse. Heute übernehmen die Wissenschaftler die Aufgabe, Informationen über alles zu besitzen. Nur kam man dem genauso wenig trauen, denn ein Wissenschaftler sagt das eine, und der nächste etwas anderes. Weil sie eben auch nicht alles wissen. Und es ist wichtig, dass die Menschen das begreifen. Wir glauben schon viel zu viel an die Wissenschaft. Die Wissenschaftler*innen in Ihrem Film versuchen mit aller Gewalt das Wachstum der Pflanzen zu steuern. Wie kontrollsüchtig sind Sie selbst, wenn es um Ihren Film geht?

Sind Sie selbst eine Pflanzenfreundin? Überhaupt nicht. Ich weiß nichts über Pflanzen. Jetzt zwar schon ein bisschen mehr, aber als wir mit der Arbeit am Film begannen, hatte ich nicht die leiseste Ahnung. Wie wichtig war Ihnen das Design der Pflanze, um die es im Film geht? Ihr Äußeres ist ja sehr speziell. Die Pflanze ist ein Hilfsmittel, um die Geschichte zu erzählen. Sie ist eine Art Symbol. Ich wollte, dass sie diesen ikonischen Charakter hat. Zunächst dachte ich gar nicht unbedingt an eine Pflanze im klassischen Sinn. Zum Beispiel dachte ich, es könnte auch ein Apfel ohne Kerne sein, etwas, das durch Gentechnologie kreiert wurde. Aber mit Nahrung ist das so eine Sache. Es ist kompliziert, weil man sie bereitwillig essen muss, um eine Veränderung hervorzurufen. Eine Pflanze, die ihren Duft verstreut, erschien mir besser und treffender für die Geschichte, also entschied ich mich dafür. Davon abgesehen ist sie allgemeingültiger. Zum Beispiel könnte man sich das Ganze auch als Märchen denken, dann ginge es nicht um eine Gentechnikerin und eine Pflanze, sondern um eine Hexe, die eine schöne rote Blume herzaubert, die die Menschen glücklich macht. Dieser Märchenaspekt war mir auch wichtig. D 54

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Die Hauptfigur im Film erinnert mich in der Hinsicht sehr an mich selbst. Und sie sagt es ja am Anfang im Gespräch mit ihrer Psychologin auch: „Ich kann nicht alles kontrollieren, nicht wahr?“ Und das ist ihr Dilemma, denn das will sie im Grunde. Sie will alles kontrollieren, aber sie kann es nicht. Und so geht es Ihnen auch? Ja, absolut. Wie muss man sich das in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern vorstellen? Es gibt ein klares Konzept, wie sich die Schauspieler bewegen sollen, ganz ähnlich wie beim Ballett. Wenn wir proben, werden die Szenen einzeln ausgetragen. Ich sage den Schauspielern, wer wann wie wohin gehen muss, und wann und wie die Sätze gesprochen werden. Gleichzeitig probt der Kameramann die Bewegung der Kamera um die Bewegung der Schauspieler herum. Und dann wiederholen wir die Szenen zwanzig oder dreißig Mal, was natürlich nicht angenehm ist für die Schauspieler. Ich glaube Ben Whishaw hat es gemocht, aber nicht alle genießen diese Art von


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Intensität, weil sich dreißig Mal zu wiederholen natürlich auch ziemlich schrecklich ist, und nicht alle können das. Deshalb suche ich immer konkret nach Darstellern, die das aushalten und die lebendig bleiben, auch wenn ich versuche, sie dabei so gut es geht, zu kontrollieren. Ich brauche Persönlichkeiten, die sich wehren können. Emily, zum Beispiel, hat mich irgendwann einfach nur noch ignoriert. Und das war gut so, weil sie auf diese Weise ihre Persönlichkeit am Leben hielt, und darauf kommt es an. Darauf bin ich angewiesen. Denn wenn meine Kontrollwut perfekt wäre und alles einnehmen würde, dann würde ein sehr langweiliger Film dabei herauskommen. Ich brauche Schauspieler, die dagegen angehen.

