Louise Guerra "Lecture"

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LECTURE, 25.3.2014, Master-Symposium Basel (aktualisiert nach Seminarabschluss) zum Seminar Figuren der Gemeinschaft - Kollektive Praxis zwischen Kunst und Politik von LOUISE GUERRA

Im Seminar Figuren der Gemeinschaft werden verschiedene Figuren der Gemeinschaft in der Kunst angeschaut und auf ihre künstlerische und politische Verortung und Wirksamkeit hin befragt. Dazu befassen wir uns mit verschiedenen philosophischen Positionen und versuchen ihr Denken mit der kollektiven Praxis zu verknüpfen. Zentral ist die Frage nach einer Handlungsfähigkeit heute. Was bedeutet unser Handeln? Wie verortet sich eine künstlerische Praxis im Gesellschaftlichen und damit im Politischen? Gemäss dem Seminar beleuchten wir im Folgenden verschiedene Figuren von kollektiver Praxis sowie Zustände der Transformation; Formen des Umdenkens in Praxis und Theorie. Louise Guerra erschafft Räume, in denen verschiedene Formen der Aktion und verschiedene Konstellationen von Handelnden aufeinandertreffen; Louise ist also ein Ort, an dem viele handeln können, gemeinsam; in Theorie und Praxis. Sie tritt zwar als Einzelkünstlerin in Erscheinung, wirksam sind dahinter aber mehrere. Louise Guerra befragt in ihrer Konstitution das Künstlersubjekt. Wir erwähnen dies, weil Louise ein wesentlicher Teil der Ausgangslage des Seminars ist. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Seminars ist der Tisch, an welchem die Seminare stattfinden. Dieser ist eine Arbeit von Louise; die Tischplatte aus Lindenholz wird während den Seminarsitzungen von allen Anwesenden die dies möchten beiläufig bearbeitet. Damit wird kollektiv ein Holzschnitt erarbeitet, der zugleich Dokumentation des Seminars ist. Louise also, ein Ort der Kommunikation könnte sie auch genannt werden, beinhaltet Widersprüche in ihrer Konstitution. Damit will sie aber weder aufzeigen wie vielfältig die Welt ist, noch will sie neutralisieren, indem sie Verschiedenes nebeneinander gleichwertig präsentiert. Die Form der Demokratie ist die Form der Dummheit (Deleuze). Es geht Louise vielmehr darum, Möglichkeiten und Konfrontationsplätze zu erschaffen, welche Kritik formulieren und denken. Felix Gonzales-Torres, Künstler und Lehrer, zeitweise Teil von Group Material (auf welche wir später noch zu sprechen kommen), begreift seine Lehrtätigkeit als Bestandteil seiner (künstlerischen) Arbeit. „Teaching for me is a form of cultural activism, a form of creative change at a very basic level. ... As a student you always got these teachers telling you what is right and what is wrong without any doubt or questioning. I want my students to learn the tools of critical thought and always doubt, to learn how to doubt themselves and to be self-critical.“ Und weiter sagt er: „I also make very clear to them (the students) that they should not trust me – I’m not the voice of authority.“ Kommen wir zum Programm des Seminars. Wir starten mit der Sitzung vom 29.3. und blicken dann weiter zurück. Roberto Nigro war zu Gast und der Text „Der Mut zur Wahrheit“ von


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Michel Foucault war zentral; wir beginnen mit einem Zitat: „Wenn sie (die Kunst) die Form des wahren Lebens aufweist, ist das Leben seinerseits die Garantie dafür, dass jedes Werk, das in ihm wurzelt und aus ihm entsteht, der Dynastie und dem Reich der Kunst zugehört. Ich glaube also, dass diese Vorstellung vom Leben des Künstlers als Bedingung des Kunstwerks, als Beglaubigung des Kunstwerks, als Kunstwerk selbst eine bestimmte Weise ist, unter einem anderen Blickwinkel, unter einer anderen Perspektive und natürlich auch in anderer Form jenes kynische Prinzip des Lebens als Offenbarung des skandalösen Bruchs aufzufassen, wodurch die Wahrheit ans Licht kommt, sich offenbart und Gestalt annimmt.