Mein Sein und Ich
Reflexive Arbeit, 2013 von Alessia Maria Carmela Conidi
Ich lebe auf einer runden grünen Insel. Es fühlt sich an wie auf einem grossen, feuchten Wattepad. Die Insel treibt auf dem Meer und ich hoffe, eines Tages neben einer anderen Insel aufzuwachen. Dieses Gefühl, als wäre ich stets in Bewegung, beruhigt meinen Körper. Es ist wie auf dem Rücksitz eines fahrenden Autos zu sitzen. Auch das tropische Klima unterstützt diese wunderbare Trägheit. Ich mag die schwere feuchte Luft. Sie erinnert mich daran, genug zu trinken und meinen eigenen Körper auch von innen feucht zu halten. Das vergesse ich häufig, denn die Luft ist mir lieber als das Wasser. Sie macht meinen Körper leicht und frei, so wie die Tauben in meiner Brust. Auch die mögen das Wasser nicht. Maria und Carmela heissen die Zwei. Wenn ich morgens soweit bin und mich ausgiebig strecke, fliegen sie aus meinen Achselhöhlen. So habe ich tagsüber meine Ruhe, denn ich mag es nicht, wenn sie den ganzen Tag in meinen Brüsten liegen. Das riecht auch nicht besonders gut. Manchmal, wenn sie dann ausgeflogen sind, fühle ich mich wie eine leere Hülle im Wind. Aber das ist gut, um mich auf meine Arbeit mit den Luftkörpern einzulassen. Ich bin selbständig und produziere Körper aus Luft, auf Wunsch, nach Mass. Keine Puppen oder
Roboter, so etwas mache ich nicht. Meine Körper können fast alles, aber nicht menschlich sein, das wäre ein unmöglicher Aufwand. Meine Körper sind kompakt, leicht und konzentriert auf wenige gute Eigenschaften. Alle gefüllt mit Luft, dass sie auch atmen können. Etwas Durchlässigkeit im Gewebe ist mir wichtig, aber abgeschlossen sollen sie trotzdem sein. Hier und da ein Durchgang für eine Umarmung oder beweglich und verspielt in ihrer Form. Aber vor allem natürlich sollen sie sein und Wärme speichern können, so wie heisse Kartoffeln auf der Haut. Beim Aussenmaterial verwende ich meistens Terrakotta, Stoff oder Holz. Je nach Form und Grösse braucht es auch biegsames Material wie Draht oder Gitter, um erst einmal das Volumen herzustellen. Zu gross dürfen sie nicht sein, das wäre unpraktisch. Zum Teil sammle ich einfach ein, was ich auf der Insel finde. Es gefällt mir, die Insel als meinen Tummelplatz zu betrachten und die Leute die mich kennen, bringen mir manchmal ganz spontan ihre Fundstücke vorbei. Häufig ist das Material für mich gedacht oder sie fragen, ob ich ein freundliches Gesicht aufmalen könnte. Das mache ich aber nicht, denn es geht nicht um das fröhliche Gesicht, sondern um den Körper und sein Gewicht. Ich frage nach der Geschichte und sie
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erzählen mir, wie sie ihrem Fundstück begegnet sind. Das interessiert mich immer sehr. Es ermöglicht mir, meinen Besuch näher kennenzulernen und verleiht dem Körper eine bleibende Geschichte. Manchmal kommt es vor, dass mein guter Nachbar und engster Freund bei mir im Atelier vorbei schaut und mich auf einen gemeinsamen Suchspaziergang einlädt. Wenn ich Zeit habe, hole ich die Laufschuhe raus und wir machen uns gemeinsam auf den Weg. Ich muss meine Gelenke etwas schonen und trage deshalb kleine Schildkrötenpanzer an den empfindlichen Stellen. Das sieht schön aus und schützt vor Abnützung. Ich bewege mich oft langsam und vorsichtig, weil ich in Gedanken bin. Daher wohl auch mein schreckhaftes Wesen, vor allem im Dunkeln. Das ist auf einer Insel mit vielen, überraschenden Lebewesen ganz schön anstrengend. Aber ich scheine mich einfach nicht daran zu gewöhnen... Auf Suchspaziergängen bin ich allerdings sehr aufmerksam, was meine Augen ziemlich anstrengt und mein Kopf wird ganz heiss vom vielen Denken und Formen finden. Das ist wohl auch der Grund, wieso ich immer kalte Füsse habe. Als Arbeitszimmer habe ich einen Raum ohne eingelegten Boden, so dass ich mich bequem auf
