«READING LANDSCAPE / LANDSCHAFT ALS EMPFINDUNG» Sibylle Hahner, 2012

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Sibylle Hahner READING LANDSCAPE LANDSCHAFT ALS EMPFINDUNG Materialbuch


Dieses Materialbuch versteht sich als persönliche Auswahl von Textpassagen, die Landschaft als Empfindung beschreiben. Eingeleitet wird das Materialbuch mit einem eigenen Text, der an die Anfänge erinnert – den Garten meiner Eltern.

Reflexive Arbeit zum Masterabschluss of Fine Arts am Institut Kunst der FHNW in Basel im September 2012


FRÜHER / AUS DER ERINNERUNG VOR DEM SOFA I VOR DEM SOFA II VOR DEM SOFA III

LANDLEBEN EINER 15-JÄHRIGEN SEXUELL DURCHDRUNGENER BLICK AUF DIE LANDSCHAFT CATHERINE BREILLAT, EIN MÄDCHEN, 1973

2 JAHRE, 2 MONATE, 2 TAGE EIN SELBSTVERSUCH IN CONCORD HENRY DAVID THOREAU, WALDEN OR, LIFE IN THE WOODS, 1854

BAUSCHAN THOMAS MANN, HERR UND HUND, EIN IDYLL, 1919

MÜTTERLICHES DASEIN / ÖRTLICHE BETÄUBUNG PETER HANDKE, WUNSCHLOSES UNGLÜCK, 1972

DURCH DEN FLEISCHWOLF GEDREHT FRIEDERIKE MAYRÖCKER, MAGISCHE BLÄTTER, 2001 UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING, 2005


FRÜHER / AUS DER ERINNERUNG 22. Juni 2012 Wir sassen nie auf einem weichen Sofa, ausser an Weihnachten, dann wurde das Wohnzimmer geheizt. Den Rest der Abende verbrachten wir auf der harten Eckbank. Im Garten war ich so oft es ging. Es war mein kleines Paradies. Das Gras blieb ganz oft feucht, dann ging man besser auf den ausgelegten Kunststeinen zur Holzleg. Angelehnt an die Waschküche die lange Bank, auf der ich oft sass mit dem Hund, meiner Mutter, meinem Bruder, dort gab es Abendsonne. Sonst sassen wir unter dem grossen Nussbaum. Um den runden Gartentisch auf verblichenen Spaghetti-Stühlen, wo man die Finger auf und ab weben konnte. Der Hund meist unter dem Tisch, erdbebensicher. Meist an der Seite meines Vaters. Der Nussbaum war der wichtigste Baum von den fünfzig, die im Garten standen. Sein Laub, das grosse dicke, verströmte einen Halt, alle liebten ihn, der Tisch stand immer dort. Mit dem schönen Blick zurück auf das Forsthaus, auf das sich alles bezog. Der grosse Garten gab uns sehr viel Platz. Meine Mutter genoss ihn mit der Tasse Kaffee im engen Takt von drei bis vier Stunden.


Mein Vater pflanzte regelmässig neue Sträucher und Bäume. Mein Bruder mähte widerwillig den Rasen, sein Motorrad war ihm wichtiger, dort im Garten drehte er seine ersten Runden, als er grade den Führerschein hatte, und das Motorrad neu war für ihn. Ich pflückte leidenschaftlich gerne Himbeeren, die in einen Milchhafen fielen, Tupperware gab es nicht. Die süssen hellen Kirschen brockte ich auf dem runden Tisch stehend mit gestreckten Zehenspitzen. Die Kirschen weiter oben oder ganz oben erkletterte mein Vater und tat sie in die DreiliterMilchkanne, die an einer Büroschnur mit Fleischerhaken hing. Die viele Wäsche hängte ich mit Leidenschaft im Garten an der langen Wäscheleine auf, gespannt zwischen zwei Bäumen. In der Mitte unterstützte ich sie mit einer Stange, die in einem V endete. Meine Mutter hasste diese Tätigkeit. Zum Weinen brachte sie der Regen, der oft und überraschend die Wäsche wieder nass machte. Im obersten Stock im Gang war eben sehr viel weniger Platz, um alles aufzuhängen. Oft fiel auch der überbeanspruchte Haken aus der Wand. Wenn mein Vater mit einem geschossenen Reh zurück von der Jagd kam, wurde es unter dem


Nussbaum aufgebrochen, ich assistierte mit Aufhalten der Bauchwände, die Innereien kamen in eine Plastikschüssel aus der Speisekammer. Dort wurden sie einen Tag gewässert. Die unedleren Innereien wie Lunge und Milz wurden für den Hund abgekocht. Das passierte auf einer einzelnen Kochplatte, die in der alten Waschküche stand, oft genug wurde vergessen, die Platte rechtzeitig abzustellen, so dass sich ein ungemütlich verbrannter Geruch verbreitete. Am Anfang stand noch der alte Waschkessel in der Waschküche, ein altes Fahrrad von meinem Vater hing schräg an der Wand. Eine grosse Waage für tote Rehe oder abgelieferte Kastanien. Und das sonstige Durcheinander von Dünger, abgestellten leeren Farbeimern. Die reifen Äpfel brockte ich meist zu Schulanfang im Herbst an mehreren Nachmittagen. Sorgfältig mit einem Apfelbrocker von den Ästen gezupft, schichtete ich sie in einen Eimer und trug sie in den Keller. Dort lag ein grosser Holzrost, auf den ich sie verteilte. Dort wurden allerdings auch Zentner von Kartoffeln gelagert. Im nächsten Frühjahr durfte ich die Äpfel stark verschrumpelt wieder zum Komposthaufen tragen. Es waren immer zu viele Äpfel gewesen.


Das Wasserbecken hat mein Vater quadratisch angelegt und mit Steinen für die Vogel besetzt. Umrahmt waren sie von einem Goldregenstrauch und einer rosaroten Weigelie. Dort badeten auch unsere Hunde und wir standen darin wie im Kneippbad. Im Frühjahr hatte ich die erbaulichen Aufgabe, das Becken zu schrubben, alle vermoderten Blätter und sonstige Grünreste zu entfernen. Einen neuen Korken einzusetzen und das Becken mit frischem Wasser zu füllen. Unsere Einfahrt, zur Strasse geschlossen mit dem grossen Tor, das ich immer wieder schloss, wenn mein Vater mit dem Auto weggefahren war. Oder es wieder öffnete, wenn ich wusste, dass er bald wieder heimkommen würde. Ansonsten war es verschlossen, die beiden Hunde Esco und Waldi brauchten diesen schützenden Rahmen. Entlang der Einfahrt hinter zur Garage standen seitlich im Spalier Obstbäume, deren reifes Obst in die kantigen Kieselsteine fiel. Wieder Zeit die Äpfel aufzusammeln und in einen leeren Eimer zu legen. Der Aufenthalt im Garten war oft mit dem Arbeiten darin verbunden, aber mindestens genauso viel Zeit verbrachte ich im Liegestuhl mit Sonnenhut. Oder mit der flachen Badeliege und dem Hund, der vieles mit sich machen liess.


