Das unabh채ngige Schweizer Wirtschaftsmagazin Ausgabe 1 / 2014 CHF 6.80 www.blickpunktkmu.ch
CREDENTIS AG
Rezept gegen die Karies Start-up aus Windisch revolutioniert die Zahnmedizin
Wenn Sie hier geschäften, sollten Sie einen unserer 6 Standorte in der Schweiz besuchen. Mittelstandsbank. Die Bank für KMUs.
Ganz gleich, ob Sie mit Asien, Europa oder Amerika geschäften – als exportorientiertes Unternehmen haben Sie spezielle Anforderungen an Ihre Bank. Verlassen Sie sich auf das umfassende Know-how einer starken, weltweit vertretenen Bank mit 140 Jahren Expertise und 100 000 betreuten Firmenkunden. Neu bieten wir Ihnen auch in der Schweiz über Ihre gesamte Wertschöpfungskette konkrete Optimierungsmöglichkeiten in allen Phasen der Zusammenarbeit: von den ersten Verkaufsverhandlungen bis zum Zahlungseingang. Lernen Sie uns kennen. Weitere Informationen, auch zu unseren 6 Standorten in der Schweiz: www.commerzbank.ch
Editorial
Impressum
www.blickpunktkmu.ch AUSGABE 1 / 2014 auflage: 57681 exemplare
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Liebe Leserin Lieber Leser
Herausgeberin
W. Gassmann AG Längfeldweg135 Postfach 1344 2501 Biel/Bienne Telefon 032 344 81 11 info@blickpunktkmu.ch
I
m Rahmen der Recherche für unser aktuelles Fokusthema «Finanzierung» besuchte ich eine Veranstaltung von i-net, der Organisation für Innovationsförderung in der Nordwestschweiz. Es ging bei der Podiumsdiskussion eigentlich um die Frage, wie Schweizer Start-ups mehr Kapital anziehen können, doch natürlich blieb auch der grundsätzliche Vergleich der Schweiz mit anderen GründerHochburgen wie dem Silicon Valley nicht aus. Marc Gitzinger, CEO des ETH-Spinoffs BioVersys – der die Schweiz ansonsten als Standort in den höchsten Tönen lobte – brachte einen zentralen Unterschied auf den Punkt: «Im Silicon Valley bekommt man keinen Stempel auf die Stirn verpasst, wenn man mit einem Start-up scheitert.» Im Gegenteil, unter Umständen könne sich das sogar als Vorteil erweisen, weil Investoren davon ausgehen, dass Unternehmer aus gemachte Fehlern lernen. Für Neujahrsvorsätze ist es einige Wochen zu spät, in diesem Fall vermutlich glücklicherweise, denn am Ende halten die Resolutionen der Silvester-Nacht ohnehin nicht sehr lange. Dennoch dürfte man aus Marc Gitzingers Feststellung durchaus eine Lehre für den persönlichen Umgang mit Fehlern ableiten. Nämlich mehr Zeit darauf zu verwenden etwas aus ihnen zu lernen, als darauf, sich über sie zu ärgern. Bekanntlich stellte schon Thomas A. Edison mit Blick auf seine misslungenen Versuche beim Erschaffen der Glühbirne fest: «Sie sehen tausend Fehlschläge. Ich sehe tausend Wege, von denen ich jetzt weiss, dass sie nicht funktionieren.» Gut, in den meisten Fällen dürfte es angebracht sein, etwas weniger Lehrzeit anzustreben.●
verleger
Marc Gassmann geschäftsführender direktor
Marcel Geissbühler Verlagsleiter
Martin Bürki mbuerki@gassmann.ch Chefredaktor
Tobias Wessels twessels@gassmann.ch Autoren dieser Ausgabe
Thomas Uhland Fabian Schmid
Autoren Expertenwissen
André Dobmann Martin Erb Dr. Svenja Espenhorst Jonathan Geiser Lucie Junger-Saner Dr. Christian Wiedemann Layout
Inédit Publications SA Avenue Dapples 8 1001 Lausanne BILDER
Christof Seiler Basil Stücheli Pierre Vogel Fotolia iStockPhoto Photocase INSERATE
Annoncen-Agentur Biel AG Längfeldweg 135 2501 Biel/Bienne Telefon 032 344 83 44
Herzlichst
verkaufsleitung
Roger Hauser rhauser@gassmann.ch verkauf Innendienst
Abonnemente
E-Mail: abo@blickpunktkmu.ch Einzelpreis: CHF 6.80 Jahresabo: CHF 60.– Druck und vertrieb
Ziegler Druck- und Verlags-AG CH-8401 Winterthur Titelbild: Basil Stücheli
BLICKPUNKT KMU
Foto: Pierre vogel und Jérôme Rommé / Fotolia
Margot Iseli anzeigen@gassmann.ch
TOBIAS WESSELS Chefredaktor
Schlaflos in der Bäckerei. Mehr dazu auf der Seite 58.
Inhalt
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Ausgabe 1 / 2014
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Editorial
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Impressum
Schweissarbeit
Marktplatz
Meeting mit dem Hologramm, direktdemokratische Manager Berufung und weitere Meldungen
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KMU des Monats 10
Regeneration für kranke Zähne Ende 2013 wurde die Credentis AG aus Windisch
Business Case
mit dem Swiss Technology Award ausgezeichnet. Das Unternehmen besteht aus vier jungen Menschen, die eine kleine Revolution in der Zahnmedizin auslösen könnten.
Der Casanova der guten Ideen Creaholic ist eine Erfinder-Werkstatt. Ihr Fachgebiet ist es, Denkprozesse anzustossen, ihre Kernkompetenz das vernetzte Denken. Gründer Elmar Mock sagt: «Innovation ist wie Sex.»
Fokusthema 22
Schweizer KMU sind gesund finanziert Für erfolgversprechende
Projekte ist in der Schweiz Geld vorhanden. Die bisweilen befürchtete Kreditklemme lässt sich Experten zufolge eher mit subjektiver Wahrnehmung als mit nackten Zahlen erklären.
BLICKPUNKT KMU
Fotos: Foto: Pierre vögel, Africa Studio / Fotolia, Hellen Sergeyeva / Fotolia, ra2 studio / Fotolia. Illustrationen: haru-natsu-kobo / Fotolia, Rudie / Fotolia, grki / Fotolia
Standards
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Expertenwissen 32
Strategische Entscheidungen optimal vorbereiten
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Fragezeichen bei der Mehrwertsteuer
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Expansion nach Kanada (2/2)
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«Bei mir ist die Situation ganz anders…!»
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Outsourcing von Firmenflotten
Nutzfahzeuge 50
Vorhut aus Fernost für die Energiewende
Der «ebus» des chinesischen Herstellers BYD hat genügend Energie an Bord, um in der Stadt gegen 250 Kilometer zurückzulegen. In der fernöstlichen Heimat absolvierten 400 Busse dieses Typs bereits mehr als 20 Millionen Kilometer.
BLICKPUNKT KMU
Im Gespräch 52
Der loyalste Partner von allen Weit über 80% der Schweizer Unternehmen sind
in Familienhand. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe werden häufig von Paaren geführt. Bettina Plattner-Gerber und Lianne Fravi erklären die Erfolgsfaktoren bei dieser Konstellation.
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Marktplatz
BLICKPUNKT KMU
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Zahl des Monats
3400 Ungefähr so viele Studierende aus der Schweiz werden im akademischen Jahr 2013/2014 einen Studienaufenthalt oder ein Praktikum im europäischen Ausland absolvieren. (Quelle: CH STIFTUNG)
Stephan Pey er
Präsident der
Fotos: Gennadiy Poznyakov / Fotolia und MCH Messe Schweiz AG. Illustrationen: barbulat / Fotolia und niroworld / Fotolia.
Stiftung Pro bei der Preisverlei Aqua – Pro Vita, hung,
BLICKPUNKT KMU
Umweltpreis der Schweiz 2014: zwei Gewinner Die Kies und Beton AG Pizol (umweltfreundliches Bindemittel REBA) und die Abteilung Bautechnologien der EMPA (Dämmputz aus Aerogelmaterial) teilen sich den diesjährigen Umweltpreis der Schweiz in der Kategorie «Innovation». Die Jury war laut ihrem Präsidenten Prof. Dr. Rainer Bunge insgesamt beeindruckt von der Qualität der 75 Bewerber – von den beiden Gewinnern wollte sie offenbar keinem dem Vorzug geben. Für seine Pionierarbeit der ersten Stunde im Bereich Baustoffrecycling wurde Heinrich Eberhard als «Ecopreneur» ausgezeichnet. Der Spezialpreis in Form einer Anerkennungs-Urkunde wurde dem Ökozentrum Langenbruck verliehen, für ein Projekt zur Reduktion der klimaschädlichen Gase, die von Abfalldeponien ausgehen. Der Umweltpreis der Schweiz ist mit 50 000 Franken einer der höchstdotierten Umweltpreise in der Schweiz und wird jeweils anlässlich der Messe Swissbau von der Stiftung Pro Aqua – Pro Vita vergeben. ●
Marktplatz
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Drei Fragen an… Marc Stoffel
ceo Haufe-umantis AG
Betreiben Ihre Führungskräfte aktiven Wahlkampf? Aktiver Wahlkampf fand nicht statt. Die Kandidaten haben sich in ihrem Team vorgestellt und ihre Pläne geschildert. Wenn man sich jährlich einer Neuwahl stellt, ist man sich der Rolle als Führungskraft bewusster. Der Führungsstil ist eher kollaborativ als Top-Down: Man bezieht das Team ein und nutzt die Potenziale und Talente der Mitarbeiter. Das entfacht Energie und führt das Unternehmen zum Erfolg. Wie kamen Sie auf die Idee, das Management wählen zu lassen? Wir sind der Überzeugung, dass Mitarbeiter ein Unternehmen führen. Unsere Philosophie, den Mitarbeitern zu vertrauen und sie einzubeziehen, verfolgen wir schon seit langem auch in der
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irekte Demokratie ad extremis: Bei der Haufe-umantis AG stellen sich die Führungskräfte dem Votum ihrer 120 Mitarbeiter. Bei der anonymen Abstimmung Ende letzten Jahres traten 25 Kandidaten an, 21 Posten gab es zu besetzen. Elf Vorgesetzte wurden in ihrer Position bestätigt, sieben Mitarbeiter wurden ins Management befördert, drei Stellen extern besetzt und auch eine Person abgewählt. Geschäftsführer Marc Stoffel wurde bereits 2012 an die Spitze des HSG-Spin-offs gewählt, doch neu wird die gesamte Führungs-Riege des Anbieters für Talentmanagement-Lösungen demokratisch legitimiert. Man sei überzeugt, dass das Unternehmen erfolgreicher sei, wenn man den Mitarbeitern Vertrauen schenke und sie mitbestimmen lasse, so CEO Stoffel. Bei Neuanstellungen habe man schon immer auf die Meinung der Mitarbeiter gesetzt. Auf ihren Stimmzetteln können die Wähler nicht nur den Wunschkandidaten angeben, sondern auch Empfehlungen an die aktuellen Amtsinhaber aussprechen. ●
Rekrutierung. Für uns war eine logische Konsequenz daraus, dass die Mitarbeiter auch bei der Wahl ihrer Vorgesetzten mitbestimmen. Sie gehören zur deutschen HaufeGruppe. Wie würde die Konzernleitung reagieren, wenn Ihr Personal in einem revolutionären Akt das gesamte Management austauscht? Solche Entwicklungen kündigen sich meist an, die geschehen nicht einfach. Eine «Revolution» wäre in Form einer generellen Unzufriedenheit bereits im Vorfeld spürbar. Unsere Feedback-Kultur wird gelebt, sie funktioniert ja nicht nur vor den Wahlen. Ist das Vertrauen da, haben Revolutionen kaum Chancen. Die Geschäftsführung der Haufe-Gruppe muss deshalb keine solche befürchten. ●
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Fotos: Dron / Fotolia und ZVG
Mitarbeiter wählen Management
Strategieentwicklung und bei der
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Weniger Delikte, höherer Schaden
Kreative Ausblicke am Swiss Talent Forum Am dritten Swiss Talent Forum in Thun entwickelten und präsentierten die jungen Teilnehmer Visionen für die Welt der Arbeit im Jahr 2024. Eine Auswahl: «WeMeet» ist eine neue Form und Nutzung von New Social Media. Geschäftspartner können unabhängig von ihrem Standort weltweit mittels Hologramm-Übermittlung in einem Meeting
Wenn in der Schweiz betrogen wird, dann richtig – so fasst KPMG die Ergebnisse des neusten «Forensic Fraud Barometer» zusammen. Demnach stieg 2013 die Gesamtschadenshöhe von Wirtschaftsdelikten im Vorjahresvergleich um 66,8% auf 830 Millionen Franken. Besonders betroffen, so KPMG, waren Finanzinstitute und kommerzielle Unternehmen, im Vergleich zu 2012 vor allem aber auch öffentliche Verwaltungen. Schweizer Gerichte schlossen 2013 insgesamt 58 Fälle von Wirtschaftskriminalität ab, 9,4% weniger als im Vorjahr. Die ungleich höhere Gesamtschadensumme ist hauptsächlich auf vier Delikte mit Schadenshöhen von jeweils über 125 Millionen Franken zurückzuführen. Wie bereits 2012 kam es auch 2013 mehrheitlich zu Veruntreuung (20 Fälle) und ungetreuer Geschäftsbesorgung (12 Fälle). Als Hauptverwendungszwecke der kriminell erlangten Vermögenswerte nannten die Täter wiederum die Überbrückung von Finanzierungslücken sowie die Finanzierung des eigenen Lebensstils, inklusive Glücksspiel und das Erwerben von Luxusgütern. ●
sitzen und ihre Ideen auf einer gemeinsamen interaktiven
www.kpmg.ch
Tafel darstellen. «Cross-cultural-competencies»: Die Idee sieht vor, interkulturelle Kompetenzen als Grundlage einer effektiven und harmonischen Zusammenarbeit zwischen den Kulturen bereits in jüngsten Jahren in den Lehrplänen zu verankern. So könnte eine präzise universelle Kommunikation entstehen, etwa in Form von Symbolen, die weltweit die gleiche Bedeutung haben. «PubDocks» sind Public Dockingstations Arbeitsplätze und Treffpunkte, wo Menschen unterschiedlichster Unternehmen und Berufsgattungen Ideen, Wissen und Kompetenzen untereinander austauschen. Das Swiss Talent Forum ist eine Veranstaltungsreihe der Stiftung Schweizer Jugend forscht. ● www.sjf.ch
Fotos: MiKMueller, Zerbor / Fotolia und Alex Buschor (LIMMEX)
Limmex weiter auf Award-Jagd Beim fünften Innovation World Cup gewinnt Limmex mit der «Notruf-Uhr» die Kategorie «Security & Prevention». Der Preis wurde im Rahmen der Wearable Technologies Conference 2014 Europe in München vergeben. Mit diesem Erfolg knüpft man scheinbar nahtlos an das Vorjahr an, in welchem es insgesamt fünf Auszeichnungen für das Zürcher Unternehmen gab. Für den Innovation World Cup hatten sich insgesamt 600 Unternehmen aus 69 Ländern beworben, 20 davon schafften es ins Finale. Das Prinzip der Limmex Notruf-Uhr: Sie wird stets am Körper getragen. So kann der Uhrenträger jederzeit und überall telefonisch Hilfe rufen. Auf Knopfdruck wählt die Uhr individuell hinterlegte Nummern, bis jemand antwortet. ● www.limmex.ch
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Martin Reber ist seit Juli 2013 Geschäftsführer bei Limmex.
KMU des Monats
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CREDENTIS AG
n o i t a r e Regen
für kranke
Zähne Ende 2013 wurde die Credentis AG aus Windisch mit dem Swiss Technology Award ausgezeichnet. Das Unternehmen besteht aus vier jungen Menschen, die eine kleine Revolution in der Zahnmedizin auslösen könnten. Text: Tobias Wessels /// fotos: BASIL STÜCHELI
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KMU des Monats
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orfstrasse 69, Windisch. Diese Adresse klingt, bei allem nötigen Respekt, nicht nach wegweisenden wirtschaftlichen Innovationen. Doch der Name trügt. Auch wenn dieser Teil der Geschichte längst abgeschlossen sein mag: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich hier das grösste Industriegelände der Schweiz. Aktuell findet eine Vermarktung unter dem Label «neu wachsender urbaner Lebensraum» statt. In der «Spinnerei III» etwa entstehen grosszügige Lofts, die dem Vernehmen nach im Edelrohbau für hohe sechsstellige Beträge zu haben sind. Falls man rechtzeitig zuschlägt.
«... und er hat gar nicht gebohrt!» Hier, auf dem Kunzareal, liegt auch einer der Standorte des Technoparks Aargau. Neben zahlreichen anderen Start-ups arbeitet hier die credentis ag daran, die Welt ein wenig zu verändern. Die erste Stufe auf diesem Weg darf als erklommen betrachtet werden. Das Unternehmen verfügt über ein Produkt, welches einen Lebensbereich tatsächlich nachhaltig verbessern könnte: Curodont Repair basiert auf «selbstorganisierenden Peptiden» und erlaubt eine völlig neue Form der Kariesbehandlung. Als die Medien erstmals auf die credentis ag aufmerksam wurden, lautete die einhellige Botschaft in unterschiedlicher Phrasierung: «Schweizer Unternehmen macht den Bohrer überflüssig.» Was natürlich grossartig klingt, nicht nur für all jene, die von chronischer Angst vor dem Zahnarzt geplagt werden. Doch die Geschichte vom Bohrer ohne Zukunftsperspektiven entspricht nur zum Teil der Realität. Die Fakten: Curodont nutzt sogenannte selfassembling peptides (oder zu deutsch selbstorganisierende Peptide), also kurze Ketten von Aminosäuren, die in der Lage sind, sich zu neuen Strukturen zusammenzufinden. Für die Zahnmedizin bedeutet das Verfahren nichts weniger als eine kleine Revolution. «Wenn Ihr Zahnarzt beginnende Karies entdeckt, sagt er für gewöhnlich: Sie müssen an der Stelle besser putzen, sonst braucht es nächstes Jahr eine Füllung», erklärt Dominik Lysek, Gründer und CEO der Credentis AG. Bisher sei es einfach unmöglich gewesen, Karies zu heilen. Man konnte sie beobachten und
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Das Lebenswerk des «Spinnerkönigs» 1827 baute der Zürcher Industrielle Heinrich Kunz (scherzhaft «Spinnerkönig» genannt) an der Dorfstrasse 69 in Windisch eine Spinnerei als Teil seines wachsenden Imperiums. Die dank der Reuss zur Verfügung stehende Wasserkraft begünstigte ein rasches Wachstum und etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Spinnerei Kunz zum grössten Industrieareal der Schweiz mit etwa 1500 Beschäftigten. 1941 wurde die Kunz-Gruppe durch das Industrieunternehmen Oerlikon Bührle übernommen. Nach einigen bewegten Jahren und mehreren Rettungsversuchen erlag die Spinnerei Kunz im Jahr 2000 endgültig dem Strukturwandel. Nach einem kurzen Dornröschenschlaf werden hier exklusive Wohnungen gebaut und vielversprechende Start-ups unter dem Dach des Technoparks Aargau gefördert.
bestenfalls stoppen, aber nicht umkehren. Mit Curodont kann die angegriffene Zahnsubstanz hingegen wieder aufgebaut werden, so dass sich der Zahn im Idealfall regeneriert – ohne jeden invasiven Eingriff, nur durch das Auftragen einer Lösung.