“ Inwiefern ist die Lebensform des Künstlers ausschlaggebend für sein Kunstschaffen? Manifestiert sich in seiner Haltung, in seinem Denken und Handeln etwas, das als Grundbedingung für jedes Werk gilt, das daraus entsteht? Den Begriff der Lebensformen aufnehmend, welcher Foucault in seinem Text verwendet, um das Ineinandergreifen von Metaphysik und Lebensform historisch zu erörtern, sind wir an eben diesem Phänomen interessiert; wie entwickeln Lebensformen ihre eigene Ästhetik, wie sind Lebensformen durch Philosophien geformt und wie ändern sich diese Korrelationen, je nachdem wie ein Subjekt oder eine Gemeinschaft gedacht wird? Die Beziehung von Ästhetik, Politik und Gemeinschaft lässt sich auch mit Rancière untersuchen, der in „die Aufteilung des Sinnlichen“ die Ästhetik folgendermassen bestimmt: „Ästhetik ist weder eine allgemeine Kunsttheorie noch eine Theorie, die die Kunst durch ihre Wirkungen auf die Sinne definiert, sondern eine spezifische Ordnung des Identifizierens und Denkens von Kunst. Ästhetik ist eine Weise, in der sich Tätigkeitsformen, die Modi, in denen diese sichtbar werden, und die Arten, wie sich die Beziehung zwischen beiden Denken lässt, artikulieren, was eine bestimmte Vorstellung von der Wirksamkeit des Denkens impliziert.“ Weiter schreibt Rancière: „..erst auf der Basis dieser ursprünglichen Ästhetik lässt sich die Frage nach den „ästhetischen Praktiken“ im üblichen Sinne stellen, das heisst nach den Formen der Sichtbarkeit künstlerischer Praktiken, nach dem Ort, den sie einnehmen, und danach, was sie im Hinblick auf das Gemeinsame „tun“. Für uns bedeutet dies, das die „künstlerische Produktion oder Praxis“ immer eine Ästhetik in sich birgt, welche bestimmt wird von der Lebensform, aus der sie wächst, welche wiederum diktiert ist von der Strukturierung des sozialen Raumes. So gedacht, ist Kunst immer politisch, ob sie will oder nicht. Ranciére dazu;„Die Unterteilung der Zeiten und Räume, des Sichtbaren und Unsichtbaren, der Rede und des Lärms geben zugleich den Ort und den Gegenstand der Politik als Erfahrung vor. Die Politik bestimmt, was man sieht und was man darüber sagen kann, sie legt fest, wer fähig ist, etwas zu sehen und wer qualifiziert ist, etwas zu sagen, sie wirkt sich auf die Eigenschaften der Räume und die der Zeit innewohnenden Möglichkeiten aus.“ Die Politik, so Rancière, legt also fest, wer fähig ist, etwas zu sehen und wer qualifiziert ist etwas zu sagen. Zanele Muholi, welche sich selbst als „visuelle Aktivistin“ bezeichnet, zeigt diese Unterteilungen in ihrer Arbeit auf markante Weise auf. In ihrer fotografischen Arbeit dokumentiert sie die südafrikanische schwarze Lesbenszene in intimen Portraits. Sie selbst ist Teil der Szene und zugleich Dokumentierende. Die Sichtbarmachung dieser von der Öffentlichkeit verbannten Realitäten und Leben ist für sie ein politischer Akt und eine notwendige


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Massnahme in Anbetracht der Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zu den sogenannten „Korrekturvergewaltigungen“, von welchen diese Frauen betroffen sind. Im Seminar haben wir einen Film von Zanele Muholi sowie die kleine Fotoausstellung, welche im Rahmen der Filmvorführung im neuen Kino stattfand, angeschaut. In Ihrem Essay „Mapping our histories: a visual history of black lesbians in post-apartheid South Africa“, schreibt Zanele Muholi: „...without a visual identity we are left without support, community and a movement.