Sein warmes Fell, seine Zuneigung war meinem Bruder und mir sehr wertvoll. Neben der Waschküche war die Garage angeschlossen und als seitlicher Abschluss der alte Pferdestall, den wir als Hundezwinger benützen. Zwei Boxen für die beiden Hunden, mit einem kleinen umzäunten Gärtchen und Veranda. Das war ein echter Komfortzwinger. Meistens bewegten sie sich aber frei im Garten. Unser Vorgarten war, als wir klein waren, ein riesiger Gemüsegarten. Mein Vater hatte ihn in drei Feldern angelegt. Mit der Zeit sah er immer ungepflegter aus. Nur die abschliessende Rosenhecke sah gepflegt aus. Und der Wein rankte fleissig an der Backsteinmauer hoch. Meine Mutter weinte beim Jäten der Erdbeeren, manchmal jätete sie auch die kleinen Pflänzchen anstatt dem Unkraut. Das Bücken war ihr zuwider. Ich verstand sie, mein Vater beschoss nach ein paar Jahren, in alle drei Felder nun Rasen auszusäen. Früher mähte mein Opa zweimal im Jahr mit der Sense das Wiesengras, das so hoch stand, dass die Hunde nicht mehr zu sehen waren. Das Gefühl, dort durchzulaufen, die feinen Gräser zu streifen, es niederzutreten, es mit niemand teilen zu müssen, war sehr angenehm. Im Frühjahr umgaben uns der Hahnenfuß,


Kukuckslichtnelken, vereinzelte Mohnblumen und Kornblumen. Das waren bewusste Momente des Glücks. Ohne darüber nachzudenken, dass es jemals fehlen würde. Später mähte der Benzinrasenmäher regelmässig das Gras. Das Laub rechten wir nur unter dem Nussbaum, weil es besonders fest war; gleichzeitig konnten wir nach den heruntergefallenen Nüssen schauen, die Hunde wirbelten im windigen Laub. Das waren glückliche Nachmittage. Hinten bei den Brombeeren fand unser Dackel oft einen Igel. Er biss seine Zunge meist blutig; er blieb unbelehrbar. Seitlich in der bäuerliche Wiese stand ein Hochspannungsmast. Dort verfing sich im Herbst manchmal die Drachenschur. Einmal verlor ich die Drachenschnur in meinen Händen und der billige Plastikdrachen schwebte den Hang hinunter, ich rannte ihm verzweifelt hinterher. Am liebsten sass ich auf der Schaukel. Stundenlang schwebte ich hin und her. Genoss das Losgelöstsein vom Boden. Zum Abschluss sprang ich ab und hüpfte möglichst weit vor die Schaukel. Mein Bruder liebte es weniger. Da gab es keinen Streit, wer zuerst darf.


Die Tischtennisplatte auf dem betonierten Vorplatz vor dem Haus hat mich sportlich animiert, davor war ich sehr eifrig mit Seilhüpfen und Gummihupf. Meine langen Beine halfen mir beim Gewinnen. Später im Gymnasium das Training für den Langstreckenlauf im Garten. Endlose Runden drehte ich im Garten, um gut trainiert zu sein. Ich wäre nie im nahe gelegenen Wald zu Dauerlauf gegangen, es kam nur ein oder zweimal mit einer Freundin vor. Abends ging ich oft durch den Garten zwischen den vielen Bäumen, schaute sie an, ihre reifenden Früchte, das Laub, ihre Statur. Ich sah gerne von unten in ihr Laub, das beglückte mich. Es war normal, ich konnte mir nicht vorstellen, dass mich so etwas nicht mehr umgeben könne, weil es so selbstverständlich war. Ein unendlicher Verlust, der viel Unglück in mir ausgelöst hat. Früher, zusammen mit meiner Cousine gruben wir an moosigen Stellen im Garten nach alten Münzen. Ab und zu haben wir auch welche gefunden. Unser Dorf lag auf einem Hügel, auf der einmal eine Burg gestanden haben muss, denn wir waren in Lützelburg zuhause. Vielleicht gab es deswegen auch ein paar Münzen mehr.


Die Frühäpfel, woanders heissen sie Jakobiäpfel, waren immer etwas besonderes, man konnte sie sofort und sonnenwarm essen, die anderen waren eher Lageräpfel, etwas gröber. Zwei grosse Bäume trugen nur Lederäpfel oder Boskop, die meine Mutter besonders gerne für ihre Apfelstrudel oder Apfelmus verwendete. Ein alter Hauszwetschgenbaum stand neben dem Wasserbecken, seine Früchte waren die besten für den Zwetschgendatschi meiner Mutter. Mein Vater ass nur ihren, alle anderen mit Glasuren und anderen gröberen Pflaumen rührte er nicht an. Das System Natur war mit unserem stattlichem Zuhause, dem Forsthaus harmonisch vereint. Das mich dieses Glück seit dem Wegzug nach dem Abitur nie mehr treffen sollte, war mir nicht bewusst. Der Süsskirschbaum vor meinem Fenster streckte seine Äste bis an mein Kinderzimmerfenster, die Abendsonne bestrahlte die beiden Fenster, ich liebte den gefilterten Blick durch die Äste des Kirschbaums. In meiner jetzigen Wohnung steht wieder ein solcher Baum vor meinen beiden Fenstern zur Strasse. Im Hinterhof wächst ein Sauerkirschbaum. Das hat mir gesagt, du bist am richtigen Ort.


Oft wenn wir draussen sassen, lärmte es über uns. Tiefflieger waren der Normalfall. Man hatte sich daran gewöhnt, dass der Nachmittagskaffee von ihm gestört wurde. Mein Vater hatte viele amerikanische Jagdgäste, die in seinem Revier einen Rehbock zum Abschuss frei hatten. Auch das waren Folgen des verlorenen Krieges. Dafür wurden wir mit Marshmallows und toller Icecream beschenkt. Vorne an Ende des Vorgartens stand eine lange Fliederhecke, die immer kurz nach meinem Geburtstag Ende April in Blüte stand. Die Nachbarn bedankten sich immer sehr für einen Fliederstrauss aus unserem Garten. Der Flieder, der ungefüllte, war seither ein Zeichen des beginnenden Sommers. Auch wenn bereits ein kleiner Strauss in meinem Zimmer Kopfweh auslöste, war ich doch immer sehr stolz auf diesen Geburtstagsduft. Ich liebte Schmetterlinge, wie sie durch das Gemüsebeet flatterten. Kohlweisslinge, Admirale, Zitronenfalter, das Tagpfauenauge machten mich stolz, ich wollte sie haben. Im Handarbeitsunterricht bestickte ich im Kreuzstich ein Kissen mit einem selbst entworfenen Schmetterling. Daheim stand ein Sommerflieder an der Einfahrt. An sonnigen Nachmittagen, als der Strauch blühte, ging ich mit einer Plastikdose zum Flieder


und streifte die Schmetterlinge zwischen Deckel und Behälter von den zarten Ästen ab und liess sie in meine Dose gleiten. Die gefangenen Schmetterlinge verfrachtete ich in eine alte Schuhschachtel mit kleinen Löchern. Nach ein paar Tagen waren sie in einem jämmerlichen Zustand. Ich gab ihnen nicht einmal Blätter zu fressen. Mit dem Milchtopf in der Hand ging ich nach hinten, zu den verwilderten Himbeerhecken am Zaun. Hohe Brennnesseln durchsetzen die Sträucher. Duna, unsere Wachtelhündin, war meist interessiert dabei. Wie oft hab ich mir die Arme und Beine an den Nesseln verbrannt. Aber die duftenden Himbeeren standen über allem. Die Auslese nach der perfekten Reife war streng. Die Trauer war gross um jede einzelne überreife Himbeere, die bereits bläulich schillerte. War der Topf genügend voll, ging ich zur Bank an der Waschküche und bestaunte meine Ernte, und ass die ersten einfach so. Meistens ass ich sie später versenkt in kalter Milch mit etwas Zucker.