Zufall stand Pate Völlig neu ist die zugrundeliegende Idee nicht. Schon seit einiger Zeit beschäftigen sich Forscher an der Universität Leeds mit selbstorganisierenden Peptiden, jedoch grösstenteils mit anderem Fokus – zum Beispiel auf Knochenregeneration. Daher stand Lysek überhaupt mit der englischen Hochschule in Kontakt, denn er war vor seiner Zeit als Unternehmer für die Geistlich Pharma AG in Wolhusen tätig, die unter anderem Präparate für die Wiederherstellung von Knochen- und Knorpelgewebe vertreibt. Mit der Anwendung der Peptide in der Oralbiologie befasste sich erstmals Professor Jennifer Kirkham. So wurde Lysek auf ihre Forschungen aufmerksam. «Nach meiner Zeit an der ETH hatte ich meinen allerersten Job in der klinischen Forschung in der Zahnmedizin. Der Zufall wollte es so», erinnert sich der seit 1999 in der Schweiz lebende Deutsche. Eben dieser Zufall erlaubte ihm jetzt, das innovative Potenzial hinter der Erfindung von Professor Kirkham und ihrer Kollegen zu erkennen – doch dabei blieb es vorläufig auch. Als Lysek zwei Jahre später wieder nach Leeds kam, erkundigte er sich, wie weit das Projekt gediehen war – und musste erstaunt erfahren, dass es niemand vorangetrieben hatte. «Der Technologietransfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft ist in England bei Weitem
Selbstorganisierende Peptide erlauben eine völlig neue Form der Kariesbehandlung.
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Karies stoppen. Dominik Lysek kennt das Rezept.
So wirkt Curodont Die unter dem Namen Curolox entwickelte Technologie besteht aus sogenannten selbstorganisierenden Peptiden, also Ketten von Aminosäuren. Wird an einem Zahn beginnende Karies erkannt, entsteht zuerst ein «white spot», ein Vorläufer des klassischen Lochs. Hier kann Curodont repair helfen: Die Lösung wird nach einer professionellen Reinigung auf den Zahn aufgetragen. Die Moleküle diffundieren in die im Zahn entstandenen Hohlräume oder Läsionen und erschaffen durch ihre selbstorganisierenden Eigenschaften ein neues Gerüst – Biomimicry nennt sich eine solche Imitation der Natur, die den Zahn auf ähnliche Weise bildet. Um dieses Gerüst herum bilden sich mit Hilfe von Kalziumphosphat aus dem Speichel neue Mineralkristalle; der Zahnschmelz baut sich Stück für Stück wieder auf.
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KMU des Monats nicht so weit wie in der Schweiz, wo Doktoranden aktiv ermutigt werden, in einem solchen Fall ein Spin-off zu gründen», bilanziert Dominik Lysek. Jennifer Kirkham selbst habe bereits zu weit oben in der Hierarchie der Universität gestanden, um genügend Zeit für die wirtschaftliche Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse aufzubringen. So reifte in Lysek die Überzeugung, dass er selbst tätig werden müsse. 2010 gründete er die Credentis AG.
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Geld für die Insel Auf die Frage, ob er vielleicht schon in wenigen Jahren als vielfacher Millionär auf einer Insel weilt, gibt sich Dominik Lysek bedeckt. Ob credentis sein Lebenswerk wird oder er sich in fünf Jahren mit einem geglückten Exit und einer Stange Geld verabschiedet, steht noch in den Sternen. Finanziert wurde Credentis – abgesehen von einem grossen Teil von Lyseks Privatvermögen – durch ein Konsortium von Business Angels, allen voran Erich Platzer und Werner Berner. Beide gehören auch dem Verwaltungsrat an, Platzer sogar als Präsident. Getroffen hat Lysek die meisten der Geldgeber durch die BioBAC Angels in Basel, das StartAngels Network und die Coaching-Organisation
Neues Modell für Zahnärzte
Genilem. «Der entscheidende Schritt ist, den Lead Investor zu finden. Denn er
Im ersten Jahr war Lysek vor allem damit beschäftigt, die nötigen finanziellen Mittel zu beschaffen. Nötig, um das als Konzept existierende Produkt bis zur Marktreife zu bringen. 2012 war es vollbracht: Unter dem Namen Curodont Repair erhält die schweizerischenglische Co-Produktion die Zulassung. Nach rund einem weiteren Jahr intensiver Studien ist das Mittel seit dem zweiten Quartal 2013 auf dem Markt. Im gleichen Zeitraum hat Dominik Lysek ein ebenso überschaubares wie schlagkräftiges Team um sich geschart. Mit diesem steht er nun vor allem vor der Herausforderung, die Zahnärzte von der Idee zu überzeugen. Denn für sie bedeutet Curodont Repair ein Umdenken, eine gewisse Anpassung ihres Business-Modells. Der Claim «Filling without drilling» mag zwar viel Aufmerksamkeit erzeugen, doch er kommt sicher nicht bei jedem Zahnarzt auf Anhieb gut an. «Natürlich verdient der Zahnarzt mit einer
die noch überlegen.» In einer ersten Runde erhielt credentis 3 Millionen Franken,
steht mit seinem Namen für die Business Idee ein, vor allem für andere Investoren, Anfang 2013 gab es eine zweite Runde, die 2 Millionen Franken brachte. «Hinzu kommen die AKB und die ZKB, die sich der Start-up-Förderung verschrieben haben. Das ist Gold wert. Sie bringen eine Menge Erfahrung und Kontakte mit», erklärt Dominik Lysek. Aktuell funktioniert das Vorgehen mit Business Angels blendend. Wichtig sei, so Lysek, dass mindestens einer von ihnen aktiv mitarbeite und die Investoren gegenüber der Geschäftsleitung vertrete. Auch kleinere Venture Capital Firmen haben bereits Interesse gezeigt, verrät Lysek, doch aktuell sei das kein Thema. Darüber könne man sich Gedanken machen, wenn grösserer Geldbedarf entstehe. Damit würde auch der vergoldete Exit etwas wahrscheinlicher. Still sitzen würde Lysek deswegen längst nicht: «Die Insel, von der Sie gesprochen haben, schliesse ich in jedem Fall aus!»
Füllung mehr als mit einem einmaligen Anwenden unseres Produkts», bringt es Lysek auf den Punkt. «Doch statt dessen kann der Patient in einen Behandlungszyklus eingebunden werden. Kontrollbesuche haben plötzlich einen echten Mehrwert, weil nun nicht mehr nur überprüft werden kann, ob Karies
Sie sind Credentis Als erster Mitarbeiter stiess Michael Hug zu Credentis. Während Dominik Lysek eher das wissenschaftliche Know-how abdeckt, steuert Hug das Wissen für die Produktion bei – beide haben unter anderem Chemie studiert, Lysek doktorierte an der ETH in der Gruppe des Nobelpreisträgers Kurt Wüthrich. Lysek und Hug kennen sich bereits aus ihrer Zeit beim Pharma-Unternehmen Geistlich. Claudine Bommer, zuständig für die Organisation und Durchführung klinischer Studien, kam über eine Personalvermittlung zu Credentis. «Eine Stellenanzeige wäre in unserem Fall undenkbar gewesen», so Lysek. «Vermutlich hätte ich etwa hundert Dossiers erhalten. Und wenn es an irgendetwas mangelt in unserem Betrieb, dann ist es Zeit!» Zuletzt stiess Tobias Feger zum Unternehmen. Lysek kannte ihn, da er früher für den Distributor der Firma Geistlich in der Schweiz gearbeitet hatte. Die Aufgabe bei Credentis ist vergleichbar: Feger ist für das Marketing und den Verkauf verantwortlich.
Nun steht man vor der Herausforderung, die Zahnärzte von der Idee zu überzeugen.
Mehr Mitarbeitende hat Credentis derzeit nicht; um die Strukturen schlank zu halten, wird so viel wie möglich outgesourct. So werden beispielsweise die Peptide für Curodont Repair von Lonza bezogen, die Weiterverarbeitung erfolgt durch den Lohnhersteller Rentschler.
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Exportieren? Aber sicher. Besteht bei Ihren Kunden im Ausland das Risiko eines Zahlungsausfalls? Birgt das Exportland besondere wirtschaftliche oder politische Risiken? Wir versichern Ihre Exportgeschäfte und geben Ihnen die Sicherheit, dass Ihre Lieferungen bezahlt werden. Im Auftrag des Bundes decken wir Risiken, für die der private Markt keine Lösungen anbietet. Unsere Versicherungen und Garantien erleichtern es Ihnen zudem, Ihre Exporte zu finanzieren und so die Liquidität Ihres Unternehmens zu wahren. Sicher exportieren? Fragen Sie uns. +41 58 551 55 55 info@serv-ch.com www.serv-ch.com
KMU des Monats
vorliegt, sondern falls nötig auch eine Therapie angeboten werden kann.» Da die Methode nicht mehr funktioniert, wenn sich einmal ein echtes, für den Laien sichtbares Loch gebildet hat, entsteht beim Patienten eine hohe Motivation zu regelmässigen Kontrollen. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Praxen mit einem bereits starken Fokus auf Prophylaxe und Dentalhygiene eher empfänglich für
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die Idee sind. Eine ganze Reihe von Zahnärzten konnte bereits überzeugt werden, die Liste ist auf der Credentis-Website abrufbar.
Das Credentis-Team. Tobias Feger, Claudine Bommer, Dominik Lysek (v.l.n.r.) - es fehlt Michael Hug.
Höhere Lebenserwartung – auch für Zähne Um eine höhere Marktpenetration zu erreichen, setzt Dominik Lysek auf zwei Kanäle: «In der Zahnmedizin läuft beinahe alles über BLICKPUNKT KMU
Wesentlich einfacher fällt es, die Patienten zu überzeugen.
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Ecknauer+Schoch ASW
Distributoren. Deswegen arbeiten wir mit MS Dental zusammen.» Der Vertriebspartner übernimmt die Bearbeitung der einzelnen Praxen, während Credentis selbst generelle Überzeugungsarbeit leistet, vor allem durch Präsenz an Kongressen und in den einschlägigen Fachmedien. «Ausserdem betrachten wir es als eine unserer wichtigsten Aufgaben, den Aussendienst mit so viel Wissen wie möglich zu versorgen.» Wesentlich einfacher fällt die Aufgabe, Patienten für das Produkt zu begeistern. Zu erstaunen vermag das kaum: Wer hört nicht gerne, dass der Bohrer bei der Diagnose Karies zumindest nicht zwingend zum Einsatz kommt? Doch Dominik Lysek zeigt noch eine weit grössere Dimension auf: «Früher mussten unsere Zähne zwischen zehn und vierzig Jahren durchhalten – danach kam das klassische Gebiss, das im Wasserglas auf dem Nachttisch stand. Heute erwarten wir, dass unsere Zähne bis zu 80 Jahre überleben.» Da eine Füllung immer eine zusätzliche Destabilisierung der natürlichen Zahnstruktur über das bereits vorhandene Loch hinaus bedeute, gelte es, den Zahn so lange wie möglich ad integrem zu erhalten. «Eine kleine Füllung ist beinahe immer nur der Anfang. Typischerweise folgen Inlay, Krone und am Ende verliert man den Zahn womöglich doch», so Lysek. Mittlerweile hat Credentis mit Curodont Protect bereits ein zweites Produkt auf dem Markt. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um ein Präparat zur Prophylaxe. Die Eiweisse sind in diesem Produkt bereits zu einem grösseren Gerüst «organisiert» und dringen nicht in den Zahn ein, sondern lagern sich auf der Oberfläche ab. So kann der Zahn nicht nur vor Säure, sondern auch vor Reizen wie Hitze und Kälte geschützt werden, wovon Patienten mit überempfindlichen Zähnen profitieren. Das grösste Ziel für die nächsten Jahre ist und bleibt aber, mit Curodont Repair die Marktpräsenz zu steigern. Dominik Lysek gibt sich optimistisch: «Ich bin überzeugt, dass die regenerative Kariesbehandlung in ein paar Jahren Standard sein wird.» Womit dann doch eine wegweisende Innovation aus der Dorfstrasse 69 in Windisch gekommen wäre. Nur eine Einschränkung macht der Firmengründer: «Was genau ‹ein paar Jahre› bedeutet, bleibt noch zu definieren.» ●
version internet
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Business Case I Creaholic
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Der Casanova der guten Ideen Creaholic ist eine Erfinder-Werkstatt. Ihr Fachgebiet ist es, Denkprozesse anzustossen, ihre Kernkompetenz das vernetzte Denken. Gründer Elmar Mock sagt: «Innovation ist wie Sex.» AUTOR THOMAS UHLAND
Fotos: © Jacques Bélat und ZVG
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ie Visitenkarte von Elmar Mock ist zugleich auch das Programm seiner Firma Creaholic in Biel. Wer sie der Perforation entlang aufreisst, kann sie so umfalten, dass daraus ein dreidimensionales Gebilde entsteht. Zugleich entstehen durch eine andere Zusammensetzung aufgedruckter Wörter neue Begriffe: aus reduce (reduzieren) wird deduce (folgern), aus define (definieren) wird refine (veredeln). Wer gewohnte Bahnen verlässt, wer Gewohnheiten aufreisst und am Hergebrachten dreht, so die Botschaft der Visitenkarte, dem erschliesst sich eine zusätzliche Dimension und scheinbar unumstössliche Begriffe erhalten neue Bedeutungen. Kreativität, dies hat Mock schon in jungen Jahren erfahren, ist in den meisten Unternehmen eine Tugend, auf die man lieber verzichten würde. Denn sie fordert heraus, stellt Bekanntes und Erprobtes in Fra-
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ge – und sie kostet Geld, das nicht in jedem Fall zurückfliesst. Creaholic sieht ihre Aufgabe darin, Firmen dabei zu unterstützen und zu begleiten, kreative Denkprozesse anzustossen und so gänzlich neue Wege zu beschreiten. Er hat beobachtet, dass sich in einem Unternehmen die kreativen Köpfe, die Erfinder, selten gut mit den erfolgreichen Managern verstehen. Während die einen aus lauter Freude am Erfinden den Boden unter den Füssen zu verlieren drohen, haben die anderen die Tendenz, zu spät zu bemerken, wenn Altes sich überlebt hat.
Casanova und die Mutter
«Unternehmen sind wie Mütter, die Kinder austragen und gebären.»
Links: Herausforderung Kreativität. Elmar Mock stellt Erprobtes in Frage.
BLICKPUNKT KMU
Elmar Mock mag Bilder. Er sagt: «Innovation ist wie Sex: Man sollte nicht nur darüber lesen, sondern es tun.» Oder: «Kreativität ist wie Musik: Sie findet es spannend, ihre Kenntnisse zu erweitern.» Aufgewachsen in La Chaux-de-Fonds und damit französischer Muttersprache, erklärt er seine Geschäftsphilosophie wortreich und in fast lupenreinem Hochdeutsch. Beim Erzählen fallen ihm immer wieder Anekdoten ein, die das Erklärte veranschaulichen. Er bezeichnet sich als Anarchist, der weder gerne führt noch gerne geführt wird. Er vergleicht Unternehmen mit Müttern, die Kinder austragen und gebären. Allerdings brauche es dazu Väter, welche die Mütter befruchten, denn Eigenbefruchtung sei selten
gesund, und oft funktioniere sie auch nicht. Die Rolle von Creaholic sieht er in der Befruchtung, sich selbst bezeichnet er als Casanova. «Wir übertragen Gene, wir sorgen für Kinder. Aber am Schluss zählt nur die Mutter, der Vater kann sich nach dem Akt zurückziehen.» Manchmal entwickelt Creaholic auch eigene Ideen bis zur Marktreife. Wie die Erfinderfirma arbeitet, erläutert Mock an einem Beispiel: Auf der Erde leben immer mehr Menschen, die immer mehr Reisen und damit immer mehr Keime von Kontinent zu Kontinent verschleppen. Gleichzeitig seien viele Keime gegen herkömmliche Mittel resistent. Es sei künftig also vermehrt mit Pandemien zu rechnen. Die Alltagshygiene, die in den letzten Jahrzehnten etwas in den Hintergrund getreten ist, könnte damit wieder wichtiger werden. Wie nun bringt man die Hygiene zu den Menschen? Und wie spart man gleichzeitig das rare Gut Wasser? Resultat dieses Denkprozesses ist eine mobile Handwaschstation, die ähnlich wie ein Trinkwasserautomat über 20-Liter-Tanks gespiesen wird. Das Erstaunliche daran: Die Handwäsche funktioniert mit nur einem Deziliter Wasser. Ein halber Deziliter wird mit etwas Seife gemischt, dann stellt das Wasser ab. Die Hände werden gewaschen, dann werden sie mit der zweiten Hälfte des Wassers tadellos abgespült. Alles funktioniert selbstverständlich berührungsfrei und blitzschnell.
Business Case I Creaholic Mit fixfertigen Projekten wie diesem gründet Creaholic ein neues Unternehmen. Unter dem eigenen Dach behalten will man das StartUp nicht. Man will sich nicht in einer Situation wiederfinden, in der sich Manager und Erfinder wegen Ressourcen und Innovationen in den Haaren liegen. «Unsere Erfindung ist dann nicht mehr unser Kind, wir sind nur noch Mitinhaber.»
Gasförmig – flüssig – fest Um den Werdegang von der Idee bis zur Produktreife zu veranschaulichen, benützt Elmar Mock Begriffe aus der Physik. Ziel wirtschaftlichen Schaffens ist der feste Zustand, der Kristall: ein erfolgreiches Produkt, eine gefragte Dienstleistung. Dem geht der «flüssige» Entwicklungs- und Verbesserungsprozess voran, der für ein erfolgreiches Produkt unabdingbar ist. Es ist der Weg von der Idee zum Produkt. Creaholic setzt noch weiter vorne an – beim gasförmigen Zustand, wie Mock es nennt. Dort also, wo ganz neue Ideen entstehen, wo über scheinbar Unmögliches nachgedacht wird, wo Utopien gepflegt und Träume geträumt werden. Hier gibt es keine Zensur, kein «das geht nicht» und kein «das haben wir
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noch nie so gemacht». Innovation statt Renovation, lautet das Motto. Hier wird auch nicht auf Meinungsumfragen geschielt, denn in der Regel wünschen Kunden keine Innovation, sondern Renovation. Henry Ford soll gesagt haben, als er auf den Erfolg seines Modells T angesprochen wurde: «Hätte ich die Leute vorher gefragt was sie wollen, so hätten sie schnellere Pferde und bequemere Kutschen verlangt.» Ford hingegen dachte grösser und setzte bei der Idee eines massentauglichen Autos an – damals eine Utopie. Der Anspruch von Creaholic ist, gemeinsam mit einem Unternehmen Vorschläge zu entwickeln, die der Markt noch nicht kennt. In bestehenden Strukturen eines Unternehmens sei das praktisch oft unmöglich, sagt Mock. «Zukunft wird häufig als Fortsetzung der Vergangenheit verstanden.» Ein bestehendes Produkt wird immer weiter verbessert – doch wirklich grosse Würfe seien so nicht zu erwarten. Creaholic hingegen hilft Wege zu gehen, die zuvor niemand gegangen ist.