der feuchten Erde bewegen kann. Das hält meine Füsse schön weich und warm. Und aus dem Boden wachsen viele wilde Pflanzen. So viele, dass ich manchmal vergesse, in einem Raum zu sein. Und jeden Morgen wenn ich ins Arbeitszimmer komme, sieht es wieder anders auch. Ich mag diese Abwechslung, auch wenn sie mir viel Arbeit bereitet. Der Boden ist angenehm weich, und da ich im Stehen arbeite, fühle ich mich viel beweglicher und flexibel. Mein Material liegt verteilt zwischen den Pflanzen und gehört zum Zimmerinventar. Gewisse Dinge lagern über Jahre bei mir ohne Beachtung zu finden, doch ich weiss, sie warten dort auf etwas ganz bestimmtes, und ich bringe es nicht übers Herz, sie vorher zu enttäuschen. Nebenan habe ich ein Zimmer mit einem Schaufenster eingerichtet, wo ich einige Objekte ausstelle. Es kommt schon mal vor, dass jemand spontan daran vorbei geht und sich in ein Stück verliebt oder einfach ein Geschenk sucht. Bei dieser Gelegenheit unterhalte ich mich gerne mit den Gästen und versuche zu verstehen, wonach sie denn genau suchen. Das führt zu spannenden Gesprächen über ganz individuelle Vorstellungen von Beziehung und Eigenschaften. Für mich sind das höchst inspirierende Aussagen für weitere Modelle und Gedanken. Mein Handwerk habe
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ich mir wirklich gut ausgesucht, denn es macht mich immer wieder froh. Und wenn ich einmal einfach keinen Einstieg in die Arbeit finde, gehe ich nach draussen, im Wald spazieren oder irgendwo konsumieren. Ich taste alles ab, was meine Neugier weckt und frage mich, wenn ich zum Beispiel eine Wanduhr wäre, ob ich zu jemandem gehören wollte, der mich vorstellt, um frühzeitig bereit zu sein oder lieber zu jemandem, der gar nicht bemerkt, dass meine Batterie längst aufgebraucht ist. Wäre ich gerne ein aktives Hilfsmittel oder ein passiver Begleiter? Natürlich fertige ich keine Uhren an und schon gar nicht zweckgebundene Objekte, aber der Perspektivenwechsel und das Einfühlen ist für meine Arbeit wesentlich und äusserst fruchtbar für die Entwicklung von neuen Körpern. Und wenn ich schon auf die Zeit zu sprechen komme, eine für mich stets präsente Frage ist, wie denn die Zeit an meinen Körpern sichtbar wird. Wie können sie wachsen oder sich verändern? Es ist mir wichtig, dass sie nicht langweilig oder vergessen werden. Sie sind zwar für die Ewigkeit gedacht, aber es liegt nicht in ihrem Sinn, allein zu bleiben, dafür sind sie nicht gemacht. Ich gehe davon aus, dass die Luft diesen Teil übernimmt und sie immer wieder neu ausfüllt. Meine Körper
sind Stationen für die rastlose Luft. Es ist wie mit einem Bus, der sich an jeder Haltestelle verändert und von neuem füllt. Die Luft kann sich in den Körpern sammeln und ausruhen, sich darin aufhalten, bis sie wieder frei sein will. So bestimmt die Luft den Atemrhythmus meiner Körper und verbindet sie alle miteinander.
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Mein Alltag nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und raubt mir oft den nötigen Spielraum für Experimente. Ich arbeite aber auch sehr langsam, insbesondere an der Ausführung. An dieser Stelle muss ich gestehen, ich mag nicht das Gefühl, etwas nicht genau durchdacht oder sorgfältig verarbeitet zu haben. Besonders wenn es meine Beschäftigung ist, Lebewesen zu erstellen. Das ist für mich eine grosse Verantwortung, die ich erst abgeben kann, wenn jemand kommt, sich für ein Objekt entscheidet und es an sich bindet. Vor lauter Körpern in meinem Atelier, musste ich mich nie selber für einen entscheiden. Dafür habe ich wohl die lieben Tauben in meiner Brust.