Gesammelte Notizen zu
ENDLESS Reflexive Arbeit Master of Fine Arts HGK / FHNW Jonas H채nggi 2013
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27.06 Ich habe Mühe zu beschreiben, was genau in mir vorgeht wenn ich diese Bildpaare oder Bilderserien bilde. Es fängt schnell an zu flimmern, denn die Bilder (1) regen sich gegenseitig an und lassen dadurch flüchtige, neue Wirkungen entstehen. Ich suche nach etwas, dass ich mir selbst nicht ganz erklären kann. Darin liegt für mich der Reiz dieser Arbeit.
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12.07 Bilder sind heute überall. Das Internet hat ihre Verbreitung und den Zugang zu ihnen enorm erleichtert. Sie werden zu Millionen gemacht und deswegen kaum mehr wahrgenommen. Auf Datenträgern gespeichert, werden sie fast ausschliesslich auf Bildschirmen von Computern oder Smartphones gezeigt oder angeschaut. Als Ausdrucke oder Abzüge auf Papier sind sie selten geworden. Willkürlich gesammelten Bildern mögen sie noch so trivial sein - wieder ein physisches Dasein zu geben, ist ein Prozess der mich sehr interessiert. Um für meine Arbeit an genügend Bilder zu kommen, ist das Internet die einfachste – deswegen aber nicht minder gute – Lösung. Es bietet alles, was ich für mein Vorhaben benötige: - eine immense Anzahl an jederzeit verfügbaren Bildern - eine grosse Diversität an Bildern - die Möglichkeit, mit einem Zufallsprinzip nach Bildern zu suchen Die auf einer Website durch eine Suchanfrage generierte Bildauswahl sollte unabhängig von irgendwelchen Stichworten sein. Diese würden nur Bilder zu einem bestimmten Begriff liefern und die Suchergebnisse von vornherein stark einschränken. Ich habe deshalb mithilfe einer weiteren Website vierstellige Zahlen generiert und mit diesen die Bildersuche gestartet. Die gefundenen Bilder sind somit völlig frei von einem übergreifenden Thema und extrem vielfältig. (2)
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03.07 Dank dieser Vorgehensweise gewinne ich Einblicke in mir bis dahin verborgene Welten und ansonsten nicht zug채ngliche Orte. Ich finde dadurch Bilder von Dingen, die ich vorher noch nie gesehen und von deren Existenz ich nicht gewusst habe. Ich komme mir w채hrend des Sammelns vor wie ein Insektenforscher, der im Regenwald nach einer neuen Spezies sucht. Oder wie ein Astronaut, schwebend in einem nicht endenden Raum.
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19.06 Aus dieser schier endlosen Bilderflut, gefiltert durch ein Zufallsprinzip, habe ich in einem zweiten Schritt einige intuitiv ausgewählt und angefangen sie länger zu betrachten, neu anzuordnen und sie paarweise oder in Gruppen anzuschauen. Die ausgewählten Bilder wurden von mir gedruckt und gerahmt. Es wird ihnen somit eine materielle Existenz verliehen und ihre Betrachtung wird verlangsamt. Sie werden aus ihrem ursprünglichen Umfeld genommen und in ein Neues gestellt. Ein stabileres, edleres Umfeld. Man wird aufgefordert, sie anzuschauen und nicht einfach „wegzuklicken“.
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22.07 Ich möchte nicht nur eine Aneinanderreihung einzelner Bilder vorlegen. Durch die Gliederung der Arbeit in Einzelbilder und Zweier- oder Dreiergruppen wird man dazu gebracht, sich mit den vorhandenen oder eben nicht vorhandenen Bezügen zwischen den gezeigten Bildern auseinanderzusetzen. Dies erlaubt mir, die Bilder und deren Bedeutung durch Zugabe anderer zu beeinflussen. Jedes, auf den ersten Blick noch so unscheinbare Bild kann durch ein anderes – es kann durch Zufall oder sorgfältig ausgewählt sein – eine unerwartete und starke Wirkung entfalten. Je geringer die Beziehungen zwischen den zwei oder drei zusammen gezeigten Bildern sind, desto verwirrender ist die dadurch enstehende Wirkung. Die Form der einzelnen Bilder (Farben, Bildaufbau, Perspektive, Aufnahmetechnik, usw.) hat ebenfalls einen Einfluss auf das Verhältnis zwischen ihnen.