Originaltitel: Little Joe D Österreich/Großbritannien/Deutschland 2019 D 105 min D R: Jessica Hausner D B: Jessica Hausner, Géraldine Bajard D K: Martin Gschlacht D S: Karina Ressler D D: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor D V: X-Verleih

Wie wichtig war Ihnen die Musik im Film? Die Musik hat gewissermaßen einen eigenen Charakter. Die Musik macht, was sie will. Aber das gefällt mir. Ich mag es, wenn die Musik als Gegenspieler agiert und dadurch in manchen Szenen ein sehr merkwürdiges Gefühl erzeugt. Der Komponist, Teiji Ito, hat auch für Maya Derens Filme die Musik komponiert. Und ihre Filme inspirieren mich sehr. Sie ist eine experimentelle Filmemacherin, die für ihre surrealen Avantgardefilme der 40er und 50er Jahre bekannt ist, und sie schafft darin diese Seelenräume. Ich kann es nicht anders beschreiben. Es sind Setting, Räume, Perspektiven, die einem das Gefühl von Unheimlichkeit vermitteln. Sie wirken ungemütlich, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gibt. Es ist extrem seltsam, wie in einem Traum. Ein Lied in Ihrem Film heißt «Happiness Business». Ist das ewige Streben nach Glück das, was unsere moderne Gesellschaft vorantreibt? Ich denke schon. Die Sehnsucht nach Glück ist allgegenwärtig und so intensiv. Das merkt man bei jedem Small Talk. Allein schon, wenn jemand fragt, wie es einem geht, traut sich ja kein Mensch mehr zu sagen: „Schlecht.“ Stattdessen sagt jeder automatisch sofort: „Gut. Mir geht’s so gut. Ich bin so erfolgreich. Alles ist so wunderbar.“ Ich persönlich empfinde das als Bedrohung, weil es unnatürlich ist. Mein Mann, der Musiker ist, hat den Song für mich geschrieben. Ich hatte ihn gebeten, mir einen fröhlichen Song zu schreiben, einen Song, der glücklich macht, und dann kam er mit der Idee zu «Happiness Business». Zuerst dachte ich noch, es wäre vielleicht etwas zu offensichtlich, aber dann habe ich mir überlegt, dass es vielleicht gar nicht schlecht ist, am Ende des Films, diese kleine Botschaft zu vermitteln. Einerseits ist der Wunsch, glücklich zu sein, natürlich sehr generell, und er ist tief in uns verwurzelt. Er war schon immer da. Aber vielleicht ist dadurch, dass unsere Sehnsucht kommerzialisiert wurde, auch der Druck auf uns gestiegen, dem nachzukommen. Und das ist das Gefährliche daran. Sie lassen sich viel Zeit zwischen Ihren Projekten. Woran liegt das? Ich recherchiere unheimlich viel. Ich lese, ich rede mit Leuten, ich führe Interviews. Ich versuche, eine Geschichte in einer ganz präzisen Welt zu erzählen. Diesmal war es Wissenschaft, beim nächsten Mal wird es Schule sein. Ich fange stets mit einer Seite an, aber es dauert zirka ein Jahr, bis ich diese Seite gefüllt habe, um wirklich genau zu wissen, was die Geschichte ist, die ich erzählen will, was ich damit ausdrücken will. Danach geht es schneller.