«Work-Life-Balance – was ist das?» Wie steht es denn um die Work-Life-Balance des Gründers und Chefs Elmar Mock? «Um was?», fragt er zurück. Innovation ist sein Le-
Geschichte Elmar Mock war 26 Jahre jung, als er gemeinsam mit Jacques Müller eine geniale Idee hatte: Statt Uhren im Hochpreissegment herzustellen, sollten in der Schweiz Billiguhren entstehen. Herstellkosten: unter fünf Franken. Ein Gehäuse aus Plastik statt aus Stahl. Mock hatte Glück, dass sein damaliger Chef Ernst Thomke ein genialer Geschäftsmann war, der erkannte, dass das Konzept aufgehen könnte. Die Swatch war geboren. Das war 1980. Während den nächsten fünf Jahren habe er «Swatch gelebt», sagt der heute 59-Jährige. Dann habe er gemerkt: In diesem Unternehmen konnte er nicht mehr kreativ sein. Damals habe er gedacht, es liege an der Unternehmensführung, an unfähigen und unbeweglichen Managern. Heute weiss er: Es gibt unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Begabungen. Seine liegt im Bereich der Kreativität, nicht in derjenigen des Managements. Mit dem Gefühl, die Welt habe auf ihn gewartet, gründete er seine eigene Firma. Vier Jahre lang arbeitete er allein. In dieser Zeit entdeckte er, dass nicht alle so ticken wie er, sondern dass es Menschen gibt, die in klaren Strukturen gute Arbeit leisten. Wenn es für Creaholic einen Durchbruch gab, dann diesen dass Mock gemerkt hat, dass er zu den Menschen gehört, denen es im oft chaotischen Bereich der Innovation wohl ist. Seitdem hat Creaholic an 650 Projekten gearbeitet, rund 150 Patentfamilien angemeldet und mehrere Spin-off-Unternehmen gegründet. Zu den Kunden gehören Grossunternehmen wie die SBB oder Nestlé, aber auch mittlere oder Kleinunternehmen. Sie stammen aus der Mikrotechnologie oder der Medizinaltechnik ebenso wie aus der Telekommunikation oder der Autobranche.
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Was man von Creaholic lernen kann: 1. Offen sein für neue Ideen. 2. Bereit sein, in einen nicht geregelten, kreativen Prozess einzusteigen. 3. Das Potenzial von unterschiedlichen Menschen erkennen.
ben, da gibt es keine Arbeits- und Freizeit voneinander zu trennen. Mock ist ein Enthusiast und er umgibt sich gerne mit Menschen, die ebenso ticken. Teilzeiter gibt es nur wenige in seinem 30-köpfigen Team. «Sonst gibt es sofort Probleme mit der Abgrenzung, was nun Arbeits- und was Freizeit ist. Für unsere Leute ist es selbstverständlich, dass sie auch mal am Wochenende an einem Problem weiterarbeiten.» Eine weitere Schwierigkeit bei Teilzeit-Angestellten: Creaholic lebt vom steten Austausch zwischen den verschiedenen Mitarbeitenden. Da passt es schlecht, wenn jemand nicht regelmässig verfügbar ist. Abteilungen gibt es bei Creaholic ebenso wenig wie Fachspezialisten. «Wir brauchen Leute, die breite Kenntnisse haben.» Wird eine Stelle besetzt, sucht Mock gezielt nach jemandem, dessen Profil bisher nicht vorhanden war. So sind neben Designern und Wissenschaftlern auch Anwälte bei Creaholic tätig. «Sie helfen uns, auf den Boden zurückzukommen.»
Stabilität und einen sicheren Job suche man bei Creaholic vergebens, sagt Mock. «Man weiss heute nicht, was man in sechs Monaten tut.» Um die Weite und Offenheit zu erhalten, spezialisieren sich die Teammitglieder nicht. Eine Karriere könne man bei Creaholic nicht machen. Die Hierarchie ist flach, die Löhne eher tief. Dafür sind die Firmenanteile ungewöhnlich breit gestreut: Etwa ein Drittel der Partner sind Teilhaber. Mock selber hält heute noch 30%, möchte in den nächsten Jahren aber auch diesen Teil abgeben. Wo Creaholic in zehn Jahren stehen wird? «Keine Ahnung», sagt Elmar Mock. Das Unternehmen müsse sich von Jahr zu Jahr aufs Neue beweisen. «Creaholic ist mein Kind. Ich bin glücklich, wenn es sich gesund entwickelt.» Seine Vision geht weit über Creaholic hinaus: «Wichtig ist nicht ob unser Unternehmen überlebt, sondern dass wir in der Schweiz so innovativ sind, dass wir hier leben können.» ●
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Schweizer KMU sind gesund finanziert
F체r erfolgversprechende Projekte ist in der Schweiz Geld vorhanden. Die bisweilen bef체rchtete Kreditklemme l채sst sich Experten zufolge eher mit subjektiver Wahrnehmung als mit nackten Zahlen erkl채ren. AUTOR TOBIAS WESSELS ILLUSTRATIONEN haru natsu kobo / Fotolia
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reditklemme oder -verknappung: Ob diese Begriffe aktuell in der Schweiz überhaupt eine Berechtigung haben, darf man getrost als kontrovers diskutiert bezeichnen. Die blanken Zahlen, so viel steht fest, sprechen ganz und gar nicht für ein «knausriges» Verhalten der Banken bei der Kreditvergabe. Oder besser formuliert: Sie sprechen nicht dafür, dass grundsätzlich zu wenig Kapital zur Verfügung gestellt wird. Ende Oktober 2013 beliefen sich laut Kreditvolumenstatistik des Bundes die Limiten, welche Unternehmen in der Schweiz bei ihren Banken ausschöpfen konnten, auf insgesamt 465 Milliarden Franken. Tatsächlich in Anspruch genommen wurden «nur» 335 Milliarden Franken.
Kapital zu vernünftigen Zinssätzen verfügbar
«Es wurden Projekte finanziert, die man bestenfalls noch als mutig bezeichnen kann.»
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«Für seriöse Projekte sind Kredite verfügbar», urteilt Prof. Dr. Dr. Christian Wunderlin, Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ). Gleichzeitig räumt er ein: «Wir hatten Jahre, da wurde sportlicher finanziert. Wenn man einen Kredit früher als mutig für die Bank bezeichnet hätte, wird dieser heute nicht mehr gesprochen.» Eine ähnliche Position vertritt Markus Helbling, Geschäftsleitungsmitglied und Verantwortlicher für den Bereich Treuhand bei der Beratungsgesellschaft BDO: «In der Schweiz ist Geld vorhanden, auch zu vernünftigen Zinssätzen.» Die Obergrenze bei den Zinsen sieht Helbling zu Beginn des zweistelligen Bereichs wenn eine Finanzierung als besonders risikoreich einzustufen ist, respektive wenn das Rating schlecht ausfällt (vgl. dazu auch Seite 27). Am Ende handelt es sich jedoch nicht um eine reine Zahlenfrage. Christian Wunderlin formuliert es so: «Kreditklemme ist ein schwieriger Begriff. Die Nationalbank kann statistisch belegen: So etwas gibt es nicht. Doch wenn bei den KMU dieses Gefühl entsteht, lässt sich das nicht einfach durch eine Statistik widerlegen.» In einer völlig anderen Welt spielt die Finanzierung von Start-ups. Für sie kommen herkömmliche Bankkredite nur in absoluten Ausnahmefällen in Frage. Im Scherz hält Christian Wunderlin fest: «Meinen Studenten sage ich immer: Wenn ihr Weihnachten verderben wollt, holt euch Geld bei der Familie.»
Was die grosse Gefahr bei dieser Finanzierungsform gut auf den Punkt bringt. Ausser dieser zweifelsfrei häufig gewählten Variante stehen für Gründer noch andere Optionen zur Wahl: So können sie durch Stiftungen oder Förderpreise an Kapital gelangen, oder durch Business Angels, also vermögende Personen, die oft nicht nur mit Geld, sondern auch mit Know-how und Kontakten Unterstützung bieten. Für die komplett auf Wachstum getrimmten Vorzeige-Start-ups aus der High-TechWelt kommen auch Venture-Capital-Geber in Betracht. Hier gibt es nicht nur Spezialisten wie beispielsweise RedAlpine oder Accel Partners. Grosse Unternehmen mit hohem Innovationsbedarf fördern auf diesem Weg junge Talente und ihre eigenen Zukunftsaussichten; gleichzeitig kommen damit auch Banken wieder ins Spiel, da viele ihre eigenen Private Equity Fonds unterhalten, die ebenfalls Risikokapital für Jungunternehmen bereitstellen (vgl. dazu auch Seite 28).
Zinsen bleiben vermutlich stabil Der Grund für den insgesamt geringeren Risiko-Appetit der Banken liegt für Wunderlin auf der Hand: «Wir haben Zeiten erlebt, in denen Projekte finanziert wurden, die man im Nachhinein bestenfalls noch als mutig bezeichnen kann.» Aus den daraus resultierenden Abschreibern habe sich ein Lernerfolg eingestellt, der zu dem geführt hat, was Wunderlin als «Normalzustand» betrachtet. Immerhin darf man davon ausgehen, dass die Zinsen in nächster Zeit stabil bleiben. Die Ursache dafür sieht Markus Helbling nicht zuletzt im mangelnden Wachstum der Weltwirtschaft: «Ein grosser Lichtblick im Ausland ist derzeit nicht auszumachen.» Eine Einschränkung können in diesem Zusammenhang allerdings die Regeln von Basel III bedeuten: Unter anderem sind Banken verpflichtet, Kredite mit mehr Eigenkapital zu hinterlegen – und genau dieses Eigenkapital ist in allen Geschäftsbereichen der Banken ein gefragtes Gut. Entsprechend könnte sich das für kreditnehmende KMU negativ auswirken. Treuhänder und Wirtschaftsprüfer Adrian Casagrande beschäftigte sich im Rahmen seiner Masterarbeit mit diesem Thema. Sein Fazit: «KMU sollten alles daran setzen, ihr Rating zu verbessern. Wenn risikoreicher Kredit zu viel Eigenkapital bin-
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det, könnte ein Bank versucht sein, diesen zu kündigen – oder sicher keinen neuen zu sprechen.» Allerdings kann man davon ausgehen, dass diese Überlegungen bereits in den aktuellen Zinsen grösstenteils berücksichtigt sind, deswegen sind plötzliche, deutliche Änderungen eher nicht zu erwarten. Für etwas Bewegung auf dem Markt für Unternehmenskunden, der traditionell von UBS, Credit Suisse und den Kantonalbanken dominiert wird, könnte ein neuer Player sorgen: Die Commerzbank versucht derzeit gezielt, ihre Anteile in diesem Segment auszubauen, insofern könnten sich die Konditionen sogar ein wenig verbessern. Doch auch vor diesem Hintergrund hält Christian Wunderlin fest: «Heute gibt es höchstens noch Wettbewerb um die offensichtlich guten Kunden, früher fand er um jeden Kunden statt.»
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Bürgschaftsgenossenschaften In der Schweiz existieren vier vom Bund unterstützte, gewerbeorientierte Bürgschaftsgenossenschaften, die KMU zu einem erleichterten Zugang zu Bankkrediten verhelfen können: BG Mitte, BG Ost, Cautionnement romand und die gesamtschweizerisch tätige Bürgschaftsgenossenschaft der Frauen (SAFFA). Laut SECO-Auskunft gab es Ende 2012 1660 Unternehmen, die von einer solchen Bürgschaft profitierten. Das Volumen lag bei insgesamt 218 Millionen Franken – pro Vorgang können maximal 500 000 Franken verbürgt werden. Dieses Instrument hilft KMU, Bank-Kredite zu erhalten, die sie ohne Unterstützung nicht bekommen würden. 34% der so erlangten Kredite werden für die Finanzierung von Betriebsmitteln benötigt, 23% für die Finanzierung der Übernahme bestehender Betriebe, 15% für die Neugründung eines Unternehmens. In einer Wirkungsanalyse von November 2013 zeigt sich das SECO mit der Entwicklung des Bürgschaftswesens seit seiner Reform im Jahr 2007 zufrieden: Nach Gewährung einer Bürgschaft schaffen Unter-
Gretchenfrage Cashflow-Management
nehmen im Schnitt 4,47 Vollzeitstellen. Ende 2011 standen sie für ins-
Es erstaunt, wie viele KMU in der Schweiz sich gar nicht mit solchen Erwägungen beschäftigen müssen: Laut einer Umfrage des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO aus dem Jahr
gesamt 22 179 Arbeitsplätze, 1774 davon Lehrstellen. Ihr gemeinsamer Umsatz betrug im Jahr 2011 etwa 1,7 Milliarden Franken. www.kmu-buergschaften.ch
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2009 kommen 68% der kleinen und mittleren Unternehmen ohne Bankkredite aus. Beinahe noch beeindruckender: Von diesen Betrieben greifen nur 3% auf Fremdkapital aus anderen Quellen zurück. 65% benötigen keine Finanzierung von aussen. Bemerkenswert ist dabei auch, dass rund 30% des Kapitalbedarfs auf Liquiditätsprobleme wegen verspäteten Zahlungen oder auf Konkurse der Debitoren zurückzuführen sind. Dabei gäbe es gerade mit einem funktionierenden Cashflow-Management die Möglichkeit, eine Bank von der eigenen Zuverlässigkeit zu überzeugen. «Das sollte im Rahmen des Finanzplans abgehandelt werden, den man der Bank vorlegt. Dieser sollte zeigen, dass man sein working capital sinnvoll entwickelt», erklärt Markus Helbling. Er warnt gleichzeitig vor einem typischen Fehler, der leider viel zu häufig gemacht werde: «Es bringt nichts, auf Rechnungen eine Zahlungsfrist von 30 Tagen anzugeben, aber mit einem Zahlungseingang nach zehn Tagen zu planen.» An sich sei CashflowManagement keine komplizierte Sache, so Christian Wunderlin. Ein Zeitstrahl, der abbildet welche Ein- und Ausgänge in welchen Monaten zu erwarten sind, genügt in den
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meisten Fällen. «Insgesamt stellen wir fest, dass die KMU heute finanziell gesünder dastehen als vor zehn Jahren, und dass technische Systeme zur Unterstützung des Cashflow-Managements immer flächendeckender eingesetzt werden», erklärt Wunderlin. Gerade Unternehmen mit einer langen Geschichte haben in diesem Zusammenhang einen grossen Vorteil: Sie wissen über Saisonalitäten und Schwankungen besser Bescheid. «Cashflow-Management ist bei solchen Unternehmen auch ein Synonym für Erfahrung», so Wunderlin. Bedenklich wird es erst, wenn beides fehlt – die Erfahrung und die technischen Systeme. Christian Wunderlin erinnert sich an einen Sanierungsfall, den er begleitete. «Als ich nach dem Cashflow-Management fragte, erhielt ich einen Kontoauszug vom vorherigen Freitag.» Unnötig zu spekulieren, wie eine Bank darauf reagiert hätte.
«Wir stellen fest, dass die KMU heute finanziell gesünder dastehen als vor zehn Jahren.»
Wenn die Bank «nein» sagt ... Was macht ein Unternehmen, welches zu den 35% gehört, die Fremdkapital benötigen – aber von seiner Bank keines erhält? Erstens BLICKPUNKT KMU
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Rating Zentrales Element in der Kreditvergabe ist das Rating, welches Banken den Unternehmen erteilen. Im Prinzip handelt es sich dabei um nichts anderes als das Rating, welches von den einschlägigen Agenturen an Staaten und grosse Unternehmen vergeben wird: Es gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit man Geld zurückerhält, welches man einem Unternehmen oder einem Land, beispielsweise in Form von Staatsanleihen zur Verfügung stellt. Da offensichtlich nicht für jeden Kreditantrag eine externe Agentur beauftragt werden kann, erstellen die Banken ihre eigenen internen Ratings. Hier kann es in der Gewichtung der einzelnen Faktoren durchaus Unterschiede von Bank zu Bank geben. Diese herauszufinden, dürfte nicht abschliessend möglich sein. Wer jedoch über eine langfristige und vertrauensvolle Beziehung zu seiner Bank verfügt, sollte wenigstens einen Teil der Grundlagen im Laufe der Jahre verstehen. Umgekehrt kennt auch eine Bank ihre Kunden und bewertet das bisherige (Zahlungs-)Verhalten. Nicht zuletzt kommt es auf die Verlässlichkeit an: «Unternehmen müssen sich an die Vereinbarungen halten, nicht nur an die finanziellen», rät Markus Helbling von BDO. «Wenn ein Abschluss für einen bestimmten Termin versprochen ist, gibt man ihn auch an diesem Tag ab. Ich würde den Unternehmen dringend ans Herz legen, nicht immer die Erinnerung der Bank abzuwarten.» Insgesamt müsse man sich bemühen, vor allem den Betrieb und seine Produkte «fitter» zu machen. «Ausserdem sollte man demonstrieren, dass man sich Gedanken über die Zukunft macht.» So könnte man beispielsweise eine SWOT-Analyse anfertigen, um aufzuzeigen wie man mit Stärken und Schwächen, mit Chancen und Risiken umgeht. Am Ende läuft dies laut Markus Helbling auf einen zentralen Punkt hinaus: «Die Bank sollte merken, dass sie es mit einem echten Unternehmer zu tun hat, der sich bewusst ist, dass sein Handeln immer auch Risiken birgt.»
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kann die Eigenkapitaldecke erhöht werden, beispielsweise durch Privateinschüsse von Freunden oder der Familie – immer unter der Beachtung der Problematik des potenziell verdorbenen Weihnachtsfestes. Für die Bank wird die Finanzierung dadurch schnell attraktiver. Auch Bürgschaftsgenossenschaften können je nach Situation Unterstützung bieten (siehe Box auf Seite 24). Falls es sich vor allem um eine Frage der Liquidität handelt, kommen Instrumente wie Factoring und Leasing ins Spiel. Das Factoring kennt verschiedene Ausprägungen; sie alle sehen im Kern vor, dass ein Unternehmen seine Forderungen an einen externen Spezialisten abtritt, der diese bevorschusst und das Inkasso selbst übernimmt. So kann die Liquidität mindestens um das Element «Zahlungsziel» verbessert werden. So modern der Begriff «Factoring» auch daherkommt: Die Idee ist alles andere als neu. Einige Quellen sehen die Ursprünge bereits im antiken Babylon; die Augsburger Handelsfamilien Fugger und Welser praktizierten wohl ab dem 16. Jahrhundert ebenfalls Factoring.
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Auch das Leasing von Investitionsgütern kann als geeignetes Instrument dazu beitragen, die Liquidität eines Unternehmens zu verbessern. Allerdings warnt BDO-Spezialist Markus Helbling vor einem Fehler, dem nicht wenige Unternehmen verfallen. Die Leasingdauer sollte auch der Nutzungsdauer des jeweiligen Investitionsguts entsprechen. Falls eine Maschine zehn Jahre in Betrieb bleibt, man sie aber nach drei Jahren abbezahlt haben möchte, sind die Probleme vorprogrammiert: «Die Kosten für die Maschine werden auf zehn Jahre in den Produktpreis kalkuliert. Doch haben sollte man dieses Geld schon nach drei Jahren. Es öffnet sich eine Liquiditätsschere», so Helbling.
Finanzierung für Start-ups
T
echnologie-getriebene, extrem wachstumsorientierte Start-ups, über deren hoffentlich spektakulären IPO schon ab den ersten überschwänglichen Medienberichten spekuliert wird – sie können sicher nicht als repräsentativ für die KMU eines Landes betrachtet werden. Und doch sagt diese Gründerszene viel über eine Volkswirtschaft aus, über ihre generelle Ausrichtung, über das vorherrschende Klima und ja, auch über die Mentalität.