VOR DEM SOFA I 21. Juni 2012 Das Gras im Wohnzimmer Vor dem eigenen Sofa Als Teppich auf dem Parkett aus Eiche Der Stillstand des Grases Es parkiert domestiziert in meinem Wohnzimmer Das kissenförmige Grasquadrat wird jeden Tag flacher Ich studiere das Durcheinander der Halme Beim Sitzen auf dem Sofa Es krabbelt immer noch im Haufen Die Halme trocknen in schönstem tiefen Grün Ein stumpfes Grün wie im Farbkasten Der Geruch bleibt im Wohnzimmer hängen Eine wolkige Luft wie im Heuschober





VOR DEM SOFA II 12. Juni 2012 Statt auf einen Fernseher schaue ich auf ein Grasviereck vor mir. Ich kann fast nicht glauben, dass das Gras vom Pfingstwochenende in diesem schönen Grün getrocknet ist. Das hat alle meine Erwartungen übertroffen. Die Halme, so durcheinander und ungeordnet wie sie jetzt sind, gleichen einer Perücke. Ich fasse in das Gras wie in meine eigenen Haare – sie sind genauso wirr und widerspenstig. Das Volumen hat sich schon recht reduziert. Es ist so ländlich geworden in meinem Wohnzimmer. Das Graskissen ruht auf dem dunklen Parkett. Es ist ein Stillstand, den ich dem Gras zugefügt habe. Das wird wohl keine Ziege mehr fressen. Seinen Duft verströmt das frisch geschnittene Gras noch immer, er zieht am Sofa vorbei. Das Blauschwarze des Sofas vermalt sich mit dem dunklen Grün der langen Grashalme. Wenn ich mit den Händen in die Grasbüschel fasse, hebt sich der Geruch von Neuem, kann aufsteigen. Einzelne Halme haben sich bereits aus dem Grasgewebe gelöst und sich auf die Umgebung verteilt, wie am Stuhl in der Küche, der beim Frühstück im Wohnzimmer stand.





VOR DEM SOFA III 27. Juni 2012 Die Krümmungen der Grashalme, was können sie mir sagen? Sind es gute Aussichten oder trübe Vorahnungen, die hier verkündet liegen? Ich vertiefe mich in die langen und mehrfach abgeknickten Grashalme. Wenn man lange genug hineinsieht, in das grasige Kissen, besteht die Welt nur noch aus gemischten Gräsern. Der Grüntee, den ich jeden Morgen trinke, enthält feine Noten von frischem Gras. Bin ich schon lange auf der Erinnerungsspur Gras? Die leichte Federung durch die wirre Struktur der sich gegenseitig stabilisierenden Halme gefällt mir. Strohkissen oder Strohmatten waren früher doch gang und gäbe, ich habe lange nichts mehr von ihnen gehört. Als Kind schlief ich auf einer Rosshaarmatratze, auf einer dreiteiligen, die bereits von meinem Vater durchgelegen war. Weil sonst keine andere da war, für das übergrosse dunkelblaue Bauernbett.




LANDLEBEN EINER 15-JÄHRIGEN SEXUELL DURCHDRUNGENER BLICK AUF DIE LANDSCHAFT CATHERINE BREILLAT EIN MÄDCHEN Paris 1973 Kowalke & Co. Verlag, Berlin 2001 [S.18] Sie meinte nicht den, der neben ihr sass und Pfeife rauchte, der war nichts als ein Béret und ein brummender Schnurrbart. Gegenüber eine Mutter mit Kind. Das hässliche und traurige Mädchen zog scheussliche Puppen aus. Die Landschaft war also öde geworden und zog wie Gähnen an der Fensterscheibe vorüber oder vielmehr liess einen schwindelig werden werden wegen der Baumreihe, die sich aufgrund der Geschwindigkeit in einen Prototypen verwandelt hatte, in die Länge gezogen mit einer Dehnung, die die Magensäfte den Rachen hinauf bis zu den Lippen beförderte. Da das Schauspiel sie so sehr gefesselt hatte, dass es eines zwingenden Grundes bedurfte, um davon loszukommen, übelegte Alice, ob sie nicht gegenüber nach dem Paris-Jour fragen könnte. [S.28] Von nun an, dachte sie, würde es allem, was sie berührte, an Grösse fehlen. Dann die Strassen, die Autobahn, der alte, schwarze Citroën, um nach Hause zu kommen, schliesslich noch das leise Eintauchen in die grosse hellbraue Allee. Nur die Reifen. Und dieser für sie aufdringliche Geruch nach ranzigem Schnupftabak, den die Bauern überall auf dem Land haben, die Haut, die in Wollschweiss gebadet ist und deren Geruch sich auf den weichen Tweedanzug überträgt, den er zu dieser Gelegenheit hervorgeholt hatte, und das karierte Flanellhemd. Der Geruch vom Heumachen und vom Gipsen des Weins, vom täglichen Pferdetätscheln und Dreckhätscheln im Garten mit


seinen immer grün leuchtenden und bitteren Salaten. Nur die Reifen quietschen, und der Sand auf dem Weg war eher grau als goldgelb. Am Ende dieser Allee, nach ungefähr fünfhundert Metern, zwei triste, viereckige Gebäude, rechts das Wohnhaus, links das Wirtschaftsgebäude; tatsächlich führte der Alleenweg genau in der Mitte hindurch und ging kurvenreicher und weniger deutlich zu sehen weiter, um sich in den Dünen und im flachen öden Heideland zu verlieren. Diese Häuser unterscheiden sich nur durch ihre innere Aufteilung. Von aussen wirkten sie gleichermassen düster und baufällig, derselbe erdige Rauhputz, dieselben abgeblätterten schwarzbrauen Fensterläden, leblos, Stechginster und Spurrillen im Hof, die bei Regenwetter von den Karren gezogen worden waren, gesäumt von Gras, das so trocken war wie ausgedörrte Mösen, und natürlich kein Baum, keine einziger, nichts als dieser undankbare, betonharte graue Sand. Nackter Sand. Alice öffnete die Tür, setzte den Fuss auf das Trittbrett und stieg aus. Der Wagen, mit Vorderradantrieb, sprang wieder an und rollte im Rückwärtsgang bis in den Schuppen des zweiten Gebäudes, wo er über Nacht abgestellt wurde. (Die Mutter von Alice duldete es nicht, dass man ihren Hof, und sei es nur kurz, als Parkplatz benutzte.) Inzwischen war das Gepäck ausgeladen und stand vor dem Haus, daneben, reglos Alice. Der Wind drückte den Plisseerock zwischen ihre Schenkel, als wäre auch sie Teil einer insgeheim gespaltenen Landschaft. Hinter dem Haus das Heideland dann der Kiefernwald dann die Dünen und das wilde Becken des Ozeans, doch zu Fuss brauchte man über eine Stunde, um ihn zu erreichen. [S.49] In Anbetracht der Erschöpfung durch die Reise, der gespielten Wiedersehensfreude und dieses Blickes, der ihr galt und der sie für den flüchtigen Blick entschädigte, den sie zuvor mit ihrem Vater ausgetauscht hatte, wie immer ein Bündnis der Schwachen und der Faulpelze, würde ihr die Luft gut tun. Mag sein, dass es nicht gesund war, den ganzen Tag in einem Zugabteil zu verbringen - aber in ihrem Alter erholt man sich ja schnell- und