Little Joe

Schleichendes Unbehagen Während sich Genrefilmer*innen, gerade im Horrorbereich, gerne damit beschäftigen, die Grenzen des Zeigbaren auszuweiten und die emotionalen Schrauben fester anzudrehen, ist Jessica Hausner seit Jahren in der entgegen gesetzten Richtung unterwegs. Ihr „Horrorfilm“ HOTEL (2004) zeigte dunkle Flure in einem ominösen Hotel am Wald und reduzierte Schockeffekte und Spannungsbogen derart, dass am Ende ein vages, aber auch irgendwie interessantes Unbehagen zurückblieb. In ihrem „Melodrama“ AMOUR FOU inszenierte sie den Doppelselbstmord von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel als Ergebnis grüblerischer Entscheidungen und langer Verhandlungen. Mit LITTLE JOE erhält nun das Sci-Fi-HorrorMotiv von den Körperfressern – in diesem Fall sind es Geistfresser – ein ähnliches Treatment: Alice und ihr Team von Biotechnolog*innen haben eine rote Blume entwickelt, deren Duft glücklich machen soll, und die Alice nach ihrem Sohn „Little Joe“ getauft hat. „Little Joe“ gedeiht prächtig, und scheint sein Versprechen einzulösen. Seltsam sind allerdings die Unmengen von Pollen, die die eigentlich sterile Pflanze produziert. Kollegin Bella, die allerdings, wie alle wissen, psychische Probleme hat, behauptet sogar, dass der Kontakt mit den Pollen die Leute seltsam mache … Hausner inszeniert wie immer extrem undramatisch, nahezu emotionslos, und in hübschen, farblich fast schon manisch präzise durchgestalteten Szenen. Die Veränderungen, die Little Joe bewirkt – wenn er sie denn bewirkt – sind so minimal, dass sie sich kaum benennen, geschweige denn beweisen lassen. So entsteht, wie ein letzter Gedanke kurz vor der Narkose, wieder dieses Gefühl eines schleichenden Unbehagens – so als ob etwas schief läge in der Welt, als ob alle nicht ganz sie selbst wären, als ob nicht ganz klar wäre, was hier eigentlich die Entscheidungen trifft und wo die Bedürfnisse, die man für die eigenen hält, eigentlich herkommen. D Hendrike Bake

Start am 9.1.2020 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

Alice and her team of biotechnologists have developed a red flower with a smell that causes happiness. “Little Joe“ flourishes well, but the vast amounts of pollen that the supposedly sterile plant produces is strange….

D Das Gespräch führte Pamela Jahn

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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kindheit im Exil

Alfred Kerr war der einflussreichste Theaterkritiker der Weimarer Republik, berühmt für seine Schärfe und offener Nazigegner. Kurz vor den Reichstagswahlen im März 1933 erreichte ihn eine anonyme Warnung: Sein Name stehe an zweiter Stelle einer Feindesliste der Nazis, im Falle eines Wahlsiegs drohe ihm Übles. Kerr verließ das Land, seine Familie folgte und erlebte die Machtübernahme Hitlers in der Schweiz. Die folgende jahrelange Odyssee über die Schweiz nach Paris und schließlich London hat die damals neunjährige Tochter Judith (in Buch und Film Anna) in einer Reihe weltberühmt gewordener Jugendbücher beschrieben. Den ersten Roman hat Caroline Link nun verfilmt und angenehm genau den unsentimentalen Ton der Vorlage getroffen. Fast durchweg aus der Sicht der sensiblen und eigenwilligen Anna erzählt, hält der Film die Balance zwischen Traurigkeit über den Verlust der Heimat und den interessanten Seiten einer Kindheit, in der es ständig gilt, sich in neuen Kulturen zurecht zu finden. Riva Krymalowski ist als Anna wunderbar. Neugierig tastet sie sich vor, versteht erst vieles nicht, eckt als Berliner Intellektuellenkind in der Schweizer Hinterwäldlerschule an und sucht doch immer das Schöne in den neuen Welten. Oliver Masucci spielt Alfred Kerr leise, fast zurückhaltend und gibt dem Film sein zweites Zentrum. Seinen Kindern lebt er eine intelligente, sanfte Variante des Nicht-Aufgebens vor und schafft eine Atmosphäre, in der nie das Gefühl aufkommt, es ginge der Familie richtig schlecht. Man glaubt ihm, wenn er auf Annas Frage „Macht es Dir nichts aus, ein Flüchtling zu sein?“ antwortet: „Doch. Aber ich finde es auch ganz interessant.“ Obwohl die Umstände dagegen sprechen: Caroline Link erzählt die in Kriegs- und Friedenszeiten gar nicht so häufige Geschichte einer gelingenden Kindheit. D Susanne Stern

Deutschland 2019 D R: Caroline Link D B: Caroline Link, Anna Brüggemann D K: Bella Halben D S: Patricia Rommel D M: Volker Bertelmann D D: Riva Krymalowski, Marinus Hohmann, Carla Juri, Oliver Masucci D V: Warner Bros.

Start am 25.12.2019 ¢ Alle Spielorte und Termine auf www.indiekino.de

In the adaptation of the young adult classic by Judith Kerr, Caroline Link has struck the unsentimental tone of the source.