“ Diese Notwendigkeit von visueller Identität und Geschichte im Hinblick auf eine Gemeinschaftsbildung ist hier eine offensichtliche Dringlichkeit. Was die Einbindung dieser Kunst oder dieses visuellen Aktivismus ins internationale Kunstsystem bedeutet und wie damit umzugehen ist, war Teil unserer Diskussionen im Seminar. Wir sehen uns konfrontiert mit dem wachsenden Interesse an kritischer Kunst und der Vermarktbarkeit von Widerstand und so haben die Bilder von Zanele Muholi an der Documenta womöglich eine andere Wirksamkeit und Bedeutung als in den Townships von Johannesburg. Dass also die Kontexte, in welchen die Arbeiten gezeigt werden, eine Verschiebung der Inhalte selbst mit sich bringen, ist für uns offensichtlich. Dass der Umgang mit diesen Widersprüchen schwierig einer Wertung unterzogen werden kann, ebenso. Geknüpft an die Arbeit von Zanele Muholi und die Pussy Riot-Dokumentation „Pussy Riot-a punk prayer“ haben wir über die Figur der Parrhesia gesprochen. Parrhesia, erklärt Foucault, bedeutet „Alles zu sagen, die Wahrheit zu sagen, ohne etwas zu verbergen, ohne sie durch was auch immer zu verschleiern.“ Damit es sich um Parrhesia handelt, muss der Parrhesiast im Moment des Wahrsprechens sich selbst gefährden durch seine Offenheit. Er kann dies jedoch nicht wählen, da er es als seine Pflicht betrachtet, die Wahrheit zu sprechen. Pussy Riot und Zanele Muholi begeben sich durch ihre Aktivitäten oder nur schon Lebensformen in eine Situation, in welcher sie persönlich gefährdet sind. Trotzdem scheint das Aussprechen und Aufzeigen ihrer “Wahrheiten” ihnen in diesem Moment von solcher Wichtigkeit, dass dieses Risiko eingegangen werden muss. Wenn die Haltungen oder eben Lebensformen einer solchen Wahrsprechung bedingen, so könnten wir behaupten, dass diese zeitgenössische Formen von Parrhesia annehmen. Obwohl Foucault die parrhesiastische Modalität in der Moderne als verschwunden betrachtet und sagt, es gäbe sie nur noch in Beziehung mit anderen Formen des Wahrsprechens, sagt er jedoch auch; „...wenn der revolutionäre Diskurs die Form einer Kritik der bestehenden Gesellschaft annimmt, spielt er die Rolle eines parrhesiastischen Diskurses.“ Ein weiterer solcher Diskurs, dem wir uns kurz zur Einführung ins Seminar gewidmet haben, ist die Situationistische Internationale, welche oft als die letzte Avantgarde bezeichnet wird. Die Situationisten sind in einem Diskurs über Politik und Kunst schwer zu umgehen, ihre Kritik an der Gesellschaft des Spektakels und ihre Abschaffung der Kunst zugunsten von Situationen ist weiterhin ein relevanter Bezugspunkt. So Eiko Grimberg über die SI: „Nicht die künstlerische Äusserung des Einzelnen zählt, sondern die soziale Konstruktion von Situationen, die nicht auf Kunst, sondern das Leben zielt.“ In den Ansätzen der SI, welche so verschiedenartig waren wie es ständig wechselnde Mitglieder gab, ist jenseits der Kritik am Spektakel und


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der Kunstproduktion als Warenproduktion auch schon früh eine Kritik an der Urbanisierung zustande gekommen, welche auch als Kritik an der Architektur im Sinne einer Aufteilung des Sinnlichen wahrgenommen werden kann. Spannend ist in Bezug auf die SI natürlich auch ihr Anspruch, eine internationale Gemeinschaft oder Bewegung zu begründen, welche jedoch durch autoritäre Ausschlussmechanismen, welche vorwiegend von einer Minderheit durchgesetzt wurden, gezeichnet war. Weiter möchten wir hier gar nicht auf die SI eingehen, da es sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. In Bezug auf das Seminar ist für uns spannend, wie die SI die Zusammenführung von Kunst und Leben als revolutionäre Praxis gedacht hat, welche Formen von