zu den Erschütterungen, die beim Gleiten der Räder über die Schienen entstehen, kamen der Ärger über den Fahrplan, die Zeit, die nicht schnell genug verging, die Verstopfung, die sich unweigerlich einstellte, und die ungeheure Last der Koffer, aber das alles, ja sogar ihre Faulheit, fiel nicht ins Gewicht angesichts des unzähmbaren Verlangens, in die Heide zurückzukehren, das Alice packte, zurück zu jener geheimnisvollen, weil gefährlichen Leidenschaft, die sie mit dieser Landschaft verband. [S.73] Die Männer schwitzen. Überall wirbelt Staub, nur die auf gleiche Kantenlänge gesägten Kiefernbretter und ihr Holzgeruch waren starr und unveränderlich. Aber wer von ihnen hätte das begriffen, wo sie doch seit nunmehr gut fünfzehn Jahren in Monsieur Bonnards Unternehmen arbeiteten. Es gibt so viele Bäume, dass man sie bis in alle Ewigkeit fällen wird. Das ganze Land nichts als Bäume. Sie sind sein Reichtum. Wer wollte schon Stechginsterheide. Niemand ausser ein Spaziergänger, und der muss noch besonders verbittert sein. [S.74] Die Grünfläche ist von einem Gitterzaun umgeben wie ein Käfig. Von der Wiese ist übrigens nichts mehr zu sehen. Sie ist niedergetrampelt und zermalmt worden. Es gibt keine Grünfläche, dafür einen dröhenden Klangteppich, der trotz der schwingenden und schrecklich wolllüstigen Bandsägen, die die frischen und perlmuttweissen Beine des Holzes öffnen, herzzerreissend ist. [S.93] Die Spazierfahrten von Alice hatten andere Ziele als Eaubonne. Sie verabscheute das Dorf besonders. Doch dahinter kam die bläuliche Abflussrinne der abschüssigen Strasse, die sich plötzlich an einer Kreuzung verzweigte, wo allein der Zufall oder eine dort auf den Sockel gestellte, andächtige Madonna mit drei Blümchen (sollte es denn nichts zu klauen geben) oder die bewundernswerte Strenge der Landschaft ihr eine Richtung ohne jeden geografischen Anhaltspunkt vorgaben. Seltsamerweise


kannte sie die Gegend nicht, denn all die Jahre zuvor hatte sie in der Abgeschiedenheit ihres Landguts gelebt, wo sie das Fahrrad nur auf kümmerlichen und holprigen Touren in der fleckigen Einöde des Hofes ausprobiert hatte, ohne sich darüber im klaren zu sein, wie schnell es war. Natürlich schien Fahrradfahren dort unmöglich zu sein wie auch auf der Route Nationale, wo die Autos unter Aufbietung ihrer sämtlichen Pferdestärken und die verfluchten Fahrer, die spermaverklebten Augen auf ihre Windschutzscheiben geheftet, sie auf den Seitenstreifen hinausdrängten mit einem schrecklichen dumpfen Lärm wie der Blindflug eines Insekts, das nur eine Richtung kannte: den Strand. Ach Hossegor! Saint-Jean-de-Luz! Biarritz! [S.105] Als sie von dort zurückkehrte, hatte sie praktisch alles gemacht, was sie den ganzen Sommer über tun konnten, und was noch zu tun blieb, war nichts als grässliche Wiederholung. Und vielleicht ihr ganzes Leben lang. In diesem Sinn war der Ausflug an den Strand, der am schönsten, weil emotional am bewegendstens war, genauso sterbenslangweilg wie die bescheuerste Weide oder die trockenste Wüste in einem idiotischen Niemandsland. [S.126] Abgesehen von den wenigen Weinstöcken und den Sümpfen um unser unverputztes Haus, war aus der Landschaft nichts herauszuholen. In der Ferne erstreckte sich der Wald, gewährte uns aber nichts vom Reichtum und Reiz seines Lebens, als hätten wir nie etwas anderes verdient als die schmutzige Ödnis, in der nur Stechmücken gedeihen. Als wäre das nicht Pech genug, klebte noch der tote Saft der Bäume an uns Holzfällern. Kiefernholz zerbröselt und setzt sich in allen Poren fest, das macht die Arbeit der Männer so schwer. Es sei aber nicht das einzige, was schwer falle, meinte mein Vater, und auch, dass sie an ihrer Arbeit hängen und sie lieben würden.


[S.148] Ich denke ausserdem an die Wunden der von Harz triefenden Kiefernstämme, die mich in meiner Kindheit so sehr beschäftigt hatten. Für mich waren die kleinen Tontöpfe Blumentöpfe, und ich ertrug sie nicht unbepflanzt, harzig und klebrig. Es war unerklärlich und bestimmt nicht rechtens. Hierher gehören auch die Hochsitze, die errichtet worden waren, um den Enten aufzulauern, und auf denen ich immer wieder schamhaft und, da sie einzeln und abgeschieden im Wald standen, doppelt geschützt mit natürlichem Interesse meine leuchtend rote Vagina untersuchte und ihre Geheimnisse endlos erforschte, ohne dass mir die geringste Erregung in die Quere kam (eher war das Gegenteil der Fall), denn für mich war es wichtig zu wissen, was ich da hatte, selbst wenn ich angezogen war und zwischen meinen Eltern ging, darin war ich unverbesserlich.





2 JAHRE, 2 MONATE, 2 TAGE EIN SELBSTVERSUCH IN CONCORD HENRY DAVID THOREAU WALDEN OR, LIFE IN THE WOODS, Boston 1854 Diogenes Verlag, 1971 [S.20] Aus dem Kapitel : Ökonomie / Das Alter ist kein Lehrmeister Die grosse Masse der Menschen führt ein Leben voll Verzweiflung. Was man so Resignation nennt, ist bestätigte Verzweiflung. Aus der Verzweiflung der Stadt zieht man in die Verzweiflung der Landes hinaus und tröstet sich an der Tapferkeit von Sumpfotter und Bisamratte. [S.142] Aus dem Kapitel : Einsamkeit / Heilmittel der Natur Was ist das für ein Heilmittel, das uns wohl, heiter und zufrieden erhält? Nicht das von deinem und meinem Urgrossvater, sondern das unserer Urgrossmutter: der Natur allheilende Kräuter und Pflanzenarzneien, mit denen sie sich selbst immer jung erhielt, mit Hilfe derer sie seinerzeit so manches altes Paar überlebte und aus dessen verfallenem Gebein sie ihre Gesundheit sog. Mein Universalalheilmittel sei - statt einer Quacksalberflasche voll aus Acheron und dem toten Meere geschöpfter Mixtur, die aus jenem langen, trauerschiffartigen Wagen kommen, welche wir manchmal zum Flaschentransport verwendet sehen - ein Trunk unverdünnter Morgenluft. Morgenluft! wenn die Menschen nicht davon trinken wollen am Urquell des Tages, so müssen wir auch sie auf Flaschen ziehen und im Laden verkaufen, zum besten derjenigen, welche ihre Abonemmentkarte für Morgenluft in dieser Welt verloren haben. Aber bedenkt: sie hält sich selbst im kühlsten Keller nicht bis zum Mittag, sondern treibt den Pfropfen heraus und folgt nach Westen den Spuren der Aurora. Ich bin kein Anbeter der Hygieia, der Tochter jenes alten Kräuterdoktors Äskulap, welcher auf Denkmälern abgebildet ist: die Schlange in der einen Hand und einen Becher,