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Thomas und seine Freunde – Grosse Welt! Grosse Abenteuer! Start am 2.1.2020 D Großbritannien 2018 D R: David Stoten D 85 min D FSK: ab 0

Thomas der kleinen Lokomotive wird es auf der Insel Sobor zu langweilig. Immer nur Passagiere und Fischwaggons transportieren, macht keinen Spaß. Als ihn das furchtlose australische Rennauto Ace zu einem Rennen um die Welt herausfordert, schnauft Thomas los, nach Dakar, durch den brasilianischen Regenwald und bis nach Kenia. Auf der Reise durch fünf Kontinente lernt er, dass er nicht jeder Maschine trauen sollte, und dass manchmal Züge, die man anfangs gar nicht mag, die besten Freunde werden können.

Die Heinzels – Rückkehr der Heinzelmännchen Start am 30.1.2020 D Deutschland 2019 D R: Ute von Münchow-Pohl D FSK: ab 0

Seit 250 Jahren hat man die fleißigen Heinzelmännchen nicht mehr gesehen. Tief unter der Erde sind sie aber immer noch fleißig. Nur Heinzelmädchen Helvi hat kein rechtes Talent für irgendein Heinzelhandwerk. Erst als sie sich in eine Bäckerei schleicht, entdeckt sie ihre Liebe zu Süßem. Wie man Kuchen macht, muss ihr der Bäcker Theo nur noch beibringen. So schwer kann das doch nicht sein, und er kann jede Hilfe brauchen, wenn er sein Haus nicht verlieren will. Mit Jella Haase, Charles dem Mops und einer Pupsrakete.

Charlie und Louise – Das doppelte Lottchen WA am 2.1.2020 D Deutschland 1994 D R: Joseph Vilsmaier D 98 min D FSK: ab 0

Auf einer Sprachreise stehen sich Charlie Palfy und Louise Kröger plötzlich gegenüber, und sind völlig baff: Die beiden sehen genau gleich aus. Beide sind gleich alt und am gleichen Tag geboren. Sie finden heraus, dass sie Zwillinge sind, und ihre Eltern sich kurz vor ihrer Geburt getrennt haben. Aber Charlie und Louise wollen zusammenbleiben und fassen einen Plan. Sie tauschen die Rollen und Charlie fährt nach Hamburg zu ihrer Mutter, bei der eigentlich Louise lebt, und Louise reist zum Vater nach Berlin. Irgendwie muss man die Eltern doch wieder zusammenbringen können…

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Latte Igel und der magische Wasserstein Start am 25.12.2019 D Deutschland 2019 D R: Regina Welker D 82 min D FSK: ab 0

Es hat im Wald lange nicht mehr geregnet und alle Tiere haben Durst. Da prophezeit ein weiser Rabe, dass es erst wieder Wasser geben wird, wenn jemand den magische Wasserstein zurück holt, den der Böse Bär Bantur gestohlen hat. Niemand traut sich, nur das mutige Igelmädchen Latte nimmt sich ein Herz und macht sich auf den Weg und das schüchterne Eichhörnchen Tjum kommt mit. Das ist Latte erst gar nicht so recht, denn sie mag Tjum eigentlich nicht besonders, aber zusammen erleben sie viele Abenteuer und werden gute Freunde. Nach dem finnischen Kinderbuchklassiker von Sebastian Lybeck.

Die Wolf-Gäng Start am 23.1.2020 D Deutschland 2019 D R: Tim Trageser

Die Penner-Akademie in Crailsfelden ist eine der wichtigsten magischen Schulen der Welt. Vlad ist nicht nur der Neue an der Schule, er hat auch ein großes Pronlem. Er ist ein Vampir, kann aber kein Blut sehen. Zum Glück findet er Freunde, die ihn verstehen, weil es ihnen ähnlich geht: Die Fee Faye leidet unter Flugangst und Wolf, der Werwolf hat eine Tierhaarallergie. Zusammen gründen sie die Wolf-Gäng, und als das ungewöhnliche Trio einer Verschwörung rund um den Bürgermeister Louis Ziffer und seiner Sekretärin Frau Circemeyer auf die Spur kommt, hat die Gäng auch eine Mission.