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29.06 Die Einflüsse unserer Umwelt erreichen uns über verschiedene Wahrnehmungswege. Unser Hirn versucht permanent, daraus einen Sinn zu erzeugen. Damit soll das alltägliche Chaos von Eindrücken geordnet werden, um uns ein zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. (3) Bilder betrachten wir im Alltag ziemlich schnell. Wir versuchen, sie durch Anwendung von bestimmten Codes zu klassifizieren um Sinn zu erzeugen. Ist das aber nicht mehr möglich, empfinden wir dies als irritierend. In diesem Moment, also dem Moment wo ein bewusstes rationnelles und schnelles Begreifen einer Bildkombination nicht auf Anhieb gelingt, prägt sich ein Bildpaar oder eine Bildergruppe besonders ein. Ich glaube bei diesem Vorgang des Betrachtens spielt das Unterbewusstsein eine grosse Rolle. Die Bildpaare, bei denen sich unverzüglich ein nicht fassbares und dennoch scheinbar eindeutiges Gefühl einstellt, funktionieren am besten.
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07.07 Es besteht beim Zusammenstellen solcher Bildpaare oder Bildergruppen die Gefahr, zu ausgefallene Kombinationen bilden zu wollen und damit gewisse Muster (inhaltliche Kontraste oder andere Gegensätze, die besonders gut „funktionieren“), zu wiederholen. Um dies zu vermeiden habe ich Denkprozesse beim Kombinieren immer wieder durch zufällig enstehende Bildzusammenstellungen unterbrochen. Die durch Zufall enstandenen Paare oder Gruppen sind aber in den meisten Fällen reizlos. Beziehungen zwischen den einzelnen Bildern lassen sich zu schnell finden und es ensteht keine Spannung. Ich habe deswegen mit beiden Vorgehensweisen gearbeitet. Zufällige Anordnungen bringen mich auf neue, kaum durch bewusste Entscheide zu findende Kombinationen. In einem zweiten Schritt versuche ich dann, das enstandene Paar anzupassen, zu verfeinern, dessen Wirkung entweder zu verstärken oder abzuschwächen. Zu offensichtliche Gegensätze oder Änlichkeiten in einem Bildpaar (z. B. bei der Gegenüberstellung der Bilder eines Berges und eines Chalets) erzeugen zu schnell einen fassbaren Sinn. Dies möchte ich vermeiden.
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25.06 Dreiergruppen sind ebenso interessant wie Paare. Anders als bei einem Bildpaar kann ein drittes Bild eine zu anspruchslose Kombination zweier Bilder aufbrechen und ihr einen neuen, unerwarteten Einschlag verleihen. Ich habe auch versucht, mit vier oder mehr Bildern zusammenhängende Serien zu bilden. Dies ist jedoch schwierig, denn die Beziehungen zwischen den einzelnen Bildern verlieren an Wirkung und verschiedene, vielleicht schÜne Kontraste, gehen im Ganzen unter. Andererseits gibt es Bilder, die schon als einzelne verschiedene Themen aufgreifen und deshalb schwer mit einem zweiten oder dritten Bild kombinierbar sind. Sie erweisen sich als zu vielseitg und erzeugen darum mit einem anderen zu schnell einen nachvollziehbaren Sinn. Deshalb werden sie in der Serie als Einzelbilder gezeigt.
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10.08 Es geht bei der Arbeit nicht nur um Bildpaare und Bildergruppen und daraus enstehende Wirkungen sondern auch um die Bildersammlung als Ganzes. Die Serie soll ein möglichst breites Spektrum an Motiven und den damit verbundenen Themen aufweisen und somit Einblicke in den grenzenlosen Reichtum der existierenden Dinge, Orte, Lebewesen, usw. verschaffen. Die Arbeit wird so zu einer Bilder-Wunderkammer, die das Absurde, Schöne, Hässliche, Alltägliche und Ausserordentliche dieser Welt in einer bestimmten Gliederung aufzeigt. Man wird angeregt, sich zu Beziehungen zwischen den Inhalten seine eigenen Gedanken zu machen; und jeder wird dies auf seine Art tun.
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1.
Falls im Text nicht anders erwähnt, sind mit dem Begriff „Bild(er)“ immer fotografische Aufnahmen in Farbe gemeint
2.
Die vierstelligen Zahlen zur Bildersuche wurden mithilfe von RANDOM.ORG - True Random Number Service (www.random.org) generiert. Mit diesen Zahlen wurde dann auf Google image © (www.google.ch) die Bildersuche gestartet. Es wurden nur Farbfotografien in die Sammlung aufgenommen.
3.
„We, as humans, live by constantly drawing connections from things – to help us understand, to remember, to assimilate – we create meaning from random order, from the chaos in order to make sense. With a regular exhibition, a cohesive story is drawn by a, usually, obvious connection between the photographs: a series of landscapes, portraits, etc. What I believe you are trying to do is make people think about the regular connections we make – what we subconsciously rationalize and connect – to find out what meaning can be created out of two seemingly unrelated things.“
Rachel L. Smith
(Auszug aus einer E-mail an mich, 07.06.2013)
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Jonas H채nggi 2013