aus dem die Schlange von Zeit zu Zeit trinkt, in der anderen Hand haltend. Vielmehr verehre ich Hebe, welche Jupiter den Becher kredenzte, die Tochter der Juno und des wilden Lattich; sie besass sie Macht, Göttern und Menschen ihre Jugendkraft zurückzugeben. Sie war wahrscheinlich die einzige vollkommen richtig beschaffene, gesunde und kräftige junge Dame, die je auf Erden wandelte. Wohin sie kam, da wurde es Frühling. [S.176] Aus dem Kapitel : Die Teiche / Fischfang im See Wenn ich manchmal der menschlichen Gesellschaft und ihres Gespräches überdrüssig war und meine Freunde alle abgenutzt hatte, dann zog ich noch weiter westwärts, als ich wohnte, zu noch weniger bewohnten Stellen des Stadtgebietes, «nach neuen Wäldern und frischen Weiden», oder verspeiste bei Sonnenuntergang auf dem Fair-Haven-Hügel mein Abendessen aus Heidelbeeren und Blaubeeren und legte mir zugleich einen Vorrat für mehrere Tage zurück. Die Beeren schenken ihr Aroma weder dem, der sie kauft, noch dem, der sie für den Markt sammelt. Es gibt nur einen Weg, es zu gewinnen; die wenigsten schlagen ihn aber ein. Wer wissen will, wie Heidelbeeren schmecken, der muss den Kuhhirten oder das Rebhuhn fragen. Es ist ein weiterverbreiteter Irrtum zu glauben, dass Leute, die nie Heidelbeeren pflückten, wissen, wie Heidelbeeren schmecken. Noch nie ist eine Heidelbeere nach Boston gelangt; man kennt sie dort nicht, wie lang sie auch schon auf den Hügeln wächst. Der ambrosische, wesentlichste Teil der Frucht geht verloren samt dem Duft, der sich im Marktkarren abreibt; sie wird zum blossen Futter. Solange die ewige Gerechtigkeit regiert, kann keine einzige unschuldige Heidelbeere von den Hügeln des Landes in die Stadt gebracht werden. [S.117] Aus dem Kapitel : Töne / Pflanzen und Umgebung Im ersten Sommer las ich keine Bücher; ich pflanzte Bohnen. Nein, oft tat ich noch etwas Besseres. Es gab Zeiten, in denen ich mich nicht entschliessen konnte, die Blüte des Augenblicks


irgendwelcher Arbeit des Kopfes oder der Hände zu opfern. Ich lasse gerne einen breiten Rand an meinem Leben. An manchem Sommermorgen sass ich, nachdem ich mein gewohntes Bad genommen hatte, von Sonnenaufgang bis Mittag in Träumerei versunken, auf meiner sonnenbeschienenen Türschwelle zwischen Fichten, Walnussbäumen und Sumach in ungestörter Einsamkeit und Stille, während die Vögel ringsumher sangen oder leise durch das Haus flattern, bis ich durch die an das westliche Fenster fallenden Sonnenstrahlen oder durch Wagengerassel auf der Landstrasse daran erinnert wurde, dass die Zeit vergeht. In solchen Stunden wuchs ich wie das Korn in der Nacht; sie waren viel besser, als irgendwelches Werk meiner Hände gewesen wäre. Es war keine meinem Leben abgezogene, sondern um soviel dreingegebene Zeit. Ich verwirklichte das, was die Orientalen Beschaulichkeit und Arbeitsenthaltsamkeit nennen. Meistens kümmerte ich mich nicht darum, wie die Stunden verflogen. Der Tag stieg empor, als ob er mein Werk beleuchten wolle. Es war Morgen, aber siehe, nun ist es Abend geworden, und nichts Berichtenswertes ward getan. Statt zu singen wie die Vögel, freu ich mich stillvergnügt meines dauernden Glücks. Wie der Sperling, der auf dem Nussbaum vor meiner Tür sitzt, seinen Triller, so hatte ich mein Lachen, mein innerliches Lied, das er aus meinem Neste erklingen hören konnte. Meine Tage waren keine Wochentage, die den Stempel irgendeiner heidnischen Gottheit trugen, noch waren sie in Stunden zerhackt oder durch das Ticken einer Uhr zernagt, sondern ich lebe wie die Puri-Indianer, von denen es heisst, dass sie «für gestern, heute und morgen nur ein Wort besitzen und den Unterschied in der Bedeutung ausdrücken, indem sie für gestern rückwärts, für morgen vorwärts und für heute über den Kopf nach oben deuten». Das erschien zweifellos meinen Mitbürgern als pure Faulheit; hätten mich aber die Vögel und Blumen nach ihrem Mass gemessen, so wäre ich nicht zu gering befunden worden. Es ist wahr, der Mensch muss in sich selbst den Antrieb finden. Der natürlich Tag ist ruhig genug; er wird ihm kaum ob seiner Tätigkeit Vorwürfe machen.


[S.293] Aus dem Kapitel : Frühling / Frühlingsgesänge Das Symbol der ewigen Jugend, der Grashalm, strebt wie ein langes grünes Band aus der Scholle hinaus in den Sommer, vom Frost zurückgehalten, aber immer weitertreibend, und hebt seinen Schaft weg vom verdorrten Stengel des letzten Jahres mit dem jungen frischen Leben, das unten nachdrängt. Er wächst so stetig, wie das Bächlein aus dem Boden rieselt, und ist auch fast identisch mit jenem, denn in den langen Junitagen, wenn die Rinnen trocken liegen, sind die Grashalme die Kanäle der Erde, und Jahr um Jahr trinken die Herden an diesem dauernden grünen Strom, und der Mäher zieht von ihm beizeiten seinen Wintervorrat ein. So stirbt unser Menschenleben nur bis zur Wurzel ab und streckt dann aufs neue seinen grünen Schaft der Ewigkeit entgegen. [S.190] Aus dem Kapitel : Die Teiche / Kleine Barsche Auf der ganzen Erde ist vielleicht nichts so schön, so rein und zugleich so gross wie ein See. Himmelswasser! Es braucht keinen Schutz. Es ist ein Spiegel, den kein Stein zerschmettern kann, dessen Quecksilber sich nicht abnützt, dessen Vergoldung die Natur immer wieder ausbessert; kein Sturm, kein Staub trübt seine ewig neue Fläche; ein Spiegel, in dem alles Unreine, das mit ihm in Berührung kommt, niedersinkt, von dem die Sonne mit ihrem Duft, diesem lichten Staubtuch, den Staub wegwischt, der keinen Hauch, welcher hingeatmet wird, zurückhält, aber den eigenen emporsendet, damit er wolkenhoch über ihm dahinschwebe und dennoch sich in seinem Schosse widerspiegle. Die Wasserfläche verrät den Geist, der in der Luft ist. Sie erhält immer neues Leben, neue Bewegung von oben. Sie ist ihrer Natur nach ein Mittelding zwischen Himmel und Erde. Auf dem Land wogen nur das Gras und die Bäume, aber das Wasser selbst wird vom Wind gekräuselt. Ich sehe an Streifen oder Flecken von Licht, wo die Brise hinüberstreift. Vielleicht blicken wir einmal nieder auf diese Oberfläche von Luft und sehen, wo ein noch freierer Geist darüber schwebt.




