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GERALD HÜTHER, ROBERT BURDY

Navi

FÜR DIE INFORMATIONS FLUT

ZWEI EXPERTEN mit unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen haben sich einem Thema gewidmet, das uns alle betrifft: Das Informationszeitalter zeigt sich für viele von uns als ein Zeitalter der Verwirrung, Überforderung und Angstverbreitung. Stellt sich schlicht die Frage, wie wir einen gesunden Umgang mit der Flut an Informationen finden, um ein friedvolles und glückliches Leben führen zu können, ohne auf die unbestrittenen Vorteile der digitalen Verfügbarkeit verzichten zu müssen.

Gerald Hüther, Robert Burdy Wir informieren uns zu Tode Herder | 240 S. | 22,– € O P 220 Lesepunkte Auch als eBook | Hörbuch

EXKLUSIV | INTERVIEW

ORIENTIERUNG im Zeitalter der Verwirrung, das ist der Ansatz von Gerald Hüther, Neurobiologe und Verfasser zahlreicher Bücher, sowie Robert Burdy, Moderator und Journalist. Beide können dem Plus an Information sowie der freien Zugänglichkeit für alle durchaus Gutes attestieren, befürchten jedoch, dass wir Menschen allzu leicht Opfer von Manipulation und Überreizung werden. Dennoch sind beide Autoren zuversichtlich: Wer die Stolperfallen kennt, kann ihnen geschickt ausweichen!

T Was macht das Informa-

tionszeitalter zugleich zum Segen und Fluch?

RB: Das Informationszeitalter bietet uns einen unglaublichen Reichtum an Wissen, an Daten und auch an Geschichten, die unser Leben verstehbarer, erklärbarer und interessanter machen. GH: Zum Fluch werden die digitalen Medien dann, wenn wir ohne ihre Hilfe nicht mehr auskommen.

T Was passiert mit uns seit

Einführung der dauerhaften Erreichbarkeit?

GH: Wenn alles immer schneller geht, werden die Menschen zu Getriebenen, die nichts verpassen wollen. Und wenn alles immer perfekter funktioniert, wird das perfekte Funktionieren zum Leitbild für die eigene Lebensgestaltung. Beides macht auf Dauer krank.

T Ihr Buchtitel ist nicht zu-

letzt eine Anspielung auf Neil Postman und seinen Klassiker „Wir amüsieren uns zu Tode“. Was verbinden Sie mit ihm?

RB: Was uns verbindet – und so sind wir auch auf den Titel gekommen – ist die Warnung vor epochalen und gefährlichen Entwicklungen in unserer zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Kommunikation.

T Wie würden Sie das Thema

Ihres Buches auf den Punkt bringen?

RB:Die Menge der gegenwärtig angebotenen Informationen überflutet unsere Gehirne. Jeder von uns entscheidet, welches Angebot er oder sie annimmt. Wir müssen und können raus aus der permanenten Bedürftigkeit, uns alles erklären zu wollen. GH: Wir wollen den Leserinnen und Lesern dieses Buches helfen, besser als bisher zu verstehen, wodurch diese Informationsflut ausgelöst wird und welche Folgen sie hat. Und vor allem: Dass ihr niemand hilflos ausgeliefert ist. Dass es möglich ist, Dämme zu bauen, die uns davor schützen.

T Der technische Fortschritt

ist rasant. Aber wie steht es um die Evolution, wie kommt unser Gehirn mit, Herr Hüther?

GH: Wenn es immer schneller gehen soll, muss es immer flacher werden. Das wissen schon die Bootsbauer. Wir Menschen verdanken unser zeitlebens lernfähiges Gehirn aber einer evolutionären Erfindung, die so gar nicht in diese hektische Zeit passt: Verlangsamung. Je langsamer es sich formiert, desto differenzierter kann es sich ausbilden. Wenn es schnell gehen muss, kann das, was möglich wäre, also auch das Vernetzungspotential im Gehirn, nicht entfaltet werden. Dann kommt es zu dem, was wir bei Pflanzen als „Notreife“ bezeichnen. Wenn unser Buch zur Wiederentdeckung der Bedeutung von Langsamkeit und Muße führt, wäre das eine wichtige evolutionäre Kurskorrektur.

„Wiederentdeckung der Bedeutung von Langsamk eit und Muße.“

Liebert © Michael Gerald Hüther T Mit der Anzahl an Informationskanälen

steigt die Qual der Wahl. Welche Gefahren bringt diese Entwicklung mit sich, Herr Burdy?

RB: Wir bewegen uns zunehmend in Richtung individualisierter Wahrnehmungswelten. Das macht Kommunikation zwischenmenschlich und in der Gesellschaft immer schwieriger. Die Qual beginnt aber nicht mit der Wahl. Gezielte Auswahl wäre gut. Die Qual kommt vom unreflektierten Konsum von vermeintlichen Informationen. Übermäßige informationsaufnahme führt wie übermäßige Nahrungsaufnahme zu Verstopfung und Verfettung.

T Ob Pandemie oder Putins Krieg: Je bri-

santer die Lage, desto mehr Schreckensmeldungen sind wir ausgesetzt. Welche Folgen hat das?

RB:Wir verfallen dem „Bad-World-Syndrom“. Durch die Flut negativer Nachrichten bekommen wir den Eindruck, die Menschen und die Welt seien schlecht. Das ist aber nicht so. GH: Wenn ein Mensch in seinem Gehirn ständig mit Schreckensmeldungen bombardiert wird, findet es dafür irgendwann auch eine Lösung: Es schaltet ab, hört nicht mehr zu und schaut nicht mehr hin. Resignation und Gleichgültigkeit sind die fatalen Folgen.

T Was ist Ihr persönlicher Rettungsanker? RB: Ich versuche, einen guten Teil meines Tages mit Tätigkeiten zu verbringen, die mich nicht zum Bedürftigen machen … GH: Und ich versuche mich immer wieder daran zu erinnern, was mir im Leben wirklich wichtig ist. Und das mache ich dann auch, so oft es geht. Zum Beispiel draußen in der Natur zu sein.

Grube Christian © Robert Burdy

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