Gemeinschaft sie selbst geformt hat, und wie sie über ihre eigene Organisation hinaus einen grösseren Einfluss auf die Ereignisse des Mai `68 und der Studentenbewegung gehabt hat. Mit Group Material beleuchteten wir ein weiteres historisches Beispiel für eine kollektive Struktur. Group Material war ein Künstler- und Kuratorenkollektiv aus New York, das sich Ende der 70er Jahre formierte und Projekte organisierte, die der sozialen Kommunikation und dem politischen Wandel gewidmet waren. Doug Ashford, ein Mitglied von GM, formulierte einst: “Das Ziel von GM ist eine Visualisierung des demokratischen Prozesses.” Und weiter: “In anderen Worten, die Form unseres Kunstschaffens resultierte aus unserer Verbundenheit mit Formen politischer Arbeit, in die wir involviert waren: als ArbeiterInnen, als OrganisatorInnen von Arbeit, als LehrerInnen an öffentlichen Schulen, als FreundInnen. Unsere Formen des Ausstellens und der öffentlichen Praxis spiegelten das Bedürfnis, eine dynamische Situation zu erfinden, einen planvoll entworfenen Moment des Nachdenkens, der Diskussionen einschloss und Dissens sichtbar machte.” Für uns interessant ist Group Materials Praxis im Sinne einer Strukturbildung. Group Material glaubte an die Inklusion. Jede Ausstellung war ein Zusammenbringen von vielen Stimmen und Meinungen und so eine Art Demokratiemodell im Sinne von Vielstimmigkeit. Ihre Ausstellungen und Projekte waren Displays, die verschiedenste Perspektiven repräsentierten und demokratische Prozesse ermöglichten. Sogenannte Kunstobjekte wurden zusammengebracht mit Objekten vom Supermarkt, mit Artefakten der Massenkultur und historischen Objekten, mit Dokumentationen von Fakten und selbstgemachten Dingen. Group Material beabsichtigte nicht eine definitive Aussage zu machen, sondern wollte vielmehr Situationen schaffen, die eine von ihnen gewählte Thematik komplex und umfangreich zeigte. Sowohl die Methode der Partizipation als auch die der Vermittlung sind in unseren Untersuchungen wiederkehrend; sowohl bei Group Material als auch bei Zanele Muholi, die darüber folgende Aussage macht: “In 2004, I also initiated the first Photo XP photo experience classes designed to encourage young black lesbians in my community to document their own lives and histories. I believe that not only could I not document a collective history on my own, but that I should not be the only black lesbian to create what is a collective experience of us for us. I believe many different voices are needed in order to effect real social and cultural change at the grassroots.” Nach Group Material und den Situationnisten befassten wir uns mit zwei weiteren Künstler-


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gruppen, Claire Fontaine und Tucumàn Arde. Claire Fontaine behauptet, dass in der Kunstwelt nichts mehr entstehen kann, was es nicht schon gab, und sie führt uns in ihren Texten durch den intellektuellen Kunst- und Philosophiediskurs des letzten Jahrhunderts. Hier eine der Äusserungen von Claire Fontaine: „Contemporary artists have the same demands as everybody else: to live an exciting life in which encounters, the everyday, and subsistence are linked in a way that makes sense. They don’t need to be sponsored by the very same multinationals that ruin their life, they don’t need to take up residencies all over the world where nobody loves them and they have nothing to do with their days but tourism. All they need is a world liberated from the social relations and objects generated by capital.