BAUSCHAN THOMAS MANN HERR UND HUND, EIN IDYLL S. Fischer Verlag, 1919 [S.7] Wenn die schöne Jahreszeit ihrem Namen Ehre macht und das Tirili der Vögel mich zeitig wecken konnte, weil ich den vorigen Tag zur rechten Stunde beendigte, gehe ich gern schon vor der ersten Mahlzeit und ohne Hut auf eine halbe Stunde ins Freie, in die Allee vorm Hause oder auch in die weiteren Anlagen, um von der jungen Morgenluft einige Züge zu tun und, bevor die Arbeit mich hinnimmt, an den Freuden der reinen Frühe ein wenig teilzuhaben. [S.13] So mischen sich in der vorstädtisch-halbländlichen Abgeschiedenheit dieser Gegend die Laute in sich selbst versunkener Natur mit denen menschlicher Regsamkeit, und über allem liegt die blankäugige Frische der Morgenstunde. Es mag halb acht Uhr im Sinne des Gesetzes, wenn ich so ausgehe, in Wirklichkeit also halb sieben. Ich gehe, die Arme auf dem Rücken, im zarten Sonnenschein die von den langen Schatten der Pappeln schraffierte Allee hinunter, ich sehe den Fluss nicht von hier, aber ich höre seinen breiten, gleichmässigen Gang; gelinde flüstert es in den Bäumen, das durchdringende Zirpen, Flöten, Zwitschern und schluchzende Trillern der Singvögel erfüllt die Luft, unter dem feuchtblauen Himmel steuert ein Flugzeug, von Osten kommend, ein starr mechanischer Vogel, mit leise an- und abschwellendem Dröhnen, über Land und Fluss hin seine unabhängige Bahn, und Bauschan erfreut meine Auge durch schöne, gestreckte Sprünge über das niedrige Gitter der Grasstreifen zur Linken, hinüber herüber. Er springt in der Tat, weil er weiss, dass ich Gefallen daran finde; denn öfters habe ich ihn durch Zurufe und Klopfen auf das Gitter dazu angehalten und ihn belobt, wenn er meinem Wunsche entsprochen hatte; und auch jetzt kommt er beinahe


nach jeden Satz, um sich sagen zu lassen, dass er ein kühner und eleganter Springer ist, worauf er auch noch gegen mein Gesicht emporspringt und meinen abwehrenden Arm mit der Nässe seines Maules verunreinigt. Zum zweiten aber obliegt er diesen Übungen im Sinne einer gymnastischen Morgentoilette; denn er glättet sein rauhgelegenes Fell durch die turnerische Bewegung und verliert daraus die Strohhalme des alten Moor, die es verunzieren. Es ist gut, so am Morgen zu gehen, die Sinne verjüngt, die Seele gereinigt von dem Heilbade und langen Lethetrunke der Nacht. Mit kräftigem Vertrauen blickst du dem bevorstehenden Tage entgegen, aber du zögerst wohlig, ihn zu beginnen. Herr einer ausserordentlichen, unbeanspruchten und unbeschwerten Zeitspanne zwischen Traum und Tag, die dir zum Lohn ward für eine sittliche Führung. Die Illusion eines stetigen, einfachen, unzerstreuten und beschaulich in sich gekehrten Lebens, die Illusion, ganz dir selbst zu gehören, beglückt dich: denn der Mensch ist geneigt, seinen augenblicklichen Zustand, sei dieser nun heiter oder verworren, friedlich oder leidenschaftlich, für den wahren, eigentümlichen und dauernden seines Lebens zu halten [...] So glaubst du auch jetzt, die Morgenluft einziehend, an deine Freiheit und Tugend, während du wissen solltest und im Grunde auch weisst, dass die Welt ihre Netze bereithält, dich darein zu verstricken, und dass du wahrscheinlich morgen schon wieder bis neun Uhr im Bette liegen wirst, weil du um zwei erhitzt, umnebelt und leidenschaftlich hineingefunden ... Sei es denn so. [S.35] Noch am Ausgang der Allee kann ich ihn sitzen sehen, als kleines, dunkles, ungeschicktes Pünktchen inmitten der Strasse, und es gibt mir einen Stich ins Herz, ich besteige das Tram nicht anders als mit Gewissensbissen. Er hat so sehr gewartet, und man weiss doch, wie Warten foltern kann! Sein Leben ist Warten - auf den nächsten Spaziergang ins Freie, und dieses Warten beginnt, wenn er ausgeruht ist von dem letzten Mal. Auch in der Nacht wartet er, denn sein Schlaf verteilt sich auf die ganzen vierundzwanzig Stunden des Sonnenumlaufs, und manches Schlummerstündchen auf dem Grasteppich


des Gartens, während die Sonne den Pelz wärmt, oder hinter den Vorhängen der Hütte muss die leeren Tagesstrecken verkürzen. So ist seine Nachtruhe denn auch zerrissen und ohne Einheit, vielfältig treibt es ihn um in der Finsternis, durch Hof und Garten, er wirft sich hierhin und dorthin und wartet. Er wartet auf den wiederkehrenden Besuch des Schließers mit der Laterne, dessen stampfenden Rundgang er gegen besseres Wissen mit grauenvoll meldendem Gebell begleitet; er wartet auf das Erbleichen des Himmels, das Krähen des Hahnes in einer entlegenen Gärtnerei, das Erwachen des Morgenwindes in den Bäumen und darauf, dass der Kücheneingang geöffnet wird, damit er hineinschlüpfen kann, um sich am Herde zu wärmen. [S.76] Wie alle Gewässer vom Meere bis zum kleinsten Schilftümpel liebe ich Bäche sehr, und wenn mein Ohr, im sommerlichen Gebirge etwa, das heimliche Geplansch und Geplauder eines solchen von ferne vernimmt, so gehe ich den flüssigen Laute wohl lange nach, wenn es sein muss, um seinen Ort zu finden, dem versteckt-gesprächigen Söhnchen der Höhen ins Angesicht zu sehen und seine Bekanntschaft zu machen. Schön sind Giessbäche, die zwischen Tannen und über steile Felsenstufen mit hellem Donnern herabkommen, grüne, eiskalte Bäder bilden und in weisser Auflösung senkrecht zur nächsten Stufe stürzen. Aber auch den Bächen der Ebene sehe ich mit Vergnügen und Neigung zu, ob sie nun flach sind, so dass sie kaum die geschliffenen, silbrig-schlüpfrigen Kiesel ihres Bettes bedecken, oder so tief wie kleine Flüsse, die im Schutz beiderseits tief überhangender Weiden voll und kräftig dahinwallen, in der Mitte rascher strömend als an den Seiten. Wer folgte nicht auf Wanderungen dem Lauf der Gewässer, wenn er nur frei ist, seine Wahl zu treffen? Die Anziehungskraft, die das Wasser auf den Menschen übt, ist natürlich und sympathetischer Art. Der Mensch ist ein Kind des Wassers, zu neun Zehnteln besteht unser Leib daraus, und in einem bestimmten Stadium unserer Entwicklung vor der Geburt besitzen wir Kiemen. Für meine Person bekenne ich gern, dass die Anschauung des Wassers in jederlei Erscheinungsform und Gestalt mir die weitaus unmittelbarste und eindringlichste Art des Naturgenusses bedeutet, ja, dass