Hohe Zielsetzungen Im Jahr 2012 wurden laut CTI Invest 390 Millionen Dollar in Schweizer Start-ups investiert – während im gleichen Zeitraum in den USA Risikokapital in der Höhe von 43 Milliarden Dollar an Jungunternehmen ging. Auch nach Einbezug der Grösse und Einwohnerzahl locken amerikanische Gründer also doppelt so viel Geld an wie ihre Kollegen in der Schweiz. Mit eben dieser Problematik befasste sich Ende 2013 eine von i-net Innovation Networks veranstaltete Podiumsdiskussion. Die gemeinsame Innovationsförderung der Nordwestschweiz
stellte die Frage: «How can Swiss start-ups attract more venture capital?» Wirklich einig waren sich die anwesenden Insider längst nicht in allen Punkten – doch sie brachten einige spannende Einsichten in ein Ökosystem zutage, das viele nur durch die prominenten, dramatischen Ausschläge nach oben oder unten kennen. Michael Bornhäusser, Präsident von i-net, ist gleichzeitig Managing Partner beim Beratungsunternehmen 5CCG sowie Mitinhaber und Leiter des Bereichs Private Equity der Sallfort Privatbank. Er diagnostiziert mehrere Probleme im Zusammenhang mit Schweizer Start-ups. Vor allem bezeichnet er die Expansionsstrategien als zu wenig aggressiv: «Wir suchen nach Unternehmen mit einem ExitPotenzial von 200 Millionen Dollar und mehr. In der Schweiz findet man kaum einen Gründer, der von mehr als 50 Millionen spricht. Es fehlt das wirklich grosse Denken!» An den klassischen Orten für Start-ups, wie England oder USA, hätten die Unternehmer völlig andere, höhere Zielsetzungen. Bornhäusser, selbst serial entrepreneur und Investor, bezieht sich dabei vor allem auf seine reichhaltige Erfahrung im ICT-Umfeld. BLICKPUNKT KMU
Falls man trotz aller Bemühungen von allen angefragten Banken eine Absage erhält, sollte man vielleicht nochmals über die Bücher gehen. Wenn eine neue Produktionsanlage von niemandem finanziert wird, könnte das schliesslich auch daran liegen, dass dieses Projekt tatsächlich nicht tragfähig ist. Christian Wunderlin: «Ich erlebe in der Praxis, dass gegen die Banken geschossen wird, dass man sich über eine Kreditklemme und das mangelnde Verständnis auf Seiten der Banken beschwert. Doch Banken können mit ihrer Erfahrung Businesspläne recht exakt beurteilen – auch ohne das detaillierte BranchenVerständnis, über das die anfragenden Unternehmen selbst verfügen.» ●
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Mehr als genug Risikokapital
« ...ohne Fokus auf den Kunden – so werden keine Erfolgsgeschichten geschrieben.»
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Hinzu kommt das Paradoxon, dass der Wohlstand in der Schweiz den Start-ups den Weg zum grossen Erfolg nicht unbedingt erleichtert. In den USA finden Unternehmen auf der Suche nach Startkapital vielleicht fünf Geldgeber, die je 50'000 Dollar zur Verfügung stellen. «Damit können sich die Unternehmer einen Monat Gedanken machen, wie sie das Geld verwenden. Dann müssen sie sich umgehend für die nächste Finanzierungsrunde fit machen – also wachsen.» In der Schweiz hingegen ist es durchaus möglich, von externen Business Angels oder aus dem privaten Umfeld (Bornhäusser: «Friends, family and fools») mehr als eine Million Dollar zu bekommen. Was, so ist Bornhäusser überzeugt, zu zwei Problemstellungen führt: Erstens kann die Unternehmensbewertung durch dieses Kapital deutlich zu hoch ausfallen, zweitens gibt es den Gründern ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. «In der Schweiz gibt es lauter nette Leute, man sitzt auch mit Geldgebern sehr freundschaftlich zusammen, das Geld fliesst ja. Das Ergebnis ist dann engineering for engineers – also eine Entwicklung ohne Fokus auf den Kunden. So werden keine Erfolgsgeschichten
Die Bank der Privat- und Geschäftskunden Basel, Fribourg, Genf, Lausanne, Locarno, Lugano, Neuchâtel, Sion, Zürich www.cic.ch
Fokusthema geschrieben. Deswegen kann man nicht sagen, dass es hier an Risikokapital mangelt. Es mangelt vielmehr an den richtigen Start-ups.»
Ziele synchronisieren Zur Seite springt ihm in diesem Punkt Frédéric Court, General Partner bei Advent Venture Partners: «Wir hatten bisher nur ein Investment in der Schweiz: Zong.» Das Unternehmen, mittlerweile für 240 Millionen Dollar von Ebay übernommen, hat seinen Sitz längst ins Silicon Valley verlegt. Insgesamt müssten Gründer sich überlegen, ob sie den Weg mit Venture Capital Firmen gehen möchten, die zwar viel Geld zur Verfügung stellen können, aber eben auch entsprechende Erwartungen haben. «Entscheidend ist, mit dem Investor auf einer Linie zu sein», so Court. Aus diesem Grund verbringe er viel Zeit mit Unternehmern, bevor man die gemeinsame Reise antrete. «Es gibt nichts Unangenehmeres, als auf halbem Weg zu merken, dass man gar nicht auf das gleiche Ziel hinarbeitet.» Deswegen könne es für manches Unternehmen sinnvoller sein, mit Geld aus privaten Quellen oder von Business Angels zu arbeiten – wenigstens bis sie eine hohe Skalierbarkeit ihres Geschäftsmodells unter Beweis gestellt haben.
Risikobereitschaft fördern Diesem Rat folgt Alfredo Bruno, selbst serial entrepreneur und derzeit mit seiner Advanced Osteotomy Tools AG auf Erfolgskurs. Er sieht
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sich eher in der zweiten Liga der Start-ups, mit einem Finanzbedarf irgendwo zwischen zwei bis acht Millionen Dollar. «In dieser Grössenordnung lässt sich in der Schweiz Geld auftreiben, vorzugsweise von Business Angels», gibt er sich überzeugt. In Sachen Wachstum drückt er so sehr aufs Tempo, dass er jedem Investor, auch Venture Capital Unternehmen, Freude bereiten würde. Dabei ist ihm bewusst, dass er in der Schweiz eher als Exot dasteht – was er als ernstes Problem verortet. «In diesem Land, mit seiner unglaublichen Technologie und seinen Ressourcen, befindet sich die stark risikofreudige Unternehmer-Mentalität gerade erst im Erwachen. Es ist an der Zeit, Studenten so zu unterrichten, dass sie gerne Risiken eingehen. Übertragen gesprochen müssen wir sie in ein schnelles Auto setzen und ihnen mit auf den Weg geben: Drück das Gaspedal so weit nach unten, dass du entweder als Erster ins Ziel kommst oder der Motor explodiert.»
Umgang mit Fehlern Dass es kaum ein besseres Umfeld für Startups geben kann als das Silicon Valley im Norden Kaliforniens, wollte keiner der Diskussionsteilnehmer ernsthaft in Frage stellen. Doch das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Schweiz als unglückliches Terrain einzustufen ist. «Ich glaube, wir haben einen grossartigen Ort für Start-ups – und auch für Investoren. Wir haben ausgezeichnete Firmen hier und jede Menge Talente!» So lautet das
«Wir haben ausgezeichnete Firmen hier und jede Menge Talent!»
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Urteil von Marc Gitzinger, CEO des 2008 gegründeten ETH-Spinoffs Bioversys, welches eigenen Angaben zufolge durchaus einen Exit in der Grössenordnung von 500 Millionen Dollar anpeilen könnte. «Natürlich treffen Start-ups im Silicon Valley auf ein ideales Umfeld. Was den grössten Unterschied macht: Im Silicon Valley bekommt man keinen Stempel auf die Stirn verpasst, wenn man mit einem Start-up scheitert.» In Europa, und ausdrücklich auch in der Schweiz, darf man nicht scheitern – sonst riskiere man, so Gitzinger, von Investoren kein Geld mehr zu bekommen. «In den USA sehen es Investoren gar nicht ungern, wenn ein Unternehmer schon einen Misserfolg hinter sich hat – denn er wird kein zweites Mal den gleichen Fehler machen.»
Vermögen sinnvoll investieren Eine Schwierigkeit besteht eher in der Zahl der vorhandenen Venture Capital Unternehmen, die in Europa sehr überschaubar ist. Für
sogenannte Early-Stage-Finanzierungen in der Grössenordnung, wie sie für Bioversys nötig waren, kommen laut Gitzinger in Europa sechs bis acht Kapitalgeber in Betracht. «Wenn man dann noch bedenkt, dass man sich in der Branche kennt und austauscht, wird der Markt plötzlich sehr klein.» Ausserdem sei es oft schwer, mit solchen Venture Capital-Spezialisten ins Geschäft zu kommen, wenn bereits Business Angels an Bord seien – hier sei ein gewisses Umdenken nötig. «Überhaupt sollten wir mehr promoten, dass wohlhabende Menschen einen Teil ihres angelegten Kapitals in Start-ups stecken – weil es auf verschiedenen Ebenen sinnvoll ist», so Marc Gitzinger. «In Europa, und speziell in der Schweiz, gibt es viel Geld bei vermögenden Privatpersonen, sogenannten high net worth individuals.» Wenn diese ausser Kapital auch ihre Erfahrung zur Unterstützung der Startups einbringen würden, könnte die Schweizer Gründerszene noch einmal einen deutlichen Sprung nach vorne machen. ●
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Weltsicht
Strategische Entscheidungen optimal vorbereiten Entscheidungen mit langfristiger Wirkung richtig zu treffen scheint immer schwieriger zu werden – nicht zuletzt, weil ihre Qualität häufig erst im Nachhinein beurteilt werden kann. AUTOREN Dr. Svenja Espenhorst UND Dr. Christian Wiedemann
I
n China bekannt ist die Geschichte einer Bauernfamilie. Eines Tages riss ein Pferd aus, alle Nachbarn bedauerten den Bauern. Dieser blieb ruhig: «Wer weiss, wofür es gut ist.» Nach einigen Monaten kehrte der Gaul zurück, in seiner Begleitung einige Wildpferde. Die Dorfbewohner beglückwünschten den Bauern. Der wiederum erwiderte: «Wer weiss, wofür es gut ist.» Sein Sohn sollte die Neuankömmlinge zureiten. Dabei stürzte er und brach sich das Bein. Die Nachbarn bekundeten Mitgefühl. Der Bauer gab einmal mehr zu bedenken: «Wer weiss, wofür es gut ist.» Mittlerweile wurde er im Dorf für leicht verrückt gehalten. Da aber kam es zum Krieg. Alle kräftigen, gesunden Männer wurden eingezogen, viele von ihnen starben. Der humpelnde Sohn jedoch blieb zum Wohl seiner gesamten Familie daheim. Der geneigte Leser mag sich fragen, welche Lehren diese Anekdote für Entscheidungsträger parat hält.
Die Entscheidungsqualität erst im Zeitverlauf erkennbar Die Geschichte zeigt: Viele Ereignisse lassen sich nur im Zeitverlauf beurteilen. Dasselbe gilt für die Frage, ob Entscheidungen richtig getroffen wurden. Erst rückblickend lässt sich die Güte von Beschlüssen, deren Umsetzungen sich notabene ebenfalls durch interne und externe Ereignisse ungeplant verändern können, beurteilen. Allerdings: Für den positiven Ausgang bei der Bauernfamilie sorgte der glückliche Zufall. Darauf sich zu verlassen kann sich ein Management nicht erlauben. Von ihm wird erwartet, dass es die Zukunft
aktiv mitgestaltet: Insbesondere betrifft dies strategische Entscheidungen, deren Folgen für eine Organisation signifikant, weitreichend und nur schwer umkehrbar, aber nicht klar vorhersagbar sind – wie das Meiste in der Zukunft. Aufgrund dieser Konsequenzen steht eine Führungskraft in der Verantwortung, solche Entscheidungen selbst zu fällen. Die gute Nachricht ist: Bereiten Führungskräfte diese mit einer gewissen Weitsicht vor, können sie deren Qualität beeinflussen. Zunächst allerdings zur schlechten Nachricht: In der Entscheidungsvorbereitung liegen Fallstricke.
Entscheidungen vorzubereiten leichter gesagt als getan Nicht erst seit Rolf Dobellis Bestsellern «Die Kunst des klaren Denkens» und «Die Kunst des klugen Handelns» wissen wir um Denkfehler, die uns zu falschen Schlüssen verleiten. Der in den letzten Jahren stilisierte Kontrast von intuitiven kontra analysebasierten Entscheidungen, der sich salopp auflösen lässt als: «Beides zur rechten Zeit und von den richtigen Personen», zeigt auch die Herausforderungen guter Entscheidungsfindung auf. Hinzu kommt, dass der konventionelle Methodenkoffer zur Analyse und Bewertung von strategischen Optionen häufig Faktoren eher isoliert und sich als linear entwickelnd betrachtet, anstatt diese als dynamisch und miteinander vernetzt anzusehen. Zudem braucht die Führungskraft oft das Wissen und die Informationen anderer. Und nicht zuletzt werden strategische Entscheide kompetitiv gefällt: Zur selben Zeit versuchen Mitbewerber ebenfalls, ihre Positionen zu stärken.
Auf der Basis miteinander vernetzter Faktoren lassen sich Szenarien entwerfen.
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Dr. Svenja Espenhorst ist Senior Consultant bei der Strategic Knowledge Group GmbH, kurz: SKGROUP. Dr. Christian Wiedemann ist Geschäftsführer der SKGROUP. Diese berät private und öffentliche Organisationen zu Wissensmanagement, Strategie-Entwicklung, Organisationsgestaltung, Change Management und Leadership-Themen. www.skgroup.ch
Robustheit und Flexibilität durch Vorstellung mehrerer Szenarien
Foto: Africa Studio / Fotolia
Führungskräfte können die Entscheidungsgüte bewusst mit einigen Massnahmen erhöhen: Zunächst klären sie, um welche Art von Entscheidung – operativ oder strategisch, vorgegebene oder frei gestaltbare Optionen – es sich handelt, und wie viel Vorbereitungszeit ihnen zur Verfügung steht – je mehr, desto systematischer lässt sich vorgehen – und welches Ergebnis sie anstreben. Entsprechend wählen BLICKPUNKT KMU
sie dann Methoden und Beteiligte aus. Zur Vorbereitung grösserer strategischer Entscheidungen sind Methoden, die auf dem systemischen Gedanken beruhen, empfehlenswert: Auf der Basis von miteinander vernetzten Faktoren lassen sich Szenarien entwerfen. So ist beispielsweise ein Bundesamt vorgegangen, dessen zentrale gesetzliche Grundlagen politisch neu verhandelt werden. Das kann sich mitunter über Jahre ziehen. Klar ist nur, dass die Organisation in der heutigen Form
Expertenwissen
Kreatives Potenzial dank heterogenem Team Bei Szenarien ist Vielfalt eine klare Stärke: Deshalb bietet es sich bei den Beteiligten an, auf Perspektivenreichtum, auf Personen aus unterschiedlichen Bereichen innerhalb und ausserhalb der Organisation zu setzen – sofern eine gemeinsame Sprache gefunden wird, was bei interdisziplinären Teams nicht selbstverständlich ist. Zum einen werden die Zukunftsbilder umso konsistenter und eingängiger, je mehr Aspekte berücksichtigt werden. Zum anderen birgt die Vielfalt kreatives Potenzial: Blinde Flecken werden aufgedeckt, schwache Signale wahrgenommen, Annahmen von Fakten unterschieden, Ungewöhnliches geschickt zu neuen strategischen Optionen kombiniert und die Folgen zweiter und dritter Ordnung stärker durchdacht.
Perspektivenvielfalt nicht zu verwechseln mit Meinungsvielfalt Eine strategische Option ist umso tragfähiger, wenn sie nach der Entwicklungs- und Analysephase aus mehreren Blickwinkeln als geeignet beurteilt wird. Voraussetzungen sind, dass der Entscheidungsprozess so transparent ist, dass die Beteiligten eine fundierte Meinung haben beziehungsweise diese entwickeln können, dass sie wissen, wie und wann sie diese einbringen können, und sie auch äussern. Letzteres ist unter anderem abhängig von der viel zitierten, wenig sichtbaren und schwer veränderlichen Organisationskultur: Falls Meinungsaustausch bedeutet,
dass Mitarbeitende mit ihren Meinungen zu ihren Chefs gehen und mit den Meinungen ihrer Vorgesetzten wiederkehren, verzichten sie mit der Zeit auf eigenes Denken. Es zeugt nicht von Schwäche, sondern von persönlicher Souveränität, wenn eine Führungskraft Bedenkenträger und Nein-Sager ebenfalls ernst nimmt, mit der Einschränkung – die jedoch für alle gilt – dass die Eigeninteressen jeweils leise zu hinterfragen sind. Nebenbei bemerkt erleichtert eine vertrauensvolle, von Respekt geprägte Diskussionskultur auch die anschliessende Umsetzung.
Gute Führung als verbindendes Element erlernbar Der Kit, der den Prozess bei aller Vielfalt zusammenhält und konzentriert, ist eine gute Führung: Als Anführer vertreten Sie Ihr Team nach aussen und leiten es intern an. Sie bestimmen die Richtung, die Analyse- und Diskussionsbreite und -tiefe im Prozess. Sie verhindern gleichermassen die Oberflächlichkeit und das Verlieren im Detail. Und Sie haben den Mut, nach getaner Vorbereitung selbst unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Das mag widersprüchlich erscheinen: Wozu ein partizipatorischer Prozess, wenn die Führungskraft doch den Allmächtigen spielt? Hier ist Transparenz wieder das Stichwort: Erläutern Sie als Führungskraft von vorneherein Ihr Vorgehen mitsamt dem Freiraum und den Grenzen für die Mitbestimmung. Erklären Sie die Gründe für Ihre Entscheidung. Und, ganz wichtig, halten Sie im Grossen wie im Kleinen Wort: Ihre Glaubwürdigkeit erleichtert es Ihnen, auch bei unbeliebten Entscheidungen ein geschlossenes Handeln herbeizuführen. Wen dies eher aufwendig dünkt, dem seien zum Schluss drei Punkte mitgegeben. Erstens: Je öfter man Entscheidungen strukturiert fällt, desto leichter fällt es einem. Zweitens: Die systematische (und dokumentierte) Entscheidungsvorbereitung hilft später, aus Fehlschlüssen Lehren zu ziehen. Strategie ersetzt den glücklichen Zufall der Bauernfamilie durch eventuelle, aber nachvollziehbare Irrtümer. Und drittens: Die gute Botschaft für angehende Führungskräfte – sowohl die Methoden der Entscheidungsvorbereitung als auch eine gute Führung sind erlernbar. ●
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nicht weitergeführt wird. Angesichts dessen entwickelte das Amt eine Strategie, wie es mit neuem Aufgabenprofil weiter existieren kann. Es ging dabei von verschiedenen Zukunftsbildern aus, überlegte Eventualitäten und traf Annahmen. Themen, die in jedem Szenario wichtig sein werden würden, setzt das Bundesamt bereits um. Damit beherzigt es den Ausspruch, der dem Athener Staatsmann Perikles zugeschrieben wird: «Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen; es kommt darauf an, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.» Dadurch kann sich eine Organisation mit ihren Entscheidungen genügend robust und flexibel für verschiedene mögliche Entwicklungen wappnen.
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«Nachfolge ist zentrales und aktuelles Thema» Urs Gauch leitet das KMU-Geschäft der Credit Suisse in der Schweiz. Im Interview spricht er über die Bedeutung einer funktionierenden Zusammenarbeit von Werkplatz und Finanzplatz. dem Private Banking dem Verkäufer mit Vermögensverwaltungs- und Beratungsleistungen helfen.
Welchen Stellenwert hat das KMUGeschäft bei der Credit Suisse?
Das Firmenkundengeschäft, und damit auch das KMU-Geschäft, geniesst einen sehr hohen Stellenwert bei der Credit Suisse. Als Schweizerische Kreditanstalt sind wir aus diesem heraus entstanden – als Alfred Escher vor rund 150 Jahren eine Finanzierung für die Gotthard-Bahn suchte. Aktuell betreuen wir in der Schweiz mehr als 100 000 Unternehmen mit nationaler und internationaler Ausrichtung. Dabei sind wir uns der volkswirtschaftlichen Verantwortung bewusst. Wir bieten Unternehmen eine umfassende Produktpalette. Ein zentrales Angebot für KMU aus Ihrem Haus ist das Business Easy
Demgegenüber gilt die Finanzierung von Start-ups generell nicht als BankDomäne. Sie bieten Jungunternehmen dennoch Hand ...