“ In diesem Sinne befragt Claire Fontaine die Grundlage des Künstlertums und -subjekts selbst, um schlussendlich beim human strike, der Verweigerung jeglicher Produktion und der Konstituierung von neuen sozialen Beziehungen zu landen. Die Arbeiten, welche aus diesen Reflexionen entstehen sind nicht selten voll von kunsthistorischen und -theoretischen Referenzen. Claire Fontaines Haltung gegenüber dem Kunstmarkt ist äusserst affin und man kann wohl behaupten dass die Mischung aus intellektueller Analyse, präzis-referentiellen Werken und politischen Statements in der internationalen Kunstwelt euphorisch aufgenommen wurde. Im Zusammenhang mit unserer Untersuchung ist es spannend, diese Künstlergruppe zu studieren, unter anderem, da sie sich stark mit der Verschränkung von Politik, Kunst und Künstlersubjekt-oder Gemeinschaft auseinandersetzt, sich jedoch entschieden von einem Aktivismus lossagt. Claire Fontaine haben wir dementsprechend mit einer entgegengesetzten Haltung verglichen, und zwar mit der von Tucumàn Arde. Tucumàn Arde hiess eine Ausstellung, welche in Argentinien 1968 von der Grupo de Arde de Vanguardia organisiert wurde. Tucumàn Arde bedeutet Tucuman brennt und war eine Analyse der Situation in Tucumàn, einer Provinz, welche stark von den neoliberalen Umstrukturierungen dieser Zeit betroffen war. Die Künstlerinnengruppe untersuchte in mehreren Reisen in die Provinz die soziale und wirtschaftliche Situation und präsentierte ihre Forschung schlussendlich in einer Ausstellung, welche im Gewerkschaftshaus stattfand. Die Grupo de Arde de Vanguardia war eine Gruppe, welche sich von der elitären Kunst lossagte und einen klassenkämpferischen Standpunkt einnahm. So sagen sie in der Erklärung von Buenos Aires: “Wir möchten die Worte, die dramatische Aktion, die Bilder zurückholen an die Orte, an denen sie eine revolutionäre Rolle erfüllen können, wo sie nützlich sind, wo sie sich in “Waffen für den Kampf” verwandeln. Kunst ist alles, was mobilisiert, und agitiert. Kunst ist das, was radikal diese Art des Lebens negiert und sagt; machen wir etwas, um es zu ändern.” Die Gruppe de Arde de Vanguardia löste sich nach der Ausstellung Tucumàn Arde auf. Alle Mitglieder verpflichteten sich dazu, nie wieder an Ausstellungen in Kunstgallerien, Museen oder an Preis-und Stipendienvergaben teilzunehmen. Diese Abmachung wurde mit aller Konsequenz eingehalten. Einige der Mitglieder traten später dem bewaffneten Kampf gegen die Militärdiktatur bei. In einer weiteren Sitzung haben wir zusammen mit Tyna Fritschy über den Begriff der Gemeinschaft diskutiert und Auszüge aus “Singulär Plural sein” von Jean-Luc Nancy gelesen. In


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seinem Text erläutert Jean-Luc Nancy das Wesen des Seins als “Mit-Sein”, was bedeutet, dass die Grundlage der Existenz eine Ko-Existenz ist. Diese grundlegende Disposition erklärt er auch so: “…Nicht “Wir” sagen zu können, ist das, was jedes –individuelle und kollektive- “Ich” in den Wahnsinn treibt, wo es ebenfalls nicht mehr “ich” sagen kann. “Wir” sagen zu wollen, hat nichts Sentimentales, nicht Familiäres und auch nichts “Kommunitaristisches” an sich. Hier fordert die Existenz, was ihr zukommt, oder ihre Bedingung: die Ko-Existenz.” In diesem Sinne haben wir die Gemeinschaft einmal nicht als zu Erschaffende, sondern als ohnehin Vorhandene und zu Verwirklichende begriffen. Wir haben unseren Schnitztisch mit ins Freie genommen und kamen mittels der Schilderungen von Tyna Fritschy auf die Erfahrungen der Anwesenden mit Kollektivität und Gemeinschaft zu sprechen. Es war spannend, die Anwendungen und Verknüpfungen dieser Begriffe in Bezug auf verschiedene Generationen und deren Erfahrungen zu diskutieren. Nicht zuletzt erzählte Tyna von ihrer Arbeit an den Begriffen der Ekstase und der Intersubjektivität. Inwiefern sich