wahre Versunkenheit, wahres Selbstvergessen, die rechte Hinlösung des eigenen beschränkten Seins in das allgemeine mir nur in dieser Anschauung gewährt ist. [S.78] Es ist gut, hier zu gehen, sanft angefahren vom warmen Sommerwind. Ist es sehr warm, so geht Bauschan wohl in den Bach, um sich den Bauch zu kühlen; denn höhere Körperteile bringt er freiwillig mit Wasser nicht in Berührung. Er steht dort, die Ohren zurückgelegt, mit einer Miene voller Frömmigkeit und lässt das Wasser um sich herum- und vorüberströmen. Dann kommt er zu mir, um sich abzuschütteln, was seiner Überzeugung nach in meiner unmittelbaren Nähe geschehen muss, obgleich bei dem Nachdruck, womit er sich schüttelt, ein ganzer Sprühregen von Wasser und Schlamm mich anfliegt. Es nützt nichts, dass ich ihn mit Wort und Stock von mir abwehre. Was ihm natürlich, gesetzmässig und unumgänglich scheint, darin lässt er sich nicht beeinträchtigen. [S.89] Ich bin der Landschaft anhänglich und dankbar, darum habe ich sie beschrieben. Sie ist mein Park und meine Einsamkeit; meine Gedanken und Träume sind mit ihren Bildern vermischt und verwachsen, wie das Laub ihrer Schlingpflanzen mit dem ihrer Bäume. Ich habe sie angeschaut zu allen Tagesund Jahreszeiten: im Herbst, wenn der chemische Geruch des welkenden Laubes die Luft erfüllt, wenn die Menge der Distelstauden wollig abblüht, die grossen Buchen des «Kurgartens» einen rostfarbenen Laubteppich um sich her auf der Wiese breiten und goldtriefende Nachmittage in theatralisch-romantische Frühabende übergehen, mit der am Himmel schwimmenden Mondsichel, milchigem Nebelgebräu, das über den Gründen schwebt, und einem durch schwarze Baumsilhouetten brennenden Abendrot ... Im Herbst also und auch im Winter, wenn aller Kies mit Schnee bedeckt und weich ausgeglichen ist, so dass man mit Gummihandschuhen darauf gehen kann; wenn der Fluss schwarz zwischen den bleichen, frostgebundenen Ufern dahinschiesst und das Geschrei der Hunderte von Möwen von morgens bis abends die Luft erfüllt.




MÜTTERLICHES DASEIN ÖRTLICHE BETÄUBUNG PETER HANDKE WUNSCHLOSES UNGLÜCK suhrkamp taschenbuch 146 Frankfurt, 1974 [S.19] Regen – Sonne, Draußen – Drinnen: Die weiblichen Gefühle wurden sehr wetterabhängig, weil «Draußen» fast immer nur der Hof sein durfte und «Drinnen» ausnahmlos das eigene Haus ohne eigenes Zimmer. Das Klima in dieser Gegend schwankt sehr: Kalte Winter und schwüle Sommer, aber bei Sonnenuntergang oder auch nur im Laubschatten fing man zu frösteln an. Viel Regen; schon Anfang September oft tagelang nasser Nebel vor den viel zu kleinen Fenstern, die auch heute kaum grösser gebaut werden; Wassertropfen auf den Wäscheleinen, Kröten, die vor einem im Finstern über den Weg sprangen, Mücken, Insekten, Nachtfalter sogar am Tag, unter jedem Scheit in der Holzhütte Würmer und Asseln: davon musste man abhängig werden, anderes gab es ja nicht. Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich. [S.78] Sie wurde fühllos, erinnerte sich an nichts mehr, erkannte nicht einmal mehr die gewohnten Haushaltsgeräte. Wenn der jüngste Sohn aus der Schule nach Hause kam, fand er immer öfter Zettel auf dem Tisch, dass sie spazierengegangen sei; er solle sich Brote machen oder bei der Nachbarin essen. Diese Zettel, von einem Kassenblock abgerissen, häuften sich in der Schublade. Sie konnte nicht mehr die Hausfrau spielen. Zu Hause wachte sie schon mit wundem Körper auf. Sie liess alles zu Boden fallen, wollte sich jedem Gegenstand nachfallen lassen. Die Türen stellten sich ihr in den Weg, von den Mauern schien im Vorbeigehen der Schimmel zu regnen. Wenn sie fernsah, bekam sie nichts mehr mit. Sie machte eine Handbewegung nach der anderen, um dabei nicht einzuschlafen.


Auf den Spaziergängen vergass sie sich manchmal. Sie sass am Waldrand, möglichst weit von den Häusern entfernt, oder am Bach unterhalb eines aufgelassenen Sägewerks. Der Anblick der Getreidefelder oder des Wassers linderte zwar nichts, aber betäubte zwischendurch wenigstens. In dem Durcheinander von Anblicken und Gefühlen, wo jeder Anblick sofort zu einer Qual wurde, die sie schnell woanders hinblicken liess, wo der nächste Anblick sie weiterquälte, ergaben sich so tote Punkte, an denen die Affenschaukel-Umwelt sie kurz ein wenig in Ruhe liess. Sie war in diesen Momenten nur müde, erholte sich von dem Wirbel, gedankenlos in das Wasser vertieft. [S.85] Sie faulenzte, sass bei alten Freundinnen im Garten, rauchte und fächelte die Wespen aus dem Kaffee. Das Wetter war sonnig und mild. Die Fichtenwälder an den Hügeln ringsherum standen den ganzen Tag über in Dunstschleiern, waren eine Zeitlang nicht mehr so dunkel. Sie kochte für den Winter Obst und Gemüse ein, dachte daran, ein Fürsorgekind bei sich aufzunehmen. [S.90] Das blosse Existieren wurde zu einer Tortur. Aber ebenso grauste sie sich vor dem Sterben. «Machen sie Waldspaziergänge» (der Seelenarzt) «Aber im Wald ist es finster!» sagte der Tierarzt des Ortes, manchmal ihr Vertrauter, höhnisch nach ihrem Tod. Tag und Nacht bleib es neblig. Zu Mittag versuchte sie, ob sie das Licht ausschalten könnte, und schaltete es gleich wieder an. Wo hinschauen? Die Arme übereinanderkreuzen und die Hände auf Schultern legen. Ab und zu unsichtbare Motorsägen, ein Hahn, der den ganzen Tag glaubte, es fange gerade erst Tag zu werden an, und bis in den Nachmittag weiterkrähte, – dann schon die Feierabendsirenen. In der Nacht wälzte sich der Nebel gegen die Fensterscheiben. Sie hörte, wie in unregelmässigen Zeitabständen aussen am Glas ein neuer Tropfen ins Rinnen kam. Die ganze Nacht bleib unter dem Leintuch die elektrische Bettmatte geheizt.