Vier zauberhafte Schwestern Start am 9.1.2020 D Deutschland 2020 D R: Sven Unterwaldt Jr. D FSK: ab 0

Die vier Schwestern Flame, Marina, Flora und Sky haben magische Kräfte – sie beherrschen je ein Element: Feuer, Wasser, Luft und Erde – und sie können sehr gut singen. Sie sind ausgewählt worden, um ihre Schule als Gesangsquartett bei einem Wettbewerb in London zu vertreten. Aber die die böse Hexe Glenda (Katja Riemann) versucht Streit zwischen den Schwestern zu säen. Wenn sie es schafft, die Harmonie zu zerstören, wird sie Herrin aller Elemente… Termine unter www.indiekino.de


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Geschäftsführung: Hendrike Bake Redaktion: Hendrike Bake, Thomas Dorow redaktion@indiekino.de Filmtexte: Hendrike Bake, Tanja Bersan, Yorick Berta, Stefanie Borowsky, Tom Dorow, Anna Hantelmann, Lili Hering, Karla Kabot, Christian Klose, Elinor Lewy, Bernhard Lommel, Michael Meyns, Harald Mühlbeyer, Toni Ohms, Hannes Stein, Susanne Stern, Eva Szulkowski, Lars Tunçay, Matthias von Viereck, Eva Wildte Texte Kinohighlights: INDIEKINO MAGAZIN und Kinos Grafik: Michael Zettler, Nora Wiesner (Zett Media) Akquise/Marketing: Verleih: Hendrike Bake, info@indiekino.de Online: Michael Spiegel, spiegel@indiekino.de Firmen/Festivals: Eva Schulze, eva@indiekino.de Druck: Bonifatius Druck, Paderborn Auflage: 25.000

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Bildnachweis: Filmbilder/Plakatmotive: Filmverleiher/Filmfestivals Festival Max Ophüls Preis (S. 6): Festival Max Ophüls Preis, Christian Ebersbach Stuttgarter Filmwinter (S. 6): Stuttgarter Filmwinter Ausstellung: Maximilian Schell (S. 7): DFF Deutsches Filmmuseum Frankfurt Jung & Abgedreht (S. 7)): Jung & Abgedreht Transmediale (S. 8): Transmediale, SWATTED Bamberger Kurzfilmtage (S. 8): Bamberger Kurzfilmtage Verlosung MEIN LEBEN MIT AMANDA (S. 9): MFA+ Eine Gewähr für die Richtigkeit der Termine kann nicht übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Ein Nachdruck ist nur mit Genehmigung von Redaktion und Autor und mit Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandtes Textmaterial wird keine Haftung übernommen.


33. Stuttgarter Filmwinter– FeStival For expanded media 16.–19.01.2020 auSStellung 16.–21.01.2020 www.filmwinter.de Festivalzentrum: FITZ! + tri-bühne Ausstellung: Kunstbezirk

FITZ!


Nachbild

Minutenlang bleibt die Kamera zu Beginn von WEISSER, WEISSER TAG auf dieser Einstellung eines sehr gewöhnlichen, vermutlich agrarindustriellen Container-Gebäudes aus Blech und Kunststoff vor der isländischen Berglandschaft. Nur die Jahreszeiten ändern sich. Es wird Frühling, ein paar Island-Pferde grasen, es wird Sommer. Der Nebel kommt und lässt selbst das Gebäude fast verschwinden. Manchmal regnet es, und manchmal leuchten die Berggipfel im Hintergrund in der Sonne. Der wiederkehrende Wechsel der Jahreszeiten lässt erkennen, dass mehrere Jahre vergehen. Die Szene erinnert an James Bennings Experimentalfilme wie 10 SKIES oder 13 LAKES, die nur die Bewegung des Lichts und des Windes über Landschaften zeigen, und eine seltsam entspannte Aufmerksamkeit wecken. Aber WEISSER, WEISSER TAG ist ein Spielfilm, und irgendwann beginnt die Handlung. Das wirkt beinahe wie ein Verlust.

vorschau INDIEKINO im Februar/März

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D 62

D JANUAR/FEBRUAR 2020


‫קרשנדו‬



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