Gemeinschaft anhand dieser Begrifflichkeiten neu, und nicht auf der Grundannahme des abgeschlossenen Subjekts denken liesse, war eines ihrer Anliegen. Somit kamen wir in dieser Sitzung dazu den schwierigen Gemeinschaftsbegriff ein wenig unter die Lupe zu nehmen und zeitgenössische Entwürfe davon zu betrachten. Nach diesem Exkurs haben wir die Ausstellung Heiri Strub und Louise Guerra im Kaskadenkondensator besucht. Dort haben wir mit Chris Regn über die Ausstellung und einige von ihr gezeigte Videoarbeiten diskutiert. Heiri Strub war drei Tage vor der Ausstellungseröffnung 97-jährig gestorben. In seinem langen Leben war er als Grafiker, Illustrator, Plakatgestalter und Kunstmaler tätig und er war politisch engagierter Kommunist. In seinen Arbeiten ist oft seine politische Haltung und das Aufzeigen der gesellschaftlichen Realität, welche er mit der Politik zu ändern hoffte, Thema. Louise Guerra zeigte in der Ausstellung den Schnitztisch, welcher während dem Seminar entstanden ist. Ausserdem gab es von ihr Installationen zu sehen, welche sich zwischen Sitzgelegenheit und Skulptur bewegten. An einem Abend fand im Rahmen der Ausstellung fand eine Diskussionsveranstaltung statt, welche künstlerisch-politische Akteure aus verschiedenen Generationen vereinte und die Frage nach den Formen von Widerstand und Kunst in verschiedene historische Kontexte stellte. Am letzten Seminartag wäre die Antikulti Atelier Gruppe mit einem Workshop zu Gast gekommen. Jedoch hatte sich die Gruppe kurz vorher aufgelöst. Wir diskutierten also in Abwesenheit der Gruppe anhand eines Artikels über sie und des von ihnen produzierten Videos „Was ist Freiheit? Was bedeutet es, dafür zu kämpfen?“ über ihre Arbeit. Es entstand ein Gespräch über Schwierigkeiten der Zusammenarbeit allgemein sowie über die spezifische Thematik dieser Gruppe. Der Artikel „Flüchtlinge als Stoff für Kunstprojekte“, welches in der Papierlosenzeitung veröffentlicht wurde, gab uns Einblick in ihre Diskussionen über die Position des „Flüchtlings“ und ihre gemeinsame Arbeit. Wer wann befähigt ist, oder wird, oder sich selbst ermächtigt, Kunst zu machen, war einer der Gesprächspunkte. Die Gruppe versuchte in ihrer Praxis eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, welche sie nicht in „Flüchtlinge“ und „Schweizer“ oder „Deutsche“ unterteilte. Auch wenn wir unsere Fragen nicht direkt an die Gruppe richten konnten, hatten wir eine spannende Diskussion über Instrumentalisierung in der Kunst


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und über die elitären Anti-Haltungen gegenüber Arbeiten, welche sich explizit politisch äussern und dann oft als „plump“ abgetan werden. Das Seminar wurde mit einer Feedbackrunde beendet. Bei Bier und Apéro besprachen wir die einzelnen Erfahrungen und Gedanken. Vor Allem zum Schnitztisch gab es viele positive Rückmeldungen. Für Einige war das Schnitzen eine dermassen einnehmende Beschäftigung, dass sie dabei wenig Aufmerksamkeit auf den Rest des Seminars richten konnten. Andere schnitzen gar nicht. Wiederum Andere empfanden das Schnitzen als gute Nebenbeschäftigung und hilfreich für die Konzentration. Inhaltlich war das Seminar für die Teilnehmenden unterschiedlich interessant. Währenddem einige die Thematik gut auf ihre Arbeit beziehen konnten, bewegten sich Andere mit ihren Auseinandersetzungen fern von den Fragestellungen des Seminars. Trotzdem schien es den meisten eine Bereicherung gewesen zu sein. Wir sind mit dem Ablauf des Seminars sehr zufrieden und danken an dieser Stelle nochmals allen Gästen und Teilnehmenden für ihre Anwesenheit und Aufmerksamkeit. LOUISE GUERRA, 2014


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