Urs Gauch. Leiter KMU-Geschäft Schweiz bei der Credit Suisse.
Paket. Was umfasst dieses?
Das Business Easy Paket ist unsere Banklösung, die speziell auf die Bedürfnisse von kleineren Unternehmen zugeschnitten ist. Darin sind alle wichtigen Produkte und Dienstleistungen gebündelt und zu einem fixen, transparenten Preis erhältlich. Die Kosten für Kontoführung, Zahlungsverkehr, Maestro-Karte, zwei Kreditkarten und eine Dispo-Limite von bis zu 10 000 Franken betragen 132 Franken im Jahr. Sie legen grossen Wert auf die Begleitung von KMU bei der Nachfolge. Wie genau unterstützen Sie die KMU?
Grundsätzlich beraten und unterstützen wir Unternehmen und ihre Inhaber in allen finanziellen Ange-
Sie sprechen die SVC AG für KMU Risikokapital an. Diese haben wir bereits 2010 zusammen mit dem Swiss Venture Club gegründet und stellen innovativen KMU insgesamt bis zu 100 Millionen Franken Risikokapital zur Verfügung. Dies in Form von zusätzlichem Eigenkapital oder als nachrangige, ungesicherte Darlehen mit einer Erfolgsbeteiligung. Welche grossen Herausforderungen sehen Sie für die Schweizer KMU?
legenheiten und in allen Phasen des Lebenszyklus. Gerade die Nachfolge ist ein zentrales und aktuelles Thema. Vom kleinsten Betrieb bis zum grossen Unternehmen geht es darum, die Nachfolge rechtzeitig und professionell zu planen. Wir sprechen das Thema in der Beratung frühzeitig mit dem Unternehmer an und gehen zusammen mit unseren Spezialisten den gesamten Nachfolgeprozess durch. So wird erkannt, welche Punkte zu klären sind, beispielsweise Erbschaftsfragen, steuerliche Kriterien oder die Strukturierung von Privat- und Firmenvermögen. Auch können wir als Bank allenfalls eine Finanzierungslösung ermöglichen. Oder in Zusammenarbeit mit
Die exportorientierten KMU hängen von der Lage der Weltwirtschaft ab. Dies haben sie bisher gut gemeistert, nicht zuletzt durch eine Diversifikation ihrer Exportmärkte. Für diese Unternehmen stellt das Währungsmanagement eine grosse Herausforderung dar, bei der wir sie unterstützen können. In der Binnenwirtschaft wird aufgrund des hohen Preisdrucks beispielsweise durch Parallelimporte die Produktivitätssteigerung eine zentrale Rolle spielen. Insgesamt ist für unsere Volkswirtschaft eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Werkplatz und Finanzplatz zwingend erforderlich. Dieser Verantwortung sind wir uns stets bewusst. ❚ www.credit-suisse.com
Expertenwissen
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IMMOBILIEN
Fragezeichen bei der Mehrwertsteuer Seit der Einführung des neuen Mehrwertsteuergesetzes per 1. Januar 2010 gibt es bereits die dritte Praxis, welche die Abgrenzung zwischen steuerbaren Immobilienlieferungen und von der Steuer ausgenommenen Verkäufen von Bauwerken und Objekten regelt. AUTOR ANDRÉ DOBMANN
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ie neue MWST-Praxis-Info 05 gilt für alle Bauwerke, welche ab 1. Juli 2013 den Baubeginn haben. Für die Übergangszeit (Baubeginn vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2013) ist wahlweise die neue oder bisherige Praxis anwendbar.
Neue MWST-Praxis-Info 05 Mit dem Inkrafttreten der neuen MWST-Praxis-Info 05 wird die umstrittene Abgrenzung zwischen steuerbaren Lieferungen und von der Steuer ausgenommenen Verkäufen, wie in der MWST-Praxis-Info 04 beschrieben, abgelöst. Neu ist wiederum, wie ursprünglich in der MWST-Übergangsinfo 01 schon geregelt, der Baubeginn (also der Beginn der Aushubarbeiten) des Bauwerkes in Zusammenhang
mit dem Zeitpunkt der Beurkundung des Kauf- oder Vorvertrages massgebend. Entscheidend ist vorerst, wem der Boden gehört, auf dem das Bauwerk erstellt wird. Gehört der Boden dem Bauunternehmer (Generalunternehmer, Investor) oder ihm eng verbundenen Personen (Art. 3 Bst. h MWSTG) kann eine von der Steuer ausgenommene Leistung erfolgen, wenn die nachstehenden Bedingungen erfüllt sind. Gehört jedoch der Boden einem Dritten oder dem Käufer des Bauwerks selber, liegt immer eine steuerbare Immobilienlieferung vor.
Beurkundung vor oder nach Baubeginn Gehört der Boden dem Bauunternehmer und erfolgt die Beurkundung des Kauf- oder Vorvertrages vor Baubeginn, liegt für dieses Bauwerk BLICKPUNKT KMU
André Dobmann ist Fachmann im Finanz- und Rechnungswesen mit Eidg. FA, Eidg. dipl. Treuhandexperte MAS FH in Treuhand und Unternehmensberatung sowie Mandatsleiter/ Prokurist bei der Tschanz Treuhand AG in Lyss. www.tschanz-treuhand.ch
Komplizierte Bauprojekte. Steuerbarkeit von Leistungen nicht immer eindeutig.
oder einen selbstständigen Teil (einzelne Stockwerkeinheit) eine steuerbare Immobilienlieferung gemäss Art. 18 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Bst. d Ziff. 2 MWSTG vor. Der Verkäufer muss somit den Verkaufserlös (ohne Wert des Bodens) zum Normalsatz von derzeit 8% versteuern. Dafür kann auf den Lieferantenrechnungen der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Ist hingegen die Beurkundung nach Baubeginn erfolgt, liegt für dieses Bauwerk eine von der Steuer ausgenommene Immobilienlieferung gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 20 MWSTG vor. In der MWST-Abrechnung ist die Deklaration des Werts des Bauwerks unter den Ziffern 200 und 230 vorzunehmen. Der Wert des Bodens ist unter den Ziffern 200 und 280 zu deklarieren. Der Vorsteuerabzug auf den Lieferantenrechnungen ist ausgeschlossen. Im Weiteren muss für die Ingebrauchnahme von Infrastruktur eine Vorsteuerkorrektur gemäss Art. 30 Abs. 1 MWSTG vorgenommen werden. Mit Bauwerken sind ganze Bauwerke wie Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser und Einstellhallen gemeint. Ebenfalls als Bauwerke gelten Doppelhäuser und Reihenhauszeilen. Der Begriff des Bauwerks ist beim Baubeginn entscheidend, da der Baubeginn immer für ein ganzes Bauwerk (Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus oder Einstellhalle) festgelegt wird. Der Baubeginn gilt somit nicht generell für eine Gesamtüberbauung oder eine einzelne Teiletappe einer Überbauung.
Gehört der Boden dem Bauunternehmer*?
Foto: Hellen Sergeyeva / Fotolia
Steuerbare Immobilienlieferung
*Bauunternehmer, Generalunternehmer, Investor oder ihm eng verbundene Personen.
BLICKPUNKT KMU
Das nebenstehende Diagramm zeigt, wie ein Bauwerk MWST-mässig abgerechnet werden muss. Problematisch wird es, wenn innerhalb des gleichen Bauwerks steuerbare Immobilienlieferungen und von der Steuer ausgenommene Immobilienlieferungen bestehen. Die Vorsteuer muss je nach der Qualifikation der Besteuerung des einzelnen Objektes aufgeteilt werden. Die Korrektur des Vorsteuerabzuges kann nach einer Methode gemäss Art. 65 Mehrwertsteuerverordnung (MWSTV) berechnet werden. Die Methode kann jeder Steuerpflichtige selber wählen. Die angewendete Methode muss jedoch zu einem sachgerechten Ergebnis führen (Art. 68 MWSTV). In der MWST-Praxis-Info 05 wird die sogenannte 3-Topf-Methode vorgeschlagen. Die direkt zuordenbaren Aufwendungen werden in Topf A (Vorsteuerabzug zulässig) und Topf B (Vorsteuerabzug nicht zulässig) aufgeteilt. In Topf C kommen die nicht direkt zuordenbaren Aufwendungen. Der Vorsteuerabzug der Aufwendungen im Topf C ist nach betrieblich objektiven Kriterien mit einem sachgerechten Schlüssel zu ermitteln. Als sachgerechter Schlüssel gelten etwa die Fläche oder der Rauminhalt. In jedem Fall ist die Zuweisung der Vorsteuer laufend vorzunehmen und darf nicht erst am Ende der Steuerperiode korrigiert werden. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) lässt als Vereinfachung eine annäherungsweise prozentuale Vorsteuerzuweisung gemäss den erzielten Entgelten der einzelnen Objekte zu.
Untersuchung der bisherigen Praktiken
Beurkundung des Kauf- oder Vorvertrages nach Baubeginn?
Von der Steuer ausgenommene Immobilienlieferung
Steuerbare und nicht steuerbare Immobilienlieferungen
Mit der Abschaffung des baugewerblichen Eigenverbrauchs bei der Einführung des neuen MWSTG per 1. Januar 2010 tauchte die Problematik auf, wie nun eine sinnvolle Abgrenzung zwischen einer von der Steuer ausgenommenen Grundstückslieferung von einer steuerbaren Werkslieferung gefunden werden kann. Im Zusammenhang mit meiner Weiterbildung zum Master of Advanced Studies FH in Treuhand und Unternehmensberatung habe
Expertenwissen ich mich für meine Masterarbeit ausführlich mit den verschiedenen Praktiken und den Auswirkungen der MWST-Belastung auseinandergesetzt. Anhand eines konkreten Bauprojektes wird berechnet, wie hoch die MWST-Belastung ist, wenn das Bauwerk nach den Varianten «von der Steuer ausgenommene Immobilienlieferung» und «steuerbare Immobilienlieferung» abzurechnen ist, aber auch nach der Variante mit dem baugewerblichen Eigenverbrauch, wie dies bis am 31. Dezember 2009 noch möglich war. Im Bericht zur Vernehmlassung der Reform des Mehrwertsteuergesetzes (Februar 2007) ist festgehalten, dass die Abschaffung des baugewerblichen Eigenverbrauchs für die steuerpflichtigen Personen und die ESTV eine Vereinfachung darstelle und für die Konsumenten zu tieferen Preisen und einer reduzierten steuerlichen Belastung führe. Mit der Abschaffung des baugewerblichen Eigenverbrauchs rechnete der Gesetzgeber mit Mindereinnahmen für den Bund von 30 bis 35 Mio. Franken pro Jahr. Mit der Masterarbeit konnte aufgezeigt werden, dass Mindereinnahmen nicht bestätigt werden können und die Vereinfachung der Abrechnung nicht erreicht wurde. Der baugewerbliche Eigenverbrauch war im alten Mehrwertsteuergesetz in Art. 9 Abs. 2 Bst. a geregelt. In der Spezialbroschüre Nr. 04 (Eigenverbrauch) ist die letzte Verwaltungspraxis über die Abrechnung des baugewerblichen Eigenverbrauchs beschrieben. Als Abgrenzungskriterium zwischen Bauwerken für fremde und eigene Rechnung (wie es damals hiess) war entscheidend, ob bei Baubeginn für das ganze Bauwerk Werkverträge oder Kaufoder Vorverträge vorlagen. Waren für das ganze Bauwerk Werkverträge oder öffentlich beurkundete Kauf- oder Vorverträge vorhanden, lag ein Bauen auf fremde Rechnung vor und das Bauwerk musste mit MWST abgerechnet werden. War nur eine einzelne Wohnung (bei STWEG) bei Baubeginn nicht verkauft, lag für das ganze Bauwerk Bauen auf eigene Rechnung vor und es musste baugewerblicher Eigenverbrauch abgerechnet werden.
Erste Praxis (gültig 1.1.2010 bis 30.6.2010) Mit der Einführung des neuen MWSTG per 1. Januar 2010 wurde der baugewerbliche Eigenverbrauch abgeschafft. In der MWST-
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Übergangsinfo 01 ist sehr knapp beschrieben, wie Bauwerke nun abzurechnen sind. Wie beim alten MWSTG wird als Abgrenzungskriterium auf den Zeitpunkt des Baubeginns abgestellt. Jedoch ist nicht mehr massgebend, ob das ganze Bauwerk oder sämtliche Stockwerkeinheiten zum Zeitpunkt des Baubeginns verkauft sind. Jede einzelne Einheit wird separat beurteilt. Das heisst, dass zum Zeitpunkt des Baubeginns verkaufte Bauwerke oder Stockwerkeinheiten als steuerbare Immobilienlieferungen gelten und damit die Lieferungssteuer geschuldet ist. Stockwerkeinheiten, die nach dem Baubeginn verkauft werden, gelten als von der Steuer ausgenommene Immobilienlieferungen. Nur schon hier lässt sich erahnen, dass mit der neuen Praxis mehr Bauwerke oder Stockwerkeinheiten als steuerbare Immobilienlieferungen abgerechnet werden müssen. Von Mindereinnahmen ist kaum die Rede. Im Weiteren muss bei von der Steuer ausgenommenen Immobilienlieferungen eine Vorsteuerkorrektur für die Inanspruchnahme von Infrastruktur vorgenommen werden. Diese erste Praxis warf sehr hohe Wellen. MWSTExperte Rudolf Schumacher erachtete es in einem Bericht im Fachmagazin «Der Schweizer Treuhänder» als ein «…in der Praxis und zivilrechtlich nicht haltbaren Abgrenzungskriterium…». Er schreibt auch: «Diese Auslegung entspricht weder dem Willen der Gesetzgeber noch dem Wortlaut des MWSTG».
Zweite Praxis (vom 31.3.2010) Aufgrund der Interventionen des Schweizerischen Baumeisterverbandes, der Baubranche und verschiedenen Experten hat die ESTV ihre Praxis rückwirkend auf den 1. Januar 2010 abgeändert. So sah die neue Lösung vor, dass eine von der Steuer ausgenommene Grundstückslieferung nur dann vorlag, wenn eine Vielzahl von Kriterien (vgl. MWST-BranchenInfo 04, Baugewerbe, Ziff. 8) kumulativ erfüllt wurde. Die Anwendung in der Praxis erwies sich als sehr schwierig, da erst beim Abschluss des Baus definitiv beurteilt werden konnte, ob alle Kriterien kumulativ erfüllt wurden. Sollte sich erwiesen haben, dass zum Beispiel die Anzahlung über 30% des Kaufpreises war oder die Mehrkosten die 5% des Pauschalpreises überschritten hatten, hätte das ganze
Mit der neusten Praxis ist die erhoffte Erleichterung für die Administration nicht erfolgt.
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könnte der ESTV unterstellen, dass sie Mühe hat , die von der Politik in Kauf genommenen Mindereinnahmen von 30 bis 35 Mio. Franken pro Jahr zu akzeptieren und eine Praxis einzuführen, die dem politischen Willen entspricht. Jedenfalls ist mit der neusten Praxis die erhoffte Erleichterung für die Administration nicht erfolgt – für die Wirtschaft eine kostspielige Angelegenheit. Vertragsverhältnis bezüglich der MWST umqualifiziert werden müssen. Mit dieser Praxis wurde eine grosse Unsicherheit geschaffen. Es stand von vornherein nie fest, wie die Bauwerke schlussendlich deklariert werden mussten. Rudolf Schumacher machte die Erfahrung, dass die Bauunternehmer das Risiko einer nachträglichen Korrektur nicht eingehen wollten und die Verkäufe von Anfang an als steuerbare Immobilienlieferungen abrechneten. Es hatte den Vorteil, dass die Bauwerke besser kalkuliert werden konnten. Sie nahmen auch einen höheren Verkaufspreis in Kauf. Dass die MWST in diesem Bereich nicht vereinfacht wurde, wie dies mit der Einführung des neuen MWSTG in Aussicht gestellt wurde, ist offensichtlich. Der Gesetzgeber hatte mit der Abschaffung des baugewerblichen Eigenverbrauchs für den Bund mit Mindereinnahmen von 30 bis 35 Mio. Franken pro Jahr gerechnet. Mit dieser Praxis kann davon ausgegangen werden, dass Mehreinnahmen generiert werden. Man ist weit weg von dem, was die Politik eigentlich erreichen wollte.
Beurteilung neuste Praxis gemäss MWST-Praxis-Info 05
Foto: Ivan Kruk / Fotolia
Die neuste Praxis gleicht sehr stark der ersten Praxis, welche vom 1. Januar bis 31. März 2010 gültig war. Im Grundsatz ist die Abgrenzung zwischen steuerbaren Immobilienlieferungen und von der Steuer ausgenommenen Verkäufen von Bauwerken dieselbe geblieben. Der Unterschied zur ersten Praxis ist, dass jedes erstellte Gebäude einer Überbauung separat beurteilt wird und in der MWST-PraxisInfo 05 die Praxis klarer definiert wurde, womit die Unsicherheiten beim Steuerpflichtigen abnehmen werden. Trotzdem stellt sich die Frage, warum der ersten Praxis so viel Opposition entgegengebracht wurde, wenn doch jetzt praktisch alles beim Alten bleibt? Man BLICKPUNKT KMU
Korrekturen der MWST-Abrechnungen aufgrund der neuen Praxis Die neue Praxis kann auch für Bauwerke mit Baubeginn zwischen dem 1. Januar 2010 und 30. Juni 2013 angewendet werden. Wird die neue Praxis angewendet, bedeutet dies, dass es zu nachträglichen Mehrwertsteuerkorrekturen kommt (etwa nachträgliche Vorsteuerabzüge). Pro Abrechnungsperiode ist der ESTV eine Korrekturabrechnung einzureichen. Ist jedoch die Mehrwertsteuer auf dem Kaufvertrag offen ausgewiesen, so ist eine Korrektur nur möglich, wenn der Vertrag abgeändert wird. In jedem Fall ist zu empfehlen, dass bei den Kaufverträgen kein Hinweis auf die MWST gemacht wird.
Politik unzufrieden mit der Umsetzung Noch vor der definitiven Einführung der neuen Praxis hat Nationalrat Markus Hutter am 22. März 2013 die Motion «Mehrwertsteuerfreier Grundstückkauf» eingereicht. Er fordert, dass die Abgrenzung zwischen einem steuerfreien Grundstückkauf und einer steuerbaren werkvertraglichen Lieferung auf den Übergang von Nutzen und Gefahr abgestellt wird. Gemäss Motion und Bericht des Hauseigentümerverbandes Schweiz (7/2013) sind die verschiedenen Branchenvertreter, aber auch das Mehrwertsteuer-Konsultativgremium einstimmig der Auffassung, dass für die Abgrenzung allein das Abstellen auf den Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Gefahr sachgerecht ist. Der Bundesrat hat am 22. Mai 2013 zur Motion Stellung genommen. Er beantragt dem Parlament die Motion abzulehnen. Das Geschäft wurde in den Räten noch nicht besprochen. Es scheint, dass es zwischen den Branchenverbänden sowie der ESTV weiterhin Diskussionen zu diesem Thema gibt und wir gespannt sein können, ob es nochmals eine Praxisänderung geben wird. ●
Expertenwissen
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EXPANSION NACH KANADA (2/2)
Erfolgreich in Übersee In der letzten Ausgabe beschäftigten wir uns mit den vorbereitenden Schritten für eine unternehmerische Expansion nach Kanada. Jetzt fassen wir die praktische Umsetzung ins Auge: Wie gelingt der Sprung über den grossen Teich? AUTOR JONATHAN GEISER
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ine der grössten Herausforderungen, welcher sich Unternehmer heutzutage stellen müssen, ist die globale Beschleunigung in der Geschäftswelt. Ursprüngliche Entwicklungsländer entfalten sich in Rekordzeit zu ernsthaften globalen Konkurrenten. Kleinste Software-Unternehmungen wachsen in nur wenigen Jahren zu gigantischen Konzernen heran, welche die Arbeitsmethodik weltweit beeinflussen. Erstaunliche technologische Innovationen, globale Technologietransfers, stetige Ausweitungen von internationalen Handelsabkommen, all diese Einflussfaktoren führen immer mehr zu einer Verschmelzung der einzelnen Märkte respektive Beschleunigung von geschäftlichen Transaktionen untereinander. Dies stellt für Unternehmer eine zunehmende Herausforderung dar, andererseits bedeutet es jedoch auch immense Chancen. Gut vorbereitet können KMU heutzutage schneller und zu tieferen Kosten ein Geschäft international etablieren als es in der Vergangenheit je möglich war.