DURCH DEN FLEISCHWOLF GEDREHT FRIEDERIKE MAYRÖCKER MAGISCHE BLÄTTER Suhrkamp Verlag, 2001 [S.9] Diese elliptischen Gespräche sind eine Bodenfalte in die einer fällt oder über die einer strauchelt wenn er, mit dem Blick etwa auf buntscheckiges Gelände, dahineilt. Wenn er das sepiafarbene Gras tritt, oder oberhalb seines Kopfes das fadenziehende Licht greift. Nicht Haus und nicht Land sondern Gruft, nämlich vergebliches Mausoleum von Hoffnung und Ehrgeiz. [S.62] Meine Spielfreunde, meine Vertrauten waren die in allen Farben leuchtenden Blumen im Garten, die beiden Birnbäume vor dem Haus, der Fliederbusch im Innenhof, die Schaukel im Schuppen, der Sommerwind, der silberne Staub der Dorfstrasse, die sonnenwarmen Trittstufen zum Ziehbrunnen wo ich lange Sommernachmittage in wehmütig schwereloser Selbstvergessenheit zubrachte, meine kleine Mundharmonika an die Lippen presste, ohne ihr etwas wie eine Melodie zu entlocken zu können, der schmale Küchengarten mit Brennnesseln, Dahlien, Malven, Klematis und Efeugespinst, der blauweiss schraffierte Morgenhimmel im engen Fenster der feuchten Stube in welcher ich schlief, meine Mutter die immer da war für mich, meine Grossmutter die uns manchmal besuchte, auf den Steinplatten des Alpengartens die goldgelben regungslosen Salamander, die dunkellockige Tochter des Schuldirektors, das Wehr, die Wälder, die Teiche, die flimmernde Hitze über den tiefen dunkelnden Hohlwegen, der Saum der Felder und Wiesen, die strähnigen Uferweiden am Bach, aus deren Holz mein Vater Pfeifen schnitzte für mich, die sacht geschwungene Brücke über dem Bach, im Garten das Lusthaus aus Birkenholz, die weissen Lilien, Hauswurz, Narzissen, die Schwalben, die Strahlen, die Schmetterlinge, Goldlack und Stiefmüterschen, die Laterne des Monds . . .


im Zockeltrab, zu den Maulbeerplantagen am Ende des Ortes - mein Weggefährte ein grosser Hund der mich überall hin begleitete : kahles Weidengezweig das ich nachzog [S.70] Es hat kaum Stationen in dieser Kindheit gegeben, kaum Höhepunkte, kaum etwas das sich als unverkennbar Bezeichnendes, Ereignishaftes, oder Absonderliches in der Erinnerung aufbewahrt hätte. Vielmehr umgibt mich beim Zurückblicken ein Gefühl der heiteren Geborgenheit, der liebevollen Abgeschiedenheit, ein Zustand stetigen und langsamen Fliessens, wie ein staunendes Tagträumen vor dem immerwährenden Anbruch einer fabelhaften Morgenröte. FRIEDERIKE MAYRÖCKER UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING Suhrkamp Verlag, 2005 [S.9] meine Nerven waren sehr aufgeregt, und Gertrude Stein sagt, in dem Gesicht stand dasz er, wenn er ein Stück Wiese angeschaut hatte, es immer ein Stück Wiese für ihn gewesen wäre, aber dann habe er die getroffen die er liebte, und wenn er dann auf ein Stück Wiese geschaut hätte, seien auf dem Stück Wiese Vögel und Schmetterlinge gewesen, die vorher nicht da waren, das also ist Liebe. [S.16] Ich wuszte nie etwas zu sagen, ich war nicht fähig ein Gespräch zu beginnen oder auf ein Gespräch einzugehen weil ich ja nicht gewohnt bin, mit anderen zusammen zu sein, nicht wahr, ich unterhalte mich lieber mit mir selbst oder ich lese in einem Buch, was mir überhaupt auszer dem Schreiben und Spazieren die liebste Beschäftigung ist, usw.


[S.27] Oh, sagte sie, mit langen Flügeln ich kann nur noch allein spazieren, sagte sie, und ich sagte, aber ich habe doch meinen Schritt ganz und gar auf dich eingestellt, ja, sagte sie, aber ich gehe manchmal langsam und manchmal flott, sagte sie, und nicht einmal bei dir ist es möglich, einen gemeinsamen Spaziergang zu machen: mein Atem ist der verschiedenste, und einmal schlafe ich nachts vier Stunden und am nächsten Tag sind es zehn, und man kann überhaupt nichts ablesen oder zur Regel machen bei dir, sagte sie, und ich trage meine Kleider ohne dass sie abgenutzt sind Jahre- jahrzehntelang, ebenso meine Schuhe, sagte sie, bei dir aber ist es anders, deine Kleider rasant oder vehement oder ABGERISSEN, wie du sagst, aber was das spazieren angeht, so gehe ich am liebsten allein also ganz für mich: ich kann jederzeit stehenbleiben und innehalten und durchatmen und die Augen schlieszen und wieder öffnen so wie es mein Körper verlangt, und brauche nicht zu achten nämlich Rücksicht zu nehmen auf meine Begleitung, nicht wahr, ich meine die Person an meiner Seite, etc., so gingen wir die Fahrstrasze aufwärts, Mutter und ich, hielten immer wieder an, erinnerten die Pflaumenbäume, die früher in einer Allee die Strasze säumten, und wir wandelten an den reifenden Weizenfeldern einher, lang und verloren die offenstehenden Innenhöfe der Bauernhäuser. [S.64] Und ich nähere mich dem Zentrum des Schreibens und Schreiens und es ist ein herrlich trüber Tag und dann fängt es zu regnen an und ich blicke in den Regen hinaus, und es nähert sich alles was war aber es ist nicht da, und das Alleinsein ist eine kuriose Sache, nicht wahr, eine Mischung aus Angst und Stolz, und dann folgte ein Tag dem anderen ohne dass die Grundfragen des Lebens gelöst worden wären, und im offenen Mond im offenen Garten der «Geibel Dienst» und an der Stelle des Kopfes, als Mutter lag, war ein Palmenstrauch.


[S.74] …früher war es immer die linke Hand und der linke Arm die beim langen Tippen auslieszen, das war es und ich blickte zum Fenster, die elastischen Menschen und ich sah eine unbewegte Landschaft aus grünen Schichten von Wolken die mich entzückte eigentlich ergriff mich etwas wie eine Verzückung im Anblick dieses wuchtigen in verschiedenen Grautönen starrenden Himmels. [S.146] die Wolke des Nichtwissens : ich lag in meinem Träumen auf feuchtem Waldboden und jemand sprach zu mir, ich erinnere mich nicht was und wer es war, aber es gab einen üppig blühenden Wald um mich herum, etwas wie Flieder Gewölk und Georginen und Lupinen und Glyzinienbüsche und hoch schwankende Bäume voll Robinienblüten und ich sah wie EJ mit raschen Schritten vor mir ging sich aber obwohl ich seinen Namen rief nicht nach mir umdrehte, er beeilte sich Wendelin Schmidt-Dengler einzuholen.. [S.159] …, aber dann schlafe ich über dem Lesen bald wieder ein und ich notiere rasch und meine Hand zittert dabei und ich kann die Notiz nicht mehr entziffern, sobald ich alles reinschreiben will, aber die groszen Zusammenhänge die grossen Bedeutungen gehen mir ab, und es ist wieder ein viel zu sonniger Tag und der Himmel fliehend und flehend aus und ist wie ein Frühlingshimmel, halb vier Uhr früh als ich das Insekt mit dem Glas Wasser herunterschluckte was mich sehr schreckte und wovor mir sehr grauste und ich wollte es wieder ausspeien, es war mein Giebel Dienst und Picasso hoffte immer seine Jugend kehre zurück, und ich lese gerne innerlich und nicht äuszerlich, so Gertrude Stein, und wenn man spazierengeht, will man nicht wieder den gleichen Weg zurückgehen den man gekommen ist, usw., und ich hatte das Bedürfnis KERZENGERADE Sätze zu machen aber es sollte hie und da ein unerwarteter aufregender Satz dabei sein, ein Satz nämlich in welchem die Elektrizität ein und aus ging und meine Seele war aufgeregt…





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