Ausdauer und Geduld entschied sich jedoch, gleich zu Anfang die Expansion unter Hochdruck voranzutreiben, statt sein vorhandenes Kapital und seine Energie über eine längere Zeitdauer zu verplanen. Als nach einem Jahr noch keine schwarzen Zahlen vorlagen, fing er an sich selbst und seiner Firma zu zweifeln. Als dann auch noch die flüssigen Mittel knapp wurden, entschied er sich, das Handtuch zu verwerfen. Die Umsetzung verlangt eine gewisse Hartnäckigkeit. Sie stellt aber auch einen fort-
Illustration: vector icon / Fotolia
In der letzten Ausgabe von Blickpunkt: KMU wurde die richtige Vorbereitung einer Expansion ins Ausland erläutert. Die Vorarbeit stellt dabei sozusagen das Fundament für die nachfolgende Umsetzung dar. Während in der Vorbereitungsphase das Schwergewicht auf der Gründlichkeit lag, liegt diese nun bei der Umsetzungsphase vor allem in der Beharrlichkeit. Beispiel: Ein Unternehmer hatte sich verhältnismässig gut vorbereitet, die Auslandstrategie war für ihn und seine Firma sinnvoll. Er
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Jonathan Geiser ist Geschäftsführer und Gründer der Firma CanadianSwissInvest Inc. Er arbeitete viele Jahre in verschiedenen internationalen Gesellschaften wie der Unaxis AG, PAGO AG und Pilatus Flugzeugwerke AG. www.canadianswissinvest.com
währenden Balanceakt zwischen Gas geben und beibehalten einer gewissen Sensitivität gegenüber reellen Widerständen dar. Einmal überwundene Widerstände sind wichtige Etappenziele, die mögliche Konkurrenten vielleicht nicht erreicht haben.
Unterstützung und Loyalität Die personelle Herausforderung bei der Umsetzung liegt in erster Linie beim Geschäftspartner im Zielmarkt. Die Funktion eines Partners ist dabei enorm diversifiziert, denn der Kunde sieht in ihm den Repräsentanten der gesamten Unternehmung und damit einhergehend den Zuständigen für alle Problemstellungen. Entsprechend wichtig ist für ihn
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Spitex zur
die Unterstützung und Loyalität der Auftrag gebenden Firma. Beispiel: Ein Partner hatte den Auftrag, für eine Herstellerfirma Produkte im Ausland zu vertreiben. Als ein Teil seiner Entschädigung war eine Verkaufsprovision ausgehandelt worden und zwar exklusiv über ein bestimmtes Gebiet. In seiner aufwendigen Vermarktungsarbeit machte er vielversprechende Bekanntschaften. Einer dieser Kontakte wollte ihn jedoch hintergehen und kontaktierte die Herstellerfirma zwecks eines Mandats im bereits vergebenen Gebiet. Die Firma leitete diese Anfrage jedoch korrekt an ihren Vertragspartner weiter. Eine Firma, die ihrem Partner den Rücken stärkt, demonstriert ihre Glaubwürdigkeit
Mühle
Break even hr Ja nach einem Radtke sich Wie Barbara aten Spitex mit ihrer privventionierten gegenüber sub erbern Mitbew behauptet
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Expertenwissen auch gegenüber Kunden, und vertieft die Zusammenarbeit mit ihrem Partner. Ein willkürlicher neuer Kontakt mag zwar in der Lage sein, einen einzelnen Distributor zu vermitteln. Doch dafür den begonnen Aufbau zu gefährden, dürfte sich kaum lohnen.
Eigene Niederlassung Für die meisten KMU kommt eine lokale Niederlassung erst dann in Frage, wenn zuvor auch ein entsprechender Umsatz im Zielmarkt bestätigt werden konnte. Obschon dieses Vorgehen sicherlich von Weisheit zeugt, bevorzugen oder verlangen ausländische Kunden häufig eine lokal ansässige Firma, bevor sie überhaupt bereit sind, Geschäfte zu betreiben. Das muss für ein KMU nicht unbedingt zu einem «Killer-Kriterium» heranwachsen. Der Aufbau einer Niederlassung kann durchaus in Stufen und abhängig vom Geschäftsgang erfolgen. Des Weiteren hängt der Kostenumfang einer Niederlassung stark von der Natur des Geschäftes sowie vom gewählten Standort und Vorgehen ab. Beispiel: Ein schweizerisches Unternehmen wollte so kostengünstig, effizient und erfolgreich wie möglich in den weltgrössten Freihandelsmarkt NAFTA eintreten. Man entschied sich für die Gründung einer Niederlassung in Kanada. Von Anfang an profitierte diese Firma von einer relativ vertrauten Geschäftskultur, einer Volkswirtschaft die grössenmässig in realistischer Reichweite lag, und einem Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der Schweiz, welches die Zollgebühren und somit Wettbewerbsnachteile eliminierte. Ideal an der südlichen Grenze zu den USA positioniert, bestand auch ein sicherer, bequemer Zugang zum US-amerikanischen Markt. Mit einer lokalen Postadresse, Büro- und Lagerplatz, Telefonnummer, Website und der rechtlichen Firmengründung kann eine zweckmässige Niederlassung bereits für wenige zehntausend Dollar realisiert werden. Damit sind auch die wichtigsten Kundenanforderungen fürs Erste erfüllt, um ersten Umsatz generieren zu können.
Realistischer Zeitplan Es ist wichtig, sich aktiv und mit langfristiger Ausrichtung im Zielmarkt zu bewegen. Jeder neue Kundenkontakt und die täglichen Her-
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ausforderung liefern letztendlich die Substanz, welche Unternehmungen benötigen, um sich in die richtige Richtung dirigieren zu lassen. Unabhängig von der eingangs erwähnten Beschleunigung bedeutet eine erfolgreiche internationale Etablierung in den meisten Fällen dennoch einen Prozess von mehreren Jahren, gegenteilige Erfahrungsberichte sind eher selten. Beispiel: Eine erfolgreiche kanadische Country-Sängerin verfügte über ein exportfähiges Produkt. Ihre CDs und Konzerte verkauften sich im nordamerikanischen Markt prächtig, doch der Sprung nach Europa blieb ihr verwehrt. Dank der Beziehung zu einem europäischen Geschäftsmann konnte sie ihre CDs praktisch nach einem einzigen Telefonat an einen europäischen Grossverteiler verkaufen und ein Jahr später sogar an internationalen Konzerten teilnehmen. Trotz einiger solch erfreulicher Erfolgsgeschichten: Auf den schnellen Gewinn alleine zu setzen ist ein Anfängerfehler, der vielfach mit Verlust endet.
Der Aufbau einer Niederlassung kann in Stufen und abhängig vom Geschäftsgang erfolgen.
Kontaktnetz aufbauen Niemand würde die Bedeutung des Kontaktnetzes unterschätzen – doch wie kommt man an die «richtigen» Personen heran? Unternehmen, welche ihre Produkte via Grossverteiler vertreiben möchten, erfahren zunehmend Schwierigkeiten, an die Entscheidungsträger zu gelangen. Gerade in Nordamerika, wo der stetige Konsolidierungskurs von Grossverteilern zu gigantischen Vertriebsketten geführt hat, ist diese Situation besonders stark bemerkbar. Beispiel: Bei der Vermarktung eines Produktes, hergestellt von einem deutschen Unternehmen, wurde eine Parallelstrategie verfolgt. Es wurde versucht, die Produkte gleichzeitig sowohl direkt dem Endkunden wie auch dem Grossverteiler zu verkaufen. Die Erfahrung zeigte, dass Grossverteiler oft den Bedarf erstmals durch Endkunden bestätigt sehen wollten. Den ersten Referenzkunden im Ausland zu gewinnen kann erfordern, bei der ersten Bestellung nicht die gewünschte Marge zu erreichen. Doch mit dem ersten Referenzkunden hat man die Voraussetzung geschaffen, auch bei einem Grossverteiler einen ersten Auftrag zu landen. ● BLICKPUNKT KMU
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ZEIT IST LEBENSQUALITÄT
«Bei mir ist die Situation ganz anders…!» Diesen geflügelten Worten begegnet die Frau, die Zeit und Ordnung in ihrem Handgepäck mitträgt, immer wieder. Führungskräfte am persönlichen Limit wissen viel, investieren jedoch selten genug Kraft und Zeit, um sich selber effektiv zu helfen. AUTORIN LUCIE JUNGI-SANER
Hat der Tag zu wenig Stunden? Hinter diesem Problem stecken die Hektik des Alltags und meistens die Auftraggeber, die den Unternehmer scheinbar dazu erziehen wollen, nur noch Prioritäten hinterher zu rennen. Anfangs wehrt man sich innerlich dagegen und denkt, dass alles in ruhigeren Zeit wieder aufgearbeitet werden kann. Dauert dieser Zustand jedoch zu lange an, wird irgendwo ein kritischer Punkt überschritten. Dieser gesunde innere Widerstand bricht zusammen. Von da an geht es bergab – man «nimmt es, wie es kommt».
Nehmen Sie Mitarbeiter in die Pflicht! Gönnen Sie sich Ihren Freiraum, trauen Sie sich und Ihren Mitarbeitern zu, dass Aufgaben delegierbar sind und der Chef nicht alles selber machen muss. Gute Mitarbeiter werden besser, selbstbewusster und fähiger, wenn sie korrekt delegierte Aufgaben erfüllen können. Sobald ein Unternehmer im Arbeitsalltag das Gefühl kennenlernt, sich ab und zu in einer laufenden Waschmaschine zu wähnen, ist es höchste Zeit, den Off-Schalter zu finden und das Steuer wieder selber in die Hand zu nehmen. Kein Kapitän lässt sich von Wind und Wetter beeindrucken; er kennt seine Werkzeuge, seine Hilfsmittel, seine Crew und vertraut auf seine Erfahrung – tun Sie das auch. Tun Sie nicht nur für die Firma, sondern auch für Ihr privates Leben alles was nötig ist, und tun Sie es fadengerade ohne Umwege und bis das Ziel erreicht ist.
Schöpfen Sie Energie aus der Vorgehensweise, jede Aufgabe definitiv zu erledigen!
Fast jeder kennt diese Situation – vor allem bei anderen Nach einiger Zeit betrachtet man diesen steten Druck als «normal» – Teil der heutigen Zeit. Ein beispielhaftes Szenario: Der Unternehmer verfolgt eine intuitive Arbeitstechnik, die sehr wohl funktionieren kann, aber nur in Zeiten normaler Belastung. Wird das Mass des Üblichen überschritten, wie zum Beispiel in Zeiten
ILLUSTRATION: Rudie / Fotolia
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oppelspurigkeiten, Leerläufe und immer wieder Unterbrechungen. Solche Zeitfresser zeigen sich bei Führungskräften durch stete Ablenkungen und durch Versuche, mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen zu wollen oder zu müssen. Es beginnt ganz unscheinbar mit dem Anhäufen administrativer Arbeiten. Zuerst werden Bagatellen, später auch die wichtigeren Dinge vergessen. Darauf folgen Abend- und Wochenendarbeit, kollidierende Termine und schlussendlich schlägt das Gesamte auf das persönliche Befinden. Überreaktionen, körperliches Unbehagen, unerklärliche Schmerzen, schlechte Laune und/oder starker Motivationsverlust verdüstern das Leben.
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Prioritäten setzen. Alles immer sofort ist unmöglich.
wirtschaftlichen Aufschwungs, bricht das System zusammen. Durch Schulung und Kurse auf dem Gebiet von Arbeitstechnik und Zeitmanagement wurde bereits viel Wissen angeeignet. Doch wie jeder Techniker weiss, liegt zwischen Theorie und Anwendung oft ein Graben – und dieser Graben verbreitert sich, je hektischer das Geschehen ist.
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Lucie Jungi-Saner, selbstständige Unternehmerin, bietet seit über 25 Jahren wirkungsvolle Hilfe für überlastete Führungskräfte – nicht theoretisch, sondern am Ort des Geschehens: am Arbeitsplatz. www.luciejungi.ch
gehensweise, jede einzelne Aufgabe wirklich definitiv zu erledigen! Werden Sie ehrlich mit sich und lassen Sie sich helfen. Besinnen Sie sich auf all das, was Sie bereits wissen und setzen Sie Ihre Kenntnisse um. Von allen Tipps und Tricks, Hilfsmitteln, guten Ratschlägen und wohlmeinenden Hinweisen werden Sie nur genau so viel profitieren und daraus Nutzen ziehen, wie Sie bereit sind, für sich selber etwas zu tun, bei sich etwas zu verändern, sich der unbefriedigenden Sachlage zu stellen und tatsächlich etwas zu unternehmen! ●
PUBLIREPORTAGE
Online-Rechner
BVG-Offerte: einfach, schnell, zuverlässig Erstmals können in der Schweiz Offerten für die berufliche Vorsorge (BVG) online über das Internet für sämtliche Unternehmungen und Branchen berechnet und abgeschlossen werden. Möglich macht dies die neue BVG-OnlinePlattform «NoventusDirect» der Noventus PensionPartner AG in Zürich.
TEXT Ronald Biehler Chief Marketing Officer und Geschäftsleitungsmitglied der Noventus PensionPartner AG, Zürich.
W
ollte ein Unternehmer für seine Firma Offerten für die berufliche Vorsorge bestellen, war das eine ziemlich aussichtslose Angelegenheit. Das BVG erschien als eine äusserst komplexe Materie, weshalb der Unternehmer sehr oft einen Makler einschaltete. Doch was wird für eine BVG-Offerte benötigt? Es braucht nur den aktuellen Lohn, das Geburtsdatum, das Geschlecht und das bestehende Freizügigkeitsguthaben gemäss aktuellem Vorsorgeausweis der Mitarbeitenden. Anschliessend muss noch der Vorsorgeplan ausgewählt werden. Die meisten Anbieter stellen vordefinierte Vorsorgepläne zur Verfügung. Ähnlich war die Situation vor ein paar Jahren bei den Krankenkassen. Ein Vergleich von Offerten war damals beinahe unmöglich, auch weil noch die unterschiedlichen regionalen Tarife zu berücksichtigen waren. Mit der Einführung von Online-Rechnern änderte sich das schnell. Heute haben sich die Online-Offerten der Krankenkassen etabliert. Was für Krankenkassen üblich ist, wird nun auch in der beruflichen Vorsorge wahr. Mit dem BVG-Online-Rechner von Noventus PensionPartner erstellt der Unternehmer selber und einfach günstige und transparente Offerten – ohne Umweg über Vermittler, die nach einer Sendung des Kassensturzes vom 1. Oktober 2013 in der zweiten Säule jährlich mehrere Hundert Millionen Franken Provisionen beziehen. Wie erstellen Sie eine Offerte fast so einfach wie eine Online-Buchung in einem Restaurant? Auf der Website www.noventusdirect.ch klicken Sie den BVG-Online-Rechner an. Ordnen Sie Ihrer Offerte einen Namen zu, damit Sie diese später wieder aufrufen oder von weiteren Offerten unterscheiden können. Geben Sie die verlangten Daten ein und wählen
Das ist Reto, der als Jungunternehmer eine gute Vorsorgelösung benötigt.
Sie aus vier vordefinierten Vorsorgeplänen den Ihnen zusagenden Vorsorgeplan aus. Da der Rechner alle vier Vorsorgepläne nebeneinander übersichtlich darstellt, können Sie diese untereinander vergleichen. Am Schluss drucken Sie die Offerte aus. Fragen können Sie direkt per Mail-Klick stellen oder rufen Sie die telefonische Helpline an. Alle notwendigen Dokumente sind online verfügbar. Auf der Website www.noventus.ch erklären der Jungunternehmer Reto und der erfolgreiche Geschäftsmann Walter wie die BVG-Offerten einfach und direkt gerechnet werden können. Sagt Ihnen die Offerte zu, können Sie sich direkt der BVG-Sammelstiftung NoventusCollect anschliessen. Ihre Offerte wird elektronisch an den Kundenservice übermittelt. Anschliessend erhalten sie auf dem Postweg die Anschlussunterlagen. NoventusDirect steht Firmen aller Branchen und Grössen offen. Keine Branche wird diskriminiert. Es gibt keine Mindestgrenzen für Anzahl Mitarbeitende oder Beiträge. Die Sammelstiftung NoventusCollect stellt die berufliche Vorsorge für rund 660 Vorsorgewerke mit 5'000 Versicherten sicher und weist einen soliden Deckungsgrad von rund 110% auf (provisorisch per 31. Dezember 2013 vor Revision).
www.noventus.ch Das ist Walter, der als erfolgreicher Geschäftsführer für seine Mitarbeitenden eine solide Vorsorgelösung will.
Checkliste Vorsorgeanalyse
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Vorteilhaft ist, mehrere Offerten einzuholen. Klären Sie ab, wann die bestehende Vorsorgelösung gekündigt werden kann. Meist ist der jeweilige Kündigungstermin der 30. Juni des laufenden Jahres (auf Ende Jahr). Manchmal ist eine bestimmte Laufzeit vereinbart, eventuell sind Sie sogar in langjährigen Vertragslaufzeiten «gefangen». Für die Offertenanfrage senden Sie aktuelle Leistungs- und Kostenübersichten, den bestehenden Vorsorgeplan und die bestehenden Reglemente sowie Ihre Änderungsideen ein, oder Sie machen es online mittels www.noventusdirect.ch.
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Unternehmen verändern sich. Entspricht der bestehende Vorsorgeplan noch den aktuellen Bedürfnissen Ihrer heutigen Mitarbeitenden? Wann wurde dieser letztmals angepasst? Wird ein zusätzlicher Kaderplan benötigt?
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Der Vorsorgeanbieter selbst ist ein wichtiges Kriterium: Wie ist er organisiert? Sind die Risiken Tod, Invalidität und Alter rückversichert? Wie ist der aktuelle Deckungsgrad? Werden diese Angaben aktuell und verständlich auf der Website und im Geschäftsbericht aufgeführt?
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Beim Vorsorgekapital geht es um das angesparte Kapital Ihrer Mitarbeitenden. Welche Anlagestrategie wird damit verfolgt? Wie wird das Vorsorgevermögen konkret angelegt? Welche Rendite wurde erzielt? Wie wird über die Anlagen informiert?
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Die erhaltenen Offerten müssen anschliessend verglichen werden: Stimmen die Personaldaten, die Löhne und einzubringenden Freizügigkeitsleistungen überein? Sind auch die lohnabhängigen Leistungen gleich hoch? Werden die Spar-, Risiko-, Kosten-, Sicherheitsfonds- und Teuerungsbeiträge sowie Provisionen einzeln und offen ausgewiesen?
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Ein wichtiger Aspekt sind die Zahlungsmodalitäten für die Prämien. Stellt der Vorsorgeanbieter jährlich zu Beginn des Jahres vorschüssig den Gesamtbetrag in Rechnung? Schonender für die Liquidität sind monatlich nachschüssige Zahlungen.
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Wie sind die Vertragslaufzeiten? Werden einjährige Vertragslaufzeiten offeriert oder dreijährige oder noch längere?
Mit welchem Zinssatz wurde das Alterskapital hochgerechnet? Welcher Umwandlungssatz wurde für die Altersrente angewendet? Wie hoch ist dieser für den obligatorischen und den überobligatorischen Teil des Vorsorgekapitals? Sind diesbezügliche Änderungen geplant? Offertenvergleiche sind anspruchsvoll und zeitaufwendig, weshalb die Ausschreibung oft einem unabhängigen Versicherungsvermittler (Makler) übertragen wird. Klären Sie ab, ob der Makler auf Honorarbasis nach Aufwand arbeitet oder ob und wieviel er Provisionen vom Vorsorgeanbieter erhält, den er empfiehlt. Verlangen Sie, dass der Makler die Provisionen schriftlich offenlegt. Geben Sie ihm vor, von welchen Anbietern Sie eine Offerte wünschen.
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Eine sehr wichtige und vertrauensbildende Massnahme ist die umfassende Information der Mitarbeitenden über den anstehenden Wechsel. Welches sind die Beweggründe und was ändert? Führen Sie eine Mitarbeiterinformation durch und verlangen Sie, dass ein Vertreter der neuen Vorsorgeeinrichtung Rede und Antwort steht und den Versichertenausweis erläutert.
Expertenwissen
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FÜHRUNGSWECHSEL
Outsourcing von Firmenflotten gewinnt an Bedeutung Intelligentes Flottenmanagement ist nicht nur eine Frage der Finanzierung. Es gilt, Kriterien wie Nachhaltigkeit und Zukunftstauglichkeit zu berücksichtigen – unter anderem! AUTOR MARTIN ERB
Tägliche Herausforderungen Eine Fahrzeugflotte effizient und nachhaltig zu organisieren kann schnell ein schwieriger Balanceakt werden. Beginnend bei der Evaluation des optimalen Fahrzeuges – es soll kosteneffektiv, umweltfreundlich und langfristig mit hohem Wiederverkaufswert sein – führt der Weg zur Entscheidung über Kauf oder Leasing. Darüber hinaus dürfen Wartung, Reifenersatz, Versicherung und Schadenmanagement, Treibstoffmanagement, Fahrer-Coaching Trennung und das Auswerten von Telematiksystemen den Kostenrahmen nicht sprengen. Eine Herausforderung für kleinere und grössere Unternehmen, denn Komplexität und Umfang der einzelnen Ansprüche nehmen kontinuierlich zu und das Anforderungsprofil des Flottenmanagers wird künftig noch umfangreicher.
Kostensicherheit ist planbar Neue Antriebstechnologien, verschiedene Fahrzeugtypen, neue Vorschriften, steigende Kraftstoffpreise, volatile Gebrauchtwagen-
preise und Steuern sind nur einige der unterschiedlichsten Aspekte, mit denen sich professionelle Anbieter von Fuhrparkmanagement auseinandersetzen. Bei der Entwicklung und Realisierung von Fuhrparklösungen erwarten die Kunden von engagierten Fuhrparkmanagern ein klares Bild über die zu erwartenden Kosten je Fahrzeug, also die Total Cost of Ownership (= TCO, beschreibt die gesamte Kette von Ankauf, Abschreibung/Restwert, Betriebskosten, Reifen, Versicherungen, Treibstoffkosten usw.). Dadurch kann der finanzielle Bedarf für den Fuhrpark in seiner Gesamtheit recht genau budgetiert werden. TCO ist ein hervorragender Rechenwert, zeigen sie doch transparent die Vollkosten in Bezug auf die Nutzung eines Fuhrparkfahrzeuges auf. Nebst den direkten Kosten für Fahrzeuganschaffung, Versicherung, Steuern, Treibstoff, Reifen und Unterhalt sind darin auch die indirekten Kosten wie Verwaltungsaufwand und Prozesskosten enthalten.
Die Evolution heisst TCM Aufgrund unserer Konsumgewohnheiten und veränderter Lebensweise erhält Fortbewegung in Zukunft allerdings eine zusätzliche, mitarbeiterbezogene Dimension. Diese neue Ausdrucksform der Mobilität geht viel weiter als über die eigenen vier Räder, was im neuen Berechnungsansatz der Total Cost of Mobility (TCM) berücksichtigt wird. So enthalten die TCM nebst den Werten, die in den TCO enthalten sind, alle zusätzlichen Aufwendungen, welche bei der Fortbewegung der Mitarbeiter
Foto: Mario Lopes / Fotolia
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ebst dem Angebot einer breiten Palette an Dienstleistungen und Autos aller Marken müssen heutige Mobilitätslösungen wirtschaftliche Massstäbe erfüllen, ökologischen Anforderungen gerecht werden und gleichzeitig künftige Entwicklungen des Marktes einbeziehen. Wie gehen wir mit diesen neuen Bedingungen um, wo liegen Einsparmöglichkeiten und wohin führen uns diese neuen Einflüsse?
BLICKPUNKT KMU
Martin Erb ist seit Februar 2013 CEO von Alphabet in der Schweiz, einem der hierzulande führenden Leasing- und Full-Service-Anbietern. Das 1997 in Grossbritannien gegründete Unternehmen betreut heute mehr als 530 000 Fahrzeuge aller Hersteller und Marken in 19 Ländern. Alphabet ist eine Tochter der BMW-Group. www.alphabet.ch.
Elektrofahrzeuge in Firmenflotten Doch das Car-Sharing-Modell ist innerhalb des Trends zum Mobilitätsmanagement nur ein Aspekt, der neu konzipiert wird. Alternative Antriebstechnologien wie jene der Elektromobilität halten ebenso Einzug in das breite Angebot von Mobilitätslösungen. Geeignet sind Elektrofahrzeuge für Unternehmen, die eine ganzheitliche Mobilitätsstrategie unter Berücksichtigung einer nachhaltigen Umweltund Energiepolitik anstreben. Firmen, die bereits einen hohen Anteil an Poolfahrzeugen haben, reduzieren mit dem Einsatz von Elektrofahrzeugen ihre CO2-Emissionen und erreichen damit durch nachhaltiges Handeln eine positive Umweltbilanz sowie einen entsprechenden Imagegewinn. Auch werden die Verkehrsabgaben wegen der niedrigen CO2-Werte für Elektrofahrzeuge von den meisten Kantonen teilweise oder vollumfänglich erlassen.
Der Mobilitätsdienstleister der Zukunft
Mobilität wird sich im Unternehmen und im privaten Bereich künftig multimodaler gestalten.
BLICKPUNKT KMU
anfallen. Dabei werden Kosten für Taxi-, Flugzeug- oder Bahnfahrten, aber auch die dadurch entstehenden Prozesskosten analysiert. TCM ist der richtige Weg, um Kosten transparent zu machen und Kostensenkungspotenziale zu identifizieren. Total Cost of Mobility verlagert so die Berechnung vom fahrzeugbasierten Ansatz hin in Richtung der mitarbeiterfokussierten Kalkulation. Dies erlaubt Unternehmen, die Mobilitätskosten für jeden Mitarbeiter spezifisch aufzuschlüsseln und den entsprechenden Kostenstellen zuzuweisen. Noch einen Schritt weiter gehen sogenannte Corporate-Car-Sharing-Programme: Fahrzeuge werden online gebucht, die heutige TelematikTechnologie erlaubt den schlüsselfreien Zugriff. Umständliche Schlüsselübergaben oder doppelt gebuchte Fahrzeiten fallen weg. Auch ausserhalb der Geschäftszeiten ist das Poolfahrzeug für die private Nutzung verfügbar. So können Mitarbeiter in der Freizeit Autos leihen und zahlen für den privaten Gebrauch mit ihrer Kreditkarte. Zeiten, in denen Poolfahrzeuge länger ungenutzt herumstehen und unnötige Kosten verursachen, sind Vergangenheit.
Um eine neue Ebene von Fortbewegung zu erreichen, müssen alte Verhaltensmuster abgelegt, neue Infrastrukturen analysiert und die Mobilität als Ganzes erkannt werden. Das erfordert einerseits ein Umdenken von allen beteiligten Akteuren und andererseits Zeit und vor allem die nötigen Ressourcen. Aufgrund der technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die sich in den vergangenen Jahren stark beschleunigt haben, wird sich Mobilität in Unternehmen wie auch im privaten Bereich neu definieren. Innovative Konzepte beschäftigen sich schon heute mit der optimalen Kombination von verschiedenen Beförderungsmitteln. In Zukunft wird sich der Individualverkehr noch stärker Richtung multimodale Mobilität verschieben. Mobilität bedeutet dabei auch Flexibilität. Für einen innovativen Fuhrparkanbieter heisst dies, gemeinsam mit Kunden Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten, damit sich diese jederzeit frei, effizient und mit den situativ passenden Angeboten von A nach B bewegen können – unter geringstmöglichem Administrationsaufwand und höchstmöglicher Kostensicherheit. ●
Nutzfahrzeuge
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Vorhut aus Fernost für die Energiewende
Prä Zusamsentiert in mena mit rbeit
Der «ebus» des chinesischen Herstellers BYD hat genügend Energie an Bord, um in der Stadt gegen 250 Kilometer zurückzulegen. In der fernöstlichen Heimat absolvierten 400 Busse dieses Typs bereits mehr als 20 Millionen Kilometer, nun soll der augenscheinlich zuverlässige und vor allem emissionsfreie Chinese in Europa Fuss fassen. TEXT FABIAN SCHMID
Z
ahlreiche Städte und Betriebe evaluieren derzeit das Fahrzeug oder haben schon stattliche Flotten bestellt (35 Stück für Flughafen Amsterdam). Erfreut über das Interesse der hiesigen Verkehrsbetriebe zeigt sich Andreas Baumann, Geschäftsführer der WRB Fahrzeuge AG in Mägenwil und offizieller Importeur des BYD «ebus». BYD steht für «Build Your Dreams» und macht klar, wohin die Reise des 1995 gegründeten Unternehmens geht, nämlich schnurstracks in Richtung reinrassiger Elektromobilität. Dieser prophezeien ja nicht wenige die alleinige Zukunft, die Aussichten sind auch zu verlockend: null Emissionen, kaum Lärm, Strom aus erneuerbaren Quellen, Förderprogramme, Steuernachlässe, Imagegewinn und was noch alles auf der Liste steht. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, auf welche Weise die Energie zugeführt wird (Oberleitung, Induktion, Batterie, Brennstoffzelle), es geht einzig darum, dass die unerschöpfliche (?) Elektrizität an die Stelle der endlichen fossilen Energie tritt. Doch bei aller Umwelteuphorie schwebt eine Frage wie ein Damoklesschwert über dem Thema: Welche Form der Elektrifizierung ist bezahlbar? Zumindest der BYD «ebus» bewegt sich jetzt in einem Rahmen, der im Vergleich zum Standarddiesel keine Mehrkosten im dreistelligen Bereich verursacht und Finanzverantwortlichen somit weniger Bauchschmerzen bereitet. Dass es BYD, mit über 150 000 Angestellten einer der welt-
weit führenden Batteriehersteller, ernst meint, belegen nicht zuletzt die mit Volkswagen und Daimler eingegangenen Kooperationen. Man will offensichtlich vom gegenseitigen Knowhow profitieren und ausgereiften europäischen Automobilbau mit innovativer Elektro-Antriebstechnik verquicken. Den «ebus» baut BYD jedoch in Eigenregie – und hat dies augenscheinlich recht gut hinbekommen. Unauffälliges Heck, nüchterne und gleichwohl gefällige Front, pure Sachlichkeit im Innenraum: Die ganze Aufmerksamkeit der Entwickler galt klar dem E-Antrieb.
Drei Batteriemodule und Radnabenmotoren Drei Batteriemodule mit einem Gesamtgewicht von knapp 3,5 Tonnen und einer Energie von total 324 kWh sitzen an drei unterschiedlichen Stellen: auf dem Dach, im Heck und direkt hinter dem Fahrer (rechts und links des Gangs über den Radkästen). Alternativ kann der Bus mit nur zwei Batteriemodulen ausgestattet werden, was die Reichweite verringert, im Gegenzug aber die Zuladung erhöht (76 + 1 Personen statt 61 + 1 bei drei Modulen). «Getankt» wird bequem über eine im Lieferumfang enthaltene Ladebox, bei 60 kW ist der «ebus» nach fünf Stunden wieder voll bei Kräften. 4000 solche Ladezyklen vertragen die Lithium-Eisenphosphat-Batteriepacks (enthalten keine Schwermetalle oder giftigen Stoffe und können am Ende mit minimaler Umweltauswirkung recycelt werden), danach sollen sie
Andreas Baumann von der WRB Fahrzeuge AG zeigt’s: Mit diesem Lade- und Kontrollgerät ist der «ebus» nach fünf Stunden wieder voll bei Kräften.
BLICKPUNKT KMU
Oben: Leicht gebaut, gut isoliert. Aluminiumfahrgestell und Doppelverglasung helfen Strom sparen. Oben, rechts: Bewegungsund Stromproduzent. Die obere Grafik im Zentraldisplay zeigt die Energieflüsse zwischen Motor und Batterie. Augenweide für Elektro-Freaks. Integriertes OnboardLadesystem, Steuergeräte, Konverter und E-Kompressor versammeln sich schön aufgeräumt unter der Heckklappe.
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immer noch mindestens 75% ihrer Kapazität ohne Memoryeffekt behalten. Auf Achse saugen die beiden in den Radnaben angeordneten E-Motoren rund 130 kWh auf 100 km aus dem «Tank». Sie leisten konstant 2 x 75 kW (90 kW Peak-Power) und mobilisieren 2 x 350 Nm Drehmoment zwischen 0 und 7500 Umdrehungen. Auf Wunsch gibts die wassergekühlten Permanentmagnet-Synchron-E-Maschinen auch in 150-kW-Ausführung, womit selbst gebirgiges Terrain problemlos in Angriff genommen werden kann. «Das Fahrzeug wird individuell an sein Einsatzgebiet angepasst», sagt Importeur Andreas Baumann. Für die Tests in der Schweiz ist der «ebus» allerdings in einer eher untypischen holländischen Flachlandkonfiguration aufgefahren.
«ebus»-Fahren weckt sportlichen Ehrgeiz Zweifel bei einem Fahrzeug aus China? Es lohnt sich, dem 12 Meter langen Niederflurbus unvoreingenommen gegenüberzutreten. Also Platz genommen hinterm Lederlenkrad, auf einem bequemen Sitz von Grammer. Man inspiziert die Instrumententafel und erfreut sich am hellen, schön gezeichneten Zentraldisplay, das dem Fahrer leicht verständlich die wichtigsten Informationen liefert. Zuvorderst natürlich den Ladestand der Batterie, dann zeigt es den aktuellen Leistungsbedarf der Radnabenmotoren und illustriert umgekehrt, wie beim Schiebe- oder Bremsbetrieb Energie in die Batterie zurückfliesst. Gestartet und gestoppt BLICKPUNKT KMU
wird der Bus durch Drücken des Power-Buttons. Dann Federspeicher lösen, D- oder RTaste sowie «Gaspedal» drücken, alles keine Kunst, und schon macht der «ebus» einen kleinen Satz nach vorn, wobei der Leistungseinsatz grundsätzlich gut dosierbar ist, der Antrieb spontan auf die Fahrerbefehle anspricht. Vom Betriebshof der Steiner Bus AG in Ortschwaben rollt der Bus nun Richtung Zollikofen. Auf dieser Strecke bekommt er es immer wieder mit Kreisverkehren zu tun, die er mit Bravour und praktisch ohne Bremseinsatz meistert. Das Brems- und somit das Rekuperationsmoment sind ziemlich stark und verlangen vom Fahrer zu Beginn etwas Eingewöhnungszeit. Dann aber macht «ebus» fahren trotz der ziemlich laut singenden E-Motoren (Baumann: «Das lässt sich noch besser dämmen!») richtig Spass, weil die direkten Rückmeldungen über die Energieflüsse den Ehrgeiz wecken und den Fahrer zum Stromsparen animieren.
Nebenverbraucher auf Strom-Diät Alle hängen sie beim Testbus am selben Batterie-Tropf: Luftkompressor, Wasserpumpe, Beleuchtung, Kühlung, Heizung und andere Nebenverbraucher. Kostet in der Summe viel Energie, was BYD durch doppelt verglaste Isolierscheiben, Aluminiumfahrgestell, LED, eine optionale Zusatzheizung und weitere Kniffe möglichst wettzumachen versucht. Damit die Gesamtrechnung aufgeht, müssen trotzdem alle Beteiligten richtig kalkulieren und das Einsatzgebiet genau abstecken. ●
Im Gespräch
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Der loyalste Partner von allen Weit über 80% der Schweizer Unternehmen sind in Familienhand. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe werden häufig von Paaren geführt. Bettina Plattner-Gerber und Lianne Fravi erklären die Erfolgsfaktoren bei dieser Konstellation. AUFGEZEICHNET VON TOBIAS WESSELS
Blickpunkt KMU
Auch wenn Sie Ihr Buch über
Unternehmerpaare nicht primär für sich selbst geschrieben haben: Konnten Sie selbst etwas daraus lernen?
Für mich war das Schreiben des Buchs ein Ordnen von Themen. Seither erkenne ich tatsächlich besser, worin mein Mann und ich gut sind, und wo bei uns Verbesserungspotenzial besteht. Gerade im Bereich der Kommunikation wurden mir durch das Schreiben wieder einige wichtige Dinge bewusst. LIANNE FRAVI Eine Erkenntnis war, festzustellen, dass es viele Paaren bei der Gestaltung von Paar, Familien- und Berufsalltag genau gleich geht wie meinem Mann und mir. Manchmal hat man den Eindruck, ein Problem ganz alleine zu haben – beispielsweise wie die Führungsrollen verteilt werden, wenn man im gleichen Verwaltungsrat sitzt. Ich habe mich bereits im Psychologiestudium mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Durch das Buch ist mir jedoch richtig bewusst geworden, dass am Ende alle mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert werden. PLATTNER-GERBER Die interviewten Paare haben viel bestätigt, was wir bereits wussten oder zumindest vermutet hatten. Doch einiges hat sich für uns konkretisiert, jedes Interview hat einen weiteren Mosaikstein geliefert. BETTINA PLATTNER-GERBER
Wenn Sie einem Paar einen Rat mit auf den Weg geben sollten, bevor es ein Unternehmen gründet – wie würde dieser lauten?
Was wir bei allen interviewten Paaren wahrgenommen haben: Es ist entscheidend, dass man von Anfang an klare Strukturen schafft, egal wie lange man sich bereits kennt,
FRAVI
und egal, welchen Zeithorizont man für das gemeinsame Unternehmen im Kopf hat. Damit meine ich: Man muss Aufgabengebiete, Verantwortungsbereiche und Entscheidungskompetenzen so eindeutig festlegen, dass jeder in seinem Bereich wirken, entscheiden und sich entfalten kann. PLATTNER-GERBER Ich würde dem Paar sagen: Prüft ganz genau, ob ihr vom Gleichen sprecht und dass ihr die gleichen Ziele verfolgt. Stellt mit verschiedenen Fragestellungen fest, ob eure Herzen für das Gleiche schlagen, sowohl was die beruflichen als auch was die persönlichen Visionen angeht. Welche Wünsche bestehen in der Familienplanung, welche für das Alter? Wenn diese Vorstellungen nicht übereinstimmen, hält man sehr schlechte Karten – dessen ist man sich anfangs nicht ausreichend bewusst. Sowohl die Euphorie über eine mögliche Unternehmensgründung als auch das Glücksgefühl des Verliebtseins sind dabei schlechte Ratgeber. Ausserdem muss man sich fragen: Kann und will ich diesen Partner auch in unangenehmen Situation wertschätzen? Habe ich ihn gern genug, um alles gemeinsam durchzustehen? Zuletzt möchte ich die Bedeutung des Humors hervorheben: Selbst wenn man alles perfekt macht, aber keinen gemeinsamen Humor hat, wird es schwierig. Müsste ich mich auf einen einzigen Punkt beschränken, würde ich sagen, dass Humor wichtiger ist als alles andere. FRAVI Abgrenzung spielt auch eine wichtige Rolle. Als Führungsduo ist man unwillkürlich dem Sog des Unternehmens ausgesetzt, worunter das Privatleben mehr oder weniger stark leiden kann. Hier ist Vorsicht geboten. Man muss unterscheiden, wann man als Führungs-
«Je näher man sich steht, desto disziplinierter muss man sich verhalten.»
BLICKPUNKT KMU
Unternehmerpaare. Gemeinsame Strategie muss erkennbar sein.
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paar und wann man als Privatpaar unterwegs ist. Vor allem in Branchen wie Hotellerie oder Detailhandel, wo man als Unternehmerpaar beinahe in einer Glasbox lebt, spielt diese Abgrenzung eine grosse Rolle.
PLATTNER-GERBER Paare haben zwar einen grossen gemeinsamen Nenner, deswegen existiert die Beziehung überhaupt. Dennoch können sie als Menschen sehr unterschiedlich ticken. Darin liegt unternehmerisch gesehen auch der Vorteil: Kommen unterschiedliche Bestandteile zusammen, kann daraus etwas Neues entstehen. Von den verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen, die in die Firma eingebracht werden, profitieren beide Partner weil sie dazulernen können, sowie das Unternehmen weil mehr Kompetenzen zum Tragen kommen. Die gemeinsame Vision steht dabei auf einer ganz anderen Ebene: All die täglichen Reibereien im operativen Geschäft kann man nur aushandeln, wenn man nach dem gleichen Kompass segelt. Mit wie vielen Leuten, mit welcher Art von Boot man unterwegs sein möchte oder muss – all das wird auf einer sekundären Ebene geklärt, und dafür gibt es meist mehrere Lösungen. Doch die gemeinsamen Werte müssen stimmen. FRAVI Das wirkt sich auch stark darauf aus, wie das Paar von anderen wahrgenommen wird. Für Mitarbeiter, aber auch für Aussenstehende, muss eine gemeinsame Strategie erkennbar sein. PLATTNER-GERBER Je deutlicher diese formuliert ist, desto besser kann man die Unterschiede bewältigen. Wertvorstellungen setzen die Leitplanken, innerhalb derer man die verschiedensten Menschen, Sprachen, Kulturen und Ideen zusammenbringen kann.
Auch hier stellt sich die Frage nach der SchriftGanz praktisch gefragt: Trägt man auch die ge-
form: Hält man Visionen, Ziele, Wertvorstellun-
meinsame Zeit in den Terminkalender ein?
gen als Paar schriftlich fest?
FRAVI Wir haben das früher nicht getan, sind aber mittlerweile dazu übergegangen. Gerade bei den grösseren Blöcken wie Ferien geht es nicht anders – sonst lässt man sie kommentarlos später beginnen, früher enden oder ganz ausfallen. Doch auch die kleinen Dinge, wie ein gemeinsames Abendessen oder eine Bergtour, tragen wir mittlerweile in die Agenda ein. Natürlich braucht es Raum für Spontaneität, doch eine Strukturierung hilft.
PLATTNER-GERBER Je näher man sich steht, desto disziplinierter muss man sich verhalten. Man merkt dies nicht nur bei Paaren, sondern beispielsweise auch bei Familienmitgliedern: Die Verletzlichkeit liegt bei engen Verhältnissen immer höher, die Befindlichkeiten sind höher. Umso mehr lohnt es sich, Abmachungen zu treffen und sie schriftlich festzuhalten. So schützt man die eigene Nähe und die Gefühle. FRAVI Man bewegt sich in zwei verschiedenen Systemen: dem Unternehmen und der Familie. Diese funktionieren nach verschiedenen Gesichtspunkten: Rentabilität und Zahlen gegenüber Emotionen und Gefühlen. Dies birgt Konfliktpotenzial, denn ein Verhalten, das sich in der Familie als richtig erweist, kann in der Firma
foto: ra2 studio / Fotolia
Sie haben die Bedeutung der gemeinsamen Ziele angesprochen. In der Einleitung zu Ihrem Buch weisen Sie aber darauf hin, dass es nicht funktioniert, den gleichen Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leisten zu wollen...
BLICKPUNKT KMU
Im Gespräch
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fehl am Platz sein. Deswegen hilft es, wenn die Verhältnisse klar und schriftlich festgelegt sind und man sich diese Paradoxie vergegenwärtigt.
Bettina Plattner-Gerber ... ... ist Dipl. Hotelière EHL, war bis 2010 mit ihrem Mann Richard Plattner als Hoteldirektorin tätig und kann auf langjährige Führungserfahrung im Partnerschafts-Tandem zurückgreifen. Heute unterstützen die beiden mit der Plattner & Plattner AG Tourismusunternehmen und andere KMU in der Entwicklung von Strategie und Führung und haben 2012 mit Alpine Lodging ein neues Konzept für Ferienwohnungen mit Dienstleistungen lanciert.
Sie gestatten einen Einspruch. Einem Arbeitskollegen kann man problemfrei sagen: «Sieh her, das haben wir so festgelegt, hier steht es schwarz auf weiss.» Hat man nicht gerade bei der Partnerin oder dem Partner Hemmungen, in eine Konfliktsituation diese Karte zu spielen? PLATTNER-GERBER Das ist nichts anderes als eine Abmachung. Mein Mann und ich gehen beispielsweise bei der Festlegung zukünftiger Preise so vor: Haben wir uns auf etwas geeinigt, halten wir es schriftlich fest und unterschreiben es beide, um später keine Diskussionen aufkommen zu lassen. Es gibt genügend anderen Zündstoff, so können wir wenigstens diesen Punkt entschärfen. FRAVI Was ein Paar genau festlegt, in welchen Bereichen solche schriftlichen Abmachungen Sinn ergeben, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Wichtig ist, dass man darüber spricht und sich einigt und so eine paarspezifische Lösung anstrebt. PLATTNER-GERBER Dieses Vorgehen zeugt auch von Professionalität. Gerade weil oft Gefühle ins Spiel kommen, neigt man dazu schneller nachzugeben, um den anderen nicht zu verletzten. Doch am Ende geht es darum, mit dem gemeinsamen Unternehmen Erfolg zu haben. Das gelingt nur dann, wenn man keine falschen Kompromisse eingeht, nur um es dem Partner recht zu machen.
www.plattnerundplattner.ch
gabenverteilung, die nicht dem klassischen Rollenverständnis entspricht: Sie ist an der Front und übernimmt alle Verhandlungen mit Banken oder Geschäftspartnern. Während das in ihrem eigentlichen, akademischen Umfeld kommentarlos hingenommen werde, stosse sie im reinen Business-Kontext immer wieder auf Irritationen. Das fand ich spannend. Frau Fravi, über Sie habe ich gelesen, dass Sie ein Unternehmen mit Ihrem Mann gegründet
Frau Plattner, Sie haben einige Jahre in Ameri-
haben, eben weil Sie gemeinsam mit ihm arbei-
ka verbracht. Die dortige Kultur, gerade in der
ten wollten. Ist das nicht eher aussergewöhnlich?
Arbeitswelt, unterscheidet sich von unserer.
Man würde doch vermuten, dass die meisten
Gilt dies auch, was Unternehmerpaare angeht?
Paare ein Unternehmen gründen, weil sich eine
Wir haben in den USA viel gelernt, vor allem bezüglich Unternehmensführung und Qualitätsmanagement. Es war auch das erste Mal, dass ich mit meinem Mann zusammengearbeitet habe. Doch ich kam frisch von der Hotelfachschule und wir waren beide nicht in Führungspositionen tätig, deswegen kann ich auf dieser Grundlage nicht beurteilen, ob Unternehmerpaare dort generell anders funktionieren. Wir haben für unser Buch ein amerikanisches Forscherpaar interviewt. Die Frau machte eine interessante Aussage zur Gender-Debatte. Die beiden haben eine Auf-
Geschäftsmöglichkeit ergibt – und nicht, weil
PLATTNER-GERBER
sie gemeinsam arbeiten möchten und dann erst nach einem geeigneten Betätigungsfeld suchen... FRAVI Sie haben Recht, für viele Paare entsteht das aus der Gelegenheit. Man erkennt einen Bedarf, und deshalb holt man den Partner oder die Partnerin ins Boot. Gerade in KMU dürfte dies oft geschehen. Zu meiner persönlichen Situation: Mein Mann und ich hatten seit 1986 gemeinsam ein Hotelunternehmen geführt. Als wir unsere Direktionsposition dort aufgaben, haben wir uns beruflich getrennt orientiert: Mein Mann ging in Richtung Treuhand und
«Die Frau muss nicht wie in einem üblichen Beschäftigungsverhältnis beweisen, dass sie trotz Kindern genug leistet.»
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... ist Psychologin, Dipl. Laufbahnberaterin und Systemtherapeutin i. A. Sie arbeitet in der eigenen Psychologie- und Businesspraxis für Erwachsene, Paare und KMU in Affoltern a. A. Zudem ist sie Mitinhaberin des Consultingunternehmens Fravi & Fravi AG, das sie seit 2001 mit ihrem Mann führt. 2010 publizierte sie zum Abschluss des Psychologiestudiums die Studie «Im Beruf und im Leben ein Paar. Ressourcen und Herausforderungen im privaten und beruflichen Beziehungsalltag – eine explorative Studie aus Sicht der Hotelfrau». www.liannefravi.ch
Fotos: Christof Seiler
Lianne Fravi ...
Consulting, während ich den Weg ins Human Resources einschlug. Nachdem wir uns beide spezialisiert hatten, kam die Erkenntnis, dass unsere komplementären Fähigkeiten in einem Beratungsunternehmen optimal zur Geltung kommen würden. PLATTNER-GERBER Der reine Nutzen, dass der Partner einen wichtigen Beitrag im Unternehmen leisten kann, spielt natürlich eine Rolle. Doch viele Paare sind sich bewusst, dass der Lebenspartner eben auch einen besonders loyalen Geschäftspartner darstellt. Im Mindesten sehen die Paare darin einen grossen Zusatznutzen, wenn nicht sogar den Hauptgrund für die gemeinsame Arbeit. Selbst in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bringt dies einen Vorteil: Man hat ein gemeinsames Ziel, auf das man hinarbeitet. Die Frau muss nicht wie in einem üblichen Beschäftigungsverhältnis beweisen, dass sie trotz Kindern genug leistet. Schliesslich hat sie jemanden an ihrer Seite, der ebenfalls das Beste für die Familie und das Unternehmen möchte.
Im Gespräch FRAVI Dennoch muss man sagen: Es gibt viele Paare, die sich gar nicht vorstellen könnten, gemeinsam ein Unternehmen zu führen, denn auch wenn eine solche Zusammenarbeit grosse Vorteile bringen kann, ist sie nicht für jedes Paar geeignet.
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die Zeiten ändern sich, heute entspricht es wieder dem Zeitgeist, wenn Paare gemeinsam ein Unternehmen führen. Ob sich dadurch in der Praxis viel verändert, ob es leichter oder schwieriger wird, kann ich kaum sagen. Beim Beispiel der Grossfamilie auf dem Bauern-
Welchen Unterschied macht es für Mitarbeiten-
hof handelte es sich meist um keine Entschei-
de, wenn das Unternehmen von einem Paar ge-
dung, sondern eine Notwendigkeit. Heute be-
führt wird?
stimmen Paare selbst, ob sie gemeinsam ein
Wir wissen, dass der Mensch grundsätzlich durch Beobachten lernt. Das Vorbild bleibt nach wie vor das beste Führungsinstrument. Visionen aufzuschreiben oder zu verkünden bringt überhaupt nichts, wenn man sie nicht selbst vorlebt. Natürlich ist ein Paare in diesem Zusammenhang ebenso sehr gefordert wie jede Führungsperson. Doch wenn es diese Vorbildfunktion übernimmt, wirkt es bei einem Paar noch ein wenig stärker als bei einer Einzelperson. Das liegt auch daran, dass ein Paar mehr unter Beobachtung steht: Der Beziehungsaspekt löst eine gewisse Neugier bei den Mitarbeitern aus. Deswegen ist Disziplin hier besonders wichtig. FRAVI Es besteht sehr wohl die Gefahr, dass Mitarbeiter fehlende Disziplin in diesem Zusammenhang erkennen und versucht sind, dies auszunützen indem das Paar bewusst gegeneinander ausgespielt wird. Bekommt man den freien Tag von einem Partner nicht genehmigt, fragt man auch noch den anderen.
Unter-nehmen führen möchten.
Doch diese Situation entsteht immer, wenn zwei Menschen gemeinsam ein Unternehmen führen, nicht nur bei Paaren. FRAVI Das ist richtig, und Paare befinden sich wieder insofern im Vorteil, als sie vielleicht etwas dichter stehen können und solche Situationen leichter auch durch kurze Kommunikationswege klären können.
Hat sich in der Situation für Unternehmerpaare im Laufe der Geschichte etwas verändert? PLATTNER-GERBER Eigentlich handelt es sich dabei um ein sehr altmodisches Lebensmodell. Die Urform des Zusammenlebens finden wir in der Grossfamilie auf dem Bauernhof. Der modernere Ansatz ist es, alleine zu arbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zuge des Wirtschaftswunders, wurden die Menschen sehr viel individueller und einsamer. Doch
Auch in Familienunternehmen trauen sich Kinder heute eher, einen anderen Weg einzuschlagen. Was für die Unternehmen durchaus positiv sein kann, denn wie gut kann es einem Betrieb gehen, wenn die designierte Führungspersönlichkeit unglücklich ist, weil sie viel lieber einen völlig anderen Weg eingeschlagen hätte? FRAVI
Was kann man von Unternehmerpaaren lernen? PLATTNER-GERBER Eine Voraussetzung für den Erfolg eines Führungspaars ist eine hohe Kompromissbereitschaft und Teamfähigkeit, man darf sich nicht profilieren wollen. Wenn sich einer gegenüber dem anderen in den Vordergrund drängt, wird es sehr schwierig. Hieraus könnten alle Führungskräfte etwas vom Verhalten der Unternehmerpaare für sich ableiten. FRAVI Einer grosser Vorteil der Unternehmerpaare besteht darin, dass Mann und Frau sich sozusagen gegenseitig coachen, und das fortlaufend. Eine einzelne Führungskraft hat dieses Gegenüber nicht. Dies heisst nicht, dass es den Blick von aussen nicht braucht. Aufgrund unserer Erfahrung als und mit Unternehmerpaaren rate ich Unternehmern dazu, sich einen Sparringpartner zu suchen. Man kann den Wert eines solchen Austausches gar nicht überschätzen. PLATTNER-GERBER Umgekehrt ist das gemeinsame Unternehmen längst nicht das ultimative Glücksrezept für Paare. Es gibt genügend gute Gründe, weshalb manche Paare nicht gemeinsam arbeiten können oder wollen, ganz unabhängig davon, wie es in der Beziehung läuft. Doch wenn diese beiden Faktoren zusammenkommen – eine gesunde Beziehung und ein gemeinsames Unternehmen – halte ich das für die denkbar beste Konstellation. Auch weil Führungspaare Probleme schneller anpacken, ganz einfach weil ihnen nichts anderes übrig bleibt.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch! ●
«Wenn Paare Unternehmen führen. Ein Handbuch» Lianne Fravi und Bettina Plattner-Gerber Kösel-Verlag, München 978-3-466-30964-1 EVP: CHF 40.90
BLICKPUNKT KMU
Foto: ZVG
PLATTNER-GERBER
«Das gemeinsame Unternehmen ist nicht für alle Paare das ultimative Glücksrezept.»
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Schweissarbeit
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M
ontag, 9 Uhr morgens, ich sitze am Schreibtisch. Der Beginn einer völlig gewöhnlichen Arbeitswoche. Und doch kein völlig gewöhnlicher Beginn einer Arbeitswoche. Unser Team hat sich als äusserst kreativ erwiesen und mir einen Termin für ein Tagespraktikum in einer Bäckerei organisiert. Deswegen bin ich seit 1 Uhr 30 heute Nacht auf den Beinen. Doch angefangen hat diese aktuelle Schweissarbeit bereits gestern Abend mit der Suche nach der besten «Schlaftaktik». Gefunden habe ich sie jedenfalls nicht. Um 20 Uhr 30 Uhr wollte ich zu Bett gehen, aber mein Körper hatte andere Pläne. Mal fünf Minuten eingedöst, dann wieder aufgewacht – doch am Ende gelang es mir immerhin, fast eineinhalb Stunden am Stück zu schlafen. Als um 1 Uhr 30 Uhr der Wecker klingelte, war mir schnell klar, dass dies keine ganz einfache Nacht werden sollte. Auch die
Um 20 Uhr 30 wollte ich zu Bett gehen, aber mein Körper hatte andere Pläne.
Taxi-Zentrale machte es nicht besser: Die Frage «Und es geht zum Flughafen?» kam nicht nur aufgrund ihrer Satzstellung eher als Aussage daher. Entsprechend stiess mein Widerspruch auf Verwunderung, die Angabe meines Fahrtziels («Basel, Clarastrasse») auf ein wissendes «Ach so!». Wer an einem frühen Montagmorgen um diese Uhrzeit in diese Ecke der Stadt unterwegs ist, sucht für gewöhnlich eher... nennen wir es: Unterhaltung für Erwachsene. Für Richtigstellungen war ich aber einfach zu müde. All diesen Umständen zum Trotz traf ich pünktlich um halb drei bei der Bäckerei Schneider ein. Mein Lehrmeister Felix Burkhardt empfing mich ohne grosse Umschweife mit der ersten Aufgabe: Aus Teig Grättimänner formen. Das hatte ich im Griff. Auch mein nächster Job ging recht locker von der Hand: Birchermüesli mit Früchten garnieren. Und schon durfte ich beim Vorzeigeprodukt des Unternehmens mithelfen – bei den Basler «Sunnereedli». Genau genommen ging es nur darum, die vorgefertigten und vorgestanzten Teigteilchen in die richtige Form zu ziehen und auf Backblechen anzuordnen. Nach ein klein wenig Übung gelang das auch recht ordentlich. Nur während sich bisher bei allen meinen Aufgaben so etwas wie ein Lernerfolg einstellte, geschah heute Nacht das genaue Gegenteil. Je mehr Bleche ich füllte, desto müder wurde ich und desto mehr liessen die motorischen und kognitiven Fähigkeiten nach. Bis ich schliesslich ernsthaft Mühe hatte, die elf Reihen «Sunnereedli» abzuzählen, die auf einem Blech Platz finden. Jetzt sitze ich also am Schreibtisch und bin versucht, Ihnen diesen Text zu präsentieren, ohne ihn vorher in die Korrektur zu schicken, damit Sie sich ein Bild machen können, wie gravierend sich der Schlafmangel gerade bemerkbar macht.Gerne hätte ich einen Kaffee. Doch ich möchte nicht, dass mich irgendwer zur Maschine laufen sieht. Ich bin mir nämlich relativ sicher: Ich torkle ein wenig. ● BLICKPUNKT KMU
Fotos: ZVG
Wo bitte bleibt das Serotonin?
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Finanzierungen
«Wer zukunftsgerichtete Lösungen anbietet, erwartet das auch von seiner Bank.» Marcel Bauckhage, Walter Meier AG
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Für Marcel Bauckhage, Head of Treasury, ist die Zürcher Kantonalbank mit gutem Grund erste Wahl. Die AAA-Bank ist für sein international tätiges Unternehmen dank nachhaltigem Handeln und umfassendem Dienstleistungsangebot